Mallorquinische Leiche zum Frühstück

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Aus der Reihe: Mallorquinische Leiche #1
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Sie nickte nur.

Der Restaurantleiter wies ihnen einen Tisch für zwei in einer verschwiegenen Ecke zu. Aus den Augenwinkeln fiel Mercédès Frau Fichtelhuber auf, die ihren Mann in die Seite boxte und in ihre Richtung deutete. Morgen bin ich hier Gesprächsstoff, grübelte Mercédès. Aber sie konnte ja sagen, dass sie noch einige Fragen an Werner Hoffmann stellen wollte. Was sie auch vor hatte.

»Darf ich für Sie unser Willkommensmenü bestellen? Jeden Sonntag lässt sich unser Restaurantchef etwas Besonderes für die neu ankommenden Gäste einfallen.«

»Gerne«, sagte sie, wieder nur mit einem Lächeln. Sie mochte es, wenn Männer die Initiative ergriffen. So taff sie beruflich war, privat liebte sie es, wenn sie sich fallen lassen konnte und ihr jemand Entscheidungen abnahm.

Während Werner Hoffmann die Bestellung aufgab, schenkte die Kellnerin bereits Rotwein ein. Wann hat er den bestellt?, überlegte Mercédès. Oder war das sein üblicher Wein, den er hier beim Essen konsumierte? Hatte er den gestern Abend auch mit Sabrina Schneider getrunken?

»Schön, dass Sie Zeit haben, mir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten«, und er stieß mit ihr an. »Zwar bedauere ich die Umstände, durch die wir uns kennengelernt haben, aber nicht die Tatsache an und für sich.«

Sein leicht wienerisch gefärbtes Deutsch lullte sie endgültig ein. Es klang allerdings nicht so derb wie bei den meisten Wienern, sondern er betonte manche Wörter in besonderer Weise. Es hatte einen weichen, runden Klang, nicht das lang gezogene ›Naaa, heaarst, Waaabler‹ mit dem ihr Vater Wiener stets nachgeahmt hatte.

»Sie sagten, dass Sie aus Wien stammen. Von wo genau?«

»Ich bin in Hietzing aufgewachsen. Gleich neben Schloss Schönbrunn«, und seinem Gesichtsausdruck war abzulesen, dass es angenehme Erinnerungen waren, die ihn mit seiner Heimatstadt verbanden. Seine schönen Augen strahlten.

Vielleicht sprach er das berühmte Schönbrunner Deutsch?, ging es Mercédès durch den Kopf. Denn so hübsch hatte das Wienerische noch nie in ihren Ohren geklungen.

»Kennen Sie Wien?«, wollte Werner Hoffmann wissen.

»Natürlich. Als geborene Münchnerin war ich mit meinen Eltern viel in Österreich unterwegs, auch in Wien.«

»Münchnerin«, lächelte Hoffmann sie interessiert an, »deshalb das perfekte Deutsch mit der leicht bayrischen Färbung. Ich habe mich schon gewundert, wie eine Frau, die Spanisch wie ihre Muttersprache spricht und äußerlich alle Vorzüge einer Spanierin besitzt, zu dem eher deutschen Nachnamen und dem interessanten Vornamen kommt.« Er zwinkerte ihr dabei mit seinen wunderschönen Bernsteinaugen zu, sie verliebte sich auf der Stelle in die feinen Fältchen, die die Augenpartie beim Lächeln umgaben.

»Ja, mein Name«, seufzte sie, »Fluch und Segen zugleich.« Und erzählte die Geschichte ihrer Abstammung und warum sie diesen besonderen Vornamen trug.

»Einer schönen Frau ein schöner Vorname. Ihr Vater hat gut gewählt«, lächelte er sie warm an.

Sie musste ihre Augen abwenden. Dieser Mann wird doch nicht mit mir flirten?, überlegte sie. Mit der ermittelnden Polizistin? Aber er wusste nicht, dass sie schon mal wegen Mordes ermittelten. Für ihn war es bisher einfach ein Unfall. Ein tragischer Unfall.

Trotzdem hatte er sich seit heute Morgen stark verändert. Die Nervosität und Unsicherheit waren gänzlich von ihm abgefallen. Er hatte sich gefangen und im Griff. Doch sie verlor sich allmählich ...

»Und warum sind Sie ausgerechnet Polizistin geworden?«

»Warum nicht?«, antwortete sie schnippisch. Immer diese unvermeidliche Frage. Wie hatte sie es satt. Aber wenigsten hat er nicht wie all die anderen gemeint, eine so hübsche Frau und Polizistin ...

»Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Aber die Berufswahl sagt auch viel über Menschen aus. Ich denke, dass Ihr Beruf sehr interessant ist, denn Sie lernen dabei die unterschiedlichsten Menschentypen kennen. Und wahrscheinlich nicht immer nur sympathische.«

»Das hängt davon ab. Ich habe schon charmante Mörder hinter Gitter gebracht, die dachten, sie können mich mit ihrem Charme einwickeln.« Wie kam sie nur auf diese Antwort? Wollte sie ihm zeigen, dass er es erst gar nicht bei ihr versuchen sollte? Mercédès fühlte sich völlig verwirrt. Auch durch den Alkohol. Sangria und jetzt bereits das zweite Glas Wein auf praktisch nüchternen Magen, das konnte nicht funktionieren. Gott sei Dank wurde in dem Moment der erste Gang serviert. Das knusprige Weißbrot hatte sie längst ganz alleine verzehrt.

Werner Hoffmann bedeutete der Kellnerin, dass sie das Körbchen auffüllen sollte. Dabei fiel ihr seine Hand auf. Sie starrte auf diese. Fühlte ein eigenartiges Kribbeln. Warum machte sie seine Hand nervös? Eine sehr schön geformte Hand, philosophierte sie. Schlank mit langen Fingern. Und ohne Trauring.

»Dann hatten diese Typen keine Menschenkenntnis. Ich schätze Sie überaus geradlinig ein. Sie kämpfen für die Gerechtigkeit, daher sind Sie Polizistin geworden. Aber warum nicht Anwältin oder Richterin?«

Woher wusste er, dass sie zwischen den Berufen geschwankt hatte? War sie so leicht zu durchschauen?

»Mein Vater war Polizist. Und als er uns so früh verlassen hatte, da dachte ich einfach, um ihm nahe sein zu können, trete ich in seine Fußstapfen ...«

Eine Weile aßen sie schweigend, Mercédès fühlte wieder Boden unter den Füßen. Sie liebte Tapas, und diese Auswahl mundete hervorragend. Ihr absoluter Favorit waren Datteln im Speckmantel und sie wurde gewahr, dass nur sie von diesen gegessen hatte. Mochte Werner Hoffmann keine oder hatte er aus Höflichkeit alle an sie abgetreten? Weil sie sich so darauf gestürzt hatte? Sie beschloss, sich ein wenig zurückzunehmen, knabberte an einigen gebratenen Pimientos de Padrón, griff sich eine Garnele im Knoblauchöl, probierte noch ein köstliches Albóndigas. Die Hackfleischbällchen in Tomatensauce erinnerten sie an das deutsche zu Hause, an München und die Fleischpflanzerl. Auch wenn diese nicht in Tomatensauce serviert wurden. Mit einigen Papas arrugadas, den berühmten Kartoffeln mit Salzkruste, fühlte sie sich nun fürs Erste gesättigt.

Als er ihr erneut Wein nachschenken wollte, hielt sie ihre Hand über das Glas. »Ich muss noch fahren«, wehrte sie ab. Er akzeptierte ohne Einwand. Auch das gefiel ihr. Denn meistens wurde versucht, sie doch noch zu einem weiteren Glas zu überreden.

»Wasser?«, fragte er stattdessen.

Sie nickte dankbar.

»Und Sie? War Ihr Kindheitstraum Hotelmanager auf Mallorca zu werden?«

»Nein. Ich wollte Löwendompteur werden.«

»Löwendompteur?«, fragte sie perplex nach.

»Löwendompteur!« Und beide prusteten zur selben Zeit los.

»Wie das?« Es interessierte sie. Der Mann interessierte sie.

»Ich war als Kind fast täglich im Schönbrunner Zoo, verliebt in die Löwen. Und habe mir vorgestellt, wie ich bei ihnen im Käfig stehe und sie dazu bringe, durch Reifen zu springen.«

»Und warum ist daraus nichts geworden?«, schmunzelte sie.

»Weil die Liebe nachgelassen hat und die Angst gewachsen ist«, lachte er.

Sie stimmte ein. »Dafür zähmen Sie jetzt Ihre Gäste.«

»Wenn das so einfach wäre ...«, seufzte er und blickte zu den Fichtelhubers.

»Kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht immer leicht ist. Manche Menschen stellen eine Herausforderung dar. Wie war Sabrina Schneider so?«

»Wollen wir jetzt über den Beruf sprechen oder ihn mal außen vorlassen und uns amüsieren?«

Wich er ihr aus oder wollte er wirklich nur abschalten?

Sie lächelte ihn hintergründig an. »Amüsieren hört sich gut an«, und hielt ihm ihr Weinglas doch wieder hin. Dieses hervorragende Wolfsbarschfilet auf Tomatenrisotto mit Olivennage verdiente einen guten Wein und nicht das einfache Wasser, dachte Mercédès. Verträumt beobachtete sie ihn beim Nachschenken des Rotweins.

Amüsiert zog er eine Augenbraue fragend in die Höhe.

Lächelnd erklärte sie: »Ich musste gerade an einen Sommerurlaub mit meinen Eltern in Südfrankreich denken. Mein Vater hat in einem eleganten Restaurant in Menton Fisch bestellt, dazu Rotwein, weil meine Eltern nicht gerne Weißwein tranken. Daraufhin meinte der Kellner ausgesprochen höflich: ›Monsieur, Fisch verlangt Weißwein!‹« Dabei imitierte sie den etwas überheblichen Gesichtsausdruck und die leicht näselnde Stimme des Kellners.

Hoffmann brach in schallendes Gelächter aus, was die Aufmerksamkeit Rosie Fichtelhubers nach sich zog. »Ja, das hab ich in der Tourismusschule Kleßheim auch noch gelernt. Aber Gott sei Dank sind die Regeln nicht mehr so streng.« Erhob sein Glas und prostete ihr zu.

Im Hintergrund erklang This is My Song, eine alte Aufnahme von Petula Clark, und obwohl das keines von Mercédès Lieblingsliedern war, ergriff sie eine eigenartige Stimmung. Warum war ihr Herz plötzlich so leicht?, fragte sich nicht nur Petula Clark.

»Wie lange leben Sie bereits in Spanien?«, nahm er das Gespräch nach ein paar Minuten Schweigen mit einem Räuspern wieder auf. Gespannte Augen trafen sie.

Hatte er die knisternde Atmosphäre ebenso empfunden?, überlegte Mercédès.

»Ich war sechzehn, als wir München verlassen haben. Also eine ganze Weile«, schmunzelte sie. Sollte er doch raten, wie alt sie war. Sie musste ihm ja nicht auf die Nase binden, dass sie jetzt schon die gleiche Anzahl von Jahren in Spanien lebte wie damals in München.

»Haben Sie München nie vermisst?«

»Am Anfang. Aber es war ja mein Vater, der das Bayrische ausgemacht hat. Meine Mutter hat sich dort ohnedies nie wohlgefühlt und so war es naheliegend, nach seinem Tod nach Spanien zurückzukehren. Und wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich mehr als Spanierin denn als Deutsche, obwohl ich deutsche Staatsbürgerin bin.«

 

»Warum nicht beides?«, fragte er überrascht.

»Weil ich mich noch entscheiden musste ... erst seit 2014 dürfen Kinder mit einem ausländischen Elternteil in Deutschland die Staatsangehörigkeit des anderen Elternteils behalten.«

»Und warum haben Sie sich für die Deutsche entschieden?«

»Sie sind aber neugierig, das klingt ja fast wie ein Verhör«, wies sie ihn leicht tadelnd zurück.

»So war das nicht gemeint. Aber Sie interessieren mich!« Und wieder richteten sich erwartungsvolle Augen auf sie. Doch es lag mehr in dem Blick ...

Verwirrt schloss sie für einen Moment ihre Augen, drehte ihr Weinglas in den Händen. »Weil meine Mutter das für besser befand ...« Wie oft hatte sie sich seither überlegt, ob das der richtige Schritt gewesen war. Sie lebte in Spanien, trotzdem war sie Deutsche. Aber irgendwie war es das Vermächtnis ihres Vaters, dem es wichtig war, dass sie Deutsche, Bayerin, war. Auch wenn sie dadurch in Spanien des Öfteren mit Vorurteilen zu kämpfen hatte, trotz ihres spanischen Aussehens und ihrer typischen spanischen Art.

Er betrachtete sie aus halbgeschlossenen Augen. Trank einen Schluck Wein. »Und, fühlen Sie sich auch als Mallorquinerin?«

»Ich bin erst seit gestern Abend hier ...«, und sie strich ihre widerspenstigen Locken zurück. Eine Geste, die er unheimlich anziehend fand.

»Oh, dann hatten Sie heute Ihren ersten Arbeitstag?« Die Überraschung war ihm deutlich anzumerken. Aber auch Freude.

»Eigentlich hätte ich den erst morgen ...«, seufzte sie.

»So traurig und pietätlos das wahrscheinlich klingen mag. Aber da muss ich Sabrina direkt dankbar sein. Sonst hätten wir uns vielleicht nie getroffen.« Er beugte sich bei diesen Worten vor, sein Arm streifte fast ihre Schulter.

Sie wollte ihm scharf ins Wort fallen, denn wie kann man einen Todesfall als glückliche Fügung ansehen? Besann sich aber anders. Sah sie es nicht ebenso? Und schloss erneut für einen Moment verwirrt die Augen über die widersprüchlichen Gefühle in ihrem Bauch.

»Lassen Sie uns auf Ihren Dienstbeginn auf der Insel anstoßen und es als Schicksal betrachten, das uns zusammengeführt hat.« Er blickte ihr tief in die Augen, legte kurz seine Hand auf ihre.

Sie zuckte zurück, dieser sanfte Druck fuhr wie ein Blitz durch ihren Körper, versuchte sich zu sammeln, obwohl sie das Gefühl höchst angenehm empfand. Winzig kleine Lustimpulse hatte diese eine sanfte Berührung bei ihr ausgelöst. Nein, schimpfte sie mit sich. Reiß dich zusammen. Du willst keine Affäre!

»Ich hoffe, wir sehen uns noch sehr oft«, fügte er weich hinzu. Vielleicht öfter, als dir lieb ist, dachte sie nun wieder klarer geworden. Wenn du etwas mit Sabrina Schneiders Tod zu tun hast. Doch diesen Gedanken verwarf sie sofort. Nein, dieser Mann war kein Mörder. Und ihr Tod hatte ihn getroffen, das hatte sie heute Morgen in Sabrinas Apartment deutlich gespürt. In Sabrinas Apartment ...

»Können wir noch einmal in Sabrina Schneiders Apartment gehen?«, fragte sie unvermittelt.

»Was wollen Sie denn da?«, entgegnete er verblüfft.

»Mir ist gerade etwas eingefallen. Das würde ich gerne überprüfen.«

»Wollen Sie mir verraten, worum es sich dreht?«

»Nein«, meinte sie kurz angebunden.

»Gut, dann lassen Sie uns gehen. Auch wenn ich es sehr bedauere, den wunderbaren Abend so abrupt zu unterbrechen«, flüsterte er dicht vor ihrem Gesicht.

Sie fürchtete schon – oder hoffte? – er würde sie küssen, doch er tat es nicht. Aber sie konnte ihn riechen. Er roch gut. Ein sehr männliches, dezentes Rasierwasser. Ihr Herz schlug heftig. »Vor allem wenn ich sehe, mit welchen Argusaugen wir von Frau Fichtelhuber beobachtet werden.« Und er lächelte in Richtung der Fichtelhubers beim Verlassen des Restaurants.

»Sie hat Sie ja gestern Abend schon belauert, oder?« Die kühle Nachtluft brachte sie etwas zur Besinnung.

»Wie kommen Sie darauf?« Er blieb stehen, warf ihr einen raschen Blick über seine Schulter zu.

»Jens Meinfeldt hat so was angedeutet.«

»Und, ist das wichtig?«, fragte er mit einem Achselzucken und ging weiter.

Sie folgte ihm die Stufen hinauf. »Sagen Sie es mir.«

Es dauerte, bis er antwortete. »Für mich spielt es keine Rolle mehr. Ich bedauere den Tod von Frau Schneider außerordentlich und er ist mir heute Morgen extrem nahegegangen. Aber ich habe daraus auch eine Erkenntnis gewonnen.«

»Ja, und welche?«, fragte sie neugierig. Mittlerweile waren sie beim Apartment angekommen.

»Das Siegel?«, schaute er sie fragend an. Und dieser Blick ging ihr durch und durch, jagte einen Schauer über ihren Rücken.

»Brechen Sie es auf.«

Er schnitt es mit seinem Schlüssel durch, sperrte auf und ließ ihr abermals den Vortritt. Der Blick durch die Panoramafenster auf das im Mondlicht glitzernde Meer und das Spüren seiner Nähe raubten ihr fast den Atem. Als er nach dem Lichtschalter tastete, hielt sie ihn zurück, indem sie ihre Hand auf seine legte. Und fühlte sich erneut wie vom Blitz getroffen.

»Nein, lass. Diese Stimmung ...«, und sie schritt durch den Raum auf die Terrasse, versuchte dieses Gefühl, das über ihren Körper kroch, abzuschütteln. Doch es gelang nicht. Trotz der Wärme, die sich in ihr ausbreitete, fröstelte sie und sie legte ihre Arme schützend um sich.

Werner folgte ihr, trat hinter sie, umschloss sie wärmend mit seinen Armen, zog sie eng an sich. Sie lehnte sich mit jedem Zentimeter ihres Körpers an seinen, ihr Herz klopfte bis zum Hals.

»Es ist wunderschön«, flüsterte er in ihr Haar und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Haaransatz. »Du bist wunderschön.«

Ihre Knie wurden weich. Und eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Aber nicht der Kälte wegen.

Eine Weile wiegte er sie in seinen Armen, während sie den Sternenhimmel betrachteten und einem vorbeiziehenden Kreuzfahrtschiff nachschauten, dessen Lichter in der Ferne tanzten. Und sie ertappte sich beim Summen von This is My Song. Weil die Sterne auch heute Nacht so hell schienen? Als würden sie nur für sie leuchten? Sie konnte nachfühlen, warum Charlie Chaplin einen derart sehnsuchtsvollen Text verfasst hatte.

Da drehte Werner Hoffmann sie zu sich um, hob ihren Kopf mit einem Finger an und senkte langsam seine Lippen auf ihre, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Ein zarter Kuss zuerst nur. Wie ein Versuch. Wollte er ihre Reaktion testen? Dann ein zweiter. Ihr wurde schwindlig. Sie schloss die Augen, gab sich dem dritten, intensiveren Kuss hin und verdrängte die warnenden Signale in ihrem Kopf. Hörte lieber auf den imaginären Song: Wie konnte die Welt verkehrt sein, wenn es ihn in dieser Welt gab?

Montag, 7. November

Langsam wachte Mercédès aus ihrem Traum auf. Und stellte entsetzt fest, dass sie nicht geträumt hatte. Sie lag wirklich im Bett der Toten. Aber alleine. Doch wenn sie sich das zerwühlte Bett so ansah, dann wusste sie auch, dass sie tatsächlich mit Werner Hoffmann geschlafen hatte. Nicht nur im Traum. Verdammt, schimpfte sie mit sich selbst, wirst du nie klüger? Fällst ständig auf dieselben Typen herein. Und in dem Fall war er außerdem ein Verdächtiger. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass die Obduktion doch einen natürlichen Tod ergeben würde. Aber wenn nicht? Dann steckte sie tief im Schlamassel, denn Werner hatte eindeutig etwas zu verbergen. Dieses Gefühl hatte sie gestern Abend nie verlassen, auch wenn ein anderes die Oberhoheit gewonnen hatte.

Trotzdem seufzte sie wohlig auf und sie ließ sich in Erinnerung schwelgend zurück in die Kissen fallen. Welch wunderbare Nacht! Dachte mit einem leichten Ziehen im Bauch an den zärtlichen Blick von Werner, als er sie sanft geliebt hatte. Spürte Schmetterlinge im Bauch, die wie verrückt flatterten. Hatte sie sich verliebt?

Doch mit einem Mal setzte sie sich wie elektrisiert auf. Und wusste, was sie gestern Morgen bei der Besichtigung von Sabrinas Apartment irritiert hatte und sie gestern Abend überprüfen wollte. Das fein säuberliche und unbenutzt aussehende Bett. Wenn stimmte, dass Jens Meinfeldt einen Teil der Nacht mit ihr verbracht hatte und sie nach dem Aufstehen direkt ins Hallenbad gegangen war, wie konnte dann das Bett so unberührt gewesen sein? Sie schätzte Sabrina Schneider nicht so ein, als würde sie nach einer Liebesnacht als aller erstes das Bett frisch überziehen. Schon gar nicht zu so früher Morgenstunde.

Sie suchte ihr Handy, stellte entsetzt fest, dass es bereits fast zehn Uhr war. Da wollte sie längst im Kommissariat sein. Hastig suchte sie Miquels Nummer und dachte, dass es sinnvoll wäre, sich diese auf Kurzwahl zu legen. Es läutete nur zweimal, dann hörte sie die vorwurfsvolle Stimme: »Wo bleibst du denn? Alle warten auf dich im Konferenzraum!«

Scheiße, das hatte sie vollkommen vergessen. Eine Willkommensparty der Kollegen für die Neue. »Ja, sorry, aber mir ist heute Morgen beim Aufstehen etwas eingefallen. Das wollte ich sofort überprüfen.«

»Wo bist du denn?«

»In Sabrina Schneiders Apartment.« Sie verschwieg allerdings, dass sie nackt im Bett der Toten lag und noch der Geruch von Werner Hoffmann in der Luft hing.

»Was machst du denn da?«, wollte Miquel verblüfft wissen.

»Ich überprüfe die Bettwäsche.«

»Du überprüfst ... was?«

»Die Bettwäsche. Ist jemand von der Spurensicherung bei dir?«

»Ja, Mayte.«

»Gib sie mir.«

»Bon dia«, hörte sie Mayte sagen und da fiel ihr wieder ein, dass sie unbedingt Mallorquín lernen musste. Denn sie würde auf Spanisch Buenos días sagen.

»Hola Mayte! Als ihr gestern in Sabrina Schneiders Apartment gewesen seid. Wie war das Bett?«

»Das Bett?«, fragte die junge Polizistin von der Spurensicherung verständnislos.

»War es zerwühlt?«

Mayte überlegte kurz. »Nein, es sah aus wie frisch überzogen. Daher haben wir das Bettzeug nicht mitgenommen. Wieso?«

»Ist es nicht eigenartig, wenn jemand am frühen Morgen zum Schwimmen geht, dass das Bett frisch bezogen ist?«

»Ja, das stimmt.«

»Habt ihr im Schlafzimmer irgendetwas besonderes gefunden?«

»Außer der Reizwäsche?«, lachte Mayte.

»Mit oder ohne Sperma?«

»Mit und ohne. Von zwei verschiedenen Männern«, sagte sie anzüglich.

»Von wem?«

»Das können wir noch nicht sagen. Da fehlen uns Vergleichsproben. Aber wir haben was anderes gefunden.«

»Nämlich?«, wollte Mercédès ungeduldig wissen.

»Fingerabdrücke ...«, meinte Mayte geheimnisvoll.

Was sollte daran geheimnisvoll sein?, dachte Mercédès genervt. Warum musste sie der Kollegin alles aus der Nase ziehen? »Von wem?«

»Von der Toten.«

Oh, was für ein Wunder, wollte Mercédès schon spöttisch antworten, als sie bei der weiteren Aufzählung stutzig wurde. Zwei Sätze unbekannter Abdrücke, doch die dritten stammten von Werner Hoffmann.

»Seid ihr sicher? Vom Manager?«

»Ja, wir haben seine Abdrücke in der Datenbank. Verkehrsdelikt.«

»Und die Abdrücke sind hundertprozentig aus dem Schlafzimmer?«

»Sicher, an der Tür, als hätte er mit beiden Händen die Tür aufgeschoben, am Nachtkästchen, am Lichtschalter der Nachttischlampe ...«

Mercédès hörte nicht mehr zu. Ihr war übel geworden. Hatte Werner in diesem Bett auch mit Sabrina Schneider geschlafen? War er nur mit ihr ins Bett gegangen, um das zu verschleiern? Sie könnte sich ohrfeigen.

»Danke Mayte, das ist sehr aufschlussreich. Gibst du mir Miquel noch mal? Übrigens, entschuldige mich bitte bei den anderen. Ich lade sie alle mal als Abbitte ein. In ein Lokal eurer Wahl. Aber wenn ich Witterung aufgenommen habe ...« Sie wusste, dass sie ihrem Ruf wieder einmal gerecht geworden war. Alleine zu ermitteln, ohne Abstimmung mit den Kollegen. Doch diesmal lag es anders. Sie hatte es ob dieser herrlichen Liebesnacht einfach vergessen, dass heute ihr Willkommensfrühstück stattfinden würde. Aber wem sollte sie das erklären?

»Miquel, ein Paar der unbekannten Abdrücke aus dem Schlafzimmer stammt sicher von Jens Meinfeldt. Und das zweite wahrscheinlich von einem Zimmermädchen. Ich werde herausfinden, von welchem. Die einen Spermaspuren sind höchstwahrscheinlich auch Meinfeldt zuzuordnen und ich vermute, die anderen können wir Werner Hoffmann zuordnen. Gehst du mit mir konform?«

 

»Hundertprozentig. Doch wir müssen es beweisen.«

»Warum beweisen?« Innerlich betete sie, dass es kein Mord war. Denn wenn doch ... konnte sie sich so täuschen? Das Kribbeln, das sie gestern in ihrem Bauch gespürt hatte bei dem Abendessen mit Werner. Sein erster, zarter Kuss. Der hatte unheimliche Gefühle bei ihr ausgelöst. Konnte ein Mann so einfühlsam sein, wenn er gerade einen Mord begangen hatte? Doch eigentlich müsste die Frage anders lauten: Wie konnte ein Mann so einfühlsam sein, wenn er kurz davor noch mit einer anderen Frau geschlafen hatte? Sie seufzte auf.

»Alles in Ordnung bei dir?«

Nein, gar nichts war in Ordnung, dachte sie. Antwortete aber: »Klar. Also, was müssen wir beweisen?«

»José war sehr traurig, dass du gestern nicht wie versprochen in die Pathologie gekommen bist. Er hat die Obduktion noch am Nachmittag abgeschlossen. Extra für dich.«

Hatte sie sich einen Feind in der Gerichtsmedizin gemacht? Hoffentlich nicht. »Und warum weiß ich nichts davon?«, fragte sie ärgerlich.

»Weil du nicht an dein Handy gegangen bist?«, kam es schnippisch von Miquel.

Stimmt, sie hatte es auf lautlos gestellt. Wollte bei dem Gespräch mit Meinfeldt nicht gestört werden. Und hatte dann nicht mehr daran gedacht ... »Okay, sorry, war auf lautlos ...« Mehr wollte sie nicht verraten. »Was hat die Obduktion ergeben?«

»José hat in der Vagina der Toten dieselben beiden DNA-Spuren gefunden wie auf den Höschen. Todesursache ist eindeutig Ertrinken. Er konnte in ihren Lungen dasselbe Wasser nachweisen wie bei den Proben aus dem Pool. Es liegt keine natürliche Todesursache vor. Kein Herzinfarkt, kein Schlaganfall oder was sonst ein Ertrinken zur Folge hätte haben können. Sabrina Schneider war vollkommen gesund. José ist überzeugt, dass sie absichtlich unter Wasser gedrückt worden ist. Die genaue Untersuchung der Abdrücke auf ihren Schultern läuft zwar noch, doch es war eindeutig Mord. Soll ich veranlassen, dass Hoffmanns Fingerabdrücke mit denen auf ihren Schultern verglichen werden? Denn wenn die Beiden ein Verhältnis hatten, dann hat er ein Motiv. Und das von Meinfeldt kennen wir dank Renate Hartig ebenfalls. Daher brauchen wir DNA-Proben von beiden Verdächtigen, von Meinfeldt auch die Fingerabdrücke.«

Werner ein Verdächtiger ... ihr wurde kurz schwarz vor Augen.

Tapfer antwortete sie: »Meinfeldt wird kein Problem sein. Der gibt ja offen zu, mit Schneider geschlafen zu haben. Aber bei Hoffmann ...« Es graute ihr schon davor, Werner damit zu konfrontieren. Eigentlich müsste sie sich sofort für befangen erklären, denn sie konnte die gesamte Ermittlung durch ihre Dummheit gefährden. Ob er das beabsichtigt hatte?

»Ich versuche es mal bei Hoffmann, ob er uns freiwillig eine Probe gibt. Ansonsten brauchen wir einen offiziellen Wisch.«

»Denkst du, er könnte der Täter sein?«

Nein, wollte sie antworten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein so zärtlicher, feinfühliger Mann eine Frau brutal unter Wasser drücken würde. »Wir können es nicht ausschließen«, antwortete sie stattdessen. »Er hatte höchstwahrscheinlich ein Verhältnis mit einem Gast. Und das vielleicht über Jahre. Wenn das bekannt würde, könnte es seine Stellung kosten. Oder sie hat ihn erpresst ... Wir dürfen aber auch Meinfeldt nicht außer Acht lassen. Er hat zugegeben, dass Sabrina ihn abservieren wollte.«

»Hast du schon mit ihm gesprochen?«, fragte Miquel überrascht.

»Ja, hat mir keine Ruhe gelassen. Bin gestern Abend noch mal nach Peguera gefahren. Warum lachst du?«, wollte sie irritiert wissen.

»Weil du schon den mallorquinischen Namen für das hübsche Städtchen verwendest.« Paguera, Peguera, warum legen diese Mallorquiner solchen Wert auf ihre regionale Sprache? Sind wir nicht alle Spanier?, dachte Mercédès leicht verärgert. Überall das gleiche. Jeder pochte auf seine regionalen Spezialitäten. Trotzdem wollen alle ein Stück vom Kuchen des Staates. Und das wird immer ärger. Überall auf der Welt. Nicht nur in Spanien. Doch wie soll das in einer globalen Welt funktionieren?

»Meinfeldt war eigenartig gestern Abend. Als würde ihn etwas schwer beschäftigen. Zerstreut. Und irgendwie angespannt. Wir sollten beide mit ihm reden. Komm, mach dich auf den Weg. Ich fühl schon mal bei Hoffmann vor.«

»Sollte ich da nicht auch dabei sein?«

»Ja, wahrscheinlich klüger. Also beeil dich. Bis gleich«, und Mercédès legte auf.

Sie musste schnell machen, Miquel konnte in spätestens dreißig Minuten da sein, und sie wollte vorher mit Werner alleine sprechen. Doch sie brauchte unbedingt einen Kaffee. In der Küche fand sich eine Nespresso-Maschine und eine große Auswahl an passenden Kapseln dazu. Sabrina Schneider war anscheinend ein Genussmensch. Sie entschied sich für Ristretto, der war stark, aber der intensive Röstgeschmack wurde durch eine Schokoladenote abgemildert.

Während der Kaffee durchlief, sprang sie schnell unter die Dusche. Es fühlte sich eigenartig an, zwischen all den Sachen von Sabrina Schneider zu agieren. Doch Mercédès hatte keine Wahl. Sie musste auf Sabrinas Duschgel zurückgreifen und auch auf ihre Schmink-Utensilien. Ansonsten würde Miquel sofort erkennen, dass sie nicht erst heute früh nach Peguera gefahren war. Gut, dass sie ihre Klamotten gestern Abend vor ihrer neuerlichen Fahrt gewechselt hatte.

Bevor sie aus dem Apartment schlüpfte, goss sie sich den Kaffee mit großen Schlucken regelrecht in die Kehle und hoffte, dass niemand bemerken würde, wie sie aus der Wohnung schlich.

Mit schnellen Schritten eilte sie zur Rezeption, in der Hoffnung, dass Werner an seinem Schreibtisch sitzen würde. Von Miquel war Gott sei Dank noch nichts zu sehen. Ohne zu klopfen stürmte sie in Werners Büro.

Erfreut erhob sich Werner Hoffmann hinter seinem Schreibtisch, ein warmes Strahlen auf dem Gesicht. »Schon munter?«, fragte er liebevoll.

»Hast du mit ihr geschlafen?«, fiel ihm Mercédès wütend ins Wort. Obwohl sein Anblick die Schmetterlinge aktiv werden ließ.

Das Strahlen wich aus seinem Gesicht. »Ich ... wie kommst du darauf?«

»Erspare uns Ausflüchte. Überall im Apartment wurden Fingerabdrücke von dir sichergestellt.«

»Das ist ja auch kein Wunder. Ich inspiziere unsere Wohnungen des Öfteren und da kann es schon vorkommen, dass ich etwas berühre«, versuchte er, mit gequältem Ausdruck zu erklären.

»Testest du auch die Lichtschalter an den Nachttischlampen?«, erkundigte sie sich erbarmungslos.

»Ja, auch das kommt vor.« Er hatte auf alles eine Antwort. Und sie konnten stimmen.

»Bist du bereit, uns eine DNA-Probe von dir zu geben?«

»Warum das?«

Konnte er nicht einfach ›ja‹ sagen? Dann hätte sie noch Hoffnung gehabt ... aber so ...

»In Sabrina Schneider wurden bei der Obduktion zwei verschiedene DNA-Spuren sichergestellt. Und da sie ermordet wurde, müssen wir den Spuren nachgehen«, antwortete sie aggressiv.

Alle Farbe war aus Werners Gesicht gewichen. »Sabrina wurde ermordet?«, stammelte er.

»Hast du was damit zu tun?« Ihre Stimme klang schneidend.

»Traust du mir das denn zu?«, und seine wunderschönen Augen richteten sich traurig auf sie. Widersprüchliche Gefühle kämpften in ihr. Warum musste er auch so schöne Augen haben?

»Es geht nicht darum, was ich dir zutraue oder nicht. Es geht um Fakten und Tatsachen. Also, war sie deine Geliebte?« Hart kam die Frage. Sie musste sie stellen. Als Polizistin. Doch auch die Frau in ihr wollte es wissen.

Er schaute sie direkt an. Sie konnte die Betroffenheit aus seinem Gesicht ablesen. Doch bevor er antworten konnte, stürmte die hübsche Rezeptionistin von gestern ins Büro.

Entsetzt rief diese: »Oben auf den Klippen wurde der junge Berliner gefunden. Tot«

Werner wurde noch eine Spur bleicher, zumindest kam es Mercédès so vor. Sie lief aus dem Büro, Miquel in die Arme.

»Was ist denn hier los?«, rief dieser überrascht, als er auch Hoffmann und das Mädchen von der Rezeption, mit der er gestern heftig geflirtet hatte, aus dem Büro stürmen sah.

»Meinfeldt ist tot aufgefunden worden. Verständige die Spusi und José«, rief sie im Laufen.

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