Kein Himmel über Berlin?

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I. Himmel und Metropole



Am Anfang stand ein simpler Verwaltungsakt. Das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ wurde am 27. April 1920 von SPD und USPD ins Preußische Parlament eingebracht und konnte – dank Enthaltung der katholischen Zentrumspartei – am 1. Oktober des gleichen Jahres in Kraft treten. Dadurch entstand das politisch-soziale Ballungszentrum

Groß-Berlin

 mit 3,8 Millionen Einwohnern: gebildet aus Alt-Berlin (1,9 Millionen), sieben angrenzenden Städten (1,2 Millionen) sowie 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken (0,7 Millionen), die von jetzt ab einer gemeinsamen urbanen Region angehörten. Damit wurde die zu damaliger Zeit drittgrößte Metropole der Welt aus der Taufe gehoben. In ihr lebten 1930 bereits 4,3 Millionen Einwohner, darunter 440.000 Katholiken.





Ein religiös-politischer Erinnerungsort



Tatsächlich hat die Millionen-, Kaiser- und Weltstadt seit dem Ende des Ersten Weltkriegs wüste Kapriolen hinter sich gebracht. In den Goldenen Zwanzigerjahren galt Berlin als europäische Hauptstadt des Amüsements und Nachtlebens. Dadaisten und Surrealisten eroberten die Bühnen. In Bars wurde Jazz gespielt, und die Berliner tanzten dazu. Aber nach dem Zwischenspiel der Jahre 1924 bis 1929, die so golden nicht waren, wirbelten Willkür und Wahn, Terror und Teilung bald alles durcheinander. Vielfalt und Intellektualität der Metropole wurden systematisch zerstört. Wie viele Reiche zerbrachen in den letzten hundert Jahren? Wie viel Vernichtung und Tod? Wie viele größenwahnsinnige und verbrecherische Pläne, geschmiedet in Berlin, endeten auf dem Trümmerhaufen der Geschichte?



Karl Jaspers, der in den 1920er-Jahren von der Medizin zur Geisteswissenschaft gewechselt war, verfügte über eine umfassende Kenntnis psychiatrischer Krankheitssymptome. Der Philosoph erwies sich daher als besonders geeignet, heraufziehende Krisen und Verwerfungen zu beschreiben. In seiner 1931 publizierten Analyse

Zur geistigen Situation der Zeit

 hat er festgehalten: „Dem Glauben an den Anbruch einer großartigen Zukunft steht das Grauen vor dem Abgrund, aus dem keine Rettung mehr ist, entgegen. Es ist wohl ein Bewusstsein verbreitet: Alles versagt; es gibt nichts, das nicht fragwürdig wäre; nichts Eigentliches bewährt sich; es ist ein endloser Wirbel, der in gegenseitigem Betrügen durch Ideologien seinen Bestand hat. Das Bewusstsein des Zeitalters löst sich von jedem Sein und beschäftigt sich mit sich selbst. Wer so denkt, fühlt sich zugleich selbst als nichts. Sein Bewusstsein des Endes ist zugleich Nichtigkeitsbewusstsein seines eigenen Wesens.“

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Um diesem tief im Untergrund wirksamen Bewusstsein eigener Nichtigkeit etwas entgegenzusetzen, sollte auf dem Boden der deutschen Hauptstadt Germania die bombastische Kapitale eines „Tausendjährigen Reiches“, imposanter als Paris und Rom, entstehen. „Nicht ,Werke für die Ewigkeit‘ vermochte Hitler im Vorkriegs-Berlin zu erkennen, sondern lediglich Bauwerke ,für den augenblicklichen Bedarf‘. Hier ist der Urantrieb seiner Bausucht zu begreifen, die später in Albert Speer ihr williges und ehrgeiziges Werkzeug findet: die Fixierung in Stein als sinnfälliger Ausdruck eines ,Tausendjährigen Reiches‘ von eschatologischer Kraft.“

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 Der verhinderte Architekt Hitler entwarf dazu mit Speer, seinem Rüstungsminister und Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, gigantomanische Zukunftspläne mit dem größten Versammlungsort auf dem Globus. „Die größte bis dahin erdachte Versammlungshalle der Welt“, beschreibt Speer Hitlers Pläne für die „Große Halle des Volkes“, „bestand aus einem Raum, der 150.000 bis 180.000 stehende Zuhörer fassen konnte. Im Grunde handelte es sich um einen Kultraum, der im Lauf der Jahrhunderte durch Tradition und Ehrwürdigkeit eine ähnliche Bedeutung gewinnen sollte wie St. Peter in Rom für die katholische Christenheit. Ohne einen solchen kultischen Hintergrund wäre der Aufwand für Hitlers Zentralbau sinnlos und unverständlich gewesen.“

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 Die „Große Halle“ sowie ein sieben Kilometer langer und 120 Meter breiter Boulevard mit einem gewaltigen Triumphbogen von 170 Metern Breite und 117 Metern Höhe sollten – da, wo sich in mittelalterlichen Städten die Kathedralen befanden – zum neuen Zentrum von „Germania“ werden: das „image des civilisations totalitaires“. Im Mai 1945 wurde der zukünftige Bauplatz der „Welthauptstadt“ von der Roten Armee erobert und von den Alliierten, die zu vier Besatzungsmächten wurden, in Sektoren aufgeteilt.



Aber schon bald fand das Welttheater des Kalten Krieges in Berlin seine beste Bühne. Die deutsche Metropole wurde gleich auf doppelte Weise neu erfunden: als

sozialistische Musterstadt

 und als

Schaufenster der freien Welt

. „Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“, rief der Regierende Bürgermeister von Berlin am 9. September 1948 Hunderttausenden in der blockierten Halbstadt zu. „Es gibt nur eine Möglichkeit für uns alle: gemeinsam so lange zusammenzustehen, bis dieser Kampf gewonnen ist, bis dieser Kampf endlich durch den Sieg über die Feinde, durch den Sieg über die Macht der Finsternis besiegelt ist.“

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 Ernst Reuters religiös konnotierte Botschaft an die Welt macht deutlich: Die geteilte Hauptstadt bleibt eine himmelschreiende Wunde, ein städtischer Raum, aufgeladen mit symbolischer Bedeutung. Nur hier konnte sich darum ein so elektrisierender Augenblick ereignen, wie ihn die weltberühmte

Freiheitsrede

 markiert. Die unübersehbare Menschenmenge vor der Rednertribüne bei der Ruine des Reichstagsgebäudes ist daher zu einer

Ikone

 kollektiver Erinnerung geworden. Ein unvergesslicher

Erinnerungsort

 aus der Frühgeschichte des Kalten Krieges: Als Reuter auf dem Höhepunkt der sowjetischen Blockade der Westsektoren ans Mikrofon trat, schauten tatsächlich die Völker der Erde auf diese Stadt; der Funke sprang über; seine Worte erzeugten ein Echo, das weltweit Widerhall fand; die sowjetische Blockade wurde schließlich aufgehoben, und die Halbstadt West-Berlin begann zu florieren.



Dem Lebenskünstler, Lyriker und Maler Günter Bruno Fuchs (1928 – 1977) gelingt in seinem Gedicht

Berlin

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 aus dem Jahr 1957 eine beeindruckend-bedrohliche Momentaufnahme der Atmosphäre im Nachkriegsberlin. Die Viersektorenstadt gilt ihm als „Würfelbrett und Jagdrevier“ der Besatzungsmächte. „Der Bär ist noch das Wappentier“, aber die Zukunft erscheint ungewiss, wobei Leben und Sterben („Webers Trauermagazin“) weiter ihren Gang gehen – und die Spree beide Halbstädte heilsam-„bettelnd“ verbindet.





Berlin





Drei Strophen Sonntagssouvenir:



Der Himmel färbt die Dächer leise.



Die Stadt, ein Würfelbrett und Jagdrevier,



summt ihre viergeteilte Weise.



Der Bär ist noch das Wappentier.



Der Hund des Kohlenhändlers bellt.



Nachmittagsstunde. Straßenstille.



Im Rinnstein singt der Zeichner Werner Heldt



den Nekrolog von Peter Hille



auf eine unerlöste Welt.



Vom höchsten Charité-Kamin



fällt eine Zeile Rauch herab



auf die Fassade: Webers Trauermagazin –



(Tritt im Zylinder an des Liebsten Grab!)



Die Spree geht bettelnd durch Berlin.



„Solange eine S-Bahn-Fahrkarte genügte, um ins westliche Deutschland zu gelangen, schien für viele Deutsche im Osten die deutsche Frage noch offen zu sein; es schien nicht alles entschieden und noch Hilfe aus dem Westen möglich. Der Mauerbau zerstörte die Einheitshoffnungen in der DDR, nicht mit einem Mal, aber allmählich. Das ,Schaufenster des Westens‘ war vernagelt, die ,Speerspitze der Freiheit‘ stumpf, die ,Brücke‘ zwischen den Deutschen abgebrochen, das ,Symbol der Einheit‘ zum Monument der Trennung geworden.“

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 Spätestens mit dem Mauerbau 1961 wurde das Brandenburger Tor zum symbolisch nicht zu überbietenden

Gedächtnisort

 globaler Teilung: Berlin, die einzig geteilte Stadt der Erde mit einer später bis zu 4,10 m hohen und 16 cm starken, L-förmigen Betonplattenwand. Die mehrmals erneuerte Berliner Mauer hatte schließlich eine Gesamtlänge von 166 km, wobei 45,9 km auf den innerstädtischen Bereich entfielen, 120 km auf die Grenze zwischen dem Westteil der Stadt und der DDR. Die einstige Weltmetropole vereinigte damit in sich die

beiden Halbstädte (West) mit 2,2 Mio. und (Ost) mit 1,2 Mio. Menschen

.



„Berlin hat bis heute keinen Frieden gefunden. Es ist nie zur Normalität zurückgekehrt. Es führt seit fast fünfzig Jahren ein Inseldasein zwischen den Fronten des alten Krieges, ein Niemands-Land, das noch dazu seit bald 30 Jahren durch eine Mauer geteilt ist: ein geteiltes Bruchstück. Welche Stadt kann das aushalten? Aus der extrovertierten Weltmetropole wurde die introvertierte Insel, in der die Spannungselemente wie unter Laborbedingungen aufeinanderprallen. Linke und Rechte, Alternative und Konservative, Ausländerproblem und Studentenprotest – alles tritt in Berlin unverhüllter und schärfer zutage. Die deutschen Verhältnisse finden in Berlin ihren deutlichsten Ausdruck, einschließlich des Besatzungsregimes, unter dem die Stadt fast ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende immer noch lebt“, schreibt Heinrich Jaenecke im Sommer 1989 vor allem mit Blick auf den Westteil der Stadt.

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 Dass Berlin tatsächlich neuralgischer Punkt globaler Konflikte und intellektuelles Zentrum der Ost-West-Konfrontation war, bringt Boris Groys zum Ausdruck: Viele Intellektuelle, so der Philosoph, „waren stark elektrisiert, waren enerviert, involviert, alle hatten das Empfinden, Medium der Weltpolitik zu sein, an einem Ort zu leben, der mit der ganzen Welt nicht nur äußerlich, sondern innerlich verbunden ist. Durch ihre Körper und ihr Nervensystem waren sie in Netze eingebunden; sie empfanden körperlich nach, wie die Welt sich fühlte – das hat mir gefallen.“

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An keinem anderen Ort auf dem Globus waren daher Glücksmomente und Freudentränen beim Fall des Eisernen Vorhangs heftiger als hier. „Die Bilder von den jubelnden, Sekt versprühenden, ohnmächtigen Wasserwerfern standhaltenden Menschen auf der Mauer sind zum Zeichen für das Ende einer leidvollen Epoche, ja einer ganzen Jahrhundertgeschichte geworden. Diese ökumenische Bedeutung wird das Brandenburger Tor behalten; in der Nacht vom 9./10. November 1989 wurde es umgetauft.“

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Dass sich Geschichte nicht nur in der Zeit, sondern auch im Raum ereignet, darauf hat Karl Schlögel aufmerksam gemacht. Immer wieder kommt der Historiker auf die Friedliche Revolution zu sprechen; sie markiert für ihn einen welthistorischen Einschnitt: „Nicht nur ein Imperium hatte sich aufgelöst, sondern auch der Raum, der Ostblock hieß. Nicht nur eine politische Revolution hatte sich ereignet, sondern eine ,Raumrevolution‘, die keinen Aspekt des Lebens unberührt gelassen hatte. 1989 war das Datum, das das Ende der Nachkriegszeit bezeichnete, die Berliner Mauer war der Ort, an dem sie zu Ende gegangen war. Unter den Augen der bald hoffnungsfrohen, bald verängstigten Zeitgenossen lief ein Lehrstück ab, um das andere Generationen sie beneidet haben würden. Sie wurden Augenzeugen, wie die Welt aus dem einen in einen anderen Zustand, aus dem Davor in ein Danach überging.“

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 Tatsächlich ist Berlin seit 1991 wieder Regierungssitz. Angesichts der dramatischen Raum-Revolution wird aber zugleich klar: Die Metropole an der Spree ist mehr als eine große Stadt. Sie ist gesellschaftspolitischer Brennpunkt für ein ganzes Land und mehr: kulturelles Zentrum mitten in Europa. „Was die Stadt Berlin interessant macht“, erklärt der Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn, sei „ihre selbstauferlegte Nötigung, mit dem Sitz von Regierung und Parlament, nicht nur die ,Kapitale‘ des vereinten Deutschland zu sein, sondern ebenso als kulturelle Metropole möglichst rasch wieder jenen Weltruf zu erlangen, den sie einst in den Zwischenkriegsjahren des 20. Jahrhunderts besaß.“

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Was Räume und Orte angeht, die für den „christlichen Glauben“ besondere Relevanz besitzen, haben die beiden Kirchenhistoriker Christoph Markschies und Hubert Wolf eine Pionierleistung vollbracht. Das von ihnen herausgegebene Lese- und Studienwerk trägt den Titel

Erinnerungsorte des Christentums

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. Damit nehmen die bekannten Wissenschaftler den ganzen Orbis christianus in den Blick. Einleitend zu ihrem Sammelband bemerken die Forscher: Die Identitätsstiftung des Glaubens beruht ganz wesentlich auf „memoria“. Sie greifen damit das Konzept der „Erinnerungsorte“ und geistigen Kristallisationspunkte des französischen Historikers Pierre Nora auf, geben dem Ganzen aber eine spezifische Begründung. „Erinnerung ist nicht irgendeine periphere theologische Kategorie des Christentums. Im Gegenteil. Gedächtnis ist ein theologischer Zentralbegriff, denn als Offenbarungsreligion ist das Christentum eine Erinnerungsreligion.“

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Die beiden Theologen bieten eine beeindruckende Topografie des Glaubens. Dazu schicken sie vierzig Autoren ins Treffen, um das Terrain des Christentums sorgfältig zu vermessen. Bei dieser Kartierung entsteht das Panorama einer Erinnerungsreligion mit buchstäblichen und metaphorischen „Orten“. Keine Frage: Vor allem die sieben „Zentralorte“ mit

Rom

 (Walter Kasper),

Konstantinopel

 (Martin Tamcke), dem calvinistischen

Genf

 (Jan Rohls) und lutherischen

Wittenberg

 (Wolfgang Huber) vermitteln eine lebhafte Vorstellung davon, was es überhaupt heißt, Christ zu sein und eine konfessionelle Identität zu besitzen.



Aber anders, als die ambitionierte Einleitung in Aussicht stellt: nämlich – um es mit Friedrich Schleiermacher zu sagen – gerade den „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ eine Vorstellung davon zu vermitteln, was Glauben in der Gegenwart heißt, steht dieser „nachbarschaftliche“ Aspekt nicht im Vordergrund. Es scheint vielmehr, als würde zum Verstehen des Bandes bereits eine allgemeine „Christlichkeit“ als etwas „Normales“ vorausgesetzt. Davon ist aber immer weniger auszugehen. Ostdeutschland bietet dafür Anschauungsunterricht – fast 75 Prozent der dort lebenden Menschen gehören keiner Religion an. Wo jedoch – wie auch in Berlin – bald drei Viertel der Bevölkerung nicht mehr getauft sind, ist Christsein etwas Erklärungsbedürftiges und Besonderes. Ein genaueres Hinsehen, das die Existenz von Nichtglaubenden und anderen Religionen ins christliche Sprechen und Argumentieren einbezieht, erscheint daher unbedingt notwendig.



Wenn selbst Erinnerungsorte in

Dresden

 und

Leipzig

 in dem Sammelband als Chiffren für Kunst bzw. Kirchenmusik behandelt werden – warum ist dann die geistige, politische und theologisch-kirchliche Topografie von

Berlin

 für Christsein in Deutschland ein Totalausfall? Dieser Band unternimmt den Versuch, diese Leerstelle zu füllen.





Kirche in Berlin: Spiegel der Zeitgeschichte



„Dieses Kreuz passte wirklich nur für Berlin“, erklärt mir Wolfgang Weider, als ich ihn auf sein erstes Brustkreuz anspreche. Er trug es ab 1982 als Berliner Weihbischof und wurde damit im gesamten Bistum bekannt. Weider: „Mir kam der Gedanke, etwas von der zerrissenen Situation unserer Stadt auf meinem Bischofskreuz darzustellen.“ Wer heute die Unterkirche von St. Hedwig besucht, findet dieses sprechende Erinnerungsstück, das von dem Künstler Hubert Kleemann aus Neu-Zittau gestaltet wurde, in der kleinen Domschatzkammer. Wie eine Dornenkorne sind da die Konturen der Stadt im Schnittpunkt des Kreuzes abgebildet – für mich ist das die kürzeste Predigt über eine ganze Epoche. „Dieses Kreuz mit dem Hinweis auf die Mauer und West-Berlin war in der damaligen politischen Situation für die ,roten Machthaber‘ natürlich eine Provokation. Ich wurde zwar nie darauf angesprochen, weiß aber heute, dass die Staatssicherheit dieses Symbol sehr wohl verstanden hat“, meint der Weihbischof emeritus nachdenklich.



Tatsächlich spiegelt das Schicksal der katholischen Kirche in der Hauptstadt gemeinsam-geteilte deutsche Vergangenheit in besonderer Weise. Das 1930 gegründete Bistum wurde nach dem Mauerbau – anders als sämtliche Gesamtberliner Institutionen, darunter auch die Evangelische Kirchenprovinz – nicht zerstückelt, sondern konnte seine kirchenpolitische Einheit entlang der systempolitischen Demarkationslinie des Kalten Krieges verteidigen. Nicht zuletzt wurde dies durch die Politik von Kardinal Preysing (1880 – 1950) vorbereitet, der 1947 alle Priester des Bistums dazu verpflichtete, „Erklärungen zu Zeitfragen“ nicht abzugeben. Für solche Statements im Namen der katholischen Kirche sei vielmehr „die Gesamtheit der Bischöfe Deutschlands“ zuständig. Es blieb Wilhelm Weskamm, Preysings Nachfolger, mit seiner ostdeutschen Diasporaerfahrung vorbehalten, auf dem 75. Deutschen Katholikentag 1952 in Berlin zum Bau einer Gedenkkirche zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit aufzurufen. Dieser Plan, der schließlich in

Maria Regina Martyrum

 seine Ausführung fand, wurde von den Machthabern im Ostteil Berlins als Zeichen kirchlich-katholischer Selbstvergewisserung durchaus wahrgenommen.



Das war und ist für katholische Berliner ein Grund, das Pontifikat von Alfred Bengsch (1961 – 1979) als „Bewahrer der Einheit“ besonders in Ehren zu halten. „Der Rat der EKD, deren Vorsitzender Präses Scharf ist“, hieß es dagegen im

Neuen Deutschland

 wenige Wochen nach dem Mauerbau, „hat durch seine offizielle Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag der westdeutschen Kirche mit Adenauer und Strauß die schwere Verantwortung und volle Schuld für diese verhängnisvolle Unterwerfung der westdeutschen und Westberliner Kirchenleitungen unter das Kommando der NATO auf sich geladen.“ Wer solche „aggressiven Zielsetzungen“ wie Präses Dr. Scharf und der Rat der EKD vertrete, der könne „selbstverständlich nicht auf dem Territorium der DDR und ihrer Hauptstadt wirksam sein“

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.



Dem gebürtigen Berliner Bengsch dagegen gelang es, die Einheit des Bistums nicht zuletzt durch einen Amtssitzwechsel in Richtung Osten abzusichern. Als die DDR das „Fluchtloch“ zumauerte, entging der sechste Oberhirte des 1930 gegründeten Bistums jenem Schicksal, das am 13. August 1961 Präses Scharf als Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ereilte: die Aussperrung. Drei Tage nach dem Mauerbau dagegen konnte der im Osten lebende Weihbischof – als Nachfolger von Julius Kardinal Döpfner (1957 – 1961) – zum neuen Gesamtberliner Oberhirten ernannt werden.



Dass der kirchenpolitische Weg der Berliner Katholiken jedoch alles andere als klar und deutlich vorgezeichnet war, geht aus einem Brief von Döpfner, der bald darauf Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz wurde, an Bengsch hervor: „Lieber Alfred! Mit tiefer Sorge schreibe ich dir diese Zeilen, die dir wohl qualvolle Überlegungen bereiten, da ich glaube, dir neue Entschlüsse empfehlen zu müssen.“ Der Münchener Erzbis