Biola und das geheimnis der alten Mühle

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Kapitel 5



General Barleys Rache





„Unser berühmter Vorfahre wurde älter“, fuhr Mascarpone in seinem Bericht über das Schicksal des Urahns Alter Gouda fort. „Und eines Tages wurde er feierlich zu meinem Vorgänger in das Amt des Schlossmäuse-Anführers gewählt. Die feige fette Ratte aber, sie nannte sich General Barley, erklärte sich zur selben Zeit zum Obernager ihres Clans, und während unsere Vorfahren ihren rechtmäßigen und verdienten Platz hier oben im Schloss einnahmen, grub das lichtscheue Rattengesindel Gänge und Höhlen unter der Mühle, um nachts das Korn zu stehlen, das die Menschen nur uns zugedacht hatten. Leider, leider sind die Menschen nicht klug genug, um diesen Betrug zu bemerken.“



„Und wir“, fügte Onkel Gorgonzolo grimmig hinzu, „sind nicht Maus genug, diesem Rattengewürm entschlossen entgegenzutreten!“



„Was ist dann mit dem Urahn passiert?“, wollte Pecorini wissen.



„Etwas sehr Schreckliches!“, sagte Mascarpone. „Etwas, das ich deinen jungen Mäuseohren am liebsten nicht erzählen möchte, damit du nachts weiterhin ruhig schlafen und tagsüber unbeschwert dein Leben genießen kannst. Aber eines Tages musst du es ja doch erfahren! Die Wahrheit ist: General Barley lauerte unserem Urahn auf und schnitt ihm drei Barthaare ab! DREI Barthaare! Nicht zwei. DREI!“



„Ach so“, sagte Pecorini, „das wusste ich schon.“



„Eine entsetzliche Tat“, grollte Mascarpone. „Voller Hinterlist. Voller Heimtücke und Gemeinheit!“ Mascarpone ereiferte sich immer mehr, und seine Stimme wurde immer lauter. „Wie konnte er es wagen, unseren Urahn dermaßen zu entstellen und zu demütigen? Aber, und das schwöre ich, es kommt der Tag, an dem ich diese Schandtat ungeschehen machen werde, indem ich dem jetzigen Anführer der Ratten, der weißen Ratte, VIER Schnurrhaare abschneiden werde. Jawohl! So wahr ich Mascarpone heiße. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“ Mascarpones Stimme hatte sich überschlagen. Jetzt beruhigte er sich wieder etwas. Dann bemerkte er: „Ich weiß nur noch nicht, ob ich ihm auf jeder Seite zwei Haare abschneiden soll oder drei auf der einen und eins auf der anderen. Oder sogar alle vier auf einer Seite.“



„Die Ratten haben eine weiße Ratte als Anführer?“, fragte Biola.



„Ja“, sagte Großvater Mascarpone, „und sie ist mindestens so groß wie unser Schloss!“



„Beim letzten Mal hast du gesagt, sie sei halb so groß wie unser Schloss“, bemerkte Ricotta beiläufig.



„Na und?“, schnarrte Mascarpone. „Sie ist eben gewachsen seit dem letzten Mal!“



„Seit vorgestern?“, fragte Biolas Vater. „Vorgestern hast du zum letzten Mal von der weißen Ratte erzählt.



Nachdem die Kinder eingeschlafen waren. Das Thema scheint dich ja schwer zu beschäftigen in letzter Zeit. Ich finde, man sollte aufhören mit diesen Schnurrhaargeschichten. Erst ging es um zwei Schnurrhaare, dann um drei, jetzt geht es schon um vier. Wohin soll das noch führen?“



„Ich gebe Koriander recht“, schaltete sich Onkel Gorgonzolo in das Gespräch ein. Sein Ton war ganz ruhig. „Dieses Ausreißen von Schnurrhaaren führt zu nichts. Wir sollten sie alle töten.“



Pecorini erschrak. Töten?



„Die Ratten umbringen?“, rief Koriander aufgebracht. „Dann werden sie kommen und uns auch umbringen!“



„Wenn wir sie zuerst getötet haben, dann werden sie uns danach wohl kaum umbringen können“, antwortete Onkel Gorgonzolo kühl.



„Was ist denn so schlimm an den Ratten?“, fragte Ricotta. „Sie tun uns doch gar nichts.“



Tante Halbfettstufe hatte sich bisher nicht am Gespräch beteiligt, aber jetzt piepste sie aufgeregt: „Sie tun uns nichts? Sie stehlen unser Korn! Sie leben in Saus und Braus auf unsere Kosten! Es heißt sogar, dass der Müller ihnen regelmäßig Käse bringt! Wo sonst sollte der ganze Käse bleiben, den es auf der Welt gibt? Hier bei uns ist jedenfalls noch nie ein Stück Käse aufgetaucht. Wenn die Ratten nicht da wären, würden WIR diesen Käse bekommen! Jawohl! Ich will auch Käse haben!“ Ihre Stimme wurde immer höher und quiekender: „In meinem ganzen Leben hatte ich noch keinen einzigen anständigen Käse, und diese Ratten leben wie die Maus im Käsekorb! Das ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. ICH WILL AUCH KÄSE!“



„Es stimmt ja vielleicht, dass die Ratten vom Getreide nehmen“, sagte Biolas Mutter milde, „aber das ist doch nicht so schlimm. Eine Ratte möchte eben auch mal etwas Korn. Ich finde, wir sollten da großzügig sein.“



„Ja“, pflichtete Koriander seiner Frau bei. „Es ist genug Korn für alle da! Wo ist das Problem?“



„Du verstehst das nicht“, sagte Onkel Gorgonzolo. „Das Korn steht seit der Heldentat unseres Urahns UNS zu und niemand anderem. Heute stehlen die Ratten unser Korn. Aber wenn wir uns nicht dagegen wehren, werden sie morgen kommen und uns aus der Mühle verjagen. Dann müssen wir draußen elendig verhungern! Wenn wir unser Zuhause behalten, wenn wir das Erbe unseres Urahns bewahren wollen, dann müssen wir die Ratten vernichten! Und zwar endgültig!“



„Bei einem Kampf mit den Ratten könnten wir alle getötet werden“, antwortete Koriander aufgebracht. „Auch die Kinder wären in Gefahr! Willst du das riskieren?“



„Du begreifst das noch immer nicht“, sagte Gorgonzolo entschieden. „Es geht hier um etwas viel Größeres, wofür wir bereit sein müssen, jedes Opfer zu bringen, wenn es denn sein muss! Wir sind im Krieg!“



Wieder legte Ricotta beschwichtigend ihre kleine Pfote auf Korianders Rücken, aber der wollte sich jetzt, wo es um die Zukunft seiner Kinder ging, nicht mehr beruhigen: „Du hast kein Recht dazu, über das Leben meiner Familie zu entscheiden! Wir könnten ganz in Frieden mit den Ratten leben! Wir müssen es nur wollen!“



„Wenn du so sprichst“, entgegnete Mascarpone ruhig, „und wenn du Frieden schließen willst mit den Ratten, dann hat unser Urahn umsonst gekämpft. Dann war das Opfer seiner Schnurrhaare vergeblich. Ich bin sehr traurig darüber, dass du schon vergessen hast, was man ihm angetan hat. Obwohl ich die ganze Geschichte gerade eben erst erzählt habe!“



„Gib dir keine Mühe“, sagte Gorgonzolo abwinkend, „Koriander kann das nicht verstehen. Er wurde am Waldrand geboren, wo die Mäuse nicht wissen, was Ehre bedeutet!“



„Ich weiß sehr wohl, was Ehre ist!“, rief Koriander zornig. „Und dein abwertendes Gerede über meine Herkunft kannst du dir sparen!“








Biola und Pecorini erschraken. So aufgebracht hatten sie ihren Vater noch nie erlebt. Koriander aber war noch lange nicht fertig: „Ich wünschte, ich wäre nie zu euch gezogen!“, rief er. „Ich wünschte, ich würde mit Ricotta und den Mädchen bei meiner Sippe am Waldrand wohnen. Lieber würde ich dort Hunger leiden, als mir jeden Tag eure Hetzerei gegen andere Nagetiere anhören zu müssen. Aber eines Tages, eines Tages, wenn wir alle längst nicht mehr sind, dann werden andere Mäuse hier leben. Und die werden klüger sein als ihr und Frieden schließen mit den Ratten. Aber das werden wir wohl leider nicht mehr erleben.“



„Unglaublich“, murmelte Gorgonzolo. „Koriander kann einfach nicht begreifen, wie es uns hier ergeht. Tür an Tür mit diesen Ratten. Ricotta, du hättest niemals jemanden vom Waldrand heiraten sollen! Vom Waldrand ist noch nie etwas Gutes gekommen!“



Biola wollte sagen, dass immerhin der Urahn ursprünglich vom Waldrand stammte, aber im selben Moment sprang Koriander auf, rief wütend, dass sie doch alle tun sollten, was sie wollten, und ihm alles egal sei. Dann stürzte er aus dem Schloss und verschwand in der dunklen Mühle.



Pecorini aber fing in Ricottas Armen bitterlich an zu weinen, und auch Biola hatte einen dicken Kloß im Hals. Die beiden Schwestern konnten es nicht ertragen, wenn sich die erwachsenen Mäuse stritten. Und so schlimm wie heute war es noch nie gewesen.



Ricotta nahm Pecorini seufzend fester auf ihren Schoß und legte einen Arm um Biola. Nur Pecorinis Schluchzen war zu hören.



Dann erhob sich plötzlich Onkel Gorgonzolo, murmelte „Ich hab zu tun“ und ging. Großvater Mascarpone stand ebenfalls auf und sagte: „Entschuldigt mich. Ich muss noch etwas Alufolie oder Schokoladenpapier auftreiben. Die Orden für die Ordensverleihung morgen werden sich nicht von allein basteln.“



Dann ging er ebenfalls und ließ Ricotta, Tante Halbfettstufe und die beiden Mäusemädchen zurück.



Nach einer Weile hörte Pecorini auf zu schluchzen. Und Biola fragte ihre Tante, ob sie tatsächlich noch nie Käse gegessen hätte. „Doch, ich habe schon mal ein Stück Käse gekostet“, antwortete sie. „Ein Bauer hatte seine Getreidesäcke gebracht und ein Brot mit Käse gegessen. Ein Stück davon war ihm runtergefallen. Aber das ist schon lange her.“



Tante Halbfettstufe schwieg traurig. Dann sagte sie: „Weißt du, ich träume davon, dass wir alle, als ganze Familie, irgendwann einmal einträchtig um einen großen Käsewürfel sitzen, den uns der Müller als Tribut gebracht hat, und ihn gemeinsam von allen Seiten anknabbern und genießen. Wäre das nicht wundervoll? Aber es soll wohl nicht sein. Ach, es soll einfach nicht sein.“



Tante Halbfettstufe begann zu schluchzen.



„Nie haben wir Käse!“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Ihre Nase begann zu triefen. „NIE haben wir Käse! Ach … Ich weiß auch nicht, was ich getan habe, dass ich so leiden muss!“



Jetzt hatte die kleine Pecorini Mitleid mit ihrer Tante. Und gleichzeitig entfaltete sich das wunderbare Bild des Friedens, das Tante Halbfettstufe gerade eben in ihr Herz gepflanzt hatte: Die ganze Familie um ein großes Stück Käse sitzend, einträchtig und friedlich zusammen, ohne Streit! Wenn wir ein großes Stück Käse hätten, dachte Pecorini, dann gäbe es keinen Streit mehr. Dann würden sich alle wieder vertragen. Wie gerne würde Pecorini mit ihrer Familie um so ein Stück Käse sitzen und ihn genießen! Aber sie hatten keinen Käse! Wo bekam man wohl so ein herrliches Stück Käse her? Pecorini dachte an die Geschichte ihres Urahns. In der Küche des Müllers! Ja, genau! In der Küche des Müllers gab es Käse!

 



In diesem Moment formte sich ein Plan in Pecorinis Kopf: Sie würde einen Weg finden, ein großes Stück Käse zu besorgen, damit sich alle wieder miteinander versöhnen konnten. Ja, sie beschloss, in die Küche des Müllers zu gehen und ein Stück Käse zu ergattern. So wie es schon der Urahn getan hatte. Denn – war er nicht auch eine junge Maus gewesen, als er seine Heldentat vollbracht hatte? Ja! Genau das war er damals: Eine junge Maus, dachte Pecorini, eine junge Maus – wie ich!



Pecorini wusste natürlich, dass ihr niemand erlauben würde, in die Küche von Müller Tom zu gehen. Denn mal abgesehen von den Menschen, die immerhin Angst vor den Mäusen hatten, lebte dort auch Remus, der Kater, den man manchmal vom Mäuseschloss aus auf der Wiese herumstromern sah. Und Kater fraßen Mäuse, das wusste jeder! Aber das sollte Pecorini nicht von ihrer kommenden Heldentat abbringen. Sie beschloss, ihren Plan einfach für sich zu behalten und am Ende alle mit einem großen Stück Käse zu überraschen. Die Vorfreude zauberte ein leises Lächeln auf ihr verweintes Gesicht.









Kapitel 6



Die Mühlsteine





„Hallo, Ched“, sagte Biola, als sich alle Bewohner des Mäuseschlosses nach der Knabberstunde in der Eingangshalle trafen.



„Hi, Biola“, antwortete Ched und lächelte. Dann flüsterte er: „Ich freue mich schon auf unseren Ausflug heute Nacht!“



„Und ich erst!“, raunte Biola zurück. Sie war guter Laune, wenn sie an den Ausflug dachte. „Das wird aufregend!“, wisperte sie. Dann wurde sie von Großvater Mascarpones lauter Stimme unterbrochen. Er sprach wie immer in getragenem, staatsmännischem Ton zu den versammelten Mäusen: „Bevor wir nach unten gehen, um die Tribute der Menschen einzusammeln, möchte ich die Gelegenheit nutzen und einige Worte sagen: Es ist Sommer, und die Tribute sind zahlreich vorhanden. Wir leben im Überfluss, aber wird das auch immer so bleiben? Nein! Es werden schlechte Zeiten kommen! Zeiten der Not und Entbehrung! Zeiten des Hungers und … und … des Magenknurrens! Darum wollen wir heute für den Winter sammeln. Jeder sammelt nicht nur für heute und morgen. Wir alle wollen gemeinsam unsere Kornkammer füllen für die schlechten Zeiten. Und mehr noch: Wer dabei besonders fleißig ist, den werden wir ehren. Ich werde abzählen, wie viele Körner jeder bringt, und wer das meiste Getreide sammelt, dem verleihen wir morgen den großen Mäuseverdienstorden des Weißen Schlosses mit silbernem Stern aus Schokoladenfolie!“



„Bravo!“, riefen einige Mäuse. Koriander fühlte die kleine Pfote von Ricotta auf seinem Rücken ruhen und seufzte. Biola und Ched aber hatten gar nicht zugehört. Sie waren abgelenkt. Biola hatte bemerkt, dass Onkel Gorgonzolo bei der Versammlung fehlte. Und jetzt sah sie auch, wo er war.



„He, Ched! Schau mal. An der Treppe.“



„Das ist ja dein Onkel! Was trägt er denn da? Eine seiner Erfindungen?“



„Vielleicht. Scheint wieder eine Maschine zu sein. Aber wofür?“



„Seltsam“, meinte Ched. „Er verhält sich, als hätte er etwas zu verbergen. Warum wartet er nicht, bis die Versammlung zu Ende ist, mit dem, was er vorhat? Und was hat er eigentlich vor?“



Mascarpone sprach noch einige Zeit weiter. Endlich aber gab er das Signal zum Aufbruch. Er selbst setzte sich an die Tür des Mäuseschlosses, wo er die Körner zählen wollte, die von den Mäusen nach Hause gebracht wurden. Biola und Ched indessen folgten den Mäusen, die jetzt alle das Schloss verließen. Die meisten sprangen die hölzerne Treppe Stufe für Stufe hinunter zu den Kornsäcken. Man brauchte sich dabei nicht vorsehen. Um diese Zeit war niemand in der Mühle, sodass man ganz ungestört Getreide sammeln konnte: Die Menschen waren schon fort und die Ratten noch nicht da. Die Mühle war ganz still, und alle Räume waren in abendliches Halbdunkel getaucht. Das Mahlwerk schwieg, und die Getreidesäcke standen schattenhaft überall auf dem so genannten „Steinboden“ herum – so bezeichneten die Menschen das Stockwerk, in dem die schweren Mühlsteine ihre Arbeit taten.



Ched und Biola benutzten nicht die Treppe, um zum Steinboden zu kommen, sondern einen anderen Weg. Die Treppe war ihnen zu langweilig. Sie huschten hinüber zum Aufzug für die Getreidesäcke. Durch ein viereckiges Loch im Boden hingen hier mehrere Seile von der Decke herab – bis hinunter zum Erdgeschoss der Mühle. Mit dem Aufzug transportierten die Menschen die angelieferten Getreidesäcke von unten hinauf zum Steinboden, wo sie in das Mahlwerk entleert wurden. Menschen konnten nicht mit dem Aufzug fahren, dafür war er zu klein. Aber die jungen Mäuse des Weißen Schlosses liebten es, zu dem Aufzugsloch im Boden zu gehen, in den mehrere Stockwerke tief gähnenden Abgrund zu schauen und hinunterzuspucken.



Die Seile hingen nicht weit von der Kante entfernt, sodass man sie mit einem kleinen Sprung erreichen konnte. Das war zwar gefährlich, aber wie die meisten Mäuse waren auch Ched und Biola sehr geschickt darin, sich an etwas festzuklammern. Zusammen mit den anderen jungen Mäusen des weißen Schlosses liefen die beiden jetzt auf den Aufzugsschacht zu, riefen „Attacke!“ und sprangen an die Seile. Dann ließen sie sich ausgelassen kreischend und piepsend daran herunter. Biola sprang sogar von Seil zu Seil, was sich nur wenige der anderen Mäuse trauten. Dann ließen alle ihre Taue im richtigen Moment los und landeten ein Stockwerk tiefer auf den Getreidesäcken, die man rund um den Aufzug gestapelt hatte.








„Eines Tages wirst du noch abstürzen!“, rief Ched, als er neben Biola gelandet war.



Biola lachte nur, sprang auf und rief: „Wer zuerst beim Mühlstein ist!“



Im Laufen war Ched schneller. Sie huschten über mehrere Säcke, vorbei an ihren Eltern und den anderen Mäusen, die schon damit beschäftigt waren, Getreide zu sammeln, und hinüber zu dem großen runden Kasten, in dem die beiden schweren Mühlsteine aufeinanderlagen. Cheds Pfote schlug zuerst an das Holz. Noch außer Atem sagte er: „Komm, wir sehen uns den Trichter an.“



Sie kletterten über mehrere Säcke hinauf zu dem Trichter, durch den das Korn zu den Mühlsteinen gelangte. Über dem Trichter hing eine Rutsche aus Holz, die hin und her rüttelte, wenn die Mühle lief. Das Rütteln bewirkte, dass das Getreide gleichmäßig hinabfiel und niemals zu viel Korn gleichzeitig ins Mahlwerk geriet. Jetzt allerdings stand die Mühle still, sodass sich Ched und Biola gefahrlos auf die Rutsche setzen und hinuntersehen konnten.



„Stell dir vor, man fällt da rein, wenn sich die Steine drehen“, murmelte Ched. „Ich kann mir einen schöneren Tod vorstellen, als von Mühlsteinen zerquetscht zu werden.“



„Ich würde lieber in den Mühlsteinen landen, als dass mich eine Katze fängt“, antwortete Biola. „Hier bist du wenigstens sofort tot. Wenn dich die Katze erwischt, spielt sie noch mit dir, bevor sie dich frisst.“



„Hör auf“, sagte Ched. „Von Katzen sprechen bringt Unglück!“



Biola und Ched sahen wieder hinab zu den Mühlsteinen.



„Ich verstehe nicht, warum die Menschen das Korn zermahlen“, sagte Biola. „Denken sie, dass wir uns darüber freuen?“



„Das ist wahr“, stimmte Ched zu. „Das gemahlene Korn fehlt bei unserem Tribut. Ich meine, es bleibt dann zwar immer noch mehr als genug übrig. Aber was wollen die Menschen mit dem weißen Körnerstaub?“



„Solche Sachen kommen nie in Großvaters Geschichten vor“, sagte Biola. In diesem Moment hörten sie Pecorini rufen: „Biola! Papa will was von dir! Biola! Wo bist du?“



„Wir sollen zum Sammeln kommen“, seufzte Biola.



„Also dann …“









Kapitel 7



Gorgonzolos Geheimnis





Während Ched und Biola Weizen und Roggen sammelten und über die Treppe zum Schloss brachten, sprachen sie über die Mühlsteine.



„Man müsste mal in den Trichter hineinklettern“, überlegte Biola.



„Er ist zu tief“, sagte Ched. „Der Trichter hat zu glatte Wände. Wir kämen nie wieder heraus!“



„Und wie wäre es, wenn ich alleine hineinklettere – und du ziehst mich an einer Schnur hoch, wenn ich wieder raus will?“, schlug Biola vor.



„Das könnte klappen“, meinte Ched. „Wir probieren es aus, wenn wir heute Nacht in den Garten gehen.“



„Nein“, sagte Biola. „Heute Nacht werden die Ratten hier überall auf dem Steinboden herumhuschen. Da ist es zu gefährlich.“



„Dann probieren wir es gleich nachher aus. Wenn dein Großvater das Sammeln beendet hat.“



Biola nickte. Das war ein guter Vorschlag.



Sie gingen zurück zu den anderen Mäusen. Und während sie gemeinsam mit ihnen Getreide für den Wintervorrat in langen Marschkolonnen zum Weißen Schloss trugen, stimmten sie in den Arbeitsgesang der sammelnden Mäuse ein:





Halli – Hallo







Sammeln macht uns froh!







Herrlich leuchtet das Getreide,







schöner noch als Goldgeschmeide.







Satt, satt, satt wird,







wer gesammelt hat!







Herbei, herbei,







jeder schafft für zwei!







Ist das Korn erst in den Kammern,







braucht im Winter niemand jammern.







Satt, satt, satt wird,







wer gesammelt hat.







Macht nicht Halt,







der Winter kommt schon bald!







Aber Frost und Kälte-Qual







sind uns völlig piepsegal.







Satt, satt, satt wird,







wer gesammelt hat!







Voran, voran!







Kommt und fasst mit an.







Mäusekind und Großpapa,







jeder ist für jeden da.







Satt, satt, satt wird,







wer gesammelt hat.





Und so weiter und so weiter. Insgesamt hatte das Lied zweiundsechzig Strophen und war damit das kürzeste Arbeitslied der Schlossmäuse.



Ched und Biola fieberten dem Ende der Plackerei entgegen. Nicht, weil sie faul waren oder weil sie wissen wollten, ob sie mehr gesammelt hatten als andere Mäuse – das war ihnen egal. Sie wollten den Mühlstein erkunden. Endlich, es war schon sehr spät geworden, gab Mascarpone das Zeichen zur Heimkehr. Sofort verdrückten sich Biola und Ched und hüpften in schnellen Sätzen zurück zum Mahlwerk und zu den Mühlsteinen.



Sie fanden eine Schnur, an der Ched Biola in den Trichter hinunterließ. Inzwischen war es bereits sehr dunkel in der Mühle. Außer ein paar Körnern zwischen den Mühlsteinen und einer Menge weißem Staub fand Biola nichts am Grund des Trichters. Enttäuscht ließ sie sich von Ched wieder hinaufziehen.



„Da ist nichts Besonderes. Nur Körner und Staub“, sagte sie, oben angekommen. „Aber man kann sich gut vorstellen, was passiert, wenn man zwischen die Steine fallen würde. Sie würden dich im Nu zerquetschen!“



Ched lief ein Schauer über den Rücken.



Sie wollten sich gerade auf den Rückweg machen, da hörten sie ein seltsames Geräusch. Es kam von unten, vom Boden neben dem Mühlsteinkasten.



Vorsichtig schlichen sie an die Kante des Kastens und schauten hinunter. Unter ihnen werkelte jemand im Dunkeln an etwas herum. Das Ding war fast vollständig von einem Haufen Weizen bedeckt.



„Eine Ratte?“, flüsterte Ched.



„Nein. Ich glaube nicht“, flüsterte Biola zurück. In diesem Moment hob das Tier den Kopf, als hätte es Ched und Biola gehört. Die beiden zogen sich blitzschnell zurück.



„Das ist mein Onkel! Onkel Gorgonzolo!“, wisperte Biola.



„Dein Onkel? Aber was macht er da?“



Biola lauschte. Sie hörten das Geräusch von rieselnden Getreidekörnern. Dann sahen sie noch einmal vorsichtig über die Kante.

 



„Unter dem Korn liegt etwas. Er scheint es auszugraben.“



Plötzlich erklang ein regelmäßig an- und abschwellendes Quietschen, begleitet von schnell aufeinanderfolgenden knackenden Geräuschen.



„Er macht etwas an seiner Maschine!“, stellte Ched fest. „Es klingt, als würde er eine Feder spannen!“



Biol

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