Doctor Who Monster-Edition 3: Rückkehr der Sontaraner

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Aus der Reihe: Doctor Who Monster-Edition #3
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3
SENTARION

Bernice Summerfield stand außerhalb des heißen und staubigen kleinen Raumhafens und blickte zu den Türmen, Dächern und Erkern von Sentarion City auf. Das Panorama funkelte in der Wüstensonne, während riesige Vögel am Himmel kreisten.

Selbst für eine Zynikerin wie Bernice Summerfield war es ein beeindruckender Anblick.

Sentarion, der Universitätsplanet, die größte Konzentration von Gelehrten und Gelehrsamkeit in der bekannten Galaxis. Ein Ort, an dem nichts anderes zählte als die Anhäufung von Wissen und das Kultivieren von Weisheit, wo alle Leidenschaften geistiger Natur waren.

Es war der akademische Traum, nach dem Bernice Summerfield, die vielgereiste, extrem erfahrene und völlig unqualifizierte Archäologin, ihr Leben lang gestrebt hatte.

Es kam ihr vor, als würde sie heimkehren.

Ja, ihre beeindruckenden Referenzen waren gefälscht, ihr Forschungsprojekt eine Coverstory, und wieder einmal war sie lediglich ein Bauer in einem der finsteren und durchtriebenen Pläne des Doktors – aber warum sollte sie sich von ein paar unbequemen Tatsachen die Laune verderben lassen?

Bernice Summerfield fühlte sich großartig. Trotz ihrer langen Reise in dem primitiven Planetenhopper, der sie auf Sentarion abgesetzt hatte und sofort wieder gestartet war, fühlte sie sich frisch, wach und lebendig.

Natürlich wusste sie warum. »Sentarion wird dir gefallen«, hatte der Doktor gesagt und sich dabei wie ein Gaztak angehört, der einem ein Raumschiff aus zweiter Hand verkaufen wollte. »Neben dem akademischen Angebot kann der Planet mit geringer Schwerkraft und reichlich Sauerstoff trumpfen. Das letzte Mal, als ich da war, hab ich mich gefühlt, als wäre ich wieder hundert Jahre jung.«

Bernice sog die saubere trockene Luft tief in ihre Lunge. Eine Luft wie Wein, dachte sie. Nein, eher wie eridanischer Brandy. Ob man hier irgendwo einen Drink bekommen konnte? Sie hob wieder den Kopf zu den funkelnden Turmspitzen und fragte sich gleich darauf, wie zum Teufel sie bloß zur Universität kommen sollte.

Sentarion war ein Wüstenplanet und weitestgehend unbewohnt. Seine Sonne, größer als die der Erde und auch näher am Planeten, strahlte heiß vom klaren blauen Himmel und die komplexen, kristallenen Spitzen von Sentarion City reflektierten ihr Licht, sodass das Glitzern selbst von ferne noch überall in der felsigen Wüste zu sehen war. Bernice hatte den Verdacht, dass der Weg dorthin weiter war, als es schien. Die relative Nähe der Stadt war eine optische Täuschung, hervorgerufen von der sauberen, klaren Wüstenluft.

Seltsam nur, dass es keine Straße gab. Nichts, nicht einmal einen Pfad. Nur den Raumhafen und die Stadt, hier draußen in der Wüste.

Bernice’ logischer Verstand sagte ihr, dass es eine Lösung für dieses Problem geben musste. Die Universität bekam Besucher und irgendwie mussten diese schließlich dort hingelangen. Fragen konnte sie niemanden: Der Raumhafen war geschlossen und verwaist, ihr Planetenhopper war heute das einzige ankommende Schiff gewesen.

Vielleicht war es ein Test. Man musste durch die Wüste gehen, um seine Hingabe unter Beweis zu stellen, und nur die Überlebenden durften studieren.

Sie warf den funkelnden Turmspitzen, so nah und doch so fern, einen genervten Blick zu und ihre Bewunderung verwandelte sich in Ärger. Wie sollte sie nun bitteschön die Stadt erreichen? Fliegen?

In dem Moment bemerkte sie den großen Vogel. Er tauchte aus dem Hitzeflimmern auf und flog schwerfällig auf sie zu, während seine gewaltigen Schwingen langsam auf und niedergingen.

Dann erkannte sie, dass es gar kein Vogel war: Es war ein Fluggefährt mit Tragflächen, die wie Vogelflügel flatterten. Wie nannte man so etwas? Ach ja, einen Ornithopter!

Bernice sah zu, wie das seltsame Gerät direkt vor ihr auf dem Boden aufsetzte. Im Pilotensitz saß jemand – oder etwas: ein ausladendes Wesen mit einem schwarzen Panzer, das vom Aussehen her an einen riesigen Käfer erinnerte.

»Professor Summerfield?«, quiekte es. »Zur Universität?«

»Äh … ja«, sagte Bernice. »Zur Universität bitte.«

»Bitte einsteigen.«

Bernice zögerte. Sie war nie gern geflogen, selbst mit Raumschiffen nicht, in denen man gewöhnlich nicht sehen konnte, wohin man flog. Beim Gedanken, sich dieser klapprigen Konstruktion anvertrauen zu müssen, wurde ihr ein wenig flau im Magen.

»Bitte beeilen!«, sagte das Wesen mit rauer Stimme.

Bernice musste an einen Film über die frühen Flugversuche des Menschen denken, den der Doktor ihr einmal gezeigt hatte. Dieses Gefährt sah wie eines jener primitiven Flugzeuge im Film aus – diejenigen, die für gewöhnlich alle abgestürzt waren.

Da ihre einzige Alternative der Marsch durch die Wüste war, hob Bernice ihren Rucksack auf und kletterte auf den Passagiersitz hinter dem Piloten.

Die Schwingen begannen wieder zu schlagen und der Ornithopter erhob sich in die Luft. Was die Energiequelle auch sein mochte, sie war völlig geräuschlos – vielleicht Elektrizität. Das einzige Geräusch war das Knarren der Tragflächen.

Ich nehme an, es gibt keinen Getränkeservice, dachte sie und fischte einen soliden Flachmann mit eridanischem Brandy aus einer Tasche ihres Rucksacks.

Eigentlich war das Ganze absolut logisch, sagte Bernice sich, während sie einen Schluck nahm. Auf der Erde wäre dieser Apparat nie vom Boden hochgekommen, aber hier, bei dieser geringen Schwerkraft, war er durchaus praktikabel.

Darum gab es auch keine Straßen: Man benutzte einfache Fluggeräte anstelle von Wagen. Was sie für Vögel gehalten hatte, die um die Türme flogen, war tatsächlich der Flugverkehr.

Und der Pilot war auch keine große Überraschung.

»Insekten sind die vorherrschende Lebensform auf Sentarion«, hatte der Doktor ihr erzählt.

Allein die Vorstellung hatte Bernice zum Schaudern gebracht. Von Käfern und Krabbelgetier hatte sie noch nie viel gehalten, obwohl sie sich geschämt hätte, das dem Doktor gegenüber zuzugeben, den alle Lebensformen gleichermaßen zu faszinieren schienen.

Die weiteren Ausführungen des Doktors hatten sie nicht unbedingt beruhigt: »Es sind sogar sehr große Insekten. Die geringe Schwerkraft macht ihre Exoskelette leichter zu tragen, lässt sie größer werden und länger leben. Sie haben eine sehr interessante Zivilisation entwickelt.«

Sie erspähte einen weiteren Ornithopter, ein schnittigeres Modell, das von der Stadt her auf sie zugeflattert kam. Er schien auf dem Weg zum Raumhafen zu sein. Bernice fragte sich träge warum, wo ihr Schiff doch das einzige war, das heute gelandet war. Vielleicht ein Raumhafenmitarbeiter, sagte sie sich. Es konnte hundert Gründe geben.

Plötzlich ging ihr auf, dass ihr eigenes Flugzeug sich von der Stadt wegbewegte.

Sie beugte sich vor und rief: »Ich möchte bitte zur Universität. Zur Universität!«

»Das ist korrekt«, bestätigte der Pilot. »Universität.«

Sie holte tief Luft. »Ich will zum Hauptgebäude der Universität«, rief sie. »In der Stadt. Ich muss mit dem Lordkanzler sprechen.«

Der Pilot ignorierte sie. Der Ornithopter flog Richtung Wüste und ließ die funkelnden Spitzen der Stadt hinter sich zurück.

»Hey, hören Sie!«, schrie Bernice. Wieder beugte sie sich nach vorn und schlug dem Piloten hart auf den schillernden schwarzen Rücken.

»Lassen Sie das!«, sagte der Pilot. »Verursachen Sie keine Probleme!«

Bernice schlug noch einmal zu, härter. »Kehren Sie sofort um!«

Der Pilot drehte sich ganz zu ihr herum. Seine kleinen Augen funkelten sie aus seinem schmalen Gesicht an. Plötzlich kam ein langer, nadelartiger Stachel aus seinem Saugrüssel.

»Machen Sie keinen Ärger«, quiekte er. »Es wäre nicht schicklich, Sie während des Flugs umzubringen. Warten Sie, bis wir gelandet sind; dann werde ich Ihr Leben trinken, wie es der Ritus verlangt, und Sie werden Ihren Tod würdevoll hinnehmen.«

»Gar nichts werde ich«, blaffte Bernice Summerfield und knallte der Kreatur den metallenen Flachmann auf den Kopf. Der Käfer kreischte und fiel nach hinten, sodass sein gepanzerter Rücken die Steuerkonsole traf. Aus einem langen Riss in seiner Schädelplatte sickerte ein grünes Sekret.

Dann ging ein Ruck durch den Ornithopter und er schoss auf den Boden zu.

Bernice kletterte nach vorn und versuchte, an die Bedienelemente zu kommen, aber der Pilot klemmte im Sitz fest und war ihr im Weg. Sie zerrte verzweifelt an dem massigen Panzer, versuchte ihn freizubekommen, aber die gedrungene insektoide Form war unglaublich schwer und glatt, sodass ihre Finger keinen Halt fanden.

Unterdessen stürzte der Ornithopter weiter abwärts. Die Schwingen bewegten sich nun viel langsamer und das Flugzeug begann zu kreiseln. Sie sah sich nach etwas wie einem Fallschirm um, fand jedoch nichts. Vielleicht waren sie hier noch nicht erfunden worden.

Der Ornithopter stürzte tiefer und tiefer, während Bernice weiter vergeblich am Piloten zerrte. Hätte sie auch nur einen Hauch von Verstand, hätte sie den Piloten erst nach der Landung verkloppt. Aber dann wäre sie ja gar nicht erst hergekommen, ging ihr auf. Sie wäre nicht auf das Gesäusel des Doktors hereingefallen.

»Nur ein bisschen einfache Forschungsarbeit, zu einem kleinen Projekt von mir«, hatte er gesagt. »Es mag nur ein Nebenschauplatz sein, aber ich glaube, es ist einen Versuch wert. Roz und Chris befassen sich bereits mit dem praktischen Teil. Die Aufgabe ist wie für dich gemacht, du bist doch eine talentierte Forscherin. Niemand sonst würde es auch nur halb so gut machen, abgesehen von mir natürlich, aber ich hab gerade zu viel um die Ohren. Du wirst von Sentarion begeistert sein – es ist so friedlich da. Du wirst dich dort ganz bestimmt wie zu Hause fühlen.«

 

Nun wird dieser Planet wohl nicht mein zweites Zuhause, sondern eher meine letzte Ruhestätte werden, dachte sie. Diesmal hatte sie sich selbst übertroffen: raus aus dem Shuttle, rein in dieses seltsame Fluggerät – und tot.

Der Doktor würde enttäuscht sein, überlegte Bernice, während sie weiter an dem verkeilten Panzer des Piloten zerrte. Und das war irgendwie das Ärgerlichste von allem.

Während ihr diese bitteren Gedanken durch den Kopf schossen, schlug der Ornithopter auf dem Boden auf. Bernice stellte mit einiger Empörung fest, dass sie noch lebte. Sie war ordentlich durchgeschüttelt worden und hatte überall blaue Flecken, war jedoch definitiv nicht tot.

Muss an der geringen Schwerkraft liegen, stellte sie fest, während sie versuchte, sich aus dem Wrack zu befreien. Oder die flatternden Schwingen hatten selbst eine Art Fallschirmeffekt gehabt und ihren Sturz abgebremst. Jedenfalls schien sie den Absturz überlebt zu haben.

Sie fand ihren Rucksack und arbeitete sich zwischen den Trümmern hervor, während sie die ganze Zeit über befürchtete, dass das Fluggerät explodieren würde, so wie das immer in den Holovideos passierte.

Der Ornithopter hingegen schlug nur noch einige Male schwach mit den Flügeln und sank dann in sich zusammen.

Bernice holte zittrig Atem. Noch immer hatte sie den Flachmann in der Hand – eingebeult, aber nicht zerbrochen –, also nahm sie einen schnellen Schluck zur Stärkung.

Sie sah sich um und verschaffte sich einen Überblick. Die strahlenden Turmspitzen der Stadt wirkten jetzt noch ferner als vorher.

Dann ist wohl doch ein langer Fußmarsch angesagt, Benny, dachte sie.

Viel Brandy war nicht übrig. Vor allem aber brauchte sie Wasser.

Dann sah sie, dass der zweite Ornithopter, der schickere, auf sie zugeflattert kam. Vielleicht war das ja das hiesige Äquivalent zum Roten Kreuz. Oder jemand wollte die Sache zu Ende bringen.

Bernice wühlte in ihrem Rucksack und fand schließlich – natürlich ganz unten am Grund – ihren Blaster. Eine innere Stimme rezitierte: »Standardausführung, Powerpack im Kolben, Stufe 1 versetzt einen soliden Stoß, Stufe 2 setzt außer Gefecht, Stufe 3 tötet.«

»Schon gut, Ace, schon gut«, murmelte sie. »Wo steckst du mit deiner tragbaren Waffenkammer, wenn man dich mal braucht?«

Sie stellte den Blaster auf Stufe 2 und straffte sich, als der zweite Ornithopter in ihrer Nähe landete.

Eine große, grüne Gestalt kletterte aus dem Pilotensitz und stakste auf sie zu. Gute drei Meter war das Wesen groß. Es hatte riesige funkelnde Augen, zwei lange, dünne Fühler, zwei Paar Vorderbeine und ein riesiges Paar Hinterbeine mit invertierten Kniegelenken. Es ähnelte stark einem gigantischen Grashüpfer, nur war es in einen goldenen Umhang gehüllt.

Bernice hob den Blaster. »Keinen Schritt näher!«

Die Kreatur verbeugte sich steif. »Professor Summerfield?«, fragte sie mit ihrer hohen, durchdringenden Stimme. »Zur Universität? Bitte einsteigen!«

Bernice gestikulierte zu dem zerstörten Ornithopter mit dem toten Piloten darin. »Genau das hat der da auch gesagt. Hat uns beiden nicht viel genützt – besonders ihm nicht. Machen Sie lieber nicht den gleichen Fehler.«

»Das kann man nicht vergleichen. Ich bin Hapiir, Ihr zugewiesener Mentor. Ich bin Mitarbeiter der Universität, fünfter Grad.«

»Und wer war das da?«

»Einer von den Harrubtii: Banditenabschaum aus der Wüste. Sie haben es auf unvorsichtige Reisende abgesehen. Sie waren sehr unbesonnen, Frau Professor.«

»Was war ich?«, fragte Bernice empört. »Ich komme hier als akkreditierter Gast der Universität an, werde von diesem mörderischen … Ding da abgeholt, das droht, mein Blut zu trinken, ich muss um mein Leben kämpfen, gehe beim Absturz fast drauf und Sie nennen mich unbesonnen?«

Hapiir wartete, bis ihr der Atem ausgegangen war, und rügte sie dann: »Haben Sie denn nicht die Warnung gelesen, keine unlizenzierten Thopter zu besteigen? Schauen Sie, meiner trägt das Zeichen der Universität.« Hapiir zeigte auf eine Reihe goldfarbener Symbole am Rand seines Gefährts. Dann warf er einen verächtlichen Blick auf das schäbige, ungekennzeichnete Wrack. »Wie konnten Sie nur in so ein Vehikel steigen? Haben Sie denn noch nie Ihren Heimatplaneten verlassen? Wissen Sie nicht, wie gefährlich so eine Reise sein kann? Hätte man Sie umgebracht, hätten Sie der Universität große Unannehmlichkeiten bereitet.«

»Bitte ergebenst um Verzeihung«, zischte Bernice eisig.

»Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Und nun steigen Sie bitte auf, damit wir uns nicht noch mehr verspäten.«

»Einen Moment noch«, sagte Bernice. »Können Sie sich ausweisen?«

Hapiir holte ein verschnörkeltes goldenes Abzeichen unter seinem Umhang hervor. »Mein Amtssiegel.«

Wenn es nach Bernice ging, hätte das genauso gut ein Verdienstabzeichen der Pfadfinder von Sentarion sein können, aber sie war zu müde, um sich zu streiten. Ihr Körper begann, auf den Schock zu reagieren, und mit einem Mal fühlte sie sich erschöpft. Wenn die Käfer, die hier lebten, sie unbedingt fertigmachen wollten, dann sollten sie doch. Hauptsache, sie bekam vorher etwas zu essen und zu trinken.

Müde kletterte sie in den Passagiersitz des zweiten Ornithopters und wedelte auffordernd mit ihrem Blaster.

»Nun denn, nach Hause bitte, James. Und zwar auf dem kürzesten Weg, keine Umwege, egal wie hübsch die Landschaft sein mag.«

Mit würdevollem Schweigen stieg Hapiir in den Pilotensitz. Die Schwingen des Ornithopters schlugen sanft, dann glitt er geschmeidig in den Himmel hinauf. Bernice behielt den Blaster in der Hand – genau wie ihre Brandyflasche –, bis sie sicher war, dass sie Kurs auf die Stadt nahmen.

Dann steckte sie beides weg und beugte sich vor.

»Wie kommt’s, dass Sie zu meiner Rettung erschienen sind?«

»Ich hatte den Auftrag, Sie abzuholen und zur Stadt zu bringen. Leider habe ich mich etwas verspätet und sah gerade noch, wie Sie in einem anderen Thopter wegflogen. Ich hab mir Sorgen gemacht und bin Ihnen gefolgt.«

Bernice dachte nach. »Sie sagen, diese Banditen lauern Reisenden auf?«

»Leider ist das der Fall.«

»Allzu viel können sie dabei ja nicht verdienen.«

»Ich kann der Logik Ihrer Argumentation nicht folgen.«

»Eine Landung pro Tag? Und heute nur eine Reisende? Würde ich nicht unbedingt als reiche Beute bezeichnen.«

Hapiir gab ein genervtes hohes Pfeifen von sich.

»Momentan ist es sehr ruhig. Wenn die Vorlesungen wieder losgehen, landen viele Schiffe, und die Leute kommen in Scharen.«

»Noch was«, sagte Bernice. »Der Bandit wusste meinen Namen. Das war nicht einfach irgendein dahergelaufener Raumhafenräuber – der hat auf mich gewartet.«

Dieses Mal schwieg Hapiir eine Zeit lang, bevor er antwortete. Dann gestand er widerwillig: »Es wird befürchtet, dass manche Angestellte der Universität Informationen verkaufen. Wenn die Banditen von der Ankunft eines besonderen Besuchers erfahren, planen sie einen Überfall. Sie sind Archäologin, nicht wahr? Zweifellos dachte der Bandit, Sie hätten wertvolle fremde Artefakte dabei. Sein Plan war, Sie in die Wüste zu bringen und dort auszurauben.«

»Das klingt für mich nach einer verdammt gut organisierten Operation«, sagte Bernice. »Ich dachte, dieser Ort wäre eine Oase des Friedens und der Gelehrsamkeit. Jetzt hört sich’s eher nach dem guten alten Chicago an. Kommen eigentlich auch manche Ihrer Besucher lebendig wieder zu Hause an?«

»Tausende von Gelehrten besuchen Sentarion jedes Jahr«, erwiderte Hapiir. »Die meisten haben einen glücklichen und bereichernden Aufenthalt. Bitte beurteilen Sie uns nicht allein anhand dieses unglücklichen Vorfalls. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich aufs Fliegen konzentrieren. Sie wollen ja heute gewiss nicht noch eine Bruchlandung erleben.«

Hapiirs Kiefer schlossen sich mit einem hörbaren Klicken. Bernice lehnte sich zurück und ließ ihm das letzte Wort. Das Ganze klang plausibel, überlegte sie. Aber stimmte es auch?

Nun waren sie hoch über der Stadt und Bernice ließ fasziniert den Blick schweifen. Unfassbarerweise schien die Stadt nur aus einem einzigen Gebäude zu bestehen, das sich ausdehnte, so weit das Auge reichte. Aber wahrscheinlich handelte es sich vielmehr um eine Ansammlung von Gebäuden, die auf jeder Etage über Durchgänge und Wege miteinander verbunden waren. Die Häuser ähnelten fantastischen Schlössern, geschmückt mit Türmen, Erkern, Wehrgängen und Spitzen. Sie waren aus einer strahlend weißen, kristallartigen Substanz gebaut, durch die sich hier und da farbige Schlieren zogen. Zwischen den Schlössern gab es Plätze mit Quellen und Grünflächen, die wie Parks oder Gärten aussahen.

Auf den Wegen weit unter ihr wimmelte es von winzigen Gestalten, die sich von einem Gebäude zum anderen bewegten. Ornithopter in allen Farben, Formen und Größen flatterten um die Türme herum wie gigantische Motten.

Bernice beugte sich vor. »Wie schön«, sagte sie.

»Das ist die Stadt«, sagte Hapiir stolz. »Einst nur eine Handvoll Gebäude in einer Oase, Heimat für wenige arme Gelehrte. Allmählich wuchs das Ganze: Raum um Raum wurde hinzugefügt, Wohnung um Wohnung, Büchereien, Schlafsäle, Labore … und schauen Sie nur, was inzwischen daraus geworden ist.«

Der Ornithopter schoss zwischen den Gebäuden abwärts und landete auf einer Rampe, die aus einem der Türme hervorzuwachsen schien. Dürre grüne Gestalten kamen herbeigeeilt und sicherten das Fluggerät mit Seilen, dann zogen sie es in eine große Halle hinein. Bernice stieg ab und schaute sich um. Ornithopter standen in zahllosen Reihen mit gefalteten Schwingen da. Noch während sie sich umsah, landete ein weiterer auf der Rampe.

Ein Parkhaus ist eben ein Parkhaus, ganz gleich, wo man ist, dachte Bernice und wandte sich um. Hapiir verbeugte sich förmlich.

»Willkommen auf Sentarion, Domina«, sagte er. »Ich hoffe, Sie werden den unglücklichen Unfall bei Ihrer Ankunft schon bald vergessen haben und Ihren Aufenthalt bei uns als fruchtbar und bereichernd erleben.«

»Wie haben Sie mich gerade genannt?«, fragte Bernice neugierig.

»Domina. Das ist hier die übliche Anrede für herausragende weibliche Gelehrte.« Hapiir musterte Bernice einen Augenblick lang besorgt. Sein Blick wanderte über ihre staubigen Jeans, die abgetragenen Kampfstiefel und die Safarijacke mit den vielen Taschen. »Sie sind doch weiblich? Meine Erfahrung mit fremden Arten ist leider eher begrenzt.«

»Keine Sorge, Sie haben richtig geraten«, sagte Bernice.

»Unser gegenwärtiger Lordkanzler ist ein Historiker und die Universitäten der Alten Erde sind sein Spezialgebiet. Wir haben viele ihrer Gebräuche und Praktiken übernommen. Er freut sich schon sehr darauf, Sie kennenzulernen.«

»Aber nicht so«, sagte Bernice bestimmt. »Erst muss ich mich frisch machen und was anderes anziehen.«

»Wenn Sie mir bitte folgen würden, ich bringe Sie zu Ihrem Quartier.«

Nachdem sie die umwerfende scharlachrote Robe eines Master of Arts der Universität von Antares angezogen hatte, folgte Bernice Hapiir durch einen breiten Säulengang, der an der Außenseite des Turms entlanglief.

(Wie sich herausgestellt hatte, war ihr Quartier eine schlichte Kammer mit einer Pritsche, einem Tisch, einem Stuhl und schlichten Sanitärvorrichtungen. Offensichtlich war Sentarion ein Ort des einfachen Lebens und geistigen Strebens.)

Andere Lebewesen schlenderten den erhabenen Säulengang entlang, einige menschlich oder menschenähnlich, andere nicht. Manche waren insektoid wie Hapiir, es gab jedoch eine erstaunliche Zahl von Variationen in Bezug auf Größe und Form. Viele trugen den gleichen seltsam anmutenden Kopfschmuck: eine runde Kappe mit einem quadratischen Aufsatz und einem schmückenden Bommel in der Mitte.

Als sie an Bernice vorbeikamen, lüpften sie feierlich ihre Kopfbedeckungen. Bernice neigte ebenso feierlich ihren Kopf unter ihrer scharlachroten Kapuze.

Wenn man bedachte, dass die Robe eigentlich für den Doktor gemacht worden war, passte sie ihr überraschend gut. Der Doktor war, wie er immer so bescheiden sagte, ein Doktor in praktisch allem. Bei so vielen akademischen Titeln konnte er leicht einen für sie entbehren.

Eines Tages, schwor sich Bernice, würde sie zur Universität gehen, ihr Studium abschließen und eine echte Professorin werden. Eines Tages …

 

Sie bogen vom Säulengang ab, gingen einen kurzen Korridor mit prachtvollen Wandteppichen hinunter und blieben vor einer doppelflügligen Tür stehen. Die Flügel schwangen auf und Hapiir bedeutete ihr einzutreten. Dann schloss sich die Tür hinter ihr. Sie fand sich in einem großen, komfortablen Studierzimmer wieder, dessen Wände voller Bücher waren – keine Disketten, Bänder oder Holovideorollen, sondern echte Bücher! Ein farbenfroher Teppich bedeckte den Boden, es gab große Ledersessel, polierte Mahagonitische und an den Wänden hingen alte Gemälde in massiven Goldrahmen.

Hinter dem riesigen, lederbezogenen Schreibtisch auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich eine hoch aufragende Gestalt und kam auf sie zu, um sie zu begrüßen. Bernice stellte fest, dass die Erscheinung des Lordkanzlers sie nicht sonderlich überraschte: Ein übergroßer Käfer hätte sie beinahe ermordet und ein hünenhafter Grashüpfer war ihr Fremdenführer.

Warum sollte der Lordkanzler dann keine gigantische Wanderameise sein?

Sein schimmernder, segmentierter Körper war in einen langen schwarzen Talar gehüllt und auch er trug einen der seltsamen Hüte auf seinem schmalen Insektenkopf. Mit seinen intelligenten, funkelnden Augen musterte er sie eingehend, dann reichte er ihr eine seiner Vorderklauen und hob den unpassend wirkenden akademischen Hut. »Seien Sie gegrüßt, Domina.«

Seine Stimme klang tief und samtig.

Bernice verbeugte sich tief. »Ich grüße Sie, mein lieber Herr Lordkanzler.«

Mit tiefer Stimme fuhr der Lordkanzler fort: »Sie kommen nicht nur mit exzellenten Qualifikationen zu uns«, er deutete mit einer Klaue auf ihre akademische Robe und Bernice empfand einen Anflug von Scham, »sondern auch aufgrund Ihrer Bekanntschaft mit unserem alten Freund, dem Doktor.«

Hatte der Doktor denn überall in der Galaxis einflussreiche Freunde in wichtigen Positionen? Ja, wahrscheinlich schon, dachte Bernice.

»Um des Doktors willen sage ich Ihnen die Unterstützung der Universität zu«, sagte der Kanzler. »Wie können wir Ihnen behilflich sein?«

»Meine Forschung bezieht sich auf den rutanisch-sontaranischen Konflikt.«

Einen Moment lang herrschte Stille.

»Ich wünschte, Sie hätten ein anderes Thema gewählt«, erklärte der Lordkanzler reuevoll. »Aber versprochen ist versprochen und ich bin es dem Doktor schuldig.« Er hielt inne. »Sowohl seinet- als auch Ihretwegen muss ich Ihnen jedoch raten, mit größter Diskretion vorzugehen. Beide Völker sind geheimniskrämerisch und misstrauisch – sogar paranoid. Man wird Ihnen Ihre Forschung möglicherweise verübeln oder Ihnen sogar offenen Widerstand zeigen. Auf Sentarion ist es nicht immer so sicher, wie es den Anschein hat.«

»Das habe ich schon mitbekommen«, sagte Bernice und musterte den Lordkanzler dabei sehr genau. »Ich war kaum hier angekommen, da bin ich schon einem Exemplar Ihrer lokalen Banditen begegnet. Einen der Harrubtii …«

Sie berichtete ihm kurz von dem Vorfall.

Der Lordkanzler lauschte ihr aufmerksam. Als sie fertig war, sagte er: »Ich muss Sie untertänigst um Verzeihung bitten für diese unglückselige Erfahrung. Aber Sie haben die Situation ja offenbar höchst geschickt gemeistert.« Er schwieg einen Moment. »Wer hat Ihnen erzählt, die Harrubtii seien Räuber?«

»Mein zugewiesener Mentor, Hapiir.«

»Seltsam, dass er einen derart groben Fehler gemacht hat.«

»Wie darf ich das verstehen, Herr Lordkanzler?«

»Die Harrubtii betrachten Dinge wie Raub und Überfälle als unter ihrer Würde. Als Banditen kann man sie nur schwerlich bezeichnen.«

»Was sind sie dann?«

»Sie sind Attentäter.«

»Warum sollten sie mich denn umbringen wollen?«

»Eine gute Frage. Gewöhnlich töten die Harrubtii sich nur gegenseitig wegen ihrer endlosen Blutfehden. Gelegentlich bieten sie jedoch einem wichtigen Kunden zu einem sehr hohen Preis ihre Dienstleistungen an.« Der Lordkanzler setzte sich wieder auf seinen Stuhl und verschränkte seine sechs Beine. »Ich muss ihnen leider mitteilen, Domina Bernice, dass jemand sehr Reiches und Mächtiges Ihnen nach dem Leben trachtet.«

»Aber das ist unmöglich«, warf Bernice ein. »Warum sollte mich jemand ermorden wollen? Ich verstehe ja, was Sie über meine Nachforschungen gesagt haben, aber deswegen würde mich doch niemand tot sehen wollen, oder?«

»Vielleicht gibt es einen anderen Grund«, sagte der Lordkanzler. »So seltsam das im Hinblick auf ihr Gewerbe auch anmuten mag: Die Harrubtii sind unsere größten religiösen Eiferer. Sollten sie den Eindruck haben, dass Sie sich hier in religiöse Angelegenheiten einmischen wollen, würden sie sicher keinerlei Skrupel haben, sie umzubringen. Möglicherweise hat jemand den Harrubtii falsche Informationen zugespielt, was den Zweck Ihres Besuchs betrifft.«

Möglicherweise, dachte Bernice. Wenn, wie der Lordkanzler nahegelegt hatte, jemand sie tot sehen wollte, ließe sich das sehr gut erreichen, indem man ihr die ortsansässigen religiösen Fanatiker auf den Hals hetzte.

Dieser Jemand müsste von ihrer Mission wissen und er müsste zu allem bereit sein, um sie zu vereiteln. Und das bedeutete, dass es für sie auf Sentarion tatsächlich etwas herauszufinden galt.

Vielleicht war diese Reise doch nicht ganz so nebensächlich wie gedacht.

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