Briefe über den Yoga

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In dieser Entwicklung gibt es Stadien, und die gesamte Wahrheit kann erst erkannt werden, wenn diese alle durchlaufen sind und das endgültige erreicht ist. Das Stadium, in dem du dich befindest, ist eines, in dem eine Verwirklichung des Selbstes sich abzuzeichnen beginnt, jenes Selbst, das frei ist von jeder Verkörperung und für sein immerwährendes Dasein unabhängig von ihr. Daher ist es etwas ganz natürliches, dass du die Verkörperung als ziemlich untergeordnet und – wie Jeans das Erdenleben – als beinahe zufällig empfindest. Dieses Stadium hielt der Mayavadin für ein endgültiges, und aus diesem Grund sah er die Welt als Illusion an. Doch dies ist nur eine Station auf unserer Reise. Jenseits dieses Selbstes, das statisch, abgesondert und formlos ist, gibt es ein größeres Bewusstsein, in dem das Schweigen und die Kosmische Aktivität geeint sind, doch in einem anderen Wissen, als es diese eingeschlossene Unwissenheit des verkörperten menschlichen Wesens ist. Dieses Selbst ist nur ein Aspekt der Göttlichen Wirklichkeit. Sobald man jenes größere Bewusstsein erlangt hat, erscheinen einem das kosmische Dasein sowie Form und Leben und Mental nicht länger als zufällig, sondern erhalten ihren Sinn. Selbst dort gibt es zwei Stufen, das Obermental und das Supramental, und erst wenn man das letztere erreicht hat, kann die volle Wahrheit des Daseins für das Bewusstsein ganz und gar wirklich werden. Beobachte deine Erfahrung und wisse, dass sie ihren Wert hat, dass sie als ein Stadium unerlässlich ist, doch betrachte die Erfahrung eines bestimmten Stadiums nicht als endgültiges Wissen.

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Ich habe ihn [Bergson] nicht genug gelesen, um mich hinreichend äußern zu können. Soviel ich weiß, scheint er eine gewisse Erkenntnis der im Leben eingeschlossenen dynamisch-kreativen Intuition zu besitzen, doch nicht die wahre, überrationale Intuition von darüber. Sollte dies stimmen, dann ist seine Intuition, die er als das einzige Geheimnis der Dinge ansieht, lediglich eine zweitrangige Manifestation von etwas Transzendentem, das als solches nur die „Strahlen der Sonne“ ist [und nicht die Sonne selbst].

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Nein, [Bergsons „elan vital“] ist nicht supramental. Doch Bergsons „Intuition“ scheint eine Lebens-Intuition zu sein, die natürlich das Supramental ist, bruchstückhaft und modifiziert, um als Wissen im „Leben-in-der-Materie“ zu wirken. Ich kann dies nicht mit Bestimmtheit behaupten, doch ist dies der Eindruck, den ich hatte. Er [Bergson]sieht Bewusstsein (cit) nicht in seiner essentiellen Wahrheit, sondern als schöpferische Kraft – eine Art transzendenter Lebens-Energie, die in die Materie herabkommt und dort wirkt.

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[Elan-Vital:] Nicht Sachchidananda, sondern Chit-Shakti in der Verkleidung der Pranashakti. Bergson ist, glaube ich, Vitalist (im Gegensatz zu einem Materialisten einerseits und einem Idealisten andererseits) mit einer betonten Wahrnehmung der Zeit (in upanishadischen Zeiten erörterte man, ob Zeit nicht Brahman sei, und einige Schulen erhielten diese Idee aufrecht). Daher ist für ihn Brahman Bewusstseins-Kraft, Zeit-Kraft, Lebens-Kraft. Während er die letzten beiden deutlich sieht, scheint er das erstere, welches das Wahre hinter der Schöpfung ist, nur sehr verschwommen zu erkennen.

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Instinkt und Intuition, wie sie von ihm [Bergson] beschrieben werden, sind vital, doch ist es möglich, eine entsprechende mentale Intuition zu entwickeln – das ist es vermutlich, was er vorschlägt –, die nicht das Denken zur Grundlage hat, sondern eine Art mentalen, direkten Kontakt zu den Dingen. Dies ist nicht genau Mystizismus, doch ein erster Schritt darauf zu.

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Diese ungewöhnlichen Geschehnisse, die außerhalb des natürlichen Ablaufes der physischen Natur liegen, ereignen sich häufig in Indien und sind auch woanders nicht unbekannt; sie gleichen dem, was man in Europa das “Poltergeist-Phänomen“6 nennt. Wissenschaftler sprechen über solche anormalen Ereignisse nicht und denken auch nicht darüber nach, rümpfen nur die Nase oder beweisen, dass es sich um ganz einfache Kindertricks handelt, die vorgeben, übernatürliche Manifestationen zu sein.

Die wissenschaftlichen Gesetz geben nur eine schematische Darstellung des stofflichen Ablaufs in der Natur. Sie können als gültiges Schema benutzt werden, um nach Wunsch einen stofflichen Vorgang zu wiederholen oder auszudehnen, doch offensichtlich vermögen sie keine Darlegung der Sache selbst zu geben. Wasser ist zum Beispiel nicht nur eine Mischung aus Oxygen und Hydrogen, diese Kombination ist lediglich der Vorgang, der die Materialisation des neuen Dinges, Wasser genannt, möglich macht; was aber das neue Ding tatsächlich ist, ist eine andere Sache. Die Wirklichkeit besitzt verschiedene Ebenen der Substanz, grob, fein und feiner, die schließlich auf das zurückgeführt werden kann was die kausale Substanz genannt wird (karana). Was gröber ist, kann in den feinen Zustand reduziert und das Feine in den groben Zustand verwandelt werden; das ist Dematerialisation und Rematerialisation. Es sind okkulte Vorgänge, und sie werden im Allgemeinen als Magie angesehen. Meist weiß der Magier nicht von dem Warum und Wozu dessen, was er tut; er hat lediglich den Vorgang oder die Formel gelernt oder aber beherrscht Elementarwesen der feineren Zustände (oder Ebenen oder Welten), welche die Sache für ihn tun. Die Tibeter beschäftigen sich stark mit diesen okkulten Prozessen; wenn du die Bücher von Madame David-Neel liest, die in Tibet lebte, bekommst du eine Vorstellung von ihrer Geschicklichkeit in diesen Dingen. Die tibetischen Lamas verstehen aber ebenfalls etwas von den Gesetzen der okkulten (mentalen und vitalen) Energie und davon, wie diese veranlasst werden kann, auf physische Dinge einzuwirken. Das ist etwas, was die reine Magie überschreitet. Die direkte Machteinwirkung der Mental-Kraft oder der Lebens-Kraft auf die Materie kann in einem nahezu unbegrenzten Ausmaß ausgedehnt werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass Energie grundsätzlich auf allen Ebenen gleich ist und lediglich immer dichtere Formen annimmt, so dass es in der Mental-Energie oder der Lebens-Energie, die unmittelbar auf die stoffliche Energie oder Substanz einwirkt, nichts gibt, was a priori unmöglich ist; sie kann ein stoffliches Objekt veranlassen, Dinge zu tun, oder kann, besser gesagt, Dinge mit einem stofflichen Objekt tun, die für dieses Objekt in seinem gewöhnlichen Zustand oder gemäß seinem „Gesetz“ ungewöhnlich und daher scheinbar unmöglich wären.

Ich vermag nicht zu erkennen, wie kosmische Strahlen den Ursprung der Materie erklären sollen; das gleiche gilt für die Behauptung von Sir Oliver Lodge, dass das Leben auf Erden von einem anderen Planeten stammen würde; dies schiebt das Problem lediglich einen Schritt weiter zurück – denn wie entstehen kosmische Strahlen? Tatsache jedoch ist, dass Agni7 die Grundlage der Formen ist, wie es das Sankya-System vor langer Zeit darlegte, das heißt, dass das feurige Prinzip in den drei Mächten, strahlenförmig, elektrisch und gasförmig (die vedische Trinität Agnis), der Mittler für die Erzeugung flüssiger und fester Formen dessen ist, was Materie genannt wird.

Ganz offensichtlich vermag ein Laie diese Dinge nicht zustande zu bringen, außer er hat eine angeborene „seelische“ (das heißt okkulte) Fähigkeit, und selbst dann muss er das Gesetz der Sache studieren, bevor er es nach seinem Willen anwenden kann. Es besteht immer die Möglichkeit, spirituelle Kraft oder Mental-Macht oder Willens-Macht oder auch eine bestimmte Art vitaler Energie anzuwenden, um Auswirkungen in Menschen, in Dingen und Geschehnissen zu erzielen, doch ist Wissen und viel Übung erforderlich, bevor diese Möglichkeit aufhört, unbestimmt oder zufällig zu sein, und nach Wunsch und in Vollkommenheit angewandt werden kann. Selbst dann ist eine „Kontrolle über die gesamte stoffliche Welt“ ein zu großes unterfangen; eher ist eine örtliche oder teilweise Kontrolle oder sind in weiterem Sinne bestimmte Arten der Kontrolle über die Materie möglich.

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Der Wissenschaft zufolge ist die gesamte Welt nichts anderes als ein Spiel von Energie; sie wird allgemein als stoffliche Energie bezeichnet, doch bezweifelt man neuerdings, ob Materie, wissenschaftlich gesprochen, überhaupt existiert, es sei denn als Erscheinungsform von Energie. Dem Vedanta zufolge ist die gesamte Welt das Macht-Spiel einer spirituellen Wesenheit der Macht eines ursprünglichen Bewusstseins, sei es Maya oder Shakti, und das Ergebnis ist illusionär oder wirklich. In der Welt, soweit sie den Menschen betrifft, gewahren wir nur die Mental-Energie, die Lebens-Energie, die Energie in der Materie; doch es wird vermutet, dass es dahinter auch eine spirituelle Energie oder Kraft gibt, aus der jene hervorgehen. Alle Dinge sind in jedem Fall das Ergebnis einer Shakti, einer Energie oder Kraft. Es gibt kein Wirken ohne Kraft oder Energie, die dieses wirken verursacht und seine Folgen herbeiführt. Zudem ist alles, was keine Kraft hinter sich hat, entweder etwas Totes, Unwirkliches oder Untätiges und ohne Folgen. Wenn es nichts Derartiges wie spirituelles Bewusstsein gibt, kann der Yoga keine Wirklichkeit besitzen, und wenn es keine Yoga-Kraft, keine spirituelle Kraft, keine Yoga-Shakti gibt, kann es auch keine Wirksamkeit im Yoga geben. Ein Yoga-Bewusstsein oder ein spirituelles Bewusstsein, das keine Macht oder Kraft in sich hat, mag nicht gerade tot oder unwirklich sein, doch ist es offensichtlich etwas Lebloses ohne Wirkung oder Folgen. In gleicher Weise erhebt ein Mensch, der vorgibt, ein Yogi oder Guru zu sein, aber kein spirituelles Bewusstsein oder keine Macht in seinem spirituellen Bewusstsein besitzt – keine Yoga-Kraft oder spirituelle Kraft –, einen unrechtmäßigen Anspruch und ist entweder ein Scharlatan oder ein sich selbst betrügender Tor; und er ist es umso mehr, wenn er für sich in Anspruch nimmt, einen Pfad gebahnt zu haben, dem andere folgen können. Wenn Yoga Realität besitzen will und Spiritualität etwas anderes als Täuschung ist, dann muss es so etwas wie Yoga-Kraft oder spirituelle Kraft geben.

 

Insofern aber spirituelle Kraft existiert, muss sie offensichtlich dazu in der Lage sein, spirituelle Ergebnisse zu zeitigen, daher ist nichts Vernunftwidriges in dem Anspruch jener Sadhaks, die sagen, sie fühlten die Kraft des Gurus oder die Kraft des Göttlichen in sich wirken und sie zu spiritueller Erfüllung und Erfahrung führen. Ob es in einem besonderen Fall so ist oder nicht, ist eine persönliche Frage, doch die Äußerung kann nicht als in sich unglaubwürdig oder offensichtlich falsch bezeichnet werden, einfach mit der Begründung, dass es solche Dinge nicht geben kann. Und wenn es weiterhin wahr ist, dass spirituelle Kraft die ursprüngliche ist und die anderen Kräfte sich davon ableiten, dann liegt wiederum nichts Vernunftwidriges in der Annahme, dass spirituelle Kraft mentale Ergebnisse, vitale Ergebnisse, physische Ergebnisse hervorbringen kann. Sie kann durch mentale, vitale oder physische Energien wirken und durch die Mittel, die diese Energien benutzen, oder sie kann direkt auf Mental, Leben oder die Materie als dem Bereich ihrer eigenen speziellen und unmittelbaren Tätigkeit einwirken. Jeder Weg ist prima facie möglich. Nimm als Beispiel die Heilung einer Krankheit. Jemand ist seit zwei Tagen krank, schwach, er leidet an Schmerzen und Fieber, nimmt keine Arznei, doch erbittet schließlich die Hilfe seines Gurus; am nächsten Morgen steht er auf, gesund, stark und voller Energie. Er hat zumindest einigen Grund zu glauben, dass eine Kraft angewandt wurde und auf ihn einwirkte und dass es eine spirituelle Kraft war. In einem anderen Fall aber mögen Arzneien eingenommen werden, während zur Unterstützung der stofflichen Mittel gleichzeitig die unsichtbare Kraft zu Hilfe gerufen wird; denn es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass Arzneien helfen können oder nicht und es darüber keine Gewissheit gibt. In diesem Fall bleibt es für einen Dritten (für einen, der weder die Kraft gebraucht noch der Arzt oder der Patient ist) ungewiss, ob der Patient durch die Arznei oder die spirituelle Kraft mit der Medizin als Instrument geheilt wurde. Beides ist möglich, und man kann nicht sagen, weil Arzneien verwendet werden, sei das Wirken einer spirituellen Kraft per se unglaubwürdig und offensichtlich unwahr. Es ist ebenfalls möglich, dass der Arzt eine Kraft in sich wirken fühlte, die ihn führte, oder erkennt, dass der Zustand seines Patienten sich mit einer Geschwindigkeit bessert, die medizinischer Erfahrung zufolge unglaubhaft ist. Auch der Patient mag die Kraft in sich wirken fühlen, die ihm Gesundheit, Energie und schnelle Heilung bringt. Derjenige, der die Kraft anwendet, kann die Ergebnisse beobachten und sehen, wie die Symptome, auf die er einwirkt, sich verringern und jene, auf die er nicht einwirkt, sich vergrößern, bis er auf sie einwirkt, worauf sie sofort verschwinden; oder er beobachtet, wie der Arzt seinen unausgesprochenen Vorschlägen gemäß arbeitet usw. usw., bis die Heilung schließlich erfolgt. (Andererseits mag er erkennen, dass Kräfte gegen die Heilung wirken, und daraus schließen, dass die spirituelle Kraft sich mit einem Rückzug oder unvollkommenen Erfolg zufrieden geben muss.) In jedem Fall können sowohl der Arzt als auch der Patient oder derjenige, der die Kraft anwendet, glauben, die Heilung sei zumindest teilweise oder überhaupt aufgrund der spirituellen Kraft erfolgt. Diese Erfahrung ist natürlich nur für die Beteiligten gültig, nicht für einen äußeren, rationalisierenden Beobachter. Doch letzterer hat logischerweise kein Recht zu behaupten, dass ihre Erfahrungen unglaubwürdig oder falsch seien.

Noch etwas. Daraus folgt nicht, dass spirituelle Kraft in jedem Fall erfolgreich sein muss oder aber, wenn sie erfolglos war, nicht existierte. Von keiner Kraft kann dies behauptet werden. Die Kraft des Feuers besteht darin zu brennen, doch gibt es Dinge, die nicht brennen; unter bestimmten Umständen verbrennen nicht einmal die Füße der Menschen, die barfuß über rotglühende Kohlen gehen. Das beweist nicht, dass Feuer nicht brennen kann oder dass es nichts Derartiges wie die Kraft des Feuers, Agni-Shakti, gibt.

Ich habe keine Zeit, mehr darüber zu schreiben. Es ist auch nicht notwendig. Mein Ziel war nicht nachzuweisen, dass man an spirituelle Kraft glauben muss, sondern dass der Glaube daran nicht notwendigerweise eine Täuschung ist und dass dieser Glaube sowohl rational als auch möglich sein kann.

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Die unsichtbare Kraft, die sichtbare Ergebnisse zeitigt, innerliche und äußerliche, ist der ganze Sinn yogischen Bewusstseins. Deine Feststellung, der Yoga bringe nur das Gefühl von Macht, ohne dass irgendein Ergebnis damit verbunden wäre, war wirklich sehr eigenartig. Wer wäre mit einer derartigen Halluzination zufrieden und würde sie Macht nennen? Hätten wir nicht tausendfache Erfahrungen gehabt, die zeigen, dass diese innere Macht fähig ist, das Mental zu verändern, dessen Fähigkeiten zu entwickeln, neue hinzuzufügen, neue Bereiche des Wissens zu öffnen, vitale Regungen zu meistern, den Charakter zu verändern, Menschen und Dinge zu beeinflussen, die Beschaffenheit und das Funktionieren des Körpers zu kontrollieren, als dynamische Kraft auf andere Kräfte einzuwirken und Ereignisse zu verändern usw. usw., würden wir nicht darüber sprechen, so wie wir es tun. Außerdem ist die Kraft nicht nur in ihren Ergebnissen fühlbar und konkret, sondern auch in ihren Bewegungen. Wenn ich davon spreche, die Kraft oder Macht zu fühlen, meine ich nicht, dass ich einfach eine undeutliche Empfindung von ihr habe, sondern dass ich sie konkret fühle und folglich in der Lage bin, sie zu lenken, zu handhaben, ihre Bewegung zu beobachten, dass ich mir ihres Ausmaßes und ihrer Intensität bewusst bin und gleichfalls derjenigen von anderen, vielleicht entgegengesetzten Kräften; all diese Dinge sind möglich und üblich durch die Entwicklung des Yoga.

Eine Macht kann nicht ohne Bedingungen und Einschränkungen wirken, es sei denn die supramentale Macht. Die Bedingungen und Einschränkungen, unter denen der Yoga oder die Sadhana erarbeitet werden müssen, sind nicht willkürlich oder unberechenbar; sie ergeben sich aus der Natur der Dinge. Diese und der Wille, die Empfangsbereitschaft, die Zustimmung, das Sich-Öffnen und die Hingabe des Sadhaks müssen von der Yoga-Kraft berücksichtigt werden – es sei denn, diese erhält die Sanktion des Höchsten, sich über alles hinwegzusetzen, um ein Geschehnis herbeizuführen; doch diese Sanktion wird selten erteilt. Allein wenn die supramentale Macht voll herabkäme und nicht nur ihre Einwirkungen durch das Obermental senden würde, können die Dinge ganz radikal jenem Ziel zugewandt werden; und auch die Sanktion würde dann erteilt. Denn das Gesetz der Wahrheit wäre am Werk und würde nicht ständig durch das Gesetz der Unwissenheit ausgeglichen.

Und dennoch, Yoga-Kraft ist immer fühlbar und konkret, so wie ich es beschrieben habe, und sie hat greifbare Ergebnisse. Doch sie ist unsichtbar und kann nicht mit einem erteilten Hieb verglichen werden oder mit dem Krachen eines Autos bei einem Zusammenstoß, Dinge, welche die physischen Sinne sofort wahrnehmen können. Woher soll daher das rein physische Mental wissen, dass sie vorhanden und am Werk ist? Durch ihre Folgen? Doch woher soll es wissen, dass es die Folgen der Yoga-Kraft waren und nicht etwas anderes? An einem von zwei Vorgängen kann es sie erkennen. Entweder es erlaubt dem Bewusstsein, sich nach innen zu wenden, der inneren Dinge gewahr zu werden, an die Erfahrung des Unsichtbaren und Überphysischen zu glauben, um dann durch diese Erfahrung, durch das Sichtbarwerden neuer Fähigkeiten sich dieser Kräfte bewusst zu werden, ihre Wirkungsweise zu erkennen, ihnen zu folgen und sie zu benutzen – ebenso wie der Wissenschaftler die unsichtbaren Kräfte der Natur benutzt. Oder aber man muss Glauben haben, sich beobachten und öffnen – dann wird es [das physische Mental] zu erkennen beginnen, wie die Dinge sich ereignen, es wird bemerken, dass, sobald die Kraft gerufen wurde, sich nach einiger Zeit ein Ergebnis abzeichnet, dass sich dies öfter und öfter wiederholt, dass die Folgen klarer und deutlicher, häufiger und beständiger werden und sich das Gefühl und die Wahrnehmung der wirkenden Kraft verstärken – bis es zu einer täglichen, regelmäßigen, normalen und vollständigen Erfahrung wird. Dies sind die beiden hauptsächlichen Methoden, die eine innerlich, von innen nach außen wirkend, die andere äußerlich, von außen wirkend und die innere Kraft hervorrufend, bis sie durchdringt und im äußeren Bewusstsein sichtbar wird. Doch nichts kann geschehen, solange man auf der extrovertierten Haltung beharrt, auf dem äußeren Konkreten allein, und solange man sich weigert, ihm das innere Konkrete hinzuzufügen; oder wenn das physische Mental bei jedem Schritt den Tanz des Zweifels tanzt, der die entstehende Erfahrung sich nicht entwickeln lässt. Selbst der Wissenschaftler, der an einem neuen Experiment arbeitet, hätte nie Erfolg, wenn er seinem Mental eine derartige Verhaltensweise durchgehen ließe.

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Konkret? Was meinst du mit konkret? Spirituelle Kraft ist auf ihre eigene Weise konkret; sie kann eine Form annehmen (zum Beispiel wie ein Strom), die man wahrnimmt und ganz konkret auf ein bestimmtes Objekt senden kann.

So stellt sich die tatsächliche Macht dar, die spirituellem Bewusstsein innewohnt. Doch gibt es ebenfalls so etwas wie den gewollten Gebrauch einer feinen Kraft – diese kann spirituell, mental oder vital sein –, um ein bestimmtes Ergebnis an einem bestimmten Punkt in der Welt herbeizuführen. So wie es Wellen einer ungesehenen physischen Kraft gibt (kosmische Wellen usw.) oder Elektrizitätsströme, so gibt es Mental-Wellen, Gedankenströme, Emotions-Wellen – wie zum Beispiel Ärger, Sorge usw. –, die hinausgehen und andere beeinflussen, ohne dass diese wissen, woher sie kommen, oder dass sie überhaupt kommen; sie fühlen lediglich das Ergebnis. Einer, dessen okkulte oder innere Sinne wach sind, kann sie kommen und in sich eindringen fühlen. Gute und schlechte Einflüsse können sich auf diese Weise zeigen; dies kann unabsichtlich und auf natürliche Weise geschehen, doch ebenso kann willkürlicher Gebrauch davon gemacht werden. Es gibt auch eine gezielte Erzeugung von Kraft, sei es von spiritueller oder anderer Art. Auch kann ein starker Wille oder eine Idee angewandt werden, die unmittelbar wirken, ohne die äußere Tat, Rede oder eine andere Instrumentation zu Hilfe zu nehmen; diese wären in jenem Sinne nicht konkret, doch nichtsdestoweniger wirkungsvoll. Solche Dinge sind keine Phantastereien, Täuschungen oder Humbug, sondern wirkliche Phänomene.

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Die Tatsache, dass du die Kraft nicht fühlst, ist kein Beweis, dass sie nicht existiert. Auch die Dampfmaschine fühlt nicht die Kraft, die sie bewegt, und doch existiert die Kraft. Ein Mensch sei keine Dampfmaschine? Nun, er ist nur sehr wenig mehr, denn er ist sich nur einiger Blasen an der Oberfläche bewusst, die er sein „Selbst“ nennt, und er ist sich all der unterbewussten, unterschwelligen und überbewussten Kräfte, die ihn bewegen, durchaus nicht bewusst. (Diese Tatsache wird mehr und mehr durch die moderne Psychologie bestätigt, obwohl sich diese nur mit der niederen und nicht mit der höheren Kraft befasst – du solltest daher deine rationale Nase nicht über sie rümpfen.) Der Mensch macht viel intellektuelles und törichtes Wesen um die Resultate an der Oberfläche und schreibt sie alle seinem „edlen Selbst“ zu; dabei übersieht er die Tatsache, dass sein „edles Selbst“ für ihn tief hinter dem Schleier seines trübe funkelnden Verstandes und dem brodelnden Nebel seiner vitalen Gefühle, Emotionen, Impulse, Erregungen und Eindrücke verborgen ist. Daher ist dein Argument völlig absurd und nichtssagend. Unser Ziel ist es, die geheimen Kräfte aus ihrer Ummauerung heraus in das Freie zu bringen, sie herabstürzen und in Strömen fließen zu lassen, so dass wir nicht länger nur einige ihrer Schatten oder ihr Aufleuchten hinter dem Schleier flüchtig erblicken oder sie gar gänzlich eingeschlossen finden. Doch all dies auf einmal zu erwarten, ist eine anmaßende Forderung, die auf ungeduldige Unkenntnis und Unerfahrenheit hinweist. Wenn sie [die Kräfte] anfangs zu tröpfeln beginnen, reicht das aus, um den Glauben an ein künftiges Herabströmen zu rechtfertigen. Du gibst zu, dass du ein, zwei Mal eine Kraft herabkommen fühltest; das beweist, dass die Kraft da war und dass sie wirkt und nur dein mühseliges herkulisches Ringen daran schuld ist, dass du sie nicht fühlst. Dieses Tröpfeln gibt dir die Gewissheit, dass das Herabströmen möglich ist. Man muss nur weitergehen und sich durch seine Geduld das Herabströmen .verdienen oder aber, ohne es zu verdienen, sich treiben lassen, bis man es erhält. Im Yoga ist die Erfahrung als solche ein Versprechen und ein Vorgeschmack, doch sie verbirgt sich, bis die menschliche Natur für die Erfüllung bereit ist. Das ist etwas, was jedem Yogi vertraut ist, wenn er auf seine vergangenen Erfahrungen zurückblickt. Auf diese Weise musst du die kurzen Erscheinungen von Ananda betrachten, die du früher hattest. Es macht nichts, wenn du nicht die Zähigkeit eines Blutegels besitzt – Blutegel sind nicht der einzige Typ von Yogis. Wenn du dich nur irgendwie festklammern kannst oder etwas dich hält – das genügt!

 

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Von diesen Dingen sollte man nicht sprechen, sondern sie verborgen halten... Selbst in gewöhnlichen, nicht-spirituellen Dingen ist die Tätigkeit unsichtbarer oder subjektiver Kräfte dem Zweifel und der Diskussion ausgesetzt, durch die man keine substantielle Gewissheit erlangen kann, während die spirituelle Kraft sowohl in sich unsichtbar als auch in ihrer Tätigkeit unsichtbar ist. Es ist daher ein müßiger Versuch zu beweisen, dass dieser oder jener Erfolg der Auswirkung spiritueller Kraft zuzuschreiben ist. Jeder muss sich hierüber seine eigenen Ansichten bilden; denn wenn sie [die spirituelle Kraft] akzeptiert wird, kann es nicht aufgrund eines Beweises oder eines Argumentes sein, sondern allein als ein Ergebnis der Erfahrung, des Glaubens oder aufgrund jener Einsicht in das tiefere Herz oder den tieferen Verstand, die erkennt, was hinter den Erscheinungen steht. Spirituelles Bewusstsein will sich auf solche Weise nicht durchsetzen, es kann seine Wahrheit darlegen, doch nicht darum kämpfen, dass sie angenommen wird. Eine allgemeine und unpersönliche Wahrheit der spirituellen Kraft ist etwas anderes, doch bezweifle ich, ob die Zeit hierfür gekommen ist oder ob es durch den rein erwägenden Verstand begriffen werden würde.

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Wenn ich vom yogischen Standpunkt aus über diese Dinge schreibe, selbst auf logischer Grundlage, muss sich notwendigerweise vieles mit den gängigen Meinungen im Widerspruch befinden, zum Beispiel über Wunder oder über die Grenzen, die der Beurteilung durch die Sinne gesetzt sind usw. Ich habe es so gut wie möglich vermieden, über diese Dinge zu schreiben, da ich etwas darlegen müsste, das nicht verstanden werden kann, es sei denn, man würde es auf andere Tatsachen als jene der physischen Sinne oder des Verstandes beziehen. Ich müsste von Gesetzen und Kräften sprechen, die vom Verstand oder der Naturwissenschaft nicht anerkannt werden. In meinen öffentlichen Schriften und meinen Briefen an Sadhaks habe ich diese nicht erwähnt, da sie über das Fassungsvermögen des gewöhnlichen Wissens und das davon abhängige Verständnis hinausgehen. Diese Dinge sind einigen Menschen bekannt, doch sprechen sie meist nicht darüber, während die öffentliche Meinung dem, was bekannt ist, entweder gläubig oder ungläubig gegenübersteht, in beiden Fällen aber ohne Erfahrung und Wissen.

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Was du über deine Erfahrungen und Vorstellungen schreibst, sieht so aus, als ob sich lediglich die alten Gedanken und Bewegungen erheben – wie so oft –, um den geraden Weg der Sadhana zu behindern. Mentale Verwirklichungen und Ideen dieser Art sind bestenfalls Halbwahrheiten und häufig nicht einmal das; hat man einmal eine Sadhana aufgenommen, die das Mental überschreitet, ist es ein Fehler, solchen Ideen zu große Bedeutung beizumessen. Sie können durch falsche Anwendung leicht eine ergiebige Quelle des Irrtums werden.

Bei näherer Betrachtung deiner Vorstellungen wirst du ihre erhebliche Unzulänglichkeit erkennen. Zum Beispiel:

1. Materie ist jada [unbewusst] nur dem Anschein nach. Selbst die moderne Wissenschaft anerkennt, dass Materie lediglich in Tätigkeit befindliche Energie ist, und wir in Indien wissen, dass Energie die Kraft des tätigen Bewusstseins ist.

2. Prakriti in der stofflichen Welt scheint jada zu sein, doch ist auch dies nur scheinbar so. Prakriti ist in Wirklichkeit die bewusste Macht des Spirits.

3. Ein Herabbringen des Spirits in die Materie kann nicht zum laya, zur Auflösung in der jada Prakriti führen. Ein Herabkommen des Spirits kann allein ein Herabkommen des Lichts, des Bewusstseins und der Macht bedeuten, nicht das Anwachsen der Unbewusstheit und Trägheit, was man unter laya-jada versteht.

4. Der Spirit ist bereits in der Materie wie auch sonst überall; allein eine scheinbare Unbewusstheit an der Oberfläche oder ein involviertes Bewusstsein verhüllt seine Gegenwart. Was wir zu tun haben ist, die Materie zum spirituellen Bewusstsein zu erwecken, das in ihr verborgen ist.

5. Unser Ziel ist, das supramentale Bewusstsein, Licht und Energie, in die stoffliche Welt herabzubringen da allein auf diese Weise die stoffliche Welt wahrhaft umgewandelt werden kann.

Wenn zu irgendeiner Zeit Unbewusstheit und Trägheit wachsen, dann hat das seine Ursache im Widerstand der gewöhnlichen Natur gegen die spirituelle Wandlung. Doch findet dies meist deshalb statt, damit darauf eingewirkt, damit es eliminiert werden kann. Sobald man diesen Dingen erlaubt, sich zu verbergen, sich nicht zu erheben, wird die Schwierigkeit niemals aufgegriffen werden, und eine wirkliche Umwandlung kann nicht stattfinden.

Wenn es keine schöpferische Kraft in der stofflichen Energie gäbe, gäbe es kein stoffliches Universum. Materie ist nicht unbewusst oder ohne Dynamik, sondern eine involvierte Kraft und ein involviertes Bewusstsein wirken in ihr. Es ist das, was die Psychologen das Unbewusste nennen, von dem alles stammt – doch ist es nicht wirklich unbewusst.

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Es besteht keine Notwendigkeit, ein „die“ vor „Qualität“ zu setzen8; das würde den Sinn im Englischen verändern. Materie wird hier nicht als Qualität des Seins betrachtet, wie sie die Sinne wahrnehmen; das ergäbe, glaube ich, keinen Sinn. Sie wird vielmehr als Ergebnis einer bestimmten Macht und Tätigkeit des Bewusstseins betrachtet, das Formen seiner selbst der Sinnen-Wahrnehmung darbietet, und diese Qualität der Sinnen-Wahrnehmung gibt ihnen gleichsam die Erscheinungsform von Materie, das heißt einer gewissen, ihnen innewohnenden Substanz. In Wirklichkeit sind sie keine selbst-bestehenden substantiellen Objekte, sondern Formen des Bewusstseins. Der springende Punkt ist, dass es nichts Derartiges wie selbst-bestehende Materie gibt, wie sie von der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts dargestellt wurde.

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Du argumentierst entsprechend deinem sehr engen und begrenzten Sinnen-Bewusstsein und seinen ziemlich schwerfälligen Beziehungen zu den Ereignissen im stofflichen Raum. Was ist Raum letzten Endes anderes als eine Ausdehnung des bewussten Seins, in welcher die Bewusstseins-Kraft sich ihr eigenes Milieu errichtet? Auf der feinen physischen Ebene gibt es nicht nur eine, sondern viele Schichten von Bewusstsein, und jede bewegt sich in ihrem eigenen Sein, das heißt in ihrem eigenen Raum. Ich sagte, dass jede feine Ebene aus einer Anhäufung oder einer Serie von Welten besteht. Jeder Raum kann an jedem Punkt einen anderen treffen, ihn durchdringen oder mit ihm übereinstimmen; dementsprechend können an einem Punkt des Treffens oder der Übereinstimmung verschiedene feine Objekte das einnehmen, was wir ziemlich willkürlich den gleichen Raum nennen würden, und dennoch brauchen sie in keiner tatsächlichen Beziehung zueinander zu stehen. Wenn eine Beziehung hergestellt wird, geschieht dies durch das vielschichtige Bewusstsein des Sehenden, in dem der Treffpunkt, der sie herstellt, offenbar wird.