Internationales Privatrecht

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2. Annahme der Verweisung und Renvoi

347

a) Die Anwendung ausländischen Kollisionsrechts im Rahmen einer Gesamtverweisung kann zu drei unterschiedlichen Ergebnissen führen:

Entweder entscheidet das fremde Kollisionsrecht ebenso wie das deutsche IPR, erklärt also die eigene Rechtsordnung für anwendbar, es nimmt die Verweisung an. Damit ist auch aus deutscher Sicht die kollisionsrechtliche Prüfung beendet; es kommen die Sachvorschriften des fremden Staates zur Anwendung. Dabei sind die fremden Kollisionsnormen so anzuwenden, wie sie in der Rechtspraxis des fremden Staates Anwendung finden. Auch Tatbestandsmerkmale und Anknüpfungskriterien sind im Sinn des verwiesenen IPR zu verstehen. Es ist jedoch auch das fremde IPR am deutschen ordre public zu messen und kann wegen Verstoß gegen diesen unanwendbar sein (im Einzelnen Rn 581 ff).

348

b) Erklärt das fremde IPR das deutsche Recht für anwendbar, so spricht man von Rückverweisung.

349

aa) Art. 4 Abs. 1 S. 2 beendet in diesem Fall die Verweisungskette; es kommt zur Anwendung der deutschen Sachvorschriften. Das deutsche IPR nimmt eine Rückverweisung immer an. Dabei ist es unerheblich, ob die vom fremden IPR ausgesprochene Verweisung selbst eine Gesamtverweisung oder eine Sachnormverweisung ist. Wir verfahren also anders als das fremde Gericht mit der Verweisung des fremden Rechts auf deutsches Recht: Es würde eine Sachnormverweisung auf deutsches Recht im materiellen deutschen Recht enden lassen, eine Gesamtverweisung jedoch auf die deutsche Kollisionsnorm richten und dadurch zurückverwiesen werden.

350

bb) In diesem Fall wird also der internationale Entscheidungseinklang nicht erreicht, sofern auch das fremde Recht der Theorie des renvoi folgt und ebenfalls die Rückverweisung annimmt. Verweist A auf B und B auf A, so wenden schließlich beide Staaten ihr eigenes Recht an. Dieser Folge des renvoi lassen sich jedoch andere Vorteile abgewinnen: Die Anwendung des eigenen Rechts ist praktikabel; das Gericht ist mit dem eigenen Recht vertraut, es muss nicht mit Mühe und Kosten den Inhalt des fremden Rechts ermitteln, die Rechtssache wird zügig entschieden. Historisch wurde dieses „Heimwärtsstreben“ sogar dem renvoi als Zweck unterstellt: Dem eigenen Recht – und damit den eigenen Gerechtigkeitswertungen – werde zur Durchsetzung verholfen. Dieses Argument ist vom Standpunkt des IPR abzulehnen: Sucht man mit der Kollisionsnorm den Sitz des Rechtsverhältnisses, so kann man nicht andererseits das eigene Recht für jedenfalls gerechter halten; dann wäre immer die lex fori anzuwenden.

351

cc) Ursache der Rückverweisung ist immer eine abweichende Anknüpfung im IPR des verwiesenen Staates. Diese kann auf einem anderen Anknüpfungskriterium beruhen oder auf einem anderen Anknüpfungssubjekt.

Ein Däne und eine Deutsche, die in Deutschland leben, heiraten vor einem deutschen Standesamt. Die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung beurteilen sich für die Deutsche nach ihrem deutschen Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1, keine Verweisung), für den Dänen nach seinem dänischen Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1, Gesamtverweisung nach Art. 4 Abs. 1). Nach dänischem IPR bestimmen sich die Voraussetzungen der Eheschließung nach dem Recht des Domizils; es kommt also wegen eines abweichenden Anknüpfungskriteriums zur Rückverweisung auf deutsches Recht.

352

Ursache der abweichenden Anknüpfung kann auch eine abweichende kollisionsrechtliche Einordnung des Sachverhalts (Qualifikation) sein.

Hat ein 2014 verstorbener österreichischer Erblasser ein in Deutschland belegenes Grundstück hinterlassen, so bestimmt sich (aus deutscher Sicht) das Erbstatut nach Art. 25 Abs. 1 aF im Wege der Gesamtverweisung in das österreichische letzte Heimatrecht des Erblassers. Die dortige Kollisionsnorm, § 28 Abs. 1 aF östIPRG[61], nimmt zwar die Verweisung für das Erbstatut an. Fragen, die den sachenrechtlichen Erwerb des Grundstücks betreffen (Universalsukzession, Anfall, Annahme, Ausschlagung, Nachlassverwaltung), werden jedoch auch dann der lex rei sitae als Sachenrechtsstatut unterstellt, wenn der Erwerb von Todes wegen eintritt (§§ 32, 31 Abs. 1 östIPRG). Das österreichische Erbstatut qualifiziert also den „Erbserwerb“ nicht erbrechtlich. Ist dagegen der Erbfall seit dem 17.8.2015 eingetreten und österreichisches Recht nach der EU-ErbVO anwendbar (zB bei Rechtswahl des Heimatrechts, Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO), so handelt es sich nicht um eine Gesamtverweisung, da Verweisungen in das Recht eines Mitgliedstaats im Umkehrschluss aus Art. 34 EU-ErbVO Sachnormverweisungen sind.

353

c) Erklärt das fremde IPR eine weitere Rechtsordnung für anwendbar, so spricht man von Weiterverweisung.[62] Nicht alle Rechtsordnungen, die bereit sind, eine Rückverweisung ersten Grades anzunehmen, folgen auch einer Weiterverweisung (zB Art. 13 Abs. 1 italienisches IPRG).

354

aa) Ausgehend vom deutschen IPR ist jedoch auch der Weiterverweisung zu folgen. Da eine Art. 4 Abs. 1 S. 2 entsprechende Regel (Annahme der Rückverweisung) nicht existiert und für das Abbrechen der Verweisung bei dem zweiten ausländischen Staat auch keine dem Heimwärtsstreben vergleichbaren Interessen feststellbar sind, führt die Weiterverweisung nicht ohne weiteres in das materielle Recht. In welcher Weise der Weiterverweisung gefolgt wird, hängt von dem weiterverweisenden Recht – nicht vom deutschen Gesamtverweisungsprinzip – ab.

355

bb) Versteht das erstverwiesene IPR seine eigene Verweisung auf das Recht eines dritten Staates als Sachnormverweisung, so bleibt es bei der Anwendung der Sachnormen dieses dritten Staates. In diesem Fall wird der internationale Entscheidungseinklang erreicht und ein sinnvolles Ende der Verweisungskette gefunden.

Der brasilianische Staatsangehörige E verstirbt 2014 mit letztem Wohnsitz in Italien. Es wird ein gegenständlich beschränkter Erbschein in Deutschland beantragt, weil E ein Grundstück in Frankfurt hinterlassen hat. Deutsches IPR (Art. 25 Abs. 1 aF) verweist als Gesamtverweisung in brasilianisches IPR. Das IPR von Brasilien (Art. 10 Lei de Introdução às normas do Direito Brasileiro – LIDB[63]) verweist auf das Recht des letzten Wohnsitzes des Erblassers. Die Verweisung ist Sachnormverweisung (Art. 16 LIDB); es ist italienisches materielles Erbrecht anzuwenden.

356

cc) Behandelt dagegen das erstverwiesene IPR seine Verweisung als Gesamtverweisung, so ist die Weiterverweisung aus deutscher Sicht ebenfalls auf das IPR des dritten Staates gerichtet. Das entspricht dem Prinzip, dem verwiesenen IPR in seiner Behandlung des Falles zu folgen. Nimmt an irgendeiner Stelle der dadurch ausgelösten Verweisungskette eine Rechtsordnung die Verweisung an, so kommen die Sachnormen dieses Rechts zur Anwendung. Führt die Verweisungskette zurück in deutsches Recht, so ist Art. 4 Abs. 1 S. 2 anzuwenden: Die Verweisung wird im deutschen Recht abgebrochen.

Der Erblasser (im Beispiel Rn 355) ist Schweizer mit letztem Wohnsitz in London. Das zunächst verwiesene schweizerische IPR verweist im Wege der Gesamtverweisung weiter auf das letzte Wohnsitzrecht des Erblassers (Art. 91 Abs. 1 schweizIPRG). Das englische IPR knüpft die Beerbung in Immobilien an die lex rei sitae, verweist also auf deutsches Recht.

357

dd) In seltenen, nicht mit zwingender kollisionsrechtlicher Logik lösbaren Fällen bleibt die Verweisungskette zwischen dem zweiten und dritten Staat oder auf einer späteren Stufe hängen; es kommt zu einer Rückverweisung auf eine in der Kette vorangehende (nicht die deutsche) Rechtsordnung. Unstreitig kann auch in diesem Fall das damit programmierte Hin- und Her-Verweisen oder der Verweisungszirkel nicht endlos weiterlaufen; strittig ist die Frage, wo abzubrechen ist. Die hM bricht zutreffend eine solche Kette von Gesamtverweisungen dort ab, wo eine Rechtsordnung erstmals erneut in der Verweisungskette erscheint (ausdrücklich bestimmt § 5 Abs. 2 Hs. 2 östIPRG diese Technik). Hierfür spricht eine gewisse Ähnlichkeit der Situation zum Fall der Rückverweisung auf deutsches Recht, wobei nicht zu verkennen ist, dass es für eine Analogie zu Art. 4 Abs. 1 S. 2 an der Identität der Interessenlage (Anwendung des eigenen Rechts) fehlt.

Der 2014 verstorbene Erblasser (im Beispiel oben Rn 355) ist Schweizer mit letztem Wohnsitz in Italien. Das erstverwiesene schweizerische IPR verweist auf das letzte Wohnsitzrecht, also italienisches IPR. Dieses verweist auf das letzte Heimatrecht des Erblassers (Art. 46 Abs. 1 italIPRG), also auf schweizerisches Recht. Die Verweisung des italienischen Rechts ist partiell Gesamtverweisung; das italienische Recht ist bereit, eine Rückverweisung anzunehmen (Art. 13 Abs. 1 lit. b italIPRG), die das schweizerische Recht hier ausspräche. Dennoch brechen wir die Verweisungskette aus deutscher Sicht im schweizerischen Recht ab, weil sich hier die Kette erstmals schließt.

Die Regel, die Verweisung bei der Rechtsordnung abzubrechen, die als erste erneut in der Verweisungskette erscheint, führt zu Komplikationen, wenn dieser Staat weder eine Sachnorm-, noch eine Gesamtverweisung ausspricht, sondern der foreign court theory folgt, die häufig in England und den USA angewendet wird: Danach ist zB durch ein mit einer Erbsache befasstes englisches Gericht ein renvoi nach Ermessen anzunehmen, wenn ein Gericht des aus englischer Sicht verwiesenen Staates („Staat C“) englisches Recht anwenden würde. Die Entscheidung hängt somit davon ab, ob Staat C seine Verweisung in englisches Recht als Sachnormverweisung behandelt (dann nimmt das englische Gericht den renvoi an) oder als Gesamtverweisung – mit der Folge der Anwendung eigenen Rechts kraft Rückverweisung (dann behandelt das englische Gericht seine Verweisung als Sachnormverweisung). In dieser Konstellation ist fraglich, ob man aus deutscher Sicht die Verweisung in Staat C abbricht, weil die foreign court theory keine bedingungslose Gesamtverweisung ausspricht, oder man das Ergebnis der foreign court theory entscheiden lässt, was aber letztlich die spiegelverkehrte Anwendung des IPR von Staat C bedeutet.[64] Praktikabel dürfte es sein, die englische Verweisung, die nur fallweise bereit ist, einen renvoi anzunehmen, als Sachnormverweisung zu behandeln, auch wenn dies nicht in allen Fällen zur Entscheidungsharmonie führt.

 

3. Sachnormverweisung als Ausnahme

358

a) Art. 4 behandelt die Sachnormverweisung als Ausnahme; es ergeben sich mehrere Fallgruppen, die insgesamt einen bedeutenden Anwendungsbereich haben.

Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 lässt den Grundsatz der Gesamtverweisung nur gelten, sofern dies dem Sinn der Verweisung nicht widerspricht. Diese Ausnahme wird eng ausgelegt; mit dem „Sinn der Verweisung“ ist nicht gemeint, dass immer schon dann eine Sachnormverweisung vorliegt, wenn die deutsche Kollisionsnorm irgendeinen Sinn hat, also bestimmte Interessen verfolgt. Das wäre immer der Fall, weil jede Anknüpfung einen Schwerpunkt bestimmen soll. Vielmehr muss ein qualifizierter Sinn der deutschen Kollisionsnorm gegen eine Gesamtverweisung sprechen.

359

aa) Eindeutig ist dies der Fall, wenn ausdrücklich die Sachvorschriften einer verwiesenen Rechtsordnung für anwendbar erklärt werden (Rn 366).

360

bb) Dem Sinn der Verweisung widerspricht es aber auch, wenn bei einer alternativen Anknüpfung der Begünstigungszweck (qualifizierter Sinn) vereitelt würde. Dabei ist nach zutreffender Ansicht nicht allein auf den kollisionsrechtlichen Zweck abzustellen, mehrere Rechtsordnungen berührter Staaten bereitzustellen. Der materielle Zweck, einem bestimmten Rechtsverhältnis zur Wirksamkeit zu verhelfen, wird nur durch die vordringende Ansicht[65] verwirklicht, die eine alternative Verweisung zwar auch als Sachnormverweisung wertet, jedoch einer Weiterverweisung oder Rückverweisung folgt, soweit sich dadurch der Kreis alternativ anwendbarer Rechtsordnungen erweitert. Hingegen darf der renvoi das Spektrum anwendbarer Rechtsordnungen nicht verengen.

361

Ausweichklauseln sind hingegen immer Sachnormverweisungen. Wo die Kollisionsnorm zur Erreichung von Einzelfallgerechtigkeit die Abweichung von der typisierten primären Anknüpfung erlaubt, geschieht dies, um eine andere – im Einzelfall angemessenere – materielle Rechtsordnung einzubringen, nicht aber, um dem fremden IPR die Verweisung zu überlassen.

362

cc) Wird ein Rechtsverhältnis im deutschen IPR akzessorisch an ein anderes angeknüpft (zB die Leistungskondiktion im internationalen Bereicherungsrecht an das Statut der Leistungsbeziehung, Art. 38 Abs. 1; Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO), so wird damit der Zweck verfolgt, den einheitlichen Lebenssachverhalt auch rechtlich einheitlich abzuwickeln. Diesem wiederum qualifizierten Sinn widerspräche es, durch einen renvoi die akzessorisch verbundenen Teile zu zerreißen; es findet also für das Hauptstatut zwar durchaus eine Gesamtverweisung statt, soweit sie dort vorgesehen ist (also nicht beim Vertragsstatut). Die Sachnormen des Hauptstatuts gelten aber auch für die akzessorisch angeknüpfte Thematik.

363

Das gilt nicht, wenn nur eine technische Akzessorietät der Anknüpfungsregeln vorliegt, so vor allem im Internationalen Familienrecht, wo Art. 14 Abs. 1 die Musterverweisung für andere familienrechtliche Statuten bedeutet. Hier geht es nur um dieselben Kriterien der Anknüpfungsleiter, nicht aber um eine volle Harmonisierung des im Ergebnis anzuwendenden Rechts; das zeigt sich schon daran, dass der Gesetzgeber in Art. 14 und 15 (vgl auch Art. 17 Abs. 1 aF) unterschiedliche Einsatzzeitpunkte verwendet.

364

dd) Grundsätzlich widerspricht es auch bei einer Anknüpfung an die engste Verbindung dem Sinn der Verweisung, wenn man diese als Gesamtverweisung verstehen wollte. Wenn das deutsche Recht sich darum bemüht, durch eine Abwägung von Einzelumständen das sachnächste Recht zu ermitteln, kann es sich das Ergebnis nicht durch eine (womöglich technische) Anknüpfung des fremden IPR aus der Hand nehmen lassen.

365

Das setzt aber voraus, dass die Anknüpfung an die engste Verbindung die primäre Anknüpfung des Gegenstandes im deutschen IPR ist. Handelt es sich hingegen um eine subsidiäre Anknüpfung einer unteren Stufe, so gibt das deutsche IPR damit zu erkennen, dass die Suche nach der hilfsweise engsten Verbindung nur eine Notlösung ist, die nicht beanspruchen kann, einen besonderen qualifizierten Sinn zu verwirklichen.

Art. 14 Abs. 1 Nr 3 knüpft auf fünfter Stufe an die gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten an. Alle vorangehenden Stufen werden von abstrakten Anknüpfungskriterien bestimmt und sprechen unstreitig Gesamtverweisungen aus; Art. 14 Abs. 1 Nr 3 ist daher nicht eine von besonderem Sinn geprägte Sachnormverweisung, sondern eine äußerst hilfsweise Lösung, die erst recht Gesamtverweisung ist.[66]

366

b) Schreibt die Verweisungsnorm ausdrücklich die Anwendung von Sachvorschriften vor, so ist ein renvoi ausgeschlossen. Dies kommt in drei Fallgruppen vor:

367

aa) Können die Parteien das anwendbare Recht wählen (Rechtswahl), so erlaubt dies nur eine Wahl von Sachvorschriften, nicht aber eine Verweisung auf Kollisionsnormen (Art. 4 Abs. 2). Diese Einschränkung wäre nicht zwingend geboten; Rechtswahl soll vor allem Anpassung an die Rechtsverhältnisse bestimmter Rechtsordnungen erlauben; in der jeweils gewählten Rechtsordnung würde ein Gericht jedoch zuerst immer sein IPR und nicht seine eigenen Sachvorschriften auf den Fall anwenden.

368

bb) Manche Kollisionsnormen sind ausdrücklich einzeln als Sachnormverweisungen bezeichnet.

Art. 12 verweist für den Schutz des anderen Vertragsteils gegen Beschränkungen der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auf die Sachvorschriften, Art. 11 Abs. 1 spricht von Formvorschriften im Recht eines Staates – was nur Sachvorschriften sein können. Art. 23 unterstellt Zustimmungserfordernisse dem Recht des Staates, dem das Kind angehört, was im Sinne einer Verweisung auf Sachvorschriften auszulegen ist.

369

cc) Verbreitet sind Sachnormverweisungen in völkervertraglichen Kollisionsnormen. Wird zwischen Vertragsstaaten eine Anknüpfung vereinbart, so bedeutet dies eine einverständliche Wertung, dass die dadurch gefundene Rechtsordnung dem Sachverhalt angemessen ist; diese gemeinsame Wertung soll nicht durch die – wieder divergierenden – nationalen Kollisionsnormen gestört werden.

Art. 1 Haager Testamentsformübereinkommen beruft das innerstaatliche Recht; ebenso Art. 4 Abs. 1 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen 1973; noch deutlicher Art. 12 Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007: „Ausschluss der Rückverweisung“.

370

dd) Als Sachnormverweisungen sind grundsätzlich auch die Kollisionsnormen des EuIPR konzipiert. Schon Art. 15 EVÜ schloss den renvoi aus, Art. 20 Rom I-VO folgt dem, ebenso Art. 24 Rom II-VO (Rn 373), Art. 11 Rom III-VO und Art. 32 EU-EheGüterVO und ELP-GüterVO. Hingegen folgt Art. 34 EU-ErbVO einem eingeschränkten renvoi: Führt die allgemeine gesetzliche Verweisung auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO) in einen Drittstaat, so ist dessen IPR anzuwenden, wenn es auf das Recht eines Mitgliedstaats verweist (was die Annahme dieser Quasi-Rückverweisung impliziert) oder auf das Recht eines weiteren Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde. Dies ist ein nicht ganz gelungener Versuch, einen renvoi unter Ausschluss der zweiten Weiterverweisung anzuordnen: Spricht der erste Drittstaat eine Sachnormverweisung in den zweiten Drittstaat aus, so wäre es systematisch richtig, das IPR des Drittstaates nicht anzuwenden.

371

c) Ob Verweisungen für außervertragliche Schuldverhältnisse Gesamtverweisungen oder Sachnormverweisungen aussprechen, war jedenfalls bis zur Kodifikation dieses Bereichs 1999 unklar. Der BGH hatte in seiner grundlegenden Entscheidung zur Auflockerung der Tatortregel im Deliktsstatut offen gelassen, ob die Tatortregel selbst eine Gesamtverweisung ausspricht.[67] Seit der Regelung des IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse in Art. 38 ff ohne einen ausdrücklichen Ausschluss der Gesamtverweisung (wie ihn für das vertragliche Schuldrecht Art. 35 aF vorsah) wird Art. 4 Abs. 1 auf die Grundsatzanknüpfungen im Bereicherungs-, GoA- und Deliktsstatut angewendet (Art. 38 Abs. 2, 3; Art. 39 Abs. 1; Art. 40 Abs. 1[68], 2).

Bedeutsam wurde das vor dem 11.9.2009 vor allem, wenn am Ort eines Straßenverkehrsunfalls das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht[69] galt, das primär an die Fahrzeugregistrierung anknüpft.

372

Sachnormverweisungen sprechen hingegen die akzessorischen Anknüpfungen aus (Art. 38 Abs. 1; Art. 39 Abs. 2); eine nachträgliche Rechtswahl bestimmt ebenfalls die Sachnormen. Sachnormverweisungen ergeben sich auch, wenn nach Art. 41 wegen einer wesentlich engeren Verbindung von den Grundsatzanknüpfungen abgewichen wird.

373

Art. 24 Rom II-VO behandelt hingegen alle Verweisungen für außervertragliche Schuldverhältnisse als Sachnormverweisungen.

II. Sonderfälle

1. Gespaltene Rück- oder Weiterverweisung

374

a) Das deutsche IPR knüpft überwiegend Lebenssachverhalte einheitlich an, auch wenn sie Gegenstände berühren, die unterschiedlicher Natur oder Belegenheit sind. ZB berühren das Erbrecht und das Ehegüterrecht bewegliche Sachen, Immobilien, Forderungen und sonstige Rechte. Art. 15 Abs. 1 bestimmt das Ehegüterstatut unabhängig von der Belegenheit, ebenso Art. 25 Abs. 1 aF das Erbstatut (mit Ausnahme des Art. 25 Abs. 2 aF, unten Rn 377). Auch das EuIPR folgt diesem Grundsatz (implizit Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO: „die gesamte Rechtsnachfolge“, ausdrücklich als Prinzip normiert in Art. 21 EU-EheGüterVO/EU-ELPGüterVO), was in Relation zum Common law-Prinzip der Behandlung unbeweglichen Vermögens nach Belegenheit (Rn 376) eine Prinzipienentscheidung bedeutete. Außerdem knüpft das deutsche IPR Sachverhalte, die das Vermögen einer oder mehrerer Personen betreffen, überwiegend unwandelbar an, dh das Statut wird nach den Anknüpfungskriterien in einem definierten Einsatzzeitpunkt bestimmt und kann sich durch Änderung der Anknüpfungsmerkmale nicht wandeln. ZB wird das Ehegüterstatut (Art. 15 Abs. 1) nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Eheschließung, das Erbstatut nach den Verhältnissen bei Eintritt des Erbfalls (Art. 25 Abs. 1 aF) bestimmt. Ebenso entscheiden Art. 21 EU-ErbVO und Art. 26 EU-EheGüterVO/EU-ELPGüterVO.

 

375

Für andere Lebenssachverhalte kennt auch das deutsche IPR wandelbare Anknüpfungen, zB in Art. 14 Abs. 1 für das Statut der persönlichen Ehewirkungen, das freilich auch mittelbar das Vermögen berühren kann (zB Hausratsteilung bei Getrenntleben).

376

Zahlreiche andere Rechtsordnungen sehen innerhalb desselben Lebenssachverhaltes (Beerbung einer Person; Güterstand einer Ehe) unterschiedliche Kollisionsnormen vor. Häufig führt dies bei Statuten, die ein Vermögen betreffen, zu verschiedenen Anknüpfungen je nach der Natur und der Belegenheit des betroffenen Vermögenswertes (gespaltene Anknüpfung). Zudem knüpfen zahlreiche Rechtsordnungen die vermögensrechtlichen Wirkungen von Dauerrechtsverhältnissen wandelbar an.

In den Kollisionsrechten der US-Bundesstaaten wird allgemein im Erbstatut unterschieden zwischen personal property und real property. Ersteres, die Mobilien im Nachlass, wird nach dem Recht des letzten domicile des Erblassers vererbt. Maßgeblich ist – unwandelbar – das domicile im Zeitpunkt des Todes. Real property, im Wesentlichen Immobilien und bestimmte Rechte an ihnen, wird nach Belegenheitsrecht (lex situs, lat.: Recht der Belegenheit) vererbt. Das Ehegüterstatut wird für personal property nach dem jeweiligen domicile (wandelbar!) bestimmt; für real property folgt es der lex situs. Auch das französische IPR unterstellte vor Inkrafttreten der EU-ErbVO die Beerbung in Ansehung von Immobilien dem Belegenheitsrecht.

377

Ausnahmsweise erlaubt auch das deutsche IPR eine gespaltene oder wandelbare Anknüpfung aufgrund von Rechtswahl.

Art. 25 Abs. 2 aF ließ den Erblasser für inländische Immobilien deutsches Recht als Erbstatut wählen. Art. 15 Abs. 2 sagt nichts über den Einsatzzeitpunkt einer Rechtswahl des Güterstatuts, erlaubt aber eine Rechtswahl, die ex nunc wirkt, also das Güterstatut wandelt, oder auch ex tunc. Ohne Rechtswahl kommt Wandelbarkeit des Güterstatuts nur bei Rechtsänderungen vor, insbesondere anlässlich der Änderung von Kollisionsnormen (IPR-Neuregelung 1986: vgl Art. 220 Abs. 3) oder bei Änderung der gesamten Rechtsordnung (Beitritt der DDR: vgl Art. 234 § 4).

378

b) Verweist deutsches Recht im Wege der Gesamtverweisung in eine fremde Rechtsordnung, die gespalten anknüpft, so ist bei der Prüfung des renvoi auch einer gespaltenen Verweisung zu folgen.

379

aa) Die Kriterien der Spaltung bestimmt grundsätzlich das fremde IPR; wenn zB das verwiesene IPR bewegliches und unbewegliches Vermögen in unterschiedlicher Weise anknüpft, so überlassen wir dem fremden IPR auch die Entscheidung, welche Gegenstände „beweglich“ und welche „unbeweglich“ sind. Für diese Unterscheidung kann es aber auch zur Rück- oder Weiterverweisung kommen, wenn das fremde IPR die Qualifikation als beweglich oder unbeweglich der lex situs überlässt (sog Qualifikationsverweisung).

380

In Fällen der gespaltenen Anknüpfung von Immobilien nach der lex situs ist die Qualifikationsverweisung häufig; sie entspricht der Grundidee solcher gespaltenen Verweisungen, es dem Recht der Belegenheit einer Immobilie zu überlassen, wie diese in allen Rechtsverhältnissen (also nicht nur sachenrechtlich, sondern auch erb- und ehegüterrechtlich) behandelt wird; denn der Belegenheitsstaat kann als einziger auf die Immobilie hoheitlichen Einfluss nehmen. Dann aber ist es konsequent, das Belegenheitsrecht auch darüber entscheiden zu lassen, welche Gegenstände es als unbeweglich ansieht und daher eventuell hoheitlich beansprucht.[70]

381

bb) Gespaltene Rück- oder Weiterverweisung führt im Ergebnis zu einer gespaltenen Rechtsanwendung; ausgehend von dem gespaltenen IPR wird jede Verweisung eigenständig behandelt und als Rückverweisung angenommen, als Weiterverweisung abgebrochen usw.

Ein US-Staatsangehöriger verstirbt 2014 mit letztem domicile in New York und hinterlässt beweglichen Nachlass sowie Grundstücke in Italien und Deutschland. Das IPR von New York (zur Unteranknüpfung unten Rn 391 ff) nimmt die Verweisung hinsichtlich des personal property an. Es verweist hinsichtlich des deutschen Grundstücks auf deutsches Recht zurück, so dass nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 deutsches Erbrecht anzuwenden ist. Die Weiterverweisung in italienisches Recht ist – aus Sicht des IPR von New York, das insoweit wohl nicht der foreign court theory folgt (Rn 357) – Sachnormverweisung in das materielle italienische Erbrecht. Da die USA ein Drittstaat sind und Italien sowie Deutschland Mitgliedstaaten, ändert sich hieran nichts unter Geltung der EU-ErbVO: Die Verweisung führt nach Art. 21 Abs. 1 unmittelbar (Art. 36 Abs. 2 lit. a EU-ErbVO) in das Recht von New York. Nach Art. 34 Abs. 1 lit. a ist die Rückverweisung auf italienisches und deutsches Recht beachtlich und auch im italienischen Recht endend, nun ungeachtet der Frage, ob die Verweisung des Rechts von New Yok Gesamtverweisung oder Sachnormverweisung ist.

382

c) Verweist das deutsche IPR mittels Gesamtverweisung mit einer unwandelbaren Anknüpfung auf eine Rechtsordnung, die den Gegenstand wandelbar anknüpft, so wird auch die wandelbare Anknüpfung des fremden Kollisionsrechts in die Bestimmung des anzuwendenden Rechts einbezogen.[71] Es wird auch dem fremden Kollisionsrecht überlassen, in welcher Weise intertemporal verschiedene Rechtsordnungen aufeinanderfolgen und wie sie abgegrenzt werden.[72] Die Verweisung führt also in das fremde Recht im gegenwärtigen Zustand und dieses entscheidet, ob es auf einen früheren Anknüpfungszeitpunkt abstellt.

383

Ehegatten, von denen einer deutscher, der andere schweizerischer Staatsangehöriger ist, leben bei Eheschließung in der Schweiz. 5 Jahre später, am 1.1.1997, verlegen sie gemeinsam ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland. Für die Bestimmung des Ehegüterstatuts verweist Art. 15 Abs. 1 iVm Art. 14 Abs. 1 unwandelbar in das schweizerische Recht (Gesamtverweisung); das schweizerische IPR knüpft – abgesehen von Klagen schweizerischer Staatsangehöriger in der Schweiz – das Güterstatut an den jeweiligen gemeinsamen Wohnsitz an. Bis zum 31.12.1996 nimmt das schweizerische Recht daher die Verweisung an; ab dem 1.1.1997 verweist es zurück auf deutsches Recht. Da gesetzlicher Güterstand im schweizerischen ZGB die Gütertrennung ist, muss die – wirtschaftlich sehr bedeutsame – Frage geklärt werden, zu welchem Zeitpunkt die Zugewinngemeinschaft des BGB einsetzt. Das hängt davon ab, ob das schweizerische IPR, das für die intertemporale Spaltung des Güterstandes verantwortlich ist, den Statutenwechsel mit Rückwirkung eintreten lässt oder ex nunc.

Ehegatten haben 1979 in der damaligen russischen Sowjetrepublik als Staatsbürger der UdSSR die Ehe geschlossen und sind 1994 als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen, wo sie 1996 eingebürgert wurden. Stirbt der Ehemann, so muss bei gesetzlicher Erbfolge wegen § 1371 Abs. 1 BGB das Ehegüterstatut bestimmt werden (dazu Rn 485). Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr 1 verweist auf die gemeinsame sowjetische Staatsangehörigkeit bei Eheschließung. Russisches IPR (als hier relevanter Nachfolgestaat der UdSSR) knüpft das Ehegüterstatut wandelbar an den Wohnsitz an, so dass es zur Rückverweisung auf deutsches Recht (Rn 348) als Wohnsitzrecht bei Tod des Ehemannes kommt.[73]