Internationales Privatrecht

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III. Rechtsfolge einer Substitution

550

Ist das ausländische Rechtsinstitut substituierbar, so ersetzt es als Rechtsfolge vollständig das im Tatbestand genannte deutsche Institut; die Rechtsfolge der Norm tritt – andere Tatbestandsmerkmale vorausgesetzt – ein. Fehlt es an der Substituierbarkeit, so tritt die Rechtsfolge nicht ein; ggf muss das fehlende Tatbestandsmerkmal (notarielle Beurkundung, Adoption etc) in den Formen der lex causae nachgeholt werden.

Anmerkungen

[1]

BGHZ 41, 136: „Die Frage, ob einem katholischen Spanier die Befreiung [sc. vom Erfordernis des Ehefähigkeitszeugnisses] dann erteilt werden kann, wenn durch ein deutsches Scheidungsurteil entweder seine eigene frühere Ehe... oder eine frühere Ehe seiner deutschen Verlobten geschieden worden ist, ist... umstritten... Auszugehen ist von der Bedeutung des Art. 13 EGBGB. Diese Bestimmung stellt sicher, dass eine Ehe, deren Eingehung beabsichtigt ist, allgemein anerkannt wird... Die Ehe soll deshalb in den in Betracht kommenden Lebensbereichen der künftigen Ehegatten, also nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland und vor allem auch im Heimatstaat des ausländischen Ehegatten, vollgültig sein... Die Anerkennung der Ehe im Heimatstaat des ausländischen Verlobten erfordert, dass die Normen des ausländischen Rechts in vollem Umfang angewandt werden... Damit ist die Ansicht, es handle sich insoweit um eine selbständige, nach dem Recht des geschiedenen Verlobten zu beurteilende Vorfrage abgelehnt.... Nur dann, wenn sich die Prüfung auch darauf erstreckt, ob der Gültigkeit der beabsichtigten Eheschließung das Hindernis einer früheren, nach Auffassung des ausländischen Rechts noch als fortbestehend anzusehenden Ehe entgegensteht, ist die mit der Vorschrift des Art. 13 EGBGB auch im Interesse des deutschen Verlobten erstrebte allgemeine Anerkennung der Ehe gewährleistet.“

[2]

BVerfGE 31, 58, 81: „Auch bei der Beurteilung der Ehefähigkeit der Beschwerdeführerin, die sich gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach deutschem Recht richtet, müssen die deutschen Behörden prüfen, ob die Beschwerdeführerin unverheiratet ist; sie können diese Frage nur eindeutig bejahen, weil ihre frühere Ehe durch die Scheidung rechtsgültig gelöst ist. Zugleich soll aber die Prüfung derselben tatsächlichen und rechtlichen Umstände im Rahmen der Beurteilung der Ehefähigkeit des Beschwerdeführers ergeben, dass die deutschen Behörden und Gerichte dieselbe Frage ebenso eindeutig verneinen, weil das spanische Recht die Scheidung nicht anerkennt. Schon dieser Widerspruch spricht für einen unzulässigen Eingriff in die Eheschließungsfreiheit der Beschwerdeführerin. Es erscheint auch kaum verständlich, warum der eigene Staat in Anwendung spanischen Rechts den Fortbestand einer Ehe fingiert, die er nach eigenem Recht als endgültig und mit Wirkung für und gegen alle gelöst betrachtet.“

[3]

OVG Hamburg StAZ 2007, 86.

[4]

BGHZ 43, 213.

[5]

BGHZ 90, 129, 140.

[6]

BGHZ 90, 129, 140.

[7]

BGH FamRZ 1994, 1262, 1263.

[8]

BVerfG NJW 1983, 511: Die Beschwerdeführerin hatte 1947 vor einem dazu nach englischem Recht legitimierten Geistlichen in einer Kaserne der britischen Armee in Deutschland die Ehe mit einem Soldaten der britischen Besatzungsarmee geschlossen und 2 Jahre mit ihm in England gelebt. Sodann lebten die Ehegatten 25 Jahre in der Bundesrepublik, wo der Ehemann Rentenanwartschaften erwarb. Der Rentenversicherungsträger versagte der Beschwerdeführerin eine Witwenrente, weil ihre Ehe nach deutschem Recht nicht wirksam sei.

[9]

Zu Eheschließungen in Fluchtsituation Henrich StAZ 2016, 1 f.

[10]

LG Ellwangen BWNotZ 2000, 45; vgl auch BGH IPRspr 1968/69 Nr 160; die dort getroffene Aussage, dass keine Substitution des Notars in § 925 BGB durch einen US-amerikanischen notary public möglich ist, ließe sich freilich auch auf der Ebene der fehlenden Funktionsäquivalenz begründen.

[11]

Zum Meinungsstand Roth/Altmeppen GmbHG (8. Aufl., 2015) § 15 Rn 92 ff.

[12]

BGHZ 80, 76, 79 (Gesellschaftsvertrag); BGH NJW-RR 1989, 1259 (Abtretung von Anteilen); BGH NJW 2014, 2026 (Einreichung der Gesellschafterliste); BGH ZIP 2014, 2494 (Beurkundung der Hauptversammlung).

[13]

BGHZ 80, 76, 79 unter Hinweis auf § 17 BeurkG.

[14]

BGHZ 80, 76, 79.

[15]

Betreffend Schweizer Beurkundungen Müller NJW 2014, 1994 ausdrücklich gegen die Annahme in BGHZ 80, 76, 79 (betreffend Zürich); sehr gründlich zu dieser Frage AG Charlottenburg ZIP 2016, 770 (Bern).

[16]

BGH FPR 2002, 461: Ein Schweizerischer Zahlungsbefehl steht zwar nicht der Klage, aber dem deutschen Mahnbescheid gleich und unterbricht nach § 209 Abs. 1, Abs. 2 Nr 1 BGB aF die Verjährung; entsprechendes gilt für § 204 Nr 3 BGB nF.

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 6 Korrektur der Verweisung

§ 6 Korrektur der Verweisung

Inhaltsverzeichnis

A. Vorrang des Einzelstatuts

B. Anpassung (Angleichung)

C. Ordre Public

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Als „Korrektur der Verweisung“ werden hier – untechnisch – einige Rechtsinstitute zusammengefasst, die nur eines gemeinsam haben: Es wird nicht das seitens des Kollisionsrechts „eigentlich“ berufene Recht zur Gänze im Fall angewendet, sondern aus unterschiedlichen Gründen von dem als Ergebnis einer technisch korrekten Anwendung der Kollisionsnormen berufenen Recht abgewichen. Ihre Prüfung findet deshalb erst nach Ermittlung des „eigentlich“ anwendbaren Statuts statt.

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 6 Korrektur der Verweisung › A. Vorrang des Einzelstatuts

A. Vorrang des Einzelstatuts

I. Problemstellung

552

1. Ist aus Sicht des deutschen Kollisionsrechts, eventuell nach Beachtung eines renvoi, auf eine Sachfrage eine bestimmte lex causae anwendbar, so interessiert es grundsätzlich nicht, wenn andere Rechtsordnungen anders anknüpfen oder bestimmte Rechtsnormen für zwingend anwendbar halten. Von diesem Grundsatz weicht Art. 3a Abs. 2 ab, wenn das Recht des Staates, in dem sich eine Sache befindet, diese Sache besonderen Vorschriften unterstellt. Art. 3a Abs. 2 gilt nur noch gegenüber Kollisionsnormen des im deutschen IPR geregelten Internationalen Familienrechts („Verweisungen im Dritten Abschnitt“). Bis zum 16.8.2015 galt Art. 3a Abs. 2 aF auch im Verhältnis zum Erbstatut. Dagegen gilt Art. 3a Abs. 2 nicht mehr im Verhältnis zu Erbfällen, die seit dem 17.8.2015 eintreten und daher der EU-ErbVO unterliegen; insoweit gilt der ähnlich strukturierte Art. 30 EU-ErbVO.

553

2. Hintergrund dieser schon im Jahre 1900 im EGBGB enthaltenen Regelung (Art. 28 aF; Art. 3 Abs. 3 idF von 1986) sind Spannungen zwischen dem Belegenheitsrecht und dem sog Gesamtstatut: Das IPR unterstellt die Verhältnisse von Personen in einzelnen Sachfragen (Beerbung, Ehewirkungsrecht, Ehegüterrecht) jeweils einem einheitlichen Statut, das für das gesamte von der Sachfrage erfasste Vermögen, unbeschadet des Lageortes, eingreift, dem Gesamtstatut. Jede der hiervon berührten Sachen hat aber unter sachenrechtlichem Blickwinkel auch ein eigenes Sachenrechtsstatut, das Einzelstatut, welches sich international anerkannt nach der lex rei sitae bestimmt. Wo sich dieses Einzelstatut gegen ein Gesamtstatut durchsetzen will, weicht das deutsche IPR zurück; es erscheint nicht sinnvoll, praktische Durchsetzungskonflikte gegenüber dem Belegenheitsstaat zu provozieren.

II. Falltypen

554

Art. 3a Abs. 2 gibt in zwei Fällen dem Einzelstatut Vorrang vor dem Gesamtstatut:

1. In dem vom Wortlaut unmittelbar erfassten Bereich materiell-rechtlicher Sondervorschriften ging es um die Jahrhundertwende vor allem um Sondervorschriften zur Vererbung von Lehen und Fideikommissen als feudal gebundene, dem allgemeinen Erbstatut entzogene Vermögen. Heute werden von Art. 3a Abs. 2 materiell-rechtlich die landwirtschaftlichen Sondererbfolgen (HöfeO), die gesellschaftsrechtliche Beschränkung der Vererbung der Stellung des persönlich haftenden Gesellschafters und Bestimmungen ausländischer Rechtsordnungen erfasst, die Rechte an den in ihrem Geltungsbereich belegenen Sachen dem Geltungsbereich allgemeiner Normen entziehen und sie einer Sonderordnung unterstellen, zB Kronerbfolgen[1] ausländischer Königshäuser.

 

555

Nicht genügend ist es dagegen, wenn eine Rechtsordnung den Übergang des Eigentums an einem Grundstück von einer Genehmigung abhängig macht, jedoch nicht in die Bestimmung der Person des Berechtigten eingreift.

556

2. Erheblich größere Bedeutung hat die Anwendung auf kollisionsrechtliche Sondervorschriften. Insoweit beruht die Anwendbarkeit über den Wortlaut hinaus auf einer ganz herrschenden Rechtsprechung. Unterstellt die Rechtsordnung des Belegenheitsstaates eine Sache, meist eine Immobilie, besonderen, vom Gesamtstatut abweichenden Kollisionsregeln, so ist das zu beachten. Das gilt gerade auch dann, wenn unser IPR nicht im Wege der Gesamtverweisung auf jenes IPR verweist. Voraussetzung ist nicht, dass diese abweichende Behandlung auf hoheitlichen Erwägungen beruht.

So zB im Fall des früheren § 25 Abs. 2 DDR-RAG: § 25 Abs. 1 DDR-RAG unterstellte die Beerbung – wie Art. 25 Abs. 1 – dem letzten Heimatrecht des Erblassers; § 25 Abs. 2 DDR-RAG erklärte für Grundstücke, die in der DDR belegen waren, das Recht der DDR für anwendbar.

557

Auch die schlichte kollisionsrechtliche Spaltung des Gesamtstatuts ist nach hM von Art. 3a Abs. 2 erfasst, sofern ein Nachlassteil dem Belegenheitsrecht unterstellt wird. Das Gegenargument, vor einer bloß kollisionsrechtlich gespaltenen Anknüpfung, die gar kein Sondervermögen schaffe, müsse das Gesamtstatut nicht zurückweichen, ist nicht unplausibel. Jedenfalls greift Art. 3a Abs. 2 nicht ein, wenn das fremde Kollisionsrecht das Gesamtstatut insgesamt anders anknüpft. Auch wenn das Phänomen hauptsächlich im Konflikt zu einem deutschen Gesamtstatut bekannt ist, ist Art. 3a Abs. 2 EGBGB auch anzuwenden, wenn sich ein Belegenheitsrecht gegen ein ausländisches Gesamtstaut durchsetzt.

Besaß ein 2014 verstorbener deutscher Erblasser eine Eigentumswohnung in Florida, so ist Erbstatut zwar deutsches Recht (Art. 25 Abs. 1 aF); da aber das Kollisionsrecht von Florida die Beerbung in Immobilien nach der lex rei sitae behandelt und die Immobilie sich in Florida befindet, ist insoweit das deutsche Recht als Erbstatut verdrängt und es findet das Erbrecht von Florida Anwendung. Deutlich wird hier auch der Unterschied zu einer Anwendung des fremden Kollisionsrechts innerhalb des renvoi: Die lex rei sitae-Anknüpfung setzt sich im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 natürlich nur für Grundstücke durch, die im jeweiligen Staat belegen sind. Bei einer Verweisung für die Beerbung eines US-Amerikaners mit Unteranknüpfung nach Florida käme es hingegen auch für Grundstücke zB in Italien zu einer lex rei sitae-Weiterverweisung.

Ist der Erblasser seit dem 17.8.2015 verstorben, so ist weiterhin deutsches Recht Erbstatut, wenn er in Deutschland gewöhnlichen Aufenthalt hatte oder sein Heimatrecht gewählt hatte (Art. 21, 22 EU-ErbVO). Fraglich ist, ob auch Art. 30 EU-ErbVO zur Anwendung floridianischen Rechts auf die dortige Immobilie führt. Während Art. 3a Abs. 2 –praxistauglich – den schlichten Durchsetzungswillen des Belegenheitsstaates genügen lässt, verlangt Art. 30 eine Sonderbehandlung aus „wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen“, was bei präziser Anwendung legislatorische Motivsuche im fremden Recht erfordert und bei der im Common Law traditionellen Kollisionsnorm, die auf einem sachenrechtlichen Vorverständnis des Eigentumsübergang an Immobilien beruht, nicht leicht begründbar erscheint. Hingegen sind Höfeordnungen, aber auch gezielte kollisionsrechtliche Restriktivnormen wie § 25 Abs. 2 RAG aF erkennbar wirtschaftlich motiviert.

558

In der Praxis erfordert Art. 3a Abs. 2 vor allem bei im Ausland belegenen Grundstücken erhebliche Vorsicht. Anders als im Fall der Gesamtverweisung wird ein deutsches Gericht nicht zwangsläufig zur Anwendbarkeit des fremden IPR im betreffenden Fall geleitet. Hier kann in einem vermeintlich rein deutschrechtlichen Güterrechtsfall (Art. 3a Abs. 2) oder Erbfalls (Art. 30 EU-ErbVO) die Zusammensetzung des Vermögens das anwendbare Recht bestimmen. In Erbscheinsverfahren, wo der Bestand des Nachlasses nicht Entscheidungsgegenstand ist und dem Gericht nur aus dem eingereichten Nachlassverzeichnis bekannt wird, bedarf es einer besonderen Aufmerksamkeit, zumal seit in Inkrafttreten des FamFG nicht nur Eigenrechtserbscheine mangels eines Antrags nach § 352c FamFG nicht gegenständlich auf das Inland begrenzt sind (Rn 2310).

559

Nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages stellte sich bei zahlreichen Erbscheinen, die (bundes-)deutsche Nachlassgerichte als Eigenrechtserbscheine (also unbeschränkt, § 2369 aF BGB) in Anwendung des BGB-Erbrechts nach deutschen Erblassern mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik erteilt hatten, heraus, dass DDR-Grundstücke zum Nachlass gehörten, welche im Erbscheinsverfahren als wertlos nicht erwähnt worden waren. Diese Erbscheine sind unrichtig; auf in der DDR belegene Grundstücke kam innerdeutsch entsprechend Art. 3 Abs. 3 aF das Recht der DDR zur Anwendung, weil § 25 Abs. 2 RAG diese Anwendung beanspruchte.

III. Rechtsfolge

560

Rechtsfolge des Art. 3a Abs. 2 ist die Anwendung der Sonderregeln des Belegenheitsrechts. Dies folgt zwar nicht aus dem Wortlaut; die Lücke im Gesamtstatut, die das Einzelstatut schlägt, wird aber vom deutschen IPR nur deshalb beachtet, damit das Einzelstatut sich durchsetzen kann. Das jeweilige Vermögen (Nachlass, Vermögen der Ehegatten) wird durch die Beachtung des Einzelstatuts geteilt. Handelt es sich um materielle Sondervorschriften, so finden diese auf den betroffenen Teil Anwendung; im Übrigen gilt das Gesamtstatut.

561

Bei kollisionsrechtlicher Sonderanknüpfung ergeben sich wie im Fall des gespaltenen renvoi unterschiedliche Vermögensmassen, die jeweils einheitlich nach der sie beherrschenden Rechtsordnung beurteilt werden.

Literatur:

Ludwig Zur Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 EGBGB im Internationalen Ehegüterrecht bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs nach deutschem Recht, DNotZ 2000, 663.

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 6 Korrektur der Verweisung › B. Anpassung (Angleichung)

B. Anpassung (Angleichung)

I. Problemstellung

562

Anpassung bedeutet die Korrektur von widersprüchlichen Ergebnissen, die durch das Aufeinandertreffen von Rechtsordnungen hervorgerufen werden, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Die kollisionsrechtliche Qualifikation zerlegt einen Lebenssachverhalt in einzelne Rechtsfragen, die aufgrund der Anknüpfungs- und Verweisungsregeln unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstehen können.

In einer Ehe zwischen einer Deutschen und einem Österreicher ist Erbstatut nach dem zuerst verstorbenen Ehemann österreichisches Recht (Art. 25 Abs. 1 aF; ebenso bei Heimatrechtswahl Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO); Ehegüterstatut der Erblasserehe ist aber deutsches Recht, wenn die Ehegatten keine gemeinsame Staatsangehörigkeit hatten und seit der Eheschließung in Deutschland gelebt haben (Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr 2).

563

Jede Rechtsordnung versucht zwar, in sich abgestimmt zu sein. Im Verhältnis zu jeder denkbaren ausländischen Rechtsordnung kann eine solche Abstimmung hingegen nicht bestehen.

Eine häufige Quelle solcher Widersprüche ist § 1371 Abs. 1 BGB. Der Zugewinnausgleich von Todes wegen, der schon aus Sicht des deutschen Kollisionsrechts schwer qualifizierbar ist (Rn 477, 485), trifft, folgt man mit dem BGH der güterrechtlichen Qualifikation, nicht selten auf ein fremdes Erbstatut. Gibt dieses dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu Abkömmlingen eine deutlich höhere Erbquote als das deutsche Erbrecht (§ 1931 Abs. 1 BGB: ein Viertel), auf das § 1371 Abs. 1 BGB abgestimmt ist, so wird die formale Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB unbillig (zB Erhöhung einer Erbquote von ½ um ein weiteres Viertel) oder unmöglich (wenn der Ehegatte bereits nach dem Erbstatut mehr als ¾ erhält).

II. Normwidersprüche, Typen

564

Ursache von Anpassungsbedarf sind also nicht Mängel der einzelnen beteiligten Rechtsordnungen, sondern die technische Auflösung des Sachverhalts („analytische Methode des IPR“) durch die kollisionsrechtliche Anknüpfung. Dabei kann es zu drei Typen von Normwidersprüchen kommen:

565

1. Normenmangel liegt vor, wenn für ein Rechtsproblem keines der beteiligten Statuten eine Lösung enthält.

Romanische Rechtsordnungen gestalten die Nachlassbeteiligung des überlebenden Ehegatten traditionell schwach aus. Die erbrechtliche Beteiligung des überlebenden Ehegatten wurde zunächst verbreitet nur als lebzeitiger Nießbrauch an einem Nachlassteil ausgestaltet. So erbte zB der Ehegatte nach niederländischem Recht bis zum Inkrafttreten des 2. Buches des Nieuw Burgerlijk Wetboek (1982) nicht neben Abkömmlingen. Daneben besteht aber regelmäßig als gesetzlicher Güterstand eine Errungenschaftsgemeinschaft, die dem überlebenden Ehegatten einen hälftigen Anteil sichert. Trifft eine solche Rechtsordnung als Erbstatut auf ein Ehegüterstatut mit Gütertrennung, so erhält der überlebende Ehegatte bei formaler Kombination beider Normausschnitte nichts oder sehr viel weniger als nach jeder beteiligten Rechtsordnung für sich genommen.

566

Normenmangel führt dazu, dass Problemlösungen, die innerhalb jeder der beteiligten Rechtsordnungen in einer oder der anderen Einordnung im Ergebnis existieren, in der Kombination beider Rechtsordnungen fehlen, weil sie jeweils dem „falschen“ (nicht anzuwendenden) Teil der Rechtsordnung angehören. Normenmangel kann auch graduell auftreten, muss also nicht in der gänzlichen Nichtgewährung eines Anspruchs bestehen.

Nach deutschem Recht erhält ein Ehegatte neben einem Abkömmling in Zugewinngemeinschaft nur eine Erbquote (§ 1931 Abs. 1 BGB) von einem Viertel, das sich aber um ein weiteres Viertel nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöht. In Gütertrennung (§ 1931 Abs. 4 BGB) erhält er erbrechtlich die Hälfte. Fällt bei Zusammentreffen mit einem ausländischen Güterstatut die zusätzliche Quote nach § 1371 Abs. 1 BGB weg, so kann Anpassungsbedarf entstehen, wobei freilich zu beachten ist, dass nicht nur die schon im deutschen Recht höchst widersprüchlichen Erbquoten (warum erhöht Gütertrennung die Erbquote?)[2] zu bedenken sind, sondern auch konkrete ehegüterrechtliche Ausgleichsansprüche, die im deutschen Recht § 1371 Abs. 1 BGB ausschließt. Solche sind dinglich (zB im italienischen Güterstand der comunione legale), aber auch in der Zugewinngemeinschaft ähnlichen ausländischen Güterrechtsordnungen schuldrechtlich (zB das griechische Recht, das Recht von Ontario) bei Auflösung des Güterstandes durch Tod vorgesehen und bestehen teilweise ebenfalls nur zugunsten, aber nicht zulasten des verwitweten Ehegatten.

 

567

2. Normenhäufung entsteht, wenn für ein Rechtsproblem mehrere beteiligte Rechtsordnungen Lösungen enthalten, die in Kumulation zu einer von keiner Rechtsordnung gewollten Vermehrung von Ansprüchen führen. Auch Normenhäufung ist ein graduelles Phänomen, bedeutet also nicht notwendig eine Situation des Alles oder Nichts.

In den US-Bundesstaaten, welche dem Modell des Uniform Probate Code folgen, erhält der überlebende Ehegatte neben Abkömmlingen $ 50.000 und die Hälfte des restlichen Nachlasses. Daneben erhält er neben Abkömmlingen keinen güterrechtlichen Ausgleich. Ist Erbstatut eine solche Rechtsordnung und Güterstatut deutsches Recht, so würde die Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB dazu führen, dass der Ehegatte bei einem Nachlass im Wert von $ 100.000 den ganzen Nachlass, bei höherem Nachlasswert drei Viertel plus $ 50.000 erhält.

Ein muslimischer Ägypter ist mit vier Ägypterinnen verheiratet. Die gesamte Familie zieht nach Deutschland, wo sich nach und nach alle vier Frauen von dem Ehemann trennen und Trennungsunterhalt verlangen. Nach Art. 3 des Haager Unterhaltsprotokolls 2007 (iVm Art. 15 EG-UntVO) gilt (mangels Rechtswahl) deutsches Recht, das aber inhaltlich nicht zugeschnitten ist auf die Konkurrenz von vier Ansprüchen auf Trennungsunterhalt. Art. 5 HUntStProt 2007 hilft nicht, da es nicht um die Abwehr von gesteigerten Unterhaltspflichten nach einem mit der Ehe nicht eng verbundenen Recht geht; die Ehegatten haben ja alle in Deutschland zusammen gelebt. Das Häufungsproblem entsteht vielmehr, weil ein ägyptisch-islamisches Eheschließungsstatut, das die Polygamie erlaubt, mit einem deutschen Unterhaltsstatut, das ihre Folgen bewältigen soll, zusammentrifft. Der deutsche ordre public löst das Problem nicht, denn im Zeitpunkt der vier Eheschließungen hatte der Fall keinerlei Inlandsbezug (Rn 586, 590 ff).

568

3. Normenunverträglichkeit entsteht, wenn eine beteiligte Rechtsordnung Ansprüche oder Rechte gewährt, die eine andere beteiligte Rechtsordnung nicht anerkennt und die deshalb nicht durchsetzbar sind.

Nachlassbeteiligungen können nach dem Erbstatut in einem trust nach englischem Recht, in einem Nießbrauch oder in anderen beschränkten dinglichen Rechten bestehen. Gehört zum Nachlass ein Grundstück, das in einem Staat belegen ist, dessen Rechtsordnung dieses spezifische Recht nicht kennt und daher sachenrechtlich nicht umsetzt (testamentary trust an deutschem Grundstück scheitert am deutschen Sachenrecht), entsteht zwar kein Normenmangel (denn die Erbberechtigung besteht formal); die Norm des Erbstatuts kann sich aber im maßgeblichen Sachenrechtsstatut nicht verwirklichen.

569

In allen Fällen entsteht der Anpassungsbedarf aufgrund von materiell beeinflussten Gerechtigkeitserwägungen: Die Zufälligkeit der Bestimmung zusammentreffender Statuten im IPR darf nicht dazu führen, dass ein Ergebnis erzielt wird, das sich außerhalb des Regelungsrahmens jeder der beteiligten Rechtsordnungen, jeweils als Gesamtsystem angewendet, bewegt.