Krupps Katastrophe

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Aus der Reihe: Mord und Nachschlag
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Offensichtlich war ich nicht der Einzige, der davon beeindruckt war, welch streitbare Figur ich hier abgab. Um die aufgeputschte Stimmung aufrechtzuerhalten und seine Jungs nur ja davon abzubringen, den Schwanz einzuziehn und den Rückzug anzutreten, brüllte Krupp: »Voran! Schickt diesen Hanswurst in die Pampa!« Und er hängte noch eine Girlande unaussprechlicher Kraftausdrücke hintendran, die ich deiner unverdorbenen Seele nicht zuzumuten gedenke. Aber es half irgendwie alles nichts, Krupps Gezeter kam einfach nicht mehr als furioser Furor rüber. Sein anfänglich bassdröhnender Befehlston brach ihm unversehens auf halber Strecke weg. Und übrig blieb nur ein spitzes Fiepsfispelstimmchen. Der Pfeffersack schnappte mit asthmatischem Röcheln nach Luft und sein linkes Augenlid führte zitternd und zuckend einen wirren Tanz unter seiner Braue auf.

Angesichts dieser Situation dürfte es auch in deinen Augen entschuldbar sein, dass mir – angestachelt von Krupps zerbröselnder Stimme und dem Damoklesschwert meiner kreisenden Kamera – der Gedanke durch den Kopf schoss, da müsst’ sich verdammt ’n bisschen mehr draus machen lassen als bloß das Salär von Krupps Margarethe. Während ich im Zeichen der angespannten Lage die von Krupp vor wenigen Stunden versprochene Fotografengage ja wohl abhaken konnte. Ersatz musste her! Ersatz aus anderen, wenn auch verwandten Quellen.

Aber von den Penunzen mal ganz abgesehn, ich meine, irgendwie sollte die Sache mir ja schließlich auch Spaß machen. Ich begeistere mich nun mal für Geschichten, die was von einem Labyrinth haben, mehrere Ausgänge und mehrere Eingänge; und so wie sich die Sachlage hier darstellte, konnte ich ruhig den ein oder andern Knoten noch knüpfen, ohne dass mir das Ganze übern Kopf wuchs. Ich meine, immer nur der kleine brave Detektiv, der verschollenen Ehemännern hinterherfahndet! Warum sollte ich mich derart unter Preis verkaufen?! Bloß Informationen über die Untaten andrer Leute liefern, statt das Flämmchen auch selbst ein bisschen zu schüren! Wär doch zu schade, findest du nicht? Zu schade, wenn die Capri-Chose mit meiner Heimkehr ihr Bewenden gehabt hätte. Nein, war doch wohl nahe liegend, da noch ordentlich ein paar Schütten Kohle ins Feuer zu schippen. Bis es nach allen Regeln der Kunst sprudeln, sieden, kochen würde.

Wir haben es, wie gesagt, bei diesen Geschichten, nach allem, was bekannt ist, mit einem Mixtum Compositum aus historisch überlieferten und dazuerfundenen Episoden zu tun. Gleiches gilt hinsichtlich des Personals. Dies sei hier nicht nur angeführt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sondern auch um vorauseilend schon mal eine eindringliche Warnung abzusetzen: Es könnte durchaus sein, dass die geneigte Leserschaft den Eindruck gewinnen möchte, sie werde hinters Licht geführt! Und das nicht ganz zu Unrecht. Wer nämlich dem weiteren Fortgang der Geschichte folgt, wird der Gefahr kaum entgehen, nicht mehr zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden zu können und sich im Reich wilder Spekulationen zu verlieren.

Schließlich war mein Großvater, als er mit dieser Story rausrückte, beileibe nicht mehr der Jüngste. Er hat sie zurückgehalten, bis ich genau das Alter erreicht hatte wie er damals: 25. 1967, die Studentenrevolte kam allmählich in Gang, was er mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm, als Neunzigjähriger also nahm er mich zur Seite und erzählte mir brühwarm diese hanebüchene Geschichte, die sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahr zutrug. Und die er in den sechseinhalb Jahrzehnten seither eifrig ausgeschmückt haben mochte.

Werfen wir, um das schillernde Verhältnis zwischen Facts und Fiction in den mitunter etwas grob gewirkten Vernetzungen seines Berichts zu verdeutlichen, einen abgeklärten Blick aus der zeitlichen Distanz auf die Rollen und ihre Darsteller: Großvater Fahrenhorst hat ganz fraglos den Reigen der real existierenden Protagonisten – nach dem Motto: üppige Szenerie belebt das Geschäft – angereichert um etliche seiner Fantasie entsprungene Figuren. Versteht sich von selbst, dass auch bei diesen – fast – frei erfundenen Akteuren Ähnlichkeiten mit damals lebenden Größen weder unbeabsichtigt noch vermeidbar sind. Andere Herrschaften dagegen sind tatsächlich ganz realiter in Erscheinung getreten. Sämtliche hier und später auftretenden Krupps zum Beispiel. Ebenfalls der Zeichner Allers, wie gesagt. Und, versteht sich, seine Majestät Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen, von dem an späterer Stelle noch die Rede sein wird.

Ob es aber stimmt, dass, wie mein Großvater beteuerte, er selbst der Dreh- und Angelpunkt dieser unsäglichen Geschichte war, der Mittelpunkt des Spinnennetzes, wo alle Fäden zusammenliefen, oder ob das möglicherweise nur seiner blühenden Fantasie entsprungen sein mag, ist keineswegs eine ausgemachte Sache.

Mitten in diesem ausgewachsnen Höhlentohuwabohu schrie ich Krupp nach Leibeskräften an, wenn er seine Bluthunde nicht augenblicks zurückpfeife, dann werde er aus diesem Possendrama hier nicht mit heiler Haut rauskommen. »Dafür werde ich sorgen, so wahr ich hier stehe!«

Wodurch sich Allers veranlasst fühlte, mit weichweinerlicher Stimme zu sülzen, man solle doch um Gottes Willen nicht derart grob zueinander sein, der Abend habe doch so herrlich einvernehmlich angefangen. »Und nun das!« Aber diese Harmonie- und Freudebeschwörung verhallte genau wie meine Warnung an Krupps Adresse ungehört im Gebrüll der Capreser Kerle, unter denen sich besonders Giovanni mit schrillen »Avanti avanti!«-Rufen hervortat. Ich setzte also noch mal nach und schrie mit der ganzen Stimmkraft eines Todgeweihten: »Überlegen Sie sich das gut, Krupp, wenn Sie mich hier abservieren, das überleben Sie nicht!«

»Ihr wollt dem größten Stahlbaron Europas drohen! Dass ich nicht lache. Geht mir aus der rosa Sonne Capris, Knipser, schmieriger!«, versetzte Krupp. Er hatte sich offenbar von seiner asthmatischen Schwächeattacke erholt, trug seine Offensive jedenfalls einigermaßen überzeugend vor.

Man musste schon ziemlich mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu merken, dass inzwischen auch der allerletzte Rest der schwülamüsanten Atmosphäre verflogen und ausuferndes Schwadronieren keineswegs mehr angezeigt war, trotzdem ließ Allers sich nicht davon abhalten, mit seinem Toast auf die Knabenbelustigung fortzufahren: »Hach, Leute, wir werden uns doch nicht Lust und Laune und Lust verderben lassen! Die Orgie hat schließlich grad erst angefangen. Angefangen erst. Ihr werdet doch nicht auf halber Strecke schlappmachen. Ohne Gomorrha, Leute, ist das schönste Sodom nichts, rein gar nichts!«

Krupp aber kochte! »Ich geb mich doch nicht her, hier Pose zu sitzen vor diesem albernen Apparat, wenn der Meisterfotograf anschließend wie verrückt um sich schießt mit seiner Kamera und die Fotos meistbietend an die geifernde Presse verhökert. Jungs, zieht ihm die Platte aus der Kiste und schmeißt ihn raus, aber achtkantig!«

»Dass nickt mehr weiß, wo Glocken eiern!«, war Giovanni zur Stelle und schob seinem Sätzchen kurzerhand selbst ein ausgiebiges Lachen hinterher. Als keiner so recht in sein Ziegenbockkichern einstimmen wollte, zog er die Augenbraue hoch und gab seinen Kumpanen einen Wink, die nächste Angriffswelle gegen mich anrollen zu lassen.

Die Jungs drückten den Rücken durch, ballten die sehnigen Fäuste, summten als Schlachtmusik wieder diese unsägliche Schnulze und machten ein, zwei Schritte auf mich zu. Eiligst, bevor der Kreis zu eng zu werden drohte und ich mit der Kamerakeule nicht mehr hätte gescheit Schwung holen können, ließ ich das Gerät mit seinen staksigen Beinen einen respektheischend ausladenden Kreis vollführen. Einen der Fischerknaben, der sich von hinten angeschlichen hatte und mir, wie ich jetzt erst bemerkte, reichlich nah gekommen war, traf die schwere Kiste volle Breitseite irgendwo zwischen Nieren und Becken. Er krümmte sich und hauchte »Merda«, während einige seiner Kollegen sich um ihn scharten und mich mit zorngeröteten Augen anblitzten.

Aber Giovanni schien der Schreck in die weingetränkten Glieder gefahren zu sein. Er hatte offenbar endlich begriffen, dass dieses Spielchen hier verdammt bitterer Ernst war. »Capitano, der nix will nach draußen«, wisperte er.

Und auch der dicke Teutone jammerte: »Jetzt lasst ihn doch! Lasst ihn. Das ist doch überhaupt gar nicht schön, was ihr da macht. Komm, Fritz, dein bunter bunter Abend geht munter weiter!« Worauf er, offensichtlich immer noch beseelt von der Hoffnung, das Ruder rumreißen zu können, flugs noch ein schmalztriefendes Jubilato anschloss: »Deine herrliche Feier war doch grade auf dem Höhepunkt, wenn ich mal so sagen darf, haha Höhepunkt ja. Da muss noch mehr Lust in die Luft, Genuss in den Fluss, Kerle, hebt die Becher, dass das Zeug nur so gluckert, das Zeug, Kerle, tanzt die Tarantella! Musike!! Lasst uns den hellen Mond begießen und genießen!«

Zumindest die Mandolinen in ihrer Felsnische dahinten schienen sich angesprochen zu fühlen und nahmen die Arbeit wieder auf. Was nun allerdings wiederum Krupp missfiel: »He hallo, Ruhe da! Allers, die Musik zahle immer noch ich. Und wenn ich sage, die Musik schweigt, schweigt die Musik.« Und die Mandolinen verstummten. Die Spieler gönnten ihnen nicht mal ein kurzes Nachklingen, drückten die Saiten wenig zartfühlend mit dem Daumen überm Schallloch ab. »Dionysos lässt sich nicht in die Suppe spucken«, knurrte Krupp. Und wie erlöst brüllten die Sündenspielkameraden endlich wieder ihr »Bravo, bravissimo capitano!« Worauf Krupp ein »Schon gar nicht von so einer hergelaufenen Dunkelkammerassel!« nachschob.

Da das geneigte Lesepublikum sich scheinbar immer noch nicht von der Lektüre hat abbringen lassen, wollen wir an dieser Stelle noch einmal – allerdings nun letztmalig – die obige Warnung wiederholen, dass es hier und später kaum möglich sein wird, die historische Wahrheit herauszudestillieren aus diesen Hirngespinsten eines, als er sie zum Besten gab, hochbetagten, als er sie erlebte, greenhornjungen Mannes. – Also bitte sehr! Und sagen Sie nachher nicht, man hätte Sie auf die im weiteren Verlauf des Traktats unumgängliche Irritation nicht nachdrücklich hingewiesen!

 

Was indes fraglos richtig, also historisch verbrieft ist, das ist diese bemerkenswerte Mutation Krupps, diese zwei Seelen ach in seiner Brust, um nicht zu sagen: seine Janusköpfigkeit! Auf der einen Seite gab er in seinem exquisiten Kaninchenbau mit großer Geste den Zampano. Auf der anderen Seite bekam er nüchtern die Zähne nicht auseinander. Hätte man nicht gewusst, welches Geld, welche Macht er besaß, man hätte ihn angesichts seines zurückhaltenden Auftretens im Essener Alltag für ein verschüchtertes Bürschchen halten können. Keinesfalls jedoch hätte man diesem in seiner Asthmaanfälligkeit eher gebrechlichen Hasenfuß, diesem untersetzten, kurzsichtigen Mann mit der spitzen abwärts weisenden Nase, dem geschwungenen Schnäuzer und der rosa durchscheinenden Haut zugetraut, ein derart riesiges Industrieimperium zu steuern. Was Friedrich Alfred unwillig zwar, aber, wie wir aus den historischen Quellen wissen, ausgesprochen souverän, gradezu mit links absolvierte. Und bei aller Zurückhaltung mit durchweg professioneller Contenance.

Eher aus preußisch staatsloyalem und familiärem Pflichtethos denn aus innerer Überzeugung heraus war Friedrich Alfred 1887 in die Fußstapfen des Vaters getreten und hatte als 33-Jähriger die Leitung des Konzerns übernommen. Doch erst der Tod des übermächtigen Vaters gab ihm die Chance, seine unbestreitbaren Managementfähigkeiten zur Entfaltung zu bringen.

Sein irdisches Elysium indes war und blieb Capri, jenes »vom Himmel gefallene Stück Erde«, wie er sich ausdrückte. Dort war die Firma weit weg und der hässliche, rauch- und rußgeschwängerte Herbstregen. Dort drehte er auf, schwor jedem Triebverzicht ab, schlug, umgeben von seinen Gespielen, über alle Stränge und Strenge und genoss es in vollen Zügen! »Wobei er die ganze Insel in Aufregung versetzt und huldvoll Brosamen aus dem Schatz seiner Millionen unter den Ärmsten der Armen verstreut«, schrieb die italienische Wochenzeitung Il Pungolo im Mai 1901.

Selbstredend wird niemand davon ausgehen wollen, dass Krupp sich bloß deshalb jedes Jahr einige Monate auf Capri aufhielt, damit er hier als mildtätiger Freund und Förderer des insularen Verkehrswegenetzes in die Geschichte eingehen würde. Zuvörderst war die Mittelmeerinsel für ihn, wie erwähnt, ein Rückzugsraum. War es für den Vater Alfred noch die Essener Villa Hügel mit ihren weitläufigen Garten- und Parkanlagen, wo er sich im »Comfort der kleinen Häuslichkeit« von den Strapazen des Fabrikantenalltags erholen und entspannen konnte, so musste Krupp junior schon allemal siebzehnhundert Kilometer zurücklegen, um der schwarzgrauen Kruppstahlwelt mitsamt der altautoritären Dynastie der verblichenen Patriarchen zu entkommen. Raus aus dem – bei allem Pomp und Luxus – öden Alltag eines Industriemagnaten samt Honigseimgesülze beim Kaiser und seiner Hofkamarilla, rein ins fließendweiche Reich des Ozeanischen, in azurblaue, unbegrenzte Welten.

In seiner Capreser Felshöhle bacchantischer Entgrenzung und Grenzenlosigkeit zu frönen, war praktisch seine einzige Möglichkeit, sich auszuleben. Die despotischen Anwandlungen indes, die hin und wieder seine Feierlaune durchkreuzten, hatte er offenbar von seinem Vater Alfred geerbt. Wiewohl dieser seine Selbstherrlichkeit keineswegs mit den weichen Zügen mediterraner Ausgelassenheit paarte. Im Gegenteil. Mit gnadenloser Zuchtmeisterstrenge malträtierte der alte Krupp Friedrich Alfred, sein einziges Kind. Er versuchte, den Sohn mit harter Hand einzunorden, und knebelte ihn umso drastischer, je deutlicher sich zeigte, dass der Sprössling aus der Art schlug, lieber Gedanken und Träume schaukeln ließ und den Fischen im Teich bei ihrem schlängelnden Spiel zusah, als sich den Anforderungen des kapitalistischen Alltags zu stellen. Schon als Kind war Friedrich Alfred eher in sich gekehrt, nachdenklich, verschlossen und prügelte sich nicht mit seinesgleichen. Und so war dieser dritte und letzte Krupp offenbar stets hin- und hergerissen zwischen seinen weichen, selbstverliebten Zügen und den Imperator-Attitüden des Vaters. Nicht Fleisch noch Fisch, weder gestrenger Unternehmer noch androgyner Menschenfreund, weder drakonischer Haudegen noch durchweg larmoyanter Schwächling. Jemand, der es verstand, einerseits den Kaiser und die tonangebenden Militärs scharfzumachen und so für seine Firma fürstliche Rüstungsaufträge an Land zu ziehen, der aber andererseits auf behagliche Geselligkeit bedacht war.

Im Eifer der aus dem Ruder gelaufenen Festivität war Krupp für seine Verhältnisse ordentlich in Fahrt gekommen. »Skandalknipser, der!«, brüllte er durch die heiligen Hallen seiner Grotte, »werft ihn raus, das ist keiner von uns. Ein eingeschleuster Schnüffler, der Kerl!! Raus mit ihm!« Und ohne dass die Jungs vermutlich auch nur die Hälfte von Krupps kurzer, aber munterer Philippika verstanden hätten, war sie trotzdem bestens geeignet, das wutbrodelnde Handgemenge erneut in Schwung zu bringen. Giovanni tat ein Übriges, indem er mit »Spia, spia!«- und »Traditore, che traditore!«-Ausrufen ein neues Kampfgebrüll anstimmte. Worauf die Reihen sich wieder schlossen und die Horde mit geballter Macht gegen mich vorrückte, als Krupp – entfesselt wie er war – den Tumult noch überbrüllte: »Da drüben, nehmt meine Angel, Leute, da müsste noch der Dreierhaken dran sein!«

Gesagt, getan. Froh, plötzlich und unerwartet – wie ich mit meiner Kamera – ebenfalls über eine Distanzwaffe zu verfügen, griffen die Kerls danach, und schon sirrte die Angelrute durch die Tabaknebel. Die Schnur schnarrte durch die Rolle, und fitsch – war mir der verdammte Haken in den Hals gefahren! Machst dir keinen Begriff, was für ein beißender Schmerz mir in die Glieder schoss. Und als ich nach dem Eindringling griff, spürte ich das Blut nur so hervorquellen. Mein »Ihr verdammten Schweine, ihr« ging völlig unter im »Bravo!«-Gebrüll der Capreser Liebeskadetten. All meine Bemühungen, den Dreizack so schnell wie möglich wieder loszuwerden, schlugen fehl. Im Gegenteil. Je mehr ich daran rupfte, zupfte, zerrte, desto tiefer trieb ich mir die Widerhaken unter die Haut. Saß verdammt gut, das Höllending.

»Hach, nicht!«, wimmerte der umfangreiche Allers, »wie das spritzt! Und spritzt. Ihr habt ihm ja den halben Hals aufgeschlitzt.«

Während ich mit unbeholfenen Fingern am Angelhaken rumfriemelte, hielt meine andre Hand krampfhaft die Kamera umschlungen, als wolle sie sich mitsamt meinem verbleibenden Schicksal an diesen bleischweren Strohhalm klammern. Da fiel mir plötzlich ein, dass ich ja noch eine weitere Blitzlichtlampe startklar gemacht, aber noch nicht zum Einsatz gebracht hatte. Und eh die naiven Fischerburschen wussten, wie ihnen geschah, hatte sich ein Schuss aus meiner Kamera gelöst. Das, was da knallte, war natürlich nichts als das harmlose Gemisch aus Kaliumchlorat, Schwefelantimon und Magnesiumpulver, und das, was ihnen da entgegenschlug, nichts als das grellhelle Licht seiner Entzündung. Trotzdem, der Schreck saß und ließ sie verdattert zurückweichen. So bescherte mir dieses ziellos in die Gegend geschossene Foto die Möglichkeit, mich etwas weniger hektisch dem Haken in meinem Hals zu widmen.

Doch die Atempause war nicht von langer Dauer. Von irgendwoher wehte ein entsetzt gehauchtes »Per amor di Dio!« rüber. Und noch während der Rauch des Blitzlichts zur Decke – senkrecht natürlich – emporstieg, um sich da oben mit dem Tabakrauch zusammenzutun und in Form ausschweifender Schwaden die Grotte zu durchwabern, ging Giovannis Raunen in einen gurgelnd erstickten Schrei über, der mir und, wie’s aussah, nicht nur mir einen Schauder über den Rücken jagte.

Genialer Handstreich! Während ich an der Angel zappelte, trug sich Krupps Capreser Lover – zack – mit einem Messer rum, das ihm bis zum Schaft im Brustkorb saß. Wahrhaftig kein schlecht gewählter Zeitpunkt für eine meuchelmörderische Attacke, muss man neidlos anerkennen. Als es in der Grotte brodelte wie im Suppentopf des Satans, stemmte jemand dem quirligen Italiener einen Schlitz zwischen die Rippen! Und zwar ohne dass es irgendwer aus der illustren Gesellschaft mitbekommen hätte. Dass indes nicht Giovanni selbst als Ausführungsorgan in Frage kam, stand außer Zweifel. Hätte es doch in krassem Widerspruch gestanden zu seiner lebenslustigen Art einerseits und zum Verlauf des Abends andererseits. Denn wie ich dir erzählt hab, hatte er ja just einen Triumph nach dem andern gefeiert und sich in der Gunst des reichen Gönners aus Germania endlich auf Platz eins gespielt.

Ich jedenfalls war einstweilen aus dem Kreuzfeuer! Hatten sich die Burschen grade noch in stämmigem Muskelspiel ergangen, so heulten sie jetzt wild durcheinander: »Giovanni, Giovanni«, »Dio mio!« Wie Schuljungs ließen sie den Tränen freien Lauf. Und selbst die teutsche Stimmungskanone war endgültig zur Jammergestalt verkümmert. »Donnerkeil, sieht gar nicht gut aus! Was ist denn bloß los heute?«, wimmerte er und wand und krümmte seinen ausladenden Leib, als würde er von grimmigsten Koliken gepeinigt. Der Erste, der die Fassung wiedergewann, war, wer hätte das gedacht, Capitano Krupp.

»Raus!«, raunte er, »bringt ihn möglichst weit weg, irgendwo in die Macchia. Dass man ihn nicht mit meiner Grotte in Verbindung bringt.«

Die Jungs schienen ihren Zeremonienmeister einigermaßen verstanden zu haben, schleiften die Leiche des tragisch verblichenen Giovanni unter jaulendem Wehklagen Richtung Höhlenausgang, wo sie der wohl kräftigste Bursche zwar schwungvoll auf die Schulter hievte, dann aber wie eine Salzsäule stehn blieb, ohne einen Schritt in die laue Nacht zu tun. Denn vor ihm stand ich wie eine – vielleicht etwas wankende – Eiche und rief, während ich nach wie vor mit dem Haken in meinem Hals beschäftigt war, mit schmerzverzerrter Stimme: »Krupp, Sie müssen wen zur Polizei schicken. Das ist Mord! Hier können Sie jetzt mal ausnahmsweise nicht einfach zur Tagesordnung übergehn!«

Was immerhin mit einem vereinzelten »Carabinieri«-Ruf aus den Reihen der Amore-Brüder bedacht wurde, von Seiten Krupps aber mit der entsprechend unwirsch vorgetragenen Warnung: »Dass mir keiner was nach außen dringen lässt!! Kein Wort. Kein Sterbenswörtchen. Sonst seid ihr alle dran! Und die Grotte ist dicht, für ewig und alle Zeiten.«

»Verdammt noch mal, einer hier ist ein Mörder!«, ging ich noch mal dazwischen. Was mir aber womöglich nicht mit dem nötigen Nachdruck über die Lippen kam. Denn in diesem Augenblick war es mir endlich gelungen, Krupps Angelhaken aus meinem Hals zu porkeln.

»Sie unterliegen in der Aufregung einer Sinnestäuschung, Herr Fotograf«, konterte Krupp kühl.

Auch die Krokodilstränen der Caprikerle versiegten recht zügig. Und selbst der ach so sensible Dicke wusste mit weichen Worten abzuwiegeln: »Ist zwar unschön, wirklich hässlich, das hier, aber was muss, das muss.« Dann, von einer plötzlichen Eingebung getragen, bewegte er seinen üppigen Körper Richtung Ausgang, wo der Kerl mit der Leiche auf den Schultern – flankiert inzwischen von zwei, drei Kumpanen – immer noch unschlüssig rumstand. »Vielleicht könnt ihr ihn ja zu einem von euern zahllosen Wegkreuzen bringen!«, begeisterte sich der Fettberg, »das wär doch noch angemessen, angemessen wär das, wenn er da sitzen würde. Unterm Kreuz und schön weit weg, weit weg von hier.«

Der zerfahrene Trauerzug kam wieder in Bewegung, während ich eilends mit meinem Fotoapparat draußen vorm Höhleneingang Stellung bezog. Ohne dass ich wirklich gewusst hätte, wofür ich das Foto jemals würde verwenden können, war ich fest entschlossen, diesen Leichenzug aus der Grotte raus in die wunderbar sommerliche Septembernacht auf Platte zu bannen, hantierte also wie ein Blöder an meinen Gerätschaften herum, versuchte, das Stativ auf seine ewig ungleichen Giraffenbeine zu stellen, mehr oder weniger gleichzeitig eine neue Fotoplatte einzuschieben und ein weiteres Magnesiumlicht klarzukriegen, als – als ich plötzlich – ja, halt dich fest! – als ganz langsam, aber ganz sicher unter meinen Füßen der Boden in Bewegung geriet. Zur Hölle mit diesem klapprigen Stativ – das, das – verdammt – die Füße, butterweich, da war absolut nichts mehr – nichts mehr ...

Während sich das Entsorgungskomitee auf den Weg machte, seinen unrühmlichen Auftrag hinter sich zu bringen, war ich so richtig ins Straucheln gekommen, noch bevor ich das Leichenzugfoto hatte schießen können. Ohne dass irgendjemand davon Notiz genommen hätte – die wein- und rührselige Männergesellschaft war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt –, bröselte unter meinen fahrig scharrenden Füßen die knochentrockne Erde weg wie Paniermehl. Und dann paddelten meine Beine auch schon durch die Luft.

 

Genau in dem Moment, wo ich mit dem Kameraklotz die Klippen runter, da bin ich, als hätt’s nichts Wichtigers gegeben in dem Augenblick, wo’s abging nach unten, bin ich mit dem Blick hängen geblieben an dieser Inschrift vorm Höhleneingang: »Parva domus, magna quies« – Ich weiß nicht, kannst du Latein? – »Klein das Haus, groß die Ruhe.« Ich tat einen mörderischen Schrei und sah im Sturz noch, wie sich allmählich ein feistes Teutonengesicht über die Abrisskante schob und mit bestürzter Miene meinen Abgang verfolgte. Nützte mir zwar auch nichts mehr, aber immerhin. Wenigstens einer befand meinen Abschied von dieser Welt eines Blickes würdig.

Da wir die Überlieferung Großvater Fahrenhorsts, wie vereinbart, für bare Münze nehmen wollen, dürfen wir davon ausgehen, dass der Maler Allers die Klippen hinabsinnierend gemurmelt haben mag, wie schade es doch um die wunderbare Anmut dieses Künstlerkörpers sei, der sich da gerade anschicke, knapp vor Sonnenaufgang die Steilküste Capris im Sturzflug hinter sich zu lassen. Während asthma-attackiert Friedrich Alfred Krupp hinzugetreten sein mag, in einem fort seinen Schnauzbart zwirbelnd: Wo denn eigentlich der Knipser geblieben sei, ob der sich etwa aus dem Staub gemacht habe. Worauf Allers, ohne wirklich zu antworten, wohl wieder ins Schwärmen geriet und ihm der überquellende Geifer in die Mundwinkel trat. Was hätte er darum gegeben, dieses wunderbar weiche, vor Schreck geradezu ins Konturlose verschwimmende Gesicht zu zeichnen, die Ästhetik dieses Moments ungeschminkter Panik zwischen Bleistift und Papier zu nehmen, auf dass sie den Tod überdauere, den Tod!

Wiewohl der Besungene selbst auf seiner holprigen Reise abwärts von dieser speicheltriefenden Laudatio, versteht sich, kein Sterbenswörtchen mitbekommen haben kann. Ein Produkt nachgeschalteten Zusammenreimens also.