Grundkurs methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit

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3 Methoden und methodisches Handeln


Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit ist stets eingebunden in ethische und theoretische sowie situative und strukturelle Dimensionen, die in spezifischen Methoden konkretisiert werden. Methoden sind höchst vielgestaltig und unterscheiden sich in ihren Formen, Funktionen und Fokusbereichen. Allen Formen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit sind aber auch grundsätzliche Charakteristika und Prinzipien gemein, und es lassen sich generelle Komponenten und Kompetenzen formulieren. Insgesamt erfüllen Methoden eine doppelte Funktion. Sie dienen einerseits der Orientierung für die konkrete Praxis und andererseits der Entwicklung der Profession selbst.

„Wer nur einen Hammer hat, für den wird alles zum Nagel“ (Maslow 1966, 15, Übers. d. A.).


Überlegen und diskutieren Sie:

● Was bedeutet dieser Satz für Sie?

● Welche Zusammenhänge zwischen Denken und Tun werden darin angedeutet?

● Was leiten Sie daraus für methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit ab?

Wenn es um Methoden in der Sozialen Arbeit geht, kommen schnell Metaphern aus dem Handwerksbereich zum Einsatz. Da ist von Werkzeugkästen, Handwerkszeug oder „tools“ die Rede und lässt Bilder im Kopf entstehen, die nach konkreter, praktischer Anwendbarkeit klingen, nach Instrumenten und „how-to“-Tipps, über die Probleme gelöst werden können. Bilder dieser Art machen Hoffnung auf „Praktisches“ und können überdies auch zum Nachdenken inspirieren. Gleichzeitig ist das Bild von Methoden als technischen „Werkzeugen“, mit denen SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen an Menschen oder ihrer Umgebung quasi herumschrauben, um etwas zu „reparieren“, aber auch problematisch und führt tendenziell auf die falsche Fährte. Über ein mechanistisches Methodenbild hinaus geht es im Folgenden daher um eine vertiefende Auseinandersetzung mit Grundbegriffen methodischen Handelns, insbesondere um

● die Abgrenzung von Begriffen rund um Methoden und methodisches Handeln,

● die Funktionen und Diskussionen der Methodenentwicklung in der Sozialen Arbeit,

● verschiedene Arten, Methoden einzuordnen,

● die Rolle von Theorie und Ethik im methodischen Handeln,

● die Rolle von Struktur und Situation in methodischem Handeln,

● Charakteristika und Prinzipien des Handelns, die sich etabliert haben, und

● einen ersten Überblick über Kompetenzen und Komponenten methodischen Handelns.

3.1 Definitionsversuche

Im alltäglichen Sprachgebrauch bedeutet „Methode“ so viel wie „Weg zu einem Ziel“ und beschreibt, wie etwas getan wird bzw. getan werden soll. In der Sozialen Arbeit aber lässt sich das Wie nicht sinnvoll getrennt von größeren Zusammenhängen beantworten. Vielmehr ist das Wie nur erklärbar, wenn gleichzeitig auch Fragen wie „Was ist das Ziel?“, „Warum soll hier überhaupt etwas getan werden?“ und „Warum so und nicht anders?“ beantwortet werden. In einem derartig erweiterten Verständnis von „Methode“ wird das Wie also in den größeren Kontext gestellt, sodass es nötig ist, Begriffe genauer oder anders zu definieren. Für dieses Buch gelten folgende begriffliche Definitionen und Abgrenzungen, die zugegebenermaßen auch nicht immer trennscharf sind. Sie beginnen mit dem „größten“ Begriff und enden mit dem „kleinsten“ Element.


Methodisches Handeln: Methodisches Handeln ist ein umfassender, übergeordneter Begriff, der ein begründetes, planvolles, zielgerichtetes und kritisch reflektierendes Vorgehen beschreibt, das die jeweiligen konkreten Kontexte von Personen und Situationen berücksichtigt. Methodisches Handeln ist in seinen Abläufen strukturiert und umfasst typische Komponenten wie Situationsbeschreibung und -analysen, Problem- und Zieldefinition, Interventionsplanung, Umsetzung der Pläne sowie die Reflexion und Evaluation von Prozessen und Ergebnissen. Trotz der Strukturiertheit ist methodisches Handeln in der praktischen Umsetzung nicht linear, sondern verläuft in zirkulären, spiralartigen Schlaufen und muss für Veränderungen offen bleiben. Methodisches Handeln kann ganz oder teilweise über spezifische methodische Konzepte und damit verbundene etablierte Methoden erfolgen, kann unterschiedliche Methoden gezielt kombinieren oder auch neuen Entwürfen folgen.


Das Führen von Gesprächen ist eine in verschiedensten Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit omnipräsente Form methodischen Handelns, die auf unterschiedlichen Ebenen (mit AdressatInnen, KollegInnen, Teams und Fachkräften anderer Institutionen) erfolgt. „Gesprächsführung“ als methodisches Handeln kann unterschiedliche Ziele verfolgen und muss in der Umsetzung auf die gegebene Situation und die involvierten Institutionen und Personen angepasst werden. Dabei lässt sich für Gesprächsführung eine allgemeine Struktur definieren, wie etwa:

● Kontakt und Gesprächseröffnung

● Verständigung über Fokus und Anliegen des Gesprächs

● Klärung von Sichtweisen und Ideen

● Verständigung über weitere Schritte

● Beenden des Gesprächs.


Methodisches Konzept: Als methodische Konzepte werden spezifizierte Varianten methodischen Handelns bezeichnet. Dazu beschreiben methodische Konzepte, mehr oder weniger konkret, Elemente des Handelns und begründen bzw. rechtfertigen sie über theoretische, ethische oder empirische Grundlagen. Sie stellen so Zielvorstellungen und Schritte in einen übergeordneten Sinnzusammenhang und berücksichtigen dabei typische Situationen und Rahmenbedingungen der Arbeit. Methodische Konzepte tragen mitunter Namen, die sie bereits näher beschreiben oder Hinweise auf die Arbeitsfelder oder Institutionen geben, denen sie entstammen (z.B. „Sozialpädagogische Familienhilfe“ oder „Krisenintervention“).


Personenzentrierte Gesprächsführung, mitunter auch „klientenzentrierte“ Gesprächsführung genannt, ist ein spezifisches methodisches Konzept, das die allgemeinen Strukturen von Gesprächsführung konkreter ausfüllt. Basierend auf Theorien aus der humanistischen Psychologie und Therapie nach Carl Rogers betont das Konzept ein positives Menschenbild, das auf inhärentes Wachstum vertraut. Für Fachkräfte betont das Konzept daher eine begleitende, nicht-direktive Haltung und Rolle, die auf Maximen wie bedingungsloser Wertschätzung, Empathie und Kongruenz basiert.


Methoden: Methoden sind konkrete, planvolle und zielgerichtete Vorgehensabfolgen, die sich aus einem methodischen Konzept begründen bzw. in ein solches eingebettet sind. Sie dienen der nachvollziehbaren und passgerechten Gestaltung von Hilfeprozessen und stellen Hilfen zur Umsetzung der Komponenten methodischen Handelns bereit.


Als Methode hält das personenzentrierte Konzept Orientierungen für die Gestaltung des Gesprächsprozesses bereit. So vermeidet die Fachkraft es, Verhaltensanweisungen oder Interpretationen aus einer Expertenposition zu geben, sondern spiegelt stattdessen die emotionalen Anteile des Gesagten zurück. Dadurch sollen die Selbstexploration und Entwicklung des Gegenübers gefördert werden.


Techniken: Als Techniken werden kleinere Bündel konkreter Verfahrensweisen bezeichnet, die zur Erreichung spezifischer (Teil-)Ziele des Handelns eingesetzt werden. Sie sind verhältnismäßig leicht erlern- und wiederholbare Handlungsweisen, die deutlich weniger komplex sind als Methoden. Techniken sind Teile von Methoden bzw. können ihnen zugeordnet werden und sind als solche ebenfalls eingebettet in methodische Konzepte.


Techniken, die zur personenzentrierten Methode gehören bzw. ihr entstammen, sind unter dem Titel „Aktives Zuhören“ bekannt und beinhalten u.a. das sog. „Spiegeln“ von Emotionen, also das Benennen und Paraphrasieren von affektiven Anteilen aus Gesprächsinhalten.


Seithe, M. (2008): Engaging. Möglichkeiten Klientenzentrierter Beratung in der Sozialen Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Weinberger, S. (2013): Klientenzentrierte Gesprächsführung. Lern- und Praxisanleitung für psychosoziale Berufe. 14. überarbeitete Aufl. Beltz Juventa, Weinheim

 

Widulle, W. (2012): Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Gestaltungshilfen. 2. Aufl. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Von der Schwierigkeit der Unterscheidung – das Genogramm

Ob es sich um ein methodisches Konzept, eine Methode oder eine Technik handelt, ist nicht immer eindeutig zu klären, sondern kann sich auch jeweils aus dem Anwendungskontext ergeben. In der Praxis Sozialer Arbeit taucht z.B. das Genogramm in unterschiedlichen Einsatzformen auf, was die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen den Ebenen „methodisches Konzept“, „Methode“ und „Technik“ illustriert.


Das Genogramm ist eine Art grafischer Familienstammbaum, der in der therapeutischen, beraterischen oder (sozial-)pädagogischen Arbeit mit AdressatInnen oder der Ausbildung von Fachkräften eingesetzt wird.

In der Grafik eines Genogramms werden Lebensdaten, Konstellationen und Vorgeschichte einer Familie festgehalten. Wird das Genogramm vor allem zu Dokumentationszwecken eingesetzt, lässt es sich als Technik einordnen, über die Familienzusammenhänge kommuniziert werden. In dieser Funktion geht es beim Genogramm vorrangig darum, die Grafik entsprechend der etablierten Regeln zu gestalten (Quadrat = männliche Person, Kreis = weib liche Person, usw.), damit z.B. auch andere Fachkräfte die erhobenen Informationen nachvollziehen können (Abb. 3). Wird das Genogramm über die reine Dokumentation hinaus auch als Instrument für die direkte Arbeit mit AdressatInnen eingesetzt, dann handelt es sich um die Methode der „Genogrammarbeit“. Genogrammarbeit dient dazu, die aus der familiengeschichtlichen Beziehungsdynamik gewachsenen Muster von Verhaltens- und Denkweisen zu reflektieren und ggf. zu verändern. Daher werden Informationen über mindestens drei Generationen schrittweise gemeinsam mit den AdressatInnen erhoben, aufgezeichnet und besprochen. Neben den Aufzeichnungstechniken für das Genogrammbild bedarf Genogrammarbeit daher weiterer Frage- und Gesprächstechniken. Der Fokus der Fragen, ihre Abfolge und konkrete Formulierungen leiten sich sowohl aus dem familien-systemischen Konzept und seinen Varianten ab, dem das Genogramm entstammt, als auch aus dem konkreten Ziel der Arbeit mit den beteiligten Personen. Genogrammarbeit lässt sich als eigenes methodisches Konzept einordnen, wenn die Methode samt ihrer systemtheoretischen Grundlagen in bestimmten (sozial-)pädagogischen oder therapeutischen Kontexten zielgerichtet genutzt wird und auch theoretisch klar begründbarer Teil der Gesamtlogik des Handelns ist.

Systemische Ansätze in der Sozialen Arbeit greifen auf verschiedene Systemtheorien aus Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften zurück. Kennzeichnend ist, dass systemische Ansätze das Verhalten und Denken von Menschen als stets kontextabhängig sehen. Darum nehmen diese Ansätze nicht nur einzelne Individuen für sich genommen in den Blick, sondern betrachten das Zusammenspiel verschiedener Elemente (Personen, Institutionen, Situationen etc.). Statt nach linearen Zusammenhängen von Ursache und Wirkung zu suchen, gehen systemische Ansätze außerdem von zirkulären, also kreisförmigen, Wirkungszusammenhängen aus. Systeme, wie etwa Familien, folgen zudem ihrer jeweils eigenen Logik und lassen sich zwar „irritieren“, um bestehende Muster zu verändern, aber eine direkt gesteuerte und gezielte Veränderung lässt sich nach der Logik systemischer Ansätze nicht herbeiführen. So verstanden müssen sich Fachkräfte darauf einstellen, dass ihre Versuche des „Helfens“ nicht immer positive, sondern auch negative, unerwartete oder gar keine Resultate nach sich ziehen.


Abb. 3: Genogramm

Das Genogramm bietet auch gleich Gelegenheit für Kritische Reflexion, denn einige der etablierten Genogramm-Symbole erscheinen aus kritischer Perspektive stark normativ und sollten zugunsten anderer Kategorien und Darstellungen überdacht und angepasst werden. Die binäre Frau-/Mann-Symbolik etwa ist fragwürdig und sollte mindestens offen sein für die Selbstdefinition der Personen, die auch jenseits einer zweipoligen Genderidentität liegen kann. Ebenso kann die grafische Unterscheidung von Verheirateten und unverheiratet Zusammenlebenden unnötig stigmatisierend wirken.


Kühling, L., Richter, K. (2009): Genogramme in der Sozialen Arbeit. In: Michel-Schwarze, B. (Hrsg.): Methodenbuch Soziale Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 227–256

Methoden bzw. methodische Konzepte konkretisieren die generell identifizierbaren Komponenten methodischen Handelns auf der Grundlage theoretischer und ethischer Überlegungen, sowie im Hinblick auf gegebene Strukturen und Situationen (Abb. 4).

Bevor aber die Rolle von Theorie, Ethik, Situation und Strukturen näher beleuchtet werden, lohnt sich ein Blick auf die methodengeschichtliche Entwicklung und die grundsätzlichen Unterscheidungen, die sich für die Analyse und Einordnung von Methoden und methodischen Konzepten finden lassen.


Abb. 4: Zusammenhänge methodischen Handelns

3.2 Methoden und methodische Konzepte einordnen

Die konkreten methodischen Konzepte bzw. Methoden, die in der Praxis Sozialer Arbeit genutzt werden, sind sehr vielfältig und es lässt sich keine abschließende Liste erstellen. Sich in der Vielfalt von Methoden bzw. methodischen Konzepten Überblick zu verschaffen, ist alles andere als einfach. Man könnte versuchen, Methoden zu sortieren nach

● theoretischer Herkunft (Systemtheorie, Verhaltenstheorie, humanistische Theorie, Kritische Theorie, usw.),

● historischen Entwicklungslinien (Einzelfallarbeit, Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit),

● Problemfeldern (Armut, Drogenabhängigkeit, Rassismus, Wohnungslosigkeit, usw.),

● Zielgruppen oder Arbeitsfeldern (Kinder- und Jugendhilfe, Berufsberatung, Behindertenhilfe usw.),

● Qualität der Forschungslage (Evidenzbasierte Interventionen, „Beste Praktiken“, etc.),

● ihrer präventiven Funktion (primär präventive Angebote, die schon im Vorfeld von Problemen gemacht werden, sekundär präventive Angebote für spezielle Zielgruppen, die bereits mit Problemsituationen konfrontiert sind, oder tertiär präventive, nachsorgende Angebote),

● oder danach, ob sie für die direkte unmittelbare Interaktion mit AdressatInnen (Primärmethoden) oder für den indirekten Einsatz auf strukturelle Ebenen wie Koordination, Reflexion oder Evaluation auf Seiten von Organisationen oder Fachkräften (Sekundärmethoden) dienen.

Alle diese Kategorien für die Einordnung verdeutlichen bereits wichtige Aspekte methodischer Konzepte und von Methoden und erlauben erste analytische Unterscheidungen. Um drei weitere Unterscheidungsmöglichkeiten, die für die Analyse und Reflexion konkreter Methoden Anhaltspunkte bieten, geht es im Folgenden etwas ausführlicher:

1. die Sozialform

2. die Fokusebene

3. das Funktionsverhältnis zur Lebenswelt

Diese Einteilung erlaubt es, Methoden genauer nach ihren handlungspraktischen Ausrichtungen einzuordnen und zu vergleichen.

3.2.1 Sozialformen mit Geschichte: Einzelfall-, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit

Für lange Zeit wurde die klassische „Trias“ von Einzelfallarbeit, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit mit „Methoden der Sozialen Arbeit“ gleichgesetzt. Die Methodenentwicklung hat sich aber inzwischen weiter ausdifferenziert, sodass diese Dreiteilung allein nicht mehr hinreichend spezifisch ist. Galuske (2013) schlägt daher vor, Einzelfall-, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit nicht per se als Methoden, sondern als „Sozialformen“ zu verstehen. Als Sozialformen beschreiben „Einzelfall“, „Gruppe“ und „Gemeinwesen“, mit wem interagiert wird, ohne dass Näheres über die genaueren Vorgehensweisen und konzeptionellen Zusammenhänge ausgesagt wird. Obwohl oft eine Sozialform dominiert, können in vielen methodischen Konzepten auch mehrere oder alle Sozialformen eingesetzt werden. So kann z.B. in der Schulsozialarbeit individuell mit einzelnen SchülerInnen gearbeitet werden, es können Gruppenangebote unterbreitet und auch aktive Gestaltungsarbeit im Stadtteil geleistet werden.

Einzelfallarbeit: Einzelfallarbeit umfasst als Sozialform ein breites Spektrum von methodischen Konzepten und Arbeitsfeldern. Einzelfallarbeit als Sozialform ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich an einer Person festmacht oder primär auf ein Individuum, ein Paar oder eine Familie richtet. „Persönliche Assistenz“ für Menschen mit Behinderung ist in diesem Sinn genauso eine auf den Einzelfall gerichtete Tätigkeit wie Sozialpädagogische Familienhilfe oder die individuelle Beratung von Angehörigen im geriatrischen Krankenhaus. Gleichzeitig unterscheiden sich diese Tätigkeiten inhaltlich und durch die jeweils andere strukturelle Einbindung stark und nutzen entsprechend andere methodische Mittel. In ihrer historischen Entwicklung ist Einzelfallarbeit stark mit der sozial-diagnostischen Tradition und dem generellen Dreischritt „Anamnese – Diagnose – Behandlung“ verbunden.

Diese Tradition orientiert sich in der Grundlogik und Sprache an der Medizin, übersetzt sie aber für soziale Problemlagen. Kennzeichnend sind eine systematisierte Einschätzung der Situation eines Individuums bzw. einer Gruppe von Personen inklusive ihrer Vorgeschichte (Anamnese), die Kategorisierung (Diagnose) vorliegender Probleme und Problemzusammenhänge, sowie die Planung und Umsetzung einer Intervention (Behandlung), die sich aus der Anamnese und Diagnose ergeben.

Die Kritik an Tendenzen der Einzelfallarbeit zu pathologisierender und individueller Verortung sozialer Probleme führt periodisch immer wieder zu einer Rückbesinnung auf ressourcenerschließende und ganzheitliche „Person-in-Umwelt“-Orientierungen, wie sie sich schon bei den frühen Vertreterinnen der Sozialen Arbeit wie Mary Richmond, Alice Salomon, Siddy Wronsky oder Bertha Capen Reynolds finden lassen. Dazu gehören u.a. methodische Konzepte wie das biografisch-rekonstruktive Fallverstehen (Kap. 4.3) sowie die Erweiterung des Arbeitsfokus „vom Fall zum Feld“, bei dem über das Individuum hinaus auch dessen größerer Sozialraum und die Versorgungsstrukturen einbezogen werden. Über diese Entwicklungen entgrenzt sich die klassische Einzelfallarbeit hin zu den anderen Sozialformen.

Gruppenarbeit: Gruppenarbeit bezeichnet methodische Arbeitsformen, die mit und über Gruppen (sozial-)pädagogische und/oder psycho-soziale Ziele zu erreichen suchen. Historisch greift Gruppenarbeit auf Traditionen der Jugendbewegung und auf (reform-)pädagogische Ansätze des frühen 20. Jahrhunderts zurück, die u.a. auf Selbsterziehung von und durch Peers setzte. Nach den verheerenden Erfahrungen mit dem negativen Einfluss von Gruppen während des Nationalsozialismus betonte die nach 1945 aufkommende Gruppenarbeit vor allem demokratische und kritische Bildungsprozesse. Insgesamt nutzt Gruppenarbeit gezielt Wissen aus Feldern wie Sozialpsychologie, Kleingruppenforschung, Gruppendynamik oder auch Psychodrama (Kap. 5.1.3). Je nach methodischem Konzept unterscheidet sich der Stellenwert, den die Gruppe einnimmt. In einigen Gruppenarbeitskonzepten ist die Gruppe selbst das zentrale Instrument, wie z.B. in der einst von Konopka (1994) geprägten „Sozialen Gruppenarbeit“, deren Ziel das Wachstum der Gruppenmitglieder in und durch die Prozesse in der Gruppe ist. Die Rolle der SozialpädagogInnen ist in dieser Variante wenig direktiv, sondern eher begleitend. In anderen methodischen Konzepten dient die Gruppe vorrangig als Forum, um gezielt spezielles Wissen oder spezielle Kompetenzen zu vermitteln (Anti-Aggressionstraining, Psychoedukation, ElternTraining etc.). Hier sind Gruppenaktivitäten klar vorstrukturiert und die Rolle von Fachkräften kann dabei stark instruierend sein. Darüber hinaus finden sich Gruppenformate auch auf der Ebene der Professionellen selbst, wenn z.B. in Teams, Arbeitsgruppen, Kollegialer Beratung oder Supervision methodisches Handeln geplant, durchgeführt oder reflektiert wird.

 

Konopka, G. (1994): Soziale Gruppenarbeit. Ein helfender Prozess. Beltz, Weinheim/Basel

Nellesen, L. (2012): Von der Gruppenarbeit zur Familientherapie. In: Thole, W. (Hrsg.): Grundriss Soziale Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 649–662

Gemeinwesenarbeit: Gemeinwesenarbeit (GWA) richtet ihre Hauptaufmerksamkeit auf die Förderung von Nachbarschaften, Wohnquartieren oder anderen sozialräumlichen Zusammenhängen. BewohnerInnen sollen unterstützt und aktiviert werden, die Probleme ihres Wohnquartiers gemeinsam zu bearbeiten. Anders als Gruppenarbeit und Einzelfallarbeit bezeichnet „Gemeinwesenarbeit“ ganz bestimmte methodische Konzepte, die in den 1970er Jahren aus den U.S.A. ihren Weg nach Deutschland fanden. Dazu gehören Varianten der GWA, die eher auf Konsensfindung setzen und solche, die wie Saul Alinskys (1974) „aggressive“ GWA einem Konfliktmodell folgen. Historische Vorläufer hat Gemeinwesenarbeit in der „Settlement“-Bewegung, für die vor allem Jane Addams und das von ihr 1889 begründete Hull-House in Chicago steht. Settlement Häuser in benachteiligten Stadtteilen dienten dabei sowohl als private Unterkunft der „settlement worker“ wie auch als öffentlicher Raum für Gruppen und Aktivitäten, die von Abendschule über Kindergärten bis zu Theater und anderer Kulturarbeit reichten. Daneben gehörten die systematische Forschung zu Infrastruktur und Lebensbedingungen des Stadtteils und ein politischer Reformgedanke zum Konzept. Zusammen ergaben diese Ausrichtungen im Englischen die drei „R“s der Settlement Bewegung – „Residence, Research and Reform“. Während die GWA zwar in Form von Nachbarschaftshäusern Einzug in die Methodenlandschaft in Deutschland hielt, konnte sie sich im Verhältnis zu anderen methodischen Konzepten insgesamt wenig durchsetzen, auch wenn sie seit den 2010er Jahren wieder mehr Interesse erfährt. Deutlich stärker verbreitet ist das Konzept der Sozialraumorientierung.

Sozialraumorientierung: Während GWA klar auf geografische Räume (Quartiere, Stadtteile) bezogen ist, gibt es bei der Sozialraumorientierung, die sich ab 1990 etablierte, unterschiedliche Akzentuierungen (Hinte 2012). In der ersten Variante macht sich „Sozialraum“ an der Lebenswelt des einzelnen Subjekts fest. Der individuelle „Sozialraum“ ist daher je nach Person unterschiedlich und erfasst die sozialen Vernetzungen und Kontakte, die materiellen Strukturen der Lebens- und Alltagswelt, und damit anteilig auch Strukturen von Wohnquartieren oder Kommunen, die die Lebensbedingungen einzelner Subjekte beeinflussen bzw. von ihnen genutzt werden. In der zweiten Variante, die vor allem auf verwaltungstechnischer Ebene genutzt wird, dient ein „Sozialraum“ für Planung oder auch Budgetierung sozialer Dienste in bestimmten geografischen Räumen und wird in methodischen Konzepten wie z.B. dem „Quartiersmanagement“ aufgegriffen. KritikerInnen sehen in der Verbindung des letztgenannten Verständnisses von „Sozialraum“ mit verwaltungstechnischen Steuerungsprinzipien wie der sogenannten „Neuen Steuerung“ die Gefahr, dass ökonomische Sparinteressen fachliche Interessen überlagern.


Der Begriff Neue Steuerung bezeichnet eine ab den 1990er Jahren verbreitete Form der Verwaltungsreform, in der auf kommunaler Ebene betriebswirtschaftliche Managementkonzepte mit dem Ziel eingeführt wurden, öffentliche Dienstleistungen dezentral und wirkungsorientiert auszurichten.


Fehren, O. (2006): Gemeinwesenarbeit als intermediäre Instanz. Neue Praxis 6/2006, 575–595

Hinte, W. (2012): Von der Gemeinwesenarbeit über die Sozialraumorientierung zur Initiierung von bürgerschaftlichem Engagement. In: Thole, W. (Hrsg.): Grundriss Soziale Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 663–676

Stövesand, S., Troxler, U., Stoik, C. (2013): Handbuch Gemeinwesenarbeit: Traditionen und Positionen, Konzepte und Methoden. Budrich Verlag, Leverkusen

Online Ressourcen: www.sozialraum.de, 09.06.2017; www.stadtteilarbeit.de, 09.06.2017

Reflexionsfragen zu Sozialformen. Die Unterscheidung methodischer Konzepte in die Sozialformen Einzelfall, Gruppe oder Gemeinwesen richtet die Aufmerksamkeit auf die Fragen:

● welche primären Formen der Interaktion nutzt eine Methode oder ein methodisches Konzept?

● in welcher größeren Tradition Sozialer Arbeit steht eine Methode/ein methodisches Konzept?

3.2.2 Fokusebenen

Eine andere analytische Unterscheidung von Methoden richtet sich auf die Ebene, auf der Veränderungen angeregt werden sollen.

Mikro-Ebene: Methoden mit Fokus auf die Mikro-Ebene zielen auf Veränderungen beim Individuum bzw. im Nahbereich von Familien und Kleingruppen. Die Vielfalt psycho-sozialer und (sozial-)pädagogischer Methoden (meist in den Sozialformen von Einzelfall- oder Gruppenarbeit) mit diesem Fokus reicht von einmaligen oder mehrfachen Beratungsangeboten über intensive therapeutische Wohneinrichtungen bis zu aufsuchenden Methoden wie Streetwork oder aktivitätsbetonten Methoden wie Erlebnispädagogik.

Meso-Ebene: Methoden, die die Meso-Ebene fokussieren, streben Veränderungen in oder zwischen Organisationen, größeren Gruppen oder im Gemeinwesen an. Koordinierende Planung und Vernetzung von Trägern im Sozialraum (z.B. im lokalen Jugendhilfeausschuss) gehören ebenso dazu wie schulweite Programme von Gewaltprävention oder Stadtteilinitiativen. Ferner können Netzwerkanalysen, Stadtteilerkundungen, Sozialraumanalysen oder ähnliche Methoden sowohl als direkte aktivierende Methoden mit AdressatInnengruppen zum Einsatz kommen als auch die Grundlage für weitere Interventionen bieten.

Makro-Ebene: Soziale Arbeit mit Fokus auf die Makro-Ebene zielt auf Veränderungen in größeren gesellschaftlichen Einheiten und bei politischen Vorgaben bzw. strebt Verbesserungen von Versorgungs- oder Bildungssystemen an. Dazu gehören z.B. Methoden der politischen Bildung oder advokatorische (anwaltschaftliche/ parteiliche) methodische Konzepte. Unabhängig von einzelnen Fällen mischt sich Soziale Arbeit auf der Makro-Ebene in die Gestaltung und Entwicklung von sozialpolitischen Strukturen, Finanzierungsweisen und inhaltlichen Ausrichtungen ein.

Reflexionsfragen zur Fokusebene. Die Unterscheidung von Mikro-, Meso- und Makro-Ebenen hilft bei der kritischen Analyse der Frage, auf welcher Ebene eine Methode oder ein methodischen Konzept primär Veränderungen zu erreichen sucht. Selten werden alle drei Ebenen gleichermaßen fokussiert. Da Soziale Arbeit aber insgesamt den Anspruch hat, die Interdependenz aller drei Ebenen zu berücksichtigen, sind SozialarbeiterInnen aufgefordert, über kritische Analyse und Reflexion die jeweiligen Auslassungen im methodischen Handeln zu erkennen.

● Welche Ebene wird bei dieser Methode/in diesem methodischen Konzept vorrangig fokussiert?

● Wie könnten auch die anderen Ebenen berücksichtigt werden?

3.2.3 Funktionsverhältnis zur Lebenswelt

Methoden bzw. methodische Konzepte können in unterschiedlicher Weise auf die Lebenswelten von AdressatInnen einwirken.


Der Begriff Lebenswelt bezeichnet, verkürzt gesagt, die jedem Menschen eigene, subjektiv gelebte und erfahrene Welt. Sie entsteht im Zusammenspiel von inneren Sinnwelten und äußeren Lebensumständen und Strukturen, in denen sich ein jeder Mensch alltäglich bewegt. Sie umfasst die alltäglichen Routinen des Tuns und Denkens, die Art, wie Beziehungen und Umwelt verstanden werden, welcher Sinn ihnen verliehen wird und auch wie Menschen mit Widersprüchlichkeiten und besonderen Ereignissen umgehen.

Mit Blick auf ihre Funktion im Verhältnis zur Lebenswelt lassen sich Methoden bzw. methodische Konzepte als lebensweltersetzend, lebensweltergänzend oder lebensweltunterstützend einordnen. Durch das doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle sind mit der jeweiligen Funktion auch unterschiedlich stark die Gefahr des Eingriffs in die Autonomie von AdressatInnen verbunden.

Lebensweltersetzende Methoden/methodische Konzepte: Diese auch „stationär“ genannten methodischen Ansätze verlagern zentrale Aspekte des Lebensalltags von AdressatInnen, allen voran das Wohnen, in soziale Institutionen. Lebensweltersetzende Methoden sind sehr „eng“ an den AdressatInnen und besonders ressourcenaufwendig. Sie bieten ein hohes Maß an Unterstützung und Strukturierung des Alltags und schränken gleichzeitig oft auch die Selbstbestimmung stark ein. Zu den lebensweltersetzenden Methoden gehören pädagogische, psychiatrische oder rehabilitative Einrichtungen, die meist mit interprofessionellen Teams (ErzieherInnen, SonderpädagogInnen, medizinisch oder therapeutisch geschultem Personal usw.) ausgestattet sind, wie etwa Mutter-Kind-Heime, therapeutische Wohngruppen, Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Seniorenheime oder Pflegeeinrichtungen.

Lebensweltergänzende Methoden/methodische Konzepte: Diese auch als „teilstationär“ bezeichneten methodischen Ansätze bestimmen einen erheblichen Teil des Alltags von AdressatInnen, sind aber zeitlich weniger intensiv als stationäre Einrichtungen. Sie strukturieren Aufenthalt und Aktivitäten von AdressatInnen bis hin zu täglichen mehrstündigen Angeboten, ersetzen aber nicht den gesamten Wohn- und Lebensalltag. Zu den lebensweltergänzenden Methoden gehören Tagesstätten, Tagesgruppen, Tageskliniken etc.

Lebensweltunterstützende Methoden/methodische Konzepte: Diese „ambulanten“ methodischen Ansätze stellen Angebote für den Lebensalltag der AdressatInnen bereit, ohne stark in zeitliche oder örtliche Gewohnheiten einzugreifen. Mit ihrer deutlich geringeren Intensität und Dichte schränken sie die Autonomie von AdressatInnen typischerweise weniger stark ein als lebensweltersetzende oder -ergänzende Angebote. Zu den lebensweltunterstützenden Methoden gehören Beratungs- und Bildungsangebote, Streetwork, offene Jugendarbeit etc.