Hundstage

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Ulrike Blatter

Hundstage

Krimi

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Hundstage

Impressum neobooks

Hundstage

(alle handelnden Personen sind frei erfunden; eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sind zufällig und nicht geplant. Die Rahmenhandlung orientiert sich allerdings an wahren Begebenheiten, sorry  )

I hear babies crying, I watch them growthey'll learn much more than I’ll never knowand I think to myself what a wonderful world

(Text: gesungen von Louis Amstrong)

„Das glaube ich Ihnen aufs Wort, dass es nicht Ihr Geschäftsmodell ist, kleine Kinder zu vergiften“, blaffte Hoffmann und fuhr sich mit gekrümmten Fingern unter den Kragen seines hellblauen Polohemdes. Es war unerträglich stickig im kleinen Büro der KiTa ‚Sonnenstern‘. Ihm am Schreibtisch gegenüber saß mit durchgedrücktem Rücken die Leiterin, Frau Zähler; eine schlanke Mittdreißigerin mit kecker Kurzhaarfrisur, die ihn mit einem Blick fixierte, in dem sich Ratlosigkeit und Entsetzen spiegelten. Oder war es etwa Feindseligkeit, was ihm da entgegenschlug? Bei dieser Affenhitze fiel es dem bulligen Kommissar schwer, sich zu konzentrieren. Durch das angekippte Fenster drang kein Hauch Frischluft, sondern nur nervtötendes Kindergeschrei in Endlosschleife. Woran unterschied man bei Kindern eigentlich, ob ihre schrillen Schreie Ausdruck purer Lebensfreude waren oder ein Hilferuf? Hoffmann war kinderlos, aber seine Schwester hatte zwei lebhafte, vierjährige Zwillingsbuben, die sie regelmäßig an den Rand ihrer Nervenkraft brachten. Sie hatte es vor einigen Tagen ebenso kurz wie treffend formuliert: „Kinder machen Krach. Das ist ein Naturgesetz. Und wenn es im Kinderzimmer einmal still wird, schaust du besser nach. Dann hecken sie nämlich etwas aus oder es ist was Schlimmes passiert ...“

Es war ein Riesenglück gewesen, dass Laura, die Praktikantin der KiTa ‚Sonnenstern‘, dieses eherne Gesetz der Kinderbetreuung ebenfalls verinnerlicht hatte, sonst hätte der kleine Leon den heimtückischen Giftanschlag wohl kaum überlebt.

„Er war auf einmal so still“, seufzte Frau Zähler. „Und dann diese Blässe ...“, sie brach ab und putzte sich heftig schnaubend die Nase. Eine gut gefüllte Box mit Papiertaschentüchern stand auf dem Tisch. Ein unentbehrliches Utensil für den Alltag mit rotznäsigen Kleinkindern, wie Hoffmann aus eigener leidvoller Erfahrung wusste – hatte er doch oft genug einen Ausflug mit seinen Neffen unternommen und mit Klopapier oder gar einem Jackenärmel improvisieren müssen.

„Totenstille“, ergänzte der Kommissar. „Und Leichenblässe ...“ Die Wirkung dieser Worte war herzerweichend: ein wahrer Tränen-Tsunami stürzte aus Frau Zählers Augen und im Stillen beschloss Hoffmann, sie von der Liste der Verdächtigen zu streichen. Es war zwar eher ein Bauchgefühl, aber erstens war auf Hoffmanns Intuition schon seit jeher Verlass gewesen und zweitens machte es objektiv betrachtet auch keinen Sinn, wenn man die eigene Stammkundschaft um die Ecke brachte.

Die Hauptrolle bei diesem widerlichen Vorkommnis spielte eine Substanz mit dem Namen Super-Warfarin. Dies hatten die Toxikologen an der Uniklinik schließlich herausgefunden, nachdem der Kleine beinahe an inneren Blutungen gestorben war. Der Name des Giftes klang so erschreckend, wie seine Wirkung war: Heimtückisch setzte die tödliche Wirkung frühestens nach drei, meist aber erst nach etwa 36 Stunden ein und zerstörte das Gerinnungssystem, sodass es zu schweren inneren Blutungen kam. Dieses Teufelszeug war als normales Rattengift im Handel. Aber was heißt in einem solchen Fall schon ‚normal‘? Normalerweise wurden Rattengiftköder in Metallboxen versteckt und waren mit einem Bitterstoff versetzt, der verhindern sollte, dass Kinder das Zeug versehentlich oder aus Neugier aßen. Weder auf dem Gelände der KiTa, noch in der näheren Umgebung waren jedoch solche Köderboxen aufgestellt. Das hatten die Kollegen von der Spurensicherung bereits sorgfältig abgeklärt. Und selbst dem hartgesottenen Hoffmann erschien es im höchsten Maße abnormal einen knapp dreijährigen, zierlichen Knaben auf solch widerliche Weise zu töten. Erst recht einen, der Hoffmann auf einem Foto mit strahlend blauen Augen entgegen lachte, und mit seinem blonden Lockenschopf aussah, als sei er einer Werbung für überzuckerte Frühstücksflocken entsprungen. „Fragen Bie mal Naura“, schniefte die Leiterin, trompetete in ein durchweichtes Papiertaschentuch und fuhr, nun wieder verständlich, fort: „Laura macht bei uns ihr freiwilliges soziales Jahr und vielleicht weiß sie was Genaueres. Leon war in ihrer Gruppe und sie kennt auch die häuslichen Verhältnisse. Ich werde sie reinrufen, dann können Sie sich in Ruhe mit ihr unterhalten.“ Sie verließ das Büro und kehrte kurz darauf mit einer in Schwarz gekleideten Gestalt zurück, die fast geschlechtslos wirkte, so schmal und eckig war sie. Sie lehnte abwartend im Türrahmen und schielte unter langen Ponyfransen hervor. Arme und Beine schienen zu lang zu sein, für den schmächtigen Rumpf und wirkten so, als seien sie in einem falschen Winkel am Körper befestigt worden. Als Hoffmann aufstand und mit einladender Geste auf einen freien Stuhl wies, reichte sie ihm zögernd die Hand und nannte mit leiser, kehliger Stimme ihren Namen.

Laura war 19 und überall tätowiert – zumindest an den Körperregionen, die einsehbar waren – und das waren nicht wenige, da ihre Kleidung an einigen sehr ausgefallenen Stellen Risse und Schnitte aufwies, die interessante Ein- und Durchblicke gewährten. Hoffmann bemühte sich Lauras Bekleidung objektiv zu sehen, immerhin schien sie bei der aktuellen Hitzewelle besser durchlüftet, als sein eigenes, konventionelles Outfit mit Polohemd und Chino-Hose. So registrierte er ebenfalls vollkommen unbeeindruckt diverse Piercings und die pinkfarbenen Strähnen in Lauras strubbeligem Haar. Nur, als ihm ein leichter aber dennoch penetranter Schweißgeruch in die Nase stach, der von einem schwülen Parfüm nur unzureichend überkleistert wurde, runzelte er unwillkürlich die Stirn. „Laura ist unser Schatz“, versicherte die Leiterin, drehte mit energischen Bewegungen eine Mineralwasserflasche auf und schenkte drei bereitstehende Gläser voll. „Trink, Laura“, forderte sie das Mädchen auf. „Bei dieser Affenhitze mit den Kindern im Sandkasten zu sitzen ist Schwerstarbeit.“

Dankbar nahm Hoffmann das Stichwort vom Sandkasten auf: „Ist es derselbe Sandkasten, in dem Sie gestern Leon leblos aufgefunden haben?“, erkundigte er sich.

Laura nickte mit zusammengepressten Lippen. „Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht“, flüsterte sie tonlos und starrte in ihr Wasserglas, in dem kleine Bläschen eifrig emporstiegen, als lieferten sie sich ein Wettrennen. „Der Leon hatte schon am Morgen über Bauchweh geklagt, aber ich habe das nicht ernst genommen. Ich habe gedacht, die Mutter hat mal wieder, aber ... na ja ... ist ja auch unwichtig ... “ Sie brach ab und zuckte mit den Schultern.

„Was hat die Mutter gemacht?“, erkundigte sich Hoffmann so zartfühlend wie möglich und die Leiterin der KiTa schob unauffällig die Taschentuchbox ein Stück weit in Lauras Richtung.

„Naja, die haben den Leon doch ständig mit diesem ungenießbaren Fraß vollgestopft“, antwortete Laura im Tonfall einer aufsässigen Göre.

„Sie meint veganes Essen“, erklärte die Leiterin. Weitere Erklärungen wurden jedoch durch ein schrilles Klingelsignal unterbrochen. Es klang wie ein Feueralarm. Laura sprang auf und warf einen Blick auf die Uhr über der Zimmertür. „Das habe ich total vergessen ...“, rief sie. „Ich beeile mich ...“, riss die Tür auf und rannte nach draußen. Auch Hoffmann hatte sich halb aus seinem Sitz erhoben. „Kann ich vielleicht helfen ...?“, begann er, aber die Leiterin wedelte nur müde mit der Hand. „Keine Hektik“, sagte sie. „Die Kinder müssen nur pünktlich um halb drei wieder drinnen sein ...“

„Warum das denn?“, wunderte sich der Kommissar. „Nachmittags werden die Temperaturen doch wieder angenehmer und Sie haben doch einen wunderschönen Spielplatz dort draußen.“ Als Hoffmann die KiTa betreten hatte, hatte er einen Blick auf die Außenanlagen geworfen, die um die Mittagszeit verwaist dalagen, da alle Kinder bei Tisch waren. Mit leisem Seufzen hatte er das Baumhaus betrachtet, den blitzsauberen Sandkasten, der einem Meeresstrand glich – ein Eindruck, der durch das riesige knallblaue Planschbecken noch verstärkt wurde. Mehrere Schaukeln, ein rustikales Klettergerüst aus Holz, sowie eine großzügige Feuerstelle vervollständigten die Spiellandschaft. Am Rand waren Roller und Dreirädchen ordentlich in einer Reihe geparkt. Mit einem kleinen Stich von Neid dachte Hoffmann kurz an seine eigene Kindheit zurück. Verschwommene Erinnerungen an Streitereien im überfüllten Sandkasten mischten sich mit dem Bild eines rostigen Klettergerüstes, an dem Trauben von Kindern hingen. Hoffmann war 1964 geboren – gehörte also zum geburtenstärksten Jahrgang Deutschlands. An der Schaukel auf dem Spielplatz hatte er sich immer anstellen müssen und rasch das Zählen gelernt, weil jeder nur zehnmal hin- und herschwingen durfte. Aber zumindest hatte er immer Spielkameraden gehabt. Wenn er sich so zurückerinnerte, schien er fast die gesamte Kindheit in einer Horde Gleichgesinnter verbracht zu haben. Es war jedenfalls immer ‚Leben in der Bude‘, wie seine Mutter sagte, wenn er im Winter wieder mal fünf dreckige und stets hungrige Freunde nachmittags mit nach Hause brachte. Mit einem leisen Seufzer hatte der Kommissar den luxuriösen Spielplatz der KiTa betrachtet, der in etwa so lebendig wirkte wie ein Wohnzimmer im Möbelhaus, wo die Bücher im Regal lediglich Attrappen sind. Auf einer Holzbank, die im Schatten uralter Bäume stand, hatte ein vergessener Kindersonnenhut gelegen und aus dem blendendweißen Sand ragte der knallrote Stiel einer Sandschaufel. Aber selbst diese Gegenstände hatten nur wie eine ungeschickte Deko gewirkt, die kindliche Aktivitäten vortäuschen sollte.

 

„Seltsam, dass Sie die Kinder gerade jetzt reinholen“, wiederholte Hoffmann aber die KiTa-Leiterin winkte ab. „Das wollen Sie gar nicht so genau wissen“, meinte sie mit schwachem Lächeln. „Nur so viel: Heutzutage ist es gar nicht so leicht, einfach nur mal Kind zu sein ... In diesem Zusammenhang ist es vielleicht auch sinnvoll, wenn ich Ihnen ein paar Informationen zu Laura gebe – solange sie draußen beschäftigt ist.“

„Gerne.“ Der Kommissar setzte sich wieder und schlug eine neue Seite in seinem Notizbuch auf. Das Geräusch trappelnder Füße drang zu ihnen hinein.

„Wahrscheinlich haben Sie sich über Lauras Erscheinungsbild gewundert“, begann die Leiterin. Hoffmann senkte, eifrig kritzelnd, den Kopf über das Notizbuch und hoffte, dass seine Gesichtsröte nicht weiter auffiele.

„Laura hat eine schlimme Vorgeschichte“, begann Frau Zähler. „Sie kennen solche Fälle wohl zur Genüge, aber wahrscheinlich nur solche, bei denen alles schiefgegangen ist. Um es kurz zu machen: Laura wurde als Säugling aus einer Messie-Wohnung rausgeholt. Es war wohl Rettung in letzter Minute. Die Details erspare ich Ihnen. Jedenfalls wurde sie vom Jugendamt betreut, wechselte vom Heim in diverse Pflegefamilien und machte es allen schwer, die mit ihr zu tun hatten – auch sich selbst, um das mal so nebenbei zu erwähnen. Aber Laura ist eine Kämpfernatur und als sie mit 15 in eine betreute Wohngruppe kam, hat sie sich gefangen, holte den qualifizierten Hauptschulabschluss nach und will jetzt unbedingt ‚etwas mit Kindern machen‘.“

„Und die Kinder haben kein Problem mit ihr?“, unterbrach Hoffmann. „Ich meine, die vielen Tatoos – das ist hier doch eher eine gutbürgerliche Klientel ...“ Frau Zähler prustete vor Lachen: „Das haben Sie aber jetzt sehr zurückhaltend formuliert, Herr Kommissar. Gutbürgerlich? Andere würden Bonzen sagen – nein, im Ernst: Die Eltern haben tatsächlich am Anfang etwas komisch geschaut, aber die Kinder hängen unglaublich an ihr, und seit sich Laura an einem Elternabend vorgestellt hat, läuft das eigentlich problemlos. – Und die Tatoos ... naja – für die Kinder sind es lediglich bunte Bildergeschichten und ich sag‘ es mal so: Es ist immer noch besser, als sich zu ritzen, oder?“

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