Die skurrile Verwandtschaft des Friedrich K.

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Rückweg II.

Dorfler saß mit seinem Partner Gerard im Wagen.

„Der Enkel vom Kammers war da“, sagte er, während er sich vor ein Auto drängelte.

„Bernd Kammers?“, fragte Gerard ungläubig.

„Mhmmm“, machte Dorfler bestätigend.

„Wir haben ewig nichts mehr von ihm gehört. Hält sich bedeckt.“

„Ist auch besser so.“

Besuch

Friedrich stieg aus der U-Bahn aus. Er war morgens pünktlich in der Firma gewesen, allerdings hatte man ihm mitgeteilt, dass heute alle Termine abgesagt seien. Er solle nach Hause gehen, aber telefonisch erreichbar sein für den Fall, dass die Polizei Rückfragen habe.

Friedrich hatte die Gelegenheit ergriffen, sich auf den Weg zu seinem Opa Bernd zu machen.

Er lief eine knappe Viertelstunde durch mehrere Nebenstraßen, bis ihn sein Handy-Fußgänger-Navi zu einem alten Haus führte, das von einem morschen, hölzernen Zaun umgeben war. Friedrich musterte das Haus: „Baufällig“, schien noch nicht zuzutreffen, aber es war eher eine Frage von Wochen als von Monaten, bis man diese Beschreibung würde anwenden können, ohne zu übertreiben.

Er öffnete das Holztor und ging langsam zur Haustür. Über dem Klingelknopf war eine Metallplatte angebracht, auf der „B. Kammers“ stand. Friedrich drückte auf den Klingelknopf. Eine alte Glocke dröhnte durch das Haus.

Es dauerte etwas, dann hörte Friedrich Schritte.

„Wer ist da?“, fragte eine alte Männerstimme dumpf durch die Tür.

„Mein Name ist Friedrich Kammers. Ich bin dein Enkel aus Münster.“

Friedrich hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Dann schwang die Tür auf. Friedrich riss die Augen auf: Vor ihm stand der alte Mann aus der Kunstausstellung.

***

„So, Sie sind also doch mal hergekommen“, sagte Opa Bernd und stellte einen Kaffeebecher vor Friedrich auf den Küchentisch.

„Ja“, sagte Friedrich verunsichert. „Ich...hatte keine Zeit. Also...“

Opa Bernd setzte sich stöhnend auf den gegenüberliegenden Stuhl. Seine Hände umfassten den Kaffeebecher: „Milch habe ich leider nicht. Auch keinen Zucker.“

„Schon gut“, sagte Friedrich und nahm einen vorsichtigen Schluck. „Passt schon“, sagte er, wobei er sich nicht sicher war, ob er die schwarze Flüssigkeit würde austrinken können.

„Warum hast du mir gestern nicht gesagt, wer du bist?“, fragte Friedrich.

„Zunächst mal“, sagte Opa Bernd, „können Sie mich zwar gerne OPA oder BERND nennen, aber ich würde es vorziehen, wenn wir beim SIE bleiben würden.“

„Warum das denn?“

„Eine Anrede wie DU könnte den Eindruck vermitteln, wir würden uns näher stehen. Dem ist offensichtlich nicht so, immerhin haben SIE mich gar nicht erkannt. Kann Ihnen keinen Vorwurf machen, immerhin war ich immer unterwegs und für Besuche war keine Zeit.“ Er nahm einen großen Schluck Kaffee. „Ändert aber halt nichts am Ergebnis.“

„Aber... Du...SIE... sind mein Opa.“

„Stimmt. Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen. Auch wenn ich Ihre Arbeit als ziemlich peinlich empfinde. Wie alt sind Sie jetzt?“

„32.“

„Und noch immer Praktikant?“

„Das ist nur zum Einstieg.“

„Was ist das denn für ein Job, wo man so spät einsteigt? In Ihrem Alter habe ich schon lange Geld verdient.“ Er schüttelte den Kopf.

„Hey! Ich habe studiert. Das dauert.“

Opa Bernd lachte in sich hinein: „Studieren nennt der das.“

„Wenn Sie mein Leben so lächerlich finden, warum waren Sie dann gestern bei der Ausstellung?“

Opa Bernd lehnte sich zurück: „Ich wollte dich persönlich in Augenschein nehmen.“

„Kein Kunstfan?“

„Kann ich nicht behaupten.“ Friedrich musterte den alten Mann: Er wirkte müde, aber in seinen Augen lauerte eine tiefe Intelligenz. „Vor allem hat mich die ganze Sache ziemlich müde gemacht.“

„Hat die Polizei dich...SIE... solange aufgehalten?“

„Mich aufgehalten? Guter Witz! Nein: Nachdem ich gesehen habe, dass ein Bild geklaut worden war, bin ich gegangen. Ich habe mit den Beamten kein Wort gesprochen.“ Den letzten Satz presste er verächtlich zwischen den Zähnen hervor.

Friedrich war fassungslos: „Sie sind einfach abgehauen? Aber das geht doch nicht!“

„Doch, das geht sogar ziemlich gut. Und warum nicht? Ich habe nichts geklaut und nichts gesehen. Meine Aussage wäre so hilfreich gewesen wie Ihr Wissen über Kunst.“ Er machte eine kurze Pause: „Die Polizei ist froh, wenn sie nicht jeden Mist aufnehmen muss.“

„Sie haben ja eine hohe Meinung von unseren Freunden und Helfern.“

Opa Friedrich schaute in seinen Becher. Zusätzlich zu der Intelligenz meinte Friedrich nun auch Traurigkeit in den Augen seines Opas zwar nicht zu erkennen, aber doch zu erahnen.

„Das sind keine Helfer! Freunde erst recht nicht. Die wollen alle nur auf der Karriereleiter nach oben. Der Fall macht ziemlich Presse. Ich wette, irgend so ein Jungbulle rennt durch die Gegend und nimmt den ersten Trottel auf die Hörner, der ihm vor die Füße fällt, damit die Presse jubelt.“

„Der Beamte war gar nicht so jung.“

Opa Bernd schaute Friedrich interessiert an: „Sie haben mit ihnen gesprochen?“

„Ja, natürlich. Das hat jeder. Hätten Sie auch gemusst, wenn Sie nicht abgehauen wären.“

„Wer hat denn die Untersuchung geleitet? Ich habe heute noch keine Zeitung gelesen. Ist gestern zu spät geworden.“

„Spät? Sie sind doch abgehauen! Wir mussten noch ewig warten, bis wir gehen durften.“

„Egal. Also: Wer leitet die Untersuchung?“ Opa Bernd wurde langsam ungeduldig.

Friedrich dachte nach: „Dor...Dorf...?“

„Dorfler? Heribert Dorfler?“

„Ja, genau. So ein Dicker.“

Opa Bernd lachte: „Ja! Das ist zwar kein Jungbulle mehr, aber er fällt definitiv in die gleiche Kategorie.“

„Woher kennen Sie ihn?“

Opa Bernd wurde schlagartig ernst: „Das“, sagte er, „ist kompliziert. Und ich würde da nicht mit jemandem drüber reden, den ich nur mit SIE anspreche, weil ich ihn quasi gar nicht kenne.“ Er warf einen Blick auf Friedrichs Kaffeebecher: „Ihr Kaffee wird kalt!“

„Ich hatte heute schon viel Kaffee“, sagte Friedrich entschuldigend.

„Ich hatte auch schon eine Kanne. Der Weg von der Ausstellung hierher ist verdammt lang.“

„So weit ist das doch gar nicht?“, fragte Friedrich verwirrt. „Das sind doch höchsten 20 Minuten. Vor allem nachts.“

„20 Minuten mit dem Auto.“

„Ja... Haben Sie kein Auto?“

„Nein.“

Friedrich musterte seinen Großvater.

„Gucken Sie nicht so. Ich bin nicht zu alt zum Fahren. Ich finde es nur ätzend. Wir sind in Köln, verdammt. Hier braucht man kein Auto.“ Er unterstrich seine Aussage mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. Dann wedelte er mit seiner Hand herum: „So“, sagte er und stand auf. „Jetzt müssen Sie leider gehen. Ich habe zu tun.“

„Aber...“

„Nichts aber. Sie arbeiten seit Wochen in dieser Stadt. Plötzlich kommen Sie auf die Idee, mich zu besuchen und erwarten, dass ich sofort vor Begeisterung überquelle?“ Er schüttelte verächtlich den Kopf.

Friedrich stand auf: „Gut“, sagte er mit einer Mischung aus Traurigkeit und Wut. „Dann werde ich Sie nicht weiter stören.“

Opa Bernd geleitete seinen Enkel zur Tür und öffnete diese: „Danke für Ihren Besuch“, sagte er höflich. „Ich würde Sie bitten, von weiteren spontanen Besuchen abzusehen.“

„Aber...“

„Fangen Sie jeden Satz so an? Kein Wunder, dass es nur für ein Praktikum reicht.“ Er schob Friedrich aus der Tür. „Wenn ich mit Ihnen sprechen möchte, melde ich mich.“ Er schloss die Tür.

„Aber...“, sagte Friedrich erneut. Dann flüsterte er: „Sie haben doch gar nicht meine Nummer.“

Opa Bernd

Bernd Kammers ging in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Er schaute aus dem Fenster, das zur Straße zeigte, und konnte gerade noch seinen Enkel erkennen, bevor er endgültig verschwand.

Er setzte sich an seinen alten Sekretär und öffnete ihn. Links in einem kleinen Regal lag ein Notizbuch, das er nun zur Hand nahm und aufschlug. Es enthielt lauter Buchstaben, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergaben:

1 sfdhkjsdfhjsdfjs : sdfjlksdfsdjflkjslkdjfljlsjdfj

2 alsdjflsjdfjsdfjk : sfhsvdbmxcvoeipaldmfn...

Er blätterte mehrere Seiten durch, bis er den Eintrag gefunden hatte, nach dem er suchte. Dann griff er zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. Es dauerte einen Augenblick, dann wurde das Gespräch entgegengenommen: „Hallo?“, krächzte eine alte Frauenstimme. „Wer ist da?“

„Hier ist Bernd.“

„Bernd? Was willst du?“

Bernd musste grinsen: Elsbeth war vom alten Schlag - sehr direkt!

„Ich bräuchte ein paar Informationen.“

„Dann guck ins Internet.“

„Du weißt, dass ich das scheiß Ding nicht leiden kann.“

Elsbeth lachte, was allerdings in ein keuchendes Husten überging: „Bernd, das ist kein Ding. Du bist so clever, du müsstest eigentlich Spaß daran haben.“

„Jaja“, sagte Bernd verärgert. Sie führten dieses Gespräch dauernd und sie kamen stets zu dem gleichen Punkt: Bernd hielt das Internet für einen scheiß Marktplatz von Idioten, Verbrechern und Selbstdarstellern, während Elsbeth als kettenrauchende Rollstuhlfahrerin sich über jeden Kontakt zur Außenwelt freute.

„Du musst mir helfen.“

„Worum geht es denn?“, fragte Elsbeth resigniert.

„Du hast das mit dem Raub mitbekommen? Dieser idiotische Grenadier?“

 

„Dem sie so ein hässliches Bild geklaut haben?“

„Ja genau.“

„Was interessiert es dich?“

„Dorfler leitet die Ermittlungen. Und mein Enkel arbeitet für die PR-Firma, die die Show organisiert hat.“

„Scheiße!“

Dorfler

Heribert Dorfler saß an seinem Schreibtisch und grübelte: Der Fall mit dem Künstler ging durch alle Medien. Sein Chef hatte ihm mächtig Druck gemacht. Außerdem war da noch der Enkel von Kammers. BERND KAMMERS! Er hasste diesen Kerl!

„Was guckst du so grimmig?“, fragte Gerard, als er das Büro betrat, das er sich mit Dorfler teilte. „Siehst aus, als würdest du gleich platzen.“

Dorfler schaute ihn böse an: „Wir sind uns einig, dass der Dieb nicht alleine gearbeitet hat. Und wir wissen, dass er einen Insider in der Firma gehabt haben muss. Einer, der ihn mit Infos versorgt hat.“

„Richtig.“

„Es wird wahrscheinlich jemand sein, der vor Ort war. Wer hätte ein Motiv?“

Gerard dachte nach: „Keine Ahnung. Die Firma hat eigentlich absolut gar kein Interesse daran, dass auf einem Event von ihnen was geklaut wird. Das spricht sich rum und ist total scheiße fürs Geschäft!“

„Außer, die Firma behandelt dich wie den letzten Dreck.“

„Worauf willst du hinaus?“

„Denk mal nach: Wen behandelt die Firma nicht gut und wer war vor Ort?“

Telefon

Als das Telefon klingelte, lag Friedrich auf dem Sofa und verzog genervt das Gesicht: Eigentlich wollte er gerade nur seine Ruhe haben. Er schnaufte genervt, griff dann aber dennoch nach dem technischen Quälgeist: „Ja?“, fragte er, bemüht, nicht zu höflich zu klingen - was nicht gerade schwierig war.

„Friedrich! Endlich höre ich mal was von dir!“

Friedrich verdrehte die Augen, was seine Mutter zum Glück nicht sehen konnte.

„Du hast dich gar nicht gemeldet. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Wir hatten doch abgesprochen, dass du dich jeden Tag mal meldest. Zumindest mal ne SMS hättest du schreiben können! Ist das denn wirklich zu viel verlangt?“

Friedrich versuchte sie zu beruhigen: „Alles in Ordnung. Ich hatte nur etwas Stress.“

„Läuft es auf der Arbeit nicht so gut? Du meintest, du hättest da so ein wichtiges Projekt? Klappt alles?“

Friedrich biss sich auf die Unterlippe: Wenn er seiner Mutter etwas von dem Diebstahl erzählte, würde sie das nur aufregen.

„Nein, da klappt alles super“, sagte er und wechselte schnell das Thema: „Ich war heute bei Opa Bernd.“

„Ah“, sagte seine Mutter überrascht. „Und, wie war es?“

Friedrich hätte sich am liebsten über den alten Mistkerl aufgeregt, aber er wusste genau, wie viel seiner Mutter eine intakte Familie bedeutete, auch wenn der Zusammenhalt nur an der Oberfläche existierte.

„Naja. Wir lernen uns kennen.“

„Sehr schön“, freute sich seine Mutter. „Er ist etwas kauzig. Hat seinen eigenen Kopf. Aber wenn du ihn mal besser kennengelernt hast, wirst du ihn mögen.“

Friedrich war sich ziemlich sicher, dass dem nicht so war.

„Wann trefft ihr euch denn wieder?“, tönte es aus dem Hörer.

„Ach, da haben wir noch gar nicht drüber gesprochen. Ich meine, man sollte es ja auch nicht übertreiben.“

„Aber warte nicht zu lange. Er ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Wenn du zu lange wartest, könntest du dich irgendwann ärgern, wenn es zu spät ist.“

Friedrich lächelte: Seine Mutter hatte manchmal so eine gewisse Art, die zwischen gefühlvoll und taktlos schwankte.

Erneute Gespräche

„Ich verstehe nicht, wie ich Ihnen helfen soll“, sagte Friedrich irritiert. „Wenn es wieder um meinen Großvater geht, der heißt Bernd Kammers. Sie können ihn gerne besuchen, er freut sich sicherlich.“ Mehr oder weniger zumindest.

Dorfler, Gerards und Friedrich befanden sich in Dorflers Büro. Die Beamten hatten Friedrich am Morgen aufs Revier bestellt. Gerards stand am Fenster, Dorfler und Friedrich saßen auf unterschiedlichen Seiten des Schreibtischs.

„Ich denke, Sie können uns sehr wohl helfen, Herr Kammers. Wissen Sie, wir haben noch Schwierigkeiten damit, den Tathergang genau zu rekonstruieren. Das Gebäude ist zwar mit Sicherheitskameras ausgestattet, aber diese waren aus einem unerfindlichen Grund, ausgeschaltet.“ Dorfler schwitzte schon wieder.

„Aha.“

Dorfler nahm sich einen Kugelschreiber und begann, mit diesem herumzuspielen: „Sie waren bei der fingierten Attacke des Bildes also in erster Reihe dabei, sehe ich das richtig?“

„Ja, so ist es. Wir haben Schreie gehört und sind dann losgerannt. Wir dachten, jemand bräuchte vielleicht Hilfe.“

„Sehr mutig“, warf Gerard ein.

Friedrich zuckte mit den Schultern: „War wohl eher so ein Reflex.“

„Und dann?“, fragte Dorfler.

„Dann haben sich die Leute wieder verteilt, nachdem die Show vorbei war. Wir auch. Wir wollten eigentlich ein bisschen Pause machen. Nauz ist ziemlich streng und wir waren schon den ganzen Tag auf den Beinen.“

„Weiter.“

„Dann haben wir gehört, wie jemand sowas sagte wie OCH, NOCHMAL? Also nicht wortwörtlich, aber sowas in der Art. Wir sind dann dorthin gegangen und haben den Umschlag im Bild gesehen. Und dann kam auch schon Grenadier dazu.“ Friedrich machte eine kurze Pause, dann fragte er vorsichtig: „Was war denn in dem Umschlag?“

„Das können wir leider nicht sagen. Ist etwas kompliziert. Ermittlungsgeheimnis und so.“

„Verstehe.“

Dorfler drehte sich um und holte aus einem Regel, das hinter dem Schreibtisch stand, ein A3- Papier. Er legte es auf den Schreibtisch: „Das hier ist ein Grundriss des Gebäudes.“ Er zeigte mit seinem Zeigefinger auf verschiedene Stellen des Plans: „Hier ist das Bild, das zerstört wurde. Hier haben wir den leeren Bilderrahmen sichergestellt. Zeichnen Sie doch bitte einmal ein, wo Sie gestanden haben und wie Sie dann genau gelaufen sind.“ Er hielt Friedrich den Kugelschreiber hin.

Friedrich runzelte die Stirn: „Warum?“

„Weil wir keine Kameraaufnahmen haben. Wir machen das routinemäßig. Auf diese Weise können wir uns einen besseren Überblick verschaffen.“ Dorfler machte mit dem Kugelschreiber eine auffordernde Handbewegung. Friedrich konnte den Kerl nicht leiden, nahm aber den Kugelschreiber und zeichnete ein Kreuz auf den Plan: „Hier haben wir zuerst gestanden“, sagte er. „Dann sind wir hierher gegangen, als das mit dem Bild war.“ Er zeichnete eine gestrichelte Linie zum Bild und machte dort ein Kreuz. „Von dort aus dann nach hier...und dann nach hier.“

„Danke“, sagte Dorfler und nahm den Plan an sich. „Dann wären wir auch schon fertig.“

Elsbeth

Opa Bernd betrat das Altersheim und ging direkt zu einem Fahrstuhl. Er hasste es, hierher kommen zu müssen, aber Elsbeth war aus offensichtlichen Gründen nicht mehr das, was man gemeinhin MOBIL nannte.

Altersheime deprimierten ihn. Sie führten ihm vor Auge, wo er wohl auch einmal landen würde - außer er würde einfach tot umfallen. Er machte sich keinerlei Illusionen: Er hatte seiner Familie nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdient hätte, um nun einen Anspruch auf Pflege oder Unterstützung daraus ableiten zu können. Er war egoistisch gewesen, hatte seine Tochter mehr oder weniger seiner Frau Bärbel überlassen und nur gearbeitet. Seine Tochter war gut geraten, aber das nahm er nicht für sich in Anspruch. Nach der Sache mit Bärbel war der spärliche Kontakt nach Münster komplett abgebrochen.

Und jetzt war Friedrich in Köln und geriet ausgerechnet an Dorfler! Diesen Mistkerl!

Die Aufzugstür öffnete sich. Bernd ging in die Kabine und drückte auf die drei. Die Tür schloss sich leise und der Fahrstuhl glitt nach Oben.

Als Bernd an Elsbeths Tür klopfte, rief diese sofort: „Ja?“

Bernd öffnete die Tür und betrat das Zimmer: Es war zweckdienlich möbliert und verfügte über eine eigene Toilette mit Dusche. Die Türrahmen waren breiter als üblich, damit Elsbeth (und zukünftige Nachfolger) mit ihrem Rollstuhl bequem hindurchfahren konnte.

„Hallo“, sagte er und gab ihr die Hand. Dann setzte er sich auf einen Stuhl. Elsbeth zog eifrig an ihrer Zigarette: Sie war früher eine Schönheit gewesen - und sich dessen voll bewusst. Das Alter hatte ihr allerdings stark zugesetzt und ihr ihre Mobilität geraubt. Und mit dieser auch ihre Hüften: Elsbeth wog inzwischen über 110 Kilogramm und qualmte wie die Reste eines Waldbrandes.

„Da bist du ja. Immer, wenn du was willst, bist du sofort da, aber auf einen Kaffee kommst du nicht so schnell vorbei.“

„Du weißt...“, setzte Bernd an, aber Elsbeth schüttelte den Kopf.

„Ich weiß“, sagte Bernd kleinlaut. „Das nächste Mal!“

Elsbeth zeigte auf ihr Nachtkonsölchen: „Da ist sie. Kannst sie dir selber holen.“

Bernd stand auf und holte sich eine gelbe Akte: „Was sagst du zu der Sache?“, fragte er, während er sich wieder setzte und die Akte durchblätterte.

„Die haben nichts. Außer Druck. Und du weißt, was Bullen machen, wenn sie Druck kriegen?“

Bernd nickte. Das wusste er nur zu gut.

Besuch

„Und, warst du nochmal bei Opa?“ Friedrichs Mutter klang sehr neugierig. Friedrich saß am Küchentisch und schmierte sich ein Brot, während er den Hörer zwischen Schulter und Ohr einklemmte. Sehr bequem. Einfach perfekt, um Abendbrot zu essen.

„Nein. Im Moment habe ich halt viel zu tun und er ist schon seltsam.“

„Ich weiß...“

Friedrich biss in sein Brot: „Er ist etwas... schrullig. Er will immer, dass ich ihn Sieze.“

Seine Mutter lachte: „Ja, er hat so seine Marotten. Aber ganz ehrlich: Haben wir die nicht alle? Dein Vater ist auch nicht immer so einfach.“

Friedrich nahm den Hörer in die Hand: Er würde mit dem Essen warten: „Naja, aber Papa hat auch sehr viele liebevolle Seiten. Ich weiß nicht, wie der eine Frau finden konnte. Bei dem Charme.“

Stille am Ende des Hörers. Friedrich stutzte: Seine Mutter war nicht gerade für Wortfindungsstörungen bekannt, sondern für ihre Schlagfertigkeit.

„Was ist?“, fragte er. Hatte er einen wunden Punkt erwischt?

„Ach, nichts.“

„Was ist denn?“

Seine Mutter zögerte. Dann sagte sie langsam: „Du solltest über Oma nichts sagen. Zumindest solange nicht, wie er von sich aus mit dem Thema anfängt.“

„Warum?“

„Das möchte ich dir ehrlich gesagt nicht sagen. Er sollte selbst entscheiden, ob er dir davon erzählen möchte.“

Friedrich legte seine Stirn in Falten: Das war seltsam.

Nach dem Telefonat machte Friedrich es sich auf dem Sofa bequem und schaltete den Fernseher ein, während er mit seinem Handy im Internet surfte. Seine Entspannung wurde allerdings unterbrochen, als es an der Tür klingelte.

„Was soll das denn?“, fragte er sich selbst, während er auf die Uhr sah. Neun Uhr! Er ging zur Tür und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage: „Ja?“, fragte er.

„Ich bins“, kam die Antwort - aber nicht aus der Gegensprechanlage, sondern von der anderen Seite der Tür! Friedrich sah durch den Spion: Vor seiner Wohnungstür stand sein Großvater und schaute grimmig auf das Guckloch. Friedrich verdrehte die Augen: Der Kerl hatte nicht nur irgendwelche Marotten, sondern ernsthafte Probleme.

„Wenn du mich noch länger durch das Loch anguckst, musst du einen Euro dafür zahlen“, sagte der Alte. Friedrich öffnete die Tür: „Was willst du hier?“

„Was wollen SIE hier!“, verbesserte Bernd seinen Enkel. Der schüttelte den Kopf: „Dann eben Sie. Aber eine Antwort schulden SIE mir trotzdem.“

„Stimmt“, gab Bernd zu. „Aber das sollten wir in der Wohnung besprechen.“ Er warf einen Blick über die Schulter.

Friedrich trat einen Schritt zurück und ließ seinen Großvater eintreten. Der marschierte zielsicher durch den Flur, bog in das Wohnzimmer ab und setzte sich in den Sessel, neben den er eine abgewetzte Ledertasche stellte.

„Ich sehe, Sie haben es sich schon bequem gemacht“, stellte Friedrich fest.

Bernd nickte. Dann runzelte er die Stirn: „Was ist das denn?“, fragte er und zeigte auf das Fensterbrett.

Friedrich folgte seinem Blick und antwortete irritiert: „Meine Smartwatch.“

 

„Was für ein Ding?“

„Das ist eine Uhr, die ich mit meinem Handy verbinden kann. Dann kann ich mit ihr telefonieren, Mails lesen und so weiter.“ Er sah seinen Opa an: „Haben Sie ein Handy?“

Bernd schüttelte entschlossen den Kopf: „Ich hasse die Dinger! Die machen nur Stress. Und man ist jederzeit erreichbar! Wer will denn sowas?“

Friedrich zuckte mit den Schultern: „Ist ja auch egal. Ich denke, Sie möchten nicht mit mir über die Vor- und Nachteile des digitalen Zeitalters diskutieren. Zumindest hoffe ich das, denn ich bin ziemlich kaputt und würde gerne mal abschalten.“

„Werden Sie nicht frech! Und wenn Sie abschalten wollen, sollten Sie dieses Uhren-Teil als Erstes wegschmeißen.“

„Frech ist es, um diese Zeit unangemeldet aufzutauchen.“

„Sie hatten sich auch nicht angemeldet.“

„Da war es mittags. Jetzt ist es neun.“

Bernd schüttelte den Kopf: „Junge. Sie sind noch jung. Neun ist doch keine Zeit!“

Friedrich nahm seufzend auf dem Sofa Platz.

„Möchten Sie mir nichts zu trinken anbieten?“, fragte Bernd. Friedrich schaute kurz zur Decke, dann fragte er: „Was möchten Sie denn trinken?“

„Nichts.“

„Warum soll ich Ihnen dann was anbieten?“

„Weil man das so macht. Ich hätte ja Durst haben können. Bei mir haben Sie auch einen Kaffee bekommen.“

Friedrich lehnte sich auf dem Sofa vor: „Was wollen Sie? Ich hatte den Eindruck, Sie haben bei unserem letzten Treffen sehr deutlich gemacht, dass Sie kein Interesse an einem weiteren Treffen haben.“

Bernd schüttelte den Kopf: „Das stimmt so nicht. Ich habe Sie nur darum gebeten, mich nicht spontan zu besuchen.“

Friedrich starrte ihn fassungslos an: „Und was ist das dann hier? Wo ist der Unterschied?“

„Naja: Ich habe Sie jetzt unangemeldet besucht. Dadurch konnte ich mich entsprechend einrichten und vorbereiten.“

„Vorbereiten? Ich würde sagen, Sie kommen jetzt mal zur Sache.“

Bernd nickte: „Gute Idee. Sie haben gesagt, dass ein gewisser Dorfler die Untersuchung bei dem Diebstahl leitet. Ich hatte mal mit ihm zu tun und er ist ein sehr unangenehmer Zeitgenosse.“

„Woher kennen Sie ihn?“

„Ich bin überfallen worden. Sehr unschöne Sache. Ich habe ja gesagt, dass ich nur U-Bahn fahre. Ich war abends in der Kneipe, weil der FC gespielt hat. Derby! Hat gegen die verdammten Fohlen ordentlich Prügel kassiert. Auf jeden Fall habe ich aus Frust ein paar Kölsch zu viel gehabt und das haben sich ein paar Kerle zunutze gemacht. Dorfler sollte den Fall bearbeiten, allerdings hat er nur das Nötigste getan und die Kerle natürlich nicht bekommen. Hat mir unterstellt, ich wäre ein alter Säufer und wäre selbst schuld gewesen.“

Friedrich sah seinen Opa misstrauisch an: Die Geschichte wirkte nicht sehr glaubhaft, allerdings kannte er diesen Mann nicht und er hatte keine Ahnung, was der Alte in seiner Freizeit so trieb.

„Und das war so wichtig, dass Sie jetzt hier auftauchen mussten?“

„Sie sind mein Enkel und ich war in der Gegend.“

„Spielt wieder der FC und Sie waren in der Kneipe?“

Opa Bernd erhob sich: „War wohl ein Fehler. Wollte nur helfen.“ Er verließ das Wohnzimmer und ging zur Haustür. Hier blieb er stehen und drehte sich zu Friedrich um, der ihm gefolgt war.

„Seien Sie vorsichtig“, sagte Bernd. „Passen Sie auf, was Sie bei Dorfler sagen und machen. Geben Sie ihm nichts Schriftliches. Auch wenn es noch so unwichtig zu sein scheint, er wird es gegen Sie benutzen, wenn er kann.“ Damit drehte er sich um, öffnete die Tür und verschwand. Friedrich machte sich nicht die Mühe, so zu tun, als würde er ihn aufhalten wollen. Er schloss einfach die Tür hinter ihm. Dann ging er nachdenklich wieder ins Wohnzimmer zurück.