Internationales Privatrecht

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2. Versteckte Rückverweisung

384

a) Die Lehre von der Gesamtverweisung geht davon aus, dass jeder Staat ein IPR hat, auch wenn dieses IPR nicht kodifiziert sein muss. Diese Annahme ist nur insoweit richtig, als sich in jeder Rechtsordnung – aus Sicht des deutschen Verständnisses von IPR – abstrakt die Frage stellen lässt, welches Recht auf einen bestimmten Sachverhalt mit Auslandsbezug anzuwenden ist. Soweit solche Fälle entschieden werden, wendet das ausländische Gericht aus deutscher Sicht „Kollisionsnormen“ an. Dabei braucht sich das fremde Gericht allerdings nicht bewusst zu sein, dass es „IPR“ anwendet. Zahlreiche Staaten wenden in bestimmten Sachverhalten immer das eigene materielle Recht an, ohne dass dies auf einem kollisionsrechtlichen Prüfungsschritt beruht. Das eigene Recht wird vielmehr als das am Gerichtsort geltende Recht (lex fori) angewendet; entscheidend ist damit die Zuständigkeit des Gerichts.

385

Verweist das deutsche IPR im Wege der Gesamtverweisung auf eine solche Rechtsordnung, so muss ein solches nicht bewusst kollisionsrechtliches Verhalten als Kollisionsnorm interpretiert werden. Die heute herrschende Theorie der versteckten Rückverweisung argumentiert ausgehend von einer Hypothese: Hält die verwiesene Rechtsordnung die Anwendung der lex fori für angemessen, so würde sie auch die Anwendung der lex fori durch deutsche Gerichte oder die Gerichte eines dritten Staates für angemessen halten, wenn diese Gerichte zuständig sind. Als Kollisionsnorm interpretiert bedeutet das: Diese Rechtsordnung verweist auf das Recht des Staates, der nach ihren Vorstellungen zuständig ist. Die Kollisionsnorm versteckt sich also in der Zuständigkeitsnorm des verwiesenen Rechts. Versteckte Rückverweisung liegt vor, wenn es aufgrund einer solchen versteckten Kollisionsnorm zu einer Rückverweisung auf deutsches Recht kommt.

386

Häufigster Anwendungsfall war vor Inkrafttreten der Rom III-VO die Verweisung in das Recht eines US-Bundestaats für das Scheidungsstatut: US-amerikanische Gerichte wenden in Scheidungssachen immer die lex fori an. Im Prinzip besteht eine Zuständigkeit (jurisdiction) aus US-amerikanischer Sicht in dem Staat, wo die Ehegatten ihr domicile haben, wobei der Begriff des domicile für diesen Zweck zunehmend auf einen von Staat zu Staat unterschiedlich langen (häufig 6 Monate), nicht der Zuständigkeitserschleichung dienenden Aufenthalt (bona fide residence) reduziert wird. Hatte ein deutsches Gericht in einem vor dem 21.6.2012 eingeleiteten Verfahren über die Scheidung der Ehe zweier US-Staatsangehöriger zu entscheiden, die sich in Deutschland dauerhaft niedergelassen haben, so verwies Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 14 Abs. 1 Nr 1 in das gemeinsame Heimatrecht. Wendet man die jurisdiktionelle Regel an, so sind zur Entscheidung des Falles aus Sicht amerikanischer Gerichte die deutschen Gerichte zuständig, denn hier haben die Ehegatten ihr domicile. Die Theorie der versteckten Rückverweisung interpretiert das als Verweisung auf deutsches Recht. Zu beachten ist aber: Deutsche Gerichte bestimmen natürlich ihre internationale Zuständigkeit nicht nach den jurisdiktionellen Normen des US-Rechts, sondern nach eigenem Recht (Brüssel IIa-VO bzw § 98 FamFG). Sie müssen aber die Feststellung einer versteckten Rückverweisung am amerikanischen – und nicht am deutschen – Zuständigkeitsrecht orientieren. Unter Geltung von Art. 5 ff, 8 ff Rom III-VO spielt die versteckte Rückverweisung keine Rolle mehr, weil diese Kollisionsnormen keine Gesamtverweisung aussprechen.

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b) Weniger überzeugend und daher strittig wird die versteckte Rückverweisung, wenn deutsche Gerichte aus der Sicht des fremden Staates nicht ausschließlich zuständig sind. Die der versteckten Kollisionsnorm zugrunde liegende Hypothese stößt hier an eine verfahrensrechtlich bedingte Grenze: Zwar wird das fremde Recht es auch akzeptieren, wenn zwei andere Staaten zuständig sind und, falls die Sache dort anhängig wird, jeweils ihr Recht anwenden würden. Das führt aber aus Sicht des deutschen Gerichts nicht mehr zwingend zu einer versteckten Kollisionsnorm, die eindeutig eine Rechtsordnung bezeichnen müsste. Zuständigkeit – aus Sicht des fremden Rechts – kann bei mehreren Gerichten bestehen. Anwendbares Recht kann vor dem aus seiner Sicht zuständigen deutschen Gericht immer eine und nur eine Rechtsordnung sein. Die hM nimmt eine versteckte Rückverweisung auch in diesem Fall an, wenn das fremde Recht deutsche Gerichte auch nur für konkurrierend zuständig hält, selbst dann, wenn das verwiesene Recht die eigenen Gerichte neben den deutschen Gerichten für zuständig hielte.[74] Die Gegenansicht[75] nimmt ein Scheitern der Gesamtverweisung mangels Ermittelbarkeit einer eindeutigen Kollisionsnorm aus mehreren Zuständigkeiten an und behandelt in diesem Fall die deutsche Verweisung als Sachnormverweisung. Für die hM spricht, dass der Verweisungsgehalt der Zuständigkeitsnorm auf die Regel konzentriert werden kann: „Ein zuständiges Gericht wendet in solchen Fällen sein eigenes Recht an, wenn der Fall dort anhängig wird.“ Das kann man als eine bedingt alternative Verweisung verstehen, die daraus entsteht, dass die nach einer Rückverweisung gefragte Rechtsordnung es toleriert, wenn das deutsche Gericht deutsches Recht anwendet. Bedingung der Verweisung ist die Anhängigkeit, verwiesen wird auf die jeweils durch Anhängigkeit aktualisierte lex fori.

388

Seit den 1960er Jahren haben US-amerikanische Bundesstaaten zunehmend die Zuständigkeitsregeln für Scheidungsverfahren gelockert; häufig genügt eine bona fide residence über einen bestimmten Zeitraum. Vor allem aber teilt nicht mehr wie nach ursprünglichem Common Law die Ehefrau das domicile des Ehemannes als matrimonial domicile. Daher können getrennt lebende Ehegatte verschiedene Domizile haben.

Eine Deutsche stellte vor dem 21.6.2012[76] vor deutschen Gerichten Scheidungsantrag gegen ihren Ehemann, der US-Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Texas ist, wo die Ehegatten bis zur Trennung gelebt haben. Die Antragstellerin ist vor einem Jahr nach Deutschland zurückgekehrt, um hier zu bleiben. Art. 17 Abs. 1 aF iVm Art. 14 Abs. 1 Nr 2 Alt. 2 verweist auf das Recht des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes, also auf texanisches Recht. Das texanische Familienverfahrensrecht macht die Zuständigkeit von einem sechsmonatigen domicile einer Partei abhängig; es wären also aus texanischer Sicht texanische Gerichte zuständig, aber auch deutsche Gerichte. Die hM nimmt auch hier eine Rückverweisung auf deutsches Recht an.

389

c) Eine versteckte Weiterverweisung kommt dagegen nicht in Betracht: Hält das verwiesene Recht deutsche Gerichte überhaupt nicht für zuständig, so kann die als Kollisionsnorm interpretierte Regel, dass ein zuständiges Gericht sein Recht anwendet, nicht helfen. In diesem Fall muss die deutsche Verweisung als Sachnormverweisung verstanden werden.

390

Wie im Fall Rn 388, die Ehefrau hat sich mehr als 3 Monate vor Antragstellung in Österreich niedergelassen. Da alleine die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau nach § 98 Abs. 1 Nr 1 FamFG die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet (die Brüssel IIa-VO begründet keine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat, so dass nach Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIa-VO auf deutsches Recht zurückgegriffen werden darf), kommt auch hier ein Scheidungsantrag vor deutschen Gerichten in Betracht. Wieder verweist Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 14 Abs. 1 Nr 2 Alt. 2 in das texanische Recht. Aus texanischer Sicht sind aber nur texanische oder österreichische Gerichte zuständig. Dies kann nicht als Verweisung interpretiert werden. Es ist daher texanisches Scheidungsrecht anzuwenden, die Verweisung ist wegen Scheiterns der Gesamtverweisung als Sachnormverweisung zu verstehen.

Literatur:

Staudinger/Hausmann (2013) Art. 4 EGBGB Rn 87-117.

Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 3 Verweisung › C. Unteranknüpfung bei Mehrrechtssystemen

C. Unteranknüpfung bei Mehrrechtssystemen

I. Gesamtverweisung auf Mehrrechtsstaat

391

Zahlreiche Staaten haben kein einheitliches, sondern ein gespaltenes Rechtssystem. Häufigste Typen sind die territoriale (Rn 9 ff) und die personale (nach Religion oder ethnischer Zugehörigkeit, Rn 14 ff) Rechtsspaltung. Diese Spaltung kann entweder nur im Privatrecht oder in Teilen des Privatrechts (zB Familien- und Erbrecht) bestehen; sie kann sich aber auch auf das IPR erstrecken. Daher sind verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden, je nachdem, ob der ausländische Staat ein einheitliches internationales und/oder internes Kollisionsrecht besitzt. Hinzu kommen Sonderfälle, in denen das deutsche IPR am fremden Kollisionsrecht vorbei die Teilrechtsordnung selbst aussucht.

 

392

Für alle Gestaltungen gilt der Grundsatz, dass eine Unteranknüpfung immer nur eine Teilrechtsordnung innerhalb des Mehrrechtsstaates auswählen kann; aus diesem Staat heraus führt nur eine Rück- oder Weiterverweisung durch dessen IPR.

1. Einheitliches IPR und einheitliches internes Kollisionsrecht

393

a) Ist nur das materielle Recht gespalten, so führt die Gesamtverweisung in ein nicht gespaltenes IPR. Nimmt dieses die Gesamtverweisung an, so muss eine Auswahl unter den verschiedenen in diesem Staat bestehenden materiellen Rechtsordnungen getroffen werden.

394

b) Art. 4 Abs. 3 S. 1 überlässt diese Auswahl dem internen Kollisionsrecht (interlokal oder interpersonal) jenes Staates. Gibt es ein solches internes Kollisionsrecht – das nicht kodifiziert zu sein braucht, aber als Recht des Gesamtstaates bestehen muss und nicht nur als in allen Teilstaaten ähnliches Recht –, so folgt das deutsche Recht dessen Unteranknüpfung. Das ist sinnvoll, da die Gesamtverweisung die Frage bereits an das fremde Kollisionsrecht abgegeben hat.

In Bosnien und Herzegowina gilt derzeit noch (Rn 39) das IPRG sowie das ILRG der SFR Jugoslawien fort. Verstarb ein Bosnien-Herzegowiner 2014 und soll ein deutsches Nachlassgericht einen Erbschein erteilen, so verweist Art. 25 Abs. 1 aF als Gesamtverweisung auf bosnisch-herzegowinisches Recht. Art. 30 Abs. 1 IPRG (als BuH-Recht) knüpft ebenso an, nimmt also die Verweisung an. Art. 3, 34 ILRG verweisen – mangels eines Wohnsitzes in Bosnien und Herzegowina – auf das Recht des Teilstaates, dem der Erblasser angehörte. In Betracht kommen die drei im Zuge des Friedensabkommens von Dayton entstandenen Teilrechtsordnungen: Föderation Bosnien und Herzegowina, Republika Srpska, Distrikt Brèko.[77]

2. Gespaltenes IPR und gespaltenes internes Kollisionsrecht

395

a) Fehlt es an einem einheitlichen IPR, so stößt die deutsche Gesamtverweisung in der fremden Gesamtrechtsordnung ins Leere. Daher muss schon für die Ermittlung des fremden IPR eine Teilrechtsordnung ausgewählt werden. Meist fehlt in diesem Fall auch ein einheitliches internes Kollisionsrecht. Diese Konstellation tritt nahezu ausschließlich bei territorialer Rechtsspaltung auf. Es entspricht insbesondere dem Selbstverständnis von Bundesstaaten mit stark föderaler Struktur, in den Bereichen, in denen jeder Staat im materiellen Recht Gesetzgebungshoheit besitzt, auch die Rechtsanwendung im Verhältnis zueinander nicht zentral, sondern wie zwischen fremden Staaten abzugrenzen.

396

b) Art. 4 Abs. 3 S. 2 führt dann in die Teilrechtsordnung, mit welcher der Sachverhalt am engsten verbunden ist. Die Kriterien der engsten Verbindung sind nicht zweifelsfrei: Man könnte vertreten, es müssten (nach dem Rechtsgedanken des Art. 4 Abs. 3 S. 1) Anknüpfungskriterien des verwiesenen Rechts herangezogen werden, insbesondere also kollisionsrechtliche Prinzipien, welche die Teilrechtsordnungen dieses Staates übereinstimmend anwenden. Hiergegen spricht, dass die fremde Rechtsordnung sich offensichtlich kollisionsrechtlich nicht als eine Einheit versteht, so dass das Angebot des Art. 4 Abs. 3 S. 1, ihr die Unteranknüpfung zu überlassen, abgelehnt wird. Dann aber ist es Sache des deutschen IPR, die Gesamtverweisung mit seinen IPR-Kriterien zum Ziel zu bringen, also gleichsam den Mehrrechtsstaat als eine Mehrzahl von Staaten zu behandeln.

397

Dabei dürfen das Anknüpfungssubjekt und das Anknüpfungskriterium nicht ausgetauscht werden: Es ist also nicht irgendeine engste Verbindung des Sachverhalts zu suchen, sondern die engste Beziehung des Anknüpfungssubjekts (aus deutscher Sicht) zu einer Teilrechtsordnung. Das Anknüpfungskriterium muss allenfalls verfeinert werden, wenn es innerhalb des verwiesenen Staates nicht zu einer Differenzierung führt.

Verstarb ein US-Staatsangehöriger 2014 und hat ein deutsches Nachlassgericht einen Erbschein zu erteilen, so verweist Art. 25 Abs. 1 aF in das Recht der USA. Dort gibt es weder ein einheitliches materielles Erbrecht noch einheitliches Erbkollisionsrecht; allerdings gibt es sehr ähnliche – auf dem Common Law aufbauende – kollisionsrechtliche Prinzipien in den einzelnen Bundesstaaten. Die engste Verbindung ist nun aber nicht nach diesen fremden Prinzipien (für Mobilien dem domicile des Erblassers) zu bestimmen. Es muss die Staatsangehörigkeitsanknüpfung verfeinert werden, weil die Staatsangehörigkeit zu den USA innerhalb der USA kein unterscheidendes Kriterium ist. Da es aber neben der Federal citizenship zu den USA auch eine State citizenship gibt, kann auf diese abgestellt werden[78] – nicht als fremde Kollisionsregel, sondern als fremde Staatsangehörigkeitsregel in weiterem Sinn. Hat ein US-citizen keine State citizenship, so hilft der Rechtsgedanke des Art. 5 Abs. 2: Im deutschen IPR ist der gewöhnliche Aufenthalt die nächste Hilfsanknüpfung, wenn die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterium versagt. Unter der EU-ErbVO (Erbfall seit 17.8.2015) ist bei Maßgeblichkeit des Rechtes der USA (Heimatrechtswahl nach Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO) ebenfalls die engste Verbindung zu einem Einzelstaat zu bestimmen (Art. 36 Abs. 2 lit. b EU-ErbVO).

398

c) Nimmt das IPR der Teilrechtsordnung, zu der die engste Verbindung besteht, die Verweisung an, so bezieht sich diese Annahme unmittelbar auf diese Teilrechtsordnung und nicht mehr auf den Gesamtstaat; ein internes Kollisionsproblem zum gespaltenen materiellen Recht tritt nicht auf. Verweist sie weiter oder zurück, so ist diese Verweisung ebenfalls auf internationaler Ebene zu behandeln.

3. Gespaltenes IPR und einheitliches internes Kollisionsrecht

399

In seltenen Fällen haben Mehrrechtsstaaten kein einheitliches IPR, das Recht des Gesamtstaates enthält jedoch interne Kollisionsregeln zur Verteilung der Sachverhalte an die einzelnen (internationalprivatrechtlichen und materiellen) Teilrechtsordnungen. Für die Gesamtverweisung des deutschen IPR bedarf es einer Unteranknüpfung. Soweit es ein einheitliches internes Kollisionsrecht gibt, bestimmt dieses (Art. 4 Abs. 3 S. 1), welche Teilrechtsordnung (einschließlich ihres IPR) anzuwenden ist.

In Mexico sind das IPR und das materielle Privatrecht interlokal gespalten; jeder Bundesstaat hat einen eigenen código civil mit eigenem IPR. Dieses IPR – und einzelne bundesstaatliche interlokale Normen – finden jedoch auf interlokale Konflikte nur Anwendung, soweit nicht die mexikanische Bundesverfassung, zB zu Rechten an beweglichen und unbeweglichen Sachen, eine territoriale Kollisionsnorm enthält. Soweit ein solches einheitliches interlokales Recht fehlt, sind aus deutscher Sicht (wie Rn 397) die Anknüpfungskriterien des deutschen IPR fortzusetzen.

4. Einheitliches IPR ohne einheitliches internes Kollisionsrecht?

400

a) Besitzt ein Staat ein einheitliches IPR, aber gespaltenes materielles Recht, so sind – denknotwendig – interne Kollisionsregeln vorhanden: Erklärt das IPR dieses Staates nämlich eigenes Recht für anwendbar, so müssen Gerichte dieses Staates entscheiden, welche Teilrechtsordnung anzuwenden ist. Diese internen (interlokalen oder interpersonalen) Regeln können unkodifiziert oder in Zuständigkeitsregeln versteckt sein; ist zB innerstaatlich ein Gericht nur in festgelegten Konstellationen zuständig und wendet dann die lex fori an, so beinhaltet das aus deutscher Sicht eine interne Kollisionsnorm.

401

b) Probleme in der Ermittlung dieses internen Kollisionsrechts treten häufig bei interpersonal gespaltenen Rechtsordnungen auf. Solche Staaten haben ganz überwiegend ein einheitliches IPR und häufig auch ausdrückliche (staatliche) Grundsätze zur Lösung interpersonaler Kollisionen. Jedenfalls in den Ländern, in denen staatliche Gerichte das religiöse Recht in Familien- und Erbsachen anwenden (zB Ägypten, Tunesien, Indien, Pakistan), stehen diese Gerichte zwangsläufig selbst vor dem interpersonalen Kollisionsproblem: Jeder Staatsangehörige kann die staatlichen Gerichte in Anspruch nehmen, das Gericht muss also das richtige religiöse Recht auswählen.

402

c) Selbst in den Staaten, die diese Rechtssachen religiösen Gerichten überlassen (zB Syrien), gibt es zumindest Zuständigkeitsregeln, die als versteckte Kollisionsnormen verstanden werden können, sofern sie eine eindeutige Zuständigkeit aussprechen.

403

d) Teilweise kann sich das intern anwendbare Recht auch aus dem Typus einer familienrechtlichen Beziehung ergeben, welche die Beteiligten gewählt haben. Einige ehemalige englische und französische Kolonien in Afrika sehen wahlweise eine Zivilehe und Stammesehen vor: Hier beurteilt sich dann das weitere Schicksal der Rechtsbeziehung nach dem ursprünglich gewählten Typus.

Literatur:

Staudinger/Hausmann (2013) Art. 4 EGBGB Rn 375-429; MüKoBGB/v. Hein (6. Aufl., 2015) Art. 4 EGBGB Rn 166-251.

II. Sachnormverweisungen in Mehrrechtsstaaten

404

1. Ist die deutsche Verweisung Sachnormverweisung, so spielt es keine Rolle, ob der ausländische Staat ein einheitliches IPR hat, weil auf dieses ohnehin nicht verwiesen ist. Zu unterscheiden ist nur danach, ob ein einheitliches internes Kollisionsrecht besteht.

405

2. Hat der ausländische Mehrrechtsstaat ein einheitliches internes (interlokales oder interpersonales) Kollisionsrecht, so bestimmt dieses die maßgebliche materielle Teilrechtsordnung (Art. 4 Abs. 3 S. 1).

Verweist Art. 19 Abs. 1 S. 2 für die Feststellung der Vaterschaft alternativ auf das Recht von Bosnien und Herzegowina als Heimatrecht des als Vater in Betracht kommenden Mannes, so ist dies (auch) eine Sachnormverweisung. Die maßgebliche Teilrechtsordnung ist nach dem BuH-ILRG auszuwählen: Hat der Mann zB einen Wohnsitz in der Republika Srpska, so ist nach Art. 28 Abs. 1 BuH-ILRG diese Teilrechtsordnung maßgeblich (vgl Rn 394).

406

3. Hat der ausländische Mehrrechtsstaat ein gespaltenes internes Kollisionsrecht, so ist die engste Verbindung des Sachverhalts maßgeblich (Art. 4 Abs. 3 S. 2), die nach deutschen Anknüpfungskriterien bestimmt wird (vgl Rn 396).

Ist im Beispielsfall (soeben Rn 405) der Mann US-Amerikaner, so besteht die engste Verbindung zu dem Bundesstaat, dessen State citizenship er besitzt, hilfsweise zum Bundesstaat seines gewöhnlichen bzw letzten gewöhnlichen Aufenthaltes.

III. Ausnahme: Bezeichnung der maßgeblichen Teilrechtsordnung durch deutsches IPR

407

1. Eine Ausnahme in der Bestimmung der maßgeblichen Teilrechtsordnung greift ein, wenn das deutsche IPR die maßgebliche Teilrechtsordnung bezeichnet (Art. 4 Abs. 3 S. 1). Die Reichweite ist zweifelhaft, da das deutsche IPR – technisch betrachtet – immer eine fremde Rechtsordnung als ganze und nie eine Teilrechtsordnung bezeichnet. Gemeint sind Fälle, in denen die deutsche Kollisionsnorm ein Anknüpfungskriterium verwendet, das sich zugleich eignet, eine unter mehreren Teilrechtsordnungen auszuwählen.

Verweist Art. 11 Abs. 1 für die Form auf den Ort eines Vertragsschlusses und liegt dieser Ort in den USA, so kann mittels des Kriteriums „Ort“ eine der räumlich gespaltenen Teilrechtsordnungen ausgewählt werden – zB Vertragsschluss in Honolulu, Recht von Hawaii. Dagegen kann mit dem Kriterium „Ort“ in einer interpersonal gespaltenen Rechtsordnung keine Auswahl getroffen werden; es kommt also immer darauf an, ob die deutsche Anknüpfung mit der fremden Rechtsspaltung – zufällig – harmoniert.

 

408

2. Unstreitig ist diese Methode der Unteranknüpfung anzuwenden, wenn das Kollisionsrecht gespalten ist oder wenn eine Sachnormverweisung in gespaltenes materielles Recht führt. Umstritten ist dagegen, ob diese Ausnahme auch eingreift, wenn in dem Mehrrechtsstaat ein einheitliches IPR gilt. Eine Ansicht bejaht das und bestimmt nach der Annahme der Verweisung durch das fremde IPR die maßgebliche Teilrechtsordnung mit den Kriterien des deutschen IPR.[79]

Diese Verfahrensweise entspricht scheinbar dem Wortlaut, ist aber systematisch unrichtig: Wenn der fremde Staat mit einheitlichem IPR die Verweisung annimmt, ist der Fall dem deutschen IPR entzogen; es können dann nur noch Kriterien des ausländischen Rechts maßgeblich sein. Das deutsche IPR kann nur solange die Teilrechtsordnung „bezeichnen“, wie die deutsche Verweisung noch ihr erstes „Ziel“ (Gesamtverweisung: IPR, Sachnormverweisung: materielles Recht) sucht. Hat das deutsche Recht den Fall an das fremde Recht abgegeben, so kann es sich in die Unteranknüpfung nicht mehr einschalten.[80]

Hat ein Kind, für das die Abstammung zum Vater zu bestimmen ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bosnien und Herzegowina, so verweist Art. 19 Abs. 1 S. 1 auf bosnisch-herzegowinisches Recht. Beide Ansichten prüfen eine Rückverweisung am BuH-IPRG. Ist der Mann Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, so nimmt Art. 41 BuH-IPRG die Verweisung an. Die Gegenansicht würde jetzt die maßgebliche Teilrechtsordnung wieder nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 bestimmen, sofern das Kind in einer Teilrepublik seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, weil dies als Bezeichnung der maßgebenden Rechtsordnung verstanden wird. Fehlt ein gewöhnlicher Aufenthalt in Bosnien und Herzegowina, richtet sich die hM nach dem BuH-ILRG. Die hier vertretene Ansicht wendet hingegen nach Annahme der Verweisung nur noch das interne Recht des ausländischen Staates an, also das BuH-ILRG, das stufenweise auf den gemeinsamen Wohnsitz, die gemeinsame Republikzugehörigkeit oder Wohnsitz bzw Republikzugehörigkeit des Klägers abstellt (Art. 22 BuH-ILRG).