Maria Stuart

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Wenige Tage später führt man Chastelard zum Block. Seine freche Verwegenheit ist von den Richtern als Verbrechen, seine Leichtfertigkeit als Böswilligkeit gewertet worden. Einstimmig erkennen sie ihm die härteste Strafe zu: den Tod durch das Beil. Maria Stuart, selbst wenn sie wollte, hat jetzt keine Möglichkeit mehr, den Unsinnigen zu begnadigen; schon haben die Gesandten an alle Höfe von dem Vorfall berichtet, in London, in Paris beobachtet man neugierig ihr Verhalten. Jedes Wort zu seinen Gunsten würde jetzt als Eingeständnis einer Mitschuld gedeutet werden. So muß sie härter erscheinen, als sie wahrscheinlich persönlich gesinnt war, und den Gefährten munterer und gefälliger Stunden in seiner schwersten Stunde ohne Hoffnung und Hilfe lassen.

Chastelard stirbt, wie es sich an dem Hof einer romantischen Königin ziemt, einen tadellosen Tod. Er weist jeden priesterlichen Beistand zurück, nur die Dichtung soll ihn trösten und das Bewußtsein, daß

»Mon malheur déplorable

Soit sur moy immortel«.

Aufrecht schreitet der tapfere Troubadour zur Richtstätte, und statt Psalm und Gebet rezitiert er laut auf dem Wege die berühmte »Epitre à la mort« seines Freundes Ronsard:

»Je te salue, heureuse et profitable Mort

Des extrêmes douleurs médicin et confort.«

Vor dem Block hebt er noch einmal das Haupt zu einem Anruf, der mehr ein Seufzer ist als Anklage: »O cruelle dame«, dann beugt er sich gefaßt nieder, um den mörderischen Hieb zu empfangen. Dieser Romantiker stirbt im Stil einer Ballade, eines Gedichts.

Aber dieser unselige Chastelard ist nur ein einzelner aus einer dunklen Schar, er ist bloß der erste, der für Maria Stuart stirbt, er geht nur den anderen voran. Mit ihm beginnt der gespenstige Totentanz all derer, die für diese Frau zum Richtblock schreiten, von ihrem Schicksal angezogen und sie selbst mitziehend in das eigene Schicksal. Aus allen Ländern kommen sie, wie bei Holbein schleifen sie sich hinter der schwarzen beinernen Trommel willenlos heran, Schritt für Schritt, Jahr für Jahr, Fürsten und Regenten, Grafen und Edelleute, Priester und Krieger, Jünglinge und Greise, alle sich für sie opfernd, alle für sie geopfert, die unschuldig schuldig ist an ihrem finstern Gang und ihn selber zur Sühne beschließt. Selten hat das Schicksal so viel Todesmagie in eine Frauengestalt getan: wie ein dunkler Magnet zieht sie auf das gefährlichste alle Männer ihrer Umwelt in verhängnisvolle Bahn. Wer ihren Weg kreuzt, gleichgültig ob in Gunst oder Ungunst, ist dem Unheil verfallen und gewaltsamem Tod. Es hat niemandem Glück gebracht, Maria Stuart zu hassen. Und noch schwerer haben jene gebüßt, die es wagten, sie zu lieben.

Nur scheinbar ist darum diese Episode Chastelards ein Zufall, ein bloßer Zwischenfall: zum erstenmal enthüllt sich hier – ohne daß sie es gleich verstünde – das Gesetz ihres Schicksals, daß es ihr nie ungestraft erlaubt sein soll, lässig, leicht und vertrauensvoll zu sein. Von der ersten Stunde an ist ihr Leben so eingestellt, daß sie eine repräsentative Gestalt darstellen muß, Königin, immer und immer nur Königin, öffentlicher Charakter, Spielball im Weltspiel, und was anfangs Gnade schien: ihre frühe Krönung, ihr zugeborener Rang, ist eigentlich Fluch. Denn immer, wenn sie versucht, sich selbst zu gehören, nur ihrer Laune, ihrer Liebe, ihren wahren Neigungen zu leben, wird sie fürchterlich für ihr Versäumnis gestraft. Chastelard ist nur die erste Warnung. Nach einer Kindheit ohne Kindsein hatte sie in der schmalen Zwischenzeit, ehe man zum zweitenmal, zum drittenmal ihren Leib, ihr Leben an irgendeinen fremden Mann gegen irgendeine Krone verhandelt, versucht, ein paar Monate nichts anderes als jung und sorglos zu sein, nur zu atmen, nur zu leben und sich zu freuen: da reißen sie harte Hände aus dem leichten Spiel. Beunruhigt durch den Vorfall, drängen jetzt der Regent, das Parlament, die Lords zu neuer Heirat. Maria Stuart soll einen Gatten wählen: selbstverständlich nicht einen, der ihr gefällt, sondern einen, der die Macht und Sicherheit des Landes mehrt. Die längst eingeleiteten Verhandlungen werden scharf beschleunigt, denn eine Art Angst ist über die Verantwortlichen gekommen, diese unbedachte Frau könnte am Ende mit einer neuerlichen Torheit ihren Ruf und Anwert völlig zerstören. Abermals beginnt der Schacher auf dem Heiratsmarkt: Maria Stuart wird wieder zurückgedrängt in den Bannkreis der Politik, der ihr Schicksal von der ersten bis zur letzten Stunde unerbittlich umschließt. Und immer, wenn sie diesen kalten Ring um ihr warmes wirkliches Leben für einen Atemzug zu zerbrechen sucht, zerbricht sie fremdes und ihr eigenes Geschick.

Großer politischer Heiratsmarkt
1563–1565

Zwei junge Frauen sind in diesem Augenblick die umworbensten der Welt: Elisabeth von England und Maria von Schottland. Wer irgend in Europa Kronrecht hat und keine Gattin, der sendet jetzt seine Werber, Habsburg und Bourbon, Philipp II. von Spanien und sein Sohn Don Carlos, der Erzherzog von Österreich, die Könige von Schweden und Dänemark, Greise und Knaben, Männer und Jünglinge: schon lange war der politische Heiratsmarkt nicht so reichlich beschickt. Denn noch immer stellt Vermählung mit einer Fürstin die bequemste Form für einen Herrscher dar, seine Macht zu erweitern. Nicht durch Krieg, sondern durch Heirat sind in den Zeiten des Absolutismus die großen Erbrechte aufgebaut worden, das geeinte Frankreich, das weltumfassende Spanien und die Hausmacht Habsburgs. Jetzt aber locken unvermuteterweise noch die letzten kostbaren Kronjuwele Europas. Elisabeth oder Maria Stuart, England oder Schottland, wer das eine Land oder das andere durch Ehe gewinnt, der hat auch im Weltspiel gewonnen, und gleichzeitig mit dem nationalen Wettlauf entscheidet sich ein anderer, ein geistig-geistlicher Krieg. Denn fällt durch die Heirat mit einer der beiden Herrscherinnen die britannische Insel einem katholischen Mitkönig zu, so hat das Zünglein an der Waage im Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus endgültig zugunsten Roms ausgeschlagen, die ecclesia universalis ist wieder sieghaft auf Erden. Darum bedeutet diese hitzige Brautjagd unermeßlich viel mehr als eine familiäre Angelegenheit; in ihr versinnbildlicht sich eine Weltentscheidung.

Eine Weltentscheidung, aber für diese beiden Frauen, für diese beiden Königinnen auch eine Lebensentscheidung. Denn unlösbar sind ihre Schicksalslinien verstrickt. Wird eine der beiden Rivalinnen durch eine Heirat erhöht, so gerät der andere Thron unaufhaltsam ins Wanken, steigt die eine Schale, so muß die andere sinken. Die Schwebe der Scheinfreundschaft zwischen Maria Stuart und Elisabeth kann nur insolange dauern, als beide unvermählt bleiben, bloß Königin von England die eine, bloß Königin von Schottland die andere; verschieben sich die Gewichte, so muß eine die mächtigere werden, die Siegerin. Aber entschlossen steht Stolz gegen Stolz, keine will und wird der andern weichen. Nur Kampf auf Leben und Tod kann diese furchtbare Verstrickung lösen.

Für das prachtvoll gestufte Schauspiel dieses Schwesternkampfes hat die Geschichte zwei Gegenspielerinnen größten Formats gewählt. Beide, Maria Stuart und Elisabeth, sind Begabungen besonderer und unvergleichlicher Art. Neben ihren energischen Erscheinungen wirken die andern Monarchen der Zeit, der mönchisch starre Philipp II. von Spanien, der knabenhaft launische Karl IX. von Frankreich, der unbedeutende Ferdinand von Österreich, wie flache Nebenrollenspieler; keiner von ihnen erreicht auch nur annähernd die hohe geistige Ebene, auf der diese außerordentlichen Frauen einander entgegentreten. Beide klug – und in ihrer Klugheit nur oft durch weibliche Launen und Leidenschaften gehemmt –, beide ehrgeizig bis zur Unbändigkeit, haben von frühester Jugend an sich für ihren hohen Rang besonders vorbereitet. Beider Haltung im Sinne der äußeren Repräsentation musterhaft, beider Kultur auf der vollen Höhe der humanistischen Zeit. Fließend spricht jede neben ihrer Muttersprache Latein, Französisch, Italienisch, Elisabeth überdies noch Griechisch, und beider Briefe übertreffen an plastischer Ausdruckskraft weitaus diejenigen ihrer besten Minister, die Elisabeths ungleich farbiger, bildlicher als jene ihres klugen Staatssekretärs Cecil, die Maria Stuarts geschliffener und eigenartiger als die glatt diplomatischen eines Maitland und Moray. Beider Intelligenz, ihr Kunstsinn, ihre fürstliche Art der Lebenshaltung kann vor den strengsten Richtern bestehen, und wenn Elisabeth einem Shakespeare und Ben Jonson, so wird Maria Stuart einem Ronsard und Du Bellay Bewunderung abnötigen. Aber mit dieser gemeinsamen Höhe des kulturellen Niveaus ist auch alle Ähnlichkeit zwischen diesen Frauen erschöpft; um so schärfer prägt sich der innere Gegensatz aus, den die Dichter von Anbeginn schon als typisch dramatischen empfunden und gestaltet haben.

Dieser Gegensatz ist derart vollständig, daß schon die Lebenslinien ihn geradezu geometrisch-anschaulich ausdrücken. Entscheidender Unterschied: Elisabeth hat es im Anfang schwer und Maria Stuart am Ende. Maria Stuarts Glück und Macht steigen leicht, hell und schnell auf wie ein Morgenstern am klaren Himmel; als Königin geboren, wird sie noch als Kind zum zweitenmal zur Königin gesalbt. Aber ebenso steil und jäh vollzieht sich ihr Sturz. In drei oder vier einzelnen Katastrophen ist ihr Schicksal konzentriert, also typisch dramatisch geformt – weshalb sie auch immer wieder als Heldin von Tragödien gewählt wird –, während Elisabeths Aufstieg langsam und beharrlich sich vollzieht (und darum vermag ihr eigentlich nur eine episch breite Darstellung gerecht zu werden). Ihr ist nichts geschenkt und mit leichter Hand von Gott gegeben. Als Kind zum Bastard erklärt, von der eigenen Schwester in den Tower geworfen, mit tödlichem Gerichtsspruch bedroht, hat sie sich mit List und frühreifer Diplomatie erst das nackte Dasein und Geduldetsein erobern müssen. Maria Stuart war durch Erbe von Anbeginn die Würde zuteil, Elisabeth hat sie sich mit dem eigenen Leibe und dem eigenen Leben geschaffen.

 

Zwei derart verschiedene Lebenslinien müssen notwendigerweise auseinanderstreben. Sie können sich gelegentlich kreuzen und überschneiden, niemals aber wirklich binden. Denn bis tief hinein in jede Schwingung und Tönung des Charakters muß sich der fundamentale Unterschied auswirken, daß die eine mit der Krone geboren ist wie mit dem eigenen Haar, während die andere sich ihre Stellung erkämpft, erlistet, erobert hat, daß die eine von Anfang an legitime Königin gewesen und die andere eine angezweifelte. Jede dieser beiden Frauen entwickelt aus dieser besonderen Schicksalsform eine andere Kraft. Bei Maria Stuart erzeugt die Leichtigkeit, die Mühelosigkeit, mit der sie alles – zu früh! – zugeteilt bekam, eine ganz ungewöhnliche Leichtfertigkeit und Selbstsicherheit, sie schenkt ihr jenen verwegenen Wagemut, der ihre Größe ist und ihr Verhängnis. Gott hat ihr die Krone gegeben, niemand kann sie ihr nehmen. Sie hat zu gebieten, die andern zu gehorchen, und zweifelte auch die ganze Welt an ihrem Recht, sie fühlt ihr Herrentum heiß in ihrem Blut. Leicht und ohne zu prüfen läßt sie sich begeistern, rasch und hitzig wie einen Schwertgriff faßt sie ihre Entschlüsse, und so, wie sie als verwegene Reiterin mit einem Riß am Zügel, einem Ruck, einem Schwung über Hürden und Hindernisse hinwegsetzt, meint sie auch, über alle Schwierigkeiten und Fährnisse der Politik mit dem bloßen beschwingten Mut hinüberstürmen zu können. Bedeutet für Elisabeth Herrschen ein Schachspiel, ein Denkspiel, eine stete gespannte Anstrengung, so für Maria Stuart nur ein starkes Genießen, eine Steigerung der Daseinslust, ein Kampfspiel ritterlicher Art. Sie hat, wie einmal der Papst von ihr sagt, »das Herz eines Mannes im Körper einer Frau«, und gerade dies leichtsinnig Wagende, dies egoistisch Souveräne, das sie für das Gedicht, die Ballade, die Tragödie so anziehend macht, verschuldet ihren frühen Untergang.

Denn Elisabeth, eine durchaus realistische Natur, eine beinahe geniale Kennerin der Wirklichkeit, gewinnt ihren Sieg eigentlich nur durch das kluge Ausnützen der Unüberlegtheiten und Torheiten ihrer ritterlichen Gegnerin. Mit ihren klaren, scharfen Vogelaugen – man blicke in ihr Bildnis – sieht sie mißtrauisch in die Welt, deren Gefahren sie frühzeitig zu fürchten gelernt hat. Schon als Kind hat sie Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie rasch die Kugel der Fortuna auf und nieder rollt und daß es nur ein Schritt weit ist vom Königsthron zum Schafott und ein Schritt wiederum aus dem Tower, diesem Vorhof des Todes, nach Westminster. Ewig wird sie darum Macht als etwas Fließendes empfinden und alles Sichere als gefährdet; vorsichtig und ängstlich, als wären sie aus Glas und könnten jeden Augenblick ihren Händen entgleiten, hält Elisabeth Krone und Zepter fest; eigentlich verbringt sie ihr ganzes Leben in Sorge und Unentschlossenheit. Alle Porträts ergänzen hier überzeugend die überlieferten Schilderungen ihres Wesens: auf keinem blickt sie klar, frei und stolz wie eine wahrhafte Gebieterin, immer ist ihr nervöses Gesicht furchtsam und unruhig angespannt, als lauschte, als wartete sie auf etwas, nie glänzt das Lächeln der Selbstgewißheit froh um ihren Mund. Scheu und eitel zugleich hebt sie ihr blasses Antlitz aus dem pompösen Putz der juwelenüberglitzerten Roben, gleichsam frierend unter dieser überladenen Pracht. Und man fühlt: kaum mit sich allein, kaum ist das Staatskleid von ihren knochigen Schultern abgeglitten, kaum weicht die Schminke von den schmalen Wangen, so fällt auch die Hoheit von ihr ab, und es bleibt eine arme, verstörte, frühgealterte Frau, ein einsamer Mensch zurück, der kaum seine eigene Not und um wieviel weniger eine Welt zu beherrschen weiß. Eine solche zaghafte Haltung mag bei einer Königin nicht sehr heroisch wirken und dies ewige Zaudern und Zögern und Sich-nicht-entschließen-Können gewiß nicht majestätisch; aber Elisabeths staatsmännische Größe lag auf einer anderen Ebene als der romantischen. Ihre Kraft offenbarte sich nicht in verwegenen Plänen und Entschlüssen, sondern in einer zähen und sorgsamen Dauerarbeit des Mehrens und Sicherns, des Sparens und Zusammenraffens, in eigentlich bürgerlichen und haushälterischen Tugenden: gerade ihre Fehler, ihre Ängstlichkeit, ihre Vorsichtigkeit sind im staatsmännischen Sinne produktiv geworden. Denn wenn Maria Stuart nur sich selbst, so lebt Elisabeth ihrem Lande, sie nimmt als Realistin ihr Herrschertum pflichthaft als einen Beruf, Maria Stuart dagegen, die Romantikerin, ihr Königtum als völlig unverpflichtende Berufung. Jede ist stark, jede schwach in einem andern Sinne. Wird Maria Stuart ihre heldisch-törichte Verwegenheit zum Verhängnis, so Elisabeth ihr Zaudern und Zögern schließlich zum Gewinn. Denn immer siegt in der Politik die langsame Zähigkeit über die unbeherrschte Kraft, der durchgearbeitete Plan über den improvisierten Elan, der Realismus über die Romantik.

Aber in diesem Schwesternkampf reicht der Gegensatz noch tiefer. Nicht nur als Königinnen, sondern auch als Frauen stellen Elisabeth und Maria Stuart völlig polare Typen dar, gleichsam als hätte es der Natur gefallen, einmal eine große welthistorische Antithese in zwei großen Gestalten bis in die letzte Einzelheit kontrapunktisch durchzuführen.

Maria Stuart ist als Frau ganz Frau, in erster und letzter Linie Frau, und gerade die wichtigsten Entschließungen ihres Lebens kamen aus dieser untersten Quelle ihres Geschlechts. Nicht daß sie eine ständig leidenschaftliche, eine einzig von ihren Trieben beherrschte Natur gewesen wäre – im Gegenteil, was zuerst an Maria Stuart charakterologisch auffällt, ist ihre lange weibliche Zurückhaltung. Jahre und Jahre hat es gedauert, ehe das Gefühlsleben in ihr überhaupt erwachte. Lange sieht man nur (und die Bilder bestätigen es) eine freundliche, weiche, milde, lässige Frau, ein leichtes Schmachten im Auge, ein fast kindliches Lächeln um den Mund, ein unentschiedenes, unaktives Wesen, eine Mädchenfrau. Sie ist auffallend sensitiv (wie jede wahrhaft weibliche Natur), ihr Gemüt gerät leicht in Schwingung, sie kann beim leichtesten Anlaß erröten, erblassen, und rasch und locker sitzt ihr die Träne. Aber diese eiligen, oberflächlichen Wellen ihres Bluts rühren lange Jahre nicht ihre Tiefe auf; und gerade weil sie eine vollkommen normale, eine echte, eine wirkliche Frau ist, entdeckt Maria Stuart ihre eigentliche, ihre wahre Kraft erst an einer Leidenschaft – im ganzen nur einmal in ihrem Leben. Da aber spürt man, wie ungemein stark sie Frau ist, wie sehr triebhaftes und instinkthaftes Wesen, wie willenlos gekettet an ihr Geschlecht. Denn in diesem großen Moment ihrer Ekstase schwinden plötzlich wie weggerissen die oberen, die kulturellen Kräfte in der bislang kühlen und gemessenen Frau dahin, alle Dämme von Wohlerzogenheit, von Sitte und Würde brechen ein, und vor die Wahl gestellt zwischen ihrer Ehre und ihrer Leidenschaft, bekennt sich Maria Stuart als wirkliche Frau nicht zu ihrem Königtum, sondern zu ihrem Frauentum. Jäh fällt der Kronmantel ab, sie fühlt nur nackt und heiß als eine der Unzähligen, die Liebe nehmen und Liebe geben wollen, und nichts schenkt ihrer Gestalt eine solche Großzügigkeit, als daß sie um einzelner volldurchlebter Daseinsaugenblicke willen Reich und Macht und Würde geradezu verächtlich hingeworfen hat.

Elisabeth dagegen war einer völligen Selbsthingabe solcher Art niemals fähig, und dies aus einem geheimnisvollen Grunde. Denn sie war – wie es Maria Stuart in ihrem berühmten Haßbrief formulierte – körperlich »nicht wie alle andern Frauen«. Nicht nur die Mutterschaft war ihr versagt, sondern wahrscheinlich auch die natürliche Form der vollen weiblichen Preisgabe. Nicht so freiwillig, wie sie vortäuschte, ist sie zeitlebens »virgin Queen«, die jungfräuliche Königin, und wenn auch gewisse gleichzeitige Nachrichten (wie jene von Ben Jonson überlieferten) über Elisabeths physische Mißbildung anzweifelbar sind, dies bleibt gewiß, daß eine körperliche oder seelische Hemmung sie in den geheimsten Zonen ihres Frauentums verstört hat. Ein solches Mißgeschick muß das Wesen einer Frau entscheidend bestimmen, und in diesem Geheimnis sind alle andern Geheimnisse ihres Charakters gleichsam im Kern enthalten. Jenes Schillernde, Schwankende, Fahrige, Wetterwendische ihrer Nerven, das ihr Wesen ständig in ein zuckendes Licht von Hysterie taucht, das Ungleichgewichtige, Unberechenbare ihrer Entschlüsse, dieses ewige Umschalten von heiß auf kalt, von ja auf nein, all das Komödiantische, das Raffinierte, das Hinterhältige und nicht zumindest jene Koketterie, die ihrer staatsmännischen Würde die schlimmsten Streiche spielte, stammten aus dieser innern Unsicherheit. Eindeutig und natürlich zu fühlen, zu denken, zu handeln war dieser im tiefsten verwundeten Frau versagt, niemand konnte auf sie zählen, und am wenigsten war sie ihrer selbst sicher. Aber wenn auch verstümmelt in ihren geheimsten Bezirken, wenn auch hin und her gerissen in ihren Nerven, wenn auch gefährlich in ihrer Intrigantenklugheit, so war Elisabeth doch niemals grausam, unmenschlich, kalt und hart. Nichts ist falscher, oberflächlicher und banaler erfunden als die schon schematisch gewordene Auffassung (wie sie Schiller in seine Tragödie übernommen hat), als hätte Elisabeth wie eine tückische Katze mit einer sanften und wehrlosen Maria Stuart gespielt. Wer tiefer blickt, spürt in dieser Frau, die einsam friert inmitten ihrer Macht, die sich mit ihren Halbliebhabern immer nur hysterisch quält, weil sie sich keinem ganz und eindeutig hingeben kann, eine verborgene, verschlagene Wärme und hinter all ihren Schrullen und Heftigkeiten einen ehrlichen Willen, großmütig und gütig zu sein. Ihrer ängstlichen Natur entsprach nicht die Gewalt, sie flüchtete lieber in die kleinen, nervenprickelnden Künste der Diplomatie, das unverantwortliche Hintergrundspiel; bei jeder Kriegserklärung aber zauderte und schauerte sie, jedes Todesurteil lastete wie ein Stein auf ihrem Gewissen, und um ihrem Lande Frieden zu bewahren, setzte sie ihre beste Kraft ein. Wenn sie Maria Stuart bekämpfte, so war es einzig, weil sie sich (nicht mit Unrecht) von ihr bedroht fühlte, und doch wäre sie dem offenen Kampfe lieber ausgewichen, weil sie ihrer Natur nach nur Spielerin und Falschspielerin, nicht aber Kämpferin war. Beide, Maria Stuart aus Lässigkeit, Elisabeth aus Ängstlichkeit, hätten lieber halben und falschen Frieden gehalten. Aber die Konstellation der Stunde erlaubte kein Nebeneinandersein. Gleichgültig gegen den innersten Willen des einzelnen stößt oft der stärkere Wille der Geschichte Menschen und Mächte in ihr mörderisches Spiel.

Denn hinter der inneren Verschiedenheit der Persönlichkeiten erheben sich gebieterisch wie riesenhafte Schatten die großen Gegensätze der Zeit. Man nenne es nicht Zufall, daß Maria Stuart die Vorkämpferin der alten, der katholischen Religion gewesen und Elisabeth Schirmherrin der neuen, der reformatorischen; diese Parteinahme versinnbildlicht nur symbolisch, daß jede dieser beiden Königinnen eine andere Weltanschauung verkörperte, Maria Stuart die absterbende, die mittelalterlich-ritterliche Welt, Elisabeth die werdende, die neuzeitliche. Eine ganze Zeitwende kämpft sich in ihrem Widerstreit zu Ende.

Maria Stuart – und dies macht ihre Figur so romantisch – steht und fällt für eine vergangene, für eine überholte Sache als ein letzter kühner Paladin. Sie gehorcht nur dem gestaltenden Willen der Geschichte, wenn sie, die Rückwärtsgewandte, sich politisch jenen Mächten verbindet, die den Zenit bereits überschritten haben, Spanien und dem Papsttum, während Elisabeth klarsichtig in die fernsten Länder, nach Rußland und Persien, ihre Gesandten schickt und in vorausschauendem Gefühl die Energie ihres Volkes gegen die Ozeane wendet, als ahnte sie, daß in den neuen Kontinenten die Pfeiler des zukünftigen Weltreiches aufgerichtet werden müßten. Maria Stuart beharrt starr im Übernommenen, sie kommt über die dynastische Auffassung des Königtums nicht hinaus. Das Land ist nach ihrer Meinung an den Herrscher gebunden, nicht aber der Herrscher an sein Land; eigentlich ist Maria Stuart all diese Jahre nur Königin über Schottland gewesen und niemals eine Königin für Schottland. Die hundert Briefe, die sie geschrieben, gelten alle nur der Befestigung, der Erweiterung ihres persönlichen Rechtes, aber völlig vermißt man einen einzigen, der sich mit dem Volkswohl, mit der Förderung von Handel, Schiffahrt oder Kriegsmacht befaßte. Wie ihre Sprache in Dichtung und Konversation zeitlebens die französische blieb, so ist auch ihr Denken, ihr Fühlen nie ein schottisches, ein nationales geworden; nicht für Schottland hat sie gelebt und ist sie gestorben, sondern einzig um Königin von Schottland zu bleiben. Im letzten hat Maria Stuart ihrem Lande nichts Schöpferisches gegeben als die Legende ihres Lebens.

 

Dieses Über-allem-Stehen Maria Stuarts mußte notwendigerweise zu einem Alleinstehen werden. An Mut und Entschlossenheit war sie persönlich Elisabeth unermeßlich überlegen. Aber Elisabeth kämpfte nicht allein gegen sie. Aus dem Gefühl ihrer Unsicherheit hatte sie rechtzeitig verstanden, ihre Position zu stärken, indem sie sich mit ruhigen und klarsehenden Leuten umgab; um sie stand ein ganzer Generalstab in diesem Kriege, lehrte sie Taktik und Praktik und schützte sie bei großen Entscheidungen vor der Sprunghaftigkeit und Fahrigkeit ihres Temperamentes. Elisabeth wußte eine derart vollendete Organisation um sich zu schaffen, daß es heute, nach Jahrhunderten, fast unmöglich ist, ihre persönliche Leistung aus der Kollektivleistung der elisabethanischen Epoche herauszuschälen, und der unermeßliche Ruhm, der sich an ihren Namen bindet, schließt die anonyme Leistung ihrer ausgezeichneten Berater in sich. Während Maria Stuart nur Maria Stuart ist, stellt Elisabeth eigentlich immer Elisabeth plus Cecil, plus Leicester, plus Walsingham, plus die Energie ihres ganzen Volkes dar, und man kann kaum unterscheiden, wer der Genius jenes shakespearischen Jahrhunderts gewesen, England oder Elisabeth, so sehr sind sie zusammengeschmolzen in eine herrliche Einheit. Nichts hat Elisabeth einen solchen Rang unter den Monarchen jener Epoche gegeben, als daß sie nicht Herrin über England sein wollte, sondern bloß Verwalterin des englischen Volkswillens, Dienerin einer nationalen Mission; sie hat den Zug der Zeit verstanden, der vom Autokratischen ins Konstitutionelle führt. Freiwillig erkennt sie die neuen Kräfte an, die aus der Umformung der Stände, aus der Weltraumerweiterung durch die Entdeckungen sich entwickeln, sie fördert alles Neue, die Gilden, die Kaufleute, die Geldleute und selbst die Piraten, weil sie England, ihrem England, die Vorherrschaft über die Meere anbahnen. Unzählige Male bringt sie (was Maria Stuart niemals tut) ihre persönlichen Wünsche dem allgemeinen, dem nationalen Wohl zum Opfer. Denn immer ist es beste Rettung aus innerer Not, wenn sie sich ins Schöpferische wendet; aus ihrem Unglück als Frau hat Elisabeth das Glück ihres Landes gestaltet. Ihren ganzen Egoismus, ihre ganze Machtleidenschaft hat die Kinderlose, die Männerlose ins Nationale umgestaltet; groß vor der Nachwelt zu sein durch Englands Größe war die edelste ihrer Eitelkeiten, und nur diesem kommenden größeren England hat sie wahrhaft gelebt. Keine andere Krone konnte sie locken (während Maria Stuart begeistert die ihre gegen jede bessere tauschen würde), und indes jene in der Gegenwart, in der Stunde großartig aufglühte, hat sie, die Sparsame, die Weitblickende, ihre ganze Kraft der Zukunft ihrer Nation geweiht.

Es war kein Zufall darum, daß sich der Kampf zwischen Maria Stuart und Elisabeth zugunsten der fortschrittlichen und weltgewandten und nicht der rückgewandten und ritterlichen Königin entschied; mit Elisabeth siegte der Wille der Geschichte, der vorwärts drängt, der die abgelebten Formen wie leere Schalen hinter sich schleudert und seine Kraft in immer anderen schöpferisch versucht. In ihrem Leben verkörpert sich die Energie einer Nation, die ihre Stelle im Weltall erobern will, in Maria Stuarts Ende stirbt nur prächtig und heldisch eine ritterliche Vergangenheit. Aber dennoch erfüllt jede in diesem Kampfe vollendet ihren Sinn: Elisabeth, die Realistin, siegt in der Geschichte, Maria Stuart, die Romantikerin, in Dichtung und Legende.

Großartig ist dieser Gegensatz in Raum, Zeit und seinen Gestalten: wäre doch nur die Art nicht so erbärmlich kleinlich, in der er durchfochten wird! Denn trotz ihrem überragenden Format bleiben diese beiden Frauen immerhin Frauen, sie können die Schwäche ihres Geschlechts nicht überwinden, Feindschaften, statt aufrichtig, immer nur mesquin und hinterhältig auszutragen. Ständen statt Maria Stuart und Elisabeth zwei Männer, zwei Könige einander gegenüber, es käme sofort zu scharfer Auseinandersetzung, zu klarem Krieg. Anspruch stellte sich schroff gegen Anspruch, Mut gegen Mut. Der Konflikt Maria Stuarts und Elisabeths dagegen entbehrt dieser hellen männlichen Aufrichtigkeit, er ist ein Katzenkampf, ein Sich-Umschleichen und Belauern mit verdeckten Krallen, ein hinterhältiges und durchaus unredliches Spiel. Durch ein Vierteljahrhundert haben diese Frauen einander unablässig belogen und betrogen (ohne sich aber nur eine Sekunde lang tatsächlich zu täuschen). Nie blicken sie einander frei und gerade ins Auge, nie wird ihr Haß offen, wahr und klar; mit Lächeln und Schmeicheln und Heucheln begrüßen und beschenken und beglückwünschen sie einander, während jede heimlich das Messer hinter dem Rücken hält. Nein, die Chronik des Krieges zwischen Elisabeth und Maria Stuart zeitigt keine iliadischen Schlachten, keine ruhmreichen Situationen, sie ist kein Heldenlied, sondern ein perfides Kapitel aus Machiavelli, psychologisch zwar ungemein erregend, aber moralisch abstoßend, weil eine zwanzigjährige Intrige und nie ein ehrlicher, klingender Kampf.

Dieses unehrliche Spiel setzt sofort mit den Heiratsverhandlungen Maria Stuarts ein, und fürstliche Bewerber sind auf den Plan getreten. Maria Stuart wäre mit jedem einverstanden, denn die Frau in ihr ist noch nicht wach und mengt sich nicht in die Wahl. Sie würde willig den fünfzehnjährigen Knaben Don Carlos nehmen, obwohl das Gerücht ihn als bösartigen, tollwütigen Jungen schildert, und ebenso gern das unmündige Kind Karl IX. Jung, alt, widerwärtig oder anziehend, das ist ihrem Ehrgeiz völlig gleichgültig, sofern die Heirat sie nur über die verhaßte Rivalin erhebt. Persönlich beinahe uninteressiert, überläßt sie die Verhandlungen ihrem Stiefbruder Moray, der sie mit äußerst egoistischem Eifer führt, denn wenn seine Schwester in Paris oder Wien oder Madrid eine Krone trägt, wäre er ihrer ledig und wieder ungekrönter König von Schottland. Sehr bald aber erfährt Elisabeth, durch ihre schottischen Spione tadellos bedient, von diesen überseeischen Freiten und legt sofort ein kräftiges Veto ein. Ganz klar droht sie dem schottischen Gesandten, falls Maria Stuart eine fürstliche Werbung aus Österreich, Frankreich oder Spanien annähme, würde sie dies als feindseligen Akt betrachten, was sie aber keineswegs hindert, gleichzeitig die zärtlichsten Mahnungen an ihre teure Base zu schreiben, sie möchte einzig auf sie vertrauen, »welche Berge von Glückseligkeit und irdischer Pracht ihr auch die andern versprächen«. Oh, sie habe nicht das mindeste einzuwenden gegen einen protestantischen Prinzen, gegen den König von Dänemark oder den Herzog von Ferrara – deutsch übersetzt: gegen ungefährliche, unwertige Werber – am besten aber wäre, Maria Stuart würde »daheim« heiraten, irgendeinen schottischen oder englischen Adeligen. In diesem Falle könne sie ihrer schwesterlichen Liebe, ihrer Hilfe ewig gewiß sein.

Diese Haltung Elisabeths ist selbstverständlich ein klares »foul play«, und jeder durchschaut ihre Absicht: die unfreiwillige »virgin Queen« will nichts anderes als ihrer Rivalin jede gute Chance verderben. Aber mit ebenso wendiger Hand wirft Maria Stuart den Ball zurück. Sie denkt selbstverständlich nicht einen Augenblick daran, Elisabeth eine »overlordship«, ein Einspruchsrecht, in ihren Heiratsangelegenheiten zuzuerkennen. Aber noch ist das große Geschäft nicht abgeschlossen, noch zögert Don Carlos, der Hauptkandidat. So heuchelt Maria Stuart zunächst innigen Dank für das sorgsame Interesse Elisabeths. Sie versichert, nicht »for all uncles of the world« würde sie die kostbare Freundschaft mit der englischen Königin durch eigenwilliges Verhalten in Frage stellen, o nein, oh, keineswegs! – sie sei aufrichtigen Herzens bereit, allen ihren Vorschlägen treulich zu folgen, und Elisabeth möge ihr nur mitteilen, welche Werber als »allowed« zu gelten hätten und welche nicht. Rührend ist diese Gefügigkeit; aber mitten hinein streut Maria Stuart die schüchterne Zwischenfrage, auf welche Art Elisabeth sie dann für ihre Gefügigkeit entschädigen wolle. Gut, sagt sie gewissermaßen, ich gehe auf Deine Wünsche ein, ich heirate keinen Mann so hohen Ranges, daß er Deine Stellung, Du vielgeliebte Schwester, überhöht. Aber nun gib auch Du mir Sicherheit und werde gütigst deutlich: wie steht es mit meinem Nachfolgerecht?

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