Familienrecht

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2. Kapitel Römisches Recht

Rom steht am Ende der Antike und bedeutet zugleich einen Anfang. Denn das Studium des römischen Rechts an den um die Wende zum 12. Jahrhundert in Italien aufkommenden Universitäten führt zu einer völligen Umgestaltung des bis dahin in Europa herrschenden juristischen Denkens. Rudolf von Jhering (1818–1892) hat den Neubeginn mit den Worten umschrieben: „Ein Recht in fremder Zunge, zugänglich nur den Gelehrten, im Leben nur auf Widerstand stoßend und sich dennoch den Zutritt und den Sieg ertrotzend“ (Jhering, 1878, 2). Das tote Recht ist aber nicht in allen Gebieten gleichermaßen zu neuem Leben erweckt worden. Vor allem über das sogenannte „Verkehrsrecht“, also die Rechtsgeschäftslehre und das Schuldrecht, hat die Rezeption dem römischen Recht „Zutritt“ zu den einheimischen Rechtsordnungen verschafft. Im Familien- oder Erbrecht ist es dagegen auf zum Teil heftige Gegenwehr gestoßen (Wieacker, 1967, 194, 229; Gerhard, 2000, 142; Holzhauer, 2008, 658; Knothe, 2008, 439).

2.1 Rezeption des römischen Ehe- und Familienrechts?

Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen: In der Rezeptionszeit sind die Bereiche von Ehe und Familie nicht mehr nur als eine Materie des Privatrechts, sondern zunehmend auch als Angelegenheit der Kirche betrachtet worden. Die aber sah im Mann das „Haupt der Ehe“ (5.3.2, S. 141.), was den einheimischen Auffassungen näher kam als die Vorstellungen des klassischen römischen Rechts über das Geschlechterverhältnis. Warum die egalitären Elemente des römischen Ehe- und Familienrechts in Deutschland nicht oder nur selten und mit großen Einschränkungen durchdringen konnten, erklären die Verfasser des BGB am Beispiel des Güterrechts. Zutreffend bemerken sie, dass nach klassisch

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römischer Vorstellung die Ehe grundsätzlich keinerlei Einfluss auf die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten ausübt. Doch hätten die deutschen Länder „bei der Rezeption des römischen Rechts eine solche Widerstandskraft bewährt“, dass das römische Güterrecht, wenn überhaupt, nur in stark modifizierter Form habe aufgenommen werden können. Es sei nämlich „Sitte“ geblieben, „dass die Ehefrau tatsächlich ihr ganzes Vermögen dem Ehemann zur Verwaltung und Nutzung für die Zwecke der Ehe überlässt“ (Mot. IV, 1888, 143 f.). Die rechtlichen Grundlagen dieser „Sitte“ sind Begriffe wie „Geschlechtsvormundschaft“ oder „Ehegewalt“, die Wirkungen auch im Güterrecht entfalten. Ähnliche Befunde zeigen sich in anderen europäischen Staaten, etwa in Frankreich oder England, wo die Gehorsamspflicht oder die „one-person-doctrine“ ebenfalls eine lange Tradition haben und zu Nachteilen der Frau im Güterrecht führen (6.2, S. 165 und 6.3, S. 171).

In einigen Gebieten Deutschlands ist das römische Güterrecht (2.3.2, S. 48) also zwar rezipiert worden. Doch haben „Sitte“ bzw. Tradition oder Gewohnheit dafür gesorgt, dass seine emanzipatorischen Elemente nicht wirklich aufgenommen wurden.3 Denn „Eigentum“ oder „Unabhängigkeit der Güter“ gewinnen für die Frau nur dann praktische Bedeutung, wenn sie über ihr Vermögen auch verfügen – wenn sie es verwalten und nach Belieben nutzen darf. Dem standen, falls die Hürden des Güterrechts doch einmal überwunden werden konnten, die Regelungen der Geschäfts- und Handlungsfähigkeit entgegen. In der älteren Literatur ist zwar behauptet worden, die Frau sei schon zur Zeit des Sachsenspiegels

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voll handlungsfähig gewesen. Andererseits war aber auch unbestritten, dass der Ehemann die von ihr abgeschlossenen Rechtsgeschäfte jederzeit wieder rückgängig machen konnte (2.3.2, S. 48). Gottlieb Planck hat sich sogar im 20. Jahrhundert noch auf den Standpunkt gestellt, im BGB sei die Gleichberechtigung der Frau verwirklicht, obwohl sie dem ehemännlichen Entscheidungsrecht (§ 1354 BGB) unterworfen war (7.4.1, S. 205). Derartige Aussagen zeigen, dass der zeitgenössischen Wissenschaft der kritische Blick auf die Ungleichheiten im Geschlechter­verhältnis noch fehlte. Daher war es auch der Frauenbewegung nur schwer möglich, zwischen dem römischen Recht als solchem und seinen patriarchalischen Adaptionen zu unterscheiden. Hier dürfte der Grund liegen, warum die Frauenbewegung, die um 1900 noch fast ausschließlich aus juristischen Laien bestand, dem römischen Ehe- und Familienrecht eher mit Zurückhaltung begegnete (vgl. 1.2, S. 24).

Anders als das Verkehrsrecht ist das römische Familienrecht der fortgeschrittenen klassischen Epoche also entweder überhaupt nicht oder nur in stark modifizierter Form rezipiert worden. Als Beispiel seien die Überlegungen des berühmten französischen Staatstheoretikers und Begründers eines modernen Souveränitätsbegriffs Jean Bodin (1529–1596) zur Legitimation der Ehegewalt des Mannes angeführt. Nach Bodin sind Staat und Familie „durch Befehl und Gehorsam“ bestimmt. Die öffentliche Gewalt liege beim Souverän, die häusliche Gewalt beim Ehemann. Zur Begründung dieser Auffassung stützt Bodin sich vor allem auf das römische Recht und die manus-Ehe: „Wer wollte auch bezweifeln, dass das Wort ‚manus‘ Macht, Autorität, Gewalt bedeutet“? (Bodin, 1576, 115, 118). Dass in der klassischen Epoche die manus-Ehe weitgehend aus dem römischen Rechtsleben verschwunden und durch die manus-freie Ehe abgelöst worden war, erwähnt Bodin mit keinem Wort. „Rezipiert“ wird also nicht das klassische, sondern das altrömische, von den (jüngeren) Römern selbst belächelte Familienrecht.4 Es nimmt daher nicht

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Wunder, wenn einige Anhängerinnen der Frauenbewegung von einem „bösen Erbe des römischen Rechts“ gesprochen haben.

2.2 „Römisches Recht“ in den Diskussionen der bürgerlichen Frauenbewegung

Das römische Recht und seine Rezeption bilden einen wichtigen Gegenstand der Diskussionen, welche die bürgerliche Frauenbewegung in der Entstehungsphase des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geführt hat. Die Meinungen über seinen Einfluss auf die einheimischen Rechtsordnungen waren geteilt. So sprach Marie Raschke, Leiterin der Berliner Zentralstelle für Rechtsschutz und Vorsitzende der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), von einem „bösen Erbe des römischen Rechts“ (Raschke, 1896, 3–4). Die Schriftstellerin Lily Braun meinte sogar, das „Bild der Frauenwelt Roms“ sei das „dunkelste, das die Sittengeschichte bis dahin aufzuweisen hatte“ (Braun, 1901, 23). Schon vorher hatte die Mitbegründerin der deutschen bürgerlichen Frauen­bewegung, Louise Otto-Peters, behauptet, „das alte römische Recht“ habe die vorteilhaftere „altgermanische Ansicht von den Frauen verdrängt“ (Otto-Peters, 1876, 6). Andere waren dagegen der Meinung, das römische Recht sei „für die Frau entschieden günstiger“ gewesen. Denn im Unterschied zum „sächsischen Recht“ (3. Kapitel, S. 71) habe die Frau bei den Römern mit Eingehung der Ehe nicht gleich auch „ihre eigene Persönlichkeit“ aufgeben müssen (Gamper, 1894). Ähnlich lobt Emilie Kempin die durch das römische Dotalrecht vermittelte Selbstständigkeit der Ehegatten. Sie bevorzugt ein Güterrechtsregime, „bei welchem die Ehe doch entschieden die geringsten Änderungen auf die vorehelichen

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Verhältnisse bewirkt“. Andererseits sieht auch sie, dass ein „Dotalsystem mit Verwaltung in der Hand des Mannes“ diese Selbstständigkeit wieder in Abhängigkeit verwandelt (Kempin, 1895, 161, 165).

Im Hintergrund all dieser Aussagen steht eine Kritik an der Vormundschaft, die das Geschlechterverhältnis in Europa jahrhundertelang geprägt hat (3. Kapitel, S. 71). Das durch die Vormundschaft begründete Herrschaftsverhältnis entfaltet Rechtswirkungen in allen Bereichen des Eherechts, insbesondere auch im Güterrecht, das mit der sogenannten Verwaltungs- und Nutznießungsgemeinschaft im BGB von 1900 eine für ganz Deutschland einheitliche Regelung erfahren sollte.5 Danach waren Verwaltung und Nutznießung auch des von der Frau in die Ehe eingebrachten Vermögens allein dem Ehemann gestattet. Im Fall der Scheidung hatte die Frau keinen Anspruch auf Beteiligung an dem während der Ehe durch außerhäusliche Erwerbstätigkeit erwirtschafteten Gewinn. Gegen die Einführung der Verwaltungs- und Nutznießungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand hat die Frauenbewegung bereits in der Entstehungsphase des BGB opponiert. Die Übertragung der Verfügungsbefugnis auf den Mann lehnten die Frauen ab, weil darin die altgermanische munt in Form der ehelichen Vormundschaft noch fortlebe (Bulling, 1896, 101). Ein solches Güterrecht unterminiere die Selbstständigkeit der Frauen und verletze das Gebot der Gleichberechtigung. Unter Berufung auf das Vorbild des fortschrittlicheren römischen Dotalrechts haben einige von ihnen die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand gefordert (7.4.2, S. 211).

Die Aussagen der Frauenbewegung zeigen, dass „römisches Recht“ in den Gebieten von Ehe und Familie unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden kann. Wer vor allem das vorklassische Recht

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in den Blick nimmt, wird eher die Unterworfenheit und Abhängigkeit der römischen Frau betonen. Dagegen hat die Frau im Rom der klassischen Epoche eine Rechtsstellung erreicht, hinter der Rechtsordnungen sogar im 20. Jahrhundert teilweise noch zurückblieben. Davon zu unterscheiden sind wiederum die Veränderungen, die das römische Ehe- und Familienrecht durch seine Rezeption im Mittelalter und in der Neuzeit erfahren hat (2.4.2, S. 54).

 

2.3 Das vorklassische römische Ehe- und Familienrecht

Frühe Rechtskulturen pflegen den Menschen noch nicht als Einzel­wesen anzusehen, sondern als Glied der Verbände, in denen er steht. Einer der wichtigsten dieser Verbände ist die Familie. Die altrömische Familie bildet einen patriarchalisch aufgebauten Rechtsverband mit dem Mann (pater familias) als Oberhaupt und den Personen, die seiner umfassenden Hausgewalt unterworfen sind. Der Hausgewalt unterstehen: die Ehefrau, die Kinder und Enkel des pater familias, deren Frauen, die an Kindes statt angenommenen Personen sowie Hörige, Sklaven und Dienstpersonal. Ein besonderes Merkmal der altrömischen Familie ist das Agnationsprinzip. Danach gelten diejenigen Personen, die unter gleicher Hausgewalt stehen, als verwandt. Vom Agnationsprinzip des altrömischen Rechts zu unterscheiden ist das jüngere, in der klassischen Epoche vordringende Kognationsprinzip, wonach sich die Zugehörigkeit zur Personengruppe durch Blutsverwandtschaft ergibt.6

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2.3.1 Patriarchalische Hausgewalt und Geschlechtsvormundschaft

Ursprünglich hieß die Hausgewalt in allen ihren Anwendungsfällen manus. Später bedeutet manus jedoch nur noch die Gewalt über die Ehefrau, während man hinsichtlich der Kinder und Enkel von väter­licher Gewalt (patria potestas) sprach. Die Herrschaft des pater familias war rechtlich nahezu unbeschränkt (ius vitae ac necis). Der Inhalt der ehelichen und väterlichen Gewalt umfasste auch die Befugnis, Strafen zu verhängen sowie das Recht, seine Kinder zu verkaufen, zu verheiraten und ihre Ehen zu scheiden (vgl. Tafel IV, 1). Ähnlich dominierend war die Stellung des pater familias in anderen frühen Rechtsordnungen, z.B. im Codex Hammurabi (ca. 1750 v. Chr.), im altjüdischen oder im altgermanischen Recht (siehe auch 3.1, S. 71). Es wäre allerdings falsch, diese Herrschaft für eine „totale“ zu halten. Der pater familias konnte von der ihm rechtlich zustehenden Vollgewalt aufgrund des geltenden Sakralrechts und den von der Sitte geschaffenen Bindungen nur in eingeschränktem Maße Gebrauch machen. Schwere Verfehlungen blieben daher die Ausnahme (Kaser I, 1971, 71–76).

In vermögensrechtlicher Hinsicht beinhaltete die Familiengewalt des pater familias das ausschließliche Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das gesamte Hausvermögen. Die Gewaltunterworfenen – sogar erwachsene Söhne, die selbst bereits verheiratet waren und Kinder hatten – konnten selbstständige Rechte im zivilrechtlichen Sinne nicht

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wahrnehmen; sie waren unfähig, eigenes Vermögen zu haben. Vermögensfähigkeit erlangten sowohl Söhne als auch Töchter erst, wenn die patria potestas durch den Tod des Vaters oder durch Emanzipation erloschen war.7 Während der erwachsene Sohn dadurch völlig gewaltfrei (sui iuris) wurde, blieben die Frauen in der altrömischen Epoche unselbstständig: Die Ehefrau in manu des Verstorbenen und seine Töchter kamen unter die Vormundschaft der nächsten männlichen Verwandten. Diese Geschlechtsvormundschaft (tutela mulierum) gab dem Vormund (tutor) zwar nur noch eine beschränkte Gewalt über die Frau, berührte auch ihre Rechtsfähigkeit nicht mehr, beschnitt sie aber weiterhin in ihrer Handlungsfähigkeit. Zur Wirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Geschäfte bedurfte es nun der Zustimmung des Vormunds (tutor), so wie früher das Einverständnis des pater familias notwendig war.

2.3.2 Von der Ehegewalt zur manus-freien Ehe

In altrömischer Zeit unterfiel die Ehefrau der Ehegewalt des Mannes (pater familias). In Anknüpfung an das Symbol der zugleich herrschenden und schützenden Hand hieß diese Ehegewalt manus. Der Übertritt der Frau in die manus des Mannes (conventio in manum) erfolgte in der Regel durch Kaufehe (coemptio), einer Sonderform der Manzipation (mancipatio). Danach tritt der pater familias der Braut vor fünf Zeugen seine Gewalt über diese für einen symbolischen Kaufpreis dem Bräutigam ab (dazu näher Meder, 2011a, 32–37). Gaius beschreibt den Vorgang wie folgt:

„Durch Kaufehe kommen Frauen in die Ehegewalt mittels Manzipation, das heißt durch eine Art symbolischen Verkaufs; denn unter Hinzuziehung von mindestens fünf Zeugen, die mündige römische Bürger sind, sowie eines

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Waagehalters, kauft ‚die Frau‘ denjenigen, in dessen Ehegewalt sie kommt, ‚und er‘ die Frau“ (Gaius I, 113, Hervorhebungen im Original).

Die Formulierung lässt darauf schließen, dass die Frau auch selbst als Kon­tra­hentin auftritt und der Konsens bei dieser Art der Kaufehe (­coemptio) bereits eine gewisse Rolle spielt. Im Übrigen soll der Gebrauch bestimmter Spruchformeln, die der „Erwerber“ zu sprechen hat, dafür sorgen, dass der Unterschied zwischen der Gewalt über erworbene Sachen (res ­mancipi) und der Gewalt über eine Frau (uxor in manu) gewahrt bleibt (vgl. Gaius I, 123). Man vermutet, dass bei der Kaufehe (coemptio) wie bei der ­mancipatio einst auch wirkliches Geld zugewogen wurde. So könnte sie dem „Brautkauf“ gedient haben, den viele frühzeitliche Rechte kennen. Weiter wird vermutet, dass die Frau in Zeiten, als die coemptio noch nicht existierte, durch eine reguläre Manzipation in die manus des Mannes kam. Der für die mancipatio charakteristische Ergreifungsakt (manu capere) könnte so auch familienrechtsgeschichtliche Bedeutung haben. Sollte es nämlich zutreffen, dass dieser Ergreifungsakt ursprünglich auf einer realen Handlung beruhte und die Gewalttat Geltungsgrund für den Besitzwechsel war, so würde die bis heute umstrittene Frage, ob es in Roms Frühzeit eine „Raubehe“ gegeben habe, in neuem Licht erscheinen. Bislang hatte sich die rechtsgeschichtliche Forschung in dieser Frage vornehmlich auf die Sage vom Raub der Sabinerinnen gestützt.8

Bekanntlich tritt die nichteheliche Lebensgemeinschaft (concubinatus) heute zunehmend in Konkurrenz zur Ehe. Daher mag interessieren, dass das alte römische Recht neben der Kaufehe (coemptio) noch eine weitere Möglichkeit zum Eintritt der Frau in die manus des Mannes kennt, und zwar durch bloßen usus (Gebrauch, Ersitzung). Dazu kommt es, wenn die Ehefrau ein Jahr mit dem Mann zusammengelebt hat, es sei denn, sie hat alljährlich drei aufeinanderfolgende Nächte außer Haus verbracht

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(trinoctium). In diesem Fall gilt die Jahresfrist als unterbrochen. Gaius schildert diese Form der Ehe wie folgt:

„Durch Ersitzung kam eine Frau in die Ehegewalt, welche ein ununterbrochenes Jahr lang andauernd verheiratet war; denn sie wurde sozusagen durch einjährigen Besitz ersessen, ging in die Familie des Mannes über und stand ihm gegenüber im Verhältnis einer Tochter. Daher ist im Zwölftafelgesetz bestimmt worden, daß eine Frau, wenn sie nicht auf diese Weise in die Ehegewalt ihres Ehemannes kommen wollte, jedes Jahr einen Zeitraum von drei Nächten abwesend sein und auf diese Weise ‚die Ersitzung‘ eines jeden Jahres unterbrechen konnte. Aber all dieses Recht ist teilweise durch Gesetze aufgehoben worden, teilweise unmittelbar durch Nichtanwendung in Vergessenheit geraten“ (Gaius I, 111, Hervorhebung im Original).9

Zugunsten von Frauen ist so die Möglichkeit eröffnet, eine gewaltfreie (manus-freie) Ehe zu führen. Manus-Ehen und manus-freie Ehen existierten also schon in der altrömischen Epoche nebeneinander, wobei damals die manus-Ehe die Regel und die manus-freie Ehe die Ausnahme war.

2.3.3 Zwischenergebnis

Während der Status der Frau in der altrömischen Zeit durch lebenslange Gewaltunterworfenheit gekennzeichnet ist, herrscht der pater familias wie ein absoluter Souverän in einem Hause, dessen Schwelle der Staat nicht überschreiten darf. In der manus (Gewalt) ihres Gatten erhält die Frau nicht etwa, wie im Sachsenspiegel, die Stellung einer „Genossin“ (3.1, S. 71). Vielmehr wird sie im Verhältnis zu ihrem Ehemann wie eine Tochter (filiae loco) oder Schwester ihrer Kinder behandelt. Für das Ehegüterrecht hatte dies zur Konsequenz, dass das gesamte von ihr in die Ehe eingebrachte und während der Ehe erworbene Vermögen in das

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Eigentum des Mannes fiel. Die Abhängigkeit der Frau zeigt sich darüber hinaus im Erbrecht, das dem Mann absolute Testierfreiheit gewährt, in der Geschlechtsvormundschaft (tutela mulierum) und im Mangel eines Scheidungsrechts. Was letzteres anbelangt, so konnte der Mann eine Zivilehe in der altrömischen Zeit, von einzelnen Beschränkungen durch das Sakralrecht und die zensorische Sittenaufsicht abgesehen, jederzeit auflösen. In der Frühzeit war die Scheidung also auch in Rom ein einseitiger Akt, wobei die Quellen von einer „Verstoßung“ der Frau handeln (Kaser I, 1971, 81 f.; Weber, 1907, 162; zu den Parallelen mit dem Frühmittelalter 3.4, S. 85). Erst später ist es auch Frauen erlaubt worden, die Scheidung einzureichen (näher Grosse, 1991, 111–116).

2.4 Paradigmenwechsel im klassischen Ehe- und Familienrecht

Mit der fortschreitenden Verselbstständigung der Frau im sozialen Leben kommt es in Rom schon bald zu frauenfreundlichen Rechtsänderungen. Seit der späten Republik bildet sich neben der manus-Ehe auch die tutela mulierum immer stärker zurück. Die manus-freie Ehe wird zum Normalfall, der usus verschwindet aus der Rechtspraxis und mit ihm das trinoctium. Das Kernelement der manus-freien Ehe ist die Willensübereinstimmung (consensus facit nuptias).10

Anders als in der christlichen Tradition erschöpft sich nach römischer Vorstellung der Konsens aber nicht in einer einmaligen Einigung zum Zeitpunkt der Eheschließung (initialer Konsens). Die römische Ehe beruht vielmehr auf einem kontinuativen Konsens (consenso durevole), der

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während des Zusammenlebens ständig aufs Neue bestätigt werden muss (Grosse, 1991, 159; Fiori, 2011, 198): „Die moderne Ehe wird geschlossen, die römische wurde gelebt“ (Pacchioni, 1935, 320). Da nichteheliche Lebensgemeinschaften – früher wie heute – ebenfalls auf einer kontinuativen Konsensstruktur beruhen, ist im römischen Recht die Grenze zur Ehe nicht immer leicht zu ziehen. Die Römer sehen das Problem der Abgrenzung eher im Bereich der gesellschaftlichen Wertung als in der juristischen Begriffsbildung.11

2.4.1 Zurückdrängung der Geschlechtsvormundschaft (tutela mulierum)

Am Ende der klassischen Epoche erreichte die Frau hinsichtlich ihrer privat­rechtlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit eine fast völlige Gleichstellung mit dem Mann. Dies kommt auch in den Institutionen des Gaius zum Ausdruck, die das gesamte materielle Recht unter der Einteilung in Personen (personae), Sachen (res) und Klagen (actiones) bringen. Dabei steht der durch seine Rechtsfähigkeit definierte Mensch (persona) an erster Stelle, dem dann Vermögensgegenstände (res) zugeordnet werden und der schließlich Rechtsschutz (actiones) genießt. Die lateinische Grundbedeutung von persona ist „Maske“, wie sie in den griechischen und römischen Theatern verwendet wurde. Sie ist mit einer Öffnung ausgestattet – dem Mund, durch den die Stimme zum Publikum gelangen kann (per-sonare). Als Modell des „Menschlichen“ symbolisiert persona sowohl Gleichheit als auch Differenz: Jeder Mensch hat ein Antlitz, welches den Augen und Ohren der anderen als unverwechselbar erscheint. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit schützt persona vor Geschlechterdiskriminierung,

 

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als Ausdruck von Individualität wahrt sie die Differenz (grundlegend Behrends, 2008; 2012).

Die Stellung der Frau erörtert Gaius also im Abschnitt über das Personenrecht. Dabei fällt auf, dass er von einer früheren Auffassung über das Geschlechterverhältnis berichtet, die inzwischen überholt, bestritten oder jedenfalls zweifelhaft sei. Ein Beispiel bilden seine Ausführungen über die verschiedenen Formen der Vormundschaft (tutela):

„Es ist nun den Hausvätern erlaubt, den Hauskindern, die sie in ihrer Hausgewalt haben, durch Testament Vormünder zu bestellen; und zwar Kindern männlichen Geschlechts, solange sie noch unmündig sind, ‚Kindern weiblichen Geschlechts aber, ganz gleich, ob sie unmündig oder mündig sind, sogar denjenigen‘, die verheiratet sind. Die alten Juristen haben nämlich gewollt, dass Frauen, auch wenn sie völlig erwachsen sind, wegen ihrer Leichtfertigkeit unter Vormundschaft stehen“ (Gaius I, 144, Hervorhebung im Original).

Darüber hinaus könne für eine Frau, „die in Ehegewalt steht“, ein Vormund bestellt werden (Gaius I, 148, Hervorhebung im Original). Von dieser Möglichkeit werden die Römer aber in Zeiten, in denen nicht nur die Geschlechtsvormundschaft außer Übung gekommen, sondern auch die manus-freie Ehe zur Regel geworden ist, nur noch in seltenen Ausnahmefällen Gebrauch gemacht haben. Gaius lässt keine Zweifel darüber, was er von einer solchen Geschlechts- oder Ehevormundschaft hält:

„Aber daß Unmündige unter Vormundschaft stehen, gibt es nach dem Recht aller Staaten, weil es der natürlichen Vernunft entspricht, dass derjenige, der noch nicht ganz erwachsen ist, durch die Vormundschaft eines anderen geleitet wird; und es gibt wohl kaum einen Staat, in welchem es den Hausvätern nicht erlaubt ist, ihren unmündigen Hauskindern in einem Testament einen Vormund zu bestellen, obgleich, wie schon gesagt, anscheinend nur allein und einzig die römischen Bürger ihre Hauskinder in ihrer Hausgewalt haben. Daß aber volljährige Frauen unter Vormundschaft stehen, dazu dürfte kaum ein gewichtiger Grund geraten haben; denn wenn man gemeinhin glaubt, daß Frauen wegen ihrer Leichtfertigkeit häufig betrogen würden und es deshalb angemessen sei, daß sie durch die Zustimmung ihres Vormundes geleitet würden, so ist das wohl eher ein scheinbarer,

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und kein wahrer Grund. Volljährige Frauen führen ihre Geschäfte nämlich selbst, und in einigen Fällen gibt ein Vormund nur der Form halber seine Zustimmung, und er wird oft auch vom Prätor gegen seinen Willen zur Zustimmung gezwungen“ (Gaius I, 189, 190).12

Diese Aussage lässt vermuten, dass die Frau in Rom bereits in der klassischen Epoche voll handlungsfähig war. Denn sie hatte nicht nur die Befugnis, Rechtsgeschäfte abzuschließen. Entscheidend ist vielmehr, dass deren Gültigkeit durch einen vermeintlich höher Berechtigten nicht mehr ohne Weiteres rückgängig gemacht werden konnte.

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