Mit den Normannen nach England

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Der Blick nach England

Im grünen Land der Normandie wird in jenen Tagen manches Mal ein blonder oder rothaariger Mann an der Küste gestanden und auf das Meer hinaus geblickt haben. Besonders vielleicht gegen Abend, wenn die Sonne sich zum Horizont neigt, der Wind vom Land her einsetzt und die Gedanken in die Weite schweiften. Noch heute kann man diesen „meergerichteten“ Blick beobachten, wenn man beispielsweise in Honleur vor der pittoresken Kulisse des alten Hafens die Haltung und die Gesichter der hier beheimateten „Männer vom Meer“ anschaut.

Wenn damals einer Seemann oder Fischer ist, weiß er genau, dass irgendwo da drüben die englische Küste liegt, und er mag daran denken, dass seine Ahnen, die vor gar nicht so langer Zeit ein ungebunden schweifendes Räuberleben führten, gerade jenes Land immer wieder zum Ziel ihrer Fahrten genommen haben. Und da kann es gut sein, dass sich „angestammte“ Wünsche regen. Mehr als einer dieser Nachfahren mag insgeheim den alten Zeiten nachgetrauert und die eher sesshafte Lebensweise in der neuen Heimat nicht ganz so befriedigend gefunden haben.

Gerade auch in der Führungsschicht der Normandie dürfte in jener Zeit der Gedanke an Britannien immer präsent sein. Schließlich gelangen immer wieder Nachrichten von Unruhe und Bedrängnis auf den Kontinent. Und mancher hat Verwandtschaft auf der „anderen Seite“. Dann kommt sogar ein König, der drüben seinen Thron verloren hat, und sucht Schutz und Gastrecht beim normannischen Herzog, der sein Schwager ist. Andere „Exilanten“ folgen ihm. Und man hört: Der König von Dänemark hat den englischen Thron an sich gerissen. Wikinger bedrängen aufs Neue die Küsten des Inselreichs. Und mehr als einer, vom Pferdeknecht und Knappen bis zum Ritter und zum Herzog selbst, wird gedacht haben: Wie wäre es denn, wenn auch ich dort meinen Handschuh in die Arena werfen würde?

Vermutlich ist das einer der Gründe, weshalb Herzog Wilhelm keine großen Schwierigkeiten hat, Gefolgschaft zu finden, als er beschließt, für seinen Feldzug gegen das Inselreich eine Armee zu sammeln.

Ehe wir nun jedoch weiter betrachten, wie von normannischer Seite die Ambitionen zur Eroberung Englands entstehen und welche dramatischen Ereignisse sich daraus ergeben, müssen wir erst einmal unser Augenmerk auf die Geschichte jenes Inselreiches richten, das zu dem Zeitpunkt, als die Wikinger zum ersten Mal auf der „politischen Bühne“ des Abendlandes erscheinen, bereits eine lange Entwicklung hinter sich hat und dabei durch manche Schwierigkeiten hindurchgegangen ist.

Um die Krone von England

Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Schulbuch im Fach Englisch. Es war mit dem Ehrgeiz gestaltet, nicht nur die Sprache zu vermitteln, sondern auch etwas vom Wesen des Landes und seiner Geschichte. Und so gab es dort eine Abfolge von Kapiteln, die immer wieder denselben Duktus boten: „The Coming of the Romans“, „The Coming of the Saxons“, „The Coming of the Normans“. Hier ging es jedes Mal um die Ankunft neuer Völkerschaften, die über das Meer an die Küste Britanniens gelangten, das Land eroberten und ihm den Stempel ihrer Lebensform aufdrückten. Derart historisch betrachtet bleibt also nicht viel übrig vom Leitbild der „splendid isolation“, der selbstbewussten „glänzenden“ Abgesondertheit eines Inselreiches, das ringsum vom Wasser geschützt ist wie durch einen unüberwindlichen Burggraben. Vielmehr ist das Wesen Großbritanniens durch eine Folge von Invasionen entstanden. Und das ist im Grunde wohl durchaus eine Stärke: Es hat sich durch neue Impulse fortentwickelt und gerade durch sie hat es seine reiche Vielschichtigkeit gewonnen …

Ein Inselreich, aber nicht isoliert

Also: Die Römer waren keineswegs die ersten, die auf die Insel kamen, die übrigens erst seit etwa 8.000 v. Chr. tatsächlich allseits von Wasser umgeben ist. Zuvor gab es eine wohl keltische „Urbevölkerung“, die ihrerseits nach der letzten Eiszeit eingewandert sein muss. Eine erste Landung römischer Truppen erfolgte unter Julius Caesar in den Jahren 55 und 54 v. Chr. Die eigentliche Eroberung begann jedoch erst 43 n. Chr. unter der Regierung von Kaiser Claudius. Nun war Britannien in aller Form in das Imperium Romanum einbezogen und das bedeutet, dass hier auch jene Strukturen entstanden, die für dieses Reich und seine Zivilisation so kennzeichnend waren: militärische Stützpunkte und effiziente Provinzial-Verwaltung, Städtegründungen, Straßenbau und alles, was den Römern das Leben lebenswert machte: Häuser und Villen mit Warmluftheizung und Mosaikfußböden, Tempel, Theater und Arenen sowie eine umfangreiche Produktion von Luxus- und Gebrauchsgegenständen. Alles Dinge, von denen sich viele Überreste erhalten haben. Im Norden freilich blieben umfangreiche Gebiete unbesetzt (Schottland), und als der Höhepunkt römischer Welteroberung überschritten war, wurden dort Verteidigungsmauern (Hadrianswall) errichtet, um den „Status Quo“ zu sichern.

Aber solche Versuche sind in der Geschichte immer aufs Neue gescheitert. Mit dem Verfall der „Universalmacht“ Rom wurden immer mehr Außenposten und Randgebiete „unhaltbar“, und so zog sich im 4. Jh. die imperiale Armee aus Britannien zurück. Andererseits ist ein großer Teil der römischen oder „romanisierten“ Bevölkerung auf der Insel geblieben und auch viele Strukturen des römischen Lebens waren weiterhin intakt. So kam es, dass sich die Bewohner mancher Bereiche der Provinz nach militärischen Kräften umsahen, die ihren Schutz übernehmen konnten, und offenbar sind auf diese Art bereits früh zahlreiche Sachsen auf die Insel gekommen, nämlich als angeworbene Söldner. Dennoch wurde die Situation zunehmend schwierig. Zwangsläufig löste sich der Zusammenhalt der Provinz auf und das Land zerfiel in kleinteilige Herrschaftsbereiche, die sich gegenseitig zu bekriegen begannen. Insgesamt entstand das, was wir ein „Machtvakuum“ nennen, und so etwas hat selten in der Geschichte längeren Bestand.5

Herrschaft der Angeln und Sachsen

Etwa Mitte des 5. Jhs. kommen neue Völkerschaften in wachsender Stärke vom Festland auf die Insel. Vor allem sind es neben weiteren Sachsen die Stämme der Angeln, Friesen und Jüten, deren Gebiete an den Küsten rings um die Nordsee liegen und die des Seefahrens kundig sind, sodass es für sie kein Problem darstellt, über das Meer nach Britannien zu gelangen. Vermutlich sind sie zuerst als Erkundungstrupps und wohl auch zu räuberischen Streifzügen unterwegs – wie später die Wikinger – aber bald schon kommen sie in größeren Scharen und mit der Absicht, sich niederzulassen und zu bleiben. Es ist ein Teil jener großen Aufbrüche und Siedlungsbewegungen, die sich aus dem Zusammenbruch des Römerreiches ergeben und die wir als „Völkerwanderung“ zusammenfassen. Gerne genannt werden die beiden Kriegerfürsten Hengest und Horsa, die aber vielleicht nur legendäre Gestalten sind.

Von nun an sprechen wir von angelsächsischen Herrschaftsgebieten in England und damit sind zunächst sieben verhältnismäßig kleine Königreiche gemeint, die sich in festerer Form herauskristallisieren: Kent (als Gründung der Jüten), Sussex, Essex, Wessex (südliche, östliche und westliche Gründungen der Sachsen, wie schon die Namen zum Ausdruck bringen), East-Anglia, Mercia und Northumbria (als Gründungen der Angeln). Von diesem Gefüge ausgeschlossen bleiben zunächst der äußerste Westen des Landes (Cornwall und Wales) sowie der Norden (Schottland). Bis sich dieser Zustand verfestigt, werden allerdings heftige Kämpfe ausgefochten, immer wieder gibt es Gegeneinander, Blutvergießen, Sieg und Niederlage, Behauptung oder Unterwerfung. Darüber geht viel Zeit ins Land und wir haben nun etwa das Ende des 7. Jhs. erreicht.

Zugleich zeichnet sich eine andere Bewegung ab, nämlich die der Christianisierung der Völker auf englischem Boden. Papst Gregor d. Gr. (reg. 590 – 604) entsendet den Benediktinermönch Augustinus, der um das Jahr 600 lebt, um die Missionierung der Angelsachsen in Gang zu bringen. In diesem Zusammenhang soll der Satz gefallen sein: „Non angli sed angeli!“ (diese Menschen seien „nicht Angeln, sondern Engel!“). Schon damals wird der Grundstein gelegt für die Bedeutung von Canterbury – weit über Kent hinaus und bald schon als kirchliches Zentrum für ganz England. Allerdings vollzieht sich auch die Missionsarbeit nicht ohne Spannungen. Denn gegen das Vordringen des Christentums römischer Prägung steht die irisch-schottische Mission, die vom Nordosten her betrieben wird, und zwischen diesen Glaubensrichtungen gibt es mancherlei Differenzen.

Gegen Ende des 9. Jhs. kann die Christianisierung Englands als abgeschlossen gelten – zumindest oberflächlich, denn im Volksglauben leben zahlreiche ältere Vorstellungen weiter und manche haben sich – wie bei uns selbst auch – bis auf den heutigen Tag erhalten. Insgesamt lässt sich jedoch „auf den Inseln“ eine wahre Blüte christlichen Lebens erkennen: Die klösterliche Kultur erreicht einen Höhepunkt ihrer Bedeutung. Beispielsweise bringt die christliche Gelehrsamkeit Persönlichkeiten wie Beda (672/3 – 735) hervor, dem man den Beinamen „Venerabilis“ (der Verehrungswürdige) gibt; es entstehen Heilige Bücher mit kostbarem Schmuck wie das Book of Lindisfarne (um 700) oder das Book of Kells (wohl um 800). Das germanische Heerkönigtum erhält durch die christliche Salbung eine neue Bedeutung und überall im Land entstehen zahlreiche Kirchenbauten.

Während sich die angelsächsischen Gemeinwesen etablieren, bahnen sich neue Vorstöße gegen die Insel an, und – wie nicht anders zu erwarten – werden die Neuankömmlinge nun von den gerade erst sesshaft Gewordenen als aggressive Invasoren betrachtet.

 

Alfred d. Gr. und seine Nachfolge

Von den Vorstößen räuberischer Wikinger im 8. Jh. ist bereits die Rede gewesen (S. 10 f.). Ihr Überfall auf das Kloster Lindisfarne im Jahr 793 wird als ein Zeichen betrachtet, welches nach vorausgegangenen kleineren Angriffen den wahren Umfang der Gefahr erkennen lässt. Wir sehen diese Ereignisse nun gewissermaßen von der anderen Seite her. Wie reagieren die angelsächsischen Völker auf die Bedrohung?

Zunächst ist eine wirkungsvolle Abwehr kaum zu leisten, da es keine Flotte gibt, welche die Verteidigung zur See übernehmen könnte. So können die Wikinger mit solcher Stärke landen, dass es ihnen möglich wird, 865 in der Gegend von York einen festen „Brückenkopf “ zu schaffen, den sie bald zum Fürstentum Jòrvik ausbauen und von wo aus sie nun massiv das angelsächsische Gebiet unter Druck setzen. 869 dringt ein dänisches Heer in die Themsemündung ein und rückt Flussaufwärts vor.

Aber nun tritt König Alfred von Wessex auf und wird zu einer zentralen Figur für die Abwehr der Wikinger – und zugleich zu einer Symbolgestalt für den Weg der angelsächsischen „Kleinreiche“ zu einem umfassenden englischen Königtum. Dieser Monarch wird schon kurz nach seinem Tod als „Alfred d. Gr.“ bezeichnet. Alfred lebt von 848/9 bis 899. Er ist der Sohn und Thronerbe des Königs von Wessex und nimmt bereits zu Lebzeiten seines Vaters den Kampf auf: gegen die Dänen, die auch sein Gebiet erreichen, und auch gegen die Wikinger, die weiter im Norden besonders Mercien bedrängen. Das Kriegsgeschehen verläuft keineswegs immer glücklich für die angelsächsische Seite, aber in den entscheidenden Schlachten gelingt es Alfred und den Seinigen schließlich immer wieder, den Sieg davonzutragen. 871, nach dem Tod seines Vaters, wird Alfred König von Wessex und erobert wenig später (886) London, das sich späterhin zum Vorort des englischen Landes entwickelt. Von dieser Zeit an wird der siegreiche Heerführer auch von den anderen sächsischen Reichen und sogar von Gebieten, die im Machtbereich der Dänen liegen, als König anerkannt. Damit ist ein angelsächsisches Herrschertum begründet, das für beträchtliche Zeit die politische und kulturelle Entwicklung Englands maßgebend bestimmt. Zu Alfreds Verdiensten zählt auch, dass er eine Flotte bauen lässt, die eine wichtige Rolle bei der Verteidigung des Landes übernimmt, und dass er die dezentrale militärische Struktur festigt, indem er das Milizwesen („fyrd“) stärkt. Auch auf kulturellem Gebiet wirkt er schöpferisch, zum Beispiel dadurch, dass er – zweifellos nach dem Vorbild Kaiser Karls d. Gr. – eine Hofschule ins Leben ruft, die als Stätte der Gelehrsamkeit berühmt wird und wichtige Impulse für die Entwicklung der englischen Sprache gibt.

Die angelsächsische Gesellschaftsform mag im übrigen Abendland als „rückständig“ angesehen sein, sie hat aber zum Beispiel ein gut geordnetes Steuersystem. Wir müssen sie uns als stark landwirtschaftlich begründet vorstellen: Bauern, die Ackerbau und Viehzucht betreiben und in kleinen Dorfgemeinschaften leben. Außerdem gibt es geschickte Handwerker wie Zimmerleute oder Grobschmiede, aber auch verfeinerte Kunstformen wie zierlich gestaltete Goldschmiedearbeit gehören zur angelsächsischen Tradition. Wenn man ihre Herkunft und ihre eroberungslustige Vergangenheit betrachtet, sieht man durchaus manche Verwandtschaft mit den Wikingern, denen sie so erbittert im Kampf gegenüberstehen. Nur sind die Angelsachsen gewissermaßen über diese Entwicklungsstufe hinausgewachsen. Städtische Lebensformen bleiben ihnen jedoch eher fremd. Aus meiner Sicht kann übrigens kein Zweifel bestehen, dass viele Wesenszüge und Wertbegriffe der angelsächsischen Welt noch heute im Bewusstsein der englischen „Countryside“ weiterleben.

Unter den Nachfolgern König Alfreds setzt sich der Abwehrkampf gegen das Eindringen von Wikingern und Dänen fort. Dieser Kampf verläuft mit wechselndem Erfolg. Zeitweilig scheint die Lage der angelsächsischen Monarchie beinahe hoffnungslos und es kommt so weit, dass die Verteidigung nicht mit militärischer Stärke geführt werden kann, sondern der Gegner mit Geldzahlungen abgehalten wird. König Ethelred schließlich setzt seine Hoffnung offenbar auf Hilfe von außen; er heiratet in zweiter Ehe Emma, eine Tochter Herzog Richards I. von der Normandie. Hat er tatsächlich damit gerechnet, dass ihm von dort militärischer Beistand geschickt wird? Vielleicht geht es eher darum, die Unterstützung wikingischer Angreifer zu unterbinden, die bis dahin oft genug in der Normandie eine günstige Ausgangsbasis für ihre Züge gegen England erhalten haben. Auf jeden Fall beschwört Ethelred durch diese Verbindung eine Möglichkeit herauf, die einige Jahrzehnte später zu umwälzenden Ereignissen führen und den angelsächsischen Thron völlig neuen Ansprüchen aussetzen wird.

Englische Könige vor Wilhelm „dem Eroberer“

Als früher „King of the English“ wird im 9. Jh. Egbert genannt. Unter denen, die als seine Nachfolger verzeichnet sind, ragt ein Name besonders hervor: Alfred d. Gr., der 871 – 899 regiert. Er hat sich sowohl im Krieg als auch im Frieden bewährt. An seinem Vorbild werden alle späteren angelsächsischen Herrscher gemessen. Wir springen nun aber gleich zu den Königen in der unruhigen Epoche des 10./11. Jhs.:

Ethelred „the Unready“ (der Unberatene) reg. 978 – 1013 und 1014 – 1016

Dieser König flüchtet 1013 vor der Invasion des Dänenkönigs Sven „Gabelbart“ ins normannische Exil – zu seinem herzoglichen Schwager. In England regiert der Eroberer, aber es kommt nicht zur Krönung. Ethelred wird zurückgerufen, stirbt aber kurze Zeit später.

Edmund „Ironside“ (Eisenseite), reg. 1016

Ethelreds ältester Sohn Edmund steht in Rivalität zu Sven Gabelbarts Sohn Knut. Er nimmt den Kampf auf, stirbt aber nach wenigen Monaten.

Knut d. Gr., reg. 1016 – 1035

Edmunds Gegner kommt nun auf den Thron und vermag seine Herrschaft zu festigen. Energisch und durchaus mit Härte regiert er seine drei Königreiche, denn er ist auch Herr von Norwegen und Dänemark.

Harold I. „Harefoot“ (Hasenfuß), reg. 1035 – 1040

Knut hatte als Nachfolger seinen Sohn Hardiknut gewollt, aber dessen Halbbruder Harold setzt sich als König durch. Er regiert mit Hilfe von Earl Godwin. In diese Zeit fällt die Gefangennahme und Ermordung Alfreds, eines Sohnes von Ethelred (s. o.), der aus der Normandie herübergekommen ist, um den Thron seines Vaters zurückzugewinnen.

Hardiknut, reg. 1040 – 1042

Auch dieser König, der nach dem Tod seines Halbbruders doch noch auf den Thron gelangt, regiert nicht lange. Und wie jener bleibt er nicht in gutem Angedenken. Als er kinderlos stirbt, ergibt sich die Frage, wer aus dem vertriebenen angelsächsischen Königshaus noch zur Verfügung steht.

Edward III. „the Confessor“ (der Bekenner), reg. 1042 – 1066

Der letzte noch lebende Sohn Ethelreds wird aus dem normannischen Exil nach England zurückgerufen und damit kommt noch einmal die angestammte Dynastie auf den Thron. Edwards Persönlichkeit ist durch strenge Religiösität bestimmt, und seine mönchhafte Lebensweise lässt absehen, dass der König kinderlos sterben wird. Einige Zeit nach seinem Tode wird er heiliggesprochen.

Harold II., reg. 1066

Mit diesem Mann werden wir uns intensiver beschäftigen müssen (S. 50 ff.). Tatsache ist: Harold Godwinson wird nach dem Tod Edwards „des Bekenners“ vom „Witan“, dem königlichen Beraterkreis, zum neuen Herrscher ausersehen und nimmt die Krone an – was immer er zuvor beim Herzog der Normandie geschworen haben mag. Von hier an nimmt das Drama der normannischen Eroberung unaufhaltsam seinen Lauf.

„Es gab drei Prinzipien, auf die Herrschaft gegründet werden konnte: Eroberung, die keine Diskussion zuließ; Erbrecht, das weitgehend respektiert wurde; und Wahl, die eine Art Kompromiss zwischen den beiden anderen Prinzipien darstellte.“

Winston S. Churchill6

Neue Entwicklungen

Im Jahre des Herrn 1013 ist also Sven Gabelbart (Sweyn Forkbeard), König von Dänemark, auf englischem Boden gelandet. Damit stehen wir an jenem Punkt, von dem die weiteren Ereignisse ausgehen und mit dem dieses Buch begonnen hat. Unser „Einstieg“ gewissermaßen. Es kann kein Zweifel bestehen: Die Position der angelsächsischen Monarchie in England ist zu dieser Zeit empfindlich geschwächt; sie steht vor neuen Wirren und heftigen Veränderungen, ja sie ist in ihrem Bestand gefährdet.

König Sven drängt gewaltsam vorwärts. Nach kurzer Zeit sind mehrere Provinzen in seiner Hand, Städte werden geplündert. Ein weit entferntes Geschehen, das wir uns dennoch unmittelbar vergegenwärtigen können. Das Leid trifft – wie immer! – vor allem die einfachen Menschen. Modern ausgedrückt: die Zivilbevölkerung. Angriff, Eroberung, Besetzung: für die Menschen, denen dies widerfährt, immer wieder ein verstörend schreckliches Erlebnis. Historisch betrachtet handelt es sich, wie wir schon gesehen haben, nur um eine von vielen Invasionen, die seit den Zeiten der Römer immer wieder gegen das Inselreich Britannien geführt worden sind. Meist waren es punktuelle Überfälle oder zeitlich begrenzte Raubzüge. Jetzt aber geht es um etwas anderes: eine groß angelegte „Landnahme“ wie seinerzeit die der Angeln und Sachsen. Aber nicht Stück für Stück, sondern mit einem Handstreich. Sven will das Ganze, zumal sich Ethelred vorher gegen den dänischen Bevölkerungsteil gestellt hat. Solche Unternehmungen zielen auf bedingungslose Unterwerfung, und wenn sie gelingen, führen sie gänzlich neue politische und gesellschaftliche Bedingungen herbei. Ich hebe dies bewusst hervor – mit Blick bereits auf die Geschehnisse, die 1066 folgen werden …

Der dänische Angreifer ist so erfolgreich, dass er sich nach kurzer Zeit zum englischen König ausrufen lassen kann. Er setzt zu diesem Zweck, wie es scheint, den „Witan“ unter Druck, das beratende Gremium hervorragender Persönlichkeiten, speziell aus Adel und Geistlichkeit, das im Land der Angelsachsen einem König zur Seite steht und ihm bei seinen Entscheidungen hilft (Abb. 6). Dieser „Ältestenrat“ kann sich im Falle einer ungeregelten Nachfolgesituation für einen Kandidaten aussprechen, was er offenbar zugunsten Svens getan hat. Zur Krönung kommt es aber nicht.

Abb.6 Ein angelsächsischer König mit dem „Witan“, seinem Beratungsgremium.

Der abgeschlagene Gegner, Ethelred, obgleich in aller Form noch immer englischer König, gibt seine Sache verloren. Man hat ihm den Beinamen „the unready“ gegeben (wohl aus dem Sächsischen abzuleiten für: „schlecht beraten oder un-beraten“, nach anderer Meinung etwa: „der Ungerüstete oder Unbereite“). Darin klingt Geringschätzung, ja Spott mit. Vielleicht etwas zu wenig Respekt vor der Entscheidung, das Land nicht weiter mit Krieg zu überziehen? Jedenfalls hat das Schicksal diesem Monarchen keinen leichten Stand gegönnt. Gewiss: Alles was Alfred d. Gr. verkörpert hat, ist Ethelred nicht. Aber dieser berühmte Vorgänger wird inzwischen als heldenhafter Übervater verehrt. Wer könnte mit ihm konkurrieren? Und hat man vergessen, dass auch er schwere Niederlagen hinnehmen musste? Und dass seine Zeit von nicht enden wollenden blutigen Kriegen erschüttert wurde, ehe es zu einer neuen Festigung kam?

Jedenfalls tritt in diesem ganzen Geschehen eine Unsicherheit zutage, die für die damalige Situation des Inselreichs kennzeichnend ist. Und andererseits ist durch verwandtschaftliche Beziehungen bereits eine Verbindung begründet, die an zukünftige Folgen denken lässt, denn, wie schon gesagt: Ethelreds Gattin, Königin Emma, ist eine Tochter des Normannenherzogs Richard I., eine tatkräftige und wohlhabende Frau, die übrigens nicht zögert, in politische Belange einzugreifen. Wir werden noch sehen, wie massiv sie Einfluss zu nehmen versucht.

Der angelsächsische Adel ist mit Ethelreds Regierung nicht unbedingt zufrieden gewesen und hätte über den Wechsel froh sein können, wäre nicht Sven so gewaltsam aufgetreten. Obwohl er den „Witan“ dazu gebracht hat, ihm zum König zu erheben, kommt es nicht zur Krönung. Denn schon im Jahr nach der Landung stirbt dieser Eroberer, sodass – erneut! – eine tiefgreifende Unruhe entsteht. Wie schwer für die Menschen damals ein Regierungswechsel wog, können wir uns heute kaum noch ausmalen. Grundsätzlich sah man Gottes Willen am Werk. Aber weshalb verhängte der Weltenlenker solche Prüfungen? Hatte er beschlossen, seine Kinder zu strafen? Denn Unsicherheit in der Nachfolge zog fast immer heftige Auseinandersetzungen und kriegerische Gräuel nach sich. In dieser prekären Situation wird Ethelred von maßgeblichen Kräften nach England zurückgerufen. Er folgt dieser Aufforderung, stirbt aber nicht lange danach. Die schlimmsten Befürchtungen der Menschen scheinen sich zu erfüllen. Nun beansprucht Svens Sohn Knut (Canute) die englische Krone, aber auch ein anderer macht Rechte geltend: Edmund, Ethelreds Sohn aus erster Ehe, genannt „Ironside“ (was wir mit „Eisenseite“ oder etwas freier mit „der Eiserne“ übersetzen können – wohl wegen seiner Körperkräfte oder seiner Wehrhaftigkeit). Und dieser Kämpe zeigt sich erfolgreich, sodass ihn die Bürger von London auf den Schild heben. Aber auch er stirbt bereits 1016. Nun setzt sich doch noch Svens Sohn Knut durch, gestützt auf den geistlichen und weltlichen Adel, der schließlich nicht nur aus angelsächsischer, sondern teils auch aus dänischer Herkunft stammt. Die Königin-Witwe Emma, die zunächst ins Exil gegangen war und zunächst keinen Erfolg damit hatte, einen ihrer Söhne aus der Ehe mit Ethelred auf den Thron zu bringen, kommt wieder nach England und geht nun mit Knut die Ehe ein, und dem ist offenbar der Rückhalt willkommen, den sie ihm verschaffen kann.

 

Die Herrschaft Knuts erweist sich als festes Gebäude, gestützt besonders auf seine dänische Gefolgschaft und auch auf führende Kräfte der Geistlichkeit, die sich von Ethelred und seinen Nachkommen und damit von der Herrscherlinie Alfreds d. Gr. abgekehrt hat. Knut schwört aber, im Sinne aller Kräfte des Landes zu regieren. Er verbindet die Regierung über England, dem sich Schottland anschließt mit seinem angestammten Königtum in Dänemark und dem Anspruch auf Norwegen. Eine starke Position, die der Monarch, durchaus mit einiger Härte, behauptet! Jedenfalls wird ihm in der englischen Geschichtsschreibung der Titel „Knut d. Gr.“ verliehen. Seine Regierungszeit ist lang, wenn man die vorausgegangenen Wirren als Maßstab nimmt. Als er 1035 stirbt, stellt sich freilich bald aufs Neue die Nachfolgefrage, weil seine beiden Söhne Harold „Harefoot“ und Hardiknut beide nicht das Format ihres Vaters besitzen, diesen nur um wenige Jahre überleben und ihrerseits kinderlos sterben.

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