Kapitäne!

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Mit dem Sonnenaufgang wurden wir wach. Ich trug nicht viel am Körper, außer meiner Jeans und einem T-Shirt. Alles andere hatte ich abgestreift, um besser schwimmen zu können. Bajo hingegen besaß noch sein Hemd und sogar seine Schuhe. Über dem Fluss waberten Schlieren von Dunst. Der Morgen war noch jung, aber schon stickig und schwül. Wir liefen los, was bedeutete, dass ich dem schweigenden Bajo folgte. Wir stießen auf einen Trampelpfad, dem wir folgten und der uns aus den Mangroven herausführte. Wo war die nächste Straße? Wo der nächste Ort? Meine Füße waren zwar an das Laufen ohne Schuhe gewöhnt, doch das Gras schnitt in die Hornhaut und verursachte kleine Risse. Bremsen fielen über uns her.

Ich überlegte, dass dies ein gutes Zeichen war, denn wo es Bremsen gab, musste es doch auch Rinder geben. In den nächsten zwei, drei Stunden sahen wir auch immer mal große, braune Viecher, doch es schien sich um verwilderte Tiere zu handeln.

Mit einem Mal blieb Bajo stehen. Eine große Schlange lag quer über den Pfad; ihre Enden waren im hohen Gras nicht zu sehen. Die Schlange rührte sich keinen Zentimeter. Bajo stieg vorsichtig über sie. Ich folgte ihm. Die Hitze setzte uns immer mehr zu. Wir benötigten nun dringend Wasser. Als es Mittag wurde, nach mehr als vier Stunden Marsch, erreichten wir einen hohen Gitterzaun. Dahinter standen Wachtürme auf Stelzen. Es war ein Stützpunkt der Küstenwache.

„Bajo, ich glaube, wir müssen uns stellen“, sagte ich.

Er schüttelte wortlos den Kopf und ging weiter. Was sollte ich tun? Ich überlegte kurz, folgte ihm dann aber. Es wurde immer beschwerlicher. Ich spürte, wie die Zunge in meinem Mund anschwoll. Wir gingen weiter und weiter, und die Sonne stand bereits tief, als Bajo einsah, dass unsere Situation keinen Ausweg kannte. Zügig marschierten wir zurück in Richtung des Camps.

Anscheinend erwartete man uns bereits, denn das Gittertor öffnete sich wie von Geisterhand. Uniformierte empfingen uns mit Maschinenpistolen. Wir wurden in ein Gebäude geführt und verhört. Ich meldete ein dringendes Bedürfnis an, worauf mich ein Marinesoldat zur Toilette begleitete. Die Tür musste offen bleiben. Ich sah ihn gequält an, und immerhin ließ er die Waffe sinken. Warum man uns als Sicherheitsrisiko einstufte, erfuhren wir später. Die Christina Bischoff war Monate zuvor Häfen in Bulgarien, Rumänien und vor allem in der UdSSR angelaufen. Der Kalte Krieg befand sich in einer intensiven Phase, und es bestand der Verdacht, dass es sich bei uns um Agenten des Ostblocks handeln konnte.

Wer sonst war so verrückt, in den Mississippi zu springen?

In Handschellen band man uns zusammen und fuhr uns mit einem Boot zu einem Steg, an dem wir in ein Polizeiauto umstiegen. Das Tor des Staatsgefängnisses von Miami öffnete sich. Barfuß stand ich in dem Raum, in dem die Gefangenen registriert wurden; ein kühles Zimmer ohne Sitzgelegenheit. Ich trug die Jeans, die sich wie harte Röhren anfühlte, und ein T-Shirt, das weiß gewesen war. Mein Körper war von Insektenstichen übersät und von der Sonne verbrannt. Meine Augen waren verquollen, die Knöchel der Hände und die Ellenbogen blutig eingerissen und von den angeschwollenen Lippen hingen Hautfetzen. Meine blonden Haare erinnerten an Stroh. Meine Kopfhaut juckte fürchterlich. Meine Kniekehlen waren aufgescheuert. Jeder Schritt schmerzte.

Zwei Wachleute mit Pistolen am Gürtel befahlen uns, die Kleidung auszuziehen. Danach schob man uns durch ein Eisenschott in den nächsten Raum. Die Tür schloss sich hinter uns. Hier bekamen wir einen „Blaumann“ aus Jeansstoff. Mein Sträflingsanzug wies einen langen Riss auf der rechten Poseite auf. Unterwäsche gab es nicht. Der Anzug erschien mir im Gegensatz zu meinen Jeans wunderbar weich.

Ein Stahlschott wurde geöffnet. Auf der anderen Seite befanden sich die Zellen der Gefangenen. Links ein Gemeinschaftsraum, mit Tischen und Stühlen, die im Boden verschraubt waren. Eine Toilette und eine Dusche, beides offen, befanden sich in der Mitte. Rechts die Zellen. Knapp achtzig Leicht- und Schwerverbrecher waren hier untergebracht. Ich musste duschen. Die aufgerissene Haut brannte zwar etwas, doch das kalte Wasser empfand ich als Wohltat. Dass die anderen Gefangenen zusehen konnten, war mir egal. Auf dem Schiff waren wir Gemeinschaftswaschräume gewöhnt.

Ich war so müde. Gegen 20 Uhr brachte man uns in die Zelle, vier Kojen in einem Raum, an den Längsseiten in die Stahlwände geschweißt. Als Auflagen gab es dünne Matratzen. Weil die angrenzende Zelle identisch gebaut war, ließ sich nächtliches Schaukeln nicht vermeiden, sobald sich jemand auf dieser Konstruktion bewegte. Fühlte sich ein wenig an wie auf einem Schiff, doch das gefiel nicht jedem, wie die Flüche vermuten ließen.

Ich schlief tief und muss sagen, dass ich an diese Zeit diffuse Erinnerungen habe. Mir war im Schockzustand jedes Zeitgefühl verloren gegangen. Waren wir vielleicht sogar zwei Nächte lang in den Mangroven? Ich kann es nicht sagen. Nach unserem Aussehen müssen wir mehrere Tage im Busch zugebracht haben.

In meinen Träumen kämpfte ich noch lange um unseren Freund Peter. Die Träume begleiteten mich noch Jahrzehnte später. Immer wieder dieses Bild, wie er in der Tiefe verschwindet.

Im Gefängnis ließ man uns in Ruhe. Womöglich war das Gerücht, dass es sich bei uns um gefährliche Ostagenten handelte, bis in den Knast vorgedrungen. Wir wurden schnell in den Knastalltag eingeweiht. Klopapier zum Beispiel, ein kostbares Gut. Es wurde sehr zögerlich und in geringer Menge erst nach einer Vereinbarung vom „Herrscher“ über alle Sanitärartikel gereicht.

Die Soldaten der Küstenwache hatten uns freundlicherweise einige Schachteln Zigaretten überlassen. Die Kippen wurden uns sofort aus den Händen genommen, die kleinsten Reste Tabak herausgeschüttelt und sorgfältig aufgehoben. Wir sahen später, dass Häftlinge diese Reste in Zeitungspapier drehten und in Tüten rauchten. Gabel oder Messer gab es natürlich nicht; wir nutzten abgebrochene Plastiklöffel. Das Essen war nicht grade üppig, doch ich fühlte mich gut versorgt.

Einmal am Tag durften wir uns im Hof die Beine vertreten, zwischen den hohen Gefängnismauern. Ein Vertreter des deutschen Konsulats kam zu Besuch, der uns mitteilte, dass Peters Leichnam gefunden worden war. Wir identifizierten ihn anhand seiner persönlichen Dinge. Sehen durften wir ihn nicht. Der Mitarbeiter des Konsulats erklärte uns auch, dass gegen uns strafrechtlich nichts vorlag. Lediglich unsere Aufenthaltsgenehmigung, auf 21 Tage befristet, war abgelaufen. Wir hatten nichts verbrochen. Nächtliches Schwimmen im Mississippi ist nicht verboten, und das eigene Leben in Gefahr zu bringen, ebenfalls kein Verbrechen. Offenkundig ging es nur darum, auszuschließen, dass wir Ostblock-Spione waren.

Ich empfand kein Angstgefühl in diesen Tagen im Gefängnis von Miami. Mir war auf eine Art alles egal. Als ein grobschlächtiger Gefangener beim Hofgang mit der Hand eine schnelle Bewegung zur Kehle machte, um anzudeuten, dass er mir den Hals durchschneiden wollte, grinste ich ihn an. Er wandte sich dann ab.

Nach sieben Tagen öffnete sich das Tor zum Gemeinschaftsraum. „Bajoratis!“ „Froböse!“ Ein Raunen war zu hören, als wir den Raum verließen und in die Schleuse traten. Hier bekamen wir unser Zeug zurück und ich noch ein Hemd, Socken und Schuhe. Uns erwartete der Konsulatsangestellte mit einem Auto. Die Fahrt ging sofort in den Hafen. An der Pier lag die Bremen, ein Schiff des Norddeutschen Lloyd.

Der Stückgutfrachter lief sofort aus. Nach einigen Stunden wurden wir zum Kapitän gerufen. Uns wurde mitgeteilt, dass wir an Bord als Gefangene betrachtet wurden. Nach deutschem Recht galten wir als „Deserteure“. Uns wurde freigestellt, ob wir auf See arbeiten und Wachdienst leisten wollten; im Hafen würden wir im Deckhaus, welches als Krankenkammer eingerichtet war, unter Verschluss gehalten. Wir entschieden uns selbstverständlich für die Arbeit, gingen Wache und erwarben uns rasch die Achtung der Stammbesatzung. Heuer gab es keine, immerhin aber Zigaretten. Bier habe ich meistens abgelehnt, weil die Wachen mit Alkohol nicht vereinbar waren. Die Zwangspausen während der Hafenzeiten schadeten uns auch nicht. So konnten wir nicht wieder auf dumme Gedanken kommen.

Nach drei Wochen liefen wir in Hamburg ein. Beamte der Wasserschutzpolizei holten uns ab. Die erste Nacht verbrachten wir in der Hafenwache. Nach einem kurzen Verhör entließ man uns. Mein Stiefvater (mein leiblicher Vater war im Krieg im Jahr meiner Geburt auf einem U-Boot 1941 gefallen) holte uns mit seinem kleinen Fiat ab. Bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens durften wir nicht zur See fahren. In diesen sechs Wochen arbeiteten wir als Hilfsarbeiter auf dem Bau.

Bajo kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Ich wurde nicht einmal zum Prozess vorgeladen, weil ich noch minderjährig war. Wir mussten die Flugkosten unserer Ersatzleute bezahlen. Jeweils 3.500,- DM, damals ein Vermögen, das wir in Raten von monatlich 50,- DM abstotterten. Das nächste Schiff, auf das ich einstieg, war wieder ein „Tramper“, die Miranda. Mein weiteres Leben als Seemann „vor dem Mast“, wie es damals hieß, ging abenteuerlich weiter.

Mehrmals lief ich mit einem Schiff einen amerikanischen Hafen an, und jedes Mal wurde für mich ein Wachmann an der Gangway postiert. Wenn ich Hafenwache hatte und die Leinen kontrollierte, begleitete mich ein Bewaffneter in Uniform.

Das tragische Ereignis auf dem Mississippi vergrub ich in meinem Unterbewusstsein. Manchmal kommt es schmerzlich wieder an die Oberfläche. Ich frage mich dann: Haben wir wirklich „alles“ gemacht? Sind wir schuldig? Warum leben wir dann noch?

 

Fragen, die ich mir noch immer stelle und auf die ich keine Antworten finde.

Peter liegt auf einem Friedhof in New Orleans begraben. Einige Jahre später, während meines Nautikstudiums, besuchte mich sein Bruder. Er wollte wohl herausfinden, ob uns eine Mitschuld an Peters Tod traf. Wir redeten und redeten eine lange Nacht lang und tranken Whisky, bis die Flasche leer war. Ich sah und hörte nie wieder von ihm.


KAPITÄN DIETMAR FROBÖSE


Jahrgang 1941, machte nach der Matrosenausbildung seine nautischen Patente A5 und A6 an der Seefahrtsschule in Hamburg. Danach studierte er an der Hochschule für Wirtschaft und Politik, die er als Volkswirt verließ. In seiner Laufbahn war er u. a. für die Reederei Hapag-Lloyd als Poolreferent tätig und er arbeitete fast zwanzig Jahre lang für die Kutterfischer aus Finkenwerder, Bremerhaven und Cuxhaven. Von 2001 bis 2005 segelte er in seinem Boot um die Welt.

Mit Ankerherz kam Kapitän Froböse 2018 als Gast der „Skua-Tour“ in Kontakt, wie die Reise über den Nordatlantik nach Island heißt. An Bord erzählte er erstmals diese Geschichte. Dietmar Froböse lebt mit seiner Familie in der Nähe von Hamburg.

3 Broken sind schwere, quadratische Netze mit großen Augen an den vier Ecken, die zum Löschen der Ladung dienen.

NORDSEESTURM

NAME KAPITÄN MICHAEL NICOLAYSEN SCHIFF MOTORTANKER LENG SEEGEBIET NORDSEE DATUM KURZ VOR WEIHNACHTEN, 1988


Der Sturm hätte uns nicht mit solcher Stärke treffen sollen. Bis wir in seine Ausläufer gerieten, sollten wir längst im Windschutz der schottischen Küste sein und in Ruhe Weihnachten feiern können. So hatten es die Wetterberichte angekündigt und so hatte ich unsere Überfahrt anhand der eingegangenen Daten geplant.

Doch der Orkan hatte einen anderen Plan.

Er kam schneller, als von den Meteorologen vorhergesagt. Und er kam viel heftiger als prophezeit. Er hatte seine Route südlich verlagert und heulte über die Shetlands in Richtung Norwegen.

Meine Frau begleitete mich auf dieser Reise. Sie war auf die Brücke gekommen und saß Achterkante auf der Bank. Unser Schiff rollte und stampfte stark. Sie rutschte hin und her. Ich werde nie den Moment vergessen, als sie aufstand und nach vorne an die Scheibe trat.

„Mein Gott! Ich kann das Schiff nicht mehr sehen“, sagte sie. Eine weiße See rollte über das gesamte Schiff.

Sie begann, leise zu weinen.

Ich hatte keine Angst in diesen Stunden, wohl aber spürte ich einen Respekt. Eine Menge Respekt, die jeder Seemann vor der See und den Elementen haben sollte. Die Natur ist gewaltig und immer stärker als wir. Unser Schiff war der Motortanker Leng, 134 Meter lang, 19,20 Meter breit, mit der höchsten finnischen Eisklasse, also besonders robust gebaut. Im norwegischen Hafen Mongstad löschten wir am 20. Dezember 1988 unsere Ladung, als der erste Sturm durchzog.

Am späten Nachmittag, der Wind nahm rasch zu, mussten wir das Löschen unterbrechen. Die Pumpen wurden gestoppt, die Ventile des Manifold geschlossen und die Löschleitungen abgebaut. Die See baute sich im ungeschützten Hafenbecken immer weiter auf. Wir brachten aus Sicherheitsgründen zusätzliche Leinen aus. Im Laufe des späten Abends kam dennoch Bewegung ins Schiff. Durch die enorme Windkraft fuhr die Leng an der Pier auf und ab. Die ersten Leinen rissen. Wir hatten keine Zeit mehr, neu zu spleißen. Wir knoteten also Augen in die Leinen.

Die Maschine war besetzt. Mit Hilfe des Verstellpropellers und des Bugstrahlruders versuchte ich, das Schiff einigermaßen ruhig an der Pier zu halten. Gegen Morgen flaute der Sturm ab. Wir lagen wieder ruhig an der Pier, ganz so, als sei nichts geschehen. Wir setzten das Löschen unserer Ladung fort und legten ab. Gegen vier Uhr morgens erreichten wir die Lotsenstation.

Wir wussten, dass das nächste Tief aufzog, und hatten alle Maßnahmen zur Sicherheit ergriffen. Alles war von Deck geholt und verstaut worden. Die Schotten waren dicht und mehrfach überprüft worden und die Seeschlagblenden auf dem Hauptdeck angebracht. Im Aufbau hatte ich alles laschen und seefest zurren lassen. Die Ballasttanks waren geflutet; wir hatten damit Maximaltiefgang und keine freien Oberflächen in den Tanks. Unser nächstes Ziel lautete Grangemouth, ein Chemiehafen im Firth of Forth, Schottland.

Seit 1968 fahre ich zur See, seit ich als „Ferienfahrer“ auf einem Bananendampfer anheuerte. Auch um auszuprobieren, ob ich Seemann werden wollte. Das Kühlschiff fuhr von Hamburg nach Guayaquil in Ecuador.


Die Matrosen schärften mir ein: „Das ist ein gefährliches Pflaster! Moses, du gehst auf keinen Fall alleine an Land.“ Die Decksmannschaft musste noch die Luken zum Beladen vorbereiten, und so fand ich niemanden, der mich begleiten konnte. Nach dem Frühstück war die Neugierde zu groß. Ich stieg um kurz nach halb neun auf eine der Barkassen, die Seeleute von den Schiffen auf Reede an Land brachten, und sah mich im alten Teil der Stadt um. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen, zum ersten Mal Südamerika. Ich kam mir ein wenig wie der Entdecker Kolumbus vor: ein kleiner Deckjunge, weißes Hemd, weiße Hose, eine Kamera um den Hals, Armbanduhr am Handgelenk, einen Geldbeutel in der Tasche.

Mein Spaziergang durch das Viertel dauerte nicht lange. Ich wurde von einer Gruppe Jugendlicher umringt und spürte die Spitze eines Messers im Rücken. Ich war Kamera, Armbanduhr und Geldbeutel los. Zum Glück hatte sich Kolumbus, der Entdecker, das Ticket für die Barkasse in die Brusttasche des Hemdes gesteckt. Um kurz nach zehn Uhr schlich ich zurück an Bord, zur Schadenfreude der Matrosen. Sie verspotteten mich, denn sie hatten ja vorhergesagt, wie der Landgang für mich enden würde. Ich schämte mich, die Tränen liefen, und ich schloss mich in meiner Kammer ein. Es dauerte nicht lange, bis an die Tür gehämmert wurde. „Moses, komm raus!“ Für mich war das Kapitel Ecuador beendet, ich mochte nicht. „Siehst du jetzt zu, dass du rauskommst?“, riefen die Matrosen. Im Interesse einer harmonischen Heimreise folgte ich.

Es wurde ein wunderbarer Ausflug. Wir besichtigten eine alte Kirche und einen südamerikanischen Friedhof mit den überirdischen Gräbern. Nach dieser Sightseeing-Tour gingen wir essen. Zum ersten Mal in meinem Leben aß ich Shrimps und fand es köstlich. Hinterher ging es dann noch in die „Alte Anita Bar“, eine bekannte Seefahrerbar. Die Matrosen hielten mich frei. Sie wollten, dass ich die Reise in guter Erinnerung behalte. Sie haben mir einen Weg in die weite Welt gezeigt. Und eine Kameradschaft, wie ich sie immer wieder auf See erlebt habe. Auch deshalb mag ich meinen Beruf.

Nach dem Studium konnte ich als Dritter Offizier bei einer Tankerreederei anmustern. Und den Tankern blieb ich treu. Es ist ein anspruchsvoller Beruf. Auf allen Tankern, egal, welche flüssige Ladung transportiert wird, beschäftigt sich die gesamte Mannschaft immer mit der Ladung. Die Tanks müssen vor dem Beladen sauber sein. Ladungsreste müssen aus den Tanks, den Leitungen, Filtern und Entlüftungsmasten gewaschen werden. Die Ladungsrückstände und das Waschwasser werden in Sloptanks aufbewahrt und im nächsten Hafen entsorgt. Die Kontrollen sind engmaschig und sehr genau. Sollten wir beispielsweise Flugzeugkerosin laden, kam eine Spezialfirma zur Überprüfung der Tanks vor der Beladung an Bord. In den Tanks wurden mit Wattebauschen Proben an den Wänden genommen. Die kleinste Verunreinigung bedeutete mächtig Ärger und im schlimmsten Fall, dass ein anderes Schiff den Zuschlag bekam.

Während der Reisen wurde die Ladung sowie die Temperatur kontrolliert.

Damals musste alles noch per Hand und vielen Tabellen berechnet werden.

Auch dies mochte ich an meinem Beruf. Der größte Tanker, auf dem ich fuhr, hatte eine Länge von 325 Metern bei einer Breite von 49 Metern, der maximale Tiefgang betrug 22 Meter. Auf Tankern bin ich auf fast allen Weltmeeren gefahren.

Schlechtwetter gibt es überall, doch berüchtigt ist unter Seeleuten die Nordsee. Warum, das sollte ich mal auf dieser Reise mit der Leng erfahren. Als wir die Küste Norwegens verließen, setzte Schneetreiben ein, gefolgt von starkem Regen. Der Wind nahm immer weiter zu. Mit dem Leitenden Ingenieur und dem Ersten Offizier besprach ich, was zu tun war. Zur Sicherheit schalteten wir den Wellengenerator ab und schlossen die Hilfsdiesel ans Stromnetz an.

Der Sturm drehte immer weiter auf, als schiebe man den Regler einer großen Turbine immer weiter bis an den Anschlag. Das Barometer fiel auf 962 Millibar. Am frühen Abend maßen wir Orkanstärke 12. Die Sicht: null. Es war schwierig, den Bug im Chaos aus Wellen und Gischt auszumachen. In diesen Stunden hörten wir den lokalen Wetterbericht einer Ölplattform. Dort wurden Wellenhöhen von 23 Metern gemessen. Dies entspricht der Höhe eines Hauses mit acht Stockwerken. Solche Monsterwellen kommen öfters vor. Schottische Forscher haben auf der Bohrinsel „Draupner E“ innerhalb von zwölf Jahren 466 Riesenwellen registriert. In der Neujahrsnacht 1995 donnerte ein Wellenberg von 26 Metern Höhe unter der Bohrinsel durch.

Jetzt rollten die riesenhaften Seen in Abständen von knapp zweihundert Metern heran, was einem das Gefühl gab, in einem großen Aufzug unterwegs zu sein. Der Autopilot hatte in der schweren See große Probleme, den Kurs zu halten. Ich schaltete die Automatik ab und setzte einen Matrosen ans Ruder.

Weil ich auch die Maschinendrehzahl der See anpasste, setzte ich mich schließlich selbst ans Ruder. Unterstützt wurde ich von den Offizieren, unter anderem mit Kaffee. In solchen Situationen ist das ständige Auffüllen der Mug von entscheidender Wichtigkeit.

Mit langsamer Fahrt ging es die Wellen hinauf. Auf der Spitze stellte ich den Hebel auf „Null“, um mit möglichst wenig Fahrt ins Wellental einzutauchen. Bei einer zu hohen Geschwindigkeit besteht die Gefahr, dass der Steven nicht wieder hochkommt oder Schäden auf der Back entstehen. Um das Stampfen in der haushohen See zu reduzieren, kantete ich die Leng ein wenig an. So kam die See etwa zehn Grad von der Seite. Wir rollten zusätzlich noch ein wenig.

Höchste Konzentration. Höchste Anspannung. Immer die Kompassrose, den Umdrehungsanzeiger und das Radargerät im Blick, und dabei versuchen, irgendetwas voraus zu erkennen. Als Kapitän trägt man die Verantwortung für die Leben an Bord und selbstverständlich auch für das Schiff.

Wir haben es geschafft, auch durch diesen Sturm.

Den Heiligen Abend verbrachten wir im Firth of Forth. Bei ruhiger See, aber ohne Festtagsbraten. In der rauen See hatte der Schiffskoch die Zutaten nicht vorbereiten können.


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