Ten Mile Bottom

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Kapitel 7

Als die Sonne an diesem Abend unterging, war ich vollkommen erschöpft. Dieser Tag fühlte sich an, als hätte er sich eine Woche lang hingezogen. Das Positive war, dass alle Wände im Wohn- und Esszimmer und der Küche frisch gestrichen waren und ich mich endlich mit einem kalten Drink setzen und entspannen konnte. Ein kalter, alkoholfreier Drink.

Ich nahm eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank und nahm sie mit raus in den Garten, wo ich mich setzte und den Verschluss mit einem befriedigenden Zischen aufschraubte. Nachdem ich ein paar große Schlucke getrunken hatte, knurrte mein Magen laut. Seufzend ließ ich den Kopf nach hinten an die Stuhllehne sinken.

Die Sonne war fast vollständig hinter den Bäumen in der Ferne versunken und hüllte den Himmel in einen orangefarbenen Schein. Es war faszinierend zu beobachten, wie die letzten Strahlen verschwanden. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Sonnenuntergang betrachtet hatte, wenn überhaupt. Wann hatte ich das letzte Mal nach einem schrecklichen Tag draußen gesessen und mir erlaubt, einfach zu sein?

Manchmal sind die kleinen Dinge die wirklich wichtigen, Finney.

Aidens wahre Worte gingen mir durch den Kopf, als ich zusah, wie sich die umwerfenden Farben auf dem Himmel ausbreiteten und die fluffigen Wolken orange, gelb, rot und sogar pink anmalten.

Mein Magen knurrte erneut und erinnerte mich daran, dass ich jede Sekunde hungriger wurde, sosehr ich auch hier sitzen bleiben und mich die nächsten fünf Jahre nicht bewegen wollte. Aber der Kühlschrank war noch genauso leer, wie ich ihn heute Nachmittag hinterlassen hatte. Alles, was ich geschafft hatte, nachdem Ben mich abgesetzt hatte, war ein schnelles Mittagessen, eine Powerbank zu besorgen, ein paar Eimer Farbe im Heimwerkerbedarf zu kaufen und mir ein Taxi zu bestellen.

Ich zog mein frisch aufgeladenes Handy aus der Tasche und suchte nach Lieferservices in der Gegend. Mir wurden einige Restaurants angezeigt und ich bestellte viel zu viel chinesisches Essen, aber ich war einfach zu erschöpft, um mir darüber Gedanken zu machen. Nachdem das erledigt war, lehnte ich mich zurück und beobachtete den dunkler werdenden Himmel, zufrieden damit, nicht weiter denken zu müssen als an meine Essenslieferung.

Keine fünf Minuten später erschreckte mich das Geräusch der Türklingel. Ich stand auf und sah auf meinem Handy auf die Uhr, um sicherzugehen, dass ich nicht für eine halbe Stunde eingenickt war, aber nein, es war genau sechs Minuten her, seit ich das Essen bestellt hatte. Stirnrunzelnd ging ich zur Tür, bereit, wen auch immer ohne irgendwelche Höflichkeiten wieder wegzuschicken.

»Hi«, sagte Ben lächelnd, als ich hastig die Tür öffnete.

»Hi?« Erneut überraschten mich sein aufrichtiges Lächeln und sein aufgeschlossener Gesichtsausdruck.

»Entschuldige, dass ich so spät störe, aber ich dachte, du willst sie vielleicht so schnell wie möglich zurück«, sagte er und streckte die Hand aus. An einem seiner langen Finger baumelten meine Autoschlüssel. Ich war so von Bens Anwesenheit eingenommen gewesen, dass ich mein Auto ganz übersehen hatte, das hinter ihm in der Einfahrt stand.

»Du konntest sie reparieren?«, fragte ich, nahm ihm die Schlüssel ab und ging an ihm vorbei zum Auto.

»Eigentlich gab es nichts zu reparieren«, sagte er direkt hinter mir. Überrascht sah ich ihn an und er fuhr fort. »Ich hab das Auto an den Computer angeschlossen und es wurde kein Fehler angezeigt. Also hab ich es angelassen und eine Testfahrt gemacht. Alles hat wunderbar funktioniert. Ich vermute, dass vielleicht ein Steinchen auf den Sensor getroffen ist und sich dort verkeilt hat, sodass das System gestört war. Aber als das Auto zur Werkstatt geschleppt wurde, hat es sich wahrscheinlich gelöst.« Er zuckte mit den Schultern und ich runzelte die Stirn. »Ich weiß, dass es lächerlich klingt, aber ich hab das schon gesehen. Dieses Auto ist nicht für unebene, verdreckte Landstraßen gemacht, Finn.«

Mit unmenschlicher Kraft gelang es mir, beim Klang meines Namens aus seinem Mund nicht die Augen zu schließen. Behutsam trat ich einen Schritt zurück, drehte mich zum Auto und strich mit den Fingern übers Dach.

»Aber ich liebe sie«, sagte ich und klang dabei wie ein bockiges Kind. Ich wollte nicht die eine Sache verkaufen, die mich an mein altes Leben erinnerte. Die eine Sache, die mir ein bisschen Luxus und das Gefühl gab, ein wenig ich selbst zu sein, wenn ich sie fuhr.

Ben grinste. »Natürlich tust du das. Ich sage nicht, dass du sie loswerden sollst, aber ich fürchte, dass wir uns vielleicht oft sehen werden.« Mein Blick huschte zu ihm. Was für eine Qual, wie soll ich das nur ertragen, dachte ich.

Er deutete mit dem Kinn auf das Auto. »Sie hat sich noch nicht an das Landleben gewöhnt.«

Ich biss mir von innen auf die Wange, um nicht zu lächeln, und sagte: »Wie viel schulde ich dir?«

Ben winkte ab. »Ich hab nichts gemacht. Das Auto war in Ordnung. Ich hab nur eine Testfahrt gemacht und ich kann dir versichern, dass das nicht unangenehm war.«

»Du hast auch deine Zeit verschwendet, um ein Problem zu suchen, und hast sie mir dann nach der Arbeit zurückgebracht.« Ich wollte niemandem einen Gefallen schuldig sein. Mir war immer noch nicht eingefallen, wie ich mich bei Steve dafür revanchieren konnte, dass er mich heute Nachmittag aufgenommen hatte, und ich fühlte mich dadurch immer unwohler.

»Ist kein Problem«, sagte Ben und winkte erneut ab.

Ein Auto fuhr vor die Einfahrt und ein Mann mittleren Alters stieg aus, winkte uns zu und nahm dann zwei Tüten aus dem Kofferraum. Lächelnd reichte er mir und Ben eine der Tüten und der köstliche Geruch von dampfend heißem Essen überwältigte meine Sinne. Ich atmete tief ein und schloss einen Moment die Augen, während mein Magen erneut knurrte. Ich gab dem Mann noch ein Trinkgeld, bevor er wieder ging.

»Erwartest du Besuch?«, fragte Ben mit hochgezogener Braue und sah zwischen der Menge an Essen und mir hin und her.

»Nein, aber ich hab das Gefühl, als könnte ich einen Elefanten essen und meine Aufmerksamkeitsspanne ist am Ende, also hatte ich keine Lust, zwischen verschiedenen Dingen zu wählen und hab die ganze Karte bestellt.«

Ben reichte mir die Tüte und ich stand einfach da, zwischen ihm und meinem Auto, während der Geruch nach Essen die Luft erfüllte und meine Knie vor Hunger nachgaben.

»Warum bleibst du nicht wenigstens zum Essen?«, hörte ich mich sagen, aber mein Kopf war nicht schnell genug, um hinterherzukommen. Bens Augen leuchteten auf und das Grün strahlte wie das einer Katze in der Dunkelheit. »Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem du dich so um mein Auto gekümmert hast«, fügte ich schnell hinzu. Mein Herz schlug so schnell, dass ich glaubte, aus den Latschen zu kippen und zu sterben.

»Sicher, liebend gern«, sagte Ben, nahm mir die Tüte aus der Hand und ging zum Haus, als würde er spüren, dass ich meine Meinung ändern würde.

»Großartig«, murmelte ich und folgte ihm.

***

Die Sache war, dass wir manchmal dumme, übereilte Entscheidungen trafen, die uns zerstörten, beinahe umbrachten. Aber manchmal trafen wir dumme, übereilte Entscheidungen, die sich zum Besten entwickelten, was uns seit einer Weile passiert war.

Während ich auf dem unbequemen Holzstuhl saß und mir gedanklich notierte, dass ich neue Esszimmerstühle brauchte, die meinen Hintern nicht taub machten und dafür sorgten, dass sich mein Rücken komisch wölbte, beobachtete ich Ben, der gerade angeregt sprach, ohne dass das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand.

»Weißt du, es ist praktisch, wenn man ein paar Sprachen spricht«, sagte er und beendete seine Geschichte über ein Auto voller Touristen, die mitten in der Nacht auf der Autobahn gestrandet waren und nur ein paar Worte Englisch sprachen. »Vor allem, wenn man an so einem Ort wohnt.« Er hielt inne, um von seinem Prawn Toast abzubeißen, den er sanft zwischen den Fingern hielt.

Mit Mühe gelang es mir, meine Aufmerksamkeit von seinen sinnlichen Lippen abzuwenden, als er kaute, und mich stattdessen auf seine Worte zu konzentrieren.

»Was für ein Ort?«, fragte ich mit hochgezogener Braue. Ihm war bewusst, dass wir gerade in einem Esszimmer in einem Haus am Rand einer kleinen, ländlichen Stadt mit gerade dreißigtausend Einwohnern saßen, oder?

»Cambridge ist ein paar Kilometer entfernt und stark überfüllt, also neigen die Leute dazu, in die umliegenden Städte auszuweichen«, sagte Ben schulterzuckend und biss noch einmal von seinem Prawn Toast ab. »Und Cambridge, ich weiß nicht, ob du schon mal da warst, aber dort leben Menschen aus der ganzen Welt. Viele von ihnen kommen und gehen wegen der Universität, aber viele bleiben. Wie meine Mum.«

»Deine Mum?«

»Ja, sie ist Kolumbianerin«, sagte Ben grinsend. »Deshalb spreche ich Spanisch.« Er wedelte mit der Hand, um auf die Verbindung zu der Geschichte aufmerksam zu machen, die er gerade erzählt hatte.

Und deshalb hast du so umwerfend dunkle Haut, fügte ich gedanklich hinzu, ehe ich mich räusperte und laut sagte: »Ach ja?«

Heute Abend würde ich keine Preise für Eloquenz gewinnen und das war in Ordnung. Ben schien es auch nicht zu stören.

Er lächelte breit, als er von seiner Mutter sprach. »Ja. Sie ist nach Cambridge gekommen, um Medizin zu studieren – ihre Familie ist stinkreich«, sagte er erneut abwinkend. »Hat meinen Dad kennengelernt, sich verliebt und ist nach dem Abschluss geblieben. Er neckt sie immer damit, dass sie eine Prinzessin der kolumbianischen Mafia ist.«

»Ist sie?«, fragte ich und erwiderte sein Lächeln.

»Nein, ihr Dad ist Arzt und ihre Mutter hat eine reiche Familie, also geht es ihnen gut, auch ohne Verbindungen zur Mafia.« Er wandte nachdenklich den Blick ab, ehe er hinzufügte: »Soweit ich weiß.«

 

Er sah mir in die Augen und das verschmitzte Glitzern in seinem Blick verriet mir, dass er nur Witze machte. Ich lachte kopfschüttelnd und schaufelte mir etwas Reis auf die Gabel. Eine Weile aßen wir schweigend und ich wusste, dass von mir wahrscheinlich erwartet wurde, den Gefallen zu erwidern und ein paar persönliche Informationen preiszugeben, aber bei dem Gedanken, diesem lieben, fürsorglichen Mann von meiner verkorksten Vergangenheit oder dem Familiendrama zu erzählen, verkrampfte sich mein Magen.

»Finn?«, sagte Ben und ich sah ihn an. Er hatte seine Gabel abgelegt und das Kinn auf die Hände gestützt. »Ich muss dir was gestehen und mir ist klar, dass ich es wahrscheinlich in der Werkstatt hätte tun sollen, als wir uns das erste Mal gesehen haben, aber es schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein und jetzt fürchte ich, dass du denkst, ich wäre ein verrückter Stalker oder so was.« Er plapperte, sein Körper war angespannt und von seiner lächelnden, entspannten Haltung von eben war nichts mehr zu sehen. Es machte mich nervös.

Vielleicht bringen uns dumme, übereilte Entscheidungen doch um.

»Oh Gott, du siehst mich bereits an, als wäre ich ein Stalker.« Seine Augen wurden unmöglich noch größer und plötzlich breitete sich ein beschützerisches Gefühl in meiner Brust aus.

»Ich halte dich nicht für einen Stalker, Ben«, sagte ich, lehnte mich zurück und verschränkte die Arme. »Sag einfach, was du zu sagen hast.«

Er atmete tief ein und stieß die Luft dann wieder aus. »Ich weiß, wer du bist.« Ich war ziemlich sicher, dass er die Luft anhielt, während er mich bedauernd mit großen, runden Augen ansah. »Es tut mir leid, aber es ist so«, fuhr er hastig fort und hob die Hände, als würde er das Stirnrunzeln abwehren wollen, das sich auf meinem Gesicht breitmachte. »Und ich bin ein riesiger Fan. Lost Silence hat mein Leben verändert, Finn. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir dieses Buch bedeutet.«

»Scheiße«, stöhnte ich und legte das Gesicht in meine Hände.

Typisch für mich. Ich zog nach Ten Mile Bottom, das ich wortwörtlich wahllos ausgesucht hatte, indem ich auf eine Karte gezeigt hatte, und jemand hier wusste, wie ein Autor aussah, der seit zwei Jahren nichts veröffentlicht hatte.

»Ich folge dir schon seit Jahren in den sozialen Medien, also wusste ich sofort, dass du es bist, aber du hast so mitgenommen und sauer ausgesehen, dass ich nichts sagen konnte.« Er sprach weiter und ich schielte ihn zwischen meinen Fingern hindurch an, mit denen ich noch immer mein Gesicht bedeckte.

Ich wollte gerade nicht Finnegan J. Rowe sein. Ich wollte die Zeit fünf Minuten zurückdrehen, als wir chinesisches Essen gegessen und lustige Geschichten ausgetauscht hatten. Na ja, Ben hatte lustige Geschichten erzählt, während ich einsilbige Antworten von mir gegeben und mich vollgestopft hatte, aber egal.

»Kannst du irgendwas sagen?«, bat er und eine Sorgenfalte bildete sich zwischen seinen Brauen. Sanft zog er mir die Hand vom Gesicht.

»Ich halte dich nicht für einen Spinner«, sagte ich aufrichtig. Ich hatte viele meiner Leser kennengelernt und Bens Reaktion war im Vergleich zu anderen ziemlich dezent. Fangen wir gar nicht erst mit den Geschenken an, die ich bekommen hatte. Ich zitterte schon, wenn ich nur daran dachte.

»Aber?«, drängte Ben.

»Aber es wäre mir lieber, wenn du niemandem davon erzählst.«

»Josh weiß es schon«, sagte Ben und wandte schuldbewusst den Blick ab. »Aber ich hab es ihm nicht gesagt! Er hat über die Jahre oft gehört, wie ich von dir gesprochen habe und hat deine Accounts in den sozialen Medien auch gesehen, wenn auch nur, um sich über mich lustig zu machen, weil ich ein Fanboy bin.« Ben setzte das Wort in Anführungszeichen, errötete aber und wandte den Blick ab.

»Josh ist dein Bruder? Der andere Typ in der Werkstatt?«

»Ja.«

Ich seufzte und rieb mir erneut mit der Hand übers Gesicht. Nichts davon war Bens Schuld. Ich hatte mein Gesicht jahrelang online gezeigt. Außerdem hatte ich mich sehr offen zu kontroversen Themen geäußert und dadurch viele Follower bekommen, selbst wenn einige davon Trolle waren. Es kam nicht gerade unerwartet, von jemandem erkannt zu werden, wenn ich nicht erkannt werden wollte, auch wenn ich gehofft hatte, dass mich die Leute vergessen würden, wenn ich meine Profile deaktivierte.

»Das ändert die Dinge«, sagte ich leise.

Heute Abend, während wir in meiner Küche saßen, waren wir zwei Typen, die sich chinesisches Essen teilten und sich unterhielten, und ich hatte das Gefühl, als könnte ich Ben vertrauen. Er wirkte so aufrichtig und freundlich, so offen in seinen Gefühlen, ohne sichtbare Hintergedanken. Er hatte dafür gesorgt, dass sich etwas in mir beruhigte.

Aber jetzt? Jetzt, da ich wusste, dass er meine Arbeit gelesen hatte, mir online gefolgt war und mehr über mich wusste, als ich teilen wollte, spürte ich, wie meine Beklemmung wuchs. Vielleicht war es nicht fair, vielleicht war ich ein Arsch, aber ich brauchte Zeit, um all das zu überdenken.

Ich spürte, wie meine Mauern hochfuhren, als ich mich straffte und die Ellbogen auf den Tisch stützte. Als ich ihm direkt in die Augen sah, wusste ich, dass er es auch gespürt hatte. Ben hob eine Hand, damit ich nichts sagen konnte, und seine Augen verdunkelten sich vor Bedauern und Traurigkeit.

»Schon in Ordnung, ich versteh es«, sagte er und stand auf. »Ich finde selbst raus.« Er lächelte schwach und schob den Stuhl an den Tisch heran. »Danke fürs Essen….« Er hielt inne und kaute an seiner Unterlippe, eher hinzufügte: »Und es tut mir leid. Ich hätte etwas sagen sollen, bevor du mich in dein Haus eingeladen hast.«

Er drehte sich um und ging und ich hielt ihn nicht auf.

Kapitel 8

Das schrille Geräusch der Klingel erschreckte mich so sehr, dass ich heißen Kaffee auf meine Hand und die Anrichte verschüttete. Ich fluchte anschaulich und griff nach dem Küchenpapier, als es erneut klingelte und mich damit beinahe mordsmäßig wütend machte. Wer zum Teufel klingelte um neun Uhr morgens bei mir?

Unterdrückt fluchend marschierte ich zur Tür und es war mir egal, dass ich eine alte – und jetzt mit Farbe bekleckerte – Hose und ein fadenscheiniges T-Shirt mit Löchern in den Ärmeln trug. Ich hatte nicht gut geschlafen und die Erschöpfung trug zu meiner übertrieben schlechten Laune bei.

Die Klingel kreischte erneut direkt über meinem Kopf, als ich nach der Tür griff und ich musste die Augen schließen und die Zähne aufeinanderbeißen, um die sehr kreativen Flüche hinunterzuschlucken.

Gedankliche Notiz: die verdammte Klingel so schnell wie möglich abklemmen.

Ich riss die Tür mit einem wahrscheinlich tödlichen, finsteren Blick auf. Ein Mädchen im Teenageralter mit grellroten Haaren stand draußen und sah mich mit ihren blauen Augen an. Sie trug Jeans-Shorts und zwei, möglicherweise drei verschiedenfarbige Tanktops übereinander.

Sie lächelte mich an. »Hi.« Sie streckte eine Hand aus, während sie mit der anderen eine kleine Schachtel umklammerte. »Ich bin Rose.« Ich funkelte ihre Hand finster an, musste sie aus Höflichkeit aber schütteln. »Ich wohne gegenüber.« Sie zeigte auf das Haus neben Steves.

»Toll.« Ich hatte zwei Nachbarn und nun beide kennengelernt. Hoffentlich war ihre Neugier damit gestillt und sie würden mich verdammt noch mal in Ruhe lassen. »Finn«, grummelte ich.

Ihr Lächeln schwankte ein wenig, was wahrscheinlich an meinem fiesen Blick lag. Ich verschränkte die Arme und lehnte mich an den Türrahmen, während ich darauf wartete, was sie wollte.

»Der Postbote hat das gestern für dich abgegeben«, sagte sie und reichte mir das Paket. »Tut mir leid, dass ich es gestern Abend nicht vorbeibringen konnte, aber ich war mit Freunden weg und Mum war…«

»Danke«, unterbrach ich sie und nahm ihr das Päckchen aus der Hand. Ihre Augen weiteten sich einen Moment, doch dann verengte sie sie zu Schlitzen und sah mich ebenfalls finster an.

»Ich weiß es zu schätzen«, fügte ich hinzu und trat einen Schritt zurück, um die Tür zu schließen.

»Du bist neu hier«, sagte sie und kam einen Schritt auf mich zu. »Richtig?«

Sie wusste sehr gut, dass es so war, warum stellte sie mir also so dumme Fragen? Es war noch viel zu früh für eine kleine Unterhaltung mit einem Teenager.

»Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?«, sagte sie und lächelte strahlend.

Ich hatte nicht die Energie, um eine Ausrede zu finden, warum ich jetzt nicht mit ihr Kaffee trinken konnte, also seufzte ich, ließ den Kopf hängen und bedeutete ihr, reinzukommen. Sie belohnte mich mit einem weiteren strahlenden Lächeln und hüpfte zur Küche. Mir fiel auf, dass sie sich im Haus auskannte, als ich ihr folgte.

»Du renovierst?«, fragte sie und musterte mein Werk. Ich nickte und murmelte zustimmend, ehe ich die Kaffeemaschine wieder einschaltete. Mein eigener Kaffee war mittlerweile wahrscheinlich lauwarm geworden, also konnte ich mir auch eine neue Tasse machen. »Hat sich der alte Reed endlich entschieden, zu verkaufen?«

»Ähm, nein«, sagte ich und sah sie über die Schulter hinweg an. Sie hatte es sich auf einem meiner sehr unbequemen Stühle bequem gemacht. »Ich brauchte etwas, um mich zu beschäftigen, und er ist mir mit der Miete entgegengekommen, wenn ich das Haus renoviere.«

Rose hob skeptisch eine Braue. »Was machst du denn?«

»Im Moment bin ich arbeitslos«, sagte ich und goss den frischen Kaffee in zwei Tassen. Als ich mich umdrehte, musterte sie mich mit einem abschätzigen Blick, der weit über ihr Teenageralter hinausging.

»Wie alt bist du?«, platzte ich heraus. Wenn sie aufdringlich sein konnte, konnte ich das auch, selbst wenn es bedeutete, mich auf das Niveau eines Teenagers hinab zu begeben.

»Achtzehn«, sagte sie und nahm ihre Tasse.

Sie sah nicht aus wie achtzehn. Vielleicht lag es daran, dass sie kein Make-up trug oder an den Haaren, die locker um ihr Gesicht fielen, oder ihrem zierlichen Körperbau, aber ich hätte nie gedacht, dass das Mädchen, das gerade an meinem Küchentisch saß, technisch gesehen eine Erwachsene war. Der einzige Grund, aus dem ich das vielleicht noch einmal überdenken würde, waren ihre Augen. In ihnen lag eine gewisse Weisheit, die ihrem Alter voraus war, und eine Art Melancholie, auch wenn sie lächelte.

»Du?«, fragte sie und versteckte ihr Grinsen hinter der Tasse, als ich sie finster ansah.

»Vierundzwanzig.«

»Wow, du bist also ein attraktiver Vierundzwanzigjähriger, arbeitslos und mietest ein Haus am Rand einer Kleinstadt.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, um die dramatische Pause zu betonen. Das Mädchen wusste, wie man mit einem Publikum spielte. »Überhaupt nicht verdächtig.«

»Störst du meinen Morgen, um herauszufinden, ob ich ein Mörder bin?«

»Vielleicht.«

»Ganz allein«, sagte ich und legte selbst eine dramatische Pause ein. »Am Rand der Stadt. Keine Zeugen. Allein im Haus eines potenziellen Mörders.« Sie verengte die Augen, doch die aufblitzende Unsicherheit in ihren Augen verriet mir, dass sie die Sache nicht ganz durchdacht hatte. »Nicht sehr klug, Rose.«

Sie verdrehte die Augen. »Steve hat gesagt, dass du kein Mörder bist.«

»Tja, dann bin ich froh, das Stadtgespräch zu sein.« Ich legte so viel Sarkasmus wie möglich in meine Worte und meine Ungeduld wurde stärker. »Also, wenn du mit den Ergebnissen deiner kleinen Mission zufrieden bist, ich habe zu tun.«

Erneut verdrehte sie die Augen und ich beneidete sie um die Menge an Drama, die sie in diese winzige Geste legen konnte. »Schön.« Sie stand auf und verschränkte die Arme. »Du bist vielleicht kein Mörder, aber unhöflich. Und irgendwie seltsam«, fügte sie hinzu und musterte mich kritisch.

»Was auch immer, Rose.« Ich scheuchte sie aus der Küche in Richtung Tür. »Ich seh dich später.«

Sie tänzelte zur Tür hinaus und lächelte mich über die Schulter hinweg verschmitzt an.

»Das wirst du.«

***

Ich hatte für diesen Tag so viel geplant, konnte mich aber auf nichts konzentrieren. Zuerst hatte mich Roses unerwarteter und unerwünschter Besuch genervt und ich fürchtete mich vor dem Gedanken, dass sie tatsächlich mit mir befreundet sein wollte oder so was. Ich musste herausfinden, wie ich sie das nächste Mal abwehren konnte.

Aber dann konnte ich nicht aufhören, an Ben zu denken und was für ein Arsch ich gewesen war. Es war etwas komisch, dass er mir nicht gesagt hatte, dass er wusste, wer ich war und dass er meine Arbeit gelesen hatte, bevor wir zusammen gegessen hatten, aber das machte ihn nicht zu einem Opportunisten. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass Ben ein guter Kerl war, und meine Instinkte lagen nie falsch. Ich hatte mein Bauchgefühl in der Vergangenheit viel zu oft ignoriert, aber letztendlich hatte es nie falschgelegen.

 

Ich trank meinen Kaffee aus, stand auf und warf dem Stuhl einen finsteren Blick zu. Richtig. Das war der erste Punkt auf meiner To-do-Liste für heute: neue Esszimmerstühle kaufen. Ich hatte vor, viel Zeit im Haus zu verbringen und selbst zu kochen – oder es zumindest zu versuchen. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben gekocht, aber es konnte nicht so schwer sein, oder? Gedankliche Notiz Nummer zwei: Kochbücher und Lebensmittel kaufen.

Während ich die Tassen abspülte, fiel mir das Päckchen in die Augen, das Rose gebracht hatte. Ich wusste, dass es von Aiden war, bevor ich den Absender las. Niemand sonst kannte meine derzeitige Adresse, nicht einmal Renee. Wir hatten seit meinem Umzug ein wenig geschrieben, aber ich war noch nicht bereit, sie zu sehen. Ich war nicht bereit, vor ihr zu stehen und mich meiner Scham und den Schuldgefühlen zu stellen, während sie mich mit freundlichen, nicht anklagenden blauen Augen ansah. Ich war noch nicht bereit dafür, mir vergeben zu lassen.

Ich öffnete das Päckchen und lächelte. Aiden hatte mir Schokolade, Moss Pudding, die Salzkaramellkekse seiner Mum, einen Stoffteddy, um mein Bett zu wärmen, wie er auf das Schild an seinem Ohr geschrieben hatte, eine Schürze mit der Aufschrift Heißes Gerät am Herd und verschiedene exotische Teesorten geschickt.

Ich grinste, als ich mich daran erinnerte, wie Aiden mich auf dem College herausgefordert hatte, Mao-Feng-Tee zu probieren. Nachdem ich es getan und zugegebenermaßen ziemlich gemocht hatte, wurde es zu so einer Sache zwischen uns, jede seltsame Teesorte zu probieren, die wir entdeckten. Bis jetzt hatten wir uns nur bei Kombucha- und Lakritztee übergeben müssen und Fenchel hatte Aiden so müde gemacht, dass er fünfzehn Stunden durchgeschlafen hatte. Ich hätte beinahe einen Krankenwagen gerufen, denn er hatte mich zu Tode erschreckt.

Nachdem ich alles aus der Schachtel genommen hatte, ging ich nach draußen zu den Mülltonnen und hätte die Verpackung beinahe weggeworfen, als mir ein kleiner Umschlag auffiel. Darin befand sich ein Magnet in Form einer Schreibmaschine und mit den Worten Just my typo. Wahrscheinlich bekam man so etwas in jedem Geschenkeladen und hätte mich nicht dazu bringen sollen, schnell die Tränen wegzublinzeln, aber das tat es. Und dann sah ich, was Aiden auf ein Stück Papier geschrieben hatte.

Ist es nicht an der Zeit, dass du deine Worte wiederfindest?

Eine unglaublich lebhafte Erinnerung tauchte hinter meinen geschlossenen Augen auf.

»Was passiert, wenn mir die Worte ausgehen, Aiden?«, hatte ich gefragt.

»Ich glaube nicht, dass das jemals passieren wird«, hatte Aiden gesagt, sich neben mich auf die Couch gesetzt und meinen Laptop zugeklappt. »Worte sind keine endliche Zahl, die du mit dir herumträgst. Sie sind etwas, wonach du suchst und das du schließlich findest. Also ja, manchmal fällt es dir vielleicht schwer, sie auszugraben, aber dann werden sie auch frei um dich herumfliegen und du musst nur die Hand ausstrecken und sie ergreifen.«

Ich hatte seine Worte ziemlich wörtlich genommen; ich stellte mir vor, wie ich ein riesiges Loch in den trockenen Boden grub, jedoch nur ein paar verstreute Buchstaben fand und dann einen Schwarm Vögel, deren Körper aus Wörtern bestanden und die wie ein Wirbelsturm um mich herumflogen, sodass der Wind ihrer Flügel meine Haare zerzauste und meine Kleidung in alle Richtungen wehen ließ. »Und manchmal…«, fuhr Aiden fort und legte eine Hand auf meinen Arm, um mich wieder in die Realität zu holen, »… werden sie aus unbearbeitetem Ton sein, den du formen und umformen musst, bis er bereit zum Brennen ist.« Er hatte mir zugezwinkert und gelächelt und in diesem Moment hatte ich ihm geglaubt.

Ich öffnete die Augen und hielt den Magneten und die Notiz so heftig fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Meine Augen brannten, mein Herz fühlte sich schwer und geprellt an und meine Lungen bekamen nicht genug Luft. Ich warf die Schachtel in den Müll, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte wieder ins Haus, wo ich die Tür hinter mir zuknallte.

***

Auf keinen Fall würde ich sechs Esszimmerstühle in mein Auto bekommen. Selbst dann nicht, wenn sie auseinandergebaut waren. Der Typ, der mir geholfen hatte, den großen Wagen über den Parkplatz zu schieben, wusste es auch. Er warf einen Blick auf mein Auto, dann auf die sperrigen Kartons auf dem Wagen, dann auf mich und hob schließlich die Braue, ehe er die Arme verschränkte und grinste, als würde er denken: Na dann mach mal, ich will wirklich sehen, wie du das schaffst.

»Haben Sie einen Lieferservice?«, fragte ich und fuhr mir mit einer Hand durch meine neuerdings kurzen Haare. Ich hatte sie ganz so abrasiert wie Aiden, aber sie waren kürzer als jemals zuvor und es fühlte sich immer noch etwas seltsam an, mit den Fingern hindurchzufahren.

»Haben wir.« Er bewegte sich nicht, als würde er mich herausfordern, es wenigstens zu versuchen. Ich war überzeugt, dass er überhaupt keine Hilfe sein würde, stattdessen aber sein Handy herausnehmen und mich filmen würde, während ich versuchte, sechs Möbelkartons in den Kofferraum meines Sportwagens zu bekommen. Wahrscheinlich konnte ich einen, höchstens zwei reinbekommen und ein Paar würden auch auf den Rücksitz passen, aber ich erschauderte bei dem Gedanken, das Leder mit dem rauen Karton zu zerkratzen.

»Alles klar dann«, sagte ich und drückte auf die Fernbedienung, um das Auto abzuschließen, nachdem ich die kleineren Tüten verstaut hatte. »Ich würde diese Stühle gern so schnell wie möglich geliefert bekommen, bitte.«

Der Typ – Martin, wie auf seinem Schild stand – warf einen Blick auf seine Uhr.

»Es ist eine halbe Stunde vor Feierabend an einem Freitag, Kumpel«, sagte er seufzend. »Der früheste Termin wäre Montag.«

Super. Fantastisch.

Ich machte mir nicht mal die Mühe, zu widersprechen oder ihn zu bestechen. Ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir, denn ich hatte Sachen für die Küche und das Badezimmer sowie Kochbücher und all den anderen Mist eingekauft. Ich wollte nur nach Hause, ins Bett fallen und Essen bestellen.

»Das ist in Ordnung«, sagte ich und ging an ihm vorbei zurück in den Laden, um die Papiere auszufüllen. »Könnt ihr sie wenigstens gleich als Erstes Montagmorgen liefern?« Ich hatte noch nie Möbel zusammengebaut und hatte das Gefühl, dass es eine Weile dauern würde, bis ich den Dreh raushatte, aber aus irgendeinem irrationalen Grund war es mir sehr wichtig geworden, am Montagabend auf diesem verdammten Stuhl zu sitzen und zu Abend zu essen.

»Wir vergeben keine Termine. Wir kommen zwischen acht und achtzehn Uhr«, sagte der Typ, als er den Wagen zurück zum Laden fuhr.

Natürlich. Es wäre sonst auch zu leicht gewesen.

***

Ich parkte den Wagen in einer ruhigen Wohnstraße und schaltete den Motor aus. Bens Werkstatt war ganz in der Nähe und ich wusste, dass sie um sechs schlossen, also wollte ich da sein, bevor Ben Feierabend machte.

Ich wollte mit ihm sprechen, aber nicht dort. Sein Dad und Bruder schienen in Ordnung zu sein, aber ich war zu erschöpft, um den Überblick darüber zu behalten, wer mich schräg von der Seite ansah und verurteilte. Obwohl mir Ben das Gefühl gab, dass er ein netter Kerl war, kannte ich ihn nicht. Ich wusste nicht, was er seiner Familie über mich erzählt hatte oder wie sie darauf reagierten, wenn ich in die Werkstatt tänzelte und verlangte, mit Ben zu sprechen.

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