Infinite Adventures 2

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»Wer weiß, was deine Nachricht im Raumschiff ausgelöst hat«, richtete er sich an yury. »Aber falls du glaubst, mich mit einer Selbstzerstörungssequenz übers Ohr hauen zu können, täuschst du dich. Dann fliegen wir in dem kleinen Flitzer ohne dich nach Örz, und du machst so lange Urlaub im verstrahlten Australien.«

»Welcher Flitzer?«, fragte yury scheinheilig.

»Glaubst du, die NASA bekommt nichts davon mit, wenn ein glühendes Stück Weltraumschrott einen Waldbrand auslöst? Noch dazu, wenn es offenbar aus einem Material besteht, das hitzebeständiger als Wolfram ist.«

∞∞∞

Die Däns Miräköl war vermutlich das einzige Raumschiff der Wirtschaftsvereinigung, dessen Oberfläche vollständig aus einer echten Goldlegierung bestand. Selbst die kleinen ausfahrbaren Laserwaffen glitzerten im gleichen Farbton und emittierten 589 Nanometer kurze Lichtwellen. Das Metall war aus vierundvierzig Teilen Gold, drei Teilen Kupfer und zwei Teilen Silber speziell für Dögöbörz Nüggät hergestellt worden – eine Spezialanfertigung, die in Kombination mit der unregelmäßigen, großen Außenfläche einen Eindruck vermeintlicher Dekadenz bei den meisten Betrachtern hervorrief. Die wenigsten Äöüzz wären finanziell dazu in der Lage gewesen, ein solches Schiff zu kaufen; niemand außer Nüggät hatte die Verrücktheit besessen, es tatsächlich zu tun.

Liebevoll strich Nüggät mit einer Hand über die Außenwand des Raumschiffs. Dieses Schiff hatte ihn mehrfach in Lebensgefahr gebracht und wieder daraus gerettet. Mit diesem goldenen Metallklumpen verband der Edelmetallhändler eine Geschichte, die sich bis in die Ursprünge des neuen Imperiums erstreckte und bis heute nicht zu seiner Zufriedenstellung abgeschlossen war. Ein Dokument wartete darauf, geborgen zu werden; das glühende Innere eines Planeten würde zum Spielort eines dramatischen Finales werden. Eines lang ersehnten, fernen Tages. Nicht heute.

»Mister Nüggät? Sie müssten bitte einmal hier unterschreiben.« Rüzwäk und Ärkwärk ließen sich die Überraschung nicht anmerken, aber der Angesprochene lachte wissend.

»Sie haben wohl nicht damit gerechnet, mich jemals mit einem Raumschiff hier zu sehen.« Er unterschrieb mit den äußeren Fingern der rechten Hand gleichzeitig Vor- und Nachnamen.

»Noch dazu mit einem solch edlen Raumschiff«, bestätigte Ärkwärk bewundernd. »Haben Sie da das Gold der vier Örsbewohner verarbeitet?«

Nüggät schüttelte den Kopf, eine Geste, die auch auf Örz weite Verbreitung gefunden hatte. »Nein, nein. Das kam angeblich aus einem Kühlschrank und wird konsequent auch weiterhin gekühlt gelagert.« Die Polizisten lachten, aber Nüggät sprach bereits weiter. »Um Ihre eigentliche Frage zu beantworten: Das Schiff kommt aus einer Zeit, in der Sie noch auf der Polizeiakademie studiert haben und Ihr Kollege die Mittelschule besucht hat.«

»Sie sind passionierter Raumfahrer?«

»Pensioniert.« Der Händler überlegte einen Moment. »Und passioniert. Ab heute wieder. Ich kann Ihnen aber erst nachher verraten, worum es bei meiner neuen Mission gegangen sein wird.«

Ärkwärk reichte die Folie an seinen Kollegen weiter; dieser tippte darauf herum und nickte zufrieden. »Gute Reise. Und kommen Sie bitte unbeschadet wieder zurück. Ich brauche vermutlich demnächst ein Verlobungsgeschenk von Ihnen.«

»Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch.« Dögöbörz Nüggät verbeugte sich. »Habe die Ehre.« Dann betrat er sein Raumschiff, schloss das goldene Außenschott hinter sich und schritt durch die weiß glänzenden Gänge. Die Wandverkleidung stammte aus einer Zeit, bevor der Silberrausch auf Hiddünthänätös ausgebrochen war und den Silberpreis in den Keller befördert hatte. Diese Erfahrung würde sich in deutlich größerem Ausmaß mit dem Goldpreis wiederholen, wenn niemand einschritt und Island von einer Landung auf Örz abhielt. In dieser Hinsicht betrachtete sich Nüggät als Retter seiner heimatlichen Wirtschaft. Er würde sich, das wusste er bereits, auf Paragraf 21 des Äöüzz-Strafgesetzbuches berufen.

Fäderäl_Kriminäl_Köd

(Örslängütränslätiön by Äzähüglü Örzgü)

§ 21 Rechtfertigender Wirtschaftsschutz

 (1) Wer eine Tat begeht, die durch rechtfertigenden Wirtschaftsschutz geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

 (2) Rechtfertigender Wirtschaftsschutz sind Maßnahmen, die erforderlich sind, um einen erheblichen Angriff auf die grundlegende Integrität der Wirtschaftsvereinigung abzuwenden.

∞∞∞

»Stopp!«, rief Orakel auf einmal. »Da läuft Karl am Straßenrand.«

Alexandra trat bereits auf die Bremse; sie hatte ihren Bekannten ebenfalls erkannt. »Du kannst die Essensroboter voneinander unterscheiden?«

»Klar«, behauptete Orakel, »Der hat mich schließlich fast mit einer Tiefkühlpizza verdroschen. Den erkenne ich sofort wieder.«

yury öffnete eine Seitentür. »Hey Karl, steig ein. Es sind noch ein paar Plätze frei.«

Der Roboter führte aus, was er für eine Anweisung hielt. Er hatte eine gewisse künstliche »Intelligenz«, aber dieser Begriff musste mit Bedacht verwendet werden – selbst nach Frees Software-Update.

Karl piepte ein paarmal und blinkte grün. Er wandte sich an Floating Island. »Guten Tag, ich kenne Sie nicht. Mein Name ist Karl. Ich bin ein Essensroboter des Typs FöödBöt 40+2.«

»Hallo Karl, ich bin der Eigentümer dieses Planeten. Mein Name ist Floating Island.«

»Meine Wissensdatenbank enthält keinen Eigentumseintrag für Örs«, entgegnete Karl mit einer belustigend authentisch wirkenden Naivität.

»Oh, dann brauchst du wohl ein Update«, sagte Island lächelnd.

»Updates«, belehrte Karl seinen Gesprächspartner, »darf nur der Senior Master Administrator installieren.«

Alexandra, yury und Orakel lachten; Free schmunzelte. Island war sprachlos. Das lag weniger an der Befehlsverweigerung als an der verwendeten Dienstgradbezeichnung.

»Äh«, sagte Floating Island. »Woher um alles in der Welt kennst du Bright Mountain? Und wieso darf der Updates auf einem Örz-Roboter installieren?«

Die Sprachlosigkeit wechselte abrupt auf die vier Örz-Bewohner über.

∞∞∞

Äüörüzü war verwirrt. Die Katze hatte nie gelernt, den Antigravitationsaufzug zu verwenden – sie war von Alexandra in das Raumschiff getragen worden. Wo war Alexandra überhaupt? Sie hatte sich doch gerade noch gemeldet.

Nach einigen vergeblichen Versuchen, die Raumschiffschleuse durch Klettern zu erreichen, fuhr ein ungewöhnlich langes, dunkles Auto am Getreidefeld vorbei. Es passierte den Platz mit den vielen bunten Fahrzeugen, ließ den großen Kornbehälter links liegen und hielt neben dem Haus auf dem Feld an. Als sich die Türen öffneten und fünf Menschen ausstiegen, miaute Äüörüzü glücklich und lief auf die Gruppe zu.

»Da wären wir also«, stellte Free unnötigerweise fest.

»Hallo«, begrüßte yury das abenteuerlustige Haustier. Er schien von dem Wiedersehen überhaupt nicht begeistert zu sein. Äüörüzü hingegen lief glücklich maunzend um Alexandra herum. Das Abenteuer auf dem Raumschiff war lustig gewesen, aber die Örz-Katze hatte inzwischen Heimweh.

»Ja, wir fliegen gleich wieder nach Örz«, versicherte Alexandra dem Haustier, das eigentlich einem Nachbarn auf Örz gehörte. »Du wirst das zwar nicht verstehen, aber im Gegensatz zu dir würden wir diesen Flug gerne vermeiden.«

Island wurde derweil ungeduldig. »Genug gequatscht, Schluss mit dem sentimentalen Gelaber. Alle rein ins Raumschiff und Abflug in fünfzig Minuten.«

Widerwillig fügten sich die vier Freunde dem Druck der Erpressung. Während Island sich als Letzter unter den Aufzug begab und nach oben schwebte, sah Orakel durch einen der Glasgänge das rundum erschienene Militäraufgebot.

»Sie trauen uns wohl nicht ganz«, schloss er daraus.

Island warf einen genervten Blick zur Seite und inspizierte den Außengang. »Ich traue euch überhaupt nicht. Beziehungsweise alles zu.« Dann zeigte er mit einem Finger auf yury. »Die nächste Demokratie ist fünftausend Lichtjahre entfernt. Benimm dich.«

yury verzog das Gesicht. »Von mir aus können Sie gerne die Entfernung mit der Demokratie tauschen.«

Island zuckte mit den Schultern und betrat die Zentralkugel. »Schön habt ihr es hier.«

Bevor yury auf der Verwendung einer Vergangenheitsform bestehen konnte, unterbrach Free das Gespräch. »Mister Island? Sie sprachen gerade von fünfzig Minuten. Das erscheint mir bei näherer Überlegung recht weit bemessen.«

Mit einem Nicken setzte Island zu einer Erklärung an, aber Alexandra verstand den Plan bereits. »Der kleine Island möchte vermutlich nicht ohne seine Lieblings-Kuschel-Goldbarren seine Heimat verlassen.«

Free drehte sich ruckartig zu ihr um. »Nein, das ist nicht wahr.« Das Ausmaß der sich anbahnenden Katastrophe wurde ihm langsam bewusst.

»Doch, doch«, versicherte Island. »Mit weniger als zehntausend Tonnen Gold gehe ich nicht aus dem Haus.«

yury brach innerlich zusammen. Wie anmaßend war es, die Menschheit für wichtiger zu halten als die Zukunft eines gesamten Sternenreiches? Island würde mit den Äöüzz sicherlich nicht sanfter umgehen als mit den irdischen Sklaven. Vor seinem inneren Auge tobte bereits ein sinnloser Machtstreit, ein Raumschiffkrieg gegen die uggys und den Mrmbl-Orden mit unzähligen vermeidbaren Opfern.

»Kennt ihr das«, sagte Orakel dann, »wenn in den Nachrichten steht, unter tausend Betroffenen waren zwei Deutsche?«

Das war zu kurz gedacht, überlegte yury. Auch die vorerst verschonte Menschheit würde eines Tages um Gnade betteln müssen; die Erde war langfristig in Gefahr.

 

Umgeben von unangenehmer Stille forderte Free schließlich das Einschalten des Belademodus an. Anschließend murmelte er verzweifelt vor sich hin. »Das wird teuer, das wird teuer. So viel Wasserstoff haben wir überhaupt nicht.«

Kolonnen von Goldtransportern, eskortiert von Panzern, entluden ihren Inhalt in die Lagerhallen des Erkundungsraumschiffs. Die Dichte des Metalls ermöglichte eine Überfrachtung, die kein Inspekteur auf Örz akzeptiert hätte.

»Wir haben jetzt ungefähr die Hälfte Ihres angeblichen Mindestziels erreicht«, wagte Free dann einen vorsichtigen Protest. »Uns brechen gleich die Landestützen durch.«

»Schade drum«, entgegnete Island. »Weitermachen.«

Abflug

Wie er es geschafft hatte, die Flammen des Raketenantriebs gelb-orange zu färben, blieb Dögöbörz Nüggäts Geheimnis. Die faszinierten Blicke der Schaulustigen hinter sich lassend, schoss das Goldnugget in die Stratosphäre.

Nüggät saß begeistert hinter den Kontrollen. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, die manuelle Steuerung zu aktivieren und einen erhöhten Treibstoffverbrauch zu verursachen. »Yippie!«, rief er voller Freude und fühlte sich wieder jung.

»Gute Reise«, tönte es aus dem Funkempfang.

»Danke schön. Grüß deine Frau von mir.«

»Mach ich, sobald sie zurückkommt«, versicherte Älföns Ögnöwäk. »Manchmal beneide ich euch Raumfahrer.«

Der Edelmetallhändler lachte. »Da kann ich aber schlecht mit dem Kriegsschiff mithalten.«

»Wenigstens gehört dir dein Schiff selbst«, gab Ögnöwäk zu bedenken. »Die Kommandanten der Vängefül Destrüktiön sind theoretisch austauschbar.«

»Das wäre ein großer Fehler«, befand Nüggät. »Das Gnörk-Kartell lässt sich nur mit einem eingespielten Team bekämpfen.«

»Verdammte Terroristen«, fluchte es von der Bodenstation. »Leben im Paradies und finden trotzdem Gründe, kriminell zu werden.«

Wenn du ahntest, was ich seit Jahren vorhabe, würdest du dir Sorgen um mich machen, sinnierte der Raumfahrer. »Du sprichst mir aus der Seele. Auf Wiedersehen.« Vielleicht.

»Auf Wiedersehen.«

∞∞∞

»Zehntausend Tonnen und ein Kilogramm. Das ist kein Vielfaches des üblichen Barrengewichts«, bemerkte yury.

»Richtig«, äußerte Island sich beeindruckt. »Ich habe tatsächlich einen kleineren Barren mitgenommen, um dieses Gewicht zu erreichen. Eine Spezialanfertigung. Aus symbolischen Gründen, verstehst du?«

»Nee, verstehe ich nicht.«

»Ein Kilogramm Trinkgeld für euch.«

»Wie großzügig. So arm sind wir nun auch wieder nicht…«

Mit gespielter Empörung stemmte Island die Hände in die Hüften. »Du müsstest dich mal reden hören. In deiner Undankbarkeit verschmähst du mehrere zehntausend US-Dollar.«

»…, dass wir Ihr dreckiges gestohlenes Gold – ach so, darauf wollen Sie hinaus. Eine Doppelmoral? Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben die Goldreserven unseres Heimatplaneten nicht nennenswert angetastet. Außerdem haben wir uns dafür gehörig angestrengt, erhebliche Risiken auf uns genommen und niemanden ernsthaft verletzt. Ihnen fehlt jegliche moralische Rechtfertigung für eine Erpressung mit nuklearen Sprengköpfen und den geplanten Angriff auf die friedlich lebende Bevölkerung tausender Planeten.«

Island lächelte. »Ich finde, mein Coup ist nur eine größere Variante eures Ausflugs.«

Free hielt das Gespräch für nur schwer zu ertragen und raufte sich in Anbetracht einer Kontrollanzeige die Haare. »Das eine Kilogramm ist dem Antrieb relativ egal. Wir werden das Gewicht sogar noch weiter erhöhen müssen.«

Durch diesen Einwand zog er einige verwunderte Blicke auf sich.

»Wenn wir das Schiff nicht bis an den Rand mit Wasserstoff volltanken, stürzen wir nach dem Start durch Treibstoffmangel ab. Die Landestützen sind aber längst überlastet und laut Datenblatt vor fünf Minuten zusammengebrochen.«

Der Diktator lachte respektlos. »Für einen letzten Flug wird es wohl noch reichen. Für genug Wasserstoff ist jedenfalls gesorgt.« Einhundert Kryotanklastwagen näherten sich dem Raumschiff. »Bedient euch.«

Die Landestützen überstanden auch diese Belastung zumindest ohne spürbaren Totalschaden. Ob sie sich nach der Ankunft auf Örz noch verwenden lassen würden, stand in den Sternen.

Free gab yury einen Wink; dieser schloss daraufhin alle Außenschotten und kratzte sich am Kopf. »Wir werden doch sicherlich Zwischenlandungen benötigen, um mit diesem Gewicht das Ziel zu erreichen.«

Alexandra blickte Orakel über die Schulter, der gerade am Kartentisch einige Einstellungen vornahm. Sie zählte, überprüfte ihr Ergebnis ungläubig zweimal und blickte yury an. »Ja, fünfundzwanzig Stück bei einer Reisedauer von einem Erdmonat.«

Orakel schloss die Routenplanung ab und stellte sich eine Zwischenlandung bildlich vor. »Wir werden auf dem nächsten Wasserplaneten schlichtweg untergehen.«

»Das ist kein Problem«, riet Island. »Der Antigravitationsantrieb funktioniert bestimmt auch unter Wasser, und ihr könnt mir nicht erzählen, das Schiff sei nicht wasserdicht.«

»Wollen Sie denn Wasser tanken?«, entgegnete yury. »Oder doch möglicherweise neuen Wasserstoff? Wissen Sie, wie wir den erzeugen? Mit Spiegeln und einem Sonnenwärmekraftwerk.«

Island starrte fünf Sekunden lang vor sich hin, blickte nach draußen und stieß einen Fluch aus.

»Ich mache Ihnen ein Angebot. Wir schmeißen drei Viertel des Gewichts von Bord, dann können wir uns mit Luftkissen über Wasser halten. Im Gegenzug dürfen Sie an Bord bleiben, obwohl Sie als ungebetener Passagier mit Abstand der überflüssigste Ballast sind.«

Nach Luft schnappend, hieb Island eine Faust auf den Computertisch. »Du bist nicht in einer Position, um Angebote zu machen. Wir machen das so, wie ich es sage.«

Die vier Freunde sahen ihn gespannt an. In seinem Kopf schien es zu arbeiten.

»Und zwar«, beschloss er nach einer halben Minute, »werden wir siebeneinhalbtausend Tonnen Gold wieder entladen.« Er beorderte die Transporter zurück; etwa eine halbe Stunde lang entluden verwirrte Soldaten das kurz zuvor eingeladene Gold. Dann gab Island endgültig den Befehl zum Abflug.

Die 4-6692 erhob sich ächzend vom amerikanischen Erdkontinent. Lautes Dröhnen begleitete den Start. Orakel stand an seinem Lieblingsort im nördlichen Glasgang und winkte den Zuschauern am Boden deprimiert zu, bis sie seine Sichtweite verlassen hatten.

∞∞∞

Nüggät blickte auf das halbkugelförmige Display seines Hauptcomputers. Das Update war kurz nach seinem letzten Abenteuer installiert worden. An diesen neumodischen Kram würde er sich noch gewöhnen müssen. Später. Er drückte fünf Knöpfe nacheinander, erhob sich von seinem Sessel und lief zum Ausgabeschacht des Foliendruckers.

Dieser hatte jedoch nur eine Fehlermeldung für Nüggät anzubieten. »Die Folienschächte 1 und 2 sind leer. Bitte füllen Sie Plastik nach.«

»Dann nimm halt den dritten Schacht«, befahl der Kommandant der Maschine.

»Folienschacht 3 ist mit ungeeignetem Druckmaterial gefüllt.«

Solch ein Unsinn! Nüggät riss die große Seitentür des Druckers auf, kniete sich auf den Boden und zog den Behälter aus dem Gerät. Zu seiner Überraschung befand sich darin tatsächlich äußerst ungeeignetes Material für einen Druckvorgang. »Oooh.«

∞∞∞

Es vergingen einige Tage auf dem entführten Raumschiff. Eine Zwischenlandung auf einem Wasserplaneten wurde ohne nennenswerte Schwierigkeiten absolviert, wobei die 4-6692 trotz ausgefahrener Luftkissen tief in die heiße Treibstoffquelle einsank.

Ich würde gerne über das Deck spazieren, hatte Island sich überlegt. Mit Blick auf das Außenthermometer bat er yury um eine Erklärung, wie sich die Örztemp-Zahl in Celsius umrechnen ließe. Der begnügte sich jedoch nicht mit einer einfachen Umwandlung der aktuellen Zahl, sondern hielt einen kleinen Vortrag über die mathematischen und physikalischen Besonderheiten des Einheitensystems von NGC 6193.

»Örztemp ist die absolute Temperaturskala der Äöüzz. Diese Wesen haben, wie Sie möglicherweise wissen, sieben Finger an jeder Hand und ein Faible für Mathematik. Bei der Konstruktion der interstellaren Einheiten wurde, daher wenig überraschend, Wert auf mathematische Eleganz und runde Ergebnisse im Siebenersystem gelegt. Ein Örztemp ist die thermodynamische Temperatur des Tripelpunktes des Wassers geteilt durch sieben hoch drei, also 343. Daher kann zur Umrechnung der Skalen zunächst der Kelvin-Wert durch Multiplikation mit 273,16 und Teilung durch 343 ermittelt werden – näherungsweise ein Faktor von vier Fünfteln. Das gewünschte Ergebnis in Grad Celsius entsteht anschließend ganz einfach durch die bekannte Subtraktion von 273,15 vom Kelvin-Wert, oder grob 270. Leider wirken beide Rundungsfehler in dieselbe Richtung. Der absolute Anteil verzerrt die Umrechnung kalter Messergebnisse, der relative Anteil lässt hohe Temperaturen ungenau erscheinen. Wenn Sie auf der sicheren Seite sein möchten, müssen Sie mit Kommazahlen arbeiten.«

Island nickte. »Selbstverständlich.« Zwei Stunden später kam er erneut auf yury zu. »Wie viel sind denn beispielsweise vierhundert Örztemp in Celsius?«

»Ach, die Außentemperatur«, bemerkte yury sofort. »Ich nehme an, Sie spielen mit dem Gedanken, bei fünfundvierzig Grad Lufttemperatur ein Sonnenbad zu nehmen. Von meiner Seite aus spricht überhaupt nichts dagegen.«

Desillusioniert verzog der Fragesteller das Gesicht und zog sich wieder in die Zentrale zurück.

∞∞∞

Nach einigem Überlegen entschloss sich Nüggät dazu, den Inhalt des Folienschachts unangetastet in seinem Versteck zu belassen. »Das fängt ja gut an. Computer, bitte berechne eine sinnvolle Route nach Dönkwön II.«

Die Berechnung nahm einige Sekunden in Anspruch. »Es wurden zwei Vorschläge berechnet. Vorschlag eins: Wir machen einen Zwischenhalt im Küttröt-System und –«

»Vorschlag zwei.«

»Aktion umgesetzt, Route gespeichert. Es wurden drei Landungen eingeplant; unser nächstes Ziel ist die Discount-Tankstelle auf HörriblDisästör IV. Bitte lehnen Sie sich zurück und genießen Sie Ihre Reise.«

Der Edelmetallhändler schmunzelte. Ohne ihr Gold hätten die vier Weltraumtouristen vermutlich einige verrückte Abenteuer auf dem Schrottplaneten erlebt. Ironischerweise war selbst dort der Lebensstandard höher als in ihrer technologisch minderbemittelten Heimat.

Das goldene Raumschiff trat sanft in die Atmosphäre ein, überflog einige Armenviertel und erhielt über Funk eine Landegenehmigung direkt neben einer der Hochdruck-Zapfsäulen für Wasserstoff. Die Tankstelle war seit Jahren nicht gewartet worden; Schmelzschäden waren über die gesamte Landefläche verteilt. Manche Piloten, dachte Nüggät, haben ihre Fluggenehmigung beim Glücksspiel gewonnen. Es war ihm unbegreiflich, wie manche Besucher ihre Verachtung für die Unterschicht durch Respektlosigkeiten zum Ausdruck brachten. Durch den bodennahen Einsatz der Raketentriebwerke traten diese Personen ihre Gastgeber mit den Füßen.

Ein wenig an die eigene Nase fassen, bemerkte Dögöbörz Nüggät, würde er sich ebenfalls müssen. Mit einem goldüberzogenen Raumschiff im Getto zu landen, war eine ungewollte, aber vorhersehbare Provokation der Zuschauer am Boden. Im Grunde genommen war es nicht seine eigene Idee gewesen, aber die zu dieser Computerentscheidung führenden Parameter hatte er vor vielen Jahren selbst festgelegt. Vielleicht hätte er sich einen dritten Vorschlag berechnen lassen sollen.

Da Roboterarbeit günstiger war als die Anstellung eines Äöüzz-Tankwarts, fand praktisch überall im Imperium die Betankung durch spezialisierte Maschinen statt. Anders sah es auf HörriblDisästör IV aus: Hier war Selbstbedienung erforderlich. Nüggät griff nach dem dünnsten Ladeschlauch, verband das Ende mit der Tanköffnung der Däns Miräköl und forderte eine vollständige Betankung an.

∞∞∞

Orakel saß im Schneidersitz auf dem Boden des Nordgangs. Neben ihm, vor ihm, rund um ihn herum lagen über zwanzig große Papierbögen; unter seinen Händen befand sich ein saphirblauer Aktenordner. yury hätte sich an seiner Stelle vermutlich über die »nicht hinnehmbare« Schmälerung des Weltall-Rundumblicks durch die Präsenz und Sichtbarkeit des Erpressers im Ostgang beschwert. Zudem hätte yury die Gelegenheit für einen makabren Wortwitz über das unbefugte Eindringen des US-Amerikaners in den Osten nicht ungenutzt verstreichen lassen. Orakel tat nichts dergleichen. Er ließ sich auch nicht stören, als Island den Nordgang betrat und ihm interessiert bei seiner Arbeit zusah.

 

Klassisch mit Bleistift auf Papier entstanden in beeindruckender Detailverliebtheit wunderschöne Weltraumbilder. Nach minutenlanger Beobachtung räusperte sich der Besucher und las den Titel des Aktenordners vor. »›Impressionen zwischen Örz und Örs.‹ Bewundernswert.«

Orakel lächelte, ohne den Stift abzusetzen. »Es hat mich einige Überzeugungsarbeit gekostet, den Stift mit an Bord nehmen zu dürfen.«

Das verstand selbst Island ohne große Raumerfahrung. »Wegen des Grafits wahrscheinlich. Ein schwarzer Kugelschreiber hätte es doch auch getan?«

»Notfalls, ja. Dank der künstlichen Schwerkraft darf ich aber auch mit Grafit schreiben. Ein kleiner fleißiger Roboter sammelt nachher den Staub auf. Außerdem ist die Raumschiffelektronik luftdicht verpackt, wenn sie nicht gerade gewartet wird. Die Kühlung erfolgt über Wärmetauscher.«

»Ah, ich verstehe. Und mit den Zeichnungen lässt sich bestimmt eine Menge Geld bei den Äöüzz verdienen«, versuchte Island die Motivation nachzuvollziehen.

Orakel legte den Kopf abwechselnd schräg nach links und rechts. »Darum geht es mir nicht. Wenn die Mappe fertig ist, verbreite ich sie auf allen bekannten bewohnten Planeten zum Selbstkostenpreis. Unter einer freien Lizenz.«

Langsam setzte ein gewisses Verständnis ein. »Ah, also für diejenigen, die das an ihre Freunde und Familie weitergeben möchten.«

»Nicht nur für die«, ergänzte Orakel. »Für jede Person, für jeden beliebigen Zweck.«

»Auch für kommerzielle Großkonzerne? Ohne Einschränkung?« Das konnte Island kaum glauben.

»Na ja, die Bedingung ist, dass mein Name als Zeichner genannt wird, zusammen mit einem Link auf meine Örznetseite.«

»Aha!«, rief der ehemalige Agent aus. »Du möchtest die Werbetrommel für deinen Online-Merchandising-Shop rühren. So erhältst du dann dein gewünschtes Geld.«

Mit ehrlichem Erstaunen legte Orakel den Stift zur Seite und blickte zu Island nach oben. »Nein. Dadurch stelle ich nur sicher, dass selbst kommerzielle Verkäufer nicht auf einen Hinweis auf den Ort verzichten können, an dem das Produkt kostenlos in elektronischer Form erhältlich ist.«

Island kratzte sich am Kinn und blickte nachdenklich in Flugrichtung nach draußen. »In der erzwungenen Namensnennung spiegelt sich aber ein verstecktes Motiv wider. Ein Wunsch nach persönlicher Berühmtheit.«

Auch Orakel zählte gedankenversunken die Sterne. »Auf diese Interpretation würde ich mich tatsächlich einlassen – zumindest für den Fall, dass das Werk unerwarteterweise große Verbreitung erfährt. Aber wem sage ich das?«

»Oh«, nahm der Diktator die Anspielung auf. »Ich glaube, mein Antrieb ist nicht das allseits präsente Streben nach Berühmtheit.«

Diesmal konnte Orakel bei allem Respekt ein spöttisches Herauslachen nicht unterdrücken. »Ihr Antrieb ist pure Philanthropie.«

Auch der eindeutige Nicht-Philanthrop lachte. »Das allerdings nicht.« Er atmete genießerisch tief ein, als konnte er den Geruch des im Vakuum schwebenden Sternenstaubs durch die Glasscheibe hindurch wahrnehmen. Dann folgte die angebliche Erklärung. »Mein Antrieb ist ein unstillbarer Durst nach Wissen und nach uneingeschränkter, verzögerungsfrei ausübbarer Macht.«

»Impliziert das nicht große Berühmtheit? Ist die Macht, und jeder Versuch, sie zu vergrößern, nicht nur ein Mittel zu diesem eigentlichen Zweck?«, wagte Orakel, nachzuhaken.

Island nahm ihm diese Fragen nicht im Geringsten übel. Mit Orakel konnte man vernünftig reden. »Nein, das würde ich nicht so interpretieren. Mein Traum wäre nämlich auch dann erfüllt, wenn ich als gottgleiches, aber namenloses Wesen die volle, direkte Kontrolle über das gesamte Geschehen der Milchstraße hätte. Allwissenheit und anonyme Allmacht würden mir bereits genügen.«

»Das klingt sehr bescheiden«, sagte Orakel, behielt die Ironie der Aussage aber für sich. Er griff wieder nach dem Bleistift und zeichnete einen Stern ein, der ihm auffiel – einen Stern, den er glaubte, aus der Ferne wiederzuerkennen. Stirnrunzelnd zog er einige Striche auf dem Papier und wischte vorsichtig mit seinem linken Daumen über den Grafit. In Gedanken versunken entspannte er seine Augen, das Bild verschwamm und fühlte sich an wie ein Déjà-vu.

∞∞∞

Der Kommandant traute seinen Augen nicht. Dort kam tatsächlich ein Tankstellenmitarbeiter angelaufen und winkte bereits im Laufen wild mit den Armen. Mit der Befürchtung, der Wärter wolle ihn wohl darauf aufmerksam machen, dass die Ladesäule demnächst explodiere, drückte Dögöbörz Nüggät den roten Stoppknopf. Es war ein mulmiges Gefühl, auf mehreren Kubikkilometern explosiv brennbaren Materials zu stehen, ohne sich auf die Sicherheit der Behälterwände verlassen zu können.

»Herr Nüggät? Sind Sie das? Ist das Ihr Raumschiff?«, rief der Planetenbewohner aus der Ferne. Er erhielt ein verwirrtes Nicken als Antwort. »Gut, dass ich Sie treffe. Erinnern Sie sich an mich?«

»Ehrlich gesagt, nein. Dabei habe ich eigentlich ein sehr gutes Kundengedächtnis.«

»Vielleicht hilft es Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge, wenn ich Sie an Tisiphöne erinnere.«

Nüggät riss die Augen auf. Der vermeintliche Fremde lächelte zufrieden.

»Das Äöüzz-Militär schuldet uns noch sechzigtausend Äzz zuzüglich Zinsen.«

»So funktioniert das nicht«, protestierte Nüggät reflexmäßig. »Sie können nicht im Nachhinein einen astronomischen Preis für eine Tankladung festlegen. Außerdem können Sie Ihren Teil des Vertrags überhaupt nicht erfüllen. Die Vängefül Destrüktiön fliegt hunderte Lichtjahre entfernt durch das All.«

»Das hat sich mit Ihrer Landung geändert«, erinnerte ihn der Tankwärter mit zusammengekniffenen Augen. »Ich zahle meine Schulden, und Sie zahlen Ihre.«

So viel Ignoranz war erschreckend. »Glauben Sie, ich bin hierhergekommen, um eine Zwanzigstelmillion Äzz für eine Tankfüllung zu bezahlen?«

»Nein, aber genau das werden Sie trotzdem tun.«

∞∞∞

Orakel fasste einen Entschluss, streckte seine Beine aus, massierte seine Fußknöchel und erhob sich von seinem Platz. Den Aktenordner und den Bleistift hielt er in jeweils einer Hand, als er sich zu Island drehte. Der starrte jedoch vollkommen geistesabwesend in die Schwärze des Weltalls. »Entschuldigung?«

Island schüttelte die Gedanken ab und drehte sich zu Orakel um.

»Ich wollte Ihren Gedankengang nicht stören. Mich wundert aber, wie Ihre langfristigen Ziele lauten. Herrschaft über die Galaxis ist zwar kein durch Zurückhaltung auffallender Wunsch, aber auch kein allumfassender Abschluss.«

»Stimmt. Sobald mir die Milchstraße gehört, folgen die Entwicklung intergalaktischer Antriebe und die Eroberung der umliegenden Galaxien. Gerne durch Eingliederung, aber nötigenfalls mit Gewalt.«

Das Gesicht verziehend, verabschiedete sich Orakel. »Ich glaube, in diesem Punkt werden wir uns nicht einig.«

∞∞∞

Dögöbörz Nüggät hatte sich in seinem Raumschiff verschanzt und rief über Warpfunk nach Verstärkung. Draußen stand der nicht ganz zu Unrecht verärgerte Gläubiger und kratzte mit seinen Fingernägeln an der Goldhülle.

Solange er nicht seine Zähne benutzt, verursacht er keinen Kratzer. »Hallo, Raumkontrolle? Wir haben einen etwas komplizierten Schuldenfall auf der Bütän-Tankstelle auf HörriblDisästör IV. Könnten Sie ein paar Imperiumspolizisten vorbeischicken? Danke schön.«

Mit dem Wissen, bald Verstärkung aus dem All zu erhalten, verließ der reiche Pilot das Raumschiff und stellte sich erneut den Hasstiraden seines Gegenübers. Genervt ertrug er einige heftige Beleidigungen, bis endlich ein Patrouillenschiff in Sichtweite geriet. Die hell grün-blau blinkende Kugel war am Himmel kaum zu übersehen; die ganze Umgebung wurde in buntes Blinklicht getaucht. Mit ungutem Gefühl dachte Nüggät an den Inhalt des dritten Druckerfachs, das aber hoffentlich von Untersuchungen verschont bleiben würde. Schließlich ging es bei diesem Vorfall nicht um sein Schiff, sondern um ein mehrere Jahre altes Tankabonnement mit äußerst fragwürdiger Kündigungsfrist.

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