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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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Marquardt

 
Des Hofes Glanz und Schimmer
Blinkt nur wie faules Holz,
Die Kirche lebt vom Flimmer
Und wird vor Demut stolz;
Arm sind des Lebens Feste,
Rings abgestandner Wein,
Das Höchste und das Beste,
Wie niedrig und wie klein.
 
Walter Raleigh

Eine Meile hinter Bornstädt liegt Marquardt, ein altwendisches Dorf, ebenso anziehend durch seine Lage, wie seine Geschichte. Wir passieren Bornim, durchschneiden den „Königsdamm“ und münden unmerklich auf der Chaussee in die Dorfstraße ein, zu deren Linken ein prächtiger Park bis an die Wublitz und die breiten Flächen des Schlänitz-Sees sich ausdehnt.

Die gegenwärtige Gestalt von Marquardt, ebenso wie sein Name, ist noch jung; in alten Zeiten hieß es Schorin. Im fünfzehnten Jahrhundert, und weiter zurück, war es im Besitz zweier Familien; die eine davon nannte sich nach dem Dorfe selbst (Zabel von Schorin 1375), die andere waren die Bammes. Der Besitz wechselte oft; die Brösickes, Hellenbrechts und Wartenbergs lösten einander ab, bis 1704 der Etatsminister und Schloßhauptmann Marquardt Ludwig von Printzen das reizende Schorin vom Könige zum Geschenk, und das Geschenk selber, dem Minister zu Ehren, den Namen Marquardt erhielt.

An von Printzen, der sieben hohe Standesämter bekleidete und ebensoviele Titel führte, läßt sich die Phrase vom „unsterblichen Namen“ mustergültig studieren. Wer kennt ihn noch? Und doch war der Ruhm, den er seinerzeit genoß, ein so allgemeiner und wohlverdienter, daß selbst der medisante Herr von Pöllnitz nicht umhin konnte, in seinen Memoiren zu schreiben: „Um 1710 wurde von Printzen zum Oberhofmarschall ernannt. Seine Verdienste machten ihn dieser Stelle vollkommen würdig. Der Hof, bei welchem er schon sehr jung angestellt worden war, hatte weder seine Sitten noch sein Herz verdorben. Treue und Redlichkeit waren die Triebfedern aller seiner Handlungen und man kann mit Wahrheit sagen, daß unter allen Ministern des Königs er derjenige war, der den Meinders und Fuchs, welche Deutschland unter seine größten Männer rechnete, am meisten gleichkam. Seine Aufrichtigkeit hatte ihm jedermanns Liebe zugezogen. Selbst der Kronprinz, der ein geborener Feind aller Minister war, konnte ihm seine Hochachtung nicht versagen, so daß er, als der Prinz zur Regierung kam, der Einzige war, der seine Stelle behielt.“

So Pöllnitz über von Printzen. Ein Glück, daß sieben Hof- und Staatsämter ihn bei Lebzeiten schadlos hielten für die Undankbarkeit der Nachwelt. Er bezog vierzigtausend Taler jährlich. Unter seinen vielen Ämtern war auch das eines „Direktors des Lehnswesens“, was die Anhäufung von Lehnsbriefen des gesamten Havellandes im Marquardter Archive erklären mag.

von Printzen starb 1725; schon sechs Jahre früher (1719) war das anmutige Schorin, nunmehr Marquardt, in die Hände der Familie von Wykerslot übergegangen, die, zu Anfang des Jahrhunderts, vom Niederrhein, dem Jülichschen und Cleveschen her, ins Land gekommen war. Vater und Sohn folgten einander im Besitz, jagten und prozessierten ein halbes Jahrhundert lang und erwarben sich das im engsten Zusammenhang damit stehende fragwürdige Verdienst, das Gutsarchiv mit den meisten Aktenbündeln, diesmal nicht Lehnsbriefe, vermehrt zu haben. Es war eine kalvinistische Familie und das Interessanteste aus ihrer Besitzzeit bleibt wohl, daß, obschon sie die Kirche aus eigenen Mitteln erbaut hatten, ihnen, solange Friedrich Wilhelm I. regierte, nicht gestattet wurde, das heilige Abendmahl in dieser ihrer Kirche aus der Hand eines reformierten Geistlichen zu empfangen. Die Wykerslot mußten sich, an ihrem eigenen Gotteshause vorbei, nach Nattwerder begeben, einer benachbarten Schweizerkolonie, wo das Abendmahl nach kalvinistischem Ritus erteilt wurde.

1781 starb der jüngere Wykerslot. War der Besitz bis zu diesem Zeitpunkte kein konstanter gewesen, so wurde er von jetzt ab, in der Unruhe sich steigernd, ein beständig wechselnder, so daß wir in dem kurzen Zeitraum von 1781 bis 1795, die Wykerslots noch mit eingerechnet, das nunmehrige Marquardt in Händen von vier verschiedenen Familien sehen. Die Nähe Potsdams – wie bei vielen ähnlichen Punkten – spielte dabei eine Rolle. Wer dem Hofe nahe stand, oder, wer außer Dienst, es schwer fand, sich ganz aus der Sonne zurückzuziehen, wählte mit Vorliebe die nahegelegenen Ortschaften. Unter diesen auch Marquardt. Hofleute erstanden es, nahmen hier ihre Villeggiatur und verkauften es wieder. Die Besitzreihe war die folgende:

• Oberstleutnant von Münchow von 1781 bis 1789,

• Hofmarschall von Dorville von 1789 bis 1793,

• Kammerherr und Domherr Baron von Dörenberg von 1793 bis 1795,

• General von Bischofswerder von 1795 bis 1803.

Über die Besitzzeiten der erstgenannten drei ist wenig zu sagen. Von Münchow errichtete seiner verstorbenen Frau ein Rokoko-Denkmal mit der Inschrift: „Friede sei über ihrer würdigen Asche“; Dorville und Dörenberg gingen spurlos vorüber. Erst mit General von Bischofswerder begann eine neue Zeit. Marquardt trat in die Reihe der historischen Plätze ein.

Marquardt von 1795 bis 1803

General von Bischofswerder

Die Zeit der Heerlager war vorüber, der Baseler Friede geschlossen; in demselben Jahre war es, 1795, daß der General von Bischofswerder Marquardt käuflich an sich brachte, nach einigen aus dem Vermögen seiner zweiten Frau, nach andern aus Mitteln, die ihm der König gewährt hatte. Das letztere ist das wahrscheinlichere. Gleichviel, er erstand es und gab dem Herrenhause, dem Park, dem Dorfe selbst, im wesentlichen den Charakter, den sie samt und sonders bis diesen Augenblick zeigen. So wenig Jahre er es besaß, so war dieser Besitz doch epochemachend. Ehe wir darzustellen versuchen, was Marquardt damals sah und erlebte, versuchen wir eine Schilderung des einflußreichen und merkwürdigen Mannes selbst.

Hans Rudolf von Bischofswerder wurde am 11. November 1740 zu Ostramondra im sächsisch-thüringischen Amte Eckartsberga geboren.31 Die Angabe von Tag und Jahr ist zuverlässig, die Ortsangabe fraglich. Sein Vater war Adjutant bei dem Marschall von Sachsen, warb für Frankreich das Regiment Chaumontet und starb als Oberst im Dienst der Generalstaaten.

Hans Rudolf von Bischofswerder studierte von 1756 an zu Halle, nahm dann Kriegsdienste und trat 1760 in das preußische Regiment Karabiniers, dessen Kommandeur ihn zu seinem Adjutanten machte. In dieser Eigenschaft wohnte er den letzten Kämpfen des siebenjährigen Krieges bei. Noch während der Kampagne stürzte er mit dem Pferde, erlitt einen Rippenbruch, und zunächst wenigstens sich außerstande sehend, die militärische Laufbahn fortzusetzen, begab er sich auf sein Landgut in der sächsischen Lausitz, wo er sich 1764 mit einer Tochter des kursächsischen Kammerherrn von Wilke vermählte. Er lebte hier mehrere Jahre in glücklicher Zurückgezogenheit und „übte, wie es in einer der zeitgenössischen Schriften heißt, all die gesellschaftlichen und häuslichen Tugenden die ihm die Hochachtung derer, die ihn kannten, erwarben.“

Sein guter Ruf verschaffte ihm die Ehre, als Kavalier an den sächsischen Hof gerufen zu werden. Von hier aus machte er mit dem Prinzen Xaver eine Reise nach Frankreich. Bald nach seiner Rückkehr wurde er Kammerherr des Kurfürsten, hiernächst Stallmeister des Prinzen Karl, Herzogs von Kurland.

Herzog Karl von Kurland, Sohn Friedrich August II., lebte damals zumeist in Dresden und gehörte in erster Reihe zu jener nicht kleinen Zahl von Fürstlichkeiten, die für das epidemisch auftretende Ordenswesen, für Goldmachekunst und Geister-Erscheinungen ein lebhaftes Interesse zeigten.

So konnte es denn kaum ausbleiben, daß auch Bischofswerder, wie alle übrigen Personen des Hofes, zu jenen Alchymisten und Wunderleuten in nähere Beziehung trat, die damals beim Herzoge aus- und eingingen. Unter diesen war Johann Georg Schrepfer der bemerkenswerteste. Er besaß einen „Apparat“, der so ziemlich das Beste leistete, was nach dieser Seite hin in damaliger Zeit geleistet werden konnte. Dazu war er kühn und von einem gewissen ehrlichen Glauben an sich selbst. Es scheint, daß er, inmitten aller seiner Betrügereien, doch ganz aufrichtig die Meinung unterhielt: jeder Tag bringt Wunder; warum sollte am Ende nicht auch mir zu Liebe ein Wunder geschehen? Als trotz dieses Glaubens die eingesiegelten Papierschnitzel nicht zu Golde werden wollten, erschoß er sich im Leipziger Rosental (1774). Bischofswerder war unter den Freunden, die ihn auf diesem Gange begleiteten und denen er eine „wunderbare Erscheinung“ zugesagt hatte.

 

Die ganze Schrepfer-Episode hatte als Schwindel-Komödie geendet. Aber so sehr sie für Unbefangene diesen Stempel trug, so wenig waren die Adepten geneigt, ihren Meister und seine Kunst aufzugeben. Man trat die Schrepfersche Erbschaft an und zitierte weiter. Friedrich Förster erzählt: „Bischofswerder, in einem Vorgefühl, daß hier ein Schatz, eine Brücke zu Glück und Macht gefunden sei, wußte den Schrepferschen Apparat zu erwerben.“ Doch ist dies nicht allzu wahrscheinlich. Wenn Bischofswerder später sehr ähnlich operierte, so konnte er es, weil ein längerer intimer Verkehr mit dem „Meister“ ihn in alle Geheimnisse eingeführt hatte.

Der prosaische Ausgang Schrepfers – prosaisch, trotzdem er mit einem Pistolenschuß endete – hatte unseren Bischofswerder nicht umgestimmt, aber verstimmt; er gab Dresden auf, oder mußte es aufgeben, da der ganze Hergang doch viel von sich reden machte und nicht gerade zugunsten der Beteiligten. Er ging nach Schlesien und lebte einige Zeit (1774 bis 1775) in der Nähe von Grünberg, auf den Gütern des Generals von Frankenberg. Bischofswerders äußere Lage war damals eine sehr bedrückte.

Dieser Aufenthalt vermittelte auch wohl den Wiedereintritt Bischofswerders in den preußischen Dienst, der nach einigen Angaben 1775 oder 1776, nach anderen erst bei Ausbruch des bayerischen Erbfolgekrieges 1778 erfolgte. Prinz Heinrich verlangte ihn zum Adjutanten; als sich diesem Verlangen indes Hindernisse in den Weg stellten, errichtete von Bischofswerder, inzwischen zum Major avanziert, ein sächsisches Jägerkorps, das der Armee des „Rheinsberger Prinzen“ zugeteilt wurde.

Beim Frieden hatte diese Jägertruppe das Schicksal, das ähnliche Korps immer zu haben pflegen: es wurde aufgelöst. König Friedrich II. indes, „der die Menschen kannte“, nahm den nunmehrigen Major von Bischofswerder in seine Suite auf, worauf sich dieser in Potsdam niederließ. Die schon zitierte Schrift schreibt über die sich unmittelbar anschließende Epoche (von 1780 bis 1786) das Folgende:

„Um diese Zeit war es auch, daß der damalige Prinz von Preußen, der spätere König Friedrich Wilhelm II., ihn kennen lernte und seines besonderen Zutrauens würdig fand. Wobei übrigens eigens bemerkt sein mag, daß von Bischofswerder der einzige aus der Umgebung des Prinzen war, welchen König Friedrich hochzuachten und auszuzeichnen fortfuhr, so groß war die gute Meinung des Königs von Herrn von Bischofswerder, so fest hielt er sich überzeugt, daß er nicht imstande wäre, dem Prinzen böse Ratschläge zu erteilen. Noch mehr. Der Prinz brauchte Bischofswerder, um sich bei den Ministern nach dem Gange der Staatsgeschäfte zu erkundigen, und der König, obwohl er dies wußte, zeigte keinen Argwohn.“

Wir lassen dahingestellt sein, inwieweit eine der Familie Bischofswerder wohlwollende Feder, deren es nicht allzuviele gab, hier die Dinge günstiger schilderte, als sie in Wahrheit lagen; gewiß ist nur, daß die Abneigung des großen Königs sich mehr gegen Wöllner und die Enke, die spätere Rietz-Lichtenau, als gegen Bischofswerder richtete, und daß, was immer auch es mit dieser Abneigung auf sich haben mochte, sie jedenfalls die Vertrauens-Stellung zum Prinzen von Preußen, die er einnahm, nicht tangierte. In dieser befestigte er sich vielmehr so, daß, als sich im August 1786 die „großen Alten-Fritzen-Augen“ endlich schlossen, der Eintritt Bischofswerders in die Stellung eines allvermögenden Günstlings niemanden mehr überraschte. Dabei suchte er durch Friedensschlüsse mit seinen Gegnern, beispielsweise mit der Rietz, namentlich aber auch durch Besetzung einflußreicher Stellen mit Mitgliedern seiner Familie, seine eigene Machtstellung mehr und mehr zu befestigen.

Seine beiden Töchter erster Ehe wurden zu Dames d’atour bei der Königin, die in Monbijou ihren Hofstaat hatte, ernannt; seine Gemahlin aber war er, nach dem Tode der Frau von Reith, bemüht, in die Stellung einer Oberhofmeisterin einrücken zu lassen. So war er denn allmächtiger Minister, war es und blieb es durch alle Wechselfälle einer elfjährigen Regierung hindurch und die Frage mag schon hier in Kürze angeregt und beantwortet werden: wodurch wurde die Machtstellung gewonnen und behauptet? Die gewöhnliche Antwort lautet: durch servile Complaisance, durch Unterstützen oder Gewährenlassen jeder Schwäche, durch Schweigen, wo sich Reden geziemte, durch feige Unterordnung, die kein anderes Ziel kannte, als Festhalten des Gewonnenen, durch jedes Mittel, nötigenfalls auch durch „Diavolini“ und Geisterseherei. Wir halten diese Auffassung für falsch. Der damalige Hof, König und Umgebung, hatte seine weltkundigen Gebrechen; aber das Schlimmste nach dieser Seite hin lag weit zurück; das „Marmorpalais“ repräsentierte nicht jene elende Verschmelzung von Lust und Trägheit, von Geistlosigkeit und Aberglauben, als welche man nicht müde geworden ist, es darzustellen; man hatte auch Prinzipien, und ein wie starkes Residuum von Erregtheit und Erschlaffung, von großem Wollen und kleinem Können auch verbleiben mag, niemals ist eine ganze Epoche soweit über Recht und Gebühr hinaus gebrandmarkt worden, wie die Tage Friedrich Wilhelms II. und seines Ministers. Wir kommen, wenn wir am Schluß eine Charakterisierung Bischofswerders versuchen, ausführlicher auf diesen Punkt zurück.

Die Kampagnen und auswärtigen Verwicklungen, die fast die ganze Regierungszeit des Königs, wenigstens bis 1795, ausfüllten, riefen, wie diesen selbst, so auch seinen Minister vielfach ins Feld. Diplomatische Missionen schoben sich ein. von Bischofswerder nahm teil an dem Kongresse zu Szistowa, brachte mit Lord Elgin die Pillnitzer Konvention (Ergreifung von Maßregeln gegen die französische Revolution) zustande, begleitete den König 1792 während des Champagne-Feldzugs und ging bald darauf als Gesandter nach Paris, von wo er 1794 zurückkehrte.

Das nächste Jahr brachte den Frieden. Mit dem Friedensschluß zusammen fiel der Erwerb von Marquardt. Schon einige Jahre früher, 1790 oder vielleicht schon 1789, hatte er sich zum zweitenmal verheiratet.

Die hohe Politik, die Zeit der Strebungen, lag zurück. Das Idyll nahm seinen Anfang.

Wir begleiten nun den Günstling-General durch die letzten acht Jahre seines Lebens. Es sind Jahre in Marquardt.

Das neue Leben wurde durch das denkbar froheste Ereignis inauguriert: durch die Geburt eines Sohnes, eines Erben. Das alte Haus Bischofswerder, das bis dahin nur auf zwei Augen gestanden hatte, stand wieder auf vier. Die Taufe des Sohnes war ein Glanz- und Ehrentag. Der König hatte Patenstelle angenommen und erschien mit seinen beiden Generaladjutanten von Rodich und von Reder. Die feierliche Handlung erfolgte im Schloß. Als Pastor Stiebritz, ein Name, dem wir im Verlauf unsres Aufsatzes noch öfters begegnen werden, die Taufformel sprechen wollte und bis an die Worte gekommen war: „ich taufe dich“ stockte er, – die Namen waren ihm abhanden gekommen, der Zettel fehlte. Aber die Verwirrung war nur eine momentane. von Bischofswerder selbst trat vor, sprach die Namen, und der Pastor, rasch sich wiederfindend, beendete den Akt.

Der Taufe folgte die Tafel und im Laufe des Nachmittags ein ländliches Fest. Der König blieb; die schöne Jahreszeit lud dazu ein. Noch leben Leute im Dorfe, achtzigjährige, die sich dieses Tages entsinnen. Ein Erinnerungsbaum wurde gepflanzt, ein Ringelreihen getanzt; der König, in weißer Uniform, leuchtete aus dem Kreise der Tanzenden hervor. Am Abend brannten Lampions in allen Gängen des Parks, und die Lichter, samt den dunklen Schatten der Eichen- und Ahornbäume, spiegelten sich im Schlänitzsee. Sehr spät erst kehrte der König nach Potsdam zurück. Er hatte dem Täufling eine Domherrn-Präbende als Patengeschenk in das Taufkissen gesteckt. Von Jahr zu Jahr wachsend, steigerte sich der Wert derselben bis zu einer Jahres-Einnahme von viertausendfünfhundert Talern.

Zwischen diesem 17. Juli 1795 und dem 16. November 1797 lagen noch zwei Sommer, während welcher der König seine Besuche mehrfach erneuerte. Ob er eintraf, lediglich um sich des schönen Landschaftsbildes und der loyalen Gastlichkeit des Hauses zu freuen, oder ob er erschien, um „Geisterstimmen“ zu hören, wird wohl für alle Zeiten unaufgeklärt bleiben. Die Dorftradition sagt, er kam in Begleitung weniger Eingeweihter, meist in der Dämmerstunde (der schon erwähnte General-Adjutant von Reder und der Geheimrat Dr. Eisfeld vom Militär-Waisenhause in Potsdam werden eigens genannt), passierte nie die Dorfstraße, sondern fuhr über den „Königsdamm“ direkt in den Park, hielt vor dem Schlosse und nahm nun an den Sitzungen teil, die sich vorbereiteten. Man begab sich nach der „Grotte“, einem dunklen Steinbau, der im Parke, nach dem rosenkreuzerischen Ritual, in einem mit Akazien bepflanzten Hügel angelegt worden war. Der Eingang, niedrig und kaum mannsbreit, barg sich hinter Gesträuch. Das Innere der Grotte war mit blauem Lasurstein mosaikartig ausgelegt und von der Decke herab hing ein Kronleuchter. In diese „blaue Grotte“, deren Licht- und Farben-Effekt ein wunderbarer gewesen sein soll, trat man ein; der König nahm Platz. Alsbald wurden Stimmen laut; leiser Gesang, wie von Harfentönen begleitet. Dann stellte der König Fragen und die Geister antworteten. Jedesmal tief ergriffen, kehrte Friedrich Wilhelm ins Schloß und bald darauf nach Potsdam zurück.

So die Tradition. Es wird hinzugesetzt, die Grotte sei doppelwandig gewesen, und eine Vertrauensperson des Ordens habe von diesem Versteck aus die „musikalische Aufführung“ geleitet und die Antworten erteilt. Daß die Grotte eine doppelte Wandung hatte, ist seitdem und zwar durch den jetzigen Besitzer, der den Bau öffnete, um sich von seiner Konstruktion zu überzeugen, über jeden Zweifel hinaus erwiesen worden. Die Lasursteine existieren noch, ebenso der Akazienhügel. Dennoch gibt es Personen, die den ganzen Schatz Marquardter Volkssage einfach für Fabel erklären. Ich kann diesen Personen nicht beistimmen. Es ist eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß Bischofswerder ein Rosenkreuzer war, daß er mehr als einmal in Berlin im Palais der Lichtenau, in Sanssouci in einem am Fuß der Terrasse gelegenen Hause, endlich im Belvedere zu Charlottenburg (vergl. S. 184) wirklich „Geister“ erscheinen ließ und daß er bis zuletzt in seinem Glauben an alchymistische und kabbalistische Vorgänge aushielt. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Grotte ähnlichen Zwecken diente und nur darüber kann ein Zweifel sein, ob der König, der im ganzen vielleicht nur vier, fünfmal in Marquardt war, an diesen rosenkreuzerischen Reunions teilnahm.

Am 16. November 1797 starb der König. Noch einmal, auf wenige Tage, wurde Bischofswerder aus der Stille von Marquardt herausgerissen und mitten in die Tagesereignisse hineingestellt, aber nur um dann ganz und für immer in die ihm liebgewordene Stille zurückzukehren.

Während den Hinscheidens Friedrich Wilhelms II. befand sich Bischofswerder im Vorzimmer. Er traf rasch und mit Umsicht alle Vorkehrungen, die der Moment erheischte, ließ die Eingänge zum Neuen Garten, bezw. zum Marmorpalais besetzen, warf sich dann aufs Pferd und eilte nach Berlin, um, als Erster, den Kronprinzen als König zu begrüßen. Er empfing den Stern des Schwarzen Adlerordens. Ob diese Auszeichnung ihn einen Augenblick glauben machte, er werde sich auch unter dem neuen Regime behaupten können, lassen wir dahin gestellt sein. Es ist nicht wahrscheinlich. Beim Begräbnis des Königs trat er zum letztenmal in den Vordergrund.

Es war im Dom; das offizielle Preußen war versammelt, Lichter brannten, Uniform an Uniform, nur vor dem Altar ein leerer Platz; auf der Versenkung, die in die Gruft führt, stand der Sarg. Jetzt wurde das Zeichen gegeben. In demselben Augenblicke trat Bischofswerder, eine Fackel in der Hand, neben den Sarg und der Tote und der Lebende stiegen gleichzeitig in die Tiefe. Es machte auf alle, auch auf die Gegner des Mannes, einen mächtigen Eindruck. Es war das letzte Geleit. Zugleich symbolisch ausdrückend: ich lasse nun die Welt.

Und er ließ die Welt. Sein Dorf, sein Haus, sein Park füllten von nun an seine Seele. Mit seinen Bauern stand er gut; die Auseinanderlegung der Äcker, die sogenannte „Separation“, die gesetzlich erst zehn Jahre später ins Leben trat, führte er durch freie Vereinbarung aus; er erweiterte und schmückte das Schloß, den Park; dem letztern gab er durch Ankauf von Bauernhöfen, deren Brunnenstellen sich noch heute erkennen lassen, wie durch Anpflanzung wertvoller Bäume, seine gegenwärtige Gestalt. Alle Wege, die durch die Gutsäcker führten, ließ er mit Obstbäumen, die er für bedeutende Summen aus dem Dessauischen bezog, bepflanzen und schuf dadurch eine Kultur, die noch jetzt eine nicht unerhebliche jährliche Rente abwirft. Er hatte ganz die Ackerbau-Passion, den tiefen Zug für Natur, Abgeschiedenheit und Stille, den man bei allen Personen beobachten kann, die sich aus der Hofsphäre oder aus hohen Berufsstellungen in einfache Verhältnisse, aus dem glänzenden Schein in die Wirklichkeit des Lebens zurückziehen.

 

Der Verkehr im Hause war nichtsdestoweniger ein ziemlich reger. Die katholischen und ökonomischen Grundsätze seiner zweiten Frau griffen zwar gelegentlich störend ein; seine Bonhommie wußte aber alles wieder auszugleichen. Mit dem benachbarten Adel stand er auf gutem Fuß; die Beziehungen zur Potsdamer Gesellschaft waren wenigstens nicht abgebrochen; nur die eigentlichen Hofkreise, die der an oberster Stelle herrschenden Empfindung Folge geben mußten, hielten sich zurück. Friedrich Wilhelm III., so oft er auch auf dem Wege nach Paretz das Marquardter Herrenhaus zu passieren hatte, hielt nie vor demselben an; die Jahre, die nun mal die Signatur: Rietz, Wöllner, Bischofswerder trugen, trotzdem er zu dem letzteren nie in einem direkten Gegensatze stand, lebten zu unliebsam in der Erinnerung fort, um eine Annäherung wünschenswert erscheinen zu lassen.

So kam der Herbst 1803 und mit ihm das Scheiden. Die Arkana und Panazeen konnten es nicht abwenden; das „Lebenselixier“, von dem er täglich einen Tropfen nahm, und das rotseidene Kissen, das er als Amulett auf der Brust trug, sie mußten weichen vor einer stärkeren Macht, die sich mehr und mehr ankündigte. Der Erbring mit dem weißen Milchstein dunkelte rasch auf dem Zeigefinger, an dem er ihn trug, und so wußte er denn, daß seine letzte Stunde nahe sei. Er las im Swedenborg, als der Tod ihn antrat. Nach kurzem Kampfe verschied er in seinem Stadthause zu Potsdam. Es war am 30. Oktober.

Er war in Potsdam gestorben, aber nach letztwilliger Verfügung wollte er in Marquardt begraben sein. Nicht in der Kirche, auch nicht auf dem Kirchhofe, sondern im Park zwischen Schloß und Grotte. In wenig Tagen galt es also ein Erbbegräbnis herzustellen.

Eine runde Gruft wurde gegraben, etwa von Tiefe und Durchmesser eines Wohnzimmers, und die Maurer arbeiteten emsig, um dem großen Raum eine massive Wandung zu geben. Als der vierte Tag zu Ende ging, der Tag vor dem festgesetzten Begräbnis, mußte auch, um es fertig zu schaffen, die Nacht mit zu Hilfe genommen werden, und bei Fackelschein, während der erste Schnee auf den kahlen Parkbäumen lag, wurde das Werk wirklich beendet.

Am 4. November früh erschien von Potsdam her der mit sechs Pferden bespannte Wagen, der den Sarg trug; die Beisetzung erfolgte und zum erstenmal schloß sich die runde Gartengruft. Nur noch zweimal wurde sie geöffnet. Ein Aschenkrug ohne Namen und Inschrift wurde auf das Grab gestellt.

Efeu wuchs darüber hin wie über ein Gartenbeet.

Wir versuchen, nachdem wir in vorstehendem alles zusammengetragen, was wir über den Lebensgang von Bischofswerder in Erfahrung bringen konnten, nunmehr eine Schilderung seiner Person und seines Charakters.

Er war ein stattlicher Mann, von regelmäßigen und ansprechenden Gesichtszügen, in allen Leibesübungen und ritterlichen Künsten wohl erfahren, ein Meister im Fahren und Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein „schöner Mann“. Seltsamerweise haben ihm Neid und Übelwollen auch diese Vorzüge der äußeren Erscheinung absprechen wollen. In den französisch geschriebenen Anmerkungen zu den „Geheimen Briefen“ wird er einfach als eine „traurige Figur“ (figure triste) bezeichnet. Der Schreiber jener Zeilen kann ihn nie gesehen haben. Der erst 1858 gestorbene Sohn Bischofswerders, eine echte Garde du Korps-Erscheinung, war das Abbild des Vaters und übernahm noch nachträglich eine Art Beweisführung für die Stattlichkeit des „Günstling-Generals“.

Der oft versuchten Schilderung seines Charakters sind im großen und ganzen die Urteile der „Vertrauten Briefe“, der „Geheimen Briefe“, der „Anmerkungen“ zu den Geheimen Briefen und die Briefe Mirabeaus zugrunde gelegt worden. Es steht aber wohl nachgerade fest, daß alle diese Briefe unendlich wenig Wert als historische Dokumente haben und daß sie durch Übelwollen, Parteiverblendung oder bare Unkenntnis diktiert wurden. In letzterem Falle gaben sie lediglich das Tagesgeschwätz, das kritiklose Geplauder einer skandalsüchtigen und medisanten Gesellschaft wieder. So heißt es in den „Vertrauten Briefen“ des Herrn von Cöllen: „Bischofswerder war ein ganz gewöhnlicher Kopf. Sein Gemüt war den äußeren Eindrücken zu sehr offen, woraus eine große Schwäche des Willens entstand. Ganz gemein aber war er nicht.“ Diese letzte halbe Zeile, in ihrem Anlauf zu einer Ehrenrettung, ist besonders bösartig, weil sie sich das Ansehen einer gewissen Unparteilichkeit gibt. Weit hinaus aber über das Übelwollen der „Vertrauten Briefe“, die an einzelnen Stellen immerhin das Richtige treffen mögen, gehen die „Anmerkungen“ zu den Geheimen Briefen, in denen wir folgendem Passus begegnen:

„La fortune a quelquefois employé des hommes sans grande capacité dans l’administration des Etats; mais rarement elle a choisi un si triste sujet que ce Bischofswerder: naissance ordinaire, figure triste, physionomie perfide, élocution embarrassée; ne connoissant ni le pays qu’il a quitté, ni celui qui l’a recueilli, ni ceux qui intéressent la Prusse. N’étant ni militaire, ni financier, ni politique, ni économiste. Un de ces hommes enfin que la nature a condamné à l’obscurité et à végéter dans la foule. Voilà l’homme qui règne en Prusse.“

Wir verweilen bei diesen Auslassungen nicht, eben weil sie zu sehr den Stempel des Pasquills tragen, und wenden uns lieber der Darstellung zu, die ein anerkannter Historiker von dem Charakter Bischofswerders gegeben hat, um dann an dieses maßvolle Urteil anzuknüpfen.

J. C. F. Manso in seiner „Geschichte des Preußischen Staates vom Frieden zu Hubertsburg bis zur zweiten Pariser Abkunft“ sagt über Bischofswerder:

„In den Fesseln der Rosenkreuzerei verlor er früh die unbefangene Ansicht des Lebens… Selten übte ein Mensch die Kunst, andere zu erforschen und sich zu verbergen, glücklicher und geschickter als er. Ihm war es nicht gleichgültig, wem er sein Haus am Tage und wem er es in der Dunkelheit öffne. Sein ganzes Wesen trug das Gepräge der Umsichtigkeit, und wenn er reden mußte, wo er lieber geschwiegen hätte, bewahrte er sich sorgfältig genug, um nichts von seinem Innern zu enthüllen. Rat gab er nie ungefragt, und den er gab, hielt er für sicherer oder verdienstlicher, dem Fragenden unterzuschieben; auch des Ruhms, der ihm aus dem gegebenen zuwachsen konnte, entäußerte er sich mit seltener Willfährigkeit… Friedrich Wilhelm ward nie durch ihn in der Überzeugung gestört, er wäge, wähle und beschließe allein… Das Vorurteil uneigennütziger Anhänglichkeit, das er für sich hatte, reichte hin, Verdächtige zu entfernen und Geprüftere zu empfehlen. So gelang ihm, wonach er strebte. Er ward reich durch die Huld des Monarchen, ohne Vorwurf, und der erste im Staate, ohne Verantwortlichkeit… Anmaßungen, nicht Vergünstigungen gefährden.“

Dies Urteil Mansos, wenn wir von dem Irrtum absehen, daß er von Bischofswerder als „reich“ bezeichnet, wird im wesentlichen zutreffen. Aber was enthält es, um den Mann oder seinen Namen mit einem Makel zu behaften? Was anderes tritt einem entgegen als ein lebenskluger, mit Gaben zweiten Ranges ausgerüsteter Mann, der scharf beobachtete, wenig sprach, keinerlei Ansprüche erhob, auf die glänzende Außenseite des Ruhmes verzichtete und sich begnügte, in aller Stille einflußreich zu sein. Wir bekennen offen, daß uns derartig angelegte Naturen nicht gerade sonderlich sympathisch berühren, und daß uns solche, die, zumal in hohen Stellungen, mehr aus dem Vollen zu arbeiten verstehen, mächtiger und wohltuender zu erfassen wissen; aber, wohltuend oder nicht, was liegt hier vor, das, an und für sich schon, einen besonderen Tadel herausforderte? Zu einem solchen würde erst Grund vorhanden sein, wenn Bischofswerder seinen Einfluß, den er unbestritten hatte, zu bösen Dingen geltend gemacht hätte. Aber wo sind diese bösen Dinge? Wenn die ganze damalige auswärtige Politik Preußens – was übrigens doch noch fraglich bleibt – auf ihn zurückgeführt werden muß, wenn also der Zug gegen Holland, der Zug in die Champagne, der Zug gegen Polen und schließlich wiederum der Baseler Frieden sein Werk sind, so nehmen wir nicht Anstand zu erklären, daß er in allem das Richtige getroffen hat. Die drei Kriegszüge erwuchsen aus einem und demselben Prinzip, das man nicht umhin können wird, in einem königlichen Staate, in einer absoluten Monarchie, als das Richtige anzusehen. Ob die Kriegsleistungen selbst, besonders der Feldzug in der Champagne, auf besonderer Höhe standen, das ist eine zweite Frage, die, wie die Antwort auch ausfallen möge, keinesfalls eine Schuld involviert, für die Bischofswerder verantwortlich gemacht werden kann. Er hatte gewiß den Ehrgeiz, einflußreich und Günstling seines königlichen Herrn zu sein, aber er eroberte sich diese Stellung weder durch schnöde Mittel, noch tat er Schnödes, so lang er im Besitz dieser Stellung war. Er diente dem Könige und dem Lande nach seiner besten Überzeugung, die, wie wir ausgeführt, nicht bloß eine individuell berechtigte, sondern eine absolut zulässige war. Er war klug, umsichtig, tätig und steht frei da von dem Vorwurf, sich bereichert oder andere verdrängt und geschädigt zu haben. Was ihn dem Könige wert machte (darin stimmen wir einer Kritik bei, die sich gegen die oben zitierten französischen „Anmerkungen“ richtet), waren: des moeurs pures, beaucoup d’honnêteté dans le sentiment, un désinteressement parfait, un grand amour pour le travail.

31Dies Geburtsdatum festzustellen, war schwierig. Die Geschichts- und Nachschlagebücher geben abwechselnd 1737, 1738 und 1741 an. Monat und Tag werden gar nicht genannt. In dieser Verlegenheit half endlich das Marquardter Kirchenbuch: Es heißt in demselben: Hans Rudolf von Bischofswerder starb am 30. Oktober 1803, in einem „ruhmvollen Alter“ von zweiundsechzig Jahren elf Monaten und neunzehn Tagen. Dies ergibt das oben im Text angegebene Geburtsdatum. – Eine verwandte Mühe (was gleich hier bemerkt sein mag) haben alle andern Namen-, Zahlen- und Verwandtschafts-Angaben gemacht und nicht immer ist das Resultat ein gleich befriedigendes gewesen. Vieles war absolut nicht in Erfahrung zu bringen. Ich habe das Vermählungsjahr Bischofswerders mit seiner zweiten Gemahlin, Gräfin Pinto, nicht mit Sicherheit feststellen können. Bestimmte Angaben hierüber würden mit Dank entgegengenommen werden.