Mythos, Pathos und Ethos

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Ende Februar 2004: Beim Politischen Aschermittwoch, der vor allem in Bayern praktiziert wird, handelt es sich um eine Einrichtung allererster Güte, die dazu dient, die eigenen Anhänger so geschlossen wie möglich hinter sich zu scharen und lustvoll auf den politischen Gegner einzuschlagen. Besonders gern zelebriert ihn verständlicherweise die CSU, insbesondere dann, wenn sie nicht in Berlin an der Macht ist. "Die können es nicht, die müssen weg", lästerte Sträuber daher seit 1999 alljährlich über die rot-grüne Bundesregierung, allerdings war 2004 alles ein bißchen anders, denn draußen vor der Passauer Dreiländer-Halle demonstrierten wütende Polizisten gegen den bayerischen Ministerpräsidenten und seine aus ihrer Sicht ungerechte Sparpolitik. Öffentlicher Widerstand im Bayernland?

Drinnen wurde derweil gejohlt und gesoffen, Tausende CSU-Fans tummelten sich, um ihren Egmont schimpfen und loben sowie protzen und toben zu hören, doch da die CSU gerne Rekorde aufstellt, wurden mal wieder zu viele Karten ausgegeben, weshalb etliche der Zuhörer nicht wesentlich mehr Platz als eine Henne in einer Legebatterie zur Verfügung hatten. Der Vorteil dabei bestand darin, daß man auf die Art und Weise nicht so leicht umfallen konnte wie diverse Politiker nach Wahlen.

Bei der SPD war die Stimmung nicht so gut, außerdem gab es dort wie immer viel weniger Zuhörer, was auch, aber nicht nur mit dem für mehr Gäste nicht ausreichenden Platz zu tun hatte. Dort gab es mehrere Redner und als der neue bayerische SPD-Vorsitzende Ludger Riegler Sträuber mit "Ich grüße den Gruftenpfänder in Passau" einen Willkommensgruß entbot, kam Stimmung auf. Ein bayerisches Finanzamt hatte nämlich tatsächlich angedacht oder versucht gehabt, die Gruft des heiligen Hans Werner Braus zu pfänden, zumindest die Anteile, welche sein Sohn Mark Braus daran besaß. Ja, was war nur in die bayerischen Behörden gefahren, kannten die auf einmal überhaupt kein Pardon mehr und erst recht keinen Respekt vor ihrem, also der CSU ihren Übervater?

FDP, Grüne, Freie Wähler und ÖDP, außerdem Bayernpartei, Republikaner usw. hielten auch Veranstaltungen ab, doch bei ihnen tummelten sich weit weniger Leute als bei den großen Parteien. Die Massen zieht es nun mal gerne und fast immer dorthin, wo sich bereits eine Menschenmenge befindet, denn für die ist eine Ansammlung von Leuten bereits ein Qualitätsnachweis.

Wie auch immer, eine bemerkenswerte Randnotiz zum Politischen Aschermittwoch 2004 gab es dann doch noch: Erstmals nach mehr als 15 Jahren war der ehemalige CSU-Parteivorsitzende und ehemalige Bundesfinanzminister Leo Baigel nicht bei der Veranstaltung der CSU in Passau anwesend. Da man bekanntlich nicht nicht kommunizieren kann, war das eine deutliche Ansage, nicht umsonst galt Baigel als Sträuber-Gegner und das nicht ohne Grund, schließlich wäre er 1993 selber gerne bayerischer Ministerpräsident geworden, doch da seine privaten Verhältnisse öffentlich wurden und nicht der scheinheiligen Doppelmoral der CSU-Granden entsprochen hatten, gab es für ihn damals keine echte Chance.

11.03.2004: Genauso wie der Politische Aschermittwoch gehört auch das Politikerderblecken auf dem Nockherberg zu den Pflichtterminen für alle bayerischen Politiker. Dabei werden die meisten von ihnen dort ganz schön durch den Kakao gezogen, doch das macht ihnen wenig aus, denn es ist eine große Ehre, dort genannt und verarscht zu werden. So richtig sauer und enttäuscht sind eigentlich meistens nur diejenigen, die nicht erwähnt werden.

Zunächst hält ein meistens als Mönch verkleideter Kabarettist eine Rede, danach gibt es ein Singspiel, in dem Politiker-Doubles auftreten und ihre Doppelgänger lächerlich machen. Das Ganze erfreut sich allergrößter Beliebtheit.

Das Besondere an der Veranstaltung 2004 bestand darin, daß mit Kuno Monas ein neuer Redner gewonnen hatte werden können und daß kurz vor der Aufführung Vater (Präsident vom TSV 1860 München) und Sohn Mildwoser wegen Schmiergeldvorwürfen im Knast gelandet waren. Es gab also jede Menge Gesprächsstoff und durfte wie immer viel gelacht werden.

Selbstverständlich bekommt der jeweilige amtierende bayerische Ministerpräsident das meiste Fett ab, aber der darf dafür auch aus der ersten Starkbiermaß trinken. "Starkbierprobe" heißt das Ding nämlich eigentlich, die Paulaner-Brauerei lädt alle prominenten Politiker und sonstige Größen zum Freibier auf den Nockherberg ein und dort wird ihnen dann eingeschenkt. Selbstverständlich so, daß die Veräppelten nicht so verärgert werden, daß sie im Jahr darauf nicht mehr wiederkommen, man will es ja schließlich auch nicht zu weit treiben.

Mitte März 2004: Wieder zurück in die politische Realität, es ging im bayerischen Landtag mächtig zur Sache. In der CSU-Fraktion sprach man von einer "Lutinisierung der bayerischen Politik", weil nur noch oben bestimmt wurde, was die da unten, also die CSU-Abgeordneten im Landtag, dann abzunicken hatten. Dabei hätte die Aufgabe der CSU-Fraktion eigentlich darin bestanden, der Regierung auf die Finger zu schauen und notfalls auch zu hauen, aber in einer Führerpartei wie der CSU machte man schon immer das, was der Chef befahl.

Draußen vor den Toren des Landtags demonstrierten Tausende gegen den "Spar-Diktator", doch auch sie konnten, genauso wenig wie die Oppositionsparteien im Landtag, verhindern, daß Sträubers Sparpläne beschlossen und damit Gesetz wurden. Alle Anträge der Opposition wurden abgelehnt, so wie es in der CSU zu jener Zeit nun mal Usus war, doch so richtig glücklich waren die CSU-Abgeordneten nicht. Nichtsdestotrotz hatten sie mal wieder allen Zumutungen zugestimmt.

Sträuber und Zuber unterhielten sich über die Lage: "Merlin, wir müssen ein wenig aufpassen, sonst kommt es hier noch zu einer Meuterei. Die Leute draußen können demonstrieren soviel sie wollen, die tangieren mich nur peripher, aber wenn sich unsere Abgeordneten gegen uns auflehnen, dann ist alles zu spät", erläuterte Sträuber. "Aber Chef, da seien Sie mal ganz beruhigt. Die wissen doch auch alle, daß sie nur wegen Dir überhaupt im Landtag sitzen", erwiderte Zuber. "Mag sein, trotzdem traue ich dem Frieden nicht. Zweifellos sind unsere Sparvorhaben richtig und wichtig, aber ich brauche die Zustimmung von diesen Hanswursten aus der Fraktion, sonst können wir unseren Laden hier dichtmachen." "Keine Sorge, die werden sich schon zweimal überlegen, ob sie sich mit uns anlegen wollen. Schließlich sitzen wir am längeren Hebel." "Natürlich, das weiß ich doch auch, trotzdem. Es ist nicht gut, wenn es andauernd nur negative Schlagzeilen über uns gibt. Und den Spruch mit den Fröschen hättest Du Dir auch sparen können." "Aber Chef, der ist überhaupt nicht von mir, obwohl er natürlich hervorragend paßt." "Wie auch immer, ich habe zu arbeiten und deshalb kann ich mir keine Unruhe in der Fraktion leisten. Deswegen sagst jetzt halt erst mal, daß das Tempo der Reformen gedrosselt werden soll." "Echt, Chef?" "Nicht wirklich, aber wenn uns die Deppen das abnehmen, dann können wir in Ruhe weiter kürzen und reformieren." "Jawohl, Chef." "Sehr gut Merlin, Du bist halt doch mein Bester." Die Beiden grinsten erfreut.

Sobald die Regierungsparteien immer weiter in die Mitte rückten, entstand am rechten oder linken Rand ein Vakuum, das es zu füllen galt. Im Falle von Rot-Grün wurde links jede Menge Platz frei und dort formierte sich aus enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, die den Reformkurs der Regierung Schräder nicht mittragen wollten, eine neue politische Kraft. Über jene sprachen natürlich auch die beiden starken Männer der SPD.

"Bernd, was machen wir mit dieser neuen linken Partei, die sich jetzt bald gründet?" erkundigte sich Mützewirsing. "Na das ist doch ganz klar: Wenn geile Weiber drin sind, dann kopulieren, äh koalieren wir mit denen. Aber ich befürchte, daß sich darin wohl eher nur die ganzen Gewerkschaftstrullas mit ihren Doppelnamen tummeln werden. Von daher lieber ignorieren", erklärte Schräder. "Das sehe ich genauso. Aber die SPD-Mitglieder, die da mitmachen wollen, die müssen wir doch aus unserer Partei ausschließen, schließlich kann man ja nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen." "Also ich konnte das schon, aber Du hast natürlich völlig Recht. Du sag mal, darf ich Dich eigentlich auch "Mütze" nennen?" "Selbstverständlich … nicht. Für Dich bin und bleibe ich Kaiser Dan." "Ha ha, der war echt gut." "Das war kein Witz." "Ich verstehe. Na gut, dann wollen wir bloß hoffen, daß diese neuen Linken nicht den Afroträne als Spitzenkandidaten ausgraben und daß sie nicht auf die Idee kommen, mit der PDS zu fusionieren." "Allerdings, denn dann wären wir geliefert. Scheiß Gewerkschafter, das sind die wahren Verräter!"

21.März 2004: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, erst recht bei so einer Liebesheirat wie der zwischen der SPD und Dan Mützewirsing. Schade bei der ganzen Sache war nur, daß es Bundeskanzler Schräder erst jetzt gelang, seine Reformpolitik zu erklären und verständlich zu machen. Hätte er das schon eher ernsthaft versucht gehabt, dann hätte er womöglich die Partei innerlich befriedet und ihr Vorsitzender bleiben können. Früher war er bei seinen Parteitagsreden immer sehr verkrampft gewesen, weil er wußte, daß ihn viele SPD-Mitglieder mit Argwohn betrachteten, doch in der Stunde des Abschieds von dem Amt, das "Mütze" als "das schönste neben dem Papst" bezeichnet hatte, kam kurzzeitig sogar so etwas wie Wehmut auf. "Du wir können doch gute Freunde bleiben", schien die Losung des Tages zu lauten, obwohl es sich bei jener Ehe zwischen Schräder und der SPD im Jahre 1999 wohl eher um eine Zwangsheirat gehandelt hatte. Wie dem auch sei, die Parteimitglieder schöpften neuen Mut, denn sie liebten den Dan aus dem Sauerland, weil der einer von ihnen war und so kurze Sätze sprach, daß alle wußten was er meinte. Schräder würde also seine ganze Kraft auf das Amt des Bundeskanzlers konzentrieren und Mützewirsing hatte die undankbare Aufgabe übernommen, den unpopulären Reformkurs der eigenen Regierung den eigenen Parteimitgliedern verständlich zu machen. Kuno Monas hatte es auf dem Nockherberg so formuliert: "Der Schräder tut den Leuten weh und der Mützewirsing sagt: "Es tut weh"." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

 

13.06.2004: Wahltag ist Zahltag und Europawahltag war für die SPD meistens ein Qualtag. So auch in diesem Fall. Man wiederholte den Absturz, den man bereits in Bayern praktiziert hatte, verlor neun Prozentpunkte und landete bei 21,5 %. Die Union kam auf 44,5 %, die Grünen auf 11,9 Prozent, die FDP und die PDS erreichten jeweils 6,1 Prozent der Wählerstimmen. Wahlbeteiligung: 45,5 %.

Mal wieder ein Desaster für die Sozialdemokraten und auch die Landtagswahl in Thüringen brachte keinen Grund zur Freude. Von einem sehr niedrigen Niveau gestartet, verlor man noch mal und landete bei 15 Prozent, also schlimmer ging es eigentlich nimmer. Das Blöde daran war halt, daß man wußte, daß es an der eigenen Regierung lag, denn die Oppositionsparteien wurden nie gewählt, weil sie so toll waren, sondern da die Menschen mit der aktuellen Regierung unzufrieden waren. Nun ja, irgendwann gab es schließlich immer ein Licht oder zumindest Ende des Tunnels, von daher machte man weiter, es blieb einem auch gar nichts Anderes übrig. Der erhoffte "Mütze-Effekt" war erst mal ausgeblieben, andererseits hatte man in Thüringen vorher auch nicht mitregiert gehabt, von daher hielt sich die Enttäuschung in Grenzen, die Begeisterung allerdings erst recht.

20.07.2004: Ach ja, die Bayern. Irgendwie waren und sind sie schon ein besonderes Völkchen, deshalb verwundert es auch nicht wirklich, daß dort eine ganz spezielle Partei ihr Unwesen treibt. Andererseits überrascht es auch nicht, wenn herauskommt, daß die Tochter von Hans Werner Braus, die nur zu gerne ihrem verstorbenen Vater irgendwann im Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten nachfolgen würde, parteiinternen Kritikern droht, indem sie einen grünen oder blauen Plastikordner oder Schnellhefter präsentiert und dazu meint: "So, gegen jeden von Euch gibt es was." Da hat das Töchterchen einfach gut vom Papa gelernt, der ja schon früh wußte und erfahren hat, daß die größten Feinde oft die eigenen Parteifreunde sein können. Wenigstens ließen sich die Erpreßten das nicht bieten und jetzt durfte die Mari den Münchner CSU-Bezirksvorsitz abgeben. Dabei hatte der von ihr protegierte Johannes Raedke, der für etliche Manipulationen innerhalb der Münchner CSU verantwortlich gewesen sein soll, schon davon geträumt gehabt, eines Tages als Staatskanzleichef zu fungieren, unter der tollen Marina Kohlfeier als Ministerpräsidentin. Manche Träume werden glücklicherweise niemals wahr.

Andererseits sollte man an dieser Stelle durchaus eindringlich darauf hinweisen, daß es innerhalb von Parteien durchaus üblich ist, Wissen über Parteifreunde zu nutzen, nicht umsonst lautet der Spruch ja: Wissen ist Macht. Andererseits steht auch fest, daß die Familie Braus schon seit jeher mit allen Wassern gewaschen war und daß sich insbesondere der großartige HWB nicht nur um den Freistaat Bayern, sondern auch ganz besonders um sein eigenes Privatvermögen verdient gemacht hat. Was also bleibt? Die Hoffnung auf ruhigere Zeiten in Münchens CSU.

10.08.2004: Nun gab es also auch noch Massendemonstrationen gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung! Vor allem im Osten Deutschland schlugen die Wellen der Empörung hoch, denn dort waren sehr viele von der geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe betroffen. Die Demonstranten hofften, ähnlich wie 1989, durch Protest einen Wandel herbeizuführen, doch Bundeskanzler Schräder zeigte sich sowohl unbeeindruckt als auch unnachgiebig und hielt den Protesten stand. Das gelang ihm unter Anderem deshalb, weil er von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt war.

Dort, wo es Menschenmassen gab, waren bekanntlich auch die Populisten nicht weit und der begnadetste unter ihnen, Oswald Afroträne, nutzte die Gunst der Stunde und stellte sich an die Spitze der Bewegung, indem er sogar Bernhard Schräders Rücktritt als Bundeskanzler forderte. Das war mehr als eine bloße Majestätsbeleidigung, schließlich befand sich Afro immer noch als Mitglied in der SPD und unterstützte außerdem seine Saarländer Genossen im Wahlkampf. Nun ja, es ging also ziemlich zur Sache und die linke Protestpartei im Westen, deren Bildung immer näher rückte, wurde zusehends konkreter. Würde sich der rote Oswald dazu herablassen, mit jener gemeinsam in die Schlacht zu ziehen, oder war er sich dafür zu fein? Man wußte es nicht genau, deshalb durfte fleißig spekuliert werden.

19.09.2004: Es hatten mal wieder Landtagswahlen stattgefunden, ausgerechnet im Osten, wo es der SPD eh schon durchs Dach hinein regnete. Aber die Sozialdemokraten bewiesen, daß man mit einem beliebten Spitzenkandidaten die eigenen Verluste in Grenzen halten konnte und so blieb die SPD in Brandenburg stärkste Partei, wenngleich sie auch dort kräftig Federn lassen hatte müssen. Noch schlimmer erging es der CDU in Sachsen, welche auf einmal dazu gezwungen war, mit der SPD, die nicht einmal mehr zehn Prozent der Stimmen dort erreicht hatte, eine Koalition zu bilden. Stark abgeschnitten hatten in beiden Ländern auf der einen Seite die PDS und auf der anderen Seite die Rechtsextremen. Beinahe wäre in Sachsen die NPD so stark wie die SPD geworden, das sagte schon so einiges. Die Wahlbeteiligung ließ natürlich auch, so wie fast immer, zu wünschen übrig, aber irgendwie waren die Volksparteien nichtsdestotrotz sehr erleichtert darüber, nicht noch stärker abgestraft worden zu sein. Ja, die Wählerinnen und Wähler im Osten blieben eben unberechenbar und waren immer für eine Überraschung gut.

Festerbelle fand das alles weniger schön und redete darüber mit Müderle. "Einer geht noch, Brüderchen." "Aber mit Wonne zur Sonne, Festerbelle." Sie tranken ihren Schnaps und lachten. "Diese vermaledeiten Grünen! Diese Müslifresser können einem aber auch wirklich alles verderben! Wegen denen können wir jetzt nicht in Sachsen mit der CDU regieren!" schimpfte Guildo ohne Horn. "Dabei hätten wir so einen Erfolg dringend gebrauchen können. Wie stehen wir denn jetzt da? Die CDU koaliert mit der SPD und wir sind auch noch hinter der NPD gelandet", konstatierte der Weinköniginnenknutscher. "Dabei war es doch eigentlich immer unsere Domäne gewesen, genau 5,1 Prozent der Wählerstimmen zu erreichen und damit gerade so in die Landtage einzuziehen." "Ja, jetzt haben die das auch noch von uns geklaut. Und die blöde CDU wird ebenfalls immer schwächer; wenn das so weitergeht, dann wird das 2006 wieder nichts mit einer schwarz-gelben Bundesregierung." "Keine Sorge, das wuppen wir schon irgendwie. Deutschland braucht uns, denn die Deutschen wollen mal so richtig durchreformiert werden und zwar von hinten." "Wie meinst Du das, mein warmer Bruder?" "Der Stillstand tut dem Land nicht gut. Deutschland und seine Bevölkerung brauchen politisch betrachtet einen Arschfick, um endlich mal wieder auf die Beine zu kommen und anzupacken. Wirtschaftswachstum ist das Ein und Alles, aber das bekommen wir nur, wenn wir die Leute aus ihrer Lethargie reißen." "Na ja, mag sein, daß einigen ein bißchen Feuer unter dem wohlgenährten Hinterteil ganz gut tun würde, aber wir dürfen auch nicht zu radikal werden, sonst machen die Menschen im Land nicht mit." "Ach was! Selbst die CDU ist seit ihrem Leipziger Parteitag auf dem richtigen Weg. Reformen, Durchregieren und raus aus der Krise, so lautet die Devise." "Du bist wirklich immer für einen guten Spruch zu haben, Guildolein." "Aber selbstverständlich und das schätze ich auch so an mir. Habe ich heute eigentlich schon Neuwahlen gefordert?" "Nicht daß ich wüßte." "Gut, dann mache ich das jetzt noch schnell, damit ich das auch wieder erledigt habe, sonst fehlt mir was. Ein Tag, an dem ich keine Neuwahlen in Deutschland fordere, ist nämlich ein verlorener Tag", behauptete Dr. Guildo, der Arzt, dem die Männer vertrauten und stellte sich daraufhin ein weiteres Mal vor eine Kamera, um seine Parolen unter das Volk zu bringen.

Mitte Oktober 2004: Ein Paukenschlag aus der Union! (Stören-Fried)bert Nerz schmiß hin; er wollte sich nicht länger von Gerkel und Feehoffer mobben lassen, weshalb er seine CDU-Führungsämter aufgab. Erst einmal großes Erstaunen und bei manchen auch leichtes Entsetzen. Dabei waren Andrea und Friedberg immer so reformgeil gewesen, sie hatten sich aneinander berauscht, vor allem natürlich an ihren Ideen, wie sie Deutschland vorwärts bringen konnten. Nun sollte das alles mit einem Mal vorbei sein? Gab es denn keinen christdemokratischen Gott, der solche Tragödien verhinderte? In der CSU hielt sich die Trauer in Grenzen. Zwar schätzte man den Kollegen Nerz durchaus wegen seiner fachlichen Kompetenz, aber die soziale Kälte, die da immer aus dem Norden strömte, behagte den Christsozialen nicht wirklich. Wieder einer weniger, ein weiterer Aufrechter, den die harmlos scheinende, brutale Andrea über die Klinge springen hatte lassen. Ja, das Leben in der CDU war kein Ponyhof, dabei hätte man den Friedbert doch noch so sehr gebrauchen können, aber nun war er weg, weg und sie war wieder allein, allein.

Derweil befand sich ein weiterer ehemaliger Würdenträger der CDU vor Gericht und das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, welche sich jedoch nur dem Sachkundigen erschloß. Alfred Panther, deutscher Innenminister von 1993 bis 1998, welcher sich einst als "Schwarzer Sheriff" einen Namen gemacht hatte, mußte sich verteidigen. Das war für einen wie ihn als gelernten Rechtsanwalt natürlich überhaupt kein Problem, aber weil es vor dem Gericht eine Anwaltspflicht gab, mußte er so einen Jungspund neben sich sitzen lassen, der zwar nichts zu sagen und zu fragen hatte, aber halt da zu sein hatte. Als Generalsekretär der hessischen CDU soll Panther mit zwei Mitstreitern 21 Millionen D-Mark in die Schweiz geschafft haben. Das alles wollte auch niemand bestreiten, doch als Straftat sahen es die Angeklagten nicht an, da sie ihrer hessischen CDU immer Geld zukommen ließen, wenn die eins brauchte. Es ging schließlich darum, die Kampagnenfähigkeit der eigenen Partei aufrechtzuerhalten und wenn man das Geld in Deutschland gelassen hätte, dann hätte man nach den damals neuen Gesetzen die Spender offenbaren müssen, was zur Folge gehabt hätte, daß niemand mehr der hessischen CDU Geld gegeben hätte. So redeten sich die Angeklagten heraus und Panther machte das, was er am besten konnte: Er präsentierte sich als Hüter von Recht und Ordnung, der immer nur das Beste für sein Land und seine Partei gewollt hatte. Was für ein aufrechter Kämpfer! So jemanden durfte man einfach nicht verurteilen!

19.11.2004: Schön langsam wurde es ungemütlich in der Union. Zwar hatten sich die Parteispitzen auf einen "Gesundheitskompromiß" geeinigt gehabt, doch weil den der für die CSU zuständige Sozialpolitiker und Gesundheitspolitikfachmann Torsten Feehoffer als "ungerecht" brandmarkte und demzufolge ablehnte, hatte man ihn über die Klinge springen lassen und ihm die Zuständigkeit für die Gesundheitspolitik kurzerhand entzogen. Auf dem CSU-Parteitag war die Stimmung deswegen leicht gedrückt, denn in der Partei sympathisierten viele mit Feehoffer und seiner Kritik. Nichtsdestotrotz setzte sich die Parteispitze bei der Abstimmung, so wie eigentlich immer, selbstverständlich durch und da Feehoffer auf dem Parteitag nicht aufgetreten war, weil er erst gar nicht antanzen hatte wollen, gab es zwar ein deutlich vernehmbares Grummeln bei der Basis, aber einen Aufstand wagte natürlich mal wieder niemand. Sträuber war zufrieden, er hatte für Ruhe in der Union gesorgt und konnte sich seiner Sache wieder recht sicher fühlen.

Ende November 2004: Wenn da eben nicht noch eine andere Baustelle gewesen wäre, die ständig Probleme sowie Ärger verursachte. Bei jener handelte es sich um die bayerische Kultusministerin Marina Kohlfeier, die es mittlerweile geschafft hatte, sich bei allen irgendwie an der Schulpolitik Beteiligten unbeliebt zu machen, was ja an und für sich auch schon eine durchaus beachtliche Leistung darstellt. Außerdem hing ihr immer noch der Stimmenkaufskandal der Münchner CSU wie ein Klotz am Bein und den wurde sie so schnell nicht los. Einer Braus-Tochter wurde schließlich alles Mögliche und Unmögliche zugetraut, deshalb hieß es nun plötzlich auch, zwei der Mitwisser, die sie belasten hätten können, wären mit Jobversprechen ruhig gestellt worden. Was wirklich dahintersteckte wird man wie so oft wohl nie erfahren, fest stand jedenfalls, daß es für die Mari immer enger wurde, denn die Unzufriedenheit mit ihr sowie ihrer Arbeit wuchs und aus der ehemaligen Retterin der Münchner CSU war inzwischen eine selbst schwer gebeutelte, angeschlagene Ministerin geworden, die immer mehr zu einer Belastung für das Kabinett und die ganze CSU mutierte. Was hätte Hans Werner Braus wohl dazu gesagt? Vermutlich alle Journalisten und Kritiker übelst beschimpft und so getan, als wäre seine Tochter das Opfer der Medien, mit der Wahrheit nahm man es im Hause Braus ja nie so genau, von daher war es wohl besser, daß der Alte das nicht mehr erleben mußte.

 

07.12.2004: Das Jahr ging dem Ende entgegen und in der Union herrschten auf einmal Friede, Freude und Eierkuchen. Man war stolz auf sich und Deutschland, nur nicht auf die Bundesregierung, aber alle Unklarheiten und Differenzen waren ausgeräumt worden, man verstand sich wieder prächtig miteinander, die Störenfriede Nerz und Feehoffer waren abgetreten, beziehungsweise zurechtgestutzt worden und so etwas wie vorweihnachtlicher Friede legte sich über die Gemüter. Man bejubelte sich selbst, lobte die eigene Arbeit sowie die tollen Wahlerfolge und beschwor die Geschlossenheit der Union, was im Grunde nichts Anderes bedeutete, als daß die Kritiker endlich die Klappe halten sollten, um den angestrebten Wahlsieg 2006 nicht zu gefährden.

Nur ein Mann fühlte sich nicht sonderlich wohl und war auch nicht gerade glücklich. Herwig-Joachim Karenz hieß der Gute, war Sozialpolitiker der CDU in Nordrhein-Westfalen und wäre gerne wieder ins Präsidium der Partei gewählt worden. Aber er bekam nur 33,8 % der abgegebenen Stimmen, 50,1 Prozent hätten es allerdings schon sein müssen, damit er sein Ziel erreicht hätte. Warum wurde der nette Mann denn so abgestraft? Ganz einfach: Es war wenige Tage vorher bekannt geworden, daß der Schlaukopf 60000 Euro im Jahr und kostenlosen Strom von einer RWE-Tochter bekam und das ohne dafür eine sichtbare Leistung zu erbringen. Das roch schon ein bißchen stark nach Vetternwirtschaft sowie Korruption und war der CDU, insbesondere der nordrhein-westfälischen, welche sich immer lautstark gegen den Filz gewandt hatte, ziemlich peinlich. Na ja, der Mann wird seine Enttäuschung schon überwinden, schließlich bekommt er ja vom Stromriesen Schmerzensgeld und die ständigen Strompreiserhöhungen können ihm auch nichts anhaben.

Ende 2004: Zeit für einen Rückblick, mit Korn, aber ohne Zorn? Nun ja, Schräder und die SPD hatten sich gefangen, in der Wirtschaft würde es heißen, es war ihnen gelungen, sich zu konsolidieren und das war durchaus überraschend, denn die Massenproteste gegen die Agenda 2010 waren noch gar nicht so lange her gewesen. Mittlerweile hatte die Standfestigkeit des Bundeskanzlers für Respekt gesorgt und da sich zeitgleich CDU und CSU wegen der Kopfpauschale monatelang gestritten hatten, strahlte Schräders Schein noch heller als ohnehin. Plötzlich war Rot-Grün in den Umfragen vor Schwarz-Gelb, was nun wirklich fast niemand für möglich gehalten hatte. Aber über dem Berg war die SPD deswegen noch lange nicht, man betrachte da nur die Wahlergebnisse des Jahres 2004:

In Hamburg konnte Uli von Zeust nun mit seiner CDU allein regieren, denn außer seiner Partei hatten es nur die SPD und die Grünen in den Senat geschafft gehabt. In Thüringen freute sich die CDU mit ihrem Ministerpräsidenten Peter Kalthaus über fünf weitere Jahre Alleinherrschaft, denn dort waren neben ihr nur die PDS und die SPD im Landtag gelandet. Die Europawahl hatten wir schon besprochen, im Saarland blieb Dieter Füller mit seiner CDU weiterhin allein an der Macht, auch wenn neben der SPD sowohl die Grünen als auch die FDP (mit sensationellen 5,2 %!) den Einzug ins Parlament geschafft hatten. Sachsen und Brandenburg hatten wir ebenfalls bereits erwähnt, die Kommunalwahlen in NRW gewann die CDU, auch wenn sie deutlich an Stimmen verloren hatte. Was also blieb zusammenfassend zu konstatieren? Es schien wieder aufwärts zu gehen mit den Sozis, das Schlimmste schienen sie hinter sich zu haben, aber so richtig daran glauben, konnten und wollten sie wohl selbst noch nicht. Kein Wunder, denn wenn man jahrelang beschimpft worden ist, dann bleibt man erst mal vorsichtig und nur weil es mal zu regnen aufgehört hat, heißt das noch lange nicht, daß gleich die Sonne scheint.

Zwei Nachträge galt es noch anzubringen. Mit den Stimmen von CDU, CSU und FDP wurde Thorsten Nöler im Mai 2004 zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Außerdem sorgte im Laufe des Jahres, also irgendwann im Sommer, Egmont Sträuber für Schlagzeilen. Eigentlich hatte er nur gesagt gehabt, man dürfe Schräder und Mischer mit ihrer langjährigen Regierungserfahrung nicht unterschätzen, das seien "keine Leichtmatrosen". Daraus machten die Medien natürlich sofort, Sträuber hätte Gerkel und Festerbelle als "Leichtmatrosen" bezeichnet. Möge sich dazu jede/r selbst ein Urteil bilden, damit endet die Betrachtung jenes Jahres endlich.

20.02.2005: Ein neues Jahr begann, aber wie! Ende 2004 hatte es eine große Katastrophe in Südostasien gegeben, ein Tsunami hatte dort für viele Tote und eine unglaubliche Zerstörung gesorgt. Die Deutschen spendeten fleißig, um etwas zum Wiederaufbau dort beizutragen und so wie immer bei Krisen, profitierte zunächst die Bundesregierung in den Meinungsumfragen von jenem Ereignis, denn sie konnte handeln, indem sie Gelder für die Opfer und Geschädigten bereitstellte. Sogar das Lied "Perfekte Welle" von "Juli" wurde aus den Musikprogrammen der Radiosender genommen, weil es in dem Zusammenhang irgendwie zynisch erschien. Na ja, jedenfalls wartete das politische Deutschland ganz gespannt auf die Landtagswahl in Schleswig-Holstein, denn jene würde zeigen, ob Rot-Grün noch eine Chance hatte, oder ob schon alle Zeichen auf Schwarz-Gelb standen. Das Wahlergebnis vom 20.Februar 2005 zeigte Folgendes: Weder noch. Zwar lag die CDU eineinhalb Prozentpunkte vor der SPD und die FDP hatte einen Vorsprung von knapp einem halben Prozent auf die Grünen, aber da der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der als Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit im Land von der Fünf-Prozent-Hürde befreit war, mit 3,6 % der Wählerstimmen ebenfalls in den Landtag eingezogen war, reichte es für Schwarz-Gelb um Haaresbreite nicht. Heike Bisonis war nach 12 Jahren an der Spitze der Landesregierung zwar enttäuscht darüber, daß ihre SPD mit den Grünen keine Mehrheit erreicht hatte, dennoch wollte sie die Gunst der Stunde nutzen, den SSW mit ins Regierungsboot holen und so an der Macht bleiben. Das fand Peer Larry Garstensen, ein Bär von einem Mann und der Spitzenkandidat der CDU, überhaupt nicht lustig, aber er konnte es auch nicht verhindern. Wieder mal hatte die FDP enttäuscht und nicht die anvisierten Prozente an Wählerstimmen erreicht gehabt. Es war ein langer Wahlabend in Kiel gewesen und es hatte lange Zeit so ausgesehen gehabt, als würde es für CDU und FDP reichen, doch wer mit Carstensen als Regierungschef eingeschlafen war, erwachte am nächsten Morgen mit Heike Bisonis als Ministerpräsidentin. Auf dem Land war Schwarz-Gelb klar bevorzugt worden, doch in den Städten hatte Rot-Grün die Nase vorn. So hing also alles vom kleinen SSW ab, der politisch wesentlich näher bei Rot-Grün stand und deshalb das Bündnis mit jenen beiden Parteien wagen wollte.