Internationales Privatrecht

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Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation

§ 4 Qualifikation

Inhaltsverzeichnis

A. Ursache: Kollidierende Systembegriffe

B. Methoden der Qualifikation

C. Lösungen der Einzelprobleme

D. Abgrenzung: Handeln unter „falschem Recht“

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation › A. Ursache: Kollidierende Systembegriffe

A. Ursache: Kollidierende Systembegriffe

443

Qualifikation bedeutet Einordnung eines gegebenen Sachverhalts in Systembegriffe einer Rechtsordnung. Sachverhalt kann hierbei ein rechtlich noch nicht eingegrenzter Lebenssachverhalt sein; häufig ist es aber bereits eine konkrete Rechtsfrage, für die ein anwendbares Recht zu ermitteln ist.

444

Da bei der Anknüpfung im IPR häufig mehr als eine Rechtsordnung berührt ist, treffen unterschiedliche Systeme von rechtlichen Begriffen im selben Sachverhalt aufeinander. Das macht die Einordnung des Sachverhalts an verschiedenen Stellen der Prüfung erforderlich und führt zu Konflikten, die sich aus der unterschiedlichen Einordnung desselben Sachverhaltes in verschiedenen Normsystemen ergeben.

Betrachtet man bildlich das IPR als einen Schrank mit vielen Schubladen, die nach den Verweisungsnormen des IPR etikettiert sind, so müssten im Idealfall alle Normen, auf die der deutsche Rechtsanwender in Auslandsfällen stoßen kann, in eine (und nur in eine) dieser Schubladen einsortiert werden können. Das betrifft materielle deutsche und ausländische Normen sowie ausländische Kollisionsregeln. Das Bild hilft, das verbreitete Phänomen des „Weiterblätterns“ im fremden Gesetz zu vermeiden: Beruft das IPR eine Rechtsordnung als Erbstatut, so bezieht sich dies nur auf die Normen aus der Schublade mit dem Etikett „Erbrecht“; Normen aus anderen Schubladen dieser Rechtsordnung sind nicht berufen, auch wenn man beim Blättern im Gesetz versucht ist, sie heranzuziehen. Ist eine andere Rechtsordnung „Ehegüterstatut“, so ist nur deren Schublade mit dem Etikett „Ehegüterrecht“ zu verwenden. Bildlich liegen damit die anwendbaren Normen verschiedener berufener Rechtsordnungen auf dem Arbeitstisch des Rechtsanwenders.

I. Aufspaltung eines deutschen materiellen Systembegriffs im deutschen IPR

445

1. Das erste Qualifikationsproblem tritt zwischen den Systembegriffen des deutschen IPR und des deutschen materiellen Rechts auf. Anknüpfungsnormen des IPR sind auf der Tatbestandsseite nach Systembegriffen geordnet, die sich häufig an der Systematik des eigenen materiellen Rechts orientieren.

Diese Bindung ist traditionell so stark, dass trotz der bedeutenden rechtsvergleichenden Vorarbeiten, die heute regelmäßig ein Reformvorhaben begleiten, häufig für Rechtsinstitute, die im materiellen Recht beseitigt werden, sogleich auch im IPR die entsprechende Kollisionsnorm entfernt wird. ZB beseitigte das KindRG 1998 zusammen mit der materiellen Aufgabe der Unterscheidung von ehelichen und nichtehelichen Kindern auch das Legitimationsstatut, obwohl damals noch viele Rechtsordnungen eine Legitimation kannten. In Europa sind Statusunterschiede inzwischen selten (Rn 458, 1020).

446

2. Dennoch sind das deutsche IPR und das deutsche materielle Recht nicht deckungsgleich. Zum Teil wird für einzelne Fragen, die im materiellen Recht einer Systemgruppe zugeordnet sind, im IPR eine eigenständige Anknüpfung gewählt.

Das internationale Namensrecht ist in Art. 10 umfassend und eigenständig geregelt, während das materielle Recht den Ehenamen als allgemeine Ehewirkung (§ 1355 BGB), den Kindesnamen als Frage des Rechtsverhältnisses von Eltern und Kind behandelt (§§ 1616-1618 BGB).

447

3. In diesem Fall ist die Qualifikation unproblematisch: Das IPR bestimmt die maßgebliche Kollisionsnorm; wenn es für Teilfragen eines materiellen Systembegriffs spezielle Kollisionsregeln enthält, so sind diese anzuwenden.

II. Zwischen zwei deutschen Systembegriffen stehende materielle Norm

448

1. Das zweite Qualifikationsproblem tritt ebenfalls zwischen den Systembegriffen des deutschen materiellen Rechts und des deutschen IPR auf: Eine Bestimmung ist im materiellen Recht tatbestandlich einem Systembegriff zugeordnet, berührt jedoch in der Rechtsfolge einen anderen Systembegriff. Im IPR ist deshalb zu klären, welchem der beiden Systembegriffe die Bestimmung angehört.

§ 1371 Abs. 1 BGB regelt den Zugewinnausgleich bei Beendigung der Ehe durch Tod (ehegüterrechtlicher Tatbestand) durch Erhöhung des gesetzlichen Erbteils des überlebenden Ehegatten um ein Viertel (erbrechtliche Rechtsfolge).

449

2. Im materiellen Recht kann die Frage unbeantwortet bleiben, zu welchem Systembegriff das Rechtsinstitut materiell gehört, da unabhängig von dieser Einordnung die Regelung in Inlandsfällen jedenfalls Anwendung findet. Im IPR wird die Qualifikation des Rechtsinstituts entscheidungserheblich, weil die verschiedenen Systembegriffe unabhängigen Verweisungen in unterschiedliche Rechtsordnungen unterliegen und deshalb von der Qualifikation die Anwendung der Norm abhängt.

Haben seit der Eheschließung in Deutschland lebende Ehegatten verschiedene ausländische Staatsangehörigkeiten, so ist Ehegüterstatut deutsches Recht (Art. 14 Abs. 1 Nr 2), Erbstatut aber – vorbehaltlich Rückverweisung – das jeweilige Heimatrecht (Art. 25 Abs. 1 aF, Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO) oder Aufenthaltsrecht (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO). § 1371 Abs. 1 BGB findet dann bei Tod eines Ehegatten nur Anwendung, wenn es sich um eine ehegüterrechtliche Norm handelt, weil nur das Ehegüterstatut deutsches Recht ist.

450

3. Diese Frage löst sich nicht von selbst; die beiden Kollisionsnormen stehen nicht in einem Verhältnis der Spezialität; keine der Normen lässt erkennen, ob sie das im materiellen Recht ambivalente Rechtsinstitut umfasst. Klar ist jedoch auch bei diesem Problem, dass es intern im deutschen Recht zu lösen ist.

III. Systemunterschiede zwischen deutschem und ausländischem Recht

451

1. Das dritte Qualifikationsproblem tritt erst in Erscheinung, wenn die Verweisung des deutschen IPR in eine fremde Rechtsordnung geführt hat; es wird verursacht durch Systemunterschiede zwischen dem deutschen Recht und dem fremden materiellen Recht: Ausgehend von der Einordnung des Sachverhalts – meist in Gestalt einer Rechtsfrage – in die deutschen Systembegriffe trifft man auf eine Rechtsordnung, die unter diesem Systembegriff keine Lösung des Problems bereithält, weil sie das Problem einem anderen Systembegriff zuordnet.

452

Viel erörterte Beispiele sind die Qualifikation der Verjährung und des Erbrechts des Staates. Aus deutscher Sicht ist Verjährung ein Institut des materiellen Rechts und unterliegt daher dem Statut, das die jeweilige Forderung beherrscht (Vertragsstatut, Erbstatut etc). Im Common Law-Rechtskreis wird Verjährung als Klageverjährung verstanden und daher prozessrechtlich qualifiziert. Entscheidet ein deutsches Gericht (Prozessrecht unterliegt der lex fori, dem Recht des Gerichts) über eine englischem Recht unterstehende Forderung, so fehlt es sowohl im Prozessstatut als auch im Forderungsstatut an einer Verjährungsregel; ist die Forderung dann unverjährbar?

453

Das Erbrecht des Staates bei Fehlen privater Erben ist aus deutscher Sicht ein echtes Erbrecht, wird also erbrechtlich qualifiziert. Andere Rechtsordnungen sehen ein – aus ordnungspolitischen Gründen bestehendes – sachenrechtliches Aneignungsrecht des Staates an im Land befindlichen erbenlosen Nachlässen vor. Verstirbt ein Ausländer mit einem solchen Erbstatut in Deutschland ohne private Erben, so fehlt es im Erbstatut an einer Regelung. Das Sachenrechtsstatut (deutsches Recht für hier belegenen Nachlass) enthält ebenfalls keine Bestimmung. Kann sich jedermann den erbenlosen Nachlass nehmen? Welcher Staat kann den erbenlosen Nachlass eines Deutschen beanspruchen, den nach deutschem Erbstatut ein deutscher Fiskus erbt (§ 1936 BGB), wenn er nach dem Recht des Belegenheitsstaates dort einem Aneignungsrecht unterliegt?

 

454

Nicht hierhin gehört die Abgrenzung von erbrechtlicher und ehegüterrechtlicher Beteiligung des überlebenden Ehegatten am Nachlass. Zwar wird die Nachlassbeteiligung in manchen Rechtsordnungen nur im Ehegüterrecht vorgenommen (im französischen Recht bei Zusammentreffen mit Kindern nur Nießbrauch für den Ehegatten), in anderen nur im Erbrecht (zB, inzwischen mit Abweichungen, im traditionellen Common Law), in vielen Rechtsordnungen teils im Erbrecht, teils im Ehegüterrecht (zB §§ 1371 Abs. 1 und 1931 ff BGB). Dabei stimmt die Qualifikation als güterrechtlich oder erbrechtlich jedoch durchaus mit der deutschen Einordnung überein; es ist also nicht fraglich, ob eine Bestimmung erbrechtlicher oder güterrechtlicher Natur ist. Allerdings können sich ungerechte Lösungen ergeben, wenn das Erbstatut und das Güterstatut den Ehegatten nicht – oder jeweils zu reichlich – bedenkt. Dann muss durch Anpassung (Angleichung) (dazu Rn 562 ff) zusammengefügt werden, was nicht aufeinander abgestimmt ist.

455

2. Weil dieses Qualifikationsproblem neben der deutschen wenigstens eine ausländische Rechtsordnung berührt, sind hier die Lösungsansätze vielfältiger; es kommt in Betracht, die fremde Qualifikation zu berücksichtigen.

IV. Unbekannte Rechtsinstitute eines ausländischen Rechts

456

1. Das vierte Qualifikationsproblem lässt sich als das Spiegelbild des dritten Qualifikationsproblems verstehen: Geriet dort der deutsche Rechtsanwender auf der Suche nach der Lösung einer Rechtsfrage (zB erbenloser Nachlass, Verjährung) in Statuten, die keine oder zwei nicht kumulierbare Lösungen vorsahen, so steht er nun vor einem rechtlich relevanten Sachverhalt, der sich nach den Regeln einer anderen Rechtsordnung abgespielt hat, für den es aber im deutschen Recht – und damit oft auch im deutschen IPR – kein Äquivalent gibt.

457

Das in vielen interreligiös gespaltenen Rechtsordnungen auf Muslime anwendbare islamische Recht kennt den mahr (Morgengabe), der bei Eheschließung vertraglich vereinbart wird. Wird eine in einem solchen Rechtskreis geschlossene Ehe geschieden und vor einem deutschen Gericht Verurteilung zur Zahlung des damals vereinbarten mahr begehrt, so muss eine Anknüpfung für dieses dem deutschen Recht unbekannte Rechtsinstitut gefunden werden.

458

Seit 1.7.1998 kennt das deutsche Recht (im Familienrecht und im IPR) die Legitimation nicht mehr, weil nicht mehr zwischen Ehelichkeit und Nichtehelichkeit der Abstammung unterschieden wird. Die Legitimation als Übergang von einem nichtehelichen zu einem ehelichen Status kann jedoch weiterhin als Vorfrage eine Rolle spielen, wenn eine Bestimmung in einer anwendbaren ausländische Rechtsordnung die eheliche Abstammung voraussetzt, das Kind außerhalb der Ehe der Mutter geboren wurde und die Eltern später die Ehe schließen. ZB wird die Staatsangehörigkeit von Malta bei Abstammung von einem maltesischen Vater nur erworben, wenn das Kind ehelich ist (Art. 5, 17 Abs. 1 lit. a Maltese Citizenship Act).[1]

459

Das italienische Recht kennt außer der Ehescheidung auch eine Ehetrennung, die vom Gericht ausgesprochen oder bestätigt werden kann (Art. 150 cc); diese Trennung hat auch Bedeutung als Voraussetzung für die Ehescheidung (Art. 3 Legge 898/1970).[2] Beantragt ein in Deutschland lebender Italiener vor einem deutschen Familiengericht eine solche separazione giudiziale (gerichtliche Ehetrennung bei Fortbestand des Ehebandes) von seiner italienischen Ehegattin, so bedarf es der Qualifikation dieses Rechtsinstituts unter einen der im deutschen IPR vorhandenen Systembegriffe.

460

2. Auch für diese Frage kommt eine Qualifikation aus Sicht des deutschen Rechts oder der anderen betroffenen Rechtsordnung in Betracht. Sie unterscheidet sich von der dritten Frage insoweit, als der Sachverhalt – rein tatsächlich – bereits von Anfang an mit einer Rechtsordnung verbunden war, die sich die Beteiligten, gleichviel ob seinerzeit kollisionsrechtlich korrekt oder in laienhafter Anknüpfung, zum Vorbild genommen haben.

V. Gesamtverweisung: Systemunterschiede im deutschen und im fremden IPR

461

1. Das fünfte Qualifikationsproblem tritt auf, wenn das deutsche IPR eine Rechtsfrage oder einen Lebenssachverhalt anders qualifiziert als das verwiesene IPR: Aufgrund der eigenen Qualifikation wird die Rechtsfrage als einem bestimmten Systembegriff zugehörig behandelt; die dafür vorgesehene Verweisung führt als Gesamtverweisung in das Recht eines Staates, aus dessen Sicht das zu entscheidende Problem einem anderen Systembegriff angehört. Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn das deutsche IPR ausnahmsweise eine unselbständige Anknüpfung einer Vorfrage in einer ausländischen Norm vorsieht, weil auch in diesem Fall dem ausländischen Recht und seinem IPR die Anknüpfung übergeben wird.

462

Eine Italienerin heiratet in Deutschland einen Deutschen; für die Frage, wie die Ehefrau nach Eheschließung heißt, verweist Art. 10 Abs. 1 in ihr italienisches Heimatrecht. Das italienische IPRG behandelt den Namenserwerb durch Eheschließung jedoch nicht als Frage des Namensstatuts, sondern als Frage des Ehewirkungsstatuts (Art. 24 Abs. 1 Hs. 2 italIPRG). Wendet der deutsche Standesbeamte die italienische namenskollisionsrechtliche Norm an oder bestimmt er das Ehewirkungsstatut – aus deutscher oder aus italienischer Sicht?

463

Schadensersatzansprüche wegen Verlöbnisbruch werden im deutschen IPR familienrechtlich analog Art. 13 Abs. 1 qualifiziert, wobei strittig ist, welche der beiden von Art. 13 Abs. 1 berufenen Rechtsordnungen bei Verlobten unterschiedlicher Staatsangehörigkeit entscheidet. Das französische Recht ordnet Verlöbnisbruchansprüche deliktisch ein, knüpft also an den Ort der Deliktsbegehung an.

464

2. Die Antwort auf diese Qualifikationsfrage liegt aus ähnlichen Gründen wie jene auf die erste Frage (oben Rn 445) geradezu auf der Hand und ist unstrittig: Durch die Gesamtverweisung hat das deutsche IPR die Frage an das fremde IPR übergeben; Ziel der Gesamtverweisung ist die Entscheidungsharmonie, die nur dadurch erreichbar ist, dass die Kollisionsnorm Anwendung findet, die nach dem fremden Recht anwendbar ist.

465

Der deutsche Standesbeamte folgt also bei der Bestimmung des Namensstatuts der italienischen Qualifikation und bestimmt das – aus italienischer Sicht – maßgebliche Ehewirkungsstatut.

Eine Rück- oder Weiterverweisung des französischen Deliktskollisionsrechts ist für die Verlöbnisansprüche beachtlich; das kann freilich sodann zu einem Problem des dritten Typs führen, wenn die letztlich anwendbare Rechtsordnung keine deliktischen, aber familienrechtliche Ansprüche bereithält.

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation › B. Methoden der Qualifikation

B. Methoden der Qualifikation

I. Rechtsvergleichende Systembegriffe

466

1. Eine nur in der idealisierten Welt der Theorie existierende Methode der Qualifikation will alle Qualifikationsprobleme dadurch hinfällig machen, dass mit der Methode der Rechtsvergleichung ein einheitlich abgrenzendes System geschaffen wird, das in allen Qualifikationsfragen die nationalen Systeme ablöst und deshalb keine Systemunterschiede mehr produziert (diese These geht auf Ernst Rabel[3] zurück). Dieses Ziel ist als Ganzes gesehen unerreichbar, weil nicht nur die Fülle der Rechtsinstitute entgegensteht, sondern diese auch innerhalb der jeweiligen Rechtsordnung in Funktionszusammenhängen stehen, aus denen sie nicht ohne weiteres herausgelöst werden können. Die Normen haben aus rechtsvergleichender Sicht in verschiedenen Fällen unterschiedliche Funktionen.

467

2. Der Rechtsvergleichung kommt jedoch eine wichtige Aufgabe bei der Qualifikation zu, die aber nicht in der Schaffung eines übernationalen Systems besteht, sondern in der Ermittlung der Funktion einer ausländischen oder deutschen Bestimmung, die in dem angewendeten System nicht ohne weiteres randscharf einem bestimmten Systembegriff unterfällt (funktionelle Qualifikation, dazu Rn 473 ff).

468

3. Zur Lösung der Qualifikationsfragen durch Rückgriff auf eine nationale Rechtsordnung werden verschiedene Methoden erörtert, die sich grundsätzlich unterscheiden lassen in Qualifikation nach eigenem Recht (autonome Qualifikation) und nach ausländischem Recht (heteronome Qualifikation).

II. Qualifikation lege fori

469

1. Am häufigsten vertreten wird die Qualifikation nach der lex fori, aus deutscher Sicht also nach deutschem Recht.[4] Die von den Systembegriffen der Kollisionsnormen erfassten Rechtsfragen werden so umschrieben, wie es das deutsche Recht tut.

470

2. Diese Methode hat den erheblichen Vorteil, dass sie praktikabel und logisch stimmig ist: Zu Beginn der Falllösung gibt es noch kein in irgendeiner Weise betroffenes ausländisches Recht, denn erst die Verweisung durch eine maßgebliche Verweisungsnorm (nicht etwa die rein tatsächliche Beziehung zu irgendeinem Staat) stellt den Auslandsbezug her. Die Qualifikation bestimmt aber bereits in diesem Zeitpunkt die Auswahl der Verweisungsnorm und sollte deshalb nicht von ihrem Ergebnis, dem verwiesenen Recht, abhängen. Außerdem erfahren alle Rechtsinstitute an jeder Stelle der Prüfung dieselbe Qualifikation, was Widersprüche vermeidet.

Der Schubladenschrank im eingangs genannten Bild ist also bei Qualifikation lege fori schon zu Beginn der Prüfung gebaut, und alle Rechtsinstitute liegen in einer – und nur in einer – Schublade.

III. Qualifikation lege causae

471

Dagegen wird eine Qualifikation nach der lex causae selten vertreten. Diese Ansicht meint, der Systembegriff, den eine deutsche Verweisungsnorm verwende, erfasse genau die Bestimmungen in dem auf die Rechtsfrage letztlich anwendbaren Recht (lat.: lex causae), die dort unter diesen Rechtsbegriff fallen. Diese Ansicht ist unpraktikabel: Da Ausgangspunkt der Prüfung immer das deutsche IPR ist, muss zwangsläufig zunächst nach deutschem Recht qualifiziert werden. Im fremden Recht angelangt, wechselt diese Methode das System. Sie beseitigt damit die Systemwidersprüche nicht, sondern verfestigt sie und schafft dadurch Normenhäufungen und Normenlücken.

472

ZB wird in dem Verjährungsproblem (Drittes Qualifikationsproblem, Rn 451) der Umfang des Prozessrechts nach deutschem Recht, der Umfang des Vertragsrechts nach englischem Recht bestimmt, mit der Folge, dass die Verjährungsregel keiner der beiden Rechtsordnungen Anwendung findet; im eingangs genannten Bild: Man zieht die Prozessschublade des deutschen Rechts und die Vertragsschublade des englischen, und in keiner findet sich eine „Verjährungsregel“.

IV. Funktionelle Qualifikation

473

1. Mit einer am deutschen materiellen Recht orientierten Qualifikation lege fori lassen sich jedoch gerade die problematischen Fälle nicht lösen, denn sie sind aus der Spannung zwischen den Systembegriffen des deutschen (materiellen) Rechts und anderer Normsysteme entstanden.

 

474

Alle Qualifikationsprobleme, die aus der Verschiedenheit deutscher und ausländischer Systembegriffe entstehen, werden vom Ausgangspunkt der lex fori mit der Methode der funktionellen Qualifikation gelöst. Die Systembegriffe der deutschen Verweisungsnormen werden dabei so weit ausgelegt, dass sie alle ausländischen Regelungen erfassen. Dazu ist auf die Funktion der Normen abzustellen. Teilweise wird gefragt, ob auf die Funktion der (deutschen) Kollisionsnormen oder die Funktion der ausländischen Sachnormen der lex causae abzustellen ist. Dies bedeutet aber keine Alternative: Ziel der funktionellen Qualifikation ist es, die Normen der lex causae unter die deutsche Kollisionsnorm zu subsumieren, was nur möglich ist, indem man den materiellen Gehalt der in Betracht kommenden ausländischen Norm erfasst und die Frage beantwortet, ob dieser Gehalt einem Systembegriff des deutschen IPR adäquat ist.

475

Funktionelle Qualifikation nutzt bei der Einordnung der ausländischen Norm die rechtsvergleichende Methode; um deren Zweck unabhängig von fremder Systematik zu ermitteln, muss aber schon die fremde Norm teleologisch eingeordnet werden. Bei der Frage nach der Funktion der deutschen Kollisionsnorm steht die teleologische Methode im Vordergrund.

476

2. Mit funktioneller Qualifikation können insbesondere auch dem deutschen Recht unbekannte Rechtsinstitute erfasst werden; dabei ist allerdings die Feststellung nicht zu vermeiden, dass solche Institute mehrere Funktionen haben können und deshalb aus deutscher Sicht ggf zu verschiedenen Systembegriffen gehören. Dann muss das ausländische Rechtsinstitut funktionell zerlegt werden, weil es aus der Sicht der maßgeblichen lex fori nur scheinbar einheitlich ist.

Wiederum im Bild des Schrankes: Wir bauen unseren Schrank mit so ausreichend dimensionierten Schubladen, dass alle Normen fremder Rechtsordnungen einen geeigneten Platz finden, und stören uns nicht daran, dass dieser Schrank anders aussieht als der des BGB. Dennoch liegen manche fremden Rechtsinstitute zerteilt in verschiedenen Schubladen.[5]

477

3. Selbst zur Heilung von Unschärfen im eigenen materiellen System vom Typ der zweiten Qualifikationsfrage lässt sich die funktionelle Qualifikation nutzbar machen, obwohl hier eigentlich dem Gesetzgeber der Vorwurf zu machen ist, dass er ohne Notwendigkeit die eigenen Systembegriffe verletzt hat. Das IPR kann nämlich mittels funktioneller Qualifikation entscheiden, ob ein zwischen materiellen Systembegriffen stehendes Rechtsinstitut einem der Systembegriffe enger verbunden ist.

Die ganz überwiegende Ansicht sah bereits vor der Klärung durch den BGH (Rn 485) § 1371 Abs. 1 BGB jedenfalls als auch ehegüterrechtlich an, weil der Zweck, den Güterstand der Zugewinngemeinschaft auszugleichen, ein deutsches Ehegüterstatut voraussetzt, so dass § 1371 Abs. 1 BGB jedenfalls bei ausländischem Ehegüterstatut nicht anwendbar sein kann. Strittig war vor allem, ob rein ehegüterrechtlich zu qualifizieren war, also § 1371 Abs. 1 BGB bei deutschem Ehegüterstatut auch neben ausländischem Erbstatut eingreift (so nun der BGH, Rn 485). Eine andere Ansicht qualifiziert kumuliert güter- und erbrechtlich, wendet also § 1371 Abs. 1 BGB nur bei deutschem Erb- und Güterstatut an, um solche Spannungen zu vermeiden.[6]