Familienrecht

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2.4.2 Wandel auch im Güterrecht

Das römische Güterrecht ist ein Gebiet, das die Frauen im 19. Jahrhundert, als die ersten Klagen über ihre ungleiche Rechtsstellung laut wurden, als vorbildhaft gepriesen haben (2.2, S. 44). Auf Interesse stieß vor allem die in Rom seit jeher herrschende Auffassung, dass die Ehe nicht dazu bestimmt sei, einen Gatten aus dem Vermögen des anderen zu bereichern. Dieser Gedanke konnte seine volle Wirksamkeit aber erst entfalten, als die altrömische manus-Ehe in der klassischen Epoche durch die manus-freie Ehe abgelöst wurde. Erst nachdem die Frauen ihre volle rechtliche Selbstständigkeit erlangt hatten, waren sie imstande, über ihr Vermögen frei zu verfügen. Güterrechtlich blieb die Frau in der manus-freien Ehe also Eigentümerin des von ihr in die Ehe eingebrachten und während der Ehe erworbenen Vermögens. Der Mann hatte weder ein Verwaltungs- noch ein Nutzungsrecht.13 Jeder Ehegatte haftete nur für seine eigenen Schulden (Kaser II, 1975, 173–174; Knothe, 2008, 455).

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Die Gütergemeinschaft war in Rom unbekannt. Es wird vermutet, dass sie erst im Mittelalter unter dem Einfluss des Christentums aufgekommen ist.14 Überhaupt war das römische Familienrecht im Vergleich zum Schuld- oder Sachenrecht nur wenig verrechtlicht. Im Corpus iuris besteht der größte Teil des Familienrechts aus Regelungen über die Mitgift (dos). Daher spricht man auch von römischen Dotalrecht. Ein weiteres Thema bildet das Verbot von Schenkungen unter Ehegatten, welches – im Unterschied zur Mitgift – auch heute noch eine wichtige Rolle in der Rechtspraxis spielt (Kaser II, 1975, 185–201; Grosse, 1991, 236; Sorge 2011, 660).

2.4.3 Legitimation des Ausschlusses von Frauen aus den öffentlichen Ämtern

Die Zulassung zu öffentlichen Ämtern (officium) gilt als Lackmustest der Stellung von Frauen innerhalb einer Rechtsordnung: Dürfen Frauen fremde Angelegenheiten verwalten? Dürfen sie Aufgaben in der Rechtspflege, Administration oder Politik übernehmen? Frauen sind bekanntlich nicht nur in der altrömischen, sondern auch in der klassischen Epoche

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von der Ausübung eines officium weitgehend ausgeschlossen worden. Zwar gibt es eine Reihe von Gegenbeispielen, doch überwiegt noch die Auffassung, dass öffentliche Ämter und Funktionen ausschließlich Männern vorbehalten sind:

„Die Frauen sind von allen bürgerlichen und öffentlichen Funktionen ausgeschlossen, und darum können sie weder Richter sein noch ein obrigkeitliches Amt führen noch gerichtliche Anträge stellen noch für einen anderen eintreten noch als Prokuratoren auftreten“ (D. 50.17.2 pr).

Die Formulierung stammt von Ulpian, einem römischen Juristen aus der Zeit des spätklassischen Rechts. Von Ulpian ist bekannt, dass er dem Praktiker einen Überblick über die wichtigsten Rechtsauffassungen zu geben sucht, oft ohne nähere Gründe zu benennen. Da Ulpian auch keinerlei Begründung für den Ausschluss von Frauen aus den öffentlichen Ämtern gegeben hat, muss ein berühmter Fall aus dem Bereich der Prozessvertretung auf Interesse stoßen, in dem der Carfania die weibliche Sittlichkeit aberkannt wurde. Die folgende Stelle handelt von der Frage, wer vor Gericht postulationsfähig ist:

„An zweiter Stelle ist ein Edikt im Hinblick auf diejenigen erlassen, die nicht in fremder Sache vor ihm auftreten dürfen. In diesem Edikt nennt der Prätor Geschlecht und Behinderung; ferner führt er die Gruppen von Personen an, die von Ehrlosigkeit betroffen sind. Das Geschlecht, indem er den Frauen verbietet, in fremder Sache vor ihm aufzutreten. Und zwar liegt der Sinn dieses Verbots darin, daß Frauen sich nicht entgegen der ihrem Geschlecht angemessenen Schamhaftigkeit in fremde Rechtsangelegenheiten einmischen und nicht die Aufgaben des Mannes wahrnehmen sollen; seine Einführung ist aber durch Carfania verursacht worden, eine ganz üble Person, die in ungehöriger Weise vor dem Prätor auftrat und diesen Magistrat belästigte und dadurch Anlaß für das Edikt gab“ (D. 3.1.1.5).15

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Zu denjenigen, denen es verboten ist, in fremder Sache aufzutreten, zählen Ulpian zufolge also auch die Frauen. Der Sinn des Verbots liegt darin, „privat“ programmatisch mit „weiblich“ und „öffentlich“ mit „männlich“ zu assoziieren. Allerdings finden in der römischen Literatur noch andere Frauen Erwähnung, und zwar Maesia Sentina, die überzeugend vor Gericht auftrat, und Hortensia, die sich erfolgreich gegen eine von der Magistratur geplante Sondersteuer zur Wehr setzte (Feldner, 2006; 392 f.; Peppe, 1984, 17–50). Im Unterschied zum Sakandalon der Carfania werden die öffentlichen Auftritte dieser beiden Frauen lobend hervorgehoben und ihnen dabei männliche Fähigkeiten attestiert. Bestätigt sich also auch von dieser Seite, dass öffentliche Funktionen ausschließlich Männern vorbehalten und Ausnahmen lediglich über die Zuschreibung männlicher Attribute zu rechtfertigen sind? Dagegen spricht die folgende Aussage des Paulus, einem römischen Juristen, der ebenfalls in der spätklassischen Zeit lebte:

„Aber nicht alle können von denjenigen als Richter eingesetzt werden, die das Recht haben, einen Richter zu bestellen. Einigen ist es nämlich durch Gesetz untersagt, Richter zu sein, anderen aus natürlichen Gründen, wieder anderen aufgrund des Herkommens: aus natürlichen Gründen zum Beispiel dem, der taub, stumm, dauernd geisteskrank oder unmündig ist, weil all diesen die Urteilsfähigkeit fehlt; durch Gesetz ist es demjenigen untersagt, der aus dem Senat ausgeschlossen worden ist; aufgrund des Herkommens den Frauen und Sklaven, nicht weil es ihnen an Urteilsfähigkeit mangelt, sondern weil anerkannt ist, daß sie keine bürgerlichen Ämter bekleiden können“ (D. 5.1.12.2).

Der Topos, dass Frauen auf Grund ihrer physischen oder psychischen Eigenart kein Richteramt ausüben können, war auch im 20. Jahrhundert noch weit verbreitet. Das zeigen die über die Zulassung von Frauen zu den Berufen der Rechtspflege geführten Diskussionen. So herrschte noch 1919 die Auffassung, es handele sich bei dem Richterberuf um den „männlichsten aller Berufe“. Dies bedarf der Hervorhebung, weil 1919 die Weimarer Reichsverfassung in Kraft getreten ist, die in Deutschland erstmals das Gebot einer Gleichberechtigung der Geschlechter festlegte (Art. 119 Abs. 1 Satz 2 WRV). Weibliche Triebhaftigkeit, Gemütsschwankungen

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und mangelnde Objektivität wurden der „souveränen Gebärde“ gleichwohl gegenübergestellt, mit welcher „zu allen Zeiten der Mann“ auch die Frau den Rechtsgrundsätzen unterworfen habe, „die er für seine Geschlechtsgenossen erdachte“. Als „Haupt der Familie “ komme es nur dem Mann zu, „die ihm in seiner Eigenschaft, seiner Stellung als Richter übertragene Autorität stellvertretend und repräsentativ auszuüben“ (Nachweise bei Röwekamp, 2011, 230, 349).

Vor diesem Hintergrund ist die Aussage des Paulus durchaus bemerkenswert, dass es Frauen an der notwendigen Urteilsfähigkeit nicht mangele. Von Interesse ist dabei vor allem seine Abgrenzung zur „Natur“, soweit diese einer Ausübung des Richteramts entgegenstehe. Paulus nennt nämlich lediglich die Tauben, Blinden, Geisteskranken und Unmündigen, denen es an Urteilskraft mangele. Frauen kommen in dieser Aufzählung nicht vor, obwohl nach Meinung anderer römischer Juristen auch weibliche „Schamhaftigkeit“ (pudicitia) und „Leichtfertigkeit“ (levitas animi) zur „Natur“ gehören sollen. Es gibt also eine „querelle“ zwischen „älteren Juristen“ (anciens), die glauben, das Erfordernis einer Geschlechtsvormundschaft auf die weibliche „Natur“ stützen zu können, während jüngere (modernes) wie Gaius oder Paulus von „Vernunft“ ausgehen und auf dieser Grundlage zu einer rechtlichen Gleichbehandlung der Geschlechter gelangen (zu den Hintergründen der Unterscheidung von vorklassischer „Natur“ und klassischer „Vernunft“ Behrends, 2012, II). So lässt sich nach Gaius mit der Vernunft die Vormundschaft über minderjährige Kinder zwar gut rechtfertigen, nicht aber auch die über volljährige Frauen. Auf der gleichen Linie liegt die Argumentation des Paulus, wenn er keine Unterschiede in Bezug auf die Urteilsfähigkeit der Geschlechter anerkennen mag.

Wie aber, wenn nicht mit „Natur“ oder „Vernunft“, lässt sich dann der Ausschluss von Frauen aus den öffentlichen Ämtern legitimieren? Auch in dieser Frage sind sich Paulus und Gaius einig. Paulus spricht vom „Herkommen“ (moribus) und Gaius von einer unter dem Volk (noch) verbreiteten Auffassung (vulgo). Genau genommen ist es also das Gewohnheitsrecht, welches hier mit der Vernunft in Konflikt gerät (dazu näher Behrends, 2012, III). Nun wird es sicher schwierig sein, der „Macht der Thatsache, welche sich eine längere Zeit hindurch zu behaupten

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imstande gewesen ist“, zu entkommen: „Was lange Zeit gewesen ist, erscheint uns bloß deswegen, weil es gewesen ist, als Recht“ (Windscheid, 1882, 44). Spätestens an diesem Punkt zeigt sich, wie eng die Rolle der Frau in Rom mit der Rechtsquellenproblematik bzw. der Frage verbunden ist: Wie ändert sich das Recht? Wie entstehen neue Sitten oder Gewohnheiten? Aus römischer Sicht würde es genügen, dass die alten Volksüberzeugungen (mores) durch einen Konsens der gegenwärtigen Generation (consensus omnium) überholt werden (Peppe, 1984, 89). In diesem Augenblick hätte die durch lange Geltung erworbene Legitimation ihre Unantastbarkeit verloren. Denn Rechtsanschauungen können sich ändern und die Ansichten früherer Generationen sind nicht immer geeignet, als Rechtsquelle für alle Zukunft zu dienen. Auch den gegenwärtigen Generationen muss es möglich sein, ihr Recht nach ihrem Willen und nach ihren Bedürfnissen bilden zu können. Dies gilt besonders im Falle eines Konflikts zwischen Vernunft und Gewohnheitsrecht, das ja zumeist mehr oder weniger unbewusst aus Kreisen der Bevölkerung gewachsen ist, ohne dass ihm dabei eine über der Gesellschaft stehende Autorität zur Seite stand.

 

Es stellt sich aber noch eine zweite Frage, nämlich, ob dieser neue Konsens auch die Zustimmung der Frauen beinhaltet. Gelten auch die Frauen als Teil des römischen Volkes (populus romanus) oder gehören diesem, soweit seine rechtserzeugende Kraft in Rede steht, nur Männer an? Dass in Rom auch Frauen an der Rechtsbildung durch Gewohnheit beteiligt sind, ist in der Literatur bejaht worden. Dem Interesse von Frauen dienende Regelungen wie das „trinoctium“, der Funktionswandel der „tutela“ oder die Ablösung der alten manus-Ehe durch die manus-freie Ehe wären sonst kaum zu erklären.16 Die Römer selbst haben sich, soweit ersichtlich, zu dem Thema nicht geäußert.

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Darüber, wie ein zwischen älteren und jüngeren Rechtsanschauungen hervorgerufener Konflikt ausgehen kann, lässt sich nur spekulieren. In den meisten Fällen werden die Anhänger der neuen Rechtsauffassung den Kampf sofort beginnen und siegreich zu Ende führen. Jedenfalls können derartige Konflikte nicht ewig währen, und wenn nicht der Gesetzgeber selbst einschreitet, wird die Zeit entscheiden. Eine ­solche Entscheidung ist in Rom auf Grund des schon bald einsetzenden Niedergangs der Rechtskultur und der anschließenden Auflösung des weströmischen Reichs nicht mehr getroffen worden. Hier liegt einer der Gründe, warum im Corpus iuris neben der jüngeren vernunftorientierten Auffassung über die rechtliche Gleichbehandlung von Frauen bisweilen auch die Aussagen der „älteren Juristen“ noch vorkommen. Von deren Paradigma der „Natur“ und den damit verbundenen Restriktionen zieht sich dann eine Linie zur Marginalisierung der Frauen im Recht des Mittelalters und der Neuzeit.

2.5 Das Verbot der Interzession

Wo liegen die Grenzen des Ausschlusses von Frauen aus der Öffentlichkeit? Sind dadurch alle Geschäfte betroffen, die Interessen Dritter berühren? Erstreckt sich das Verbot eines Eintretens für fremde Angelegenheiten nur auf öffentliche Funktionen wie z.B. das Führen eines

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Rechtsstreits oder politische Partizipation? (vgl.D. 50.17.2.pr: Frauen dürften nicht „für einen anderen eintreten“). Oder gilt es auch im Fall der Interzession?

Die Übernahme einer Bürgschaft durch eine Frau ist das häufigste Beispiel eines Eintretens für fremde Schulden (intercessio). Das Thema wird unter dem Stichwort der „Angehörigenbürgschaften“ auch heute noch lebhaft diskutiert. Unter „Bürgschaft“ versteht man einen Schuldvertrag, in dem der Bürge sich gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für eine Verbindlichkeit dieses Dritten einzustehen (§ 765 BGB). Hauptschuldner ist zumeist ein Familienvater oder Lebensgefährte, der bei einem Gläubiger ein Darlehn aufnimmt, wofür seine Frau sich dann verbürgt. Im Corpus iuris meint Paulus dazu:

„Wie die Ämter des bürgerlichen Rechts den Frauen nach dem Herkommen verwehrt sind und ihre Wahrnehmung meistens auch von Rechts wegen unwirksam ist, so war ihnen noch weitaus mehr eine solche Verpflichtungsmöglichkeit zu verwehren, bei der es nicht um bloße Tätigkeit und um schlichte Dienste der Frau geht, sondern unmittelbar um die Gefährdung ihres Vermögens“ (D. 16.1.1).

Die Aussage des Paulus zielt auf einen Senatsbeschluss, der in der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. auf Antrag der Konsuln Silanus und Vellaeus ergangen ist und den wir nach einem der Antragsteller Senatus Consultum Velleianum nennen. In der Handhabung durch die klassischen römischen Juristen wurde das Verbot der Fraueninterzession auf ein breites und buntes Spektrum von Fallgruppen ausgeweitet, in denen die Frau sich entweder neben dem Mann verpflichtete oder privativ dessen Schuld übernahm. Die somit erfassten Rechtshandlungen bezeichnete man als intercedere pro aliis (Eintreten für andere). Im 6. Jahrhundert n. Chr. hat Justinian das Verbot der Fraueninterzession durch eine rege Gesetzgebungstätigkeit erheblich verkompliziert. Dabei wurde die Möglichkeit geschaffen, dass eine Frau auf den Schutz des Senatus Consultum ­Velleianum verzichtet. Von einem solchen Verzicht ist auch im Mittelalter und in der Neuzeit häufig Gebrauch gemacht worden. Zu seiner Wirksamkeit bedurfte es der Einhaltung bestimmter formeller Voraussetzungen wie eidlicher Bekräftigung oder Belehrung durch Amtspersonen. Waren

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diese erfüllt, so traf der Verzicht die Frauen, die ihrem Ehemann „Ehrenhilfe“ zugesagt hatten, mit voller Härte (Grochowina, 2009, 309–312).

2.5.1 Legitimationsprobleme des Interzessionsverbots

Die Problematik ist immer wieder mit der rechtlichen Diskriminierung von Frauen in Zusammenhang gebracht worden, hat sachlich aber kaum etwas damit zu tun. Paulus referiert im Grunde nur die alten, durch „Natur“ und „Gewohnheit“ legitimierten Vorstellungen über den Ausschluss der Frauen vom officium. Danach mussten Frauen auch vor Übervorteilung bzw. vor Handlungen geschützt werden, die ihr Vermögen gefährden konnten. Als der Senatsbeschluss gefasst wurde, hatte sich die Rechtsstellung der Frauen aber bereits erheblich gewandelt: Manus-Ehe und tutela mulierum waren aus dem Rechtsleben weitgehend verschwunden. Die „weibliche Natur“ stand der privatrechtlichen Selbstständigkeit von Frauen nicht mehr entgegen. Im Unterschied zu früher konnten sie nun über „bloße Tätigkeit“ und „schlichte Dienste“ (Paulus in D. 16.1.1) hinaus auch Rechtsgeschäfte zum eigenen Nachteil abschließen.17

Vor diesem Hintergrund mag die Erklärung des Paulus nicht zu überzeugen. Dies muss freilich nicht überraschen, da es der Rechtsprechung bis heute nicht gelungen ist, einen plausiblen Grund für die Unwirksamkeit von Angehörigenbürgschaften zu benennen (dazu näher Meder, 2011b). Hier genügt es festzustellen, dass das Senatus Consultum Velleianum nicht als Ausdruck einer Rechtsordnung verstanden werden darf, welche die privatrechtliche Handlungsfähigkeit von Frauen durch Bevormundung einzuschränken sucht.18 Vielmehr bildet es ein frühes Beispiel dafür, dass eine formale Durchführung der Gleichberechtigung auf die Interessen der Frauen negativ zurückschlagen kann (7.4.2, S. 211). So kommt es

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zu Versuchen, zugunsten der Frau erneute Differenzierungen zwischen den Geschlechtern ins Spiel zu bringen. Durch den Senatsbeschluss werden die Gerichte daher angewiesen, keine Ansprüche gegen Frauen zuzulassen, die sich darauf gründen, dass diese für Schulden ihres Mannes eintreten (intercessio).

2.5.2 Rezeption und Kritik des Interzessionsverbots

Nach dem Untergang der Antike wurde das Interzessionsverbot bis in die Neuzeit überwiegend geschlechtsspezifisch legitimiert. Nicht selten hat man dabei auf angebliche Dummheit (imbecillitas), Schwäche (infirmitas) oder Leichtfertigkeit (levitas animi) des weiblichen Geschlechts rekurriert, die es erforderten, Frauen vor Geschäften in Schutz zu nehmen, deren Vermögensrisiken sie angeblich nicht überblicken können. Erklärtes Ziel war es zudem, den Rechtsverkehr vor der Unzuverlässigkeit weiblicher Geschäftspartner zu bewahren (zur intercessio mulierum im Gemeinen Recht und in einzelnen Partikularrechten: A. Kraut, 1934, 36–48).

In der Epoche des Naturrechts hat man weniger auf Verstandesdefizite abgestellt und mehr die Erziehung oder den Wirkungskreis der Frau als Ursachen für ein spezielles Rechtsschutzbedürfnis angeführt. Daneben hat man sich aber weiterhin auf angebliche Charaktereigenschaften wie Leichtsinn, Weichheit oder Sinnlichkeit berufen. Demgegenüber argumentierten die Kritiker des Interzessionsverbots: Man wisse gar nicht mehr, ob das Wort einer Frau noch bindende Kraft habe oder nicht. Außerdem sei es ein Widerspruch, den Frauen einerseits die Vertragsfreiheit und andererseits einen Schutz vor dieser Freiheit anzubieten. Sie dürften nicht daran gehindert werden, eigene Erfahrungen mit den Folgen freien Handelns zu sammeln. Im Übrigen seien die – auch „weibliche Freiheiten“ genannten – „Rechtswohltaten“ dem Geschäftsverkehr hinderlich, weil sie die Rechtssicherheit gefährdeten. Die in der Epoche von Aufklärung und Vernunftrecht vermehrt auftretenden Kritiker des Interzessionsverbots haben die alten Frauenstereotypen überwiegend zurückgewiesen. Sie neigten zu der Ansicht, dass rechtliche Privilegien dem weiblichen Geschlecht eher zum Nachteil als zum Vorteil gereichten.

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Ein scharfer Kritiker der „Rechtswohltaten“ war auch Theodor ­Gottlieb von Hippel (1741–1796), der 1792 sein Buch „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“ veröffentlichte. Als Vorreiter des modernen Emanzipationsgedankens wollte Hippel „das Verhältnis der Geschlechter dem natürlichen Zustand wieder nahe bringen“. Die angebliche körperliche und geistige Minderwertigkeit der Frau sei nicht durch die Natur gegeben, sondern Folge von Konvention, Lebensart und Sitte. Das angebliche Übergewicht von Sinnlichkeit beruhe darauf, dass Frauen von Dingen, die der Überlegung bedürfen, ferngehalten werden. Die „Rechtswohltaten“, zu denen er auch das Interzessionsverbot rechnete, empfand er als tiefste Erniedrigungen des weiblichen Geschlechts. Er hielt es für eine unnatürliche Härte, die rechtliche Handlungsfähigkeit eines Geschlechts zu beschränken, um dieses „recht geflissentlich bis an sein Ende als ein Häuflein großer Kinder“ zu behandeln. Die Skepsis gegenüber Frauenprivilegien ist auch ein gemeinsamer Nenner, auf den sich die rechtlichen Reformforderungen der bürgerlichen Frauenbewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert bringen ließen.

2.5.3 Aktuelle Bedeutung des Interzessionsverbots

Das Interzessionsverbot war zu allen Zeiten umstritten. Der Grund liegt in seinem ambivalenten Charakter: Man kann es ebenso gut als Bevormundung wie als Schutz begreifen. Die letzten dem antiken Interzessionsverbot entsprungenen Regelungen sind erst vor Kurzem beseitigt worden. Bevormundung erschien angesichts der Bemühungen um eine Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr zeitgemäß.

Nun zeigt sich aber, dass mit Aufhebung des Verbots auch dessen Schutzwirkung beseitigt worden ist. Daher kommt die moderne Rechtsordnung Interzedenten wieder zu Hilfe, wenn diese sich einer übermäßigen Haftung ausgesetzt haben. Im Unterschied zu den vorangegangenen Jahrhunderten wird der Schutz heute nicht mehr mit der „weiblichen Natur“ begründet. Ein Blick auf die in der Rechtspraxis relevanten Fälle lässt jedoch rasch erkennen, dass es – neben (volljährigen) Kindern – in erster Linie Frauen sind, um deren Schutz es geht.

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Infolge der Rechtsprechung zu den Angehörigenbürgschaften gehört die Interzession heute zu den meist diskutierten Problemen des Schuldrechts. Die Kontrolle erfolgt über § 138 BGB. Sittenwidrig können Bürgschaften sein, wenn die „strukturelle Unterlegenheit“ des Bürgen sich in „Unerfahrenheit“ und „wirtschaftlicher Überforderung“ niederschlägt (BVerfG NJW 1994, 36). Das Bundesverfassungsgericht hat seine Bürgschaftsrechtsprechung neuestens auch auf den Bereich der Eheverträge übertragen. Danach sollen unter bestimmten Umständen Vereinbarungen zum Nachteil von Frauen, etwa über nachehelichen Unterhalt, Kindesunterhalt, Zugewinn- oder Versorgungsausgleich durch die Gerichte inhaltlich kontrolliert und nachträglich für unwirksam erklärt werden können (BVerfG NJW 2001, 957). Auch bei dieser Rechtsprechung zeigt sich die Ambivalenz von Schutz und Bevormundung: Sozialen Elementen finanzieller Absicherung treten geschlechtsspezifisch motivierte Beschränkungen der Vertragsfreiheit gegenüber.

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