Verlogenes Versprechen

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Aus der Reihe: Eltville-Thriller #8
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4

Der Samstagmorgen begann mit viel Licht, das in Biancas Schlafzimmer fiel. Sie hatte vergessen, die Rollläden herunterzulassen. Um zwei Uhr war sie heimgefahren und ins Bett gefallen. Das Gespräch mit Ferdinand hatte ihr gutgetan und sie war bereit für Eric. Es war acht Uhr, in zwei Stunden würde er zurückkommen von der Nordsee und sie musste sich der Angelegenheit stellen.

Eine halbe Stunde später sprang sie aus dem Bett, duschte, machte eine Haarkur, während deren Einwirkzeit sie sich Kaffee kochte und zwei Scheiben Toast in den Toaster schob. Es duftete köstlich und wie zur Bestätigung des schönen Morgens brach die Sonne durch die Wolken.

„Das kann ja nur gut werden“, murmelte sie, als sie den Tisch deckte.

Sie setzte sich und frühstückte. Dabei las sie noch einmal Erics Nachrichten auf dem Handy und versuchte, irgendwelche Worte und Sätze zu entdecken, die ihr Angst machen könnten. Nichts, dachte sie, nichts, worüber ich mich sorgen muss. Er kommt nachher zu mir zurück und dann können wir endlich neu anfangen.

Ferdinands Kuss kam ihr in den Sinn, aber sie konnte die Erinnerung rasch wieder ausblenden. Das Jahr hatte mit Katastrophen begonnen, auch der Fall hatte ihnen alles abverlangt, doch jetzt wollte sie nur noch nach vorne schauen.

Mit Eric an ihrer Seite.

Wenn er heute mit guten Nachrichten heimkam.

Nun schlich sich doch wieder ein leiser Zweifel in ihre Seele und sie musste an ihr letztes Telefonat denken, bei dem sie ein merkwürdiges Gefühl im Bauch hatte. Was war an der Nordsee geschehen?

Bianca hatte sich zusammengerissen, um nicht das gesamte Internet nach Einträgen über diese Violetta Cherney-Ströckwitz zu durchsuchen. Ihre Freundin Riva hatte das vorgeschlagen, als die beiden zwei Stunden miteinander telefoniert hatten. Riva und ihr Mann hatten sich zu einer Reise durch Europa aufgemacht und Bianca vermisste die Gespräche und Abende mit ihr.

Sie hatten am Telefon alles besprochen und Riva hatte ihr unverblümt gesagt: „Wenn sie so aussieht, wie sie heißt, dann musst du ein Auge auf deinen Schatz haben. Hast du schon recherchiert?“

„Nein, ich will das nicht!“

„Tja, meine Liebe, beschwere dich hinterher nicht. Denk nur daran, dass du das bei Eric auch mal hättest tun sollen.“

„Eric hat gesagt, er klärt das und danach können wir uns eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Ich vertraue ihm.“

„Da hat sich schon so manche Frau geirrt.“

„Riva! Mach mich nicht verrückt. Wenn ich ihm nicht vertraue, ist das doch wohl keine Basis für eine Beziehung. Nein, nein, ich werde warten, bis er kommt und mir alles sagt.“

„Gut, wenn es schief geht, weißt du ja, wie du mich erreichst. Ich finde zwar, du solltest es anders machen, aber egal, ich halte zu dir.“

„Wann kommst du denn wieder heim? Ich vermisse unsere schönen Abende.“

„Januar, Februar, März, April, Mai … so ist die Planung. Der Januar ist ja schon um. Süße, wir können jederzeit telefonieren. Was machen die Verbrecher?“

„Im Moment sind sie gnädig, zumal ich Ferdinand noch nicht wieder im Büro habe.“

„Der arme Kerl, geht es ihm besser?“

„Ja, viel besser. Sie wollte ihn nicht erschießen, sondern nur aufhalten. Hätte sie ihn töten wollen, hätte Ferdinand keine Chance gehabt. Ich bin froh, dass es ihn noch gibt. Es wäre schrecklich gewesen, auch noch an seinem Grab zu trauern.“

Nach dem Frühstück räumte Bianca auf und sah sich zufrieden um. Noch eine Stunde, also setzte sie sich auf die Couch, schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Kanäle.

Pünktlich um zehn Uhr hörte sie den Schlüssel im Schloss, schaltete den Fernseher wieder aus und lief in den Flur. Die Tür ging auf und Eric stand mit Reisetaschen und einem Lächeln vor ihr. Wortlos flog sie in seine Arme. Eric presste Bianca an sich, als würde er sie nie wieder loslassen wollen. Endlich suchte er ihren Mund und küsste sie lange. Dann ließ er sie los, zog seine Jacke aus und hängte sie an den Haken, um Bianca ins Wohnzimmer zu folgen.

„Was für eine Fahrt, wie gut, dass es keine Staus gab. Ich bin so froh, wieder zuhause zu sein.“

Zuhause, dachte Bianca, er hat zuhause gesagt. Das gab ihr direkt ein gutes Gefühl zurück. Sie ließen sich auf die Couch fallen und hielten sich wieder fest. Eric schaute Bianca in die Augen.

„Hast du mich vermisst?“

Sie nickte.

„Du hast mir auch gefehlt. Ich freue mich auf das Leben mit dir.“

„Hast du klären können, was du wolltest.“

„Wir haben uns ausgesprochen, dass unsere Ehe zu Ende ist und dass ich eine neue Frau habe. Wir haben die Scheidung in Angriff genommen.“

Ah, dachte Bianca, das hört sich gut an, aber irgendwie habe ich ein komisches Gefühl.

„Das ist sehr gut, ich möchte nämlich den Rest meines Lebens mit dir verbringen und du sollst mein Mann sein, nicht ihrer.“

„War das gerade ein Heiratsantrag?“, fragte Eric lachend und küsste Bianca auf die Stirn.

„Nein, ich denke, du verstehst, wie ich das meine. Wir müssen nicht heiraten, denn ich fühle mich dir auch so verbunden.“

„Da habe ich aber Glück gehabt.“

„He! Was soll das heißen?“

Bianca knuffte Eric in die Seite.

„Vielleicht mache ich dir irgendwann einen schönen Antrag, aber jetzt ist erstmal wichtig, dass ich geschieden werde, damit das alles im Reinen ist.“

„Was hat sie gesagt?“

„Sie hat mir zugestimmt, dass wir lange genug getrennt sind und wünscht mir … uns alles Gute.“

„Sehr gut. Dann lass uns nicht mehr drüber reden, denn das belastet mich doch sehr.“

„Ich liebe dich und wir gehören zusammen.“

Sein Blick war klar und offen und Bianca beschloss, ihm zu glauben und ihre Zweifel über Bord zu werfen.

„Was machen die Verbrecher?“

„Sie sind im Urlaub.“

„Und Ferdinand?“

„Es geht ihm besser, aber er ist noch krankgeschrieben. Ich arbeite zurzeit mit Hannes und das funktioniert ganz gut. Es ist gerade sehr ruhig und entspannt. Weißt du, als ich auf dich gewartet habe, habe ich mir ständig Sorgen gemacht“, erklärte Bianca ehrlich, „dass du wieder mit deiner Frau zusammenkommst und mein Kopfkino hat mich einigen Schlaf gekostet, da wäre es schon besser gewesen, wenn ein schwerer Fall mich abgelenkt hätte. Aber dann habe ich beim Laufen einen Mann getroffen, der sehr krank ist und bald sterben wird. Er war auf einer Bank zusammengesackt und ich hatte ihm meine Hilfe angeboten. Als ich wieder zuhause war, ist mir in den Sinn gekommen, dass unsere Probleme winzig sind im Gegensatz zu richtigen Problemen. Und da war ich zuversichtlich.“

Jetzt hatte Bianca feuchte Augen und Eric strich ihr sanft über den Rücken.

„Du musst dir keine Sorgen machen, alles wird gut, bei uns jedenfalls. Hast du ihn noch einmal wiedergesehen?“

Bianca schüttelte den Kopf.

„Er hat Krebs und niemand kann ihm mehr helfen. Das tut mir echt leid.“

„Schlimmes Schicksal, vielleicht treffen wir ihn mal und können ihm eine Freude machen.“

„Das wäre eine schöne Sache. Danke, dass es dich gibt und dass unser Leben so gut läuft, auch wenn es mal kleine Hürden gibt.“

Eric ging duschen, danach fuhren sie in den Rheingau zum Mittagessen und der Tag endete nach einem langen Spaziergang auf der Couch. Am Abend rief Bianca Ferdinand an und berichtete von Erics Rückkehr.

5

Janosch stand am Montagmorgen vor dem Tor und schaute auf die Villa, die ein wenig zurückgesetzt unter alten Eichen lag. Seine kalten Hände umklammerten die Gitterstäbe und eine Träne lief ihm über die Wange. Er wusste nicht, ob er einfach klingeln oder abwarten sollte, dass jemand hinauskam.

Seine Überlegungen wurden vom Anblick eines Teenagers unterbrochen. Der Junge, der etwa sechzehn Jahre alt sein musste, hatte die große Eichentür ins Schloss fallen lassen. Er trug einen Helm in der Hand und lief um das Haus herum. Einen Moment später sah ihn Janosch mit einem knatternden Roller auf das Tor zukommen, dessen schmiedeeisernen Gitter sich wie von Zauberhand öffneten. Janosch war zur Seite gesprungen, aber der Jugendliche hielt neben ihm und schob das Visier des Helms hoch.

„Sie müssen klingeln, wenn Sie zu meiner Mutter wollen“, sagte er, tippte sich mit zwei Fingern gegen den Helm und fuhr davon.

Es war halb acht, also war der Junge auf dem Weg zur Schule. Bei der Kälte mit dem Roller, dachte Janosch und schüttelte sich. Wie kam der Junge darauf, dass er zu dessen Mutter wollte? Kamen öfter Patienten ins Haus? Oder waren es nur Lieferanten?

Diese Gedanken beschäftigten Janosch, als er durch das Tor schlüpfte, ehe es geschlossen war. Jetzt stand er in der parkähnlichen Anlage, die im Sommer wohl in allen Farben blühte. Heute war alles trist und grau und die kahlen Bäume reckten ihre Äste in den diesigen Himmel.

Unter seinen Schritten knirschte der Kies, als er auf das Haus zuging. Sein Herz klopfte, denn in seinem Inneren kämpfte die Hoffnung auf Leben mit der Angst, abgewiesen zu werden.

„Hier wohnen Ramona und Kevin und unser Name ist Programm“, las Janosch auf einem Keramikschild neben der Klingel.

Er hatte am Tor nicht geklingelt und nun fand sein Finger den Weg auf den runden Messingknopf. Im Inneren ertönte ein freundliches Geläut mit einer Melodie, die Janosch bekannt vorkam.

Die Frau von der Werbeanzeige öffnete die Tür und sah ihren ungebetenen Gast überrascht an.

„Frau Professor, Ihr Sohn hat mich …“

„Jaja, der Junge ist immer so unvorsichtig. Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“

 

Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen und ihre Lippen waren ein schmaler Strich.

Janosch hatte sich seine Worte gut zurechtgelegt und sagte: „Ich bin Janosch Brickmann und brauche Ihre Hilfe, denn ich möchte nicht sterben. Bitte weisen Sie mich nicht ab und hören Sie ich an. Es wäre noch besser, wenn Sie sich meine Behandlungsakten ansehen könnten. Ich weiß, dass Sie eine bedeutende Forscherin in Sachen Krebs sind.“

Er war außer Atem und sah die Frau jetzt an. Jedoch antwortete sie nicht, sondern wollte eben die Tür zudrücken. Dann schien sie es sich anders zu überlegen. Sie schnaufte und biss sich auf die Unterlippe.

„Kommen Sie herein. Ich habe wenig Zeit, also müssen Sie schnell reden.“

Erleichtert, die erste Hürde genommen zu haben, trat Janosch in einen Flur. Sofort korrigierte er in Gedanken den Begriff in „Eingangshalle“. Die Frau wies mit der Hand auf eine Sitzgruppe und Janosch setzte sich auf die Sesselkante.

„Einen Moment, ich komme sofort.“

Während Janosch betete, dass sie ihm helfen konnte, telefonierte Ramona Zackig mit ihrem Forschungspartner, der heute im Labor arbeitete.

„Kevin hat einen Mann aufs Grundstück gelassen. Er ist krank und wird sterben. Denkst du, wir können ihm helfen? Er ist Mitte … Ende dreißig, vielleicht sollten wir mal …“

Am anderen Ende wurde gesprochen. Dann legte sie auf und nickte. Sie zog sich einen Kittel über und ging zurück zu Janosch, der immer noch mit geschlossenen Augen unbeweglich auf der Kante des Sessels hockte. Sie sprach ihn an und er folgte ihr in eine Art Büro. Janosch achtete nicht auf die Einrichtung, nicht auf das sagenhafte Licht, das aus dem Garten hereinfiel, sondern konzentrierte sich vollkommen auf seine Hoffnung. Es konnte nur gut werden, denn er saß vor der Frau, die an einem Heilmittel gegen Krebs arbeitete.

„Ich habe recherchiert, immer und immer wieder, Frau Professor, ich gebe nicht auf. Austherapiert ist nur ein Wort. Sie können gerne alles mit mir machen, wenn ich nur eine winzige Chance habe zu überleben.“

„Herr Brickmann, ich verstehe, dass Sie alles tun wollen, was möglich ist und Ihr Vertrauen macht mich ein wenig verlegen, aber ich denke, Sie können auch Ihren Ärzten vertrauen. Wenn es etwas geben würde, was Sie retten kann, würden die Ihnen das nicht vorenthalten.“

„Bitte, hier sind meine Unterlagen, Sie müssen sich ja nicht heute entscheiden. Bitte lesen Sie alles und überlegen Sie, ob es nicht doch einen Weg gibt. Sie können auch irgendwas Neues an mir testen.“

Janosch hatte einen Ordner aus seiner Tasche genommen und ihn auf den Tisch gelegt.

„Bitte, ich flehe Sie an.“

„Ich werde mir alles ansehen, versprochen.“

„Oh danke!“

„Nein! Stopp! Nicht so voreilig. Ich sehe mir Ihre Unterlagen an, aber ich kann für nichts garantieren. Kommen Sie morgen noch einmal her. Passt Ihnen neun Uhr?“

„Natürlich! Wenn ich etwas zur Genüge habe, dann ist das Zeit.“

„Haben Sie jemanden, der für Sie sorgt?“

Sie lächelte freundlich und für Janosch war das ein gutes Zeichen. Sie interessierte sich für ihn, nahm Anteil. Er schüttelte den Kopf.

„Ich bin allein. Meine Mutter leidet an Demenz und ist in einem Pflegeheim, mit meiner kinderreichen Schwester habe ich keinen Kontakt. Sie sagt immer, sie wolle mich nicht belasten, aber ich fürchte, ich soll eigentlich sie nicht mit meinem Krebs belasten.“

„Das ist sehr schade. Wenn man niemanden hat, fühlt man sich noch schlechter. Keine Frau? Kinder?“

„Nein, ich lebe allein.“

„Freunde, die sich kümmern?“

„Nein, mein einziger Freund ist auch mein Hausarzt. Wir waren schon vorher Freunde, ich meine, bevor ich krank wurde. Mit ihm kann ich über alles reden, er ist mein Vertrauter. Er hat mich ermutigt herzukommen. Sie haben schon mit ihm telefoniert.“

„Ah ja, das ist gut. Dann möchte ich Sie jetzt hinausbitten. Ich muss arbeiten. Morgen um neun?“

Janosch stand auf, bedankte sich nochmals und verließ nickend das Büro. Draußen atmete er tief durch und spürte Euphorie. Der Drang zu leben und darum zu kämpfen machte ihn stark und jetzt kam eine neue Hoffnung ins Spiel.

„Ich werde überleben!“

Er drehte sich um sich selbst und boxte in die Luft.

„Du Scheiß-Krebs bekommst mich nicht, das schwöre ich!“

Mit energischen Schritten lief er heim, frühstückte und zu seinem großen Erstaunen musste er sich nicht übergeben. Er fühlte sich lebendig und gut.

Am nächsten Morgen klingelte Janosch am großen Tor. Es war Punkt neun Uhr und er hatte sich sogar ein Hemd angezogen. Mit klammen Fingern hielt er den Mantel am Hals zusammen. Ein Summen ertönte und das Tor sprang auf. Janosch lief über den Kiesweg zum Haus und dort erwartete ihn Ramona bereits.

„Treten Sie ein, Herr Brickmann.“

Als sie im selben Büro wie gestern saßen, war das Lächeln der Frau verschwunden. Sie setzte sich, rückte einen Ordner zurecht und sah Janosch ernst an.

„Ich habe mir ihre Unterlagen angesehen. Leider bin auch ich nicht in der Lage Ihnen zu helfen. Glauben Sie mir, wenn ich könnte, würde ich Ihnen eine Therapie mit einem neuartigen Medikament anbieten, aber es passt nicht zu Ihrer Erkrankung.“

Janosch schluckte.

„Bitte“, flüsterte er, „es ist doch egal, wenn ich daran sterbe, aber Sie müssen mir helfen. Sie sind meine letzte Hoffnung.“

Ramona beugte sich über den Tisch und griff nach Janoschs Hände. Er zuckte zusammen und entzog sie ihr rasch.

„Das kann nicht sein“, murmelte er, „Sie können mich doch nicht hängenlassen. Ich habe all Ihre Beiträge studiert, auch die, bei denen Sie mit Ihrem Kollegen zusammengearbeitet haben. Es passt ganz sicher. Ich habe volles Vertrauen.“

„Herr Brickmann, es tut mir unendlich leid. Das Medikament, an dem wir forschen, würde Ihnen nicht helfen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich mich umgehend melde, wenn ich eine Therapiemöglichkeit finde.“

„Gibt es denn noch etwas?“

Janosch sah sie mit großen Augen an. Er zitterte.

„Wie gesagt, ich werde weiter danach suchen. Vielleicht gibt es im Ausland eine Möglichkeit.“

„Geld spielt keine Rolle. Ich bin vermögend. Das einzige, was ich nicht habe, ist Lebenszeit. Meine Kräfte werden täglich weniger. Obwohl, als ich gestern dachte, Sie könnten mich retten, ging es mir sehr gut.“

„Ich verstehe Sie.“

Ramona stand auf, um Janosch anzuzeigen, dass das Gespräch beendet war.

„Sie haben aber ein Medikament?“

„Es ist noch in der Erprobungsphase.“

„An Menschen? An Betroffenen?“

„Nein, soweit sind wir noch lange nicht. Im Moment würde es Ihr Leiden verschlimmern.“

„Vielleicht vertrage ich es ja gut?“

„Herr Brickmann, bitte gehen Sie jetzt. Wir arbeiten unter Hochdruck an dem Material, aber es dauert.“

Janosch stand auf und schlurfte zur Tür. Die Energie, die ihn gestern in Hochstimmung versetzt hatte, war fort. Er fühlte sich wieder krank und schwach. Missmutig drehte er sich noch einmal um.

„Bitte beeilen Sie sich. Ich kann nicht mehr lange warten.“

„Ich verspreche es, auf Wiedersehen.“

Janosch schleppte sich nach Hause und legte sich auf die Couch. Er schloss die Augen und fühlte sich ausgebrannt und erschöpft. Tränen liefen aus seinen Augenwinkeln, aber er spürte sie nicht.

6

„Ich kann das so nicht hinnehmen!“

Roland Micker stand vor Bianca und gestikulierte wild mit den Händen vor ihrem Gesicht herum.

„Kommen Sie doch bitte in mein Büro. Dort können Sie mir ganz genau erklären, wie wir Ihnen helfen können.“

Sie führte den Mann den Flur entlang und ließ ihn eintreten. Er setzte sich, sprang aber gleich wieder auf und lief hin und her. Bianca seufzte.

„Bitte setzen Sie sich, Herr Micker, ich höre Ihnen jetzt zu und dann entscheiden wir, was wir tun.“

Der Mann, der Anfang vierzig zu sein schien, atmete ein und aus, setzte sich und riss sich die Jacke von den Schultern.

„Mann! Ich bin gleichzeitig traurig und wütend. Meine Mutter war in einer guten Verfassung. Sie wäre niemals einfach gestorben.“

„Seit wann wird Ihre Mutter von diesem Pflegedienst betreut?“

„Ich war ein Jahr in Amerika und wir hatten uns geeinigt, dass sich, solange ich fort bin, jemand um sie kümmert. Meine Mutter wollte nicht ins betreute Wohnen – denn das wäre auch eine Alternative gewesen - also haben wir sie in ihrem Zuhause gelassen und den Pflegedienst organisiert.“

„Wie alt war Ihre Mutter und warum musste sie betreut werden? War sie krank?“

„Sie war dreiundsiebzig, das ist doch noch kein Alter. Sie war nicht mehr so gut zu Fuß, tat sich schwer mit dem Einkaufen und konnte nicht lange stehen. Aber sonst war sie absolut gesund. Keine Herzkrankheit, kein Krebs, nichts. Man stirbt doch nicht daran, dass man nicht mehr richtig laufen kann.“

„Da gebe ich Ihnen Recht. Welche Todesursache hat man Ihnen mitgeteilt?“

„Herzversagen. Das ist Bullshit. Die haben irgendwas versaut und jetzt wollen sie alles vertuschen. Aber nicht mit mir. Ich möchte diesen Pflegedienst anzeigen.“

„Sie sagen, die hätten etwas versaut … nahm Ihre Mutter Medikamente?“

„Einreibung und ab und zu mal ein Schmerzmittel.“

„Also kann man eine falsche Medikation ausschließen.“

„Das sag ich doch.“

„Herr Micker, ich werde den Fall aufnehmen und untersuchen. Es kommt schon mal vor, das alte Menschen plötzlich sterben, aber ich glauben Ihnen, wenn Sie sagen, dass Ihre Mutter nicht so krank war. Gerne würde ich Ihnen raten, sich zu beruhigen, aber ich denke, das wird Ihnen sehr schwerfallen. Versuchen Sie es trotzdem, das mit Ihrer Mutter tut mir sehr leid.“

„Danke, Frau Kommissarin, ich hoffe, Sie können denen das Handwerk legen, ehe noch andere Menschen sterben.“

Er kratze sich am Kopf und stand auf. Dann berichtete er von dem guten Verhältnis, das er schon immer zu seiner Mutter hatte.

„So klar bin ich schon, dass ich weiß, dass alte Menschen sterben. Doch meine Mutter … wissen Sie … ich hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl gehabt, als die mich angerufen haben. Wir wollten den Umzug in mein Haus planen, denn ich bin jetzt wieder ganz in Deutschland, und dann kam die Nachricht von ihrem Tod. Sie hatte sich so gefreut, dass sie bei mir wohnen kann.“

Bianca nickte und sah Roland Micker hinterher. Rotraude Micker, seine Mutter, war tot. Die Kommissarin hatte schon so manches Mal darüber nachgedacht, ob der Tod eines alten Menschen immer eine natürliche Ursache hatte, aber das war ein kompliziertes Thema, über das man gerne schwieg.

Jetzt öffnete sich die Tür und Hannes kam mit einer Tüte vom Bäcker herein. Er pfiff fröhlich vor sich hin und setzte sich.

„Mach bitte Kaffee für das Frühstück. Gleich bekommen wir Besuch.“

„Oh, wer kommt denn?“

„Überraschung.“

Bianca hantierte an der Kaffeemaschine und holte Tassen aus dem Schrank.

„Wie viele?“

„Was?“

„Überraschungsbesucher.“

„Nur einer.“

Er grinste und fuhr den Computer hoch.

„Gibt es neue Fälle?“

„Ein Mann ist überzeugt davon, dass der Pflegedienst seine Mutter auf dem Gewissen hat.“

„Ach komm, alte Menschen sterben manchmal.“

Bianca berichtete, was sie von Roland Micker erfahren hatte und nun schüttelte Hannes nachdenklich den Kopf.

„Glaubst du ihm? Was sagt dein Bauchgefühl?“

„Ich … wir werden denen mal auf den Zahn fühlen. Vielleicht ist etwas dran. Es könnte ja sein, dass Medikamente vertauscht oder fälschlich verabreicht wurden. Das ist sicher schon öfter passiert.“

Es klopfte und mit einem breiten Grinsen trat Ferdinand ein. Er trug einen Blumenstrauß in der einen und eine Pralinenschachtel in der anderen Hand. Beides legte er auf den Tisch und begrüßte die Kommissare.

„Mann Leute, mir ist furchtbar langweilig und da dachte ich mir, ich komme mal vorbei, bevor ich zum Arzt zur Kontrolle fahre.“

Bianca lachte und umarmte ihn herzlich.

„Willkommen im Büro, Besuch darf gern sein, arbeiten aber nicht, mein Freund.“

Ferdinand sank entmutigt auf den Stuhl, den Hannes an den Tisch geholt hatte.

„Och nein, ich dachte, ihr könntet mir mit spannenden Verbrechen ein wenig Ablenkung verschaffen. Ich habe das ganze Fernsehen leer geguckt und auf Lesen habe ich auch keine Lust mehr, Sport darf ich noch nicht machen und es ist absolut gar nichts los, wenn ich aus dem Fenster schaue. Also bitte! Erzählt mir, was es Neues gibt.“

 

Bianca goss Kaffee ein und berichtete dabei von Roland Micker und seiner toten Mutter.

„Denkst du, er hat recht?“

„Möglich ist alles. Eine Verwechslung, dann das Verschweigen und wenn so ein Opfer keine Angehörigen hat, die nach ihm sehen, dann ist es einfach tot und kein Hahn kräht danach.“

„Aber der Sohn ist doch nicht fort.“

„War er aber. Er hat sich ein Jahr in Amerika aufgehalten und wenn seine Mutter in diesem Zeitraum gestorben wäre, hätte es ihn vielleicht nicht so verwundert.“

„Hm, merkwürdig. Werdet ihr ermitteln?“, wollte Ferdinand wissen. „Es muss ja einen Totenschein geben.“

„Wir müssen, denn Herr Micker hat Anzeige erstattet. So kann er wenigstens erreichen, dass der Fall nochmal untersucht wird.“

„Wann ist sie gestorben?“

„Gestern früh, als er mit ihr frühstücken wollte, lag sie tot im Bett. Morgen sollte die Einäscherung sein, die Frau Micker angeblich in einem Schreiben für den Pflegedienst im Falle ihres Todes gewünscht hat. Ich habe gar keine Ahnung, wie das alles funktioniert, darum muss ich mich erstmal schlau machen.“

„Das kann ich doch machen!“

Ferdinand sah Bianca so sehnsüchtig an, dass sie lachen musste. Er langweilte sich anscheinend wirklich und diese kleine Aufgabe konnte er von zuhause erledigen, also nickte sie. Ferdinand freute sich sichtlich und auch Hannes fand die Idee gut.

„Dann kümmere du dich um die Informationen über die Einäscherung und wir leiten eine Obduktion in die Wege.“

Ferdinand grinste.

„Ich habe schon eine super Idee. Jetzt muss ich zum Arzt zur Abschlussuntersuchung. Ich hoffe, er erlaubt mir bald wieder arbeiten zu gehen.“

„Was hast du vor?“, fragte Bianca.

„Ich könnte mir ja einen Pflegedienst kommen lassen, denn schließlich bin ich sehr krank.“

Bianca lachte.

Hannes sagte trocken: „Na, nicht, dass du dann beim Pathologen im Eisfach landest.“

Ferdinand zwinkerte und verließ das Büro. Bianca setzte sich an den Schreibtisch.

„Gut, dann ruf du mal unseren Dr. Jonn an und ich fahre in die Staatsanwaltschaft wegen der Obduktion.“