Kostenlos

Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Zehnter Band: enthaltend Kapitel 19 und 20.

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Zusammentritt des Parlaments

Wenige Tage nach dem Schlusse der Untersuchungen in Manchester kehrte Wilhelm nach England zurück. Am 12. November, nur achtundvierzig Stunden nach seiner Ankunft in Kensington, traten die Häuser zusammen. Er beglückwünschte sie wegen des verbesserten Standes der Dinge. Sowohl zu Lande als zur See seien die Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres im Ganzen genommen den Verbündeten günstig gewesen; die französischen Armeen hätten keine Fortschritte gemacht, die französischen Flotten hätten sich nicht zu zeigen gewagt; dessenungeachtet aber könne ein sicherer und ehrenvoller Friede nur durch kräftige Fortführung des Kriegs erlangt werden, und der Krieg könne ohne große Geldmittel nicht nachdrücklich fortgesetzt werden. Wilhelm erinnerte sodann die Gemeinen, daß die Acte, durch die sie der Krone auf vier Jahre das Tonnen- und Pfundgeld bewilligt, ihrem Erlöschen nahe sei, und sprach die Hoffnung aus, daß sie erneuert werden würde.

Tillotson’s Tod

Nachdem der König gesprochen hatte, vertagten sich die Gemeinen aus einem Grunde, den kein Schriftsteller erörtert hat, auf eine Woche. Ehe sie sich wieder versammelten, trat ein Ereigniß ein, das im Palaste und in allen Reihen der Niederkirchenpartei große Betrübniß verursachte. Tillotson wurde plötzlich krank, während er in der Kapelle von Whitehall dem Gottesdienste beiwohnte. Rasche Hülfe hätte ihn vielleicht retten können; aber er wollte die Gebete nicht unterbrechen und nach beendigtem Gottesdienste war seine Krankheit durch die Heilkunst nicht mehr zu heben. Er war fast gänzlich der Sprache beraubt; aber seine Freunde erinnerten sich noch lange mit Vergnügen einiger abgebrochener Ausrufe, welche bewiesen, daß er sich bis zum letzten Augenblicke eines ungetrübten Seelenfriedens erfreute. Er wurde in der Kirche Saint Lawrence Jewry unweit Guildhall beigesetzt. In dieser Kirche hatte er sich seinen glänzenden Ruf als Kanzelredner erworben. Hier hatte er während der dreißig Jahre gepredigt, die seiner Erhebung auf den Thron von Canterbury vorangingen. Seine Beredtsamkeit hatte Massen von Gelehrten und Gebildeten aus den Inns of Court und aus den Palästen von St. James und Soho ins Herz der City gezogen. Ein ansehnlicher Theil seiner Zuhörerschaft hatte in der Regel aus jungen Geistlichen bestanden, welche kamen, um zu den Füßen des Mannes, der allgemein für den ersten Kanzelredner galt, die Kunst des Predigens zu erlernen. Nach dieser Kirche wurde jetzt seine irdische Hülle durch eine trauernde Bevölkerung getragen. Der Bahre folgte ein endloser Zug glänzender Equipagen vom Lambeth durch Southwark und über die Londonbrücke. Burnet hielt die Leichenrede. Auf sein weiches und braves Herz stürmten so viel rührende Erinnerungen ein, daß er mitten in seinem Vortrage innehielt und in Thränen ausbrach, während ein lautes Gemurmel des Schmerzes durch die ganze Versammlung lief. Die Königin konnte von ihrem Lieblingslehrer nicht ohne Thränen sprechen. Selbst Wilhelm war sichtbar ergriffen. „Ich habe,” sagte er, „den besten Freund verloren, den ich je gehabt, und den besten Menschen, den ich je gekannt.” Der einzige Engländer, der in jedem der zahlreichen Briefe, welche der König an Heinsius schrieb, mit Wohlwollen erwähnt wird, ist Tillotson. Der Erzbischof hatte eine Wittwe hinterlassen. Wilhelm setzte ihr ein Jahrgeld von vierhundert Pfund aus, das er später auf sechshundert Pfund erhöhte. Seine ängstliche Fürsorge, daß sie ihre Pension regelmäßig und ohne Verzögerungen ausgezahlt erhielt, machte ihm alle Ehre. Zu jedem Quartaltermin ließ er sich das Geld ohne jeden Abzug bringen und schickte es ihr selbst direct zu. Tillotson hatte ihr außer einer großen Anzahl Predigten in Manuscript kein Vermögen hinterlassen. Sein Name war bei seinen Zeitgenossen so berühmt, daß diese Predigten von den Buchhändlern für die kaum glaubliche Summe von zweitausendfünfhundert Guineen angekauft wurden, was bei der damaligen kläglichen Beschaffenheit des Silbergeldes mindestens soviel war als dreitausendsechshundert Pfund. Ein solcher Preis war in England noch nie für das Verlagsrecht eines Werks bezahlt worden. Um die nämliche Zeit erhielt Dryden, dessen Ruhm damals auf dem Höhepunkt war, für seine Uebersetzung der sämmtlichen Werke Virgil’s dreizehnhundert Pfund, und man hielt dies für ein glänzendes Honorar.264

Tenison, Erzbischof von Canterbury

Es war nicht leicht, die hohe Stelle, welche durch Tillotson’s Tod zur Erledigung gekommen war, in zufriedenstellender Weise zu besetzen. Marie stimmte für Stillingfleet und betrieb seine Ansprüche so nachdrücklich, wie sie überhaupt je etwas zu betreiben wagte. In Bezug auf Talente und Kenntnisse waren ihm wenige Mitglieder der Geistlichkeit überlegen. Aber obgleich er von Jane und South wahrscheinlich als ein Niederkirchlicher betrachtet worden wäre, so war er doch Wilhelm noch zu hochkirchlich, und daher wurde Tenison ernannt. Der neue Primas war zwar kein besonders ausgezeichneter Kanzelredner oder Gelehrter, aber er war rechtschaffen, besonnen, fleißig und wohlwollend; er war ein guter Rector eines großen Kirchspiels und ein guter Bischof einer großen Diöcese gewesen; die Verleumdung hatte seinen Namen noch nicht begeifert, und man durfte wohl hoffen, daß ein Mann von gesundem Verstande, Mäßigung und Rechtschaffenheit die schwierige Aufgabe, eine mißvergnügte und zerrissene Kirche zu beruhigen, mit besserem Erfolge lösen werde, als ein Mann von glänzendem Genie und hochfliegendem Sinne.

Inzwischen hatten die Gemeinen ihre Geschäfte begonnen. Sie bewilligten freudig ungefähr zwei Millionen vierhunderttausend Pfund für die Armee und eben so viel für die Flotte. Die Grundsteuer wurde für das nächste Jahr abermals auf vier Shilling vom Pfunde festgesetzt; die Tonnengeldacte wurde auf fünf Jahre erneuert und ein Fond gegründet, auf den die Regierung zwei und eine halbe Million aufnehmen durfte.

Debatten über die gerichtlichen Verfolgungen in Lancashire

In beiden Häusern wurde einige Zeit auf die Discutirung der Manchesterprozesse verwendet. Wären die Mißvergnügten klug gewesen, so würden sie sich mit dem schon errungenen Vortheile begnügt haben. Ihre Freunde waren in Freiheit gesetzt worden. Die Engländer waren mit Mühe einer wüthenden Menge entronnen. Der Ruf der Regierung war bedeutend erschüttert. Die Minister wurden in Prosa und in Versen, bald im Ernst, bald im Scherz beschuldigt, eine Bande Schurken gemiethet zu haben, um durch meineidige Aussagen achtbare Gentlemen an den Galgen zu bringen. Selbst gemäßigte Politiker, welche diesen niederträchtigen Beschuldigungen keinen Glauben schenkten, gaben zu, daß Trenchard sich den Schurkereien Fuller’s und Young’s hätte erinnern und gegen solche Elende wie Taaffe und Lunt auf seiner Hut sein sollen. Die Gesundheit und der Lebensmuth des unglücklichen Sekretärs hatten gelitten. Man sagte, daß er dem Grabe entgegenwanke, und es war gewiß, daß er nicht lange mehr die Siegel führen werde. Die Tories hatten einen großen Sieg gewonnen, aber in ihrem Eifer, denselben zu benutzen, verwandelten sie ihn in eine Niederlage.

Bald nach Eröffnung der Session beschwerte sich Howe mit seiner gewohnten Heftigkeit und Bitterkeit über die Unwürdigkeiten, denen schuldlose und ehrenwerthe Männer von hoher Geburt und hohem Ansehen durch Aaron Smith und die von ihm bezahlten Schurken unterworfen worden seien. Die Whighäupter verlangten mit richtigem Takte eine Untersuchung. Jetzt begannen die Tories Ausflüchte zu machen, denn sie wußten wohl, daß eine Untersuchung ihrer Sache nur schaden konnte. Der Fall, sagten sie, sei untersucht worden, eine Jury habe ihr Verdict abgegeben, das Verdict sei ein definitives gewesen, und es würde monströs sein, wollte man den falschen Zeugen, welche mit Steinwürfen aus Manchester getrieben worden, Gelegenheit geben, ihr eingelerntes Pensum zu wiederholen. Die Antwort auf dieses Argument lag sehr nahe. Das Verdict war ein definitives in Bezug auf die Angeklagten, nicht aber in Bezug auf die Ankläger. Die Ankläger waren jetzt ihrerseits Angeklagte und hatten Anspruch auf alle Rechte Angeklagter. Daraus, daß die Gentlemen von Lancashire des Hochverraths nicht schuldig befunden worden waren und dies ganz angemessener Weise, folgte noch nicht, daß der Staatssekretär oder der Prokurator des Schatzes sich der Parteilichkeit oder auch nur der Uebereilung schuldig gemacht hatten. Das Haus beschloß mit hundertneunzehn gegen hundertzwei Stimmen, daß Aaron Smith und die beiderseitigen Zeugen vorgeladen werden sollten. Mehrere Tage vergingen unter Verhören und Kreuzverhören und die Sitzungen dauerten zuweilen bis spät in die Nacht. Es wurde bald klar, daß die Anklage nicht ganz grundlos und daß einige der freigesprochenen Personen wirklich bei hochverrätherischen Plänen betheiligt gewesen waren. Die Tories würden sich jetzt mit einer unentschiedenen Schlacht begnügt haben; aber die Whigs waren nicht gemeint, ihren Vortheil aus der Hand zu geben. Es wurde beantragt, daß hinreichender Grund zu dem Prozeßverfahren vor der Specialcommission vorhanden gewesen sei, und dieser Antrag ging ohne Abstimmung durch. Die Opposition schlug die Einschaltung einiger Worte vor, welche erklärten, daß die Kronzeugen falsch geschworen hätten; aber diese Worte wurden mit hundertsechsunddreißig gegen hundertneun Stimmen verworfen, und mit hundertdreißig gegen siebenundneunzig Stimmen resolvirt, daß eine gefährliche Verschwörung existirt habe. Die Lords hatten währenddem denselben Gegenstand berathen und waren zu dem nämlichen Schlusse gelangt. Sie schickten Taaffe wegen Wahrheitsverdrehung ins Gefängniß und nahmen Beschlüsse an, welche sowohl die Regierung als auch die Richter von jedem Tadel freisprachen. Das Publikum blieb jedoch nach wie vor der Ueberzeugung, daß die in Manchester zur Untersuchung gezogenen Personen ohne Grund verfolgt worden seien, bis ein jakobitisches Complot von empörender Abscheulichkeit, dessen die Verschwörer durch entscheidende Beweise überführt wurden, einen heftigen Rückschlag der öffentlichen Meinung herbeiführte.265

 

Unterdessen waren drei Bills, welche in früheren Jahren wiederholt berathen und von denen zwei vergebens am Fuße des Throns überreicht worden waren, aufs Neue eingebracht worden: die Stellenbill, die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen, und die Dreijährigkeitsbill.

Die Stellenbill

Die Stellenbill kam nicht vor die Lords. Sie wurde im Unterhause dreimal gelesen, aber nicht angenommen. Noch im letzten Augenblicke wurde sie mit hundertfünfundsiebzig gegen hundertzweiundvierzig Stimmen verworfen. Howe und Harley waren Stimmenzähler für die Minorität.266

Die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen

Die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen kam auch diesmal wieder vor die Peers. Wiederum fügten Ihre Lordschaften ihr die Klausel bei, die ihr früher verderblich geworden war, und wiederum weigerten sich die Gemeinen, der erblichen Aristokratie irgend ein neues Vorrecht einzuräumen. Es wurden wieder Conferenzen gehalten und Gründe ausgetauscht; beide Häuser waren wieder hartnäckig, und die Bill fiel abermals.267

Die Dreijährigkeitsbill angenommen

Die Dreijährigkeitsbill war glücklicher. Sie wurde am ersten Tage der Session eingebracht und ging leicht und rasch durch beide Häuser. Die einzige Frage, über welche sich ein ernsthafter Streit entspann, war die, wie lange das gegenwärtige Parlament fortbestehen solle. Nach mehreren lebhaften Debatten wurde der November des Jahres 1696 als der äußerste Termin festgesetzt. Die Tonnengeldbill und die Dreijährigkeitsbill hielten fast gleichen Schritt mit einander. Beide waren am 22. December bereit, die königliche Genehmigung zu empfangen. Wilhelm kam an diesem Tage mit feierlichem Gepränge nach Westminster. Die Mitglieder beider Häuser waren in großer Zahl anwesend. Als der Kronsekretär die Worte ablas: „Eine Bill zur häufigen Einberufung und Versammlung der Parlamente” war die Spannung groß. Als der Sekretär des Parlaments antwortete: „Le roy et la royne le veulent” lief ein lautes und langanhaltendes Gemurmel des Vergnügens und Frohlockens durch die Bänke und die Schranke.268 Wilhelm hatte schon seit vielen Monaten beschlossen, einem so populären Gesetze nicht zum zweiten Male seine Genehmigung zu verweigern.269 Manche waren jedoch der Meinung, daß er ein so großes Zugeständniß nicht gemacht haben würde, wenn er an diesem Tage ganz er selbst gewesen wäre. Es war in der That deutlich zu sehen, daß er ungewöhnlich aufgeregt und angegriffen war. Man hatte angekündigt, er werde in Whitehall öffentlich speisen. Aber er ließ die Neugierde der Menge, welche bei solchen Gelegenheiten nach Hofe strömte, unbefriedigt und eilte nach Kensington zurück.270

Tod Mariens

Er hatte nur zu guten Grund, aufgeregt zu sein. Seine Gemahlin war seit einigen Tagen unwohl und am vorhergehenden Abend hatten sich bedenkliche Symptome gezeigt. Sir Thomas Millington, der Leibarzt des Königs, glaubte, sie habe die Masern. Radcliffe aber, der sich trotz seines unfeinen Benehmens und seiner geringen Büchergelehrsamkeit hauptsächlich durch seine seltene Geschicklichkeit in der Diagnostik die ausgebreitetste Praxis in London erworben hatte, sprach das bedenklichere Wort Pocken aus. Diese Krankheit, über welche die Wissenschaft seitdem eine Reihe ruhmvoller und wohlthätiger Siege errungen hat, war damals die furchtbarste aller Dienerinnen des Todes. Die Pest hatte die Menschen rascher hingerafft, aber sie hatte unsere Küsten seit Menschengedenken nur ein- oder zweimal heimgesucht; die Pocken hingegen herrschten beständig, füllten die Friedhöfe mit Leichen, quälten Alle, die sie noch nicht gehabt hatten, mit einer fortwährenden Angst, ließen an Denen, deren Leben sie verschonten, die abschreckenden Spuren ihrer Macht zurück, verwandelten den Säugling in ein häßliches Geschöpf, vor dem die Mutter zurückschauderte, und machten die Augen und Wangen der Braut zu Gegenständen des Abscheus für den Geliebten. Gegen das Ende des Jahres 1694 wüthete diese Seuche mit mehr als gewöhnlicher Bösartigkeit. Endlich verbreitete sich die Epidemie auch in den Palast und ergriff die junge blühende Königin. Sie vernahm die Ankündigung der ihr drohenden Gefahr mit wahrer Seelengröße. Sie gab Befehl, daß jede ihrer Hofdamen, jedes ihrer Ehrenfräuleins, ja selbst jeder niedere Dienstbote, der die Pocken noch nicht gehabt, Kensington House sofort verlassen solle. Sie schloß sich auf kurze Zeit in ihr Zimmer ein, verbrannte einige Papiere, ordnete andere und erwartete dann gefaßt ihr Schicksal.

Einige Zeit wechselten Hoffnung und Besorgniß häufig mit einander ab. Die Aerzte widersprachen einander und sich selbst in einer Weise, welche den damaligen Stand der Heilkunst deutlich verräth. Bald sollte die Krankheit die Masern, bald das Scharlachfieber, bald das Fleckfieber, bald der Rothlauf sein. Einmal wurden einige Symptome, welche gerade bewiesen, daß der Zustand der Patientin hoffnungslos war, als Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit begrüßt. Endlich war jeder Zweifel vorüber. Radcliffe’s Ausspruch erwies sich als der richtige. Es war klar, daß die Königin von den Pocken in der bösartigsten Form ergriffen war.

Diese ganze Zeit über brachte Wilhelm Tag und Nacht an ihrem Lager zu. Das kleine Bett, auf dem er schlief, wenn er im Felde war, wurde im Vorzimmer für ihn aufgeschlagen, aber er legte sich nur selten darauf. Der Anblick seines Kummers, schrieb der holländische Gesandte, müsse auch das gefühlloseste Herz rühren. Nichts schien mehr von dem Manne übrig zu sein, dessen heitere Standhaftigkeit an dem unglücklichen Tage von Landen alte Soldaten und in der schauerlichen Nacht zwischen den Eisschollen und Sandbänken der Küste von Goren alte Seeleute in Erstaunen gesetzt hatte. Selbst die Dienerschaft sah die Thränen unaufhaltsam über das Antlitz herabrollen, dessen ernste Ruhe nur selten durch einen Triumph oder durch eine Niederlage gestört worden war. Mehrere Prälaten waren anwesend. Der König zog Burnet auf die Seite und machte seinem Schmerze gegen ihn Luft. „Es ist keine Hoffnung,” rief er aus. „Ich war der glücklichste Mann auf Erben; jetzt bin ich der unglücklichste. Sie hatte keinen Fehler, keinen; Sie kannten sie genau; aber ihre Herzensgüte kannten Sie nicht, die kannte Niemand als ich.” Tenison übernahm es ihr zu sagen, daß sie sterben müsse. Er fürchtete, daß eine solche Mittheilung ohne gehörige Vorbereitung sie heftig erschüttern werde, und er ging daher mit großer Schonung zu Werke. Aber sie errieth bald was er meinte und ergab sich mit dem edlen weiblichen Muthe, der so oft unsre Unerschrockenheit beschämt, in den Willen Gottes. Sie ließ sich ein kleines Kästchen bringen, in welchem sie ihre wichtigsten Papiere verschlossen hatte, befahl daß es sogleich nach ihrem Tode dem Könige eingehändigt werden solle, und riß sich dann von allen irdischen Sorgen los. Sie genoß das heilige Abendmahl und sprach die auf sie kommenden Worte mit ungeschwächtem Gedächtniß und Bewußtsein, wenn auch mit leiser Stimme. Sie bemerkte, daß Tenison lange an ihrem Bett gestanden hatte und stammelte mit der ihr eigenen liebenswürdigen Artigkeit die Bitte, daß er sich niedersetzen möchte, und wiederholte dieselbe, bis er ihr nachkam. Nachdem sie das Sakrament empfangen, nahm ihre Schwäche rasch zu und sie stammelte nur noch abgebrochene Worte. Zweimal versuchte sie es, von dem Manne Abschied zu nehmen, den sie so innig und ausschließlich geliebt hatte; aber sie konnte nicht mehr sprechen. Er hatte eine Reihe so beunruhigender Zufälle, daß seine Staatsräthe, die in einem anstoßenden Gemache versammelt waren, für seinen Verstand und für sein Leben fürchteten. Der Herzog von Leeds wagte es auf Ersuchen seiner Collegen die freundschaftliche Fürsorge zu übernehmen, deren durch Kummer zerrüttete Gemüther bedürfen. Wenige Minuten vor dem Hinscheiden der Königin wurde Wilhelm fast bewußtlos aus dem Krankenzimmer getragen.

Marie starb in Frieden mit Anne. Ehe die Aerzte die Krankheit für hoffnungslos erklärten, hatte die Prinzessin, deren Gesundheit damals sehr delikat war, sich freundlich erkundigen lassen, und Marie hatte freundlich geantwortet. Die Prinzessin hatte sich dann erboten, selbst zu kommen, aber Wilhelm hatte dieses Erbieten mit herzlichen Worten abgelehnt. Das Aufregende einer Unterredung, sagte er, würde beiden Schwestern zu nachtheilig sein. Sobald jedoch eine günstige Wendung einträte, würde Ihre königliche Hoheit in Kensington höchst willkommen sein. Wenige Stunden später war Alles vorbei.271

Die öffentliche Theilnahme war groß und allgemein. Denn Mariens tadelloser Wandel, ihre große Mildthätigkeit und ihre einnehmenden Manieren hatten ihr die Herzen ihres Volks gewonnen. Die Gemeinen verharrten in ihrer nächsten Sitzung einige Zeit in tiefem Stillschweigen. Endlich wurde beantragt und beschlossen, daß dem Könige eine Condolenzadresse überreicht werden solle, und dann trennte sich das Haus wieder, ohne zu weiteren Geschäften überzugehen. Der holländische Gesandte schrieb an die Generalstaaten, daß viele Mitglieder ihre Taschentücher vor den Augen gehabt hätten. Die Menge der betrübten Gesichter, die man auf der Straße sah, fiel jedem Beobachter auf. Die Trauer war allgemeiner als selbst die Trauer um Karl II. gewesen war. Am ersten Sonntage nach dem Ableben der Königin wurde in fast jeder Kirche der Hauptstadt und in fast jeder großen Versammlung von Nonconformisten ihr Gedächtniß gefeiert.272

 

Die achtungswertheren Jakobiten ehrten Wilhelm’s Schmerz und Mariens Andenken. Den heftigeren Zeloten der Partei aber war weder das Haus der Trauer noch das Grab heilig. In Bristol läuteten die Anhänger Sir John Knight’s die Glocken, wie zur Feier eines Sieges.273 Es ist oft erzählt worden und klingt durchaus nicht unwahrscheinlich, daß ein eidverweigernder Geistlicher inmitten der allgemeinen Trauer über den Text gepredigt habe: „Besehet doch die Verfluchte und begrabet sie, denn sie ist eines Königs Tochter.” Es ist erwiesen, daß einige der abgesetzten Priester sie bis ans Grab mit Schmähungen verfolgten. Ihr Tod, sagten sie, sei offenbar eine Strafe für ihr Verbrechen. Gott habe, vom Gipfel des Sinai unter Donner und Blitz den Kindern, die ihre Eltern ehren würden, langes Leben versprochen, und in diesem Versprechen liege augenscheinlich eine Drohung. Welcher Vater sei jemals von seinen Töchtern so schändlich behandelt worden wie Jakob von Marien und Anna? Marie sei in der Blüthe des Lebens, in der Fülle der Schönheit, auf dem Gipfel des Glücks dahingerafft worden, und Anna werde wohl thun, diese Warnung zu benutzen. Wagstaffe ging noch weiter und sprach ein Langes und Breites über gewisse sonderbare Zeitcoincidenzen. Jakob sei in der Weihnachtswoche aus seinem Palaste und seinem Lande vertrieben worden. Marie sei in der Weihnachtswoche gestorben. Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn wir die Geheimnisse der Vorsehung zu ergründen vermöchten, wir finden würden, daß die Wendung in der Krankheit der Tochter im December 1694 in genauer Analogie mit der Wendung in dem Schicksale des Vaters im December 1688 stände. Um Mitternacht sei der Vater von Rochester geflohen; um Mitternacht sei die Tochter gestorben. Solcher Art war die Tiefe und der Scharfsinn eines Schriftstellers, den die jakobitischen Schismatiker mit Recht als eines ihrer talentvollsten Häupter betrachteten.274

Die Whigs hatten bald eine Gelegenheit, sich zu revangiren. Triumphirend erzählten sie, daß ein Stadtschreiber, ein starrer Anhänger des erblichen Rechts, während er über die Strafe, welche die Königin ereilt habe, frohlockte, selbst plötzlich todt zu Boden gesunken sei.275

264Birch’s Life of Tillotson; die von Burnet gehaltene Leichenrede; Wilhelm an Heinsius, 23. Nov. (3. Dec.) 1694.
265Siehe die Protokolle der beiden Häuser. Die einzige Erzählung, die wir von den Debatten besitzen, befindet sich in den Briefen L’Hermitage’s.
266Commons’ Journals, Feb. 20. 1694/95. Da diese Bill nicht vor die Lords kam, so befindet sie sich nicht in ihren Archiven. Ich kann daher nicht ermitteln, ob sie in irgend einem Punkte von der Bill des vorhergehenden Jahres differirte.
267Die Geschichte dieser Bill kann man in den Protokollen der beiden Häuser nachlesen. Der nicht eben heftige Kampf dauerte bis zum 20. April.
268„Die Gemeinen,” sagt Narcissus Luttrell, „ließen ein lautes Gemurmel vernehmen.” – „Le murmure qui est la marque d’applaudissement fut si grand qu’on peut dire qu’il estoit universel.” L’Hermitage, 25. Dec. (4. Jan.)
269L’Hermitage sagt dies in seiner Depesche vom 20. (30.) Nov.
270Burnet II. 137; Van Citters, 25. Dec. (4. Jan.)
271Burnet II. 136. 138; Narcissus Luttrell’s Diary; Van Citters, 28. Dec. (7. Jan.); L’Hermitage, 25. Dec. (4, Jan.), 28. Dec. (7. Jan.), 1. (11.) Jan.; Vernon an Lord Lexington. 21. 25. 28. Dec. 1. Jan.; Tenison’s Leichenrede.
272Evelyn’s Diary; Narcissus Luttrell’s Diary; Commons’ Journals, Dec. 28. 1694; Shrewsbury an Lexington von dem nämlichen Tage; Van Citters ebenso. L’Hermitage, 1. (11.) Jan. 1695. Von den Gedächtnißpredigten auf Marien verdienen die von Sherlock, in Temple Church gehalten, und die von Howe und Bates vor großen presbyterianischen Versammlungen, besondere Erwähnung.
273Narcissus Luttrell’s Diary.
274Remarks on some late Sermons, 1695; A Defence of the Archbishop’s Sermon, 1695.
275Narcissus Luttrell’s Diary.