Qualität in Pfarreien

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Die Erwartungen an Kasualgottesdienste und soziale Leistungen werden von den Mitarbeitenden am genauesten (wiewohl immer noch zu tief, nämlich zu 96%), diejenigen an Gottesdienste, Kirchenmusik und Freiwillige Mitarbeit am ungenauesten (nämlich zu 60–71%) wahrgenommen. Die Falscheinschätzungen dieser letztgenannten Leistungen sind beträchtlich.“345

Daraus leitet Plüss ab, dass das Selbstbild, das man intern offenbar von Kirche hat, korrigiert werden muss. Die Beziehung zur Kirche ist viel komplexer als man landläufig wahrnimmt. Abgesänge nehmen die Situation einseitig wahr.

„Die Kirche ist kein sinkendes Schiff. Der Ruf der Kirche ist besser als ihr vermeinter. Alle gegenteilige Rhetorik trägt nicht zu ihrer Zeitgenossenschaft, sondern zu ihrem selbstgemachten Abbau bei. Von der Kirche wird viel erwartet. Dies bedeutet aber nicht gleich Rückeroberung, sondern sensible Wahrnehmung der Fragen und Bedürfnislagen.“346

Demnach sind nicht zwingend äußere Umstände das Problem, sondern die Art der Kommunikation mit der Gesellschaft, die zu wenig auf die ausdifferenzierte Moderne reagiert und sie so keinen Zugang zu den alltäglichen Lebensfragen der Menschen findet. Von der Kirche werden durchaus qualitativ brauchbare und passende Deutungsprozesse in einer komplexen Realität erwartet, was immer noch ein Grundvertrauen in die Interpretationskraft des Christentums deutlich macht.347 Folgt man Widl, so muss dies wohl deutlich kritischer gesehen werden. Sie macht in der Postmoderne einen deutlichen Graben zwischen den Lebenskulturen der Menschen heute und der typisch kirchlichen Kultur aus. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft führt zu Lebenswelten, die relativ unabhängig voneinander existieren und die ihre eigenen Logiken ausgebildet haben. Die Verständnisse ähnlichen Sprachgebrauchs mögen dann auch unterschiedlich sein. Demnach wäre das Deutungsangebot der Kirche damit viel weniger anschlussfähig.348

Innerkirchliche Interpretation und Bewertung

Die Eigengesetzlichkeit von Kirche führt letztlich zu Missverständnissen. Das gilt einerseits gegenüber der Gesellschaft, wenn Kirche als weltfremd wahrgenommen wird. Andererseits auch innerkirchlich, wenn Pluralisierung und in der Folge Dissens deutlich wird - die Verständnisse und Sichtweisen sind nicht mehr zwingend einheitlich und eindeutig, die Glaubenden verhalten sich individualisiert, Strukturen differenzieren sich aus. Selbst fundamentalistische Ansätze tragen einen Teil zur Pluralisierung bei, selbstverständlich auch die Vielzahl spiritueller Zugänge.349

„So ist durchaus verständlich, daß der christliche Glaube sowohl mit seiner als universal heilsbedeutsam ausgegebenen Weltdeutung (…) wie auch mit dem daraus folgenden Anspruch, allgemein verbindliche Normen für das praktischsittliche Verhalten setzen zu können, keine gesamtgesellschaftliche Resonanz finden kann. Es bleibt ein Angebot an Sinngebung, Wertsetzung und Weltdeutung unter vielen konkurrierenden Angeboten.“350

Die Veränderungsprozesse, die die Moderne bzw. die Postmoderne mit sich bringen, wirken sich also wesentlich auf Kirche aus. Das II. Vatikanische Konzil hat auf gesellschaftliche Herausforderungen reagiert und wollte mit Reformen antworten. Innerkirchlich zeigen sich in Abstand zum Konzil unterschiedliche Sichtweisen über den richtigen Weg der Kirche in der heutigen Gesellschaft. Damit eng verbunden ist eine unterschiedliche Wertung der heutigen Gesellschaft: während Reformgegner die Moderne als „Verfall“ bzw. Dekadenz wahrnehmen, in der echter Glaube immer weiter abschmilzt, sehen Reformbefürworter in ihr eine Chance, die die Kirche nutzen und sich daher von „Weltfremdheit“ lösen sollte. Beide nehmen die aktuelle Situation als Krise wahr, unterscheiden sich aber deutlich in Diagnose und Perspektive.351

„Dieser unnötige Kräfteverschleiß könnte vermieden werden, wenn Reformer und Reformgegner sehen lernten, daß der andere jeweils eine wichtige Anfrage an die gegenwärtige Kirchenpraxis vertritt. Der Reformer ist in hohem Maße aufmerksam für die Situationsgerechtigkeit, der Reformgegner hat zumeist mehr Sinn für die Zielsicherheit und leistet deshalb Widerstand gegen Reformen (…).“352

Nach Kehl kann es nicht darum gehen, irgendjemanden - der modernen Gesellschaft oder der Kirche selbst - die Schuld an der Krise zuzuschieben. Für Kehl ist es auch nicht wirklich hilfreich, die Anforderungen an die Zulassung zu den Sakramenten zu verstärken.353

„Solche simplen Erklärungen (…) bringen uns nicht weiter. Nicht nur, weil sie der Kompliziertheit des Phänomens nicht gerecht werden, sondern auch, weil sie kaum Bereitschaft zeigen, den eigenen Teil an Verantwortung für diese Situation mitzuübernehmen und zugleich Phantasie zu entwickeln, um eine drohende Agonie des kirchlichen Lebens zu überwinden.“354

Kehl empfiehlt, die Moderne auch als Impuls für das eigene Kirche-Sein in seinen vielfältigen Gestalten und Kommunikationsformen zu überprüfen: Das Wichtige behalten, das Gestaltbare anpacken, die Kommunikation mit der Gesellschaft verändern. Dazu gehört, die Moderne als Partner zu verstehen, nicht nur weil sie aus einer christlich geprägten Vorgeschichte stammt. Es braucht nach Kehl Orte, an denen Glaube authentisch, mystisch erfahrbar wird:

„Nur wenn der zentrale Gehalt unseres Glaubens, die Beziehung zum dreifaltigen Gott und die darin wurzelnde Gewißheit, unbedingt bejaht und geliebt zu sein, den einzelnen auch erfahrbar gemacht werden kann, behält die Kirche eine unverwechselbare Daseinsberechtigung und Anziehungskraft. Das wird wohl am ehesten verwirklicht werden können durch eine befreiende, frohmachende Atmosphäre unserer Gottesdienste, durch eine vielfältige Mystagogie in das persönliche Gebet (…) durch die Verbindung der Initiationssakramente mit dem realen Hineinwachsen in eine konkrete Gemeinschaft (…).“355

Daneben hält er es für wichtig, die Armen im Blick zu behalten, die Diakonie nicht nur an die Caritas zu delegieren:

„Eine stärkere Integration der Diakonie und der ihr zugeordneten Institutionen in ein kirchliches Gemeindeleben bringt die Präsenz Christi seiner Kirche viel ‘leibhaftiger’ zur Erfahrung.“356

Christliches Leben kann dann auch Kontrast sein, indem sich Menschen finden, die sich dauerhaft und überzeugt von der Kraft des Glaubens auf ein Leben aus dem Evangelium ausrichten. Eng damit verknüpft ist der Hinweis, dass es nicht zu exklusiven Lebensweisen kommen darf. Im Gegenteil, die Vielfalt der Lebenssituationen erfordert eine Vielfalt an religiösen Zugängen und damit Glaubenswegen wie auch -Schwerpunkten.357

Blickt man in die Geschichte, stellt sich die Frage, ob die Menschen früher wirklich religiöser waren. Der gesellschaftliche Rahmen war ein völlig anderer - ein Rahmen, der wesentlich autoritär und nicht-plural geprägt war. Jede Individualität wurde restriktiv eingefangen. Sozialer Zwang sorgte für eindeutige Ordnung. Das betraf in gleicher Weise Religion und Religionsausübung.

„Frühere Generationen waren im Kern nicht christlicher, sie waren auch nicht gläubiger oder frömmer.“358

Zugleich muss auch mit Blick auf Synkretismus davon ausgegangen werden, dass das Potential zur religiösen Pluralität schon immer vorhanden war. Die Volksfrömmigkeit zeigt viele Formen, die sich in kulturellen Differenzen herausgebildet haben. Auch die Orden bauen auf unterschiedlichen spirituellen Ansätzen auf. Allerdings sind die Möglichkeiten, die synkretistischen „Konsumregale“ zum „Basteln“, in der Postmoderne in ganz anderer Umfänglichkeit gegeben. Sogar Fundamentalismen müssen unter diesem Blickwinkel als „Patchwork“ wahrgenommen werden, da sie bestimmte Schwerpunktsetzungen im Glauben vornehmen, also eine Auswahl treffen.

Macht sich die Kirche dagegen auf den gemeinsamen Weg mit der „Welt“, weil sie auch Teil der Menschheit ist und ihr Geschick teilt (GS 40) und in Dialog steht (GS 42, 43), so wird sich Pluralität letztlich auch innerkirchlich abbilden, damit Kirche nah am Menschen dem Heil dienend wirken kann. Das benötigt wiederum eine Elementarisierung der Botschaft, damit Menschen in ihrer speziellen Situation anknüpfen können.359

Zusatzbelastungen

Neben den Schwierigkeiten, die die Kirche aus den gesellschaftlichen Entwicklungen heraus erfährt, kommen weitere Belastungen hinzu, die die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und damit die Wirkung nach außen beeinträchtigen.

Extrem belastend war das Aufkommen sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige durch Priester und Ordensleute:

„Im Jahr 2010 wurde die katholische Kirche in Deutschland durch die Aufdeckung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch Priester und Ordensleute erschüttert.“360

 

Die Erschütterung war deutlich. Papst Benedikt XVI. wie auch Papst Franziskus haben die Vorfälle klar verurteilt. Seit 2014 gibt es eine Kinderschutzkommission im Vatikan. Die deutschen Bischöfe haben die Richtlinien gegen den Missbrauch verschärft und die Bistümer haben Ansprechpartner eingerichtet und Präventionsmaßnahmen ergriffen.361

Ein anderes Beispiel, das besondere Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, und ein negatives Licht auf die Kirche warf, war der Umbau des Bischofssitzes im Bistum Limburg. Auch wenn damit nicht alle Austritte begründet werden, so hat sich das doch sicherlich auf die Austrittszahlen ausgewirkt: 2013 sind 178805 Katholiken aus der Kirche ausgetreten.362

Zu diesem Bereich der „Zusatzbelastungen“ gehört sicherlich auch, was Ottmar Fuchs als „Pastorales Schisma“ bezeichnet: die Feststellung, dass das Vertrauen zwischen „oben“ und „unten“ offenbar an vielen Stellen belastet oder gefährdet ist. Es sind Spannungen auszumachen, die sich z. B. in Strukturplanungsprozessen einzelner Diözesen entladen. Leitung und Volk, bzw. die Menschen in den Gemeinden, ziehen nicht mehr selbstverständlich an einem Strang, die Kommunikation kann konfliktbeladen sein. Am deutlichsten ist dies an den Priesterinitiativen abzulesen, die sich kritisch an die übergeordnete Autorität richten und vieles in Frage stellen. Das Miteinander und damit die Einheit sind immer wieder gefährdet.363

Neuentdeckung der Mission

Diese Zeichen der Zeit, die Veränderungen der Moderne, führen zu einer Neuentdeckung des Begriffs „Mission“ in der theologischen Sprache. Es wird neu über Mission in Deutschland gesprochen und Deutschland als „Missionsland“364 wahrgenommen. Verschiedene Modelle sind im Gespräch, Wollbold verweist auf die Notwendigkeit, sich zunächst intern zu erneuern. Die Situation der Kirche in Ostdeutschland fördert ihre ganz eigenen Erfahrungen zutage. Die französische Kirche setzt den Menschen zuerst, will sich an deren Fragen ausrichten und von daher und mit den Menschen Pastoral gestalten, was in der Überzeugung wurzelt, dass der Geist in allen Getauften wirkt. Bucher fordert zu einer missionarischen Pastoral auf, die das Evangelium nicht besitzt, sondern das immer wieder neu in der Auseinandersetzung zwischen Tradition und Moderne herausfordert: Inwieweit wird Risiko und Verunsicherung zugelassen, begeistert es und fördert neue Erfahrungen mit dem Glauben zutage?365

2.1.2 Indikatoren der Wirksamkeit

Aktuelle Zahlen für Deutschland

Die Zeitung „Die Welt“ hat im September 2013 die Entwicklung der Zahlen der beiden großen Kirchen Deutschlands in folgender Weise kommentiert:

„Christen in Deutschland werden zur Minderheit

Die Religion in Deutschland wird in 20Jahren weit weniger als heute verbreitet sein. Das Christentum wird zur Angelegenheit einer Minderheit. Doch so kann sie das religiöse Denken inspirieren.

Wunder sind in einer Religion grundsätzlich denkbar. Auszuschließen aber sind sie bei der Lebenserwartung religiöser Menschen. Deshalb werden in 20Jahren weniger als 50 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen einer der beiden großen Kirchen angehören. Derzeit sind es rund 60 Prozent, nämlich 23 Millionen Protestanten und 24 Millionen Katholiken, deren Gesamtzahl alljährlich um rund 500.000 sinkt, und zwar hauptsächlich durch Todesfälle.“366

Schauen wir uns die Zahlen im Folgenden nüchtern an. Der Bericht der katholischen Kirche in Deutschland (Arbeitshilfe 263) liefert für die Jahre 2012/13 die folgenden Fakten.

Taufen

2012 wurden in Deutschland 167 505 Menschen getauft.

„Wenn beide Eltern einer christlichen Kirche angehören, entscheiden sie sich meistens für die Taufe ihres Kindes. Gleiches gilt, wenn wenigstens ein Elternteil katholisch ist: Auf vier Geborene mit wenigstens einem katholischen Elternteil kommen jährlich nahezu drei katholische Taufen. Diese Zahl ist seit fast drei jahrzehnten stabil.“367

1970 lag die Zahl der Taufen bei 369 852 (2001 waren es 223 180 Taufen)368. Zugleich fällt aber auch die Zahl der Geburten von 1,048 Millionen (1970)369 auf fast 673 544370. Prozentual bedeutet dies einen stärkeren Abfall der Taufzahlen als der Geburtenzahlen: Bundesweit gingen die Geburten um rund 36% zurück, die Taufen dagegen um rund 55%.

Oder anders formuliert: Das Verhältnis der Geburten zu den Taufen hat sich seit 1970 von 35,3% auf 24,9% verschlechtert, d. h., von den Neugeborenen wurden 1970 ca. 35% katholisch getauft und 2012 ca. 25%. 1990 lag das Verhältnis bei 32,4%371. Somit gehen die Taufzahlen stärker zurück als die Geburtenzahlen.

Beerdigungen

Aus dem DBK-Bericht von 2001 ist ersichtlich, dass 2001 265 307 Personen beerdigt wurden.372 2012 beträgt diese Zahl 247 502 Personen373.

Im Vergleich dazu starben in der Bundesrepublik 2001 828.541 und 2012 869 582 Personen.374 Der Anteil der Katholiken an den Sterbefällen insgesamt im Bundesgebiet beträgt somit 2001 32% und 2012 30,5%. Der Anteil der Katholiken ist leicht zurückgegangen.

Eintritt, Wiederaufnahme und Austritt

Der Bericht gibt für 2012 118 335 Austritte von Katholiken aus ihrer Kirche an. Demgegenüber wurden 2012 lediglich 7185 Personen wieder aufgenommen, hinzu kommen 3091 Eintritte, die vorher noch nicht Teil der katholischen Kirche waren.375 Die Zahlen von 2001 sehen sehr ähnlich aus: Damals sind 113 724 Katholiken ausgetreten, zugleich traten 8616 Personen wieder ein (hinzu kommen 3844 Übertritte).376 2010 waren es 181 193 Austritte bei 7403 Wiederaufnahmen und 3576 Eintritten.377

Als Saldo aus Taufen, Beerdigungen und Austritten lässt sich somit festhalten, dass die Anzahl der Mitglieder in der katholischen Kirche 2001 um 147 235 und 2012 um 191 147 abgenommen hat.

Kirchgänger

2012 werden rund 2,9 Millionen Gottesdienstbesucher gezählt, 2011 rund 3 Millionen.378 2001 wurden rund 4,25 Millionen Kirchgänger gezählt.379 Dies bedeutet einen Rückgang um rund 32% in elf Jahren.

Priesterzahlen

Die Anzahl der Priester sinkt. Gab es 2000 noch 17 129 Welt- und Ordenspriester in den deutschen Diözesen, waren es 2012 noch 14 636 Priester. Dies bedeutet einen Rückgang um 14,6%. Dies ist auch anhand der Neupriester sichtbar: 2001 wurden 124 Neupriester diözesan geweiht (363 starben), 2012 waren es 79 Männer.380 Die Zahl der Neupriester ging also deutschlandweit um 36,3% zurück.

Mitarbeitende im pastoralen Dienst

Parallel dazu hat sich die Zahl der Laien und der ständigen Diakone seit 2012 kontinuierlich nach oben entwickelt. Im Jahr 2000 gab es 910 Diakone im Hauptberuf (1392 mit Zivilberuf), 4355 Gemeindereferentlnnen und 2742 Pastoralrefe-rentlnnen. 2012 waren es 1192 Diakone im Hauptberuf (1952 mit Zivilberuf), 4479 Gemeindereferentlnnen und 3119 Pastoralreferentlnnen.381

Strukturen

Die Anzahl der Pfarreien in Deutschland wurde aufgrund verschiedener Strukturreformen reduziert. Während es 1990 noch 13 313 Pfarreien gab, sank die Anzahl um 15,7% auf 11 222 Pfarreien.382

Ehrenamt

Die Anzahl der Ehrenamtlichen in der katholischen Kirche kann nicht genau angegeben werden, da es so unterschiedliche Aufgabenfelder gibt:

„Allein bei der Caritas sind über eine Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Dazu kommen die Menschen, die in der Gemeinde vor Ort im Bereich Jugend- und Altenarbeit, in der Gottesdienstgestaltung und in Besuchsdiensten aktiv sind. Auch bei den Pfadfindern, den Ministranten und in Kirchenchören engagieren sich viele Christen. Zudem sind über 100.000 Menschen in Pfarrgemeinderäten, Verwaltungsräten und Diözesanräten aktiv. Mit über fünf Millionen Menschen engagiert sich eine große Zahl ehrenamtlich Aktiver in katholischen Verbänden, Aktionen und Initiativen.“383

Andere Schätzungen kommen für die katholische Kirche wiederum auf rund 2,5 Millionen Personen.384

Der Religionsmonitor von 2013 betrachtet auch die Engagementbereitschaft unterschiedlicher Religionsangehöriger. Es wird deutlich, dass sich Christen mit 39% ehrenamtlich betätigen, während es Konfessionslose nur mit 28% tun.385

Weitere Fakten

Während die bisher genannten Statistiken insbesondere auf diözesane Strukturen blicken und/oder auf die Frage der Mitgliedschaft, gibt es aber auch weitere für die Kirche relevante Zahlen, die ebenfalls in der kirchlichen Statistik geführt werden. Hier seien nur die folgenden kurz erwähnt:

• Die Zahlen der kirchlichen Hilfswerke, insbesondere von Misereor. Misereor hat im Vergleich seine Projektförderung von 145,3 Millionen Euro (2007) auf 187,7 Millionen Euro (2013) steigern können. Dabei sind die Zuwendungen aus den Kollekten gesunken, während die Spendeneinnahmen Zunahmen.386

• Katholische Kindertageseinrichtungen erreichten 2013 mit rund 94 600 Pädagogen über 623000 Kinder, diese Zahl hat sich seit 2010 nicht wesentlich verändert (76460 Pädagogen und 599937 Kinder).387

• 2008/09 waren 436228 Ministranten in Deutschland aktiv, ca. 660000 junge Menschen werden offenbar über den BDKJ und seine Mitgliedsverbände erreicht.388

Einige Zahlen mehr ließen sich anfügen, für einen ersten Überblick soll das an dieser Stelle aber ausreichend sein.

Kirchlichkeit, Religiosität und ihre Wirkungen

Eine grundlegende Perspektive zur Wirkung von Kirche ist die Frage, wie sehr die Menschen mit der Kirche verbunden sind und inwieweit sie sich für religiös halten. Folgende Punkte sollen einen Überblick geben:

• Der 2010 veröffentlichte MDG-Trendmonitor zeigt, dass die Frage „Wie gut passt die Kirche Ihrer Meinung nach eigentlich in unsere Zeit?“ offenbar ein Plateau erreicht hat. Es geht der Trend nicht mehr nach unten, sondern steigt seit 2002 zum zweiten Mal leicht an und liegt bei 5,4 (auf einer Skala von 0 bis 10).389

• Wie viele Menschen bezeichnen sich selbst als religiös? Laut MDG-Trend-monitor hat sich seit 2000 (53%) nicht viel verändert. In Westdeutschland lag das Niveau 2010 bei 52%.390 Laut Religionsmonitor bezeichneten sich 2013 21% als „ziemlich/sehr“ religiös und 35% als „wenig/gar nicht“.391

• Religiöse Erziehung ist für Eltern gleichbleibend wichtig. 2002 fanden 68%, dass „es für Kinder wichtig sei, religiös erzogen zu werden“, 2010 waren es 69%.392

• Der Religionsmonitor wollte von den Befragten wissen, wie wichtig ihnen die verschiedenen Lebensbereiche (Familie, Freund, Freizeit, Arbeit/Beruf, Politik, Religion, Spiritualität) sind, und erstellte daraus eine Rangliste. Das Ergebnis ist:

 

„Unter allen im Religionsmonitor abgefragten Lebensbereichen werden Religion und Spiritualität mit Abstand als die unwichtigsten eingeschätzt. (…) Religion wird als sehr viel weniger wichtig angesehen als Familie, Freunde, Freizeit (…) und Arbeit/Beruf (…).“393

• Hinzu kommt, dass offenbar die Bereitschaft fehlt, über seinen Glauben zu sprechen, und man zu wenig aktiv nach außen tritt:

„Noch immer gibt es offensichtlich verbreitet Hemmungen, Blockaden, mit anderen über die eigenen religiösen Anschauungen, Glaubensüberzeugungen zu reden. Insofern bleibt Religion für viele ‚Privatsache’. Oft ist es ganz einfach Desinteresse, warum Gespräche über religiöse Fragen so selten sind.“394

Bischof Wanke drückt es folgendermaßen aus:

„Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt etwas. Es ist nicht das Geld. Es sind auch nicht die Gläubigen. Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt die Überzeugung, neue Christen gewinnen zu können. Das ist ihr derzeit schwerster Mangel. In unseren Gemeinden, bis in deren Kernbereiche hinein, besteht die Ansicht, dass Mission etwas für Afrika oder Asien sei, nicht aber für Hamburg, München, Leipzig oder Berlin.“395

• Die Sozialisation wird als wichtiges Element der Glaubensweitergabe festgehalten. Es sind die religiös Erzogenen, die schwerpunktmäßig den Glauben wieder leben.396

„Fehlende religiöse Erfahrung und nicht mehr vorhandenes religiöses Wissen führen demnach ganz offensichtlich dazu, dass vielen Menschen ein Leben ohne Religion als ganz selbstverständlich erscheint.“397

• Religiosität und Lebenszufriedenheit hängen offenbar miteinander zusammen: religiösere Menschen sind mit ihrem Leben tendenziell zufriedener.398

• Religion wirkt positiv auf gesellschaftlichen Zusammenhalt:

„35% der befragten Deutschen sagen, dass sie sich derzeit außerhalb von Familie und Beruf in freiwillig übernommenen Funktionen engagieren. Unter denen, die sich als ziemlich oder sehr religiös bezeichnen, tun dies 49%, unter denen, die sich als gar nicht oder wenig religiös verstehen, hingegen nur 29%. Dienjenigen, die dem Christentum angehören, engagieren sich zu 39%, die Konfessionslosen nur zu 28%. (…) Unter den Hochreligiösen geben 75% an, Vertrauen in andere Menschen zu haben, unter den Christen 68%.“399

„Die besondere gesellschaftliche Offenheit von Christen und religiös eingestellten Menschen wird auch daran sichtbar, dass sie nicht nur Menschen, die ebenfalls religiös sind und die der gleichen Religionsgemeinschaft wie sie selbst angehören, ein besonderes Vertrauen entgegenbringen; bei ihnen sind auch die Vertrauenswerte gegenüber Konfessionslosen höherals bei den Konfessionslosen selbst.“400

• Religiöse Ausdrucksfähigkeit scheint weiterhin breit als Kompetenz vorhanden zu sein, auch wenn die Inhalte individualisiert sind und demnach häufig eine konfessionell reine, inhaltliche Lehre so nicht anzutreffen ist. Es wird ein Bezug zur Transzendenz hergestellt mit dem Fokus auf die eigene Biographie.401

„Man sollte als Ergebnis (…) ernst nehmen, dass es durchaus eine flächendeckende Vertrautheit mit religiösen Fragestellungen beziehungsweise religiösen Formen gibt. Völliges Unverständnis ist die absolute Ausnahme.“402

In der Konsequenz fordert das die kirchliche Kommunikationsstruktur in der Weise heraus, dass sie an der individualisierten Form des Glaubens und den damit verbundenen inhaltlichen Brüchen kommunikativ umgehen muss. Dies in einer Weise, die respektvoll ins Gespräch kommt. Auch der individuelle Stil braucht einen sozialen Rahmen, um überhaupt darüber sprechen zu können. Man muss wohl zunächst an der Form des Ausdrucks (Ästhetik), weniger am Inhalt ansetzen, um überhaupt in kommunikative Prozesse zu kommen.403

• Warum bleiben die Menschen in der Kirche Mitglied? Der MDG-Trendmonitor macht deutlich, dass für 68% der Menschen immer noch kirchliche Rituale zu Lebenswenden und für 50% so etwas wie „Familientradition“ wichtig ist. 44% nennen als Grund, „zu einer Gemeinschaft zu gehören“ oder dass sie hier „Ruhe, Gelegenheit zum Nachdenken, Meditieren“ finden. Aber auch der Einsatz für eine „menschenwürdigere Welt“ (38%), „Gottesdienst und kirchliche Feiern“ (35%), Trost (32%), Hilfe (31%) oder Hoffnung (30%) werden benannt. 13% sagen: „Mir bringt die Mitgliedschaft eigentlich gar nichts“.404

Zahlen für Österreich und Schweiz

An dieser Stelle soll kurz der Blick auf Österreich und Schweiz gerichtet werden, um zu sehen, wie sich dort die Zahlen im Vergleich verhalten.

• Kirchliche Statistik Österreich im Vergleich von 2003 zu 2012405:

○ Die Katholikenzahl sank zwischen 2003 und 2012 von 5 751 615 auf 5 359 151, d.h., sie ging um 6,8% zurück. Die Bevölkerung Österreichs wuchs im gleichen Zeitraum um 3,8%406.

○ Die Anzahl der Kirchgänger sanken um 25% von 868 823 auf 651 856 (Durchschnitt pro Jahr).

○ Die Zahl der Taufen gingen um 10,3% zurück, die Geburten in Österreich nahmen gleichzeitig zu (um 2,6%407).

○ 2003 wurden 59 104 und 2012 53 136 Personen kirchlich beerdigt. D. h., 2012 führte der Saldo von Taufen zu Beerdigungen zu 4491 Personen weniger Mitgliedern in der Kirche und 2003 zu 4612 Personen weniger - ein Rückgang um 2,6%.

○ Die Zahl der Wiederaufnahmen wuchs von 3436 auf 4142, d. h. um 20,5%.

○ Die Austritte nahmen von 39 584 auf 52 336 Personen zu.

○ 2003 wurden 18 Weltpriester (ohne Orden) in Österreich neu geweiht, 2012 waren es 11. Das entspricht einem Rückgang um 38,9%.

○ Die Zahl der Pfarreien wurde 2003 mit 3048 und 2012 mit 3053 angegeben.

• Die Anteil von nicht-religiösen, religiösen oder auch hochreligiösen Menschen ist zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr ähnlich.408

• Wie in Deutschland gilt auch für die Schweiz und Österreich, dass sich die religiöse Landschaft bunter und beweglicher als früher zeigt.409

2.1.3 Zusammenfassung

Fassen wir zusammen:

• Die kairologische Sicht, die Zeichen der Zeit, beschreiben zum einen gesellschaftliche Phänomene, von denen die Kirche betroffen ist, wie es auch andere Organisationen und Institutionen sind. Die Kirche ist Teil der Postmoderne und ist herausgefordert, im Rahmen dessen die eigene Position zu suchen. Dabei spielt es eine ganz wesentliche Rolle, wie die „Außenwelt“ wahrgenommen wird. Wird sie defizitär oder als Chance erlebt? Je nachdem wirkt sich dies verschieden aus: Abschottung und Abgrenzung hier oder Öffnung und gezieltes Arbeiten mit den neuen Möglichkeit dort. Auf jeden Fall muss Kirche mit der Realität umgehen. Die Gesellschaft ist plural, multioptional, individuell, frei gestaltbar. Letztlichbefindet sich Kirche in einer „Marktsituation“, in der die Marktteilnehmer damit umgehen müssen, dass jeder Akteur gleichberechtigt agieren kann und die Nutzer ihre Prioritäten selbst festlegen. Das Spektrum der Nutzung reicht dabei von exklusiver Bindung und Dauernutzung über die Nutzung ausgewählter Angebote bis hin zu Desinteresse oder Unerreichbarkeit.

• Zum anderen verweisen die Zeichen der Zeit auf die Frage, was kritische Prüfstellen, Indikatoren, sein könnten, die einen Hinweis auf die Wirksamkeit kirchlichen Handelns in der heutigen Gesellschaft geben. Zumindest werden hier verschiedene Indikatoren angeboten, die zur Überprüfung der Wirksamkeit herangezogen werden.

○ Die (kirchliche) Statistik bietet Kriterien, die die (Breiten-)Wirkung und die Resonanz bei den Menschen abzubilden versucht.

○ Milieus machen deutlich, wen Kirche besser oder schlechter erreicht.

○ Anhand von Indikatoren, z. B. zu Glaubensinhalten oder moralischem Verhalten, wird inhaltliche wie normative Übereinstimmung zwischen den Gläubigen und kirchlich-institutionellen Vorgaben überprüfbar.

○ Andere Kriterien erfassen die Fremdwahrnehmung und beleuchten die Attraktivität von Kirche.

○ Religiosität und/oder Kirchlichkeit bilden sich ab.

○ Sichtbar werden Nutzerverhalten, Motivlagen und Erwartungen potentieller Nutzer der Pastoral.

○ Kommunikationswege werden überprüfbar.

Folgende Befähiger- und Ergebniskriterien können daraus abgeleitet werden:

Ergebniskriterien

Institutionelle Ergebnisse:

• Mitgliedschaft → relativ zur Abnahme der allgemeinen Bindung an große Organisationen

• Taufzahlen

• Beerdigungen

• Eintritt, Wiedereintritt, Austritt

• Kirchgänger

• Priesterzahlen

• Anzahl Mitarbeiter im pastoralen Dienst

• Anzahl Ehrenamtlicher

• Spendeneinnahmen

• Anzahl von Erzieherinnen

• Zahl der Ministranten und jungen Menschen in der kirchlichenjugendarbeit

Mitarbeiterbezogene Ergebnisse:

• Bereitschaft zum Zeugnis

Mitgliederbezogene Ergebnisse:

• Selbsteinschätzung der eigenen Religiosität

• Religiöse Ausdrucksfähigkeit

• Bedeutung von Religion im Alltag

• Bedeutung religiöser Erziehung für Eltern

• Lebenszufriedenheit

• Beziehungsmöglichkeiten

• Bedeutung der Kasualien

• Bindungsqualität

• Zufriedenheit der Mitglieder

• Abweichung zwischen Erwartungen und erfolgter Leistung

• Milieu-Querschnitt der Nutzer

Gesellschaftsbezogene Ergebnisse:

• Passung von Religion in die Moderne

• Nahraumwirkung

• Gesellschaftlicherzusammenhalt

Befähiger-Kriterien

Konkrete Gestaltung der Pastoral:

• Plurale Zugangswege und Erfahrungswege zulassen

• Erlebnisnah

• Event als Veranstaltungsformat

• Ästhetik beachten

• Popkulturelle Anschlussfähigkeit

• Spirituelle Vielfalt: Methoden und Techniken anbieten

• Deutungen anbieten

• Gestaltung von Beziehungen, Kontakte

• Mystische Orte schaffen

• Arme im Blick behalten!

• Beschwerdemanagement

Kommunikation:

• Realistische Kommunikation nach außen

• Beeinflussen von Erwartungen

• Angebote bekannt machen

• Bindung verstärken

• Transparenz über Verwendung der Kirchensteuer

Mitarbeiterinnen:

• Beachten der Motive Ehrenamtlicher

• Kurzfristiges Engagement

Pastorale Planung:

• Milieuorientiertes Arbeiten

• Wahrnehmung und Bewertung der Moderne, z. B. Ausdifferenzierung, Komplexität, Markt; Bewertung als Verfall

• Christentum als Kontrastgesellschaft

• Missionarisches Agieren

• Biographisch verortet, alltagsnah

• Individuell und auswahlorientiert

Partnerschaften und Ressourcen:

• Netzwerke und Kooperationen bilden!

2.2 Lehramtliche Aussagen

Welche Aussagen finden sich, die dem pastoralen Handeln vor Ort aufzeigen, ob man auf dem richtigen Weg ist? Woran erkennen pastorale Mitarbeiter, dass sie gut arbeiten? Welche Maßstäbe für „Erfolg“ können angelegt werden? Welche Hinweise finden sich dazu in lehramtlichen Texten und auch der Literatur?

Es finden sich in lehramtlichen Texten eine Reihe von Kriterien, anhand derer angestrebte Wirkungen der Pastoral greifbar werden können. Diese seien hier komprimiert zusammengefasst. Im Anschluss folgt eine Zusammenstellung von Handlungskriterien, dieeiner wirkungsvollen Pastoral dienlich erscheinen.