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Achtzehntes Kapitel

Am anderen Morgen wollte Lehnert nach Nogat-Ehre hinaus und daselbst sein Heil bei den Mennoniten versuchen. Aber bis dahin war noch eine lange Zeit, lang und bedrücklich, abgesehen davon, daß es Schwierigkeiten zu haben schien, auf der Station eine Bewirtung und selbst ein Unterkommen zu finden. Als dies Unterkommen aber erst bewilligt war, fand sich auch ein Essen: ein Huhn, das bei Eintreffen des Zuges noch im Wegekies umhergescharrt hatte. Dabei blieb es denn freilich – es war eine von den Einsamkeitsstationen —, und Lehnert, um die Zeit notdürftig hinzubringen, sah sich gezwungen, stundenlang alte Geschäftsanzeigen und noch ältere Fahrpläne zu lesen. Dann und wann kam ein Zug, das war etwas, aber die daraus erwachsende Zerstreuung war doch nur gering und jedenfalls immer nur von kürzester Dauer.

Der letzte Zug kam um neun Uhr vierzig Minuten und war ein Expreßtrain, der, auf der Strecke von Galveston bis St. Louis nur dreimal auf längere Zeit anhaltend, an einer so kleinen Station wie Darlington mit rasender Geschwindigkeit vorübersauste. Lehnert sah diesem Zuge nach und freute sich der am letzten Wagen ausgehängten Laterne, die, wie suchend, auf die durchflogene Strecke zurückzublicken schien; plötzlich aber schwand das Licht in einem Nebelstreifen, so wenigstens kam es ihm vor, und als Lehnert es wiederzufinden trachtete, sah er plötzlich statt des einen Lichtes viele Lichter, wie wenn der Zug mit seinen erleuchteten Waggons eine Biegung gemacht und aus der senkrechten Linie in die waagerechte übergegangen wäre. Jeden Augenblick war er denn auch gewärtig, das helle, lichterreiche Bild, indem er nach wie vor den Zug vermutete, zwischen den Bergen verschwinden zu sehen. Als es aber blieb, überkam ihn eine Neugier, und er fragte den jetzt dienstfreien Beamten, was es sei.

»Das ist Nogat-Ehre.«

»Nogat-Ehre«, wiederholte Lehnert und sah unausgesetzt auf das Geflimmer, das ihn friedlich wie die Sterne zu grüßen schien.

Lehnert war früh auf und hatte wieder auf derselben Bank am Stationshause Platz genommen, von der aus er, am Abend vorher, erst auf den verschwindenden Eilzug und dann auf die bleibende Lichterreihe von Nogat-Ehre geblickt hatte. Der Morgen war frisch und steigerte das Wohlgefühl, das ihm ein guter und auskömmlicher Schlaf gegeben hatte, trotzdem war seine Zuversicht hin und einem starken Zweifel gewichen, dem Zweifel, ob er, trotz seiner Unterredung mit Tobias, den Schritt auch tun und sich in Nogat-Ehre melden solle. Wie war sein Leben verlaufen? Unter Abenteuer und Gewalttätigkeit und unter Auflehnung gegen Ordnung und Gesetz. Und er wollte sich bei den Mennoniten verdingen? Ja, wer waren denn die Mennoniten? Damals, als er noch im Camp in Dakota lag und abends beim Gin immer nur ein Witzeln über die Mennoniten hörte, die für reich galten und weiter nichts, da hätt es vielleicht gepaßt, weil er‘s nicht besser wußte. Jetzt aber wußte er, daß es fromme Leute seien, fromm und fleißig und wahrheitsliebend und Feinde von Eid und Krieg. Und in solche Friedensstätte wollt er einbrechen? Das durft er nicht; er gehörte nicht dahin, er war eine Störung, und wenn er keine Störung war und den Frieden der Friedfertigen nicht trübte, war er seinerseits der Mann, den Frieden, den er da vorfand, auch nur tragen zu können? Lag es nicht so, daß der Krieg sein einzig Stück glücklich Leben gewesen war? Und was verwürfe der Mennonit mehr als den Krieg?

So sinnend, sah er auf das Bahngeleise, das, auf kaum zehn Schritt Entfernung, hart an ihm vorüber nach Norden führte. War es nicht besser, diesem eisern vorgeschriebenen Wege, wie er‘s ursprünglich gewollt hatte, zu folgen?

Er überlegte noch, als er, schräg neben der Bahn, ein zierliches kleines Fuhrwerk über die Felder kommen sah, und ein zweiter rascher Blick war ausreichend, ihn erkennen zu lassen, wer die Herankommenden seien. Es waren die Geschwister, die gestern auf demselben Feldwege die Heimfahrt nach Nogat-Ehre gemacht hatten, und Ruths Schleier, der auch heute wieder wehte, nahm ihm den letzten Zweifel. Und mit diesem Zweifel fielen auch all die Bedenken, die seit Stunden auf ihm gelastet hatten, wieder von ihm ab, und es stand wieder fest in seiner Seele, daß die gestrige Begegnung eine Schickung gewesen sei und daß er‘s bei den Mennoniten versuchen müsse. Freudig erhob er sich und ging rasch auf den kleinen Wagen zu, der, eben die Schienen kreuzend, mit geschickter Biegung auf den Hof des Stationsgebäudes fuhr. Derselbe junge Cherokee, der schon gestern bei Lehnerts Ankunft bereitgestanden hatte, sprang auch heute wieder dienstfertig hinzu, Tobias aber gab der Schwester die Zügel in die Hand, stieg ab und begrüßte sich mit Lehnert. »Alles in Ordnung. Ich habe mit dem Vater gesprochen, und es ist nun an dir, in unsere Farm einzutreten und sein Hausmeier zu werden. Ob erster oder zweiter, das wird sich zeigen. Er ist froh, einen Deutschen mehr in seinem Hause zu haben. Er sagt, die Deutschen seien die besten, auch wenn sie, verzeih, nichts taugten. Und nun erlaube mir nachzuholen, was ich gestern versäumt habe, dir meine Schwester Ruth vorzustellen, ›un ange‹, wie Monsieur L‘Hermite jeden Tag mehreremal versichert, eine ›verwöhnte Krabbe‹, wie Mister Kaulbars sagt.« (Ruth nickte.) »Mister Kaulbars ist nämlich ein Landsmann von dir, ein Preuße, der dir, denk ich, ein gut Teil von Prince Frederic Charles erzählen wird. Aber nun steig auf und setz dich neben Ruth. Oder noch besser, wir setzen uns zwei beid in den Fond, und Ruth kutschiert. Sie fährt nämlich wie ein Fahrer, ein Wort, das ich auch deinem preußischen Landsmann verdanke.«

Während Toby noch so plauderte, war auch der Clerk aus dem Stationshause herangetreten, dem nun Auftrag gegeben wurde, Lehnerts Felleisen nach Nogat-Ehre hinauszuschaffen. Er versprach es auch mit aller Bereitwilligkeit, denn im Stationshause hielt man auf gute Nachbarschaft mit den Mennoniten, besonders mit Obadja, der es an Hilfen und Liebesdiensten nie fehlen ließ und erst neulich wieder, bei der Krankheit des jüngsten Kindes, mit Akonit und Nux Vomica geholfen hatte.

Mittlerweile lenkte das Wägelchen in den Feldweg ein, und die Bahn in freilich immer weiter werdendem Abstande neben sich, ging es zwischen den Maisfeldern hin, deren hoher Stand den Wagen samt seinen Ponies überragte. Schließlich war man aus den Maisfeldern heraus, und gelber Raps lag vor ihnen, dessen Duft der von dem den Shawnee-Hills gegenüber gelegenen Gebirge herkommende Wind ihnen zutrug. Und dazu klangen die Glöckchen, wenn die Shetländer ihre langen Mähnen schlugen, um sich der Bremsen zu erwehren. Lehnert aber sog das alles begierig ein, und es war ihm, als flog er und als wären es alte Zeiten und als täten sich Heimat und Glück noch einmal vor ihm auf.

»Ist das alles euer?« frag er und wies auf die Fruchtfelder links und rechts.

»Ja«, sagte Toby, »das heißt, alles Mennonitenland, alles Nogat-Ehre. Was aber dem Vater persönlich gehört, unsere Farm, das liegt nach der anderen Seite zu, das sollst du morgen sehen, da steht es noch besser, und der Klee geht bis über die Wagenräder. Du mußt nämlich wissen, der Vater ist ein großer Farmer und Landmann und liest alle Zeitungen und Zeitschriften, und was die Gelehrten anraten, und besonders, wenn es aus England kommt, das schafft er an und scheut kein Geld. Nicht wahr, Ruth?«

Ruth, ohne sich nach ihnen umzusehen, nickte langsam und gravitätisch, und Lehnert sah aus der halb komischen Art, in der diese Zustimmung erfolgte, daß Obadja zu den Neuerungsenthusiasten gehören müsse, die den Entdeckern das Ei fortziehen, noch eh es ausgebrütet, überhaupt könnt er wahrnehmen, daß das Gemisch von Offenheit und Heiterkeit, das ihn schon an dem Bruder so angezogen hatte, bei der Schwester noch stärker vertreten war. Von Ernst und Schwerfälligkeit keine Spur, und dabei ihr Frohsinn von jener entzückenden Art, wie die kindlich Gläubigen ihn so oft haben, die nicht anders wissen, als daß Gottes gütige Vaterhand sie jeden Augenblick hält und trägt und schützt. Ein beseligendes Gefühl immer abwesender Gefahr.

Eine kleine Pause war eingetreten, und Toby. dem daran lag, das so glücklich eingefädelte Gespräch auch fortgesetzt zu sehen, nahm es an alter Stelle wieder auf und sagte: »Ja, kein Geld und keine Müh. Nichts scheut er. Und das alles bei seinen hohen Jahren.«

»Ist er denn schon so alt?« fragte Lehnert. »Ihr seid ja doch beide noch so jung.«

»Dreiundsiebzig«, lachte Ruth.

»Da muß er sehr spät geheiratet haben.«

Jetzt verdoppelte sich das Lachen. Aber Toby, der wohl fühlte, daß das Lachen Lehnert verlegen machen müsse, gab nun Aufklärung und erzählte, daß der Vater dreimal verheiratet gewesen sei, so daß sie viele Halbgeschwister hätten. Die Kinder der ersten Ehe seien nach Preußen, nach Danzig und Dirschau zurückgegangen, die der zweiten lebten in Dakota, und sie beide seien die jüngsten. Ihr ältester Halbbruder sei schon über vierzig Jahre und voriges Jahr zum Besuch in Nogat- Ehre gewesen.

In diesem Augenblicke stieg der Boden ein wenig an, und als man oben war, wurd in kaum halbmeiliger Entfernung eine blinkende, langgestreckte, nur hier und da von hohen Pappeln überragte Häuserreihe sichtbar, auf die Ruth jetzt mit der Peitschenspitze hindeutete. »Das ist Nogat-Ehre. Siehst du‘s? In einer Viertelstunde sind wir da. Das letzte Gehöft da, zwischen den zwei Pappeln, das ist unser Haus. Und dann kannst du sehen, wie wir leben. Es wird dir schon gefallen. Das heißt, wenn du nicht so sauertöpfisch bist wie Mister Kaulbars, dein Landsmann. Der hat an allem was auszusetzen. Ob alle Preußen so sind? Ich kann es mir nicht denken. Du siehst um vieles freundlicher aus und so recht, als ob du glücklich und zufrieden sein könntest. Aber ich spreche so, wie wenn wir dich schon hätten. Und wir haben dich noch lange nicht. Ich weiß ja noch nicht einmal deinen Namen … Toby, warum hast du mir seinen Namen nicht genannt?«

 

Toby lachte. »Weil ich ihn selber noch nicht weiß. Und der Vater hat auch gar nicht danach gefragt. Aber nun wird es freilich Zeit damit, wenn wir nicht mit einem Namenlosen in Nogat-Ehre einfahren wollen.«

»Ich heiße Lehnert Menz.«

»Ein hübscher Name«, sagte Toby.

Ruth nickte zustimmend. Aber gleich danach schien sie wieder wie wankend und schwankend zu werden und setzte hinzu: »Ja, hübsch. Aber was ist Lehnert? Ist es ein Kalendername?«

»Freilich ist er. Und du solltest ihn kennen. Lehnert ist Lienhardt. ›Lienhardt und Gertrud‹ wirst du doch nicht ganz vergessen haben.«

»Nein, gewiß nicht. Und war die schönste Geschichte, die wir als Kinder gelesen haben. Und der Vater kam oft dazu, wenn die Mutter sie vorlas, und nur Maruschka schlief immer ein und wurd erst wach, wenn ich sie mit dem Grashalm kitzelte. Ja, ›Lienhardt und Gertrud‹, das kenn ich, das war schön, wenn ich auch, offen gestanden, nichts Rechtes mehr davon weiß, und wenn Lienhardt und Lehnert ein und dasselbe sind, dann gefällst du mir noch besser. Und wenn du so bist wie Lienhardt, denn soviel weiß ich noch, daß er gut war, da wollen wir gute Freunde werden.«

Neunzehntes Kapitel

Als Ruth noch sprach, passierte man einen Brückenbogen und bog jenseits desselben in einen breiten, mit jungen Akazien besetzten Weg ein, zu dessen einer Seite ein von den Bergen kommender Bach schäumte, während sich an der anderen Seite die Gehöfte der Mennonitenkolonie hinzogen. Man war in Nogat-Ehre. Soviel Lehnert im Passieren der langen Dorfstraße wahrnehmen konnte, schienen die Gehöfte von ziemlich gleichem Aussehen und bestanden aus einem einstöckigen Fachwerkwohnhaus, das mit breiter Front auf die Straße blickte, während die großen Stallgebäude quer standen und mit ihren Giebeln (statt mit der Front) auf die Straße sahen. Einige hatten vor ihrer Tür eine mit Geißblatt und Pfeifenkraut umsponnene Gitterlaube, von der aus vier oder fünf Steinstufen zunächst auf den Akazienweg und dann bis zum Bach hinabführten, allen Häusern gemeinsam aber war ein von einem Staketenzaun eingefaßter Vorgarten, in dem, zwischen Taxus- und Buchsbaumrabatten, einige wenige Georginen, meist aber Malven und Sonnenblumen standen, ganz als ob es Gärten aus der Nogat- und Weichselniederung waren.

Lehnert ging das Herz auf beim Anblick dieser einfachen Anlagen, die den aus Deutschland mitgebrachten Gartentypus mit soviel Vorliebe weiterpflegten, und wandte sich eben, um eine große Glaskugel und ein bemaltes Bienenhaus noch einmal flüchtig zu mustern, als er, als letztes in der Reihe, eines größeren Gehöftes ansichtig wurde. Täuschte nicht alles, so war dies das Gehöft, auf das Ruth, als sie noch durch die Felder fuhren, hingewiesen hatte. Ja, das mußt es sein; da waren ja auch die hohen Pappeln, und wirklich, einen Augenblick später lenkte das Ponygefährt auf den etwas ansteigenden und fast eine Rampe bildenden Kiesweg hinauf und hielt nun vor dem Schwellstein eines ziemlich nüchtern wirkenden, weitschichtigen Hauses, das, zum Unterschiede von den anderen bis dahin passierten, ohne Staketenzaun und ohne Vorgarten war und durch seine Stille, seine hohen Fenster und nicht zum wenigsten durch ein paar gotische Holzverzierungen an ein halb kirchliches Gebäude gemahnte.

»Hier sind wir«, sagte Toby, nahm seiner Schwester die Zügel aus der Hand und wartete, bis ein Knecht (auch hier ein junger Cherokee) vom Hof her erschien, dem er das Gespann übergeben konnte. Dann traten alle drei, von der Rampe her, in ein bis hoch hinauf mit Holz bekleidetes Treppenhaus, das durch die ganze Tiefe des Hauses lief. Ruth, als man bis an die gradlinig aufsteigende Treppe gekommen war, gab Lehnert zum Abschiede die Hand, wandte sich aber auf der dritten Stufe noch einmal und sagte: »Die Hauptsache nicht zu vergessen, Gott segne deinen Aus- und Eingang.« Und nun erst eilte sie rasch ihrer im Oberstock gelegenen Wohnung zu. Toby mußte lächeln, als er sah, wie Lehnert der Erscheinung nachblickte. Dann nahm er seinerseits Lehnerts Arm und sagte: »Nun komm, daß ich dich zu dem Vater führe!«

Das einen großen Flur bildende Treppenhaus hatte zu beiden Seiten Bänke, sonst war es ein leerer Raum, der, mit Ausnahme des Frontportals, nichts als drei Türen zeigte, von denen eine kleinere nach dem Hof hinausging, während zwei hohe Doppeltüren in die neben dem Treppenhause gelegenen Haupträumlichkeiten führten. Beide Doppeltüren standen in diesem Augenblick auf und gestatteten einen Blick nach rechts hin in einen Betsaal oder ein Tabernakel, nach links hin in eine hochgewölbte Halle. Diese Halle – von mächtiger Wirkung, trotzdem sie von kleineren Dimensionen als das Tabernakel war – mußte von jedem, der in Obadjas Wohn- und Arbeitszimmer wollte, passiert werden. Auch hier übrigens, in dieser geräumigen Halle, gab sich, ganz so wie draußen im Flur, alles aufs einfachste; nur ein schwerer Eichentisch, um den einige Stühle standen, zog sich durch den nahezu schmucklosen und nur mit einem Geweihkronleuchter ausstaffierten Fest- und Speiseraum, dem ein großer, an der einen Schmalseite befindlicher Silber- und Geschirrschrank zugleich als Anrichtetisch diente. Des weiteren aber lief, quer durch den Raum hin, eine Matte von Kokosfaser auf eine kleine Tür zu, deren gobelinartige Portiere Toby jetzt zurückschlug. Und nun ließ er Lehnert vorgehen und folgte.

Wenn das Treppenhaus schattig und die Halle beinah dunkel gewesen war, so war hier alles hell, denn ein breiter Lichtstreifen fiel durch ein Giebelfenster von beträchtlicher Höhe; neben diesem Fenster aber, und von seinem Licht noch halb umschienen, saß Obadja bei seiner Korrespondenz, die, sorglich von ihm unterhalten, nach den verschiedensten Teilen der Union, ganz besonders aber nach Kansas und Dakota ging. Als er hörte, daß wer eingetreten war, wandt er sich, indem er einfach den Stuhl drehte, der Tür zu, blieb aber sitzen.

»Lieber Vater«, sagte Toby, »hier bring ich dir Mister Lehnert Menz.«

»Lehnert Menz«, wiederholte ruhig und freundlich der Alte. »Hab ich recht verstanden?«

»Zu Befehl«, sagte Lehnert.

Obadja lächelte, weil er sich, aus lang zurückliegenden Zeiten her, dieser preußisch-militärischen Form der Bejahung erinnerte. »Nun, Mister Lehnert«, fuhr er fort, »Ihr wollt es also mit uns versuchen? Toby hat mir davon erzählt. Und hat mir auch erzählt, daß Ihr ein Zeichen darin sähet, daß sich unsere Wege vor Jahren schon einmal gekreuzt haben. Und darin habt Ihr recht, denn es gibt solche Zeichen, so gewiß es eine Vorbestimmung und eine Gnadenwahl gibt. Und das ist unser aller Hoffnung, ein solch Erwählter zu sein. Aber, Toby, nun sorge vor allem für einen Imbiß, und wenn du Maruschka nicht findest, die wohl schon ihre Vormittagsruhe halten wird – es ist unsere älteste Dienerin und Freundin, und wir müssen ihr etwas zugute halten —, so sag es der Mistress Kaulbars.

Es wird ohnehin Zeit, daß wir ihr das Küchenwesen anvertrauen, auf das sie sich jedenfalls besser versteht, schon weil sie noch jung und noch bei Kräften ist. Aber nun, Mister Lehnert, nehmt einen Stuhl und rückt hier heran und setzt Euch ins Licht, daß ich Euch besser sehen kann. Es geht noch mit allem sonst, des Barmherzigen Gnade sei dafür gepriesen, aber mit dem Sehen will es nicht mehr recht. Und ich sehe doch jedem gern ins Auge. Das Auge sagt noch mehr als die Stimme.«

Lehnert tat, wie ihm geheißen, und erwartete nun, daß ein Fragen und Katechisieren beginnen werde, ja mehr, es lag ihm daran, es war geradezu sein Wunsch. All die Zeit über hatte seine Tat auf seiner Seele gelastet, und er sehnte sich danach, alles herunterzubeichten und in dieser Beichte Trost und Erleichterung finden zu können. Aber von dieser Erwartung erfüllte sich nichts, und wenn ihm auch nicht entging, daß Obadja, wie zufällig, seine Hand nahm und ihn dann von der Seite her ansah, so könnt ihm doch noch weniger entgehen, daß jede direkte Frage nach Leben und Vergangenheit mit Absicht vermieden wurde.

»Ich höre von meinem Sohne Toby«, nahm er nach einer Weile wieder das Wort, »daß Ihr ein Preuße seid, also, meiner Geburt nach, ein Landsmann von mir und jedenfalls ein Landsmann meiner zwei ältesten Söhne, die diesem neuen Lande wieder den Rücken gekehrt haben und lieber drüben sind als hier. Und vielleicht haben sie recht getan. Denn die Freiheit, deren wir uns hier rühmen und freuen, ist ein zweischneidig Schwert, und die Despotie der Massen und das ewige Schwanken in dem, was gilt, erfüllen uns, sosehr ich die Freiheit liebe, mit einer Unruhe, die man da nicht kennt, wo stabile Gewalten zu Hause sind.«

Lehnerts Auge sagte, daß er dem eben Gehörten zustimme, während der Alte selbst in dem ihm eigenen lehrhaften Tone fortfuhr: »Aber das alles sind Fragen, die für mich zu spät kommen. Ich gehöre jetzt diesem Lande, dem ich für so vieles zu Danke verpflichtet bin, von ganzem Herzen an. und ich zahl ihm meinen Dank am besten, indem ich ihm nach meiner Kraft diene. Der aber macht sich am nützlichsten, der arbeitet und vordringt und aufschließt und den Wald und das Heidentum ausrodet und den Glauben an Jesum Christum, unsern Erlöser, an seine Stelle setzt. Ja, Lehnert Menz, der dient ihm am besten, der in der Arbeit steht und Ordnung hält. Und Ordnung und Arbeit, worauf es ankommt, die sind in dem Lande drüben, drin wir beide geboren wurden, recht eigentlich zu Haus, und um dieser Tugenden und vor allem auch um der Nüchternheit willen sind mir die Preußen die liebsten und sind mir die nutzbarsten Mitarbeiter am Werk. Das verdanken sie, von alter Zeit her, ihren Fürsten und Königen, die sich selbst immer mit Stolz die ersten Diener, das will sagen die fleißigsten Arbeiter, ihres Landes genannt haben, und verdanken es ihren Schulen und ihrer guten Zucht und Sitte.«

Hier unterbrach sich Obadja, wie sich Prediger in ihrer Predigt unterbrechen, um nach einiger Zeit einen neuen Anlauf zu nehmen, und Lehnert schwieg, weil er fühlte, daß jetzt ein Übergang kommen müsse. Und der kam denn auch wirklich.

»Ihrer guten Zucht und Sitte«, wiederholte Obadja. »Und diese gute Zucht und Sitte hat auch der gute Mister Kaulbars, der jetzt meiner gesamten Wirtschaft als ein Verwalter und Hausmeier vorsteht. Er ist ein ehrlicher Mann, ohne Lug und Trug, ein treuer Arbeiter und prompt in der Erfüllung seiner Pflichten und hat, was ihn meinem Herzen am nächsten stellt, die rechte Freud und Lust an dem Segen Gottes als solchem, und eine Ernte zugrunde gehen zu sehen, das wurmt ihn und quält ihn, auch wenn jeder Halm versichert ist. Es ist ihm nicht um den Gewinn bloß, es ist ihm um den Segen, den er nicht missen will. Ja, so ist dieser Mister Kaulbars, den ich, solang ich noch in der Arbeit steh und hienieden ein Knecht meines Gottes bin, in Ehren zu halten gedenke. Aber Euer Landsmann ist ein Eigensinn und ein Besserwisser, der sich dem neuen Lande, drin er nun lebt, nicht anbequemen und alles nach der Weise seiner alten Heimat anordnen und regeln will. Er gehorcht wohl, weil er im Gehorsam erzogen ist, aber es ist ein toter Gehorsam, und ein toter Gehorsam ist unfruchtbar, nicht bloß in Herz und Seele, sondern auch auf dem Arbeitsfelde draußen, und so schädigt er mich, ohne es zu wollen, und mindert mein Gut, das ich, dies darf ich sagen, nicht ansammle zu meiner und meines Hauses, wohl aber zu Gottes und seiner Heiligen Ehre. Dem will ich abhelfen, da will ich Wandel schaffen, und dessen verseh ich mich von Euch. Ich hab in Eurem Auge gelesen, und ich kenne Euch nun: Ihr habt einen Ehrgeiz, und es lastet was auf Eurer Seele, das hat Euch bis diese Stunde durch die Welt getrieben, und sehe das Zeichen auf Eurer Stirn. Aber ich weiß auch, daß Ihr ein tapferes Herz habt und einen Edelsinn, der sich nicht verleugnet, wo Liebe ihn pflegt. Und diese Liebe soll Euch werden. Getröstet Euch dessen. Keiner, der unter dieses Dach getreten, ist ungetröstet von dannen gegangen. Im Namen dessen, der die Liebe war, ruf ich Euch zu: Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Lehnert Menz, deine Last soll von dir genommen werden. Ich segne dich …«

Und Lehnert, während er den Kopf neigte, fühlte, wie die Hand Obadjas seinen Scheitel berührte.