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Wenn und weil Gott die Krise ist, stellt sich die Sinnfrage, die nach dem Sinn Gottes, die nach dem Sinn des Lebens, die nach dem Sinn des Menschen.

Gott, ein Phantasieprodukt des Menschen, Phantom, virtuelle Persönlichkeit einer Anderwelt, vorweggenommene Androhung einer virtuellen Welt, erhält nur den Sinn, den ihm das Geschöpf Mensch zubilligt. Indem sich der Mensch als Geschöpf begreift, leitet er seine Herkunft von Gott ab, sucht sich mit ihm gemein, sich ihm ähnlich zu machen. Der Mensch erschafft seine Ähnlichkeit, seine Verwandtschaft mit Gott, ist aus diesem nicht weniger virtuellen Schöpfungsprozeß, vorausgesetzt, der/die/das GOTT verfüge nur annähernd über die angenommenen und IHM zugebilligten Eigenschaften, niemandem unähnlicher als ausgerechnet Gott. Gott zugebilligter Sinn, der durch sogenannte Gottesdiener, durch Priester definierte und interpretierter Sinn ist, je nach Denkrichtung, Zweckpessimismus gelebten Diesseits oder Jenseitsoptimismus gegen das Dilemma einer durch Menschen verkommenen Welt. Sowohl an dem einen wie am anderen orientierte Hingabe an das höhere Wesen verkommt zum Götzendienst, beraubt Gott jedes wie auch immer aufzufassenden Sinns, nimmt seiner Person und Personalisierung Sinnhaftigkeit, bleibt auf Wohlergehen des Menschen im Diesseits und/oder Jenseits fokussiert. Virtuelles Gottesbild wird in seiner virtuellen Vielgestaltigkeit und seiner existentiellen Vielschichtigkeit austauschbar, handhabbar, handelbar. Metamorphose vom wandelbaren zum handelbaren Gott kennzeichnet Wesen und Weg des Menschen und seiner Überzeugungen. Geschacher nimmt Gott selbst noch den für ihn angenommenen, den ihm unterstellten Sinn. Aus der Verehrung des wandelbaren Gottes erstandenes, wandelbares Gottesbild, keinesfalls und nie ein Paradigmawechsel, bleibt zwangsläufig hinter der Erwartung des Menschen zurück, nimmt der Menschheit die Fähigkeit zum Dienst an Gott, macht aus solch Dienen Götzendienst, erschafft personifizierten Ersatz, gründet Personenkult, institutionalisiert das Ersatzgebilde zu einem vermeintlich sinnstiftenden Surrogat, Versatzstück gescheiterter Sinnsuche nach und in Gott, macht Gott erst verhandelbar, dann handelbar, zeugt ein Monstrum. Aus solchem Zerrbild Gottes abgeleitete Aufrechnung und Gewichtung von Taten, auch derjenigen des Unterlassens, entspringt nicht dem Handeln, geschweige dem Denken Gottes, ist allein Menschenwerk, Menschenwille. Selbst aber diese Ingangsetzung eines Gott unterstellten Impetus für Güte und Gnade lebt nicht von und aus den letzteren, sondern aus dem Angstpotential einer nicht weniger virtuellen, aus machttaktischen Erwägungen geschaffenen Verdammnis, im übrigen ebensowenig denk- und/oder darstellbar wie Gott. Glaubensinstitution zieht mithin Nutzen nicht aus Gott, sondern aus den um ihn konstruierten Gegebenheiten, die ihrerseits sich zuletzt ausschließlich als Angstpotentiale darstellen. Konfessioneller Glaube profitiert anstatt von Gott, von Angst. Solche Angst gibt dem gedachten Gott in seinem ebenso widersinnig erdachten Gegenpol Satan Macht, gottgleiche Macht, Allmacht.

Wenn und wo der Mensch Sinn seines Seins, Sinnhaftigkeit des Lebens nicht aus Gott ableiten kann, gebietet ihm Denken Sinnsuche außerhalb eines Denkens von Gott, hinaus über eine Vorstellung von Gott, was keinesfalls Atheismus bedeuten muß. Verortung des Menschen auf der Welt, der Welt im Kosmos, läßt den Menschen sich selbst begreifen als ein geschaffenes, erschaffenes Wesen zunächst aus sich selbst, zuletzt aus der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten. So will es scheinen, Naturwissenschaft, Suche und Aufspüren der Gesetzmäßigkeiten von Abläufen innerhalb eines kosmischen Geschehens könne sowohl Frage nach Gott als auch Sinn der Frage und auch der Person, wenn nicht ad hoc lösen, so doch auf Dauer erübrigen. Zweifellos läßt Wissenschaft Erklärung einer Vielzahl von Naturerscheinungen zu, nimmt ihnen den Nimbus des Mystisch-Mythischen, beraubt Erkenntnis immer mehr Wunder ihrer wundersamen Abkunft. Nachdem die in Gott angelegte Krise scheinbar rechtfertigt, sich von IHM/IHR/IHM(ES) abzuwenden, übernimmt die Hinwendung zu den Naturwissenschaften Stellvertreterrolle, sucht nach dem Beweis, der Mensch sei entweder Gott ähnlich, oder ohne Gott zu gottähnlichem Wirken befähigt und berechtigt. Beweis für ersteres kann Wissenschaft nicht und nie erbringen, scheitert doch die Beantwortung der Frage unter der Voraussetzung GOTT an der im Menschen selbst angelegten Prämisse, ein Geschöpf zu sein. Letzteres, gottähnliches Wirken muß Wissenschaft mißlingen, wirkt sie doch stets innerhalb einer sich ständig wandelnden, stets erneuernden Materie und Wirklichkeit, vollzieht sie stets Vergangenes nach, setzt das Nachvollzogene selbst dort, wo es vorausgedacht erscheinen mag, einem nicht vorausdenkbaren Wandel aus. Dies wird nirgendwo deutlicher, als beim Versuch des Klonens. Eine sich aus sich selbst erneuernde Zellstruktur mit der ihr eigenen, durchaus entschlüsselbaren genetischen Kodierung bleibt nach wissenschaftlicher Kenntnis 21 Tage im Wandel hin zur Erneuerung. Sie durchläuft dabei im intrazellulären Stoffwechsel die Bedingungen von Zeit und der individuellen inneren und äußeren Um- und Zustände des Raumes. Die Reproduzierbarkeit der Zelle selbst produziert nicht identische Zeit, schafft nicht identische innere und äußere Zustände über meßbare, vergleichbare Taktung der Zeit, wiederholt nicht identischen Stoffwechsel, verlangt dem reproduzierten Organ jedoch spezifische Reaktion auf die neuen, sich stets erneuernden Gegebenheiten ab, die es Mangels „Erfahrung“ nicht bewältigen kann, beziehungsweise analog dem „Erfahrenen“ zu absolvieren sucht, sich Erfahrungen selbstkonditionierend, mutierend, evolutionär anpaßt. Wäre es anders, wäre nach vorwärts gerichtete unendliche Lebensdauer denkbar und produzierbar. Bereits aber die Zellerneuerung binnen definierter Frist weist biologisches und existentielles Verfalldatum im Millisekundentakt auf und nach. Nur der Kreislauf der Erneuerung und der zwangsläufig damit verbundene Tod garantieren Leben. Kopie, der Klon trägt mit seinem Erscheinen, trägt beim Eintritt in die Welt sein Verfalldatum aus sich heraus, unabhängig vom Reife- und Entwicklungsstadium der benutzten Zelle. Mithin ist auch Wissenschaft, insbesondere Gentechnik nicht geeignet und nicht in der Lage, sich dem Begriff GOTT anzunähern und/oder ihn zu ersetzen. Auch hier bleibt die Krise Gott. Und es bleibt die Frage, ob Wissenschaft sie lösen will, sie lösen muß. Voraussagen läßt sich: sie kann es nicht.

Einzig annehmbare Alternative unter der Hypothese Gott bleibt so die Suche nach Gott durch das Individuum in demselben. Jeder einzelne wird für sich in sich Gott bestimmen müssen, einen spezifischen, seinem eigenen Sein zugedachten Gott. Indem der individuelle Gott, so das Individuum ihn zu identifizieren versteht, Bestimmung desselben, zugleich Bestätigung der kosmisch-biologischen Zusammenhänge reflektiert, wird Gott einerseits persönliche Imagination, andererseits imaginäre, universelle, bestimmende Kraft, nur als geglaubte Institution scheinbarer Bestandteil realer Welt, oder der Sucher wird gleich zum Atheisten, nur eine andere Form des Glaubens.

Das Individuum selbst ist Kirche. Solch Glaube stellt aus der individualistischen spirituellen Erfahrung die Gemeinschaft der Gläubigen im Sinne der Konfessionsgemeinschaften nicht nur in Frage, sondern hebt deren Allgemeinverbindlichkeit für die jeweilige Gruppe Glaubender auf. Glaube wird, ist, bleibt auf der Suche nach Gott persönlich, nur in der eigenen Person erfahrbar, gelegentlich in spiritualistischem, metaphysischen persönlichen Erleben, mit der logischen und unabänderlichen Konsequenz, nicht GOTT ist die Krise, sonder die Krise ist Religion, ist glaubensbedingt, ist abhängig von Bekenntnissen. Gott bleibt im und mit Religions- und Konfessionsglaube die Krise des Menschen, der Mensch mithin Krise Gottes.

GOTT als Wesenheit jenseits jeder Vorstellungskraft, als Einheit jenseits des Denkbaren, ausgestattet mit dem Gedanken seines Gegenteils, durch Menschengedanken mit dem Satan bewaffnet, verliert mit seiner Undenkbarkeit Satans Stachel, macht ihn zu einer stumpfen Waffe, nimmt dem als Hölle bezeichneten Inferno jeden Ansatz der Wahrscheinlichkeit, beseitigt Schrecken, einerseits unausweichliche Konsequenz, andererseits tröstliche Grundeigenschaft des GOTTES, wer, was wo und wie ER/ SIE/ES immer auch sein mag.

All dies trifft - mit der Einschränkung auf das berüchtigte Salzkorn - judaistisch prophetische monotheistische Weltanschauung und ihre Anmaßung, Gott anschauen, IHN schauen zu wollen. Alle drei monotheistischen Weltreligionen betrifft es gleichermaßen und gleichzeitig. Absage an ihre Auffassung und ihre Darstellung des Gottwesens ist weder Atheismus noch mündet sie im Antichristen oder einer Verneinung der bis Muhammad 25 Propheten. Verworfen werden lediglich die von Menschen als Wahrheit ausgegebenen Vorstellungen über Gott und sein Wesen und daran gebundene Forderung, Zumutungen des Glaubens. Beweisbar ist, von Glaubenstheoretikern als wahr angenommenen Glaubenssätze entbehren des unterstellten Wahrheitsgehaltes, sind zwingend unwahr. Eine für den Ungläubigen nicht weniger beschämende Erkenntnis wie für den Gläubigen. Wo erkenntnistheoretisch die Axiome als unzutreffend hingenommen werden müssen, ist Glaube wider besseres Wissen … Dummheit. Vor der ist kein Freund der Weisheit, kein Philosoph gefeit, der beschlagene Theologe mit ihr geschlagen. Fehlbarkeit der Vernunft ist und bleibt Programm des Menschen.

Ob Glaube im Sinne der judaistisch prophetisch monotheistischen Bekenntnisse dennoch eine Berechtigung hat, ist eine völlig andere Frage, eine Frage, die dem Glauben als Institut, der Institution als soziales Korrektiv innerhalb einer Gemeinschaft, den Instituten innerhalb ihrer Gesellschaft gilt. Soweit Glaube der in ihm aufgehobenen Gesellschaft zu einem strukturierten, friedlichen Sozialgefüge verhilft, ist er mehr als berechtigt. Sobald sich institutionalisierte Glaubensgemeinschaft der einen Glaubensüberzeugung gegen Institution und/oder Überzeugung einer anderen Glaubensgemeinschaft stellt, ist die Institution sowohl verwerflich als entbehrlich, verrät sie doch Institut und Auftrag gleichzeitig, dient dem Unfrieden. Unfriede ist wie Friede nicht Gottes, sondern der Menschen Angelegenheit und ihrer Institutionen Werk, derzeit freilich nur als Unfriede erkennbar.

 

Politik sieht sich damit vor die entscheidende Frage gestellt, ob sie sich zur Durchsetzung ihrer Ziele innerhalb einer Gemeinschaft unterschiedlicher Konfessionen einer in einer derselben angelegten Gottheit bedienen, sich auf diese berufen soll, sie in ihre verfaßten Normen hineinschreiben darf. Ihr Auftrag spricht eindeutig dagegen! Friedenspolitik kann nur im Verzicht auf religiöses und politisches Glaubensbekenntnis gelingen. Friedenspolitik ist andererseits individuelle, persönliche Entscheidung aus der Erkenntnis, daß der Sinn des Lebens definiert ist im kategorischen Imperativ Kants aus Naturrecht und Menschenrecht, aus philosophischer Sicht, aus monotheistisch religiöser Sicht in der Goldenen Regel der Nächstenliebe, wie sie das alte Testament formuliert, das Neue Testament erneuert, der Koran bekräftigt, auch und obwohl sie allen anderen religiösen Entwürfen bis hin in die Naturreligionen zu eigen ist. Sinn des Lebens ist Herstellung der Zufriedenheit sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaft. Als erstes und einziges benötigt Zufriedenheit Frieden, die eigentliche Lebensaufgabe und Herausforderung. So GOTT die Krise ist, bleibt als Sinn des Lebens Auftrag zu fortdauernder Gegenwartsgestaltung nach Regeln des kategorischen Imperativs mit dem Ziel Zufriedenheit, damit Gewährleistung lebbarer Gegenwart, erstrebenswerter Zukunft, berichtenswerter Vergangenheit.

Letztlich erweist sich der Mensch als Krise Gottes. Menschlicher „Geist“ versucht, Welt und ihre Menschen in ihr Netz logischer Beziehungen und deren praktischen Nutzanwendung einzufangen. Mit der Welt an sich und dem Menschen an sich hat dieses Geflecht nichts zu tun, ist es doch vielmehr auf intellektuelle und materielle Überwindung und Beherrschung der Welt und der Menschen gerichtet. Entsprechend entfernt sich Menschheit so immer mehr von ihrer natürlichen, naturgegebenen Bindung an die Welt. Religion wird damit Mittel zum Zweck des Machterhaltes, täuscht Transzendenz und Jenseits außerhalb aller Wirklichkeit vor, „tröstet“ über die irdische Hölle mit dem Versprechen jenseitiger Glückseligkeit, droht irdischer Unbotmäßigkeit mit jenseitiger Verdammnis. Für Anhänger der drei nahöstlichen, im Judaismus wurzelnden prophetisch monotheistischen Theologien, Juden, Christen, Islam und alle Kreationisten dauert damit die Vertreibung aus dem Paradies an, findet – ununterbrochene – Fortsetzung. Unabhängig von jeder weltanschaulichen Auffassung fängt das Netz der logischen Beziehungen und praktischen Nutzungen den Sinn des Lebens ab und ein, endet logisch in Aporie. Ist der Mensch dann noch tatsächlich Geschöpf seines geglaubten Gottes, kann er Jakob Wassermann nicht glauben: ... unschuldig ist nur Gott.

Europäische Philosophie im Verein mit den drei nahöstlich prophetischen Religionsbekenntnissen hat in beinahe 5.800 Jahren keine Antwort auf diejenigen Fragen gefunden, welche der Mensch seit seiner viel weiter zurückreichenden und das Heute überdauernden Existenz gestellt hat und stellt: die Frage nach dem Wodurch, Wieso, Woher, Wohin, Warum. Recht zuversichtlich, auch kommende Generationen werden zu keiner letztgültigen Antwort gelangen, gestattet ein dem Zeitgeist widersprechender Anarchismus des Denkens abseits philosophischer Systeme Zufriedenheit und … ein Augenzwinkern. Selbstredend erstreckt sich solch Anarchismus samt Augenzwinkern auch auf die (östlich) indischen, mystischen Modelle des Hinduismus und Buddhismus und die fernöstlichen, weisheitlichen Ansätze des Konfuzianismus und Daoismus.

Für einen Protagonisten im Dunstkreis der Aufklärung, der Technik, des Fortschritts und westlicher Werte aller grundsätzlich im Osten angesiedelter Denk- und Religionsentwürfe bleiben zwangsläufig die Implikationen aller Naturreligionen Geheimnisse des Glaubens, welche für ihn weder nachvollziehbar, noch lebbar sind, gleichwohl mit allen anderen Modellen konkurrierender religiöser Auffassungen stets eine Gemeinsamkeit teilen: Die goldene Regel. Gelingt den Menschen ihre gewaltfreie Durchsetzung weltweit -global-, gewinnt Menschheit Weltfrieden hin zu einer paradiesischen Zufriedenheit, Zweck, Sinn und Ziel des Lebens. Rückkehr ins Paradies! Ein durchaus wirklicher, ein irdischer Ort, jenseits des Jenseits, ohne Gott hier wie dort im Hier, Heute, Jetzt. Zumindest daran wäre dann Gott … unschuldig.

Wüßte Gott nur halb so viel von Theologie wie Ratzinger oder Küng, GOTT würde zurücktreten. Sofort.

ZWEI AUF EINEM PFERD BEI EINER KEILEREI

oder

Bouvard et Pécuchet zwischen Tübingen und Marktl

Alt ist er schon, der Streit, und auch bekannt. Alt sind sie schon, die Streitparteien, und auch bekannt. Immer noch sitzen sie im gleichen Boot, bekennen beide. Das Boot selbst ist noch älter und auch bekannt, altbekannt. Unisono behaupten beide Kontrahenten vehement, sie wollen das so ungeheuer wertvolle, das, wie sie auch behaupten, ‘unverzichtbare’ Boot retten, den morschen Kahn gar voranbringen. Jeder der Kontrahenten rudert deshalb kräftig … in die jeweils andere Richtung. Sieht man genau hin, hört man ihnen aufmerksam zu, sitzen sie nicht auf der selben, auch nicht auf der gleichen Ruderbank, nicht einmal im selben Boot. Genau betrachtet sitzen beide auf dem Trockenen, wohin sie letztlich der eine von ihnen voller Überzeugung gebracht – der Ober sticht den Unter –, der andere ihm dabei in christlicher Güte assistiert hat. Trockene Wissenschaft. Theologie für ausschließlich Theologen, auch wenn jeder weiß, schon ihre Vorgänger logen. Christentum ist schließlich beider Gewerbe. So sitzen sie dann eigentlich wiederum nicht und nie auf dem Trockenen, ist ihr Geschäft doch eines der einträglichsten überhaupt. Ein Dienstleistungsbetrieb. Hier und da ein bißchen vielleicht Dienst, aber vollkommen leistungsfrei, frei von Leistung. Auch ohne jede Gewährleistung. Von Garantie ganz zu schweigen!

Worum sie streiten? Etwa um das Kirchenschiff, besser Schiff Kirche, katholische Kirche? Eine ganz eigene Titanic! Muß es sie, Mutter Kirche, Untergangsboot, Glaubensschiff der Kleriker, Mutterschiff der Denkzwerge, muß es das Kirchenschiff unter solchen Ruderknechten nicht zerreißen, untergehen? In Wahrheit aber streiten sie um Windmühlen und ihre Flügel.

Nein, sie gleichen darin nicht dem edlen Ritter Don Quijano der Gute aus der Mancha und seinem treuen Sancho Panza, sind nicht Don Quijote und sein schlecht berittener Diener, entsagen im feierlichen Gelöbnis jeder Dulcinea, von Tübingen bis Toboso, von Marktl bis Rom, sind auch nicht Jacques le Fataliste und sein gut berittener Herr, wenngleich jener gewisse klerikale Kämpe sich gerne als Herr, als Stellvertreter Gottes sieht, ohne jede Gottesfurcht quasi Vize-Gott, der andere, jener, der immer das letzte Wort hat, der Radikale, der Widerspenstige, keinen Herrn über sich duldet, keinen Vize-Herrn, nicht einmal fremde Götter neben sich, schon gar keinen unfehlbaren Menschen, und sei er nur … Papst.

Gefragt sein muß deshalb: Wie waren sie zueinander gekommen? – „Von ungefähr, wie das gewöhnlich der Fall ist.“ – Wie heißen sie? – „Was kann euch daran liegen?“ Nennen wir den einen der Streithähne Joseph Ratzinger. Heißt er so? Dann kann der andere Streithammel nur Hans Küng heißen. – Wo kamen sie her?„Aus dem nächst gelegenen Orte.“ Aus teutschen Landen, dem Lande des Reformators Martin Luther kam der eine, der andere aus dem alemannischen des Reformators Huldrych Zwingli. – Wo wollten sie hin? – „Weiß man je, wohin man will?“ Auf jeden Fall wollten sie nach oben, nach ganz oben, auf den Gipfel! Auf jeden Fall geht das für sie nur über Rom. Auf jeden Fall geht es von jedem Gipfel immer nur bergab, haben jedenfalls beide zu sehr unterschiedlichen Zeiten aus sehr verschiedenen Anlässen sehr deutlich erfahren. – Was sprachen sie? – „Der Herr, derjenige, der sich für den Herrn und den Stellvertreter des Herrn hält, Bruder Joseph, sprach kein Wort, jedenfalls kein verständliches, auch kein verständiges, aber Bruder Hans: Sein Hauptmann (Johannes XXIII.) habe gesagt, alles, was uns hienieden Gutes oder Böses begegnet, stehe dort oben geschrieben.“

... Das war ein verständiges Wort. Natürlich auch ein fatales, ja fatalistisches.

Wollte man nun hinzusetzen, jede Kugel, die aus einem Musketenlauf abgeschossen wird, hat einen Adressaten, hat man nicht unrecht, müßte füglich hinzugefügt sein: jede Kugel, die aus einem Musketenlauf abgeschossen wird, hat einen Adressanten. Erst dann hat man Recht.

Also doch und frei nach Denis Diderot wenigstens Jakob und sein Herr? Oder einmal mehr nur die Geschichte, welche Miguel de Cervantes Saavedra nur deshalb erzählen konnte, weil Sidi Hamét Benengeli sie ihm erzählt hatte? Bei allen guten Engeln, sind sie schlechte Engel, sind sie nur Teufel, bei allen guten Engeln also wäre das zu einfach für zwei so große Geister, die man rief und einfach nicht mehr los wird. Nun ja, Hans Küng, der Diener, der sich für keinen solchen hält, verfuhr mit seinem Herrn, für den sich Josef Ratzinger durchaus hält, nicht so zurückhaltend und schonend ... Er überging nicht den geringsten Umstand und ließ es darauf ankommen …

Worauf aber kommt es an? Hatten nicht beide Kontrahenten, zwei Meister der Selbstinszenierung, die gleiche Wissenschaft betrieben? Sofern man es Wissenschaft nennen darf, wenn alles unter dem Zeichen „Katholisches Christentum“ als unabdingbare Prämisse immer und immer wieder verifiziert, niemals und nichts falsifiziert, unter gar keinen Umständen die Prämisse selbst in Frage gestellt wird. Was, außer Zirkelschluß, mag solche scheinbare Wissenschaftlichkeit hervorbringen? Theologie heute nach Regeln der Wissenschaft, Logik und Verantwortbarkeit legt nahe, Christentum ist geistig so gut wie bankrott. Gleichwohl methodisch haben sich die beiden Helden jedes Wissensgebiet untertan gemacht, es christisch, aber linear zum Wissensgebet degradiert, daraus windmühlenartig, Entschuldigung(!), gebetsmühlenartig deklamiert, gleich Bouvard und Pécuchet ungeheures Wissen angehäuft, aufgetürmt, ohne auch nur von einer der Sachen, ohne überhaupt von irgendwelchen Sachen, von wirklichen Sachen wirklich etwas zu verstehen. An der Quantität erfreuen sie sich, berühmen sich ihrer, klopfen sich ihretwegen selbst und gegenseitig auf die Schulter, ermangeln der Qualität, nicht so sehr des Klopfens, mehr des Kopfes, des Denkens darinnen, weil sie sich der Theologie verbunden, verpflichtet fühlen, sich ihr verschrieben haben, ignorieren, auf diesem ihrem ureigenen Wissensgebiet ist qualifiziertes Wissen, bleibt Wissenschaftlichkeit unmöglich. Es wollte und will ihnen nicht gelingen, sich aus Sokratischer Aporie zu befreien, Dialektik frei nach Marx walten zu lassen, wie seinerzeit Gottlob Frege die Russellsche Antinomie anzuerkennen. Ein Circulus vitiosus, ein Teufelskreis zweier eheloser, christischer Männer, welche dem Widerspruch zwischen ehelos und christlich gnadenlos ausgeliefert sind, weder wissenschaftlich der Paradoxie zu begegnen, noch pragmatisch den gelobten Zustand zu beenden vermögen. Kampf zwischen Samiel und Mephisto. Austauschbare Rollen. Immer sitzt der eine auf des anderen Stuhl. Immer sitzen beide fest im Sattel. Und doch schlagen sie aufeinander ein.

Der eine, Sie wissen schon, der Wir-sind-Papst, Nachfolger auf dem Stuhl Petri, obwohl von letzterem nicht einmal erwiesen ist, er kam in Rom zu Potte, habe dort auf einem Stuhl gesessen, ausgerechnet auf dem, der heute nicht mehr sein Hinterteil, nur noch seinen Namen trägt, jener Nachfolger Petri, Stellvertreter des Nazareners und Gottessohnes, Vizegott und Papst Emeritus, befolgt ‘unfehlbar’ die Parole des Originals, seines Helden, Herrn und Gottes: Ich bringe euch nicht den Frieden. Recht hat er, der Held, vor allem sein Nachfolger, könnte man darauf vertrauen, dies seien wahrhaft Worte Jesu, verkündeten doch schon die Engel vor Geburt des Zimmermannssohnes: Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind. Eine außerordentlich heikle Geschichte, die Sache mit dem Willen und der Welt als Vorstellung für einen Stellvertreter Gottes. Wer kann sich schon vorstellen, auf der Welt herrscht Friede anstatt Angela, Barak, Wladimir oder so?! Für einen Vizegott nichts als häretische Gedanken! Starken Willen braucht selbst ein Vizegott im Wartestand, Präfekt der katholischen Glaubenskongregation, Chef des Heiligen Offiziums, dreiundzwanzig lange Jahre lang jeden Freitag den wöchentlichen Bericht über Mißbrauchsfälle katholischer Kleriker aus aller Welt zur Kenntnis zu nehmen. Pädophilie als praktizierte Nächstenliebe? Noch viel stärker muß der Wille sein, die allfälligen Rapporte sorgfältig wegzusperren, unter Verschluß zu halten. Streng vertraulich. Geheim. Weniger bis gar keines Willen bedarf es, schon gar keines guten Willens, die Inquisition als Segen für Europa zu bezeichnen, auf Unfehlbarkeit, Zölibat, Ablehnung der Empfängnisverhütung, Verweigerung aktiver Gleichstellung der Frau und Eucharistieverbot für wiederverheiratete Geschiedene zu beharren. Weder guter Wille also, noch Wille zum Frieden! Um Frieden sollen sich die Menschen, die Gläubigen gefälligst selber balgen; freilich mit von Klerikern aller möglichen und unmöglichen Glaubensbekenntnisse gesegneten Waffen. Wahrlich ein gerüttelt Maß an Streitpunkten. Ohne Unterlaß ständiger Anlaß für Unfrieden. Unfriede mit der Ostkirche, Unfriede mit den Protestanten Westeuropas, Unfriede mit all jenen, welche die Dogmata und Zumutungen des Glaubens zu hinterfragen wagen, besonders dann, wenn sie dabei an friedliche Ökumene denken, wie der Theologe Gotthold Hasenhüttel.

 

Jedenfalls hat Joseph Wir-sind-Pabst Ratzinger viel gelehrt. Viele Bücher zu theologischen Themen hat er verfaßt. Ob sich daraus etwas lernen läßt? Neben aller professoralen Lehrtätigkeit mit dem Gehalt eines Professors sind so rund 48 Buchtitel religiösen Inhaltes erschienen, so daß der allein und zölibatär lebende Herr Professor ein Anwesen in Regensburg erwerben konnte und mit der Annahme seiner Berufung zum Chef der Glaubenskongegration sich von Johannes Paul II. ausdrücklich die Fortsetzung seiner quasi privaten Schriftstellertätigkeit garantieren ließ. Lernen läßt sich daraus, auch nach 2000 Jahren gilt im weltlichen wie katholischen Rom immer noch: Pecuniam non olet. Allerdings adelt es auch nicht.

Ungefähr achtzig Lebensjahre des freien Schriftstellers, Theologieprofessors, Klerikers sind ins Land gegangen, bis Joseph Ratzinger es geschafft hat, den ersten Band seiner Trilogie Jesus von Nazareth herauszugeben. Ein gewisser Rudolf Augstein, in Theologie nicht mit summa cum laude promoviert, nicht habilitiert, völlig ohne Studium, aber mit quasi magna cum laude beruflicher Schreibpflicht für sein Wochenmagazin, nur Journalist und Vaterlandsverräter von Adenauers bis Strauß Gnaden, hatte bereits im zarten Alter von 49 Jahren Jesus Menschensohn publiziert, den Theologen aller Konfessionen eine längst überfällige Rechnung präsentiert, durchaus auch nicht unterlassen, Theologie und Politik zu verbinden. Insofern begegnet ausgerechnet Joseph Ratzinger dem Atheisten Michail Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das Amt des Papstes auf Zeit ist da nur schwacher Trost.

Zurückstehen mag der andere der Kontrahenten dahinter selbstverständlich nicht. Ein Haus am ehemaligen Dienstort Tübingen, ein anderes am Sempachersee im schönen Kanton Luzern wirft die Veröffentlichung von mehr als 80 Buchtiteln schon ab für einen zur Ehelosigkeit degradierten, bescheidenen Diener eines katholischen Gottes. Was bedeutet im Vergleich zu solchen Einnahmen schon das Gehalt eines Professors, der nur katholischer Priester ist? Was bedeutet vor allem der Streit unter Theologen, wer der bessere, der richtige Theologe, der echte Katholik ist? Nur fest daran glauben, die Fehde zweier anerkannter Theologen sei beste Werbung für deren Bücher, schon generiert sie Umsatz, Verdienst! Der Glaube versetzt immer noch Berge … von Geld.

Verdienst hingegen des vom Katholizismus bedienten Rudolf Augstein ist es, in sehr einprägsamer Manier längst vor öffentlichem Ausbruch des Theologenstreites in seinem Buch Jesus Menschensohn dargestellt zu haben, wie sich die Exegeten des verschrifteten, als Offenbarung apostrophierten Wortes stets selbst und einander belügen, jeder historischen Unklarheit die eine und die andere Klarheit abgewinnen, indem sie den schwankenden Boden ihrer Exegese einfach für fest erklären. Wird dies auf den Kanzeln und in den Werken der beiden Streithähne auch heftigst verschwiegen bis bestritten, ist der Boden ihrer Exegese alles, nur nicht fest. Zwei in ihrem Kirchenschiff, in einem Boot, das schwankt, das leckt. Und die Gläubigen verlassen das Schiff bereits in Scharen. Was Marie von Ebner Eschenbach vor mehr als einhundert Jahren für die Demokratie konstatierte, gilt heute, im Juli 2016, dem Jahr der Barmherzigkeit, mit der Möglichkeit, im Durchschreiten der Heiligen Pforte einen Ablaß zu gewinnen, heute, da Papst Franziskus via Internet mit unerwünschter Werbeinblendung, mit Spam seine Schäflein in Deutschland auffordern läßt, ihm bei der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche hierzulande behilflich zu sein, gilt auch für die edle Glaubensgemeinschaft: Zwei auf einem Pferd bei einer Keilerei. Erstaunlich, wenn ausgerechnet das von Klerikern als Wahrheit gepredigte Wort Gottes währenddessen und danach der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit bedarf, nicht wahr?!

Beileibe sind jene zwei Kirchenritter nicht auf dem Rosinante unterwegs, bedienen sie sich doch mehr der Gerätschaften, deren Pferdestärken nicht in Hufen, sondern in Verbrennungsmotoren stecken. Hindert sie das am Streit? Ihr Klepper, ihr Steckenpferd heißt Theologie. Ein seit Jahrtausenden von zig Religionen zuschanden gerittener Gaul. Eine Wissenschaft, die kein Wissen schafft, mit Wissen nichts zu schaffen hat. Um so geschäftiger machen sich die Kontrahenten an und in allen anderen Wissenschaften zu schaffen, nehmen sie in Dienst für ihren scharfen Ritt durchs Niemandsland, verpflichten sie zum Dienst an, zum Diener ihrer katholischen Theologie. Da bleibt kein Auge trocken.

Wohin es führt, wenn zwei sich intensiv mit Wissenschaften beschäftigen, in allen Sätteln gerecht sein wollen, läßt Gustav Flaubert seine beiden Protagonisten Bouvard und Pécuchet genüßlich durchleben. Jene zwei Pariser Büroangestellten mit dem gleichen Beruf gelangen durch göttliche Fügung und menschliche Verfügung über eine Erbschaft zu sorgenfreiem Leben, ziehen sich aufs Land zurück, frönen der Wissenschaft. Zuerst wenden sie sich Landwirtschaft, Garten- und Landschaftsbau und der Obstverwertung mittels Schnapsbrennerei zu. Nicht einmal zu einem gescheiten Rausch hat’ s gelangt, so berauscht waren sie von ihrem Wissen. Dann sollten es die Naturwissenschaften richten, auch Chemie, Anatomie, Medizin, Biologie und Geologie. An und in der Komplexität scheitern sie. Warum es dann nicht mit Archäologie, Geschichte, Architektur versuchen? Erfolglos! Also gut, dann schöngeistig zu Literatur, Drama, Grammatik, Ästhetik. Schon wieder zu nichts zu gebrauchen. Nun aber, als ob sie miteinander zu tun hätten, erst zur Politik, dann zur Liebe und weiter zur Gymnastik, die bei vorletzterer gelegentlich auch vorkommt, nicht aber die Philosophie, welche irgendwann irgendwie immer die Religion streift und in Pädagogik und gesellschaftliche Reformen übergeht.