Die skurrile Verwandtschaft des Friedrich K.

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Arbeitsaufnahme

„Dein Opa hat voll den Schuss weg“, sagte Johannes lachend, als Friedrich ihm vom Vorabend erzählte. „Wärst mal besser mitgekommen. Ich war im Fitnessstudio und habe ordentlich was weggedrückt.“ Sie saßen im Büro und schoben Akten von links nach rechts. Die Firma hatte die Arbeit wieder aufgenommen, allerdings herrschte nicht gerade eine euphorische Arbeitsstimmung.

Friedrich gähnte: Er war müde und genervt. „Dorfler schien mir komisch zu sein, aber ich denke, das war es dann auch. Halt Polizei“, sagte er.

Es klopfte an der Tür, dann schwang sie unmittelbar auf: Nauz betrat das Büro, gefolgt von Kommissar Dorfler: „Guten Morgen“, sagte Dorfler höflich. Er stellte sich neben den Türrahmen. Zwei Streifenbeamten betraten das Büro und machten sich daran, es zu durchsuchen.

„Was soll das?“, fragte Johannes. Friedrich war sprachlos: Warum wurde ihr Büro durchsucht?

„Meine Herren, alles reine Routine“, sagte Dorfler. Nauz starrte auf den Boden. Friedrich fiel auf, dass sein Chef trotz des kühlen Wetters draußen schwitzte. Dorfler transpirierte sowieso.

Einer der Beamten wandte sich an Friedrich: „Darf ich mal bitte?“, fragte er. Friedrich stand auf und stellte sich neben den Schreibtisch. Der Beamte setzte sich auf den Stuhl und begann, die Schreibtischschubladen durchzusehen.

„Herr Kommissar, möchten Sie sich das mal ansehen?“, fragte er schließlich. Dorfler ging zu ihm.

„Hier“, sagte der Beamte und wies auf etwas in der Schublade, was Friedrich nicht erkennen konnte.

„Interessant“, sagte Dorfler und griff in die Schublade. Er brachte einen einzelnen grünen Umschlag zutage und hielt ihn hoch: „Sieht aus wie jener Umschlag, den wir bei dem Bilderrahmen gefunden haben.“

Friedrich wurde schwindelig.

„Herr Kammers, was sagen Sie dazu?“, fragte Dorfler.

„Ich... Das... Ich weiß nicht, das ist nicht von mir.“

„Das ist Ihr Schreibtisch?“

„Ja, aber...“

„Und Sie arbeiten seit wann genau hier?“

„Seit zwei Monaten ungefähr.“

„Teilen Sie sich den Schreibtisch mit jemandem?“

„Nein.“

Dorfler reichte den Umschlag dem Beamten. Dabei sagte er förmlich zu Friedrich: „Ich würde Sie bitten, uns aufs Revier zu begleiten. Ich denke, es haben sich ein paar Fragen ergeben, die wir in Ruhe besprechen sollten.“

Verhör

Friedrich saß im Verhörraum und wartete auf die Polizei. Der Raum bestand aus tristen, grauen Wänden, einem Tisch, der am Boden festgeschraubt war und vier Stühlen.

Friedrichs Gedanken rasten, sein Hirn versuchte, alle Informationen zu fassen und in eine schlüssige Reihenfolge zu bringen. Bisher leider ohne Erfolg. Er kam immer wieder bei Opa Bernd raus, der ihn vor Dorfler gewarnt hatte. Die Geschichte mit dem Überfall an der U-Bahn war gelogen, da war sich Friedrich inzwischen sicher. Es gab eine Verbindung zwischen beiden Männern und es sah fast so aus, als würde diese alte Geschichte gerade dazu führen, dass Dorfler ihn, Friedrich, versuchte hinter Gitter zu bringen.

Die Tür öffnete sich. Ein elegant gekleideter Mann betrat den Raum.

„Guten Tag“, sagte er freundlich. „Mein Name ist Schmidt. Ich bin Ihr Anwalt.“ Friedrich war noch verwirrter: „Ein Anwalt? Ich brauche keinen Anwalt, ich habe nichts getan. Und ich habe Sie nicht angerufen.“

Schmidt lächelte mild. Er war Mitte fünfzig und offensichtlich sehr erfahren: „Ihr Großvater hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass Sie Unterstützung benötigen. Glauben Sie mir: Sie sollten sie annehmen.“

Die Tür öffnete sich erneut und Dorfler betrat mit seinem Kollegen Gerard den Raum.

„Nachdem wir alle eingetroffen sind, können wir ja beginnen“, sagte Dorfler. Alle nahmen Platz.

„Also, Herr Kammers. Ich stelle fest, dass wir in Ihrem Büro einen Umschlag gefunden haben, der dem entspricht, den der Täter am Tatort zurückgelassen hat. Wir haben inzwischen die gesamte Firma durchsucht: Es gibt dort sonst keinen einzigen Umschlag dieser Art! Nur den, der in IHREM Schreibtisch lag.“

„Ich...“, setzte Friedrich an, aber Schmidt unterbrach ihn: „Mein Mandant hat bereits klargestellt, dass er den Umschlag vorher nicht gesehen hat.“

„Es ist sein Schreibtisch.“

Schmidt lächelte: „Es ist der Schreibtisch der Firma, für die er arbeitet. Der Schreibtisch steht in der Firma in einem Büro, das nicht abgeschlossen ist und zu dem mein Mandant keinen Schlüssel besitzt.“

Friedrich war erstaunt, was sein Anwalt alles wusste, aber er hatte Recht: Die Firma wollte den Praktikanten möglichst nachhaltig vermitteln, dass sie nichts zu melden hatten. Daher das schäbige Büro, in dem man noch nicht mal etwas Persönliches liegen lassen konnte, da man die Tür nicht abschließen konnte.

„Dadurch“, fuhr Schmidt fort, „hätte jeder den Umschlag in besagtem Schreibtisch der Firma deponieren können, an dem nun mal zufällig mein Mandant seine Arbeit erledigt. Übrigens sehr zuverlässig, wie ich hervorheben möchte.“

Dorfler wurde rot vor Wut.

„Sie wissen so gut wie ich, dass der Umschlag vor Gericht absolut nichts wert ist“, schloss Schmidt ab.

„Ihr Mandant hat ein Motiv!“, presste Dorfler hervor.

„Ja? Welches denn? Ich bin sehr intelligent, aber ich konnte leider keines erkennen.“

Dorfler setzte ein triumphierendes Grinsen auf: „Friedrich Kammers hasst die Firma. Er ist nur ein Praktikant, der ausgenutzt wird. Das hat ihn so aufgeregt, dass er beschlossen hat, der Firma eins auszuwischen und den Diebstahl zu organisieren.“

„Jetzt ist er also nicht nur der Tipp-Geber, sondern auch der Kopf hinter einem gut geplanten Kunstdiebstahl? Das hört sich in meinen Ohren nicht nur ein bisschen weit hergeholt an. Da bin ich aber sonst besseres von Ihnen gewohnt, Herr Dorfler.“

Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis Herr Schmidt und Friedrich Kammers das Revier verlassen durften.

„Danke“, sagte Friedrich.

„Das ist mein Job“, winkte Schmidt ab. „Aber Sie müssen aufpassen: Dorfler hat es sich in den Kopf gesetzt, dass Sie der Dieb sind. Er wird weiter suchen. Wenn Sie den Umschlag nicht im Schreibtisch deponiert haben, war es jemand anderes. Es versucht Ihnen also entweder jemand etwas anzuhängen oder Sie sind das Opfer eines großen Zufalls. Überlegen Sie, was realistischer ist.“

Friedrich brummte der Schädel.

„Auf jeden Fall“, fuhr Schmidt fort, „sollten Sie mit Ihrem Großvater sprechen.“ Er zeigte die Straße entlang. „Ich habe dort drüben geparkt. Ich habe mit Ihrem Großvater vereinbart, dass ich Sie zu ihm fahre, wenn ich die kleine...Unstimmigkeit...beseitigt habe.“

Friedrich nickte und folgte Schmidt.

Opa Bernd

Friedrich setzte sich an den Küchentisch in Opa Bernds Haus. Schmidt hatte ihn abgesetzt und war weitergefahren.

„Kaffee?“, fragte Bernd. Er hantierte bereits an der Maschine herum.

„Ja“, antwortete Friedrich. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Können Sie mir erklären, was hier los ist?“

„Die Polizei geht davon aus, dass Sie an dem Diebstahl auf der Ausstellung beteiligt waren. Ich denke, das haben die Ihnen gesagt.“

„Ja“, sagte Friedrich genervt. „Haben sie. Aber ich verstehe nicht warum. Weil ein Briefumschlag in meinem Schreibtisch lag? Den kann jeder da reingelegt haben.“ Er ließ sich entnervt nach hinten sinken. „Danke aber, dass Sie mir den Anwalt geschickt haben. Warum wussten Sie überhaupt, dass ich einen brauche?“

Bernd setzte sich Friedrich gegenüber und schob ihm eine der zwei Kaffeetassen rüber, die er in der Hand hielt.

„Das ist kompliziert. Sagen wir, ich habe befürchtet, dass sowas passieren könnte und Sie deswegen im Auge behalten.“

„Sie? Sie haben mich im Auge behalten?“ Friedrich lachte schrill. „Sie haben mich aus diesem Haus geworfen! Ich muss Sie siezen und Sie wollen auf mich aufgepasst haben?“

„Ich habe dich auch gewarnt. Vielleicht sollten wir das mit dem SIE aber auch lassen. Wäre das für dich in Ordnung?“

Friedrich nickte: „Sehr gerne. Aber ich will trotzdem wissen, was hier los ist. Warum hast du befürchtet, dass sowas passieren könnte?“

Opa Bernd leckte sich über die Oberlippe: „Weil Dorfler die Untersuchung leitet.“

Friedrich schob die Tasse ein Stück von sich: „Was ist das mit dir und Dorfler?“

„Was soll da sein?“

„Du kennst ihn.“

„Stimmt.“

„Woher?“

Opa Bernd trommelte mit den Fingerspitzen seiner Zeigefinger auf der Tischplatte herum. Dann schnaufte er: „Gut, ich denke, angesichts der Umstände muss ich dir ein paar Informationen zukommen lassen. Es ist aber wohl klar, dass du die für dich behalten solltest. Schon in deinem eigenen Interesse. Auch diesem Johannes sagst du nichts, klar?“

Friedrich starrte seinen Großvater einfach nur an.

„Also gut“, sagte Bernd. „Hat deine Mutter dir gesagt, was mein Job war?“

„Nein. Nur, dass du dauernd unterwegs warst und dich deswegen nie um sie und ihre Mutter gekümmert hast. Sie hat keine hohe Meinung von dir.“

„Das ist hart“, sagte Bernd sarkastisch. „Ich habe mich gekümmert. Aber meine Art des...Broterwerbs...war...speziell.“

„Was willst du damit sagen?“

„Ich habe als Kunsthändler gearbeitet.“

„Kunsthändler?“

„Ja. Freiberuflich. Dabei habe ich viele Gemälde, Skulpturen und so einen Mist verkauft. Du bekommst dann auch manchmal Dinge angeboten, wo die...Herkunft...nicht ganz nachzuvollziehen ist.“ Opa Bernd schwieg und starrte seinen Enkel an.

 

„Du hast geklauten Scheiß verkauft?“, fragte Friedrich fassungslos.

„Nein“, sagte Bernd. „Ich habe Kontakte vermittelt. Zwischen Händler 1 und Händler 2.“

„Du bist ein Verbrecher?“

„Ich stand niemals vor Gericht oder bin verhaftet worden. Allerdings stand öfters mal die Polizei auf der Matte und es war ein- oder zweimal etwas eng.“

„Was hat Dorfler damit zu tun?“

„Naja“, sagte Bernd gedehnt. „Er kennt natürlich meinen Namen. Hat versucht, mich zu kriegen. Ohne Erfolg, wie du siehst.“

Friedrich packte sich an den Kopf: „Dann ist er wegen dir hinter mir her?“

„Ich denke, er meint, dass ich hinter dem Plan stecke, das Bild zu klauen. Du hattest die Informationen und ich habe noch immer so viele Kontakte, dass ich so ein Ding innerhalb von 24 Stunden auf die Beine stellen könnte.“ Bernd lächelte: Er war schon etwas stolz auf seine Arbeitsleistung.

„SCHEIßE!“, brüllte Friedrich. „Ich habe doch nichts mit dir zu tun! Du bist ein alter Sack, den ich jetzt dreimal in meinem Leben gesehen habe!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch: „DU machst MIR mein LEBEN KAPUTT!“

Bernd zog die Augenbrauen zusammen: „Nein, das tue ich nicht. Ich habe nämlich nichts gemacht. Und die Polizei kann dir im Moment auch nichts. Ganz davon abgesehen finde ich es sehr unhöflich, mich so zu beschimpfen.“

„Die Polizei kann nichts machen? Das weißt du doch gar nicht!“

„Doch“, entgegnete Bernd, stand auf und verließ den Raum.

„Wo willst du hin?“, rief Friedrich und wollte ihm gerade nachstürmen, als sein Opa wieder in die Küche zurückkam.

„Als Erstes“, sagte Bernd ernst, „solltest du dein Temperament mal wieder unter Kontrolle kriegen. Ich bin nicht das Problem, sondern ein Kerl, der dir und mir versucht was anzuhängen. Wir stecken nämlich beide in der Scheiße.“ Friedrich biss sich auf die Zunge.

„So. Zweitens habe ich...Kontakte... Die haben auch Kontakte... Und deswegen habe ich alle Ermittlungsberichte.“

Er warf die Akte auf den Tisch, die er aus dem Altersheim mitgebracht hatte. „Da steht alles drin. Im Grunde wissen die nichts. Der Umschlag heute war der erste richtige Hinweis - der nichts wert war.“

Friedrich setzte sich an den Tisch und starrte auf die Akte: „Wo hast du die her?“

„Habe ich doch gesagt: Kontakte.“

„Was bist du: Ein Verbrecher-Genie?“

Bernd schüttelte den Kopf: „Ich habe zunächst ganz legal angefangen. Aber die Geschäfte liefen schlecht und dann wurde deine Oma schwanger. Deine Mutter war unterwegs. Ich brauchte Geld. Also habe ich angefangen, geklautes Zeug zu verkaufen. Nur ein bisschen. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass ich damit mehr Geld machen kann als auf legalem Weg. Ich musste eine Familie versorgen...“ Er setzte sich ebenfalls und schlug die Akte auf: „Der härteste Hinweis sind die grünen Umschläge.“ Er zeigte auf ein Foto, das einen grünen Umschlag in einem Bilderrahmen zeigte.

„Was war da drinnen?“, fragte Friedrich.

Bernd machte einen skeptischen Gesichtsausdruck: „Ich weiß nicht, ob es taktisch klug ist, wenn du das weißt“, sagte er.

„Warum? Das geht mich ja wohl was an!“, sagte Friedrich und wurde wieder lauter.

„Ganz ruhig. Ich habe kein Problem damit, wenn du es weißt. Aber die Polizei hat diese Information zurückgehalten. Es kann sein, dass sie dir irgendeine Falle stellen wollen. So in der Art: Woher wissen Sie das denn, das haben wir doch niemanden gesagt...“

Friedrich nickte: Das klang logisch. Leider.

„Allerdings habe ich bereits eine Lösung gefunden, wie wir das Problem lösen können“, sagte Bernd grinsend. „Ich habe ja...Kontakte... Und die gehen auch bis zur örtlichen Presse. Ich habe die Information gestreut, was in dem Umschlag war. Die Zeitung wird den Bericht morgen bringen, dann wissen es alle.“

„Dann kannst du es mir ja auch jetzt sagen, oder?“

„Kann ich“, stimmte Bernd zu. „Allerdings verstehe ich noch nicht ganz, was der Inhalt zu bedeuten hat.“

„Jetzt mach es nicht so spannend.“

Bernd blätterte weiter und zeigte auf ein Foto: „Es war ein Foto von dem Bild darin.“

Friedrich verzog das Gesicht: „Ich hätte jetzt aber mit etwas mehr gerechnet. Das ist doch...Was soll das denn sein?“

„Das ist eine Spur“, sagte Bernd. „Sieh dir das Bild genau an. Was siehst du da unten?“

Friedrich kniff die Augen zusammen: „Ein Stück Holz?“

„Das ist eine Staffelei“ sagte er ernst. „Das Foto wurde aufgenommen, kurz nachdem das Bild im Atelier fertiggestellt wurde. Das bedeutet, der Dieb hat die Sache schon lange geplant und er hatte Zugang zum Atelier.“

Friedrich zog sich nun doch seine Tasse Kaffee heran und nahm einen tiefen Schluck von dem abgerauchten Getränk: „Und“, fragte er anschließend, „was ist die Spur dahinter?“

„Wir müssen herausfinden, wie es der Dieb geschafft hat, dieses Foto zu machen. Vielleicht wird das Atelier videoüberwacht oder so.“

„Wir? Wir müssen das HERAUSFINDEN?“ Friedrich schüttelte energisch den Kopf. „Wir sind doch nicht von der Polizei. Ehrlich gesagt möchte ich mit der ganzen Sache so wenig zu tun haben, wie es nur irgendwie geht.“

Bernd wirkte verärgert: „Du kannst dich gerne auf die Polizei verlassen. Aber die halten dich für den Dieb und werden nur neue Spuren suchen, die dich belasten. Der Typ, der das Ganze geplant hat, hat dir belastende Materialien untergeschoben.“

„Materialien? Mehrzahl?“

„Bis jetzt wissen wir nur von einer Sache. Aber ich denke, er hat schon gemerkt, dass sein Plan nicht aufgegangen ist. Warum sollte er dich jetzt vom Hacken lassen? Die Polizei hält dich für den Dieb.“

„Aber das ist doch idiotisch! Ich habe damit nichts zu tun!“

„Das ist egal. Ich würde jede Wette eingehen, der Kerl versucht, neue Beweise zu fingieren. Von daher...“

Friedrich sackte in sich zusammen: „Das ist doch unfair“, sagte er leise. „Ich wollte doch nur arbeiten und so.“

Bernd schaute seinen Enkel an. Er überlegte: Was sollte er tun? Ihm die Hand auf die Schulter legen? Er war nicht so gut in solchen Dingen. Er konnte planen, wie man etwas Geklautes durch die halbe Welt schmuggelte und dann verkaufte, aber diese Enkel-Opa-Kiste hier?

„Das wird schon“, sagte er leicht verkrampft. „Die hatten schon mehr gegen mich in der Hand und es hat nicht geklappt. Also: Wir sollten absprechen, was wir als Nächstes machen.“

Der Abend

Dorfler drückte auf den Schlüssel seines Wagens und der Volkswagen blinkte auf um anzuzeigen, dass er nun geöffnet war. Dorfler öffnete die Fahrertür und wuchtete seinen massigen Körper auf den Sitz. Nachdem er den Motor gestartet hatte, drückte er auf einen Knopf, um die Klimaanlage einzuschalten: „Scheiße“, schimpfte er. Ihm war dauernd warm.

Die Beifahrertür wurde geöffnet.

„Hey, was soll die Scheiße?“, schimpfte Dorfler. Ein Mann in maßgeschneidertem Anzug setzte sich auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. „Fahren Sie los, Dorfler!“, befahl er.

„Einen Scheiß werde ich. Verpissen Sie sich aus meinem Wagen oder ich stecke Sie in den Knast!“ Dorfler musterte den Mann: Der Wagen stand in der Tiefgarage des Polizeireviers. Wie kam dieses Arschloch hier herein? Er kannte den Kerl nicht - der ihn aber offensichtlich schon. Eine Tatsache, die Dorfler als sehr bedenklich empfand.

„Wenn Sie mich anpacken, stecke ich Sie ganz woanders hin.“ Der Mann griff in seine Manteltasche. Dorfler zuckte zusammen: Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an.

„Ganz ruhig“, stellte der Mann klar und hielt ihm einen Ausweis unter die Nase, allerdings nicht lang genug, um den Namen lesen zu können. Dann steckte er ihn wieder ein.

„Jetzt fahren Sie schon“, wiederholte der Mann seine ursprüngliche Forderung. Dorfler legte den Rückwärtsgang ein und fuhr vorsichtig nach hinten.

„Was wollen Sie von mir?“, fragte er.

„Gleich. Fahren wir erstmal ein bisschen Spazieren.“

„Ich will nicht blöde durch die Gegend fahren!“, maulte Dorfler.

„Egal was Sie tun: Blöde machen Sie es sowieso. Also können Sie auch fahren.“

Dorfler stand der Mund offen: Das war doch ungeheuerlich! Er erreichte die Ausfahrt und fuhr eine steile Rampe hoch. Der Wagen passierte eine Lichtschranke und das Tor glitt nach oben.

Dorfler fädelte in den Verkehr ein: „Wohin?“, fragte er.

„Mir egal.“

Dorfler schwamm im Verkehr mit. Es dauerte eine Weile, dann sagte der Mann: „Ich bin hier, um Ihnen eine Botschaft zu überbringen.“

Wie dramatisch!

„Wir möchten, dass Sie Ihre Ermittlungen gegen Bernd und Friedrich Kammers einstellen.“

„Ich soll was?“ Dorfler hätte fast den Wagen verrissen, als er den Mann entgeistert anstarrte.

„Schauen Sie nach vorne.“

Dorfler versuchte sich wieder auf den Verkehr zu konzentrieren: „Was geht es Sie an, gegen wen ich ermittle?“

„Egal wie die Aktenlage ist: Kammers ist unschuldig.“

Dorflers Denkapparat lief auf Hochtouren: Warum schützten die ihn? Was hatten sie für ein Interesse an einem alten kriminellen Rentner und seinem Enkel?

„Ich kann die Ermittlungen nicht stoppen, selbst wenn ich es wollen würde - was ich nicht will. Die Beweise sprechen gegen Kammers.“

„Sie wissen genau, wie man eine Ermittlung verschleppt. Ob beabsichtigt oder nicht - Sie haben in der Vergangenheit schon oft genug eine Ermittlung so geführt, dass sie versandet ist. Nutzen Sie dieses Talent.“

Dorfler kochte: „Sie sind ein scheiß beleidigender Mistkerl!“

Der Mann starrte aus dem Fenster: „Es ist lustig, wenn sich jemand über schlechtes Benehmen beschwert und dabei mehr Schimpfwörter benutzt als ein Obdachloser unter einer Brücke im Vollsuff.“

Dorfler atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder aus seiner Lunge entweichen.

„Lassen Sie mich hier raus.“

Dorfler schaute zur Seite: Sie befanden sich mitten auf der Aachener Straße.

„Hier?“, fragte er. „Sicher?“

„Hätte ich Sie sonst darum gebeten?“

Dorfler schaltete das Warnblinklicht ein und brachte den Wagen langsam zum Stehen. Ein Auto hinter ihm hupte.

„Fahr doch vorbei!“, schimpfte Dorfler und gestikulierte mit den Armen. Der Wagen fuhr an ihm vorbei. Der junge Mann am Steuer zeigte Dorfler den Mittelfinger.

„Wichser“, nuschelte Dorfler.

„Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Kammers in Ruhe lassen. Wenn Sie sich an meine Anweisungen nicht halten, komme ich wieder. Aber dann bitte ich nicht mehr so freundlich darum.“ Er stieg aus. Hinter Dorflers Wagen hielt ein schwarzer Mercedes. Der Mann stieg auf der Beifahrerseite ein und der Wagen fuhr sofort wieder an. Als der Wagen an Dorfler vorbeifuhr, versuchte dieser etwas zu erkennen: Ohne Erfolg. Die Scheiben waren verspiegelt.

„Oh Mann“, stöhnte Dorfler und schloss die Augen. „Was soll das denn alles bedeuten?“ Er kratzte sich am Kopf: Warum bedrohte ihn der Nachrichtendienst, nur um diesen Penner zu schützen?

***

„Wir hätte die Bahn nehmen sollen“, nörgelte Bernd, während Friedrich und er sich langsam durch den dichten Verkehr schoben. „Das wäre sehr viel schneller gegangen.“

„Wir wissen doch gar nicht, was auf uns zukommt, wenn ich das richtig verstanden habe. Da sollte man flexibel sein.“

Sie hatten einen Schlachtplan erstellt, dann war Friedrich mit der Bahn nach Hause gefahren, hatte seinen Wagen geholt und war wieder zu seinem Opa gefahren.

„Sehr flexibel.“ Bernd starrte auf das Meer der Bremslichter vor ihnen. „Ich fahre immer mit der Bahn!“

„Ja, und jetzt mit dem Auto! Wenn es dir nicht passt, kannst du aussteigen und zu Fuß laufen.“

„Ich habe schonbmal gesagt, du sollst nicht so frech sein. Ansonsten war es das mit dem DU.“

„Mir egal.“

„So, das war es: Wir siezen uns wieder. Bitte, machen Sie doch die Heizung etwas wärmer.“

Friedrich warf seinem Opa einen genervten Blick zu, dann drehte er an einem Regler: „Das mache ich doch gerne für DICH.“

„Für SIE.“

„Das ist doch lächerlich. Ich werde dich duzen.

„Ich werde Sie siezen. Ich lasse mir das DU doch nicht aufzwängen.“

Friedrich schaltete das Radio ein und drehte die Musik laut.

„Es ist mir egal, wenn Sie die Musik so laut machen“, sagte Bernd. Er fummelte an seinem Ohr: „Ich mache jetzt mein Hörgerät aus. Für mich ist dieser Krach dann normale Lautstärke. Sie aber haben spätestens in zehn Minuten Kopfschmerzen und bei dem Verkehr brauchen wir bestimmt noch eine Stunde.“

 

Friedrich drehte die Musik ein Stückchen lauter.

Eine Stunde später hatten sie ihr Ziel erreicht. Friedrich schaltete den Motor ab. Es wurde ruhig im Wagen: „Sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte er.

Bernd fragte: „Was?“

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“

„Was?“ Bernd fummelte an seinem Ohr: „Was?“

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“ Friedrich bemühte sich, ruhig zu bleiben.

„Ja, wir sind richtig. Gleich kommt, mein Kontakt. Wir müssen kurz warten.“ Bernd zog eine Taschenuhr aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf: „Gleich zehn Uhr. Er ist immer pünktlich.“

„Du trägst eine Taschenuhr?“, fragte Friedrich belustigt.

„Was dagegen?“

„Nein.“

„Der kann wenigstens nicht der Saft ausgehen.“

Friedrich schaute aus dem Fenster: Sie standen in einer ruhigen Straße. Die Häuser waren groß, die Grundstücke meistens von hohen Zäunen oder Mauern umgeben.

Ein Transporter fuhr in die Straße und parkte hinter Friedrichs Wagen.

„Na also“, sagte Bernd zufrieden und öffnete die Beifahrertür. Friedrich folgte ihm.

Der Transporter wirkte, als wäre er direkt von einer Baustelle hierher gefahren. Dreckig und verbeult wirkte er eher wie ein großer Haufen Schrott und nicht wie ein fahrbarer Untersatz.

Bernd ging am Wagen vorbei und klopfte hinten an die Wagentür: „Hallo?“, rief er. Die Tür öffnete sich. Bernd kletterte in den Wagen. Das Ganze wirkte etwas unsicher, aber der Mann war ja auch schon verdammt alt. Friedrich blieb unsicher stehen: Sollte er auch in den Wagen klettern? Er wirkte nicht gerade vertrauenserweckend. Bernds Kopf erschien in der Wagentür: „Brauchen Sie eine Extraeinladung?“

Friedrich schüttelte den Kopf und kletterte ebenfalls in den Wagen. In seinem Inneren brannte kein Licht. Schwaches Licht fiel von der Straße auf den Boden.

„Mach die Tür zu“, zischte eine Stimme. Friedrich gehorchte und schloss die Tür. Kurz darauf flammte Licht auf.

Das Innere des Vans war mit Technik vollgestopft. „Ach du Scheiße“, entfuhr es Friedrich. „Was ist das denn?“

Vor einem riesigen Bildschirm saß ein Mann, der noch älter als Opa Bernd war. Er drückte auf verschiedenen Tasten und Knöpfen herum und der Bildschirm vor ihm schaltete sich ein.

„Hallo Gustav“, sagte Bernd und gab dem Alten die Hand. „Das ist mein Enkel. Was macht die Pumpe?“

„Der geht es besser als dem Rest, bei den ganzen Ersatzteilen, die die inzwischen verbaut haben. Warum machst du so einen Stress?“

Bernd wurde ernst: „Ich würde dich nicht so hetzen, wenn es nicht sein müsste.“

Friedrich hatte seine Sprache wiedergefunden: „Wer sind Sie?“

Gustav wandte sich an Friedrich: „Hab schon gehört, dass du was langsam da oben bist.“ Er tippte sich an die Stirn. „Nenn mich Gustav, mehr musst du nicht wissen.“

„Haben Sie... Der Wagen...“ Friedrich war verwirrt.

„Du meinst, wie der Wagen gefahren ist? Das ist mein großes Geheimnis. Geht dich nichts an.“ Gustav deutete auf eine Kiste, die am Boden stand: „Verkabelt euch.“

„Was...?“, fragte Friedrich.

Gustav wandte sich an Bernd: „Du hast gesagt, dein Enkel wäre etwas dämlich, aber ich glaube, du hast mich belogen.“ Er drückte auf einen Knopf: „Komm doch mal bitte rüber und hilf mir hier.“

Friedrich hörte, wie die Fahrertür sich öffnete und wieder geschlossen wurde. Dann öffnete sich die rückwärtige Tür kurz, um ebenfalls schnell wieder geschlossen zu werden.

„Hallo!“ Friedrich starrte eine junge Frau an, die offensichtlich asiatische Züge hatte. Ihre mittellangen Haare waren schwarz. Sie lächelte sanft.

„Mein Name ist Yu“, sagte sie freundlich.

„Das muss er nicht wissen“, schnauzte Gustav. „Hilf dem Idioten und Bernd lieber beim Funk.“

Yu wandte sich an Friedrich: „Sie dürfen ihm nicht böse sein. Er meint es nicht so.“ Friedrich hatte den Eindruck, dass ihm in letzter Zeit dauernd Frauen sagten, dass die alten Männer sich zwar ätzend benahmen, es aber gar nicht so meinten. Yu ging zur Kiste und holte einen Haufen Technik hervor. Dann begann sie, zunächst Bernd zu verkabeln.

„Was ist das alles?“, wollte dieser wissen.

„Ach, nichts Besonderes“, sagte Yu. „Das auf ihrem Kopf ist eine kleine, aber sehr gute Kamera, sodass wir hier im Wagen alles sehen, was Sie auch sehen. Dann bekommen Sie noch einen Kopfhörer und ein Mikrofon, damit wir miteinander sprechen können.“

Friedrich verstand absolut gar nichts mehr: „Wofür brauchen wir das alles denn? Ich dachte, wir treffen einen deiner Kontakte und bekommen neue Informationen.“

Bernd warf seinem Freund einen entschuldigenden Blick zu: „Tja“, sagte er an seinen Enkel gewandt, „das ist etwas verkürzt: Wir haben gerade meinen Kontakt getroffen und wir bekommen auch neue Informationen. Aber die Informationen bekommen wir nicht von dem Kontakt, sondern der hilft uns nur, sie uns selbst zu besorgen.“

„Und wo sollen wir die herbekommen?“

„Aus dem Atelier von Grenadier.“

„Aus dem Atelier?“

Gustav warf ein: „Junge, du wirkst ohnehin schon wie ein Idiot. Wenn du wiederholst, was andere sagen, machst du es nur schlimmer. Das meine ich echt nicht böse, aber manchmal hilft ja eine Rückmeldung von einem Außenstehenden.“ Sein höhnisches Grinsen deutete darauf hin, dass sein Kommentar nicht ganz so freundlich gemeint war, wie er versuchte zu suggerieren.

Friedrich sagte verärgert: „Halten Sie sich da raus.“ Er schaute seinen Opa an: „Du willst da einbrechen?“

„Ich würde es nicht so ausdrücken, aber wenn Sie so wollen...“

„Moment mal“, warf Yu ein. „Das ist Ihr Enkel, oder? Warum siezen Sie ihn?“

Friedrich kam Bernd zuvor: „Er meinte, ich wäre zu frech gewesen.“

„Er ignoriert meinen Wunsch aber vollkommen“, gab Bernd empört zurück.

„Jaja, ihr seid beides Idioten“, sagte Gustav genervt. „Scheint also genetisch bedingt zu sein. Ich wusste schon immer, dass die Ärzte und Psychologen sich irren, wenn sie was über schwere Kindheiten oder so quasseln. Das würde ja auch bedeuten, dass die Kriegsgeneration komplett verkorkst sein müsste bei der Kindheit.“ Er verdrehte die Augen: „Jetzt kommt her, ich muss euch einweisen, bevor es losgeht.“

Sie stellten sich hinter Gustav und schauten auf den Computer.

„Wir befinden uns hier vorne auf der Straße“, begann Gustav. „Das Haus wird durch einen großen Zaun gesichert. Es gibt aber eine Pförtnerloge. Dort ist ein Zahlenschloss. Das ist kein Problem.“

„Nein?“, fragte Friedrich.

„Nein. Heute verbinden alle Leute ihre Home-Systeme mit dem Internet. Das sind so Idioten wie du. Das wird kein Problem sein. Von dort müsst ihr durch den Garten, einmal ums Haus. Dort ist der Kellereingang.“

„Ich habe noch eine Frage“, unterbrach Friedrich ihn. Gustav atmete hörbar aus. Friedrich ignorierte ihn und wandte sich an seinen Opa: „Was erhoffen wir uns davon? Ich meine, ich verstehe, warum wir hier sind. Wegen des Umschlags mit dem Bild und der Staffelei. Aber was sollen wir hier finden? Die Polizei hat das Bild ja auch gesehen und ist bestimmt auch zu dem Schluss gekommen, sich das Atelier genauer anzusehen. Was sollten wir dann finden, was die nicht gefunden haben?“

„Die Frage ist nicht mal so dumm“, stimmte Gustav ihm zu. „Ich finde deinen Plan auch dämlich, Bernd. Aber mir war langweilig, also ist es für mich in Ordnung. Für euch besteht aber ein gewisses Restrisiko, das meiner Einschätzung nach in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, wenn ich das so höre.“

„Das ist ganz einfach“, sagte Bernd. „Die Polizei sucht nur nach Spuren, die Friedrich oder mich irgendwie belasten. Dorfler leitet keine neutrale Ermittlung. Wir gleichen das jetzt aus, indem wir nicht einseitig Spuren suchen, die uns belasten, sondern auch Spuren akzeptieren, die uns entlasten, indem sie uns zu dem wirklichen Täter führen. Außerdem muss es ja irgendeinen Sinn haben, dass er das Foto der Polizei zuspielt.“

„Apropos Polizei“, warf Friedrich ein. „Könnte es nicht sein, dass die Polizei das Haus hier überwachen lässt?“

„Tut sie auch“, antwortete Gustav. „Das Haus hat zwei Zugänge. Das hier ist der hintere. Die Bullen stehen vorne an der Straße, sodass es nicht auffällt. Meinen sie zumindest.“

Friedrich war entsetzt: „Wir brechen also in ein Haus ein, das unter Polizeischutz steht?“