Briefe über den Yoga

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II. Die Asuras

Die feindlichen Kräfte bestehen tatsächlich und sind der yogischen Erfahrung in Asien seit den Tagen des Veda und Zarathustra (den ägyptischen Mysterien und der Kabbala) und auch seit alten Zeiten in Europa bekannt. Diese Dinge können natürlich nicht gefühlt oder verstanden werden, solange man im gewöhnlichen Mental mit seinen Ideen und Wahrnehmungen lebt; denn dort gibt es nur zwei erkennbare Kategorien von Einflüssen, einmal die eigenen Ideen, Gefühle und Taten sowie die der anderen und dann die Einwirkung der Umgebung und der physischen Kräfte. Wenn man jedoch einmal zur inneren Anschauung der Dinge gelangt ist, sieht es anders aus. Man beginnt die Erfahrung zu machen, dass alles ein Wirken von Kräften ist, von Kräften der Prakriti, psychologischen und physischen, die mit unserer Natur spielen – und es sind bewusste Kräfte oder sie werden von einem Bewusstsein oder mehreren Arten von Bewusstsein hinter ihnen gestützt. Man steht inmitten eines großen universalen Wirkens und kann keinesfalls weiterhin alles als das Ergebnis der eigenen, alleinigen und selbständigen Persönlichkeit betrachten. Du hast selbst einmal geschrieben, dass deine Krisen der Verzweiflung usw. über dich gekommen wären, als hätte man sie auf dich geworfen, und dass sie sich selbst ausarbeiteten, ohne dass du in der Lage gewesen wärst, sie zu beherrschen oder ihnen ein Ende zu bereiten. Das bedeutet das Wirken von universalen Kräften und nicht etwa ein unabhängiges Wirken deiner eigenen Persönlichkeit – obwohl es tatsächlich etwas in deiner Natur gibt, wovon sie Gebrauch machen. Aus dem oben angeführten Grund aber bist du dir der Herkunft dieser Einmischung und dieses Druckes nicht bewusst. Jene, die die innere Schau auf der vitalen Ebene entwickelten, verfügen über eine reiche Erfahrung der feindlichen Kräfte. Dennoch brauchst du dich nicht selbst mit ihnen zu befassen, solange sie inkognito bleiben.

Auf der mentalen Ebene kann man Erfahrungen ohne dieses Wissen haben; denn dort herrschen der Verstand und die Idee, und man empfindet das Spiel der Kräfte nicht – nur im Vital vermag man es zu erkennen. Auf der Mental-Ebene manifestieren sie sich höchstens als mentale Suggestionen, nicht aber als konkrete Mächte. Wenn man diese Dinge nur mit dem Mental betrachtet, kann man zwar (auch wenn es das innere Mental wäre) das subtile Spiel der Naturkräfte erkennen, nicht aber die bewusste Absicht, die wir feindlich nennen.

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Es gibt zwei Arten von asuras – solche, die ihrem Ursprung nach göttlich sind, jedoch aufgrund ihres Eigenwillens und des Widerstandes gegen die Absicht des Göttlichen ihrer Gottheit verlustig gingen; von diesen spricht man in den Schriften der Hindus als den vormaligen oder früheren Göttern; sie können bekehrt werden, und tatsächlich ist ihre Wandlung für die höchsten Ziele des Universums notwendig. Der gewöhnliche asura aber ist nicht von dieser Art; er ist kein evolutionäres, sondern ein fixiertes Wesen und verkörpert ein fixiertes Prinzip der Schöpfung, das sich weder entfaltet noch wandelt – und von dem dies auch nicht erwartet wird. Diese asuras und auch die anderen feindlichen Wesen, rakshasas, pishachas u.a., gleichen den Teufeln der christlichen Tradition; sie widersetzen sich der göttlichen Absicht und dem evolutionären Ziel im menschlichen Wesen und ändern den inneren Zweck, für den sie bestehen – nämlich das Böse –, nicht; sie müssen daher wie das Böse vernichtet werden. Der asura hat keine Seele, kein seelisches Wesen, das sich in einen höheren Zustand entfaltet; er besitzt nur ein Ego, und meist ein sehr machtvolles Ego; er besitzt ein Mental, manchmal sogar ein hoch intellektualisiertes Mental; sein Denken und Fühlen hingegen sind grundlegend vital und nicht mental, sie dienen seinem Begehren und nicht der Wahrheit. Er ist eine Gestaltung, die das Lebens-Prinzip für eine bestimmte Art von Arbeit angenommen hat, er ist aber keine göttliche Gestaltung oder Seele.

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Asuras und rakshasas gehören nicht der Erd-Ebene, sondern überphysischen Welten an; sie beeinflussen jedoch das Erdenleben und machen die Herrschaft über das menschliche Dasein, den menschlichen Charakter und die menschliche Tat den Göttern streitig. Sie sind Mächte der Dunkelheit, die mit den Mächten des Lichtes ringen.

Manchmal ergreifen sie von den Menschen Besitz, um durch sie zu wirken, manchmal werden sie auch mit einem menschlichen Körper geboren. Sobald sie nicht länger im Spiel erforderlich sind, werden sie sich entweder wandeln oder sie werden verschwinden oder nicht mehr versuchen, sich in das Erdenspiel einzumischen.

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Tatsächlich sind die asuras die dunkle Seite der mentalen Ebene oder genauer des vitalen Mentals. Dieses Mental ist der eigentliche Bereich der asuras. Ihr hauptsächliches Charakteristikum ist egoistische Stärke und Kampf, die das höhere Gesetz nicht anerkennen. Der asura besitzt Selbstkontrolle, tapas und Intelligenz, doch all dies um seines Egos willen. Auf der niederen vitalen Ebene nennen wir die entsprechenden Formen rakshasas – sie verkörpern heftige Leidenschaften und Einflüsse. Es gibt auch noch andere Arten von Wesen auf der vitalen Ebene, die pishachas und pramathas genannt werden und sich mehr oder weniger im Physisch-Vitalen manifestieren.

Auf der physischen Ebene sind die korrespondierenden Formen dunkle Wesen, eher Kräfte als Wesen – das, was die Theosophen die Elementarwesen nennen. Sie sind keine ausgeprägt individualisierten Geschöpfe wie die rakshasas und asuras, sondern unwissende und dunkle Kräfte, die auf der feinen physischen Ebene wirken. Das, was wir im Sanskrit bhutas nennen, gehört zu dieser Klasse. Es gibt zwei Arten von Elementarwesen, die einen sind bösartig und die anderen nicht.

Es gibt keine asuras auf den höheren Ebenen, wo die Wahrheit herrscht, außer im vedischen Sinn – „das Göttliche in seiner [ursprünglichen] Stärke“. Die mentalen und vitalen asuras sind lediglich Abweichungen dieser Macht.

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Ja, bestimmte Arten von asuras sind sehr religiös, sehr fanatisch, was ihre Religion anbelangt, und sehr streng, was die Regeln des ethischen Verhaltens anbelangt. Andere hinwiederum sind genau das Gegenteil. Es gibt auch solche, die spirituelle Ideen, ohne an sie zu glauben, dazu benützen, um ihren Sinn zu entstellen und so den Sadhak zu täuschen. Es ist das, was Shakespeare den Teufel nennt, der die Bibel für seine Zwecke zitiert.

Gegenwärtig versuchen sie meist, die Dunkelheit und Schwäche der allerphysischsten mentalen, vitalen und stofflichen Teile aufzurühren, um den Fortschritt oder die Erfüllung der Sadhana zu verhindern.

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Die Gandharvas gehören der vitalen Ebene an, sie sind aber vitale Götter, keine asuras. Äußerlich sind viele asuras schön, es kann sogar Glanz oder Licht um sie sein. Die rakshasas und pishacas usw. dagegen sind abstoßend oder hässlich.

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Feindliche Kräfte. Der Zweck, dem sie in der Welt dienen, besteht darin, den Möglichkeiten des Unbewussten und der Unwissenheit eine volle Chance zu geben – denn die Welt ist dazu bestimmt, dass diese Möglichkeiten mit der supramentalen Harmonisierung als möglichem Ergebnis ausgearbeitet werden. Das Leben und die Arbeit, die sich hier im Ashram entwickeln, müssen sich mit dem Weltproblem auseinandersetzen und haben daher – es konnte nicht umgangen werden – dem Konflikt mit dem Wirken der feindlichen Mächte im menschlichen Wesen zu begegnen.

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Das Universum ist oder war bislang in seiner äußeren Erscheinung ein rohes und verschwenderisches Spiel mit dem Würfel des Zufalls, der zugunsten der dunklen Mächte, der Herren der Finsternis, der Falschheit, des Todes und des Leidens geprägt ist. Wir müssen es jedoch nehmen wie es ist und – sofern wir den Ausweg der alten Weisen ablehnen – versuchen zu siegen. Die spirituelle Erfahrung zeigt, dass sich im Hintergrund von all dem ein weiter Bereich des Gleichmuts, des Friedens, der Ruhe und der Freiheit befindet; wenn wir in diesen eintreten, können wir zu einem erkennenden Sehen gelangen und darauf hoffen, die siegende Macht zu erlangen.

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In einer evolutionären Welt ohne feindliche Kräfte gäbe es zwar noch die Unwissenheit, nicht aber die Verderbtheit in der Unwissenheit. Alles wäre eine Teil-Wahrheit, die zwar durch unvollkommene Instrumente wirkt, doch zum besten des jeweiligen Stadiums einer progressiven Manifestation.

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Dies sind keine feindlichen Kräfte, sondern einfach die Kräfte der gewöhnlichen Natur. Feindliche Kräfte sind jene, die alles zu verderben suchen, die sich im Aufruhr gegen das Göttliche befinden und sich dem Yoga widersetzen.

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Die geringeren Kräfte des Lichtes sind meist zu sehr darauf bedacht, die Wahrheit zu suchen, als dass sie deren Wirksamkeit zu ihrer Logik oder ihrem Gesetz machen würden – die feindlichen Kräfte sind zu pragmatisch, als dass sie sich um die Wahrheit kümmerten, sie wollen nur Erfolg. Was die höheren Kräfte anbelangt (zum Beispiel die des Obermentals), so sind sie zwar dynamisch und versuchen stets, Bewusstsein wirksam zu machen, sie bestehen aber auf Bewusstsein, während die feindlichen sich darum nicht kümmern; je unbewusster und je mehr du ihr automatisches Werkzeug bist, desto zufriedener sind sie, denn es ist die Unbewusstheit, die ihnen eine Chance gibt.

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Was den Kontakt mit der Welt und den feindlichen Kräften anbelangt, so ist dies natürlich immer eine der Hauptschwierigkeiten des Sadhaks, doch die Welt und die feindlichen Kräfte umzuwandeln, wäre eine zu große Aufgabe und die persönliche Umwandlung kann darauf nicht warten. Man hat zu lernen, in der Macht zu leben, so dass diese Dinge, diese beunruhigenden Elemente nicht eindringen können, oder aber, wenn sie eindringen, nicht zu stören vermögen; man hat weiterhin zu lernen, durch diese Macht derart geläutert und gestärkt zu sein, dass keine Reaktion mehr auf etwas Feindliches in einem stattfindet. Wenn eine schützende Hülle vorhanden ist, wenn die innere, läuternde Herabkunft kommt und als deren Ergebnis eine Festigung des höheren Bewusstseins im inneren Wesen und wenn dies schließlich selbst in den ganz äußeren, tätigen Teilen das alte unwissende Bewusstsein ersetzt, dann zählen die Welt und die feindlichen Kräfte nicht länger – zumindest nicht für die eigene Seele; es bleibt noch die größere Arbeit der nichtpersönlichen Art, in der man sich natürlich noch mit ihnen auseinandersetzen muss – dieser aber gilt im augenblicklichen Stadium nicht unser Hauptaugenmerk.

 

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Es sind die Bewegungen der niederen Natur, die geläutert werden. Die asuras werden so leicht nicht umgewandelt.

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Nicht viele asuras haben bislang Zeichen der Reue oder die Bereitschaft für Bekehrung gezeigt. Es ist nicht überraschend, dass sie in einer Welt der Unwissenheit so machtvoll sind, denn sie brauchen die Menschen nur zu überreden, dem vorhandenen Hang ihrer niederen Natur zu folgen, während das Göttliche immer zu Wandlung der Natur aufruft. Es ist nicht verwunderlich, dass der asura eine leichtere Aufgabe und einen spontaneren Erfolg hat. Dieser zeitweilige Erfolg aber ist für die Zukunft nicht bindend.

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Einige vitale Wesen sind sehr intelligent, doch schließen sie keine Freundschaft mit dem Licht – sie versuchen nur, Zerstörung zu vermeiden, und warten auf ihre Zeit.

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Die bösen Kräfte sind Entstellungen der Wahrheit durch die Unwissenheit – in jeder vollständigen Umwandlung müssen sie verschwinden und die Wahrheit hinter ihnen befreit werden. In diesem Sinne kann man sagen, dass sie durch Zerstörung umgewandelt werden.

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1 Dieser Brief wurde geschrieben, um gewisse Ausdrücke in dem Buch „Die Mutter“ zu erklären.

2 Maheshvari, Mahakali, Mahalakshmi, Mahasarasvati.

7. Kapitel
Der Sinn des Avatars
I. Abschnitt

Sicher, für das Erdbewusstsein ist die reine Tatsache der Manifestation des Göttlichen die größte aller Herrlichkeiten. Betrachte diese Finsternis hier und stelle dir vor, wie es wäre, wenn das Göttliche nicht unmittelbar eingreifen, wenn das Licht des Lichtes nicht aus dieser Finsternis hervorbrechen würde – und das ist der Sinn der [göttlichen] Manifestation.

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Eine Inkarnation ist das Göttliche Bewusstsein und Wesen, das sich durch einen Körper manifestiert. Sie ist von jeder Ebene aus möglich.

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Es ist das allgegenwärtige kosmische Göttliche, welches den Ablauf des Universums stützt; eine Inkarnation mindert nicht im geringsten die kosmische Gegenwart und das kosmische Wirken in den drei oder dreißig Millionen Universen.

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Die herabkommende Macht (avatar, das Göttliche, das sich in einem Menschen manifestiert) wählt selbst Ort, Körper und Zeit für ihre Manifestation.

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Der avatar wird gebraucht, wenn eine besondere Arbeit verrichtet werden muss, sowie in den Krisen der Evolution. Der avatar ist eine besondere Manifestation, sonst wirkt das Göttliche innerhalb der normalen menschlichen Grenzen als ein vibhuti.

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Der avatar hätte keine große Bedeutung, wenn er nicht mit der Evolution verbunden wäre. Die hinduistische Reihe der zehn avatare ist gleichsam in sich eine Parabel der Evolution. Zuerst der Fisch-avatar, dann das Amphibientier zwischen Land und Wasser [die Schildkröte], dann das Landtier [der Eber], dann der Mann-Löwe, der die Brücke zwischen Mensch und Tier schlägt, dann der Mensch als Zwerg, klein und unentwickelt und ganz physisch, doch die Gottheit in sich bergend und vom Dasein Besitz ergreifend; es folgen die rajasischen, sattvischen und nirguna-avatare [die unpersönlichen avatare], welche die menschliche Entwicklung vom vital-rajasischen zum sattvisch-mentalen Menschen und schließlich zum obermentalen Übermenschen führen. Krishna, Buddha, Kalki stellen die drei letzten Stadien dar, die Stadien der spirituellen Entwicklung – Krishna öffnet die Möglichkeit des Obermentals, Buddha versucht, zur höchsten Befreiung in das Jenseitige emporzuschießen – diese Befreiung jedoch ist noch negativ und wendet sich nicht zur Erde zurück, um die Evolution im positiven Sinn zu vollenden; Kalki gleicht dies aus, indem er das Königreich des Göttlichen auf die Erde bringen und die sich widersetzenden asurischen Kräfte vernichten wird. Das Fortschreiten ist deutlich und unwiderlegbar.

Was die Leben anbelangt, die zwischen den Leben der avatare liegen, so darf man nicht vergessen, dass Krishna von vielen Leben in der Vergangenheit spricht, nicht nur von einigen höchsten, und dass er, obgleich er sich als das Göttliche bezeichnet, an einer Stelle von sich als vibhuti spricht, vrsninam vasudevah. Wir können daher beinahe annehmen, dass er sich in vielen Leben als ein vibhuti manifestierte und das vollere Göttliche Bewusstsein verbarg. Wenn wir davon ausgehen, dass es das Ziel des avatars ist, die Evolution zu lenken, dann ist es durchaus verständlich, dass das Göttliche in den großen Übergangsstadien als avatar erscheint und als vibhuti, um die kleineren Übergange zu stützen.

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Die Obermental-Befreiung kann nicht die höchste sein, da es etwas darüber gibt – doch gibt es Befreiung als solche sogar schon im höheren Mental. Was jedoch die höchste Befreiung anbelangt, so ging ich von der buddhistischen und Advaita-Auffassung aus und stellte sie richtig, indem ich die nirvana-Anschauung als zu negativ bezeichnete. Krishna machte die Verwirklichung des Obermentals mit seiner statischen und dynamischen Seite möglich. Buddha versuchte, vom Mental über das nirvana zum Höchsten zu gelangen, genauso wie Shankara auf andere Weise nach ihm. Beide waren sich darin einig, die anderen Stadien zu überspringen und zu versuchen, ein namenloses und eigenschaftsloses Absolutes zu erreichen. Krishna dagegen blieb innerhalb des gewöhnlichen Verlaufs der Evolution. Der nächste übliche Schritt führt nicht zum eigenschaftslosen Absoluten, sondern zum Supramental. Ich vermute, dass Buddha und Shankara zu weit gingen und den Fehler machten, die dynamische Seite der Befreiung außer acht zu lassen. Daher muss die Richtigstellung durch Kalki kommen.

Ich behandelte natürlich die zehn avatare in der Form eines „Gleichnisses der Evolution“ und deutete sie unter diesem Gesichtspunkt. Es war nicht meine eigene Auffassung.

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Man sollte den Einzelheiten um Kalki keine zu große Wichtigkeit beimessen – sie sind eher symbolisch zu betrachten und nicht als Versuch, Einzelheiten der künftigen Geschichte zu prophezeien. Etwas, das kommen muss, wird zum Ausdruck gebracht, es wird jedoch nur symbolisch angedeutet – nichts sonst.

Ebenso sollte man auf die genauen Zahlen der yugas in den Puranas nicht zu viel Gewicht legen. Kala [die essentielle Zeit] und yuga [das Zeitalter] deuten die aufeinanderfolgenden Zeitspannen im zyklischen Kreislauf der Evolution an – vollkommener Zustand, Niedergang und Desintegration von einander folgenden Menschheitsaltern, denen ein neues Werden folgt –, die mathematischen Kalkulationen sind nicht das wichtige Element dabei. Die Behauptung, das Ende des Kali-Yuga sei bereits gekommen oder würde kommen und ein neues Satya-Yuga sei im Begriff anzubrechen, ist bekannt, und viele glauben daran.

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Ich ging von der Reihenfolge der avatare in den Puranas aus und deutete sie in Form einer Parabel der Evolution, um zu zeigen, dass die Idee der Evolution in der Lehre von den avataren unausgedrückt enthalten ist. Ob man Buddha als avatar anerkennt oder lieber andere an seine Stelle setzen würde (manchmal wird der Buddha durch Balarama ersetzt), ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Die buddhistischen Jatakas sind Legenden über die vergangenen Inkarnationen des Buddha; oft enthalten sie eine Lehre, sie sind aber kein Bestandteil der hinduistischen Überlieferung. Für die Buddhisten war Buddha ganz und gar kein avatar, er war die Seele, welche die Leiter der spirituellen Evolution emporklimmt, bis sie das letzte Stadium der Befreiung erreicht hat; durch den hinduistischen Einfluss entstand dann im Buddhismus die Vorstellung eines ewigen Buddha darüber – es war jedoch keine universale oder grundlegend buddhistische Idee. Die Frage, ob das Göttliche, wenn es seine Avatarschaft manifestiert, wählen kann, der Evolution von der niedersten Stufe an zu folgen und sich auf jeder Stufe als vibhuti zu manifestieren, braucht nicht unbedingt verneint zu werden. Wenn wir die evolutionäre Idee anerkennen, ist so etwas durchaus möglich.

Auch wenn sich die Lehre Buddhas von der Krishnas unterscheidet, bedeutet das nicht, dass sein Erscheinen in der spirituellen Evolution nicht erforderlich war. Die einzige Frage ist, ob es tatsächlich des Versuches bedurfte, die Höhen eines absoluten nirvana an der Verneinung des kosmischen Daseins zu messen, wenn man berücksichtigt, dass man den Höchsten zu erreichen vermag, indem man sowohl dem neti neti1 als auch dem iti iti-Weg2 folgt.

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Buddha bejahte praktisch etwas Nicht-Erkennbares, etwas Bleibendes und Nichtmanifestes. Der Advaita tut das gleiche. Buddha sagte niemals, dass er der avatar eines persönlichen Gottes, sondern dass er der Buddha sei. Die Hindus waren es, die ihn zu einem avatar machten. Hätte sich der Buddha überhaupt als avatar betrachtet, dann als der avatar der unpersönlichen Wahrheit.

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Es ist mir nicht bekannt, dass es, historisch betrachtet, noch einen anderen Buddha gegeben haben könnte. Es sind, glaube ich, die Vaishnava-Puranas, in denen die Reihenfolge der avatare festgelegt ist, denn es sind gemäß dem Purana alles Vishnu-avatare. Die letzte und allgemeine Anerkennung mag nach Shankaras Lebzeiten stattgefunden haben, als die buddhistisch-brahmanische Kontroverse nicht mehr aktuell war. Eine gewisse Zeit bestand die Tendenz, Balaramas Name an die Stelle desjenigen von Buddha zu setzen oder zu erklären, dass der Buddha ein avatar Vishnus wäre, dass er aber gekommen sei, um die asuras zu täuschen. In der Geschichte von Mayamoha im Vishnu-Purana wird ganz offensichtlich auf ihn angespielt.

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Wenn ein Göttliches Bewusstsein und eine Göttliche Kraft herabkamen und durch die Persönlichkeit, die wir Buddha nennen, ein großes Werk für die Welt verrichteten, dann kann der Buddha ein avatar genannt werden – seine tapasya und das Erlangen der Erkenntnis sind nur ein Nebenumstand der Manifestation.

Wenn andererseits der Buddha nur ein menschliches Wesen war wie viele andere auch, die einiges Wissen erlangten und es verkündeten, dann war er kein avatar – denn solche gab es Tausende, und sie können nicht alle avatare gewesen sein.

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Krishna ist nicht das supramentale Licht. Die Herabkunft Krishnas ist als die Herabkunft der Obermental-Gottheit zu sehen, wodurch, wenn auch nicht unmittelbar, die Herabkunft des Supramentals und des Ananda vorbereitet wurde. Krishna ist der Anandamaya; er stützt die Evolution durch das Obermental und führt sie dem Ananda entgegen.

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Man kann das Haupt einer spirituellen Organisation oder der Messias einer Religion oder ein avatar sein, ohne in diesem Leben das Supramental oder etwas jenseits davon zu erreichen.

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Yuge, yuge3 kann in einem allgemeinen Sinn gebraucht werden, so wie es sich im Englischen „von Zeitalter zu Zeitalter“ ausdrückt, und braucht sich technisch nicht auf das festgelegte yuga der puranischen Berechnung zu beziehen. Doch in bahuni4 kommt etwas zum Ausdruck, das sich auf sehr viele Leben bezieht, besonders wenn es mit tava ca verbunden ist. Dann allerdings können die vielen Leben nicht alle volle Inkarnationen gewesen sein – viele waren vielleicht nur vibhuti-Leben, die eine Inkarnation mit einer anderen verbunden haben. Darüber, ob ihn Arjuna tatsächlich in jedem Leben begleitete, wird nichts gesagt, doch dürfte es unwahrscheinlich sein – in vielen vielleicht.

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Jedes Wesen schafft sich in einem neuen Dasein ein neues Mental, Leben (Vital) und einen neuen Körper – andernfalls wäre John Smith immer John Smith und hätte keine Möglichkeit, Piyusha Kantu Ghose zu werden. Natürlich sind innerlich die alten Persönlichkeiten vorhanden, die zu dem neuen Leben beitragen – doch ich meine die neue, sichtbare Persönlichkeit, den äußeren Menschen, mental, vital, physisch. Das seelische Wesen ist es, das die Verbindung von Leben zu Leben aufrechterhält und die gleiche Person immer wieder manifestiert. Daher kann man auch annehmen, dass sich der avatar jedes mal eine neue Persönlichkeit schafft, eine Persönlichkeit, die der anderen Zeit, Arbeit und Umgebung angepasst ist. Ich bin jedoch der Meinung, dass die neue Persönlichkeit eine Reihe von avatar-Leben hinter sich hat, Leben, die der dazwischenliegenden Evolution folgten und sie von Zeitalter zu Zeitalter stützten.

 

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Ich vermute, nur sehr wenige Menschen erkannten in Krishna den avatar – ganz sicher war es kein allgemeines Erkennen. Zu den wenigen braucht man die, die ihm am nächsten standen, nicht zu zählen, denn es waren keine sehr bedeutenden Menschen, wie Vidura usw.

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Die Menschen um Krishna waren offenbar die gleichen wie andere auch. Sie sprachen und handelten wie Menschen unter Menschen und wurden von niemandem als Götter betrachtet. Krishna selbst wurde von den meisten als Mensch angesehen – nur wenige verehrten ihn als das Göttliche.

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Ein avatar ist, allgemein gesprochen, jemand, der sich der Gegenwart und Macht des ihm eingeborenen oder in ihn herabgekommenen Göttlichen bewusst ist, das von innen seinen Willen, sein Leben und sein Tun beherrscht; er fühlt sich innerlich mit dieser göttlichen Macht und Gegenwart identifiziert.

Ein vibhuti verkörpert eine Macht des Göttlichen und ist durch sie fähig, mit großer Kraft in der Welt zu wirken, doch ist sonst nichts notwendig, um ihn zu einem vibhuti zu machen: seine Macht mag sehr groß sein, sein Bewusstsein jedoch ist nicht das einer eingeborenen oder innewohnenden Göttlichkeit. Dies ist die Unterscheidung, wie sie die Gita macht, welche die größte Zuständigkeit auf diesem Gebiet besitzt. Wenn wir diese Unterscheidung anerkennen, können wir den Berichten zufolge behaupten, dass Rama und Krishna avatare waren; Buddha figurierte als solcher, aber mit einem unpersönlicheren Bewusstsein der Macht in ihm. Ramakrishna meinte das gleiche Bewusstsein, wenn er von Ihm sprach, der Rama oder Krishna in ihm war. Chaitanyas Fall aber liegt anders: denn den Berichten zufolge fühlte und erklärte er sich gewöhnlich als bhakta Krishnas und als nichts sonst; in seinen großen Augenblicken jedoch manifestierte er Krishna, sein Mental und sein Körper leuchteten und er wurde Krishna selbst, der als Gott sprach und handelte. Seine Zeitgenossen sahen in ihm einen avatar Krishnas, eine Manifestation der Göttlichen Liebe.

Shankara und Vivekananda waren mit Sicherheit vibhutis, höher können sie nicht eingeschätzt werden, wenngleich sie sehr große vibhutis waren.

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Es war nicht meine Absicht, Chaitanyas Stellung als avatar Krishnas und der Göttlichen Liebe irgendwie in Frage zu stellen. Diese Eigenart der Manifestation geht sehr deutlich aus allen Berichten über ihn hervor, und auch wenn man gelten lässt, was über das zeitweilige Erscheinen Krishnas in ihm berichtet wird, ist dieses Hervorbrechen des göttlichen Glanzes etwas höchst Bemerkenswertes in der Geschichte der avatare. Was Sri Ramakrishna betrifft, so war die Manifestation in ihm nicht derart intensiv, doch vielseitiger; glücklicherweise ist die Authentizität der Einzelheiten seiner Gespräche und seines Wirkens unanfechtbar, da sie täglich von einem so vertrauenswürdigen Beobachter, wie es Mahendra Gupta war, niedergeschrieben wurden. Ich möchte zwischen diesen beiden großen spirituellen Persönlichkeiten keinen Vergleich anstellen, beide übten einen außergewöhnlichen Einfluss aus und taten Größtes in ihrem Bereich.

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Ramakrishna schrieb niemals eine Autobiographie – was er sagte war in Form einer Unterhaltung mit seinen Jüngern und anderen. Doch mit Bestimmtheit war er mindestens ebenso sehr ein avatar wie Christus oder Chaitanya.

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Mohammed würde von sich aus die Vorstellung, ein avatar zu sein, abgelehnt haben, daher müssen wir ihn als den Propheten, das Instrument, den vibhuti betrachten. Christus verwirklichte sich als der Sohn, der eins mit dem Vater ist – er muss daher ein amsavatara, eine Teilinkarnation gewesen sein.

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Leonardo da Vinci enthielt in sich das neue Zeitalter Europas in seiner ganzen Vielseitigkeit. Die Frage einer Avatarschaft oder des Bewusstseins einer Herabkunft oder des Drucks spiritueller Kräfte erhob sich bei ihm nicht. Mystizismus gehörte nicht zu dem, was er zu manifestieren hatte.

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