Traumziel Kajütboot

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Traumziel Kajütboot
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Thomas Stange

Traumziel Kajütboot

Von zweien, die auszogen, das Bootfahren zu lernen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Exposé, Vorwort, Einleitung - oder was Ihnen am liebsten wäre .....

Fundierte Badebooterfahrungen

Erkenntnisse über Freud und Leid des Kajütbootfahrens

Der Angeltörn auf der Nordsee oder: Manche Fehler macht man eben doch zweimal

Endlich ein eigenes Boot!

Die Weser ist ein schöner Fluss, wenn er nur nicht so flach wäre!

Messegespräche

Den Bootsführerschein zu erwerben ist gar nicht so leicht

Der Schein ist da - aber wie soll’s jetzt weitergehen?

Über die Versuche, günstig ein Kajütboot zu kaufen

Jetzt gehört es uns!

Urlaubsvorbereitungen

Stegbekanntschaften

Ab ins Winterlager!

Und nochmal Messegespräche

Neue Saison, neues Glück?

Impressum neobooks

Exposé, Vorwort, Einleitung - oder was Ihnen am liebsten wäre .....

Liebe Leser,

wenn Sie hoffen, in diesem Buch die unglaublichen Erlebnisse eines weitgereisten Sportskippers zu finden, muss ich Sie leider enttäuschen. Ebenso erfolglos werden Sie Erinnerungen an witzige Seesegeltörns suchen. Und Berichte über Kriminalfälle auf See sind in diesem Buch schon gar nicht enthalten. Denn dieses Buch ist anders. Da lieben zwei das Wasser im allgemeinen und die See im besonderen und machen sich überhaupt keine Vorstellungen, wie viele Stolpersteine das Leben für Binnenländer bereithält, bis sie endlich auch darauf fahren können. Von dem weiten Weg ist die Rede, beginnend mit der Versuchung, die das Meer ausübt bis hin zum ersten Törn mit dem eigenen Kajütboot, der stattfinden soll und dann doch nicht stattfindet. Aber zum Schluss heißt es endlich: „Wir sind unterwegs!“.

Geneigte Leser werden feststellen, dass es der Irrungen viele waren, denen wir erlegen sind. Wenn Sie natürlich als Küstenbewohner bereits mit salzverkrusteten Haaren das Licht dieser Welt erblickten und den Tidenkalender früher lesen konnten als die Uhr, dann werden Sie für unsere Erfahrungen vielleicht nur ein müdes Lächeln übrig haben. Vielleicht wird im Gesicht des einen oder anderen ‘erfahrenen Sportskippers’ aber auch ein wissendes Schmunzeln auftauchen. Und wenn Sie zu den Hoffnungsvollen gehören, die sich gedanklich gerade mit dem Einstieg in den Wassersport beschäftigen und sich jetzt vielleicht sagen : „Mein Gott, waren die blöd. Wenn ich sowas mache, ziehe ich das viel professioneller auf“, dann seien Sie gewarnt. Wir haben das am Anfang auch gedacht!

Und noch ein Hinweis ist von Nöten: natürlich sind alle in diesem Buch auftauchenden Personen völlig frei erfunden. Sollte der eine oder andere doch einmal eine Ähnlichkeit mit sich oder seinem Stegnachbarn erkennen, dann sei er an dieser Stelle versichert: Zufall, alles purer Zufall.

Dies nur, um unnötige Diskussionen zu vermeiden.

Fundierte Badebooterfahrungen

„.....Die A5 Frankfurt Richtung Kassel zwischen Homberg/Ohm und Alsfeld-West zwei bis drei Kilometer Stau vor einer Baustelle.“ Überlaut drängte sich die Stimme der Radio-Ansagerin in mein Bewusstsein. Neben mir regte sich etwas. Ein riesiger Deckenberg. Darunter der Floh.

„Morgen ..........schon wieder die Nacht ´rum ?“ Andrea rappelte sich hoch und schlurfte davon. „Ich geh ´mal zuerst ins Bad. Vorher setze ich Kaffee auf“.

Es hat schon seine Vorteile, wenn man selbständig ist und zuhause arbeiten kann. Dann kann man sich seine Zeit einteilen. Anders bei Andrea, auch „Floh“ genannt. Ihre Chefin hat es gar nicht gerne, wenn sie morgens um Viertel vor Neun allein im Laden steht.

Fünf Minuten später war auch ich in der Senkrechten. Wie jeden Morgen ging der erste Blick aufs Wetter. Eine zähe graue Wolkenschicht hing am Himmel. Die Straße nass und von Sonne keine Spur. „Mist!“

Dabei wollten wir am kommenden Wochenende aufs Wasser. Zum ersten Mal in diesem Jahr. Das Boot war noch nicht ganz startklar. Und den Außenbordmotor hatte ich auch noch nicht Probe laufen lassen. Das war im Grunde genommen gar keine große Sache. Anstatt einen teuren Spülanschluss zu erwerben, hing ich den Motor auf seinem Transportkarren einfach in einen mittelgroßen Baukübel, der dann bis zum Anschlag geflutet wurde. Das ging schnell, war preiswert und ersparte mir die Arbeit, jedes Mal den Propeller abzunehmen, wenn ich den Motor mal im Trockenen anlassen wollte. Ob das Ding wohl ansprang nach dem Winterlager und der intensiven Behandlung mit Korrosionsschutzmittel? Man konnte es ja darauf ankommen lassen und hoffen....aber ich finde es einfach zu blöd, wenn man am Campingplatz in Bad Karlshafen ankommt, seinen ganzen Kram auspackt und aufbaut, das Boot klarmacht, zu Wasser lässt und dann mit hochrotem Kopf eine halbe Stunde lang mit dem Starterseil ´rum murkst. Dann schon lieber zuhause und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ......

Wir wollten also die Saison eröffnen. Aber bei dem Wetter ? Wie schon in den ganzen letzten Wochen begannen die Gedanken in meinem Kopf zu kreisen. Ein geschlossenes Boot müsste man haben. Eins mit Kajüte. Halbkajüte würde auch schon reichen und ein Cabrio-Verdeck. Dann wär man nicht so wetterabhängig. Da könnte es schon mal schütten wie aus Eimern. Einfach Deckel zu und die Welt wäre wie früher. Wir hatten uns sowas sogar schon ‘mal angeguckt und der Floh war auch bereits davon überzeugt. Na ja, vielleicht nächste Saison.

Wie hatte das eigentlich alles angefangen? Eigentlich damit, dass ich Andrea heiratete. Sonst wär´s gar nicht so weit gekommen. Oder hatte ich mich schon viel früher mit dem Wasserbazillus infiziert? Womöglich schon damals, am Tegernsee oder sogar schon in Grömitz...?

Natürlich ließe sich jetzt trefflich darüber streiten, ob es einen Wasserbazillus überhaupt gibt. So nach dem Motto „entweder man hat den Hang zum Wasser oder man hat ihn nicht“.

Mein Vater war am Wasser groß geworden. Insofern könnte man meinen, da habe sich ‘was vererbt. Ich für meinen Teil glaube aber mehr an den Bazillus.

Zu Zeiten, an denen ich mein zehntes Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, führte der Familienurlaub regelmäßig an die See. Denn damals litt ich an Bronchitis. Zwar nur einmal, dafür aber das ganze Jahr.

„Der Jung’ muss an die See“ meinten meine Eltern, von wegen der guten Seeluft usw. Dahme und Grömitz hießen dann dementsprechend auch die Reiseziele. Später wurden dann schwerere Geschütze aufgefahren und Juist gebucht. Wenn ich´s aber recht bedenke, war es die große Düne oberhalb des Yachthafens von Grömitz mit Blick auf die beiden Molenköpfe, die irgendetwas mit mir anstellte, etwas, das in mir auch heute noch dieses gewisse ‘Kribbeln’ auslöst angesichts jedes größeren schiffbaren Gewässers. Allerdings träumte auch mein Vater vom eigenen Boot. Ein Klepper Master sollte es sein. Doch bis dahin hatte ihm immer die Zeit und gewissermaßen der letzte Anstoß gefehlt, diesen Traum dann auch zu verwirklichen. Mir gefiel diese Idee gut. Ein eigenes Boot und so...totschick! Was das bedeutet und was alles damit zusammenhängt, sollte ich erst viel, viel später am eigenen Leib erfahren.

Jedenfalls, in diesen Urlaub waren Mutter und ich allein vorgefahren. Vater sollte erst später nachkommen, wegen nicht zu verschiebender Termine.

Einer unserer täglichen Spaziergänge führte uns auf besagte Düne. Wie lange wir dann dort gesessen und dem spannenden Ein- und Auslaufen der Sportboote und Yachten zugeschaut haben, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich damals zum ersten Mal eine Segelyacht mit automatischem Rollreff sah. Toll, schwupp, und weg waren die Segel.

Auf jeden Fall sah ich an diesem Tag meine Chance gekommen. Irgendwie musste es mir gelingen, meine Begeisterung via Telefonleitung auf meinen nichtsahnend zuhause sitzenden Vater überspringen zu lassen. Das allabendliche Telefonat musste es bringen. Ich erzählte ihm alles haarklein, beschrieb die ‘automatische Segelyacht’ und fragte genauso erwartungsfroh wie beiläufig, ob er denn das Boot schon gekauft hätte.....Stille!

„Nee, mitbringen werd´ ich´s wohl nicht gleich können“ meinte mein Vater nach einer angemessenen Pause. „Ich komm´ erst mal ohne“. Dabei blieb es. Fürs Erste.

 

Der Sommer zwei Jahre später war dadurch gekennzeichnet, dass ich die meiste Zeit mit vom Wasser verschrumpelten Händen und Füßen anzutreffen war. Es war der Sommer, an dem ich für das Freischwimmerabzeichen trainierte. Denn vor den Kauf unseres ersten eigenen Boots hatten meine Eltern mein Bestehen dieser Prüfung gesetzt.

„Der Jung’ muss gescheit schwimmen können“ meinten sie.

„Aha, nun kommt doch noch endlich der Klepper Master“ werden Sie, liebe Leser, jetzt denken. Weit gefehlt. Die Sache mit dem Faltdampfer war längst ad acta gelegt worden. Ich für meinen Teil hatte mich allerdings stets bemüht, das Thema am Kochen zu halten. So war man denn zu dem Entschluss gelangt, ein Schlauchboot anzuschaffen, breit und behäbig wie ein Nilpferd, damit es auch auf keinen Fall umkippen konnte, mit Rudern, ein Badeboot halt.

Irgendwann war ich dann eine Viertelstunde im Kreis geschwommen und auch einmal vom Einer gehüpft, hatte den begehrten Ausweis in Händen, das entsprechende Abzeichen an der Badehose und das Badeboot aufgepumpt im Garten meiner Eltern. Knallorange, kann ich Ihnen sagen, etwas über drei Meter lang und Bug und Heck ließen sich tatsächlich formmäßig unterscheiden. Also fast ein richtiges Schiff ! Wau !

Ruder hatte mein Vater keine gekriegt. Dafür aber hölzerne Stechpaddel. Paddeln wollte ich das Ding aber nicht. Also sägte Vater die Handgriffe einfach ab, feilte und schmirgelte solange, bis die (jetzt) Ruder durch die Dollen gingen und fertig war der Lack. Wasser, ich komme!

Die Jungfernfahrt fand auf dem Kellersee statt. Wo das ist? ‘Die Mädels vom Immenhof’ machten da das Gelände unsicher und manchmal sollen die Bälle vom Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bis in den See geflogen sein. Richtig, von Malente-Gremsmühlen ist die Rede, seitens meiner Eltern zum Ferienziel und geeigneten Revier für den ersten Törn ihres wasserverrückten Sprösslings auserkoren.

Urlaub auf dem Bauernhof war damals ‘in’. Pech, dass die im Prospekt der Pension verheißenen ‘5 Minuten bis zum See’ wohl im 140 km/h-Autobahntempo gestoppt worden waren. Zu Fuß war da nichts zu machen. Also musste das Gummischiff entweder irgendwo direkt am Wasser aufgeblasen werden oder im Garten der Pension. Mein Vater gab der zweiten Alternative den Vorzug. Er liebte es bequem. Luft ´rein, ein kurzes, aber heftiges Anhieven aus der Kniebeuge heraus und das Ding lag kieloben auf dem Dach unseres Peugeots, Typ 404. Man vermerke, dass die heutigen modernen und zum Bootstransport bestens geeigneten Dachträgersysteme noch nicht erfunden waren und wir über einen damals gebräuchlichen Rahmenträger auch nicht verfügten. Zwei Vor- und zwei Achterleinen konnten jeweils an den Enden der Stoßstangen belegt werden, mittschiffs wurde das gute Stück mit einem Bändsel an der B-Säule fest gelascht. Die Haftreibung tat ein Übriges.

An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich mir lange den Kopf darüber zerbrochen habe, was ich so empfunden habe bei dieser ersten Fahrt und was das für ein Erlebnis war. Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich erinnere mich noch daran, dass mein Vater zunächst den Vortrieb übernahm, um Sohnemann ´mal zu zeigen, wie man rudert und keine Krebse fängt. Ich erinnere mich auch noch daran, dass ich kurze Zeit später allein unterwegs war und versuchte, von der Wasserseite aus auf den Immenhof zu gelangen, denn von Land her war dort alles verrammelt und verriegelt. Beinahe hätte ich dabei die im Uferbereich knapp über der Wasseroberfläche gespannten Stacheldrähte übersehen. Vielleicht waren die Eigentümer dieses Anwesens menschenscheu, jedenfalls zeigten sie sich neugierigen Wassersportlern wie mir gegenüber wenig aufgeschlossen.

Schließlich kann ich mich auch noch entsinnen, dass mein Vater einmal auf der Rückfahrt vom See den 76 französischen Gäulen unter seiner Motorhaube die Sporen gab, woraufhin unsere Dachlast Auftrieb bekam, sich mühelos von ihren Festmachern befreite, um dann völlig losgelöst nach hinten wegzukippen...

Der nächste Urlaub führte uns an den Tegernsee. „Bayern?“ werden Sie erstaunt fragen. Nun, dieses Jahr hatte sich meine Mutter mit Ihrem Ferienwunsch durchgesetzt und mein Vater hatte zähneknirschend zugestimmt. Berge lösen bei ihm nämlich ein merkwürdiges Beklemmungsgefühl aus, sagt er.

Wie schon öfters zuvor, waren Mutter und ich zunächst allein angereist und hatten dazu die Bundesbahn bemüht. Vater würde aus terminlichen Gründen später mit dem Auto nachkommen. Im vorausgeschickten Gepäck befand sich unter anderem ein fast bis zum Bersten gefüllter Koffer, Inhalt......richtig, unser Schlauchboot.

Diesmal lag unser Hotel nicht weit vom Seeufer, nur 100 Meter vom Tegernseer Yachthafen entfernt. Doch der Mensch ist bequem und ein zum Yachthafen gehörendes und von Hecken umrahmtes Wiesenstück direkt am Wasser schien uns ideal geeignet, unser Sportgerät dort zu deponieren. Der Hafenmeister gab die Erlaubnis, alles war okay.

Nun muss man wissen, dass das Vertrauen meiner Mutter in meine seemännischen Fähigkeiten leicht gestärkt war. Sie dokumentierte dies mit ihrer Bereitschaft, im Boot mir gegenüber Platz zu nehmen und sich ein wenig am Ufer längs rudern zu lassen. So weit, so gut.

Hätte meine Mutter geahnt, welche Anziehungskraft die weite, sonnenglitzernde Wasserfläche auf mich ausübte, mit welcher Lust ich nur darauf wartete, mich in das bunte Treiben der Segel- und Ruderboote draußen auf dem See zu stürzen, sie hätte wahrscheinlich nicht nach zwanzig Minuten den Wunsch geäußert, das wackelige, schwankende Sitzkissen unter ihr mit den festen Planken der Parkbank am Ufer vertauschen zu wollen. Genau darauf hatte ich aber gewartet, wohl wissend, dass ich bereits in einem Abstand von drei Metern vom Ufer ihrem Einfluss dauerhaft und nachhaltig entzogen war. Mutter war an Land und ich steuerte mit Kurs West Bad Wiessee auf der anderen Seeseite an.

Während ich nun mitten auf dem See mit meinem Luftschiff zwischen den Segelbooten herumturnte, mich über das ‘Raum’-Gebrüll freute und es bewundernswert fand, wie mir alle auswichen, ich einmal ordentlich ‘Stoff’ geben musste, weil ein Passagierdampfer einfach keine Anstalten machte, seinen Kurs zu ändern, ich zwischendurch die Ruder gehen ließ, damit mir die Sonne auf den Bauch scheinen konnte, der Tegernseer Anleger kaum noch auszumachen war, während die Bad Wiesseer Uferpromenade bereits zum Greifen nahe erschien, währenddessen also nahm am Tegernseer Yachtklub eine Tragikomödie ihren Lauf.

Meine Mutter hatte ihrem entschwindenden Sohne nachgeblickt. Es bestand ja keinerlei Anlass zur Sorge. Dieses Gefühl der Beruhigung wich dann jedoch gewissen Zweifeln, und zwar mit jedem Meter, den sich das Boot Richtung Seemitte entfernte. Die entsprechende Gedankenkette dürfte folgendermaßen ausgesehen haben: „Na, gleich kehrt er um...“, „Nein, der wird keinesfalls...“, „Nein, der kann doch nicht...“, „Oh Gott, will der etwa.....“ und schließlich „Um Himmels Willen, der ist ja...“

Während meine Mutter bei Phase eins und zwei äußerlich noch ganz ruhig blieb, hielt es sie bei Phase drei nicht mehr auf ihrem Sitz. Sie begann, am Ufer Kreise zu ziehen.

Phase vier wiederum war von drei Alternativen bestimmt: Polizei, Feuerwehr oder DLRG?

Phase fünf schließlich führte sie zur Sachlichkeit zurück. Sohnemann war auf dem Wasser. Man konnte nur mit einem Boot zu ihm kommen. Rings um sie herum lagen Boote. Man brauchte also nur jemanden zu finden, der so ein Ding bedienen konnte und so einer müsste ja eigentlich aufzutreiben sein.

Also sprach meine Mutter, mich ständig im Auge behaltend, den nächstbesten Menschen an, der wie ein Wassersportler aussah und bestach ihn mit einer erklecklichen Geldsumme, ihren Sohn doch bitte endlich von dem verdammten See herunterzuholen.

Während dieser brave Mann, also aufgefordert, sein Boot klarmachte, war es auf dem See zu einer überraschenden Wendung gekommen.

Mag es die kräftige Sonneneinstrahlung gewesen sein, vielleicht auch die durch die kräftige Ruderanstrengung durch massierten Eingeweide, jedenfalls hatte ich ein menschliches Rühren verspürt und in Ermanglung einer Seetoilette den schnellen Rückzug angetreten.

Zunächst unbemerkt, dann jedoch deutlich sichtbar hatte ich mich dem heimatlichen Ufer bereits soweit genähert, dass meine Mutter den Seenotfall abrupt für beendet erklärte und dem verhinderten Seenotretter für seine Hilfsbereitschaft dankte. Ob sie ihm seinen guten Willen auch finanziell vergolten hat, hat sie mir nie erzählt. Mein Taschengeld jedenfalls blieb ungekürzt.

Später hat sich Mutter dann doch noch zu mir ins Boot gewagt und ich durfte sie, immer in Rufweite des Ufers, in die Bucht von Rottach-Egern rudern, weil sie doch nur zu gern das Haus von Franz-Josef Strauß gesehen hätte. Haus und Politiker blieben jedoch unsichtbar.

Danach hatte ich sie wieder, die Erlaubnis, auch allein Bootstouren unternehmen zu dürfen, wenn ich mich an die Regeln hielt (nicht zu lange, nicht so weit ´raus usw..). Das klappte dann auch recht gut. Wir haben noch mehrere Jahre den Sommerurlaub am Tegernsee verbracht.

Irgendwann kam dann die erste ‘Urlaubsfreundin’, lange Rudertörns zu zweit, und nicht zuletzt ein leichter Sonnenstich (weil ich mich mal wieder nicht an o.g. Regeln gehalten hatte).

Um diese Zeit muss es also passiert sein. Der Wasserbazillus hatte mich oder ich hatte ihn. Der Gedanke an ein eigenes ‘richtiges’ Boot ließ mich nicht mehr los. Allerdings sollte meine Geduld noch auf eine harte Probe gestellt werden und eine Menge Zeit ins Land gehen. Zeit, in der ich meine Schulbildung vervollständigte. Zeit, in der mangels selbiger auch der Drang zum Wasser ein wenig in den Hintergrund geriet, na ja, heute würde man sagen, man passte sich den Sachzwängen an.

Und es kam die Zeit, zu der ich den Floh kennenlernte. Der war ja genauso wasserverrückt wie ich! Und plötzlich war alles wieder da.

Wir waren zusammengezogen. Tschüss Elternhaus. Die erste gemeinsame Wohnung. In Kassel.

Sie als geographisch bewanderte Leser werden wissen, dass sich diese Metropole im nördlichen Hessen befindet und, welch glückliche Fügung, von der Fulda durchflossen wird.

Ab dem Kasseler Stadtgebiet ist die Fulda schiffbar und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung hält bis Hannoversch-Münden eine Tiefe von 2.50 m vor.

Früher wurde der Hafen Kassel von Lastkähnen und Bockschiffen aller Art angelaufen, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Fulda ist ein Freizeitrevier, nicht mehr und nicht weniger. Im Sommer herrscht zwischen der ‘Neuen Mühle’ und der großen Staustufe bei Wahnhausen Hochbetrieb, denn die meisten Kasseler Skipper nehmen die Stadtschleuse gerade noch in Kauf, verzichten aber ob der Schleusen Wahnhausen, Wilhelmshausen, Bonaforth und Münden dankend auf die Fahrt zur Weser. Eigentlich weniger wegen der Schleusen, aber diese Wartezeiten .....

Einmal im Jahr ist in Kassel Volksfeststimmung angesagt, denn da ist Zissel. Zissel ist Karneval, Stadtfest und Jahrmarkt, alles in einem, und der Höhepunkt ist der Wasserumzug auf der Fulda. Da geht die Post ab. Da wird alles erst geschmückt und dann bemannt, was schwimmfähig und für eine Fahrt auf dem Wasser mehr oder weniger geeignet ist.

Und so liegen dann über die Toppen geflaggte 40-Fuß-Yachten neben dekorierten Schwimmstegen mit Außenbordmotor und handgepaddelten Einbäumen, tummeln sich leicht angeheiterte Altherren-Ruderer und kreischender Paddel-Nachwuchs zwischen Musikdampfern und Ausflugsbooten. Zur vereinbarten Zeit setzt sich dieser Pulk dann in Bewegung und zieht im Schritttempo die Fulda hinauf.

Freunde von einem Paddelklub hatten uns eingeladen, beim Wasserumzug mitzumachen. Das wäre ´ne witzige Angelegenheit, meinten sie. Und ein Platz in irgendeinem Boot würde sich schon finden lassen.

Wir fanden die Idee toll und machten uns dementsprechend im frühen Nachmittag mit unseren Fahrrädern auf den Weg zur ‘Schlagd’, einer Kaianlage im Stadtgebiet, an der der Paddelklub ansässig war und die sehr günstig genau im Aufmarschgebiet des Umzugs lag. Unser Auto hatten wir zu Hause gelassen, weil einerseits beim Zissel Parkplätze grundsätzlich mitzubringen sind und andererseits dabei gewöhnlich der Alkohol in Strömen fließt. Fahrräder kann man nach Hause schieben, Autos nicht.

Nun werden Sie, lieber Leser, sich vielleicht wundern, dass wir uns bedenkenlos für eine muskelbetriebene Flussfahrt auf einem wenig Vertrauen erweckenden Wassersportgerät haben anheuern lassen. Irrtum.

Dieser Paddelverein, die ‘Alt-Kasseler Paddlergemeinschaft’, hat nämlich außer Generationen hervorragender Kanuten und Kanadierfahrern noch etwas anderes Hochinteressantes hervor gebracht: eine Serie speziell für und im Auftrag der AKP entwickelter Motorboote, die sogenannten Ondo. Initiatoren hierfür dürften wohl alle die Vereinsmitglieder gewesen sein, denen die manuelle Fortbewegung auf dem Wasser irgendwann zu mühsam wurde oder die etwas mehr Platz im Boot brauchten. Weil sich entweder ihre Familie oder ihr Körpergewicht vergrößert hatte.

 

Die Boote jedenfalls wurden von einer kleinen Werft in Bremen entworfen und ganz aus Holz gebaut und erwiesen sich als absoluter Glücksgriff. Ungefähr fünf Meter lang, dabei nur einen Meter breit, waren sie ganz nach dem Prinzip ‘Länge läuft’ konstruiert, boten Platz für eine vierköpfige Familie inklusive Campinggepäck für zwei Wochen bei erstaunlich geringem Tiefgang. Als Antrieb waren Außenbordmotoren zwischen fünf und fünfzehn PS Leistung vorgesehen. Ausgestattet mit Windschutzscheibe (in Holzrahmen, mit handbetriebenem Scheibenwischer) und Fahrverdeck eigneten sie sich auch für Schlechtwetterfahrten. Vom äußeren Anschein allerdings vermittelte eine solche lange, schmale ‘Zigarre’ einen eher etwas weniger Vertrauen erweckenden Anblick. Und ein solches Fahrzeug war für unsere Zisselfahrt vorgesehen.

Bei unserer Ankunft auf der ‘Schlagd’ war dort bereits der Teufel los. Das kleine Bierzelt befand sich im Belagerungszustand, auf der Fulda drängten sich bereits Wassersportgeräte aller Bauart und in nicht enden wollender Folge zogen Paddelboote nebst ihren Trägern an uns vorbei. Die Bootshausrampe hinunter, auf den Vereinssteg und über die Sliprollen ins Wasser.

Nachdem ich so etwa dreißig Hände geschüttelt hatte und Andrea und mir innerhalb kürzester Zeit mehrere teils halbgefüllte, teils volle Bier- und Schnapsgläser in die Hände gedrückt worden waren, die wir der Einfachheit halber gleich austranken, wollten wir uns erst mal um unsere Mitfahrgelegenheit kümmern.

Da lag sie, Clubkamerad Klaus’ Ondo, Luddel hieß sie, und Klaus hatte den Platz an der Steuerpinne bereits mit Beschlag belegt. Er winkte uns zu: „Setzt euch auf die Bank direkt vor mir“, meinte er, „wir kriegen nämlich noch mehr Zuladung und ich muss das Gewicht gescheit verteilen.“

Andrea sah Klaus schief an: „Wer fährt denn noch mit?“

„Weiß ich noch nicht. Da haben sich noch ´n paar Leute angemeldet.“

Oh Mann, dachte ich, hier geht´s zu wie auf einem Ausflugsdampfer.

Der Floh stieß mich an. „Guck nicht so skeptisch. Der Klaus weiß schon, was er tut.“

Innerhalb der nächsten zehn Minuten sollte ich dann erfahren, was eine Ondo so alles aushält, denn Peter stellte uns kurze Zeit später zwei Paare mittleren Alters vor. Der Bremer Werftchef und Ondo-Konstrukteur persönlich nebst Frau sowie ein befreundetes Ehepaar vom Weserrevier. Aus jedem der Herren hätte man zwei von meiner Sorte machen können, von jeder der Damen vier Andrea´s. Und d i e sollten jetzt einsteigen in dieses schmale Ding... wie tief ist die Fulda an dieser Ecke eigentlich? Sieben Mann, das hält der Kahn niemals aus... die Vier an Bord und wir gehen auf Tiefe, so schnell kannst du gar nicht gucken.

Ich schloss die Augen. Als ich sie wieder aufmachte, saßen die Herren bereits im Boot, die Damen stiegen gerade ein und erwiesen sich dabei als erstaunlich trittsicher.

Der Floh war währenddessen ganz ruhig geblieben. „Was regst du dich eigentlich immer vorher über alles so auf?“ raunte Andrea mir zu. „Das hätt´ ich dir gleich sagen können, dass die Ondo das aushält. Meine Eltern waren doch auch in der AKP. Was Vater mit seiner Ondo so alles angestellt hat, muss ich dir, glaub´ ich, nochmal erzählen.“

Dann war es soweit. Der Wasserfestzug setzte sich in Bewegung. Klaus legte ab und wir tuckerten, abgeladen wie eine indische Flussfähre, zweitaktqualmend mit hundert Umdrehungen über Standgas auf die Flussmitte hinaus, wo sich bereits die anderen AKP-Paddler eingefunden und Fahrt aufgenommen hatten.

Nachher erzählte man uns, dass der Festzug vom Ufer her sehr schön ausgesehen habe, die geschmückten Boote und die Motivschiffe und so weiter.......

Wir haben davon leider nicht sehr viel mitbekommen, denn das ganze Spektakel ging in blau-weißem Auspuffdunst der untertourig laufenden Bootsmotoren unter und meine Augen waren tränenblind, soweit ich sie nicht lieber gleich geschlossen hielt. Jedenfalls fand der Wasserumzug für mich erst in dem Moment seinen Höhepunkt, als er sich auflöste und Klaus seinem Yamaha die Sporen gab, um ihn wieder freizufahren. Eine solche Beschleunigung hätte ich dem vollgeladenen Boot mit seinen fünfzehn PS gar nicht zugetraut. Die Wasserpolizisten mussten an diesem Tag beide Augen wohl fest zugedrückt halten, denn wir waren beileibe nicht die einzigen, die mit aufheulendem Motor in Richtung ‘Neue Mühle’ entschwanden...

Alles in allem wurde es dann doch noch eine sehr lustige Fahrt. Besonders die beiden vor uns sitzenden Damen übertrafen sich gegenseitig im Erzählen nicht ganz stubenreiner Geschichten aus der norddeutschen Tiefebene und wir haben mehr als einmal Tränen gelacht. Überhaupt, der Abend wurde in jeder Hinsicht noch recht feucht. Details hierüber behalte ich jedoch lieber für mich.

Im Wohnzimmer schlug die alte Großvateruhr. Neun Mal. So ein Blödsinn. Jetzt hatte ich doch ganz in Gedanken die Zeit vergessen. Wenn das bloß zu gießen aufhören würde. Motor probe laufen lassen im strömenden Regen, da kommt Freude auf. Und das Boot sollte man auch vorher nochmal aufbauen, fast sieben Monate im Winterlager, das war ´ne lange Zeit. Aber solange der Wäscheplatz hinter dem Haus klitschnass ist, tu´ ich mir das nicht an, entschied ich. Den Heckflaggstock wollte ich auch noch montieren und Andrea hatte sich letztes Mal auf der Weser beschwert, dass unsere kleinen Sitzkissen beständig Luft ließen und der hölzerne Bootsboden zum Sitzen auf die Dauer ziemlich unbequem wäre. Dafür wollte auch noch eine Lösung gefunden werden. Vielleicht konnte man einen Sitz aus unserem alten Gummi-Paddelboot nehmen und dann mittschiffs quer festlaschen.

Unser Paddelboot, wo war das eigentlich? Nach unserem Urlaub vor ein paar Jahren an der See ziemlich achtlos verstaut. Wenn ich daran denke, wie wir damals damit auf dem kleinen See unterwegs waren... Das ging wie der Blitz. Zwar nicht so schnell, dafür umso mehr im Zickzack...

Urlaubsentscheidungen trifft man gemeinsam. Zum Beispiel, wenn es um das Ziel der Reise geht. Wenn allerdings die Frage lautet, wie die Urlaube auf absehbare Zeit verbracht werden sollen, ist eine Grundsatzdebatte mit anschließender Beschlussfassung gefragt.

Und so waren wir zu dem Ergebnis gelangt, dass wir zukünftig Hotels und Service die kalte Schulter zeigen und stattdessen auf den Campingplätzen dieser Welt die Seele baumeln lassen wollten.

Auf dem Campingplatz Otterndorf war es, als der Wasserbazillus wieder unkontrolliert zubiss.

Der Floh und ich hatten uns an den nahegelegenen Badesee verholt und ließen uns die Sonne auf den Bauch scheinen. Peter, der neben mir lag, hatte soeben seine private Wacheinteilung vorgenommen. Claudia, sein Ehegespons, hatte auf die Kinder aufzupassen, er auf die Luftmatratze.

Seit einigen Jahren verbrachten wir nun schon den Urlaub zusammen. Andrea und ich reisten aus Hessen gen Norden, die beiden anderen stießen nebst Kindern von Hamburg aus zu uns.

Sie, lieber Leser können sich die Szenen an so einem Badesee sicher vorstellen : sandbedeckte Dreijährige, unvermittelt Richtung Wasser spurtende Mütter, eisschleckende Jugendliche und entnervte Familienväter, im Wasser Schwimmer jeden Alters und dazwischen Luftmatratzen, Kinderboote, Badeinseln und Schlauch-Paddelboote. Schlauch-Paddelboote...hmmmmm...

„Peter, hoch mit dir“

„Was´n jetzt schon wieder los“ murrte er.

„Ich muss mal schnell nach Cuxhaven ´rein und du sollst mich da hinfahren. Du weißt doch, unseren Bus krieg´ ich jetzt vom Vorzelt nicht weg und da bleibt nur noch dein Auto“.

„Was hast du eigentlich vor? Du hast doch was vor!“ ließ sich der Floh vernehmen, während ich Peter bereits in Richtung Campingplatz und Auto bugsierte.

„Ich kauf uns ein Boot“ rief ich ihr über die Schulter zu und war damit auch schon außer Hörweite, denn Andreas Antwort habe ich nicht mehr mitbekommen. War vielleicht auch ganz gut so.

Zwei Stunden später war das gute Stück nicht nur bereits gekauft, sondern auch schon luftbefüllt und lag mit seinen drei Metern zwanzig Länge nun vor uns. Der Floh betrachtete es mit Kennermiene.

„Du spinnst“ meinte sie dann, „hast du eigentlich eine Ahnung, wie wackelig so ein Ding ist? Hast du schon irgendwann mal in einem Paddelboot gesessen? Und überhaupt, kannst du eigentlich paddeln?“

Ich grinste sie an: „Erstens nein, zweitens nein und drittens auch nein, aber jeder hat mal angefangen, und für mich wird´s Zeit.“

„Höchstzuladung hundertfünfzig Kilogramm“ las Peter aus der Aufbauanleitung vor und streifte mich mit einem prüfenden Blick. „Wenn ihr den Kahn nachher zu Wasser lasst, sagt mir bloß vorher Bescheid. Das wird d i e Show. Da gibt´s was zu lachen. Ich hol´ schon mal die Videokamera.“