Internationales Privatrecht

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IV. Durchsetzung deutschen Rechts

599

Eine positive Durchsetzung zwingenden deutschen Rechts wird über Art. 6 nicht erreicht. Diese Problematik wird im IPR nicht mehr als Frage des „positiven ordre public“ behandelt, sondern durch Sonderanknüpfungen (zur Durchsetzung bestimmter zwingender Regelungsbereiche einer sachnahen Rechtsordnung, meist Schutznormen für schwächere Beteiligte), Eingriffsnormen (zur Durchsetzung international zwingender deutscher Normen von besonderem staatlichen Interesse – was den „positiven“ ordre public ausmacht) und einseitige Anknüpfungen gelöst. Solche einseitigen Anknüpfungen, auch Vorbehaltsklauseln im deutschen IPR, lassen sich häufig auch als spezielle Konkretisierung des negativen ordre public verstehen.

600

Sonderanknüpfungen: Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO knüpft zwingende Bestimmungen im Verbraucherschutzrecht (nicht notwendig deutsches Recht!) gegen ein gewähltes Vertragsstatut gesondert an das Aufenthaltsrecht an. In weiterem Umfang verwirklicht Art. 46b in EG/EU-Richtlinien vereinheitlichtes Verbraucherschutzrecht gegen ein gewähltes Recht. Art. 17a dient der Durchsetzung deutscher Bestimmungen zur Regelung des Besitzes an der ehelichen Wohnung.

601

Eingriffsnorm: Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO setzt deutsche zwingende Normen von besonderer Bedeutung für das öffentliche Interesse (politisch, wirtschaftlich, sozialpolitisch, sog „Eingriffsnormen“) vor deutschen Gerichten gegen jedes Vertragsstatut durch.

602

Vorbehaltsklauseln: Art. 13 Abs. 3 S. 1 unterstellt die Form der Eheschließung in Deutschland ausschließlich dem Ortsrecht. Dies bedeutet zugleich eine exklusive Anknüpfung und damit die Durchsetzung der deutschen standesamtlichen Eheschließungsform. Andererseits wird – im Sinne der Konkretisierung des negativen ordre public – eine abweichende Eheschließungsform nach der lex causae (nach Art. 13 Abs. 1 kumulativ die Heimatrechte der Eheschließenden) abgewehrt. Vgl. auch Art. 17 Abs. 2: Scheidung in Deutschland nur durch ein Gericht, Art. 16: Schutz des Rechtsverkehrs vor Beschränkungen eines ausländischen gesetzlichen Güterstandes, Art. 40 Abs. 3: Ausschluss von Deliktsansprüchen, die in Betrag oder Zweck über das Prinzip der restitutio in integrum hinausgehen .

V. Verfahrensrechtlicher ordre public

603

Neben dem in Art. 6 erfassten materiell-rechtlichen ordre public steht der verfahrensrechtliche ordre public. Er umfasst die Grundsätze des Zivilverfahrensrechts, welche aus deutscher Sicht für ein faires Verfahren unabdingbar sind; auch insoweit sind insbesondere Grundrechtspositionen gemeint, zB das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Da das Verfahren vor deutschen Gerichten der deutschen lex fori untersteht, erlangt der verfahrensrechtliche ordre public nur Bedeutung anlässlich der Anerkennung ausländischer Entscheidungen (§ 328 Abs. 1 Nr 4 ZPO, § 109 Abs. 1 Nr 4 FamFG) und der Gewährung von Rechtshilfe an ausländische Gerichte. Dabei ist allerdings auch der materielle ordre public zu beachten, so dass zB die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung sowohl an einer Verletzung des verfahrensrechtlichen als auch des materiellen ordre public scheitern kann. Erheblich zur Ausfüllung des verfahrensrechtlichen ordre public trägt die Rechtsprechung des EGMR zu den Verfahrensgrundrechten der EMRK bei.[21]

Literatur:

Jayme Wandlungen des ordre public im internationalen Kindschaftsrecht, StAZ 1980, 301; Coester Die rechtliche Behandlung von im Ausland geschlossenen Kinderehen – Zugleich Besprechung von OLG Bamberg 12.5.2016, StAZ 2016, 257.

Anmerkungen

[1]

Vgl die in der nicht Gesetz gewordenen Succession to the Crown Bill (2004) genannten Regelungen zur Nachfolge in die englische Krone, die zugleich Nachfolge in das englische Kronvermögen ist; dazu www.wikipedia.org sub: „Succession to the Crown Bill“.

[2]

Die Bestimmung wurde 1969 im NEhelG eingefügt, um zu vermeiden, dass der damalige Erbersatzanspruch eines nichtehelichen Kindes den Erbteil des Ehegatten übersteigt; dazu Rauscher FamRZ 1997, 1121.

[3]

Anders OLG Düsseldorf IPRax 2009, 520: Kein pauschaler Zugewinnausgleich neben einer durch Anwendung des deutschen ordre public erhöhten Erbquote, weil damit der Rahmen des fremden Erbstatuts überschritten würde. Es bleibt dann nur ein güterrechtlicher Ausgleich nach § 1373 ff BGB.

[4]

Französisch: öffentliche Ordnung.

[5]

BGHZ 120, 29: Verletzung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 GG durch das Kindeswohl nicht beachtende gesetzliche Verteilung der elterlichen Sorge nach iranischem Recht; OLG Hamm FamRZ 2011, 1056: Art. 3 Abs. 2 GG bei Ausschluss der Ehescheidung auf Antrag der Frau; OLG Hamburg FamRZ 2015, 1232: Art. 3 Abs. 2 GG bei geschlechtsabhängig unterschiedlich hohen Erbquoten.

[6]

Vgl OLG Bamberg BeckRS 2016, 09621.

[7]

KG FamRZ 2012, 1495: dort zudem deutsche Staatsangehörigkeit des Ehemannes.

[8]

Im Ausgangspunkt ebenso Coester StAZ 2016, 257, 261.

[9]

Entwurf vom 6.4.2017, BR-Drucks. 275/17; Beschluss 2./3. Lesung: 1.6.2017.

[10]

OLG Düsseldorf IPRax 2009, 520, 522: „Wäre der Erblasser weiblichen und die Beteiligte … männlichen Geschlechts…“; OLG Hamm IPRax 2006, 481; OLG Hamburg FamRZ 2015, 1232.

[11]

So zahlreiche Normen islamischen Rechts, die nicht auf dem Prinzip formeller Gleichstellung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG), sondern auf dem Prinzip funktional wertender Gleichberechtigung beruhen und deshalb teils dem Mann (zB Scheidungsbefugnis), teils der Frau (zB Unterhaltsanspruch) Rechte geben. Auch die Bestimmungen zum Eheschließungsalter sind kulturell begründet, was natürlich nicht ein Eheschließungsalter von 7, aber durchaus von 14 Jahren im jeweiligen kulturellen Kontext – aber nicht vor dem deutschen ordre public – rechtfertigen kann.

[12]

BGHZ 120, 29.

[13]

Daher zutreffend BGH JZ 2007, 738 gegen OLG Karlsruhe IPRax 2006, 181: Fehlen der Ehescheidung in katholisch-religiösem Recht kann gegen den deutschen ordre public verstoßen.

[14]

BGHZ 120, 29, 36 (gesetzliche Sorgerechtsverteilung ohne Berücksichtigung des Kindeswohls): „Die ... in Deutschland geborenen Kinder wachsen hier auf und gehen hier zur Schule. Von einer Absicht der Beteiligten zur Rückkehr in den Iran ist nicht die Rede.“

[15]

Zur Anwendung von Art. 8 Rom III-VO auf die Beurteilung einer Privatscheidung aus deutscher Sicht Rn 819.

[16]

OLG Koblenz FamRZ 2004, 1877, 1879; OLG Bamberg BeckRS 2016, 09621, allerdings mit falschem Ergebnis, weil bei ordre public-Verstoß des Eheschließungsalters auch die Einordnung von Mangelfolgen im ausländischen Recht vom ordre public-Verstoß umfasst wird.

[17]

BGHZ 120, 29, 37: Rückgriff auf ein nach Ansicht der Vorinstanz in der Islamischen Republik Iran nicht mehr geltendes Gesetz aus der Zeit des Kaiserreichs Iran. Ggf Erweiterung der dem iranischen Recht entnommenen Idee der Spaltung von Personensorge und Vermögenssorge zwischen den Eltern.

[18]

ZB Annahme der bloßen Aufhebbarkeit der Ehe einer 10-Jährigen mit der Begründung, das fremde Recht kenne keine Nichtigkeit.

[19]

OLG Koblenz FamRZ 2004, 1877, 1879.

[20]

OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1065: Scheidung iranischer Ehegatten nach deutschem Recht wegen ordre public-Verstoß des iranischen Rechts; jedoch kein Versorgungsausgleich, da das lückenfüllende deutsche Recht insoweit nicht das iranische Recht als eigentlich berufenes Scheidungsstatut verdrängt.

 

[21]

MüKoZPO/Rauscher Einleitung Rn 221 ff.

Teil III Besonderer Teil des IPR

Inhaltsverzeichnis

§ 7 Personenrecht

§ 8 Familienrecht

§ 9 Erbrecht

§ 10 Schuldrecht

§ 11 Sachenrecht

Teil III Besonderer Teil des IPR › § 7 Personenrecht

§ 7 Personenrecht

Inhaltsverzeichnis

A. Natürliche Personen

B. Juristische Personen

C. Name

Teil III Besonderer Teil des IPR › § 7 Personenrecht › A. Natürliche Personen

A. Natürliche Personen
I. Rechts- und Geschäftsfähigkeit

1. Personalstatut

604

Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer natürlichen Person werden ihrem Personalstatut (dazu Rn 190 ff) zugerechnet. Sie bestimmen sich daher nach dem Recht des Heimatstaates des Betroffenen (Art. 7 Abs. 1). Wenn eine Person staatenlos, Flüchtling oder Deutscher iSd Art. 116 GG ist, gelten die für die Staatsangehörigkeit vorgesehenen Hilfsanknüpfungen (Rn 236 ff; gewöhnlicher Aufenthalt, Wohnsitz).

2. Allgemeine und besondere Rechts- und Geschäftsfähigkeiten

605

Rechts- oder Geschäftsfähigkeit einer Person sind selten isoliert zu beurteilen, sondern treten überwiegend im Zusammenhang mit einem Rechtsverhältnis, insbesondere mit Rechtsgeschäften, auf. Sie sind innerhalb eines solchen Rechtsverhältnisses Vorfragen, die grundsätzlich nach Art. 7 Abs. 1 selbständig anzuknüpfen sind und nicht dem Statut der Hauptfrage unterliegen. Dies gilt insbesondere auch für das Vertragsstatut, weil Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO ausdrücklich die „Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit“ ausnimmt.

606

Diese Grundregel gilt jedoch nur für die allgemeine Rechts- und Geschäftsfähigkeit, nicht aber für besondere Rechts- und Geschäftsfähigkeiten, die sich nur auf den Erwerb bestimmter Rechte (zB die Zuteilungsfähigkeit für ein Bodenreformgrundstück gemäß Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr 1b, die Fähigkeit zum Grundstückserwerb in einem ausländischen Staat) oder die Fähigkeit zu bestimmten Rechtsgeschäften (zB die Testierfähigkeit – ausdrücklich zur Abgrenzung Art. 1 Abs. 2 lit. b [Rechts- und Geschäftsfähigkeit allgemein], Art. 23 Abs. 1 lit. c [Erbfähigkeit nach Erbstatut], Art. 26 Abs. 1 lit. a EU-ErbVO [Testierfähigkeit] – oder die Ehemündigkeit) beziehen, die nach dem Statut der Hauptfrage, dem Wirkungsstatut, zu beurteilen sind. Zur Deliktsfähigkeit ausdrücklich Art. 15 lit. a Rom II-VO. Zur Partei- und Prozessfähigkeit vgl Rn 1628.

Unter welchen Voraussetzungen ein 8-jähriger Deutscher einen Vertrag schließen kann, beurteilt sich unabhängig vom Statut des jeweiligen Vertrages nach deutschem Recht. Dagegen bestimmt sich die Deliktsfähigkeit nach dem Deliktsstatut. Die Testierfähigkeit bestimmt sich nach dem Erbstatut im Zeitpunkt der Testamentserrichtung (Art. 26 Abs. 5 aF bzw Art. 24, 25, 26 Abs. 1 lit. a EU-ErbVO); auch die Erbfähigkeit bestimmt sich nach dem Erbstatut (ausdrücklich Art. 23 Abs. 1 lit. c EU-ErbVO).

607

Die materiellen Bestimmungen für die besonderen Geschäftsfähigkeiten können allerdings (auch teilweise) auf die allgemeine Geschäftsfähigkeit verweisen, die dann mittelbar maßgeblich wird.

Die Ehemündigkeit bestimmt sich nach Art. 13 Abs. 1. Ist deutsches Recht für einen der Verlobten Eheschließungsstatut, so bezieht sich § 1303 Abs. 1 BGB auf den „Eintritt der Volljährigkeit“. Wann die Volljährigkeit eintritt, beurteilt sich nach dem von Art. 7 Abs. 1 berufenen Recht. § 2229 Abs. 1 BGB bezieht sich für die Testierfähigkeit einerseits auf die Minderjährigkeit – die das von Art. 7 Abs. 1 berufene Recht regelt – normiert aber andererseits die Ausnahme der Testierfähigkeit bei Vollendung des 16. Lebensjahres, die bei deutschem Erbstatut (Art. 21, 24, 26 Abs. 1 lit. a EU-ErbVO) auch für einen Ausländer (Geschäftsfähigkeitsstatut Art. 7 Abs. 1) gilt.

3. Qualifikation, Rechtsfähigkeit

608

a) Der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 erfasst für die Rechtsfähigkeit vor allem deren Beginn und Ende, wobei es hier um Abweichungen in Randbereichen geht, da weltweit grundsätzlich jeder lebende Mensch rechtsfähig ist.

609

b) Der Beginn der Rechtsfähigkeit tritt regelmäßig bereits im Zusammenhang mit der Geburt ein (§ 1 BGB: Vollendung der Geburt; vgl aber für die Erbfähigkeit des nasciturus § 1923 Abs. 2 BGB).

Die Regelung in Art. 30 des spanischen Código Civil, wonach für das Zivilrecht nur als geboren galt, wer 24 Stunden nach Trennung der Nabelschnur überlebte, wurde mit Wirkung vom 23.7.2011 aufgehoben; nach Art. 30 CC neuer Fassung ist nun die Trennung der Nabelschnur maßgeblich. Interessant sind einige südamerikanische Regelungen, welche die im deutschen Recht verfassungs-, straf- und sorgerechtlich problematische menschliche Existenz des nasciturus ausdrücklich im Código Civil bestimmen (Art. 19 argentinischer CC, Art. 1 Abs. 2 peruanischer CC) und nur die vermögensrechtliche Rechtsfähigkeit von der Lebendgeburt abhängig machen (Art. 21 argentinischer CC, Art. 1 Abs. 2 S. 2 peruanischer CC).

610

c) Das Ende der Rechtsfähigkeit tritt grundsätzlich mit dem Tod ein. Auf welchen Zeitpunkt dabei abzustellen ist (zB Herz- oder Hirntod), bestimmt das Statut des Art. 7 Abs. 1. Das gilt auch für besondere Rechtsfiguren des „bürgerlichen Todes“, also des Verlustes der Rechtsfähigkeit zu Lebzeiten, im Zusammenhang mit strafrechtlichen Verurteilungen.[1] Solche Figuren verstoßen jedoch bei hinreichendem Inlandsbezug gegen den deutschen ordre public (Art. 6), weil sie die Menschenwürde verletzen.

611

d) Art. 9 S. 1 unterstellt dem (letzten) Heimatrecht auch die Regelungen der Todesfeststellung im Fall der Verschollenheit. Ist ein Mensch verschollen, so ist sein Tod und damit das Ende seiner Rechtsfähigkeit fraglich. Das Heimatrecht bestimmt, ob und zu welchem Zeitpunkt nach dem Eintritt der Verschollenheit eine materiell-rechtlich wirkende Vermutung des Todes eingreift (zB im common law[2]) oder ob ein formelles Verfahren der Todeserklärung erforderlich ist (zB nach deutschem Recht). Ausnahmsweise kann ein Ausländer nach deutschem Recht für tot erklärt werden, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht (Art. 9 S. 2).

§ 12 VerschG begründet hierfür die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die bei einem Ausländer besteht, wenn dieser im letzten bekannten Lebenszeitpunkt gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte (§ 12 Abs. 1 Nr 2 VerschG) oder wenn ein berechtigtes Interesse besteht (§ 12 Abs. 2 VerschG). Ein berechtigtes Interesse kann sich auch ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ergeben, wenn hier Vermögen des Verschollenen belegen ist oder Angehörige leben, vor allem dann, wenn das Heimatrecht ein entsprechendes Rechtsinstitut nicht kennt und es daher an Rechtssicherheit im Inland fehlt.

612

e) Das Heimatrecht bestimmt auch über Kommorienten- und Vorversterbensvermutungen. Versterben zwei Personen bei demselben Ereignis, ohne dass der individuelle Todeszeitpunkt exakt feststellbar ist (Tod mehrerer vor Eintreffen von Helfern bei Unfällen und Naturkatastrophen) oder geraten sie gemeinsam in Verschollenheit (Verschwinden bei Tsunami) so sind rechtsvergleichend drei Antworten auf die Frage nach der Reihenfolge des Todes bekannt: Teils wird das zeitgleiche Versterben vermutet (Kommorientenvermutung, zB § 11 VerschG), teils das Längerleben des Älteren, teils das des Jüngeren.

Bedeutsam werden solche Vermutungen für die Erbfolge; über die Vermutungen bestimmt nicht das Erbstatut, sondern das Personalstatut. Widersprechen sich die Vermutungen im Heimatrecht zweier gemeinsam Verstorbener, die jeweils im Falle des Überlebens den anderen beerbt hätten, so ist eine Anpassung erforderlich; eine wechselseitige Beerbung scheidet aus. Dagegen läuft ein beidseitiger Ausschluss der Erbenstellung wegen Vermutung des Vor- oder Zugleichversterbens des Erbprätendenten auf die Situation der Kommorientenvermutung im deutschen Recht hinaus und ist hinnehmbar: Keiner beerbt den anderen.

4. Qualifikation, Geschäftsfähigkeit

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Der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit umfasst

a) die Voraussetzungen der vollen oder beschränkten Geschäftsfähigkeit einschließlich der Altersgrenzen und der Voraussetzungen für Ausnahmen, insbesondere für Teilgeschäftsfähigkeiten.

614

b) Das Wirkungsstatut entscheidet dagegen, ob für ein bestimmtes Rechtsgeschäft volle Geschäftsfähigkeit erforderlich ist.

Ist Wirkungsstatut einer Vollmacht, die einem 15-Jährigen erteilt wird, deutsches Recht, so ergibt sich aus dem deutschen Vollmachtstatut, welchen Grad der Geschäftsfähigkeit der Vertreter haben muss. Ob die nach § 165 BGB genügende beschränkte Geschäftsfähigkeit vorliegt, beurteilt sich nach dem Heimatrecht. Besteht danach eine „beschränkte Geschäftsfähigkeit“, so muss ggf geprüft werden, ob die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Heimatrechts den Voraussetzungen des § 165 BGB entspricht (Substitutionsfrage).

615

c) Fehlt es an der danach erforderlichen Geschäftsfähigkeit, so entscheidet nach hM das Heimatrecht und nicht das Wirkungsstatut, welche Folgen dieser Mangel hat und ob er – zB durch Zustimmung des gesetzlichen Vertreters – geheilt werden kann.

616

d) Die Voraussetzungen eines Wegfalls oder einer Beschränkung der Geschäftsfähigkeit unterliegen ebenfalls dem Heimatrecht. Eine – dem deutschen Recht nicht mehr bekannte – Entmündigung können deutsche Gerichte nicht durchführen, auch wenn das Heimatrecht sie vorsieht, weil das deutsche Recht hierfür kein Verfahren bereitstellt. Die Anerkennung einer ausländischen Entmündigungsentscheidung ist dadurch nicht ausgeschlossen. Sie erfolgt nach §§ 108, 109 FamFG, wobei für die Prüfung der spiegelbildlichen Zuständigkeit die Bestimmungen über das Verfahren in Betreuungssachen (§ 272 FamFG) entsprechend heranzuziehen sind. Die Anordnung einer Vormundschaft, Betreuung oder Pflegschaft unterliegt Art. 24.

 

617

e) Eine Erweiterung der Geschäftsfähigkeit als Folge oder Voraussetzung der Eheschließung (die das deutsche Recht seit 1976 nicht mehr vorsieht – § 1303 Abs. 2 BGB macht nicht geschäftsfähig) untersteht ebenfalls dem Heimatrecht (Art. 7 Abs. 1 S. 2); das Ehewirkungsstatut ist nicht maßgeblich. Dagegen befindet das Ehewirkungsstatut darüber, ob eine Befreiung von einem Alterserfordernis erteilt werden kann (vgl § 1303 Abs. 2 BGB), denn dadurch wird nicht in die fehlende Geschäftsfähigkeit eingegriffen. Eine Einschränkung der Geschäftsfähigkeit als Folge der Eheschließung beurteilt sich nach Art. 14, wenn sie die persönlichen Ehewirkungen betrifft, und nach Art. 15 für das Ehegüterrecht, wobei insbesondere bei geschlechtsspezifischen Einschränkungen der deutsche ordre public (Art. 6) verletzt sein kann.

II. Statutenwechsel

618

1. Das Statut der Rechts- und Geschäftsfähigkeit ist wandelbar; es gilt das jeweilige Heimatrecht. Art. 7 Abs. 2 schränkt die Folgen eines Statutenwechsels jedoch ein: Der Statutenwechsel kann zu einer Steigerung der Rechts- oder Geschäftsfähigkeit führen, nicht aber eine bereits unter altem Statut erlangte beschränken. Damit wird die einmal erlangte Rechts- oder Geschäftsfähigkeit wie ein wohlerworbenes Recht behandelt, das durch einen Statutenwechsel nicht entzogen werden kann. Nur für einen späteren Verlust oder eine Beschränkung gilt das neue Personalstatut. Dieser Schutz geht über die bloße Bestandskraft unter altem Personalstatut abgegebener Willenserklärungen hinaus: Auch nach dem Statutenwechsel bleibt der Betroffene im bisherigen Umfang handlungsfähig.

619

2. Art. 7 Abs. 2 ist als einseitige Kollisionsnorm („Erwerb oder Verlust der Rechtsstellung als Deutscher“) formuliert, gilt aber analog in jedem Fall des Wechsels des Personalstatuts. Dazu gehört nicht nur der Erwerb einer anderen (nach Art. 5 Abs. 1 maßgeblichen) Staatsangehörigkeit, sondern auch ein sonstiger Wechsel des Personalstatuts, zB der Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts eines Staatenlosen.