Closing Words

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Aus der Reihe: Five Dogs #3
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Stage 3

Neve atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Tür zum Vernehmungsraum öffnete. Als sie diese aber schwungvoll aufriss, bekam ihre starke Fassade kleine Risse.

Ihre Augen schweiften zu Matt, der aufrecht und irgendwie erwartungsvoll am Tisch saß. Die Hände noch immer in Handschellen.

Er blickte hoch. Sein Blick traf Neve hart und unvorbereitet.

Anstatt sich die Beweise unter den Nagel zu reißen, suchte sie lieber den Kontakt zu ihrem Boss. Sie wollte ihn jetzt nicht alleine lassen. Sie wollte die bevorstehende Vernehmung selbst übernehmen. Etwas was ihr Trevor dankbar überlies.

Matt schaute seinen treuen Hund an. Kalt, beherrscht und irgendwie ausdruckslos. Neve konnte an seinen Gesichtszügen nicht erkennen, ob er sauer auf sie war. Im Augenblick konnte sie sich auch nicht darauf konzentrieren. Sie musste ihren Job machen und Matts Arsch hier ungeschoren rausholen.

Schmetternd warf sie eine Akte auf den Tisch, zog sich den Stuhl heran und setzte sich.

Mittlerweile war es kurz vor neun. Recht früh am Abend. Somit hatte sie genug Zeit um Matt zu vernehmen und ihn danach wieder zu seiner Familie zu lassen. Das hoffte sie jedenfalls.

»Sie wissen weshalb sie hier sind?«, begann sie scharf und kühl das Gespräch. Matt schaute sie an. Seine Augen funkelten belustigt. Allerdings verrieten seine Gesichtszüge nicht eines seiner Gefühle, die im Augenblick in ihm tobten.

»Ich gehe mal davon aus, dass ich nicht verhaftet worden bin, weil ich für das heutige Abendessen leider kein Bio-Hühnchen gekauft habe, oder?« Neve wusste nicht, ob sie lachen sollte oder nicht. Matt machte sich lustig über diese Situation. Irgendwie war ihr das allerdings auch willkommen. Sie wusste ja selbst noch nicht genau wie sie damit umgehen sollte.

Anstatt zu antworten, öffnete Neve die mitgebrachte Akte. Ohne Worte legte sie Matt mehrere Fotos auf den Tisch. Fotos die Nortons toten und misshandelten Körper zeigten.

Neve beobachtete ihren Boss ganz genau, während er sich die Fotos in aller Ruhe ansah.

»Wer«, er schaute noch einmal genau auf die Fotos »oder was war das?« Die FBI Agentin konnte einen Funken Sarkasmus in seiner Stimme vernehmen. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie laut losgeprustet. Matt konnte so herrlich aalglatt sein, ohne dabei lustig zu wirken. Das liebte sie schon immer an ihm. Egal wie stark ihr Blut mit der Polizei verbunden war, sie konnte nicht leugnen, dass sie Matt als Menschen und als Boss liebte. Er war ihr so vertraut, wie ein Seelenverwandter.

»Zwischen den Five Dogs und den Dead Rabbits herrscht schon seit Jahren eine heftige Fehde.« Auch wenn es keine Frage war, nickte Matt. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass er damit seine Identität verriet. Ganz San Francisco wusste wer er war.

»Wir haben noch keine eindeutigen Beweise, aber wir gehen davon aus, dass dieser Mann,« Neve schob eines der Fotos näher zu Matt hinüber. Sie zwang ihn somit, seine Arbeit noch einmal genauer zu betrachten. Sicherlich tat er das von Herzen gerne.

»der Boss der Dead Rabbits war. Ihr Rivale.« Matt stieß einen kurzen Pfiff der Begeisterung aus.

»Wie schön. Da hat mir jemand das Leben ja ungemein leichter gemacht.« Sein Mundwinkel zuckte kurz. Er unterdrückte sein Lächeln. Selbst hier war er so unberechenbar kontrolliert, dass es einem schon fast Angst machen konnte.

»Wo waren sie vergangene Woche von Dienstag bis Samstag?« Neve wollte die Vernehmung nicht unnötig in die Länge ziehen, sondern Matt lieber wieder zu seiner Familie lassen. Also fiel sie gleich mit der Tür ins Haus.

Matt schaute sie ausdruckslos an. Er blickte zu den Fotos zurück und dann wieder zu Neve. Jetzt grinste er tatsächlich.

»Sie glauben, dass ich das war?« Er deutete auf die Fotos. Bevor Neve antworten konnte, sprach er weiter.

»Glauben sie mir, auch wenn mich dieser Verlust nicht im geringsten berührt, sondern eher amüsiert, bin ich das nicht gewesen. Ich war die ganze vergangene Woche in New York. Von Montag bis Sonntagabend. Sie können es ja gerne überprüfen.«

New York? Wieso zur Hölle hast du dir New York als Alibi ausgedacht? Neve war überrascht.

»Und was haben sie in New York gemacht?« Matt lehnte sich entspannt in den Stuhl zurück. Er schaute Neve mit so einem deutlichen Blick an, dass ihr sofort bewusst wurde, die folgenden Worte würden an sie als Hündin gerichtet sein.

»Hier in Frisco führe ich eine Autowerkstatt. Wir werden expandieren und auch in New York eine Filiale eröffnen. Ich habe dort einen geeigneten Platz gesucht. Die Woche über habe ich in dem Hotel The James gewohnt, was sie natürlich auch gerne überprüfen können. Das,« Matt zeigte wieder auf die Fotos »kann also unmöglich ich gewesen sein.« Auch wenn er sicherlich gerne ein überhebliches Grinsen auf die Lippen gesetzt hätte, beherrschte er sich. Ausdruckslos schaute er seinen treuen Hund an.

»Ihnen ist klar, dass wir ihre Aussage überprüfen werden?« Matt nickte nur auf Neves Frage, deren Ausgang eh das preisgeben würde was er ihr eben erzählte.

»Natürlich. Ich habe nichts zu verbergen.« Plötzlich lehnte sich Matt etwas vor. Er schaute Neve direkt in die Augen. Mit ernster Miene riss er ihre volle Aufmerksamkeit an sich.

»Auch wenn euch FBI Fuzzis das nicht schmecken mag, bin ich ein ehrlicher Mensch geworden. Sowas«, er nickte wieder zu den Fotos zurück »mache ich nicht mehr. Diese Zeiten sind vorbei.«

Unfassbar wie köstlich du lügen kannst, grinste Neve in sich hinein.

Ohne auf diese Aussage einzugehen, kramte sie wortlos die Fotos zusammen, verstaute sie in der Akte, erhob sich vom Stuhl und verließ den Vernehmungsraum.

Kaum schloss sich hinter ihr die Tür, musste sie erstmal tief durchatmen. Die erste Hürde war geschafft.

***

Fast zwei Stunden später betrat sie den Vernehmungsraum erneut. Sie ging direkt auf Matt zu und schloss ihm die Handschellen auf.

»Wir haben ihr Alibi überprüft. Sie können gehen. Bleiben sie aber bitte für etwaige Fragen für uns erreichbar.« Neve kämpfte mit sich, Matt nicht in die Arme zu fallen. Sie wusste nicht wie ihr Boss das anstellte, aber sein Alibi war tatsächlich Wasserdicht. Die erste Recherche bestätigte, dass er vergangenen Montag nach New York flog und Sonntag wieder zurück. Auch das genannte Hotel bestätigte eine einwöchige Buchung unter diesem Namen.

»Aber natürlich, ich helfe doch gerne.« Matt konnte es sich nicht nehmen lassen, Neve diesen Spruch entgegen zu schmettern. Er triefte so vor Sarkasmus, dass Neve ihn flüchtig anschaute. Ihre Blicke trafen sich nur kurz, aber sie konnte in den Augen ihres Bosses Verständnis erkennen. Er wird ihr diese Nummer also nicht krumm nehmen.

Bevor er den Vernehmungsraum verließ, blickte er zu ihr zurück.

»Schönen Abend noch. Ich werde dann mal zu meiner Familie zurückkehren und meinen Kindern erklären, weshalb das versprochene zelten im Garten ausfällt.« Unbemerkt biss sich Neve auf die Lippen. Deshalb befand sich dieses verdammte Zelt im Garten, was nun in der Forensik liegt und nach Spuren untersucht wird. Sie konnte es ja aber auch nicht wissen. Woher denn? Neve wusste nichts davon, dass Precious und Damon an diesem Abend zelten wollten. Wahrscheinlich machten Matt und Sam das den Tag über aus. Sie bekommt ja kaum noch etwas vom Familienleben mit.

***

Auch wenn sie eigentlich viel lieber zu Sam nach Hause gefahren wäre, um diesen Abend zu erklären, befand sie sich kurz vor Mitternacht in der Gasse, die zu Sams alter Garage führte. Sie alle haben dort noch immer ihre getunten Fahrzeuge stehen, mit denen sie Rennen fahren.

Aus welchen Gründen auch immer, fühlte sich Neve dort schon immer wohl. In den zehn Jahren in denen Sam im Gefängnis saß, verbrachte sie dort oft Stunden.

Als sie sich damals ihren Gefühlen Sam gegenüber sicher war und die Zeit ohne ihre Frau an ihrer Seite verstrich, zog sie sich oftmals hierhin zurück, um nachzudenken. Um einen klaren Kopf zu kriegen und sich die nächsten Schritte zu überlegen. Es war für sie ein kleiner Zufluchtsort, wo sie wieder Kraft und Zuversicht tanken konnte.

Neve war erstaunt aber auch skeptisch, dass das Tor zur Garage offenstand. Es war eigentlich nie offen. Sam und die anderen achteten immer darauf, dass es verschlossen war.

Konzentriert und mit einer Hand an der Waffe, ging sie langsam auf das Tor zu. Vorsichtig spähte sie in die Garage. Licht drang hinaus.

Ihr entwich ein lautes Keuchen, als sie Matt in der Garage stehen sah. Erleichterung keimte in ihr auf. Sämtliche Anspannung fiel mit einem Schlag von ihr ab.

Sie trat aus ihrer Stellung hervor und blickte zu Matt. Er lehnte gegen die Motorhaube seines Wagens. Die Scheinwerfer waren eingeschaltet. Dieses Licht erzielte bei Neve eine beruhigende Wirkung.

Matt blickte hoch und erfasste sie. Anstatt ein Wort zu sagen, hob er beide Hände. In der einen hielt er zwei Flaschen Bier, in der anderen eine Packung Zigaretten.

Neve wusste nicht wie sie darauf reagieren sollte. Wie erstarrt stand sie im Tor der Garage und schaute ihren Boss mit großen Augen an. Dann brach alles in ihr zusammen.

Mit schnellen Schritten eilte sie zu Matt, warf sich in seine empfangenden Arme und begann zu weinen. Die vergangenen Stunden raubten ihr so viel Kraft, dass sie ihre starke Fassade einfach nicht mehr aufrechterhalten konnte. Sie weinte wie ein kleines Kind in Matts Armen, die ihn fest umschlossen. Mit aller Kraft die er besaß, hielt er sie fest und drückte sie an sich.

Minuten verstrichen, in denen Neve weinte und Matt sie einfach festhielt.

 

»Bist du dir sicher, dass du das schaffst?«, flüsterte er fürsorglich. Neve wusste natürlich, dass er sie auf ihren gewagten Spagat ansprach. Sie wusste aber auch, dass sie das packen würde. Egal wie dieser Anblick im Moment wirken mochte.

»Ja Matt, ich schaffe das. Wir sind doch erst am Anfang. Das war unsere Bewährungsprobe und ich glaube, dass wir diese, trotz meiner jetzigen Heulattacke, gut gemeistert haben«, schniefte Neve. Matt lachte kurz. Zärtlich hauchte er ihr einen Kuss auf den Kopf und entließ sie seinen Armen. Liebevoll nahm er ihr Gesicht in seine Hände und betrachtete sie eingehend. Dann drehte er sich um, nahm das Bier und die Zigaretten, die er dort kurz vor der Umarmung ablegte und reichte Neve eine Flasche.

»Feierabendbierchen?«, lächelte er vertraut.

»Ist auch alkoholfrei«, fügte er zwinkernd hinzu. Dankend nahm Neve das Bier an und stieß mit ihm an.

»Es war echt mal interessant dich bei der Arbeit zu sehen. Du bist gut, verdammt gut. Du hattest die Festnahme und alles drum herum vollkommen unter Kontrolle. Ich bin wirklich beeindruckt. Die Sicherheit und gleichzeitige Eleganz mit der du dich bewegt und agiert hast, hat mir fast den Atem geraubt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so scharfsinnig sein kannst. So präsent und autoritär. Du hattest eine Macht und einen Einfluss über diese ganze Situation, die einen echt überrannt hat.« Neve schluckte das Bier herunter und schielte zu ihrem Boss hinüber.

»Schleimer«, grinste sie. Zärtlich stieß er seinen Ellbogen in ihre Seite. Sie schmunzelte wegen dieser liebevollen Geste.

***

Auf Zehenspitzen schlich Neve durch das Schlafzimmer, hob vorsichtig die Decke hoch und glitt fast lautlos drunter. Kaum kam ihr Körper zum erliegen, drehte sich Sam zu ihr um. Ihre Augen waren wach und aufmerksam. Sie schien noch keine Sekunde geschlafen zu haben.

Neve drehte sich in ihre Richtung und schaute sie an. Ihr kam Sams verängstigter Gesichtsausdruck ins Gedächtnis zurück, als ihre Frau mit ansehen musste, wie sie Matt vor einigen Stunden abführte.

»Es geht ihm gut. Wir haben keine eindeutigen Beweise. Er ist wieder zuhause«, flüsterte sie beruhigend. Sam nickte.

Fast bewegungslos glitt sie auf Neves Körper und zog sie in einen Kuss, der solch eine dankbare und machtvolle Geste ausdrückte, dass sich Neve davon erschlagen fühlte.

Stage 4

»Äh… .« Neve stupst Sam in die Seite, bevor die Precious zurückrufen kann. Der kleine Zwerg hat eben einen Joghurt mit Smarties in den Einkaufswagen geschmissen, schmeißt ihren Lockenkopf herum und flitzt auch schon wieder in den nächsten Gang.

»Schatz, lass sie. Sie braucht solche Zuckerbomben zwischendurch auch mal«, beruhigt Neve ihre Frau. Diese zieht fassungslos eine Augenbraue hoch und holt sich den Joghurt aus dem Wagen. Angestrengt liest sie sich die Zutatenliste durch.

»Neve!«, quiekt sie entsetzt.

»Hast du dir schon mal durchgelesen was da alles für ekelhafte Inhaltsstoffe drinnen sind? Das kann doch nicht gesund sein.« Beschwichtigend lächelt Neve sie an und zieht die Schultern hoch.

»Komm schon.«

»Nein!« Sams Stimme gleicht einer Hundepfeife. Ihr Ton befindet sich auf solch einer Höhe, dass nur Neve die Frequenz hören kann. Und die klingelt ungemein fies in ihren Ohren.

»Neve, so einen Kram wird Precious nicht kriegen. Ich kann ihr genauso gut einen Joghurt machen. Naturjoghurt und Agaven Dicksaft, fertig ist der Lack. Mehr braucht man da nicht und das ist viel gesünder.«

»Und wie willst du die Smarties ersetzen?«, grinst Neve spielerisch.

»Da fällt mir schon was ein«, grummelt Sam und stellt den Joghurt in das Regal zurück.

Kopfschüttelnd schaut Neve ihrer Frau hinterher, während die das Kühlregal inspizierend entlangläuft. Mit einem schnellen Griff holt sie den Smarties Joghurt aus dem Regal wieder heraus und versteckt ihn im Wagen unter dem Toilettenpapier.

Manchmal fragt sie sich tatsächlich, wie Precious ohne solche künstlichen Geschmacksbomben bis heute überlebt hat. Wie Sam sie immer wieder davon abbringen konnte, so viel Chemie zu verschlingen.

Grinsend, weil sie ganz genau weiß, dass Sam zuhause beim auspacken wieder wie ein Teekessel pfeifen wird, schlurft sie ihrer Frau gemächlich hinterher.

Einkaufen ist mit Sam eine Herausforderung, der sie sich, gewappnet mit allen Schutzmaßnahmen die sie aufbringen kann, einmal die Woche stellt. Sie brauchen mit Hin- und Rückfahrt und dem eigentlichen einkaufen tatsächlich geschlagene drei Stunden. Und das obwohl sie eigentlich fast um die Ecke wohnen.

Sie gewöhnte sich irgendwann daran. Für sie ist es ein amüsantes Schauspiel ihrer Frau beim einkaufen zuzusehen. Noch nie gab es so etwas wie Fertiggerichte oder Tütenkram im Einkaufswagen. Noch nie gefrorene Chicken Nuggets. Da holt Sam lieber eine frische Hühnerbrust, schneidet sie in kleine Stücke und paniert diese mit einer Cornflakeskruste. Natürlich die Sorte ohne Zuckerschicht. Selbst die dazugehörigen Pommes macht sie selbst. Sie macht sich tatsächlich die Arbeit, Kartoffeln zu schälen und diese in Pommesähnliche Streifen zu schneiden. Ganz zu schweigen von dem Ketchup und der Mayonnaise. Selbst Pizza gab es noch nie aus der Truhe. Sie mischt mit Quark und einigen anderen Zutaten den Teig zusammen und belegt diesen mit frischem Gemüse. Noch nicht einmal Nudeln gab es bisher aus der Packung.

Die Lebensmittelindustrie hat mir ihr echt ein schweres Los gezogen. An dieser Frau verdienen sie nicht viel.

Sam macht sich sogar die Arbeit Süßigkeiten für ihre Tochter herzustellen. Bonbons, Schokokekse, Weingummi, Muffins oder aber auch ein einfacher Kuchen. Für sie kommt nichts aus der Packung.

Dadurch, dass sie in dieses neue Haus gezogen sind, konnte sie sich auch endlich einen ihrer größten Wünsche erfüllen. Einen eigenen Gemüsegarten. Neben einigen Spielgeräten für Precious, einer gemütlichen Veranda, einem Geräteschuppen und einem Gewächshaus, hat sich Sam in mühevoller Arbeit tatsächlich einen eigenen Gemüsegarten angelegt. Von Gurken über Tomaten, bis hin zu Salaten und Bohnen, versucht sie sich an allem was grünt und wächst. Noch bevor Neve und Precious aufwachen, steht sie auf und kümmert sich um ihre ganz eigenen Lieblinge. Selbst nach Feierabend verbringt sie dort einige Zeit.

Ihre Anstrengungen zahlen sich tatsächlich aus. Neve kommt nicht umhin zuzugeben, dass das Essen mit frischen Zutaten tatsächlich besser schmeckt, als der vorgefertigte Fraß. Offen aussprechen würde sie das allerdings nicht. Braucht sie auch nicht. Sam sieht es alleine daran, dass es bisher nie einen Abend gab, an dem ihre Frau den Teller nicht leergegessen hat. Manchmal ist sie sogar kurz davor, den Teller so sauber abzulecken, dass man diesen problemlos wieder in den Schrank stellen könnte. Da sie aber Manieren hat und Precious kein schlechtes Vorbild sein will, verkneift sie es sich immer wieder.

Als die drei Frauen an der Fleischtheke ankommen, bildet sich ein verschwörerisches Lächeln auf Neves Lippen. Sie blickt kurz zum Tresen. Die dortigen Mitarbeiter kennen Sam und ihre merkwürdigen Angewohnheiten schon. Von daher suchen zwei von ihnen schon das Weite, als sie Sam auf sich zukommen sehen, bis nur noch eine Dame übrigbleibt. Sie hat das schwere Los gezogen und muss sich tatsächlich die nächste viertel Stunde mit einer mehr als anstrengenden Kundin beschäftigen. Denn ohne dass die Mitarbeiterin Sam das ausgewählte Stück Fleisch nicht aus allen Himmelsrichtungen gezeigt hat, kommt bei ihrer Frau nichts in die Tüte.

Schnaufend und von ihren Kolleginnen verraten und verkauft, ergibt sich die Mitarbeiterin ihrer aussichtslosen Situation und begrüßt Sam gespielt herzlich.

Neve schlurft in der Zwischenzeit in Richtung der Obst und Gemüse Abteilung. Dort wird sich Sam auch noch eine geraume Zeit aufhalten. Auch wenn sie ihren eigenen kleinen Garten hat, kann sie zu manchen Jahreszeiten nicht alles anbauen was sie gerne möchte und muss doch auf die Industrie zurückgreifen.

Pustend wirft sich Neve auf die dort stehende Bank und beobachtet ihre Frau aus einiger Entfernung. Precious wirft sich neben sie, legt die Füße hoch und platziert ihren Kopf auf ihren Schoß. Sie weiß mittlerweile auch, dass es bei der Fleischabteilung etwas länger dauert. Danach kommt noch die Käsetheke und dann geht es an das Obst und Gemüse. Precious muss also noch etwas Kraft tanken, bevor ihre Fähigkeiten gefragt sind.

Verträumt spielt Neve während der Wartezeit mit Precious' Locken. Sie blickt zu ihr herunter und lächelt. Die Maus sieht Matt so unglaublich ähnlich.

Sie ist bis zum heutigen Tag stolz auf sich und glücklich darüber, dass sie denselben Weg wie Laura und Jessica gegangen ist und ihren Boss als Vater ihrer Tochter auswählte. Besser hätte es eigentlich gar nicht sein können. Somit wird es für immer eine Verbindung zum Rudel geben, der sie sich eh nicht mehr entziehen kann.

Manchmal fällt es ihr schwer zu akzeptieren, dass sie aufgrund ihres neuen Körpers keinerlei biologischen Verbindungen mit Precious hat. Selbst die Adoption ihrer eigenen Tochter wirkte so unfassbar surreal auf sie, dass es sie manchmal schmerzt. Aber sie weiß, dass Precious ihr Kind ist. Egal was ihr irgendwelche Papiere und Testergebnisse vorgaukeln wollen. Precious ist ihr Fleisch und Blut.

Nach zwanzig Minuten legt Sam zwei Beutel in den Einkaufswagen und streckt eine Hand aus.

»Na komm, Schatz«, feuert sie ihre Tochter an. Precious blickt wehmütig zu Neve hoch. Ihre Augen fragen sie wahrhaftig, ob sie tatsächlich muss.

»Na los«, lächelt ihre Mutter aufmunternd und gibt ihr einen kleinen Klaps auf den Po. Beide wissen, dass sie um diese Lehrstunde nicht drum herumkommen werden.

Precious schürzt die Lippen, hüpft auf die Beine, drückt ihrer Mutter noch einen Kuss auf den Mund und watschelt zu Sam hinüber.

Neve dreht sich auf der Bank in deren Richtung, stützt den Kopf mit einer Hand an der Rückenlehne ab und beobachtet ihre beiden Frauen.

Precious tut ihr ja schon ein Stück weit leid. Sam wird sie ebenso fordern wie fördern. Da kann sich Neve noch so sehr auf die Hinterbeine stellen und mit den Hufen scharren. Sam wird ihrer Tochter alles über Obst und Gemüse erklären, was sie selbst weiß und mit ihr zusammen jeden Artikel einzeln aussuchen.

Wie eine Giraffe streckt Neve den Hals und schaut den beiden beim aussuchen einer Zitrone zu.

»Schau dir diese beiden Zitronen an. Was fällt dir auf?« Sam hat sich in die Hocke begeben, um mit Precious auf einer Höhe zu sein. Sie hält in jeder Hand eine Zitrone. Angestrengt blickt Precious zwischen den beiden gelben Früchten hin und her. Sie tippt auf die linke.

»Die ist gelber. Die andere ist heller.«

»Super.« Sam reicht ihr die Zitrone. Precious weiß was ihre Mutter dadurch von ihr möchte. Wissbegierig drückt sie sich das kleine gelbe Ding an die Nase und riecht.

»Die riecht sehr stark nach Zitrone.« Sam nickt und reicht ihr die andere.

»Und die?« Precious riecht dort ebenfalls dran und schüttelt den Kopf.

»Die nicht.«

»Und das bedeutet?« Precious überlegt einige Zeit. Dann zeigt sie auf die gelbere Zitrone.

»Die ist überreif. Die wird bald schlecht, aber diese hier«, sie zeigt Sam die hellere Zitrone in ihrer Hand »nicht. Die hält sich noch ein paar Tage.« Sam lächelt stolz.

»Perfekt. Das heißt, je gelber eine Zitrone ist und je mehr sie nach Zitrone riecht, umso schneller wird sie schlecht. Ok? Suchst du noch drei weitere aus?« Als wenn sie damit Precious Ehrgeiz geweckt hätte, nickt Precious stürmisch und beobachtet sie dabei, wie sie weitere Zitronen aussucht.

Alleine bei dem Anblick wie Sam neben ihrer Tochter steht, ihr liebevoll über den Kopf streicht und sie beim aussuchen der Zitronen beobachtet, könnte Neve vor lauter Liebe dahin schmelzen. Es gab bisher tatsächlich keinen Tag, an dem Sam Precious nicht als ihr Kind ansah. Auch wenn sie nicht annähernd irgendetwas mit der Entstehung ihres Lebens zutun hatte, war Precious vom ersten Tag an wie ihr eigenes Kind. Als ob sie mit ihr schwanger gewesen wäre und sie zur Welt gebracht hätte. Neve weiß, dass Sam für sie sterben würde. Dass sie alles für den Hosenscheißer aufgeben würde. Dass Precious einfach alles für sie ist.

Als wenn es ein Kinderwagen wäre, schiebt Neve den Einkaufswagen mit einem Fuß vor und zurück, während sich ihre beiden Frauen weiter durch die Gänge der Obst und Gemüseabteilung arbeiten. Beim Brokkoli halten sie. Sam sucht zwei gegensätzliche Exemplare aus und reicht sie Precious.

 

»Wie schaut es mit diesen beiden aus?« Precious braune Augen wandern zwischen den beiden Brokkoli hin und her.

»Der hat schon gelbe Flecken, der ist nicht gut«, tippt sie auf den rechten.

»Klasse«, lächelt Sam und legt den ausgesuchten Brokkoli wieder zurück.

»Gehen wir mal zu den Karotten. Traust du dir das zu?« Sam scheint Precious' Ehrgeiz tatsächlich geweckt zu haben. Anstatt zu antworten, rennt sie voller Wissensdrang einen Gang weiter. Dort angekommen sucht Sam zwei Bund aus.

Interessiert reckt Neve ihren Hals noch weiter. Karotten hatten die beiden noch nicht. Das ist also völlig neu für Precious. Den Rest kannte sie schon. Sam frischt es nur immer wieder neu auf.

»Was fällt dir auf?« Angestrengt blinzelt Precious zwischen den beiden Bunden hin und her. Sie braucht einige Zeit, bis Sam ihr behilflich ist.

»Wenn du dir nicht sicher bist, kannst du sie gerne anfassen oder dran riechen.« Precious schaut noch etwas hin und her, bis sie den Bund in Sams linker Hand berührt. Kaum spürt sie eine Karotte in ihren kleinen Finger, fängt sie zu lachen an. Wie Knetmasse biegt sie die Karotte hin und her.

»Wie müssten Karotten eigentlich sein, Precious? Wie sind sie immer, wenn du sie in der Schule isst?«

»Knackig«, lacht der Zwerg.

»Und? Ist diese Karotte knackig?«

»Nein«, gluckst Precious und biegt das arme Ding in alle Richtungen.

»Heißt also?«

»Die ist nicht gut.«

»Hervorragend. Du kannst es aber auch schon sehen. Sieh mal.« Sam begibt sich wieder in die Hocke und zeigt ihrer Tochter die erste Schicht der Karotte. Sie wirkt dunkel und schrumpelig.

Nach dieser herausfordernden Lehrstunde, stürzt Precious mit dem Bund Karotten zu Neve zurück und legt ihn in den Wagen. Sie zwinkert ihr zu, was ihre Tochter richtig deutet. Sie ist stolz auf sie, dass sie diese Hürde wieder mal geschafft hat.

Neve grinst hinterhältig, als Sam ebenfalls mit vollen Händen zu ihr zurückkehrt.

»Bist du zufrieden und befriedigt? Oder brauchst du noch eine Mini Gurke, um vollends befriedigt zu sein?« Überfordert zieht Sam fragend eine Augenbraue hoch.

»Hä? Was, wieso…?« Kaum weiß sie was Neve mit dieser Aussage meint, kreischt sie entsetzt auf. Sofort schlägt sie sich beide Hände auf die Ohren.

»Lalala, ich habe das überhaupt nicht gehört.« Gleich darauf boxt sie auf ihrem Kopf herum.

»Raus, raus, raus.« Gespielt wütend schaut sie ihre Frau an.

»Neve! Du bist widerlich.« Neve kichert. Sie liebt es ihre Frau immer wieder zu schocken.

Schnaufend schnappt sich Sam den Einkaufwagen und schiebt ihn in Richtung Kasse.

»Ich will zwar nicht wissen was Leo mit diesem Körper angestellt hat, aber für mich ist es sehr befriedigend« sie zieht dieses Wort wie einen Kaugummi »zu wissen, dass dort bisher noch kein Mann dran war und das auch niemals passieren wird.« Neve grinst noch etwas vor sich hin, bis Sam sie mit einem ernsten Ausdruck anschaut.

»Es tut gut mich aus Zwang nicht mehr so duschen zu müssen.« Bei dem Gedanken daran, schüttelt es Neve kurz.

Sam reiht sich währenddessen mit dem Einkaufswagen an die Kasse ein.

Neve schlendert um sie herum und flüstert ihr glucksend »Egal was Leo gemacht hat, aber Jungfrau bist du definitiv nicht mehr« ins Ohr. Bevor Sam darauf reagieren kann, drückt Neve ihr einen Kuss auf die Wange und sucht vor dem Einkaufswagen Schutz. Weit genug von den Händen ihrer Frau weg, die ihr eventuell zu nahekommen könnten. Allerdings hat sie die Rechnung ohne Sam gemacht.

Schnaubend gibt sie dem Wagen einen Ruck und stößt ihn ihrer Frau absichtlich gegen die Hüfte.

»Aua«, lacht Neve und reibt sich die Hüfte.

»Geschieht dir recht«, grunzt Sam.

***

»Precious, hast du alles?«, ruft sie am frühen Abend durch das Haus. Kleine Füße trampeln lautstark die Treppe hinunter, dass man glatt meinen könnte, sie würden das nächste Erdbeben auslösen.

»Ja.«

Wenn Neve nicht schon bereitstehen und die Tür aufhalten würde, würde der kleine Wirbelwind mit voller Wucht dagegen rennen. Wie fast jeden Samstagabend, ist sie voller Energie und aufgeregt wegen der bevorstehenden Nacht bei ihrem Vater.

***

Bei der Ankunft können die beiden Frauen schon Lauras Wagen auf Matts Auffahrt sehen. Sie sind also auch schon da, um Damon bei ihm abzuliefern.

Heute sind die Frauen Kinderlos und haben frei. Matt wird sich der Gewalt seiner Kinder stellen und wieder Blödsinn mit ihnen veranstalten. Das tut er immer. Wahrscheinlich wird sich das auch nie ändern. Selbst dann nicht, wenn seine Kids mit Hochschulabsolventenkappen bei ihm aufschlagen würden. Da ist der Boss der Five Dogs tatsächlich schlimmer als die Frauen.

***

»Habt viel Spaß heute Abend.« Mit einem fast verschwörerischen Lächeln auf den Lippen, schließt Matt wenig später die Haustür vor seinen Frauen. Diese schauen sich fragend an, ziehen die Schultern hoch und schlendern zu Neves Kombi zurück.

»Ok, Ladies. Was stellen wir heute an?« Fragend blickt Neve in den Rückspiegel. Allerdings sieht sie nur ratlose Gesichter von Jessica und Laura. Neugierig blickt sie danach zu Sam hinüber.

»Einen richtigen Plan habe ich auch nicht wirklich, aber lass uns mal zum Pier 39 fahren. Ich will da endlich mal das Bubba Gump Restaurant ausprobieren.« Erstaunt zieht Neve eine Augenbraue hoch.

»Bubba Gump Shrimp?« Sam nickt. Im nächsten Augenblick jauchzen Laura und Jessica von hinten »Lauf Forrest, lauf«. Gackernd stimmen sie diesem Vorschlag also zu.