Familienrecht

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

2.5.4 Geschlechtsneutrale Grenze der Privatautonomie?

2000 Jahre Interzessionsverbot dürften ausreichen, um erneut die Frage nach der Legitimation dieser „seltsamen Erscheinung“ aufzuwerfen. Mit Gaius wäre zunächst festzustellen, dass der Ausschluss vom officium „eher ein scheinbarer, und kein wahrer Grund“ ist, weil Frauen um die Mitte des ersten Jahrhunderts ihre Geschäfte längst selbst geführt haben (Gaius I, 190). Ebenso wenig vermögen Argumente wie Leichtsinn, Schwäche, Weichheit oder mangelnde Urteilsfähigkeit zu überzeugen. Auch der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die strukturelle Ungleichheit zwischen Kreditinstitut und Bürgen geht fehl, weil das Problem nicht in dieser Rechtsbeziehung, sondern im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner liegt. Wegen emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner ist der Bürge in der Willensbildung zwar beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung reicht als solche aber nicht aus, um eine Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts mit dem Gläubiger zu begründen.

Es bleiben eigentlich nur die ungewöhnlich stark belastenden Folgen, die mit einer Interzession meist verbunden sind. Viele der in Anspruch

[<<65]

genommenen Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen besitzen weder ein eigenes Vermögen noch erzielen sie ein nennenswertes Einkommen. Auf Grund des krassen Missverhältnisses zwischen der Höhe der Verbindlichkeit und ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit laufen sie Gefahr, ein Leben lang Schuldner zu bleiben – ein Leben lang zu bezahlen, um am Ende die Bürgschaft in ungetilgter Höhe zu vererben. Man pflegt diesen Sachverhalt als Gefangenschaft der Frauen in einem Schuldturm zu bezeichnen. Einiges spricht dafür, dass hier der eigentliche Grund dafür liegt, warum bereits die Römer eine bürgende Ehefrau des Hauptschuldners vor den Zugriffen der Gläubiger schützen wollten.

Von dieser Überlegung aus ist es nur ein kleiner Schritt zum Paradox der Freiheit als einer geschlechtsneutralen Grenze der Privatautonomie (dazu näher Meder, 2011b). Diese Grenze ist dort erreicht, wo jemand seine Freiheit dazu benutzt, sich ihrer zu begeben. Offenbar gibt es Rechtsordnungen, die es auch unabhängig von den Regelungen der Geschlechterbeziehung nicht hinnehmen möchten, dass sich ein einzelnes Familienmitglied durch Interzession in die lebenslange Gefangenschaft eines Schuldturms bringt.

2.6 Resümee

An die Stelle eines durch lebenslange Gewaltunterworfenheit bestimmten Status der Frau ist in Rom eine weitgehende Gleichstellung der Geschlechter getreten. Denn das klassische Recht hat den Begriff persona auch auf Frauen erstreckt. Frauen waren zwar weiterhin von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Diese Ungleichbehandlung haben die klassischen Juristen aber nicht geschlechtsspezifisch, etwa mit dem Hinweis auf geringere Befähigung oder mangelndes Urteilsvermögen, sondern gewohnheitsrechtlich begründet. Das Gewohnheitsrecht erkannten sie als wichtige Rechtsquelle zwar an, haben ihm jedoch nicht das gleiche Maß an innerer Rationalität wie dem universalen ius gentium beigemessen.

[<<66]

Quellen und Literatur
Quellen

Corpus iuris civilis, hg.v. Theodor Mommsen, Paul Krüger, Rudolf ­Schoell, Wilhelm Kroll, 1. Band: Institutionen, Digesten, 2. Band: Codex, 3. Band: Novellen (1868 ff., ND 1972), lateinischer Text mit deutscher Übersetzung: hg.v. Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch, Hans Hermann Seiler, 1. Band: Institutionen, 2. Auflage (1997), 2. Band: Digesten Buch 1–10 (1995), 3. Band: Digesten Buch 11–20 (1999), 4. Band: Digesten Buch 21–27 (2005); Gaius, Institutiones, hg.v. Martin David, 2. Auflage (1964), deutsche Übersetzung: Joseph ­Lammeyer, Die Institutionen des Gaius (1929); Liselot Huchthausen, Römisches Recht in einem Band, 4. Auflage 1991 (Zwölftafelgesetz, Gaius); Ulrich Manthe, Gaius, Insti­tutionen (2004); M. Valerius Martial, Epigramme, hg.v. Paul Barié, Winfried Schindler (1999); Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. IV: Familienrecht (1888); Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I (1840); Bruno Schilling, Karl ­Friedrich Ferdinand Sintenis u.a., Das Corpus iuris civilis in’s Deutsche übersetzt, 1831 (ND 1984); Zwölftafelgesetz, in: FIRA, Bd. I, 23. Eine Übersetzung bieten Rudolf Düll, Das Zwölftafelgesetz, 7. Auflage (1995), und Dieter Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik (1994), S. 109; 309.

Literatur

Dacre Balsdon, Die Frau in der römischen Antike (1962), dt. 1979; Okko Behrends, Die geistige Mitte des römischen Rechts. Die Kulturanthropologie der skeptischen Akademie, in: SZ (RA) 125 (2008), S. 25–107; ders., Custom and Reason: Gender Equality and Difference in Classical Roman Law, in: Stephan Meder, Christoph-­Eric Mecke (Hg.), Family Law in Early Women’s Rights Debates. Western Europe and the United States in the nineteenth and early twentieth centuries (2013), S. 321–371; Nikolaus Benke, Women in the Courts: An Old Thorn in Men’s Sides, in: Michigan Journal of Gender & Law, 3 (1995), S. 195–256; Claus Bextermöller, Das Familienrecht in den Systemen der Pandektistik des 19. Jahrhunderts (1970); Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat (1576), hg.v. Peter Cornelius Mayer-Tasch (1981); Gaston Bossier, Cicero and his friends. A study of Roman Society in the Time of Caesar (1898); Lily Braun, Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite 1901 (ND Berlin u.a. 1979); Alfons Bürge, Römisches Privatrecht. Rechtsdenken und gesellschaftliche Verankerung. Eine Einführung (1999); Carl Bulling, Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch, 2. Auflage (1896), wieder abgedruckt bei Stephan Meder, Arne Duncker, Andrea Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Eine kommentierte Quellensammlung (2010), S. 81–199; Helmut Coing, Die Frankfurter Reformation von 1578 und das Gemeine Recht ihrer Zeit. Eine Studie zum Privatrecht der Rezeptionszeit (1935); Birgit ­Feldner, Zum Ausschluss der Frau vom römischen officium, in: Revue Internationale des Droits de l’Antiquité, XLVII (2000), S. 381–396; Roberto Fiori, La struttura del

[<<67]

matrimonio romano, in: BIDR 105 (2011), S. 197–233; Sabine Föllinger, Differenz und Gleichheit. Das Geschlechterverhältnis in der Sicht griechischer Philosophen des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr (1996); Ludwig Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine, Bd. I (1861), 10. Auflage 1922; Adele Gamper, Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, in: Lose Blätter im Interesse der Frauenfrage, Nr. 9 (1894), wieder abgedruckt bei Meder / Duncker / Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Eine kommentierte Quellensammlung (2010), S. 371–385; Loredana Garlati, La famiglia tra passato e presente (2011); Jean Gaudemet, Le statut de la femme dans l’Empire romain, in: Recueils de la société Jean Bodin, Vol. 11: La femme (1959), S. 191–222; Ute ­Gerhard, Legal Particularism and the Complexity of Women’s Rights in Nineteenth-Century Germany, in: Willibald Steinmetz (Hg.), Private Law and Social Inequality in the Industrial Age. Comparing Legal Cultures in Britain, France, Germany, and the United States (2000), S. 137–154; Fausto Goria, Zur ehelichen Gütergemeinschaft im philosophischen Denken der Griechen von Xenophon bis Ioannes Stobaios, in: Dieter Simon (Hg.), Eherecht und Familiengut in Antike und Mittelalter (1992), S. 99–119; Nicole Grochowina, Das Eigentum der Frauen. Konflikte vor dem Jenaer Schöppenstuhl im ausgehenden 18. Jahrhundert (2009); ­Martin Christian Grosse, Freie römische Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaft (1991); Karl Haff, Zur Privatrechtsgeschichte und Rechtspolitik der Errungenschaftsgemeinschaft, in: JZ 1955, S. 43–45; Verena Tiziana Halbwachs, Ipse sibi negotia tractant. Frauen als Geschäftspartnerinnen im Spiegel römischrechtlicher Quellen, in: Règle et pratique du droit dans les réalités juridiques de l’antiquité (1997), S. 349–363; Janet Halley & Kerry Rittich, Critical Directions in Comparative Family Law: Genealogies and Contemporary Studies of Family Law Exceptionalism, in: The American Journal of Comparative Law 58 (2010), S. 753–775; Evelyn Höbenreich, Giunio Rizzelli, Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom (2003); Heinz Holzhauer, Familienrecht als universitäres Lehrfach. Geschichte und gegenwärtige Lage, in: FS Hermann Nehlsen (2008), S. 658–672; Rudolf von ­Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Erster Theil, 4. Auflage (1878); Max Kaser, Das römische Privatrecht. Erster Abschnitt: Das altrömische, das vorklassische und das klassische Recht, 2. Auflage (1971); ders., Das römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen, 2. Auflage (1975); Emilie Kempin, Die Rechtsstellung der Frau (1895), wieder abgedruckt bei Meder / Duncker / Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Eine kommentierte Quellensammlung (2010), S. 507–530; Hans-Georg Knothe, Die Entwicklung des ehelichen Güterrechts in der Mark Brandenburg auf Grund der Joachimischen Konstitution von 1527, in: GS Jörn Eckert (2008), S. 439–466; Elisabeth Koch, Die Frau im Recht der Frühen Neuzeit. Juristische Lehren und Begründungen, in: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (1997), S. 73–93; Antonie Kraut, Die Stellung

[<<68]

der Frau im württembergischen Privatrecht. Eine Untersuchung über Geschlechtsvormundschaft und Interzessionsfrage (1934); Bernhard Kübler, Das Intestatrecht der Frauen im alten Rom, in: SZ (RA) 41 (1920), S. 15–28; Wolfgang Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft (1998); Christoph-Eric Mecke, Begriff und System des Rechts bei Georg Friedrich Puchta (2009), S. 784–786; Stephan Meder, Rechtsgeschichte. Eine Einführung (2011a); ders., Interzession und Privatautonomie. Abschied vom Kriterium „struktureller Unterlegenheit“ bei den Angehörigenbürgschaften?, in: GS Manfred Wolf (2011b), S. 253–268; Fernanda G. Nicola, Family Law Exceptionalism in Comparative Law, in: The American Journal of Comparative Law 58 (2010), S. 777–810; Eugen ­Nübling, Zur Geschichte der Frauenfrage. Ein Beitrag zur Städte- und Wirtschaftsgeschichte (1907); Hans Peter Obermayer, Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit (1998); Giovanni Pacchioni, Manuale del diritto romano, 3. Auflage (1935); Leo Peppe, Posizione giuridica e ruolo sociale della donna romana in età repubblicana (1984); Louise Otto-Peters, Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau (1876), in Auszügen wieder abgedruckt bei Meder / Duncker / Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Eine kommentierte Quellensammlung (2010), S. 654–661; Marie Raschke, Das deutsche Recht und das vierte Gebot, in: Die Frauenbewegung (1896), wieder abgedruckt bei Meder / Duncker / Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Eine kommentierte Quellensammlung (2010), S. 738–740; Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen. Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (2011); Fritz Schulz, Classial Roman Law (1951); Georg Simmel, Philo­sophie des Geldes (1900), 6. Auflage 1958 (ND 1977); Christoph Sorge, Condictio ob rem und Rückabwicklung gemeinschaftsbezogener Zuwendungen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, in: JZ (2011), S. 660–671; Gerhard Thür, Armut. Gedanken zu Ehegüterrecht und Familienvermögen in der griechischen Polis, in: Dieter Simon (Hg.), Eherecht und Familiengut in Antike und Mittelalter (1992), S. 121–132; Robert Villers, Le statut de la femme à Rome jusqu’à la fin de la République, in: Recueils de la société Jean Bodin, Vol. 11: La femme (1959), S. 177–189; Ursula Vogel, Fictions of Community. Property Relations in Marriage in European and American Legal Systems of the Nineteenth Century, in: Willibald Steinmetz (Hg.), Private Law and Social Inequality in the Industrial Age. Comparing Legal Cultures in Britain, France, Germany, and the United States (2000), S. 91–122; Friederike Wapler, Frauen in der Geschichte des Rechts, in: Lena Foljanty, Ulrike Lembke (Hg.), Feministische Rechtswissenschaft. Ein Studienbuch, 2. Auflage (2012), S. 33–51; Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung (1907); Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage (1967); Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 5. Auflage (1882); Hans Julius Wolff, Zur Stellung der Frau im klassischen römischen Dotalrecht, in: SZ (RA) 70 (1933), S. 297–371.

 

[<<69]

3 Eine Ausnahme scheint die aus dem römischen Dotalrecht durch die Postglossatoren entwickelte Errungenschaftsgemeinschaft zu bilden. Hier konnte „der betreffende Gatte“, also auch die Frau, in manchen Regionen über sein Vermögen offenbar grundsätzlich frei verfügen (Coing, 1935, S. 67–69; Haff, 1955, S. 43). Insoweit bestünde ein Unterschied zum Wahlgüterstand der Errungenschaftsgemeinschaft im BGB von 1900, wonach der Mann auch das von der Frau eingebrachte Vermögen verwaltete. Ob diese Selbstständigkeit der Frau durch Vorschriften über die Ehegewalt am Ende nicht doch konterkariert wurde, bedürfte noch genauerer Untersuchung (zum Zusammenhang zwischen Ehegewalt und Verfügungsbefugnis siehe Vogel, 2000, S. 97–102).

4 Siehe dazu neuestens auch Garlati, 2011, S. 5; Wapler, 2012, S. 36. Schon ­Savigny wunderte sich über die Ausführungen des Staatstheoretikers Adam Heinrich Müller (1779–1829) zur „väterlichen und ehemännlichen Gewalt“ bei den Römern, welche den Eindruck vermittelten, als schlössen wir noch heute „unsre Ehen durch Confarreation“. Müller habe außer Betracht gelassen, dass „schon in früher Zeit bei den Römern die freie Ehe (ohne die geringste Spur von Gewalt) die häufigste war“ und dass „diese allein mit dem Römischen Recht zu uns herüber gekommen ist“ (Savigny, 1840, S. 351, Hervorhebung im Original).

5 Es ist daher kein Zufall, wenn in der Literatur behauptet wird, es sei vor allem das Recht der römischen Vormundschaft in Deutschland rezipiert worden (Nachweise bei Holzhauer, 2008, S. 661, S. 663). Dann wäre im Familienrecht weniger an klassisches als an vorklassisches römisches Recht angeknüpft worden (siehe oben 2.1, S. 41). M.E. ist Wieacker zuzustimmen, wenn er vermutet, dass sich die Vormundschaft in der Rezeptionszeit „auch ohne römischen Einfluss kaum anders hätte entwickeln können“ (Wieacker, 1967, S. 230).

6 Zum Aufbau der römischen „familia“ siehe Ulpian D. 50.16.195.1–5. Etymologisch verweist „familia“ auf die „famuli“, das Gesinde und die Sklaven, also nicht auf die Angehörigen oder Verwandten, sondern auf die „vermögensbildende Arbeitskraft“ (Holzhauer, 2008, S. 659; zu einem weiten Begriff von Familie im Sinne der Sozialform des „oikos“ 5.1, S. 129). Über die Frage, ob die Römer das Familienrecht als eigenständige Kategorie kannten, ist im 19. Jahrhundert lebhaft diskutiert worden (näher Bextermöller, 1970, S. 18–22). Während z.B. Gustav Hugo dies verneinte, war Savigny der Meinung, was „im ersten Buch der Institutionen vorgefunden wird“, sei, von der Nichtberücksichtigung der Verwandtschaft abgesehen, „fast ganz dasselbe, was ich oben als Familienrecht bezeichnet habe“ (Savigny, 1840, S. 399). Gegen Savigny wurde argumentiert, die Römer hätten lediglich einzelne auf die Familie bezogene Regelungen formuliert, die über verschiedene Bücher des Corpus iuris verstreut seien. Aus demselben Grund habe auch der französische Code civil keinen eigenen Begriff von Familienrecht ausprägen können. Die Diskussion über den Begriff des Familienrechts wird heute überwiegend in der US-amerikanischen Literatur geführt. Zur Frage, ob das römische Recht oder der Code civil eine Kategorie des Familienrechts kannten, siehe Halley / Rittich, 2010, S. 755 f.; Nicola, 2010, S. 790 (weitere Nachweise in 5.4.2, S. 149).

7 Die emancipatio diente zunächst nur der Entlassung von Söhnen aus der väterlichen Gewalt. Erst später wurde diese Art der Freisetzung aus einem Abhängigkeitsverhältnis auch zugunsten von Töchtern, Enkeln oder Frauen angewendet (vgl. Gaius I, 132, 136; Überblick über das komplizierte Verfahren bei Meder, 2011a, S. 57–58).

8 Z.B. Nübling, 1907, S. 8. Zu unterschiedlichen Formen der Raub- und Kaufehe noch immer lesenswert: Simmel, 1900, S. 405. Nur am Rande sei bemerkt, dass nicht nur unter Romanisten, sondern auch in der Germanistik darüber diskutiert wird, ob die „Eheschließungsformen“ von der Raub- und Entführungsehe ihren Ausgang genommen und über die Kaufehe zur modernen Konsensehe geführt haben (vgl. 3.3, S. 79).

9 Soweit Gaius auf das Zwölftafelgesetz verweist, ist Tafel VI, 4, gemeint. Als dritte altrömische Eheschließungsform nennt Gaius noch die confarreatio (I, 112), die hier ausgeklammert bleiben kann.

10 Zur paradigmatischen Bedeutung des Konsenses und zum Gegenmodell des „preclassical concept of nature“ Behrends, 2012: „The elder law regarded nature as divine and could thus find in the sexuality interpreted as creative power inseparably fused with divine reason the legal foundation of matrimony: coitus facit nuptias“ (II, Hervorhebung im Original). Zur umstrittenen Frage, ob es in Rom auch schon ‚Hochzeiten‘ homosexueller Paare gegeben hat und welche Aussagekraft solchen Ereignissen beizumessen ist, Obermayer, 1998, S. 235.

11 Kritisch hierzu und zur verbreiteten Auffassung, die römische Ehe sei eine Art „verwirklichte Lebensgemeinschaft“, ein „faktisches Verhältnis der sozialen Gemeinschaft“: Bürge, 1999, S. 161 f. Zur Abgrenzung der römischen Ehe (iustum matrimonium) von anderen Formen der Lebensgemeinschaft siehe Fiori, 2011, S. 201, 217.

12 Kurz nachdem Kaiser Augustus in seiner Ehegesetzgebung Frauen mit mindestens drei Kindern von der Vormundschaft befreit hatte, war die tutela mulierum in der Rechtspraxis endgültig obsolet geworden.

13 Dass Frauen keinen Verfügungsbeschränkungen unterlagen, zeigen die vielen (freilich meist aus frauenfeindlicher Quelle stammenden) Berichte über vermögende Frauen, die großen Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Leben genommen haben (Nachweise bei Friedlaender, 1861, S. 280; Kübler, 1920, S. 22 f.; Balsdon, 1962, S. 60; Grosse, 1991, S. 161–163, 183–185, 236). Dass begüterte Frauen in unabhängiger Stellung waren und de facto die Rolle eines pater familias übernehmen konnten, bestätigt auch die Antwort des römischen Dichters Martial (40–104) auf die Frage, warum er es ablehne, eine reiche Frau zu heiraten: „Weil ich nicht Lust habe, die Frau meiner Frau zu werden“, Martial VIII, 12 (S. 537).

14 Vgl. Kaser II, 1975, S. 173 f. Zu Vorläufern im griechischen Rechtsdenken, die im Osten des Reichs in die römische Rechtsordnung hätten eindringen können: Goria, 1992, S. 99–119; Thür, 1992, S. 121–132. Die Aussage von Kaser erfährt auch dadurch eine Einschränkung, dass die Errungenschaftsgemeinschaft, die allgemein als Sonderform der Gütergemeinschaft angesehen wird, durch die Postglossatoren aus dem römischen Güterrecht entwickelt wurde (siehe oben bei Fußnote 3, S. 42). Zum Konflikt zwischen einer gewohnheitsrechtlich anerkannten „deutschrechtlichen Gütergemeinschaft“ mit der Gütertrennung in der Rezeptionszeit siehe Knothe, 2008, S. 456–461.

15 Grundlegend hierzu Benke, 1995, S. 203–212; zur Rezeption im Mittelalter 3.2, S. 77; siehe auch Braun, 1901, S. 22.

16 Peppe, 1984, S. 97, 101–112. Ebenso wäre zu fragen, ob die Römer unter „­cives“ (Bürger) auch die Frauen eingeordnet haben (bejahend Peppe, a.a.O., S. 97). Von hier aus zieht sich eine Linie bis zur französischen Revolution mit den anschließenden Diskussionen, ob auch die Frauen als „hommes“ zu qualifizieren seien (4.4, S. 120). Im Hintergrund steht das auf Aristoteles zurückgeführte „one-sex model“, wonach nur der Mann ein voll ausgebildeter Mensch sei, die Frau dagegen nicht als vom Mann verschiedenes Geschlecht, sondern nur als nicht voll ausgebildeter Mann betrachtet werden könne: Ihr würden jene Körpersäfte fehlen, die dem Mann Geist, Tapferkeit und Aktivität verleihen. Sie leide an einem Übermaß von kalter Feuchtigkeit, was die Ausbildung des Gefühllebens, der Sanftmut und Passivität als typisch weiblich begünstige (dazu und zur Frage, ob diese Rezeption der Lehre des Aristoteles gerecht wird, Föllinger, 1996, S. 184; Kullmann, 1998, S. 371–377; Wapler, 2012, S. 36). Im 16. Jahrhundert dient diese Theorie auch zur Begründung eines früheren Heiratsalters der Frau: Da alles Kränkliche und Schwächliche in der Natur schneller wachse als das Gesunde, wachse auch das weibliche Wesen schneller als das männliche, das gesund, d.h. von der Substanz her trocken und heiß sei (näher Koch, 1997, S. 77, mit Nachweisen).

17 Dabei ist anzunehmen, dass Frauen auch Verbindlichkeiten gegenüber Dritten begründen konnten. Ein Beispiel wären die Anweisungen (delegatio), die, wie Bürgschaften, in einem Dreiparteienverhältnis abgewickelt werden.

18 Dagegen spricht auch die ausgedehnte Beteiligung von Frauen am Geschäftsleben (dazu näher Halbwachs, 1997).

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?

Weitere Bücher von diesem Autor