Internationales Privatrecht

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B. Typen von Kollisionsnormen

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Innerhalb der Kollisionsnormen werden zahlreiche Kategorien unterschieden; teilweise erlauben diese Kategorien eine komplementäre Aufteilung der Bestimmungen des IPR und ziehen praktische Folgerungen nach sich. Oft beschreiben sie jedoch nur bestimmte Typen von Regelungsstrukturen, ohne dass sich aus der jeweiligen Einordnung einer Norm Folgerungen ergeben. Dann handelt es sich nur um fachsprachliche Konvention, mittels derer über einen bestimmten Normtyp gesprochen wird, dh die Bedeutung mancher der nachfolgenden vieldiskutierten und -umstrittenen Begriffe erschöpft sich – ohne praktische Relevanz – in der akademischen Erkenntnis, dass es diesen Normtypus gibt.

I. Selbständige und unselbständige Kollisionsnormen

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1. Selbständige Kollisionsnormen bezeichnen in ihrer Rechtsfolge die Rechtsordnung, welche auf den im Tatbestand beschriebenen Sachverhalt anwendbar ist. Sie gehören immer zum Besonderen Teil des IPR (ua Art. 7 ff).

Art. 10 Abs. 1 erklärt als Rechtsfolge das Recht des Staates, dem die Person angehört, für anwendbar. Tatbestand ist der Name der Person.

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2. Unselbständige Kollisionsnormen bezeichnen hingegen nicht ohne Einschaltung einer weiteren Kollisionsnorm das anwendbare Recht; sie sind Hilfsnormen, welche die Anwendung des Kollisionsrechts ergänzend regeln. Sie stehen häufig im Allgemeinen Teil des IPR, da sie meist ohne Bezug auf bestimmte Systembegriffe den Umgang mit Verweisungen präzisieren.

Art. 4 Abs. 1 S. 1 setzt die Verweisung durch eine andere (selbständige) Kollisionsnorm voraus und legt die Verweisung in dem Sinn aus, dass sie auf das fremde IPR zu beziehen ist. Art. 5 Abs. 1 setzt eine Heimatrechtsverweisung voraus und löst den Konflikt, der entsteht, wenn das Subjekt der Anknüpfung mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt. In beiden Fällen spielt es keine Rolle, ob im konkreten Fall das Namensstatut, das Ehegüterstatut etc zu ermitteln ist.

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3. Unselbständige Kollisionsnormen sind nicht weniger wichtig als selbständige. Da unselbständige Kollisionsnormen immer im Zusammenwirken mit wenigstens einer selbständigen Kollisionsnorm Anwendung finden, hängt natürlich auch das richtige Ergebnis der Anwendung einer selbständigen Kollisionsnorm vom Inhalt anderer Kollisionsnormen ab, ist also nicht eigentlich „selbständig“. Man kann deshalb auch von unmittelbaren Verweisungsnormen und sonstigen Anknüpfungsregeln sprechen.

Ist eine Vertragspartei Österreicher und Deutscher, so gibt die „selbständige“ Kollisionsnorm des Art. 7 Abs. 1 nicht wirklich das auf die Geschäftsfähigkeit anwendbare Recht an; ohne die Anknüpfungsregel des Art. 5 Abs. 1 ist eine Entscheidung zwischen dem deutschen und dem österreichischen Recht nicht möglich.

II. Einseitige, allseitige, vollständige und unvollständige Kollisionsnormen

1. Entstehung

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Die historische Entwicklung, die das IPR im 19. Jahrhundert von der Statutenlehre zum Sitz des Rechtsverhältnisses genommen hat, führte aus theoretischer Sicht zu der Notwendigkeit, dass jeder Staat nicht mehr nur die Geltung eigener Normen, sondern den Schwerpunkt beliebiger Rechtsverhältnisse hätte regeln müssen. Für das Erbstatut lautet zB die Grundstruktur der Verweisungsnorm aus Sicht der Statutenlehre „deutsches Erbrecht gilt, wenn...“; aus Sicht der Savignyʼschen Sitzlehre hingegen „ein Erbfall untersteht dem Recht des Staates....“. Dem damit naheliegenden Schritt zur Universalität der Kollisionsnormen stand im 19. Jahrhundert ein Souveränitätsverständnis entgegen, das Bestimmungen über die Anwendbarkeit einer ausländischen Rechtsordnung zwar nicht als verbotenen Eingriff in fremde Souveränität, wohl aber als unschicklich im Verhältnis zur fremden Souveränität erscheinen ließ.

2. Einseitige/allseitige Kollisionsnorm

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Die am 1.1.1900 in Kraft getretene Fassung des EGBGB enthält daher zahlreiche einseitige Kollisionsnormen. Solche Normen folgen zwar der Savignyʼschen Struktur, bestimmen aber das anwendbare Recht als den Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses nur dann, wenn der Sachverhalt engen Bezug zur deutschen Rechtsordnung hat. Unter der damals weitgehenden Geltung des Staatsangehörigkeitsprinzips bedeutete Einseitigkeit der Kollisionsnorm regelmäßig die Beschränkung auf Fälle, in denen das Anknüpfungssubjekt ein Deutscher war.

Art. 24 Abs. 1 bestimmte bis 1986: „Ein Deutscher wird, auch wenn er seinen Wohnsitz im Auslande hatte, nach den deutschen Gesetzen beerbt.“

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Allseitig ist hingegen eine Kollisionsnorm, die mit Bezug zu einem Rechtsverhältnis das anwendbare Recht aufgrund abstrakter Kriterien (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt etc) beschreibt, ohne sich auf bestimmte Konstellationen dieses Kriteriums (zB deutsche Staatsangehörigkeit) zu beschränken. Eine allseitige Kollisionsnorm ist also auf alle denkbaren Konstellationen anwendbar.

Art. 25 Abs. 1 idF des IPR-NeuregelungsG 1986 (Rn 176) lautete: „Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehört“. Ebenso allseitig bestimmt Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO: „… unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

3. Vervollständigung/Verallseitigung

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a) Da auch unter altem Kollisionsrecht Fälle vorhersehbar waren, die von einer einseitigen Kollisionsnorm nicht erfasst, dennoch aber von deutschen Gerichten zu entscheiden sein würden, wählte der Gesetzgeber ergänzend einen zwischen der einseitigen und der allseitigen Kollisionsnorm stehenden Zwischentypus, die unvollständig allseitige Kollisionsnorm. Solche (Verweisungs-)Normen bestimmten das anwendbare Recht in Fällen, in denen zwar ein Ausländer betroffen war, jedoch ein offenbarer Bezug zu Deutschland bestand.

Art. 25 Abs. 1 (1900) bestimmte: „Ein Ausländer, der zur Zeit seines Todes seinen Wohnsitz im Inland hatte, wird nach den Gesetzen des Staates beerbt, dem er zur Zeit seines Todes angehörte.“ Art. 24 Abs. 1 und 25 Abs. 1 aF ergaben zusammen eine unvollkommen allseitige Kollisionsnorm, die sich nicht auf Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland bezog.

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b) Wo die vorhandenen einseitigen oder unvollkommen allseitigen Kollisionsnormen den zu entscheidenden Fällen nicht genügten, baute die Rechtsprechung diese zu allseitigen Kollisionsregeln aus. Diese Verallseitigung durch Fortentwicklung der in der geschriebenen Kollisionsnorm enthaltenen Idee der Schwerpunktbestimmung war deshalb nicht zweifelhaft, weil der Gesetzgeber ohne kollisionsrechtlichen Grund – aus Rücksicht auf Souveränität – auf eine allseitige Regelung verzichtet hatte.

Das Erbstatut im EGBGB (1900) wies eine Lücke auf, wenn ein (damals zwingend gegenständlich beschränkter, § 2369 BGB aF) Erbschein für das im Inland belegene Vermögen eines mit letztem Wohnsitz im Ausland verstorbenen Ausländers zu erteilen war. Aus Art. 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 aF wurde der allseitige Grundsatz entnommen, dass jeder Mensch nach seinem letzten Heimatrecht beerbt wird, die in Art. 25 Abs. 1 (1986) kodifizierte Bestimmung galt damit durch Verallseitigung schon vorher.

4. Verallseitigung oder Sonderkollisionsnorm für deutsche Sachverhalte

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Das Gesetz zur Neuregelung des IPR hat zum 1.9.1986 die meisten Kollisionsnormen vollständig allseitig formuliert; sie bestimmen – theoretisch betrachtet – das anwendbare Recht selbst für Fälle, die nie vor ein deutsches Gericht gelangen können.

Art. 13 Abs. 1 beschreibt ein auf die Eheschließungsvoraussetzungen anwendbares Recht auch für die Eheschließung zweier Taiwanesen in Hongkong; das ist unter Souveränitätsgesichtspunkten völlig unschädlich, denn deutsches IPR wird als primäre Kollisionsnorm nur von deutschen Behörden und Gerichten angewendet, so dass die angemessen begrenzte internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte die formell unbegrenzte Reichweite des IPR einschränkt. Die vollständig allseitige Fassung ist aber nützlich, wenn ein ausländisches Gericht durch sein Kollisionsrecht in deutsches Recht verwiesen wird und einen Renvoi prüft (also eine Art. 4 Abs. 1 entsprechende Norm anwendet). Das deutsche IPR stellt mit seinen vollständig allseitigen Kollisionsnormen den ausländischen Richter nicht vor Probleme.

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Dem liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, dass IPR keine Disposition über das Recht eines anderen Staates und damit eine Berührung von dessen Souveränität bedeutet, sondern lediglich den Ausgleich privater Interessen an der Anwendung des sachnächsten Rechts. Soweit deutsche Gerichte und Behörden eine Rechtssache zu entscheiden haben, also international zuständig sind (was übrigens nur in sehr weiten Grenzen am Völkerrecht zu messen ist), kann in der Auswahl des anzuwendenden Rechts kein Hoheitseingriff liegen.

 

178

Auch nach der Reform von 1986 enthält das Kollisionsrecht im EGBGB noch Bestimmungen, deren Tatbestand den Inlandsbezug voraussetzt (Art. 17 Abs. 1 S. 2 aF: deutsche Staatsangehörigkeit und Scheidungsstatut, Art. 9 S. 2: Todeserklärung von Ausländern im Inland; Art. 13 Abs. 3 S. 1: Form der Eheschließung im Inland; Art. 17a: im Inland belegene Ehewohnung). Die zum alten Kollisionsrecht überwiegend vorzunehmende Verallseitigung ist bei diesen Normen regelmäßig nicht mehr zulässig; der Gesetzgeber hat solche Bestimmungen zumeist bewusst als Sonderkollisionsrecht für deutsche Staatsangehörige oder sonstige Inlandsbezüge aufgenommen (vgl auch Rn 187 „Exklusivnormen“). Besonders deutlich wird dies dann, wenn die jeweilige Kollisionsnorm keine Lücken lässt, sondern neben eine vollkommen allseitige tritt und dadurch ihren Ausnahmecharakter deutlich macht, der eine Verallseitigung verbietet.

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Art. 9 S. 1 regelt die Anknüpfung der Todeserklärung allseitig, S. 2 erleichtert die Todeserklärung im Inland, wenn ein berechtigtes Interesse besteht. Art. 17 Abs. 1 S. 1 aF bestimmte allseitig ein reguläres Scheidungsstatut, S. 2 bewahrte in Hinblick auf die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit den deutschen Ehegatten vor einer erschwert scheidbaren oder unscheidbaren Ehe.

Eine ausnahmsweise verallseitigungsfähige einseitige Kollisionsnorm ist Art. 7 Abs. 2: Obgleich der Gesetzgeber 1986 die Verallseitigung versäumt hat, kommt in der Bestimmung weiterhin der Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass der Wechsel des Personalstatuts die Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen nicht beseitigt. Art. 7 Abs. 2 gilt also auch für den Wechsel zwischen zwei ausländischen Staatsangehörigkeiten.

III. Ausdrückliche und versteckte Kollisionsnormen

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1. Versteckte Kollisionsnormen sind in anderen Normen verborgene, implizite kollisionsrechtliche Regeln. Sie sind nicht zu verwechseln mit den lediglich ungeschriebenen, gewohnheits- oder richterrechtlichen Kollisionsnormen, die zwar nicht ausdrücklich im Gesetz stehen, aber als ausdrücklich formulierte Verweisung außerhalb des Gesetzes existieren. Ausdrückliche Kollisionsnormen als Gegenbegriff zu den versteckten, umfassen also die Gesamtheit der gesetzlichen, richter- oder gewohnheitsrechtlichen Kollisionsnormen.

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2. Der wichtigste Fall ist die Annahme einer in Zuständigkeitsbestimmungen versteckten Kollisionsnorm, insbesondere im Fall der sog versteckten Rückverweisung (hidden renvoi) aus US-amerikanischem Recht. Da verbreitet die Zuständigkeit eines amerikanischen Gerichts (jurisdiction) zur Anwendung der lex fori führt und die Zuständigkeitsregeln darauf zugeschnitten sind, einen Inlandsbezug zu gewährleisten, lässt sich die Zuständigkeitsregel aus deutscher Sicht als eine Rechtsanwendungsregel interpretieren, ohne dass aus amerikanischer Sicht ursprünglich ein kollisionsrechtliches Bewusstsein hinter dieser Regel stünde.

Bedeutung hatte diese Figur vor allem für das Scheidungsstatut unter Art. 17 Abs. 1 aF bei Verweisung in das Recht eines US-Bundesstaates: Gerichte sind dort für die Scheidung einer Ehe zuständig, wenn ein Ehegatte seit einer gesetzlich bestimmten Zeit (häufig sechs Monate) dort domicile, häufig auch nur residence hat. Hieraus lässt sich eine Kollisionsnorm entwickeln, die besagt, dass das Recht dieses Bundesstaates auf eine Scheidung anwendbar ist, wenn einer der Ehegatten dort für diese Zeit sein domicile bzw residence hat. Verallseitigt man diese Norm („auf die Scheidung ist das Recht des Staates anwendbar, in dem ein Ehegatte seit mindestens … sein domicile [residence] hat)“, so kann sich für den deutschen Richter, der das IPR dieses Bundesstaates im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 S. 1 prüft, daraus zB eine Rückverweisung auf deutsches Recht ergeben. Die Konstruktion entspricht herrschender Meinung, erscheint aber gewagt; amerikanische Juristen sind erstaunt zu hören, was der deutsche Kollisionsrechtler in ihren Zuständigkeitsregeln verborgen findet. Unter der Rom III-VO entfällt die Problematik, weil deren Verweisungen keine Gesamtverweisung sind und deshalb das ausländische IPR nicht interessiert.

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3. Oft werden auch in selbstbegrenzten Sachnormen verborgene Kollisionsnormen vermutet. Es geht hier um Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf das von der allseitigen Kollisionsnorm berufene Recht auf bestimmte Sachverhalte, häufig mit Inlandsbezug, jedenfalls angewendet sein wollen. Das impliziert in dem Sinn eine Kollisionsnorm, dass für Zwecke der Anwendung der konkreten materiellen Bestimmung die allgemeine Verweisung außer Kraft gesetzt wird. Zwangloser lässt sich eine solche Regelung aber auch als dem IPR vorgelagertes zwingendes Sachrecht verstehen, das seinen begrenzten Anwendungsbereich selbst beschreibt. Man kann insoweit von ausdrücklichen Bestimmungen des deutschen ordre public sprechen, die selbst beschreiben, wann der für ihre Anwendung erforderliche Inlandsbezug besteht.

Nach § 244 BGB können Fremdwährungsschulden mangels ausdrücklicher anderer Abrede im Inland in EUR erfüllt werden. Da dies unabhängig von dem auf das zugrundeliegende Schuldverhältnis anwendbaren Recht (Schuldstatut) und für im gesamten Euro-Raum erfüllbare[2] Geldschulden gelten soll, obgleich § 244 BGB an sich systematisch dem deutschen Schuldrecht zuzuordnen wäre, kann man in § 244 BGB eine Kollisionsnorm hineinlesen, die implizit sagt, für Zwecke des § 244 BGB sei jedenfalls deutsches Recht anzuwenden. Weniger gekünstelt erscheint es, § 244 BGB als Ausnahmenorm mit Vorrang vor dem Schuldstatut einzuordnen.

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Selbstbegrenzte Sachnormen können auch im EGBGB angeordnet sein. Auch wenn dies systematisch nicht der richtige Platz für materielle Bestimmungen ist, hat der Gesetzgeber richtig erkannt, dass der Rechtsanwender solche Normen übersehen könnte, wenn er durch das IPR in ein ausländisches Statut geführt wird und deshalb die deutschen materiellen Regelungen nicht anwenden zu müssen glaubt.

Das Verbot der außergerichtlichen Scheidung einer Ehe findet sich sogar zweifach im Gesetz. Schon vor Inkrafttreten der IPR-Reform von 1986 bestimmte § 1564 S. 1 BGB, dass eine Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden kann. Der BGH[3] verstand dies schon damals als eine Norm, die sich auch gegen ein ausländisches Scheidungsstatut durchsetzt, also als selbstbegrenzte Sachnorm. Art. 17 Abs. 2 wiederholt diese Norm; durch die Einfügung in Art. 17 wird klargestellt, dass sich der Grundsatz der gerichtlichen Ehescheidung gerade auch gegen ein ausländisches Scheidungsstatut durchsetzt. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das Scheidungsstatut nun durch die Rom III-VO bestimmt wird. Die Bedeutung des § 1564 S. 1 beschränkt sich nunmehr – als reine Sachnorm des deutschen Rechts – auf Scheidungen, die deutschem Recht unterliegen (im Inland und Ausland).

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4. Nicht verwechselt werden darf die selbstbegrenzte Sachnorm mit den Sondernormen des deutschen Rechts für bestimmte Auslandsfälle (zB § 1944 Abs. 3 BGB). Diese Bestimmungen setzen sich nicht gegen ein ausländisches Statut durch, sondern sind nur anwendbar, wenn deutsches Recht das maßgebliche Statut (hier Erbstatut) ist. Im Einzelfall kann es allerdings fraglich sein, ob eine Bestimmung als Sondernorm des deutschen Rechts oder als selbstbegrenzte Sachnorm zu verstehen ist; dann ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die jeweilige Sachnorm nur auf deutschem Recht unterstehende Fälle Anwendung finden will oder sich gegen jedes Statut durchsetzt. Im Zweifel sollte Bestimmungen ein solcher ordre-public-naher Durchsetzungswille nicht unterstellt werden; jedenfalls seit der Reform des Jahres 1986 enthält das deutsche IPR einige Aussagen über schutzbedürftige Personengruppen, so dass eine zwingende Anwendung deutschen Rechts zum Schutz bestimmter schwächerer Beteiligter auf dem Umweg über die Konstruktion der selbstbegrenzten Sachnorm ausscheidet.

Gelegentlich wird erwogen,[4] aus § 92c Abs. 1 HGB (Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters – § 89b HGB – bei Tätigkeitsgebiet außerhalb der EU und des EWR) eine Kollisionsnorm herauszulesen, die Vorschriften des HGB über den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach §§ 84 ff HGB seien – unabhängig vom Schuldstatut – für Handelsvertreter mit Tätigkeitsbereich innerhalb der EU anzuwenden. Diese Konstruktion ist trotz ihrer richtigen Zielsetzung nicht tragfähig; § 92c Abs. 1 HGB setzt ein deutsches Vertragsstatut voraus. Die Durchsetzung deutscher Schutznormen gegen ein ausländisches Vertragsstatut kommt nur unter den Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 3, 6 Abs. 2, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Rom I-VO sowie Art. 46b in Betracht. Sinnvoll erscheint jedoch eine Erweiterung des Rechtsgedankens des Art. 46b auf anderes EG-/EU-Richtlinienrecht, so dass sich letztlich Schutzbestimmungen aus Richtlinien auch gegen ein Nicht-EU-Vertragsstatut durchsetzen könnten.[5]

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5. Nicht verwechselt werden dürfen auch die in materiell-rechtlichen Nebengesetzen enthaltenen Kollisionsnormen mit selbstbegrenzten Sachnormen. Der Typus einer Norm als Sach- oder Kollisionsnorm wird nicht durch ihren Standort bestimmt, sondern durch ihre Funktion.

Unstreitig gilt das für die Kollisionsregeln im Wechsel- und Scheckgesetz. Aber auch der gelegentlich als Beispiel einer selbstbegrenzten Sachnorm mit impliziter Kollisionsnorm genannte § 130 Abs. 2 GWB in der bis 17.4.2016 geltenden Fassung war (nur) eine – nicht durch Rechtswahl abdingbare – einseitige räumliche Kollisionsnorm des Wettbewerbsrechts.[6]

IV. Exklusivnormen, Retorsionsnormen

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1. Als Exklusivnormen werden selbständige Kollisionsnormen (Verweisungsnormen) bezeichnet, die neben eine kollisionsrechtliche Grundregel treten und für bestimmte Fälle die Anwendung deutschen Rechts vorsehen. Um solche Normen handelt es sich häufig, wo sich im 1986 reformierten IPR des EGBGB einseitige Kollisionsnormen für deutsche Staatsangehörige finden. Der Unterschied zwischen einer Exklusivnorm und einer einseitigen Kollisionsnorm besteht in folgendem: Exklusivnormen sind von der Rechtsfolgeseite (ausnahmsweise Anwendung deutschen Rechts) definiert; einseitige Kollisionsnormen sind von der Tatbestandsseite definiert: Für deutsche Staatsangehörige bzw für Inlandssachverhalte ist ein bestimmtes Recht anzuwenden. Soweit solche Normen Deutsche bzw den inländischen Rechtsverkehr durch Anwendung deutschen Rechts schützen wollen, können sie rechtspolitisch sinnvoll, aber auch kollisionsrechtlich bedenklich sein, weil sie als ungehörige Besserstellung eigener Staatsangehöriger verstanden werden müssen.

Art. 13 Abs. 3 S. 1 ist gleichzeitig einseitige Kollisionsnorm („Ehe... im Inland... geschlossen“), und Exklusivnorm („nur in der hier vorgeschriebenen Form“). Als solche ist sie wohl sinnvoll, soweit sie die Statussicherheit schützt; andererseits vom Säkularisierungseifer des endenden 19. Jahrhunderts geprägt, soweit sie die obligatorische Zivilehe über das deutsche Recht als Eheschließungsstatut hinaus durchsetzt. Art. 16 Abs. 1 („hat einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland... so ist § 1412... anzuwenden“) ist als Schutznorn für den Rechtsverkehr sicher nötig. Besonders augenfällig – und rechtspolitisch störend! – war dagegen der Exklusivcharakter von Art. 38 aF (vor 1999): deutsches Deliktsrecht beschränkte Deliktsansprüche nach dem eigentlich anwendbaren Statut, wenn Täter ein Deutscher war. Keine Exklusivnorm ist Art. 7 Abs. 2; es handelt sich um eine – sogar ausnahmsweise der Verallseitigung zugängliche – einseitige Kollisionsnorm.

 

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2. Manche ebenfalls als Exklusivnormen bezeichnete Normen[7] schaffen hingegen nicht den exklusiven Vorrang deutschen Rechts, sondern ermöglichen eine subsidiäre, hilfsweise Inanspruchnahme deutschen Rechts. Für solche Normen erscheint es zweifelhaft, von Exklusivnormen zu sprechen, da sie gerade nicht Exklusivität des deutschen Rechts, sondern Anpassung an deutsche Rechtsverhältnisse erlauben.

Art. 10 Abs. 2 S. 1 Nr 2 und Abs. 3 Nr 2 erlauben Ausländern die Anpassung an deutsches Ehe- und Kindesnamensrecht, verbieten aber nicht die Namensführung nach dem von Art. 10 Abs. 1 berufenen allgemeinen Namensstatut; ähnlich Art. 13 Abs. 2. Diese Wahl kann, muss aber nicht erfolgen.

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3. Retorsionsnormen gehören zum völkerrechtlichen Instrumentarium des 19. Jahrhunderts; sie versuchen die Durchsetzung von internationaler Rechtsvereinheitlichung durch mittelbaren Zwang, indem sie die Angehörigen eines Staates benachteiligen, sofern dieser Staat nicht bereit ist, deutschen Staatsangehörigen eine Meistbegünstigung einzuräumen. Das deutsche IPR enthält solche Normen nicht mehr. Vgl aber im IZPR § 110 Abs. 2 Nr 1 ZPO und § 328 Abs. 1 Nr 5 ZPO, § 109 Abs. 4 Nr 5 FamFG.