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Tagebuch des Verführers

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3. Juli. Sie hasst mich als Weib – sie fürchtet mich als begabtes Weib – und als tüchtiger Kopf – muss sie mich lieben. Ich habe diesen Streit jetzt in ihrer Seele hervorgerufen. Mein Stolz, mein Trotz, mein eisiger Spott, meine herzlose Ironie reizen sie – nicht aber zur Liebe; das nicht, derartige Gefühle hegt sie gewiss nicht, gegen mich gar nicht Wetteifern will sie mit mir. Sie beneidet die stolze Unabhängigkeit im Verhältnis zu den Menschen, die stolze Unabhängigkeit – die Freiheit der Araber in der Wüste. Mein Spott und meine Excentricität neutralisieren jede erotische Entladung. Gegen mich ist sie ziemlich aus sich herausgehend, da sie keinen Liebhaber in mir sieht. Sie fasst meine Hand, drückt sie, lacht und ist aufmerksam in streng griechischem Sinn zu mir. Wir verhalten uns nur zu einander wie zwei gute Köpfe. Hat der ironische Spötter sie lange genug unterhalten, dann folge ich dem Rat in dem alten Liede: Der Ritter breitet aus seinen Mantel so rot und bittet die Jungfrau, darauf zu sitzen. Aber ich breite nicht meinen Mantel aus, um mit ihr auf einem indirekten Rasen zu sitzen, sondern um mit ihr durch die Luft auf den Hügeln des Gedankens zu verschwinden. Oder ich nehme sie nicht mit, sondern stelle mich vor einen Gedanken hin, grüsse nach ihr mit der Hand und mache mich ihr unsichtbar. Ich werde ihr nur fassbar im Sausen des geflügelten Wortes und werde nicht wie Jehovah durch die Stimme vernehmbar, da ich, je mehr ich spreche, auch um so höher steige. Im kühnen Gedankenflug will sie mir dann folgen, sich auf Adlerschwingen emporheben. Doch ich bin nur einen Augenblick so, dann bin ich wieder kalt und trocken. Im jungfräulichen Erröten giebt es verschiedene Arten, ein grobes Rotwerden, wie es immer in den Romanen vorkommt, wo die Heldinnen »über und über« rot werden, und dann ein zarteres Rotwerden, die Morgenröte des Geistes, dies ist bei einem jungen Mädchen das Kostbarste. Das flüchtige Rotwerden, das einen glücklichen Gedanken begleitet, ist beim Mann schön, beim Jüngling schöner, beim Weib entzückend. Es ist ein auffliegender Blitz, ein wetterleuchtender Geist, beim Jüngling am schönsten, entzückend beim jungen Mädchen, weil ihre Jungfräulichkeit im reinsten Licht gezeigt wird. Wenn man älter wird, verschwindet dieses Rotwerden fast ganz.

Ich lese manchmal Cordelia etwas vor, Gleichgültiges meistens. Ich habe nämlich Eduard verständigt, dass man sich mit einem jungen Mädchen sehr angenehm in Verbindung setzen kann durch das Leihen von Büchern. Er hat auch dadurch viel erreicht, denn sie ist ihm für seine Aufmerksamkeit sehr verbunden. Den grössten Gewinn aber habe ich davon, da ich die Auswahl der Bücher bestimme. Ich habe dadurch ein schönes Observationsfeld gewonnen. Eduard bekommt die Bücher von mir, denn die Litteratur ist für ihn eine terra incognita; komme ich dann abends mit ihr zusammen, so nehme ich so nebenbei ein Buch, das da liegt, blättere darin, lese halblaut, und lobe Eduard wegen seiner Aufmerksamkeit. Gestern Abend nahm ich mir vor, mittels eines Versuches ihre Spannkraft zu prüfen. Ich war unschlüssig, sollte ich ihr von Eduard Schillers Gedichte leihen lassen, um dann wie zufällig Theklas Gesang herauszufinden, oder Bürgers Gedichte. Ich zog die letzteren vor, besonders seine Leonore, weil dieselbe trotz ihrer Schönheit doch etwas überspannt ist. Das Gedicht las ich dann mit grossem Pathos vor. Cordelia war davon bewegt, sie nähte rascher, als ob Wilhelm sie als Leonore abholen wolle. Ich schwieg, die Tante aber hatte, ohne besonders Anteil zu nehmen, zugehört, sie erschreckte sich weder vor einem lebenden, noch vor einem gestorbenen Wilhelm, versteht auch ausserdem das Deutsche nicht sehr gut, kam jedoch ganz in ihr Element, als ich ihr das hübschgebundene Buch zeigte und die Unterhaltung auf die Buchbinderei lenkte. Ich hatte den Zweck, den Eindruck des Pathetischen, den ich bei Cordelia hervorgerufen, sofort wieder zu verwischen. Es wurde ihr etwas bang, aber das Bangsein war keine Versuchung für sie, sondern kam nur etwas unheimlich über sie.

Mein Auge hat zum erstenmal heute auf ihr geruht. Schlaf könne die Lider so schwer machen, sagt man, dass sie sich schliessen. Vielleicht lag auch etwas Ähnliches in meinem Blick. Man schliesst das Auge und doch dunkle geheimnisvolle Kräfte regen sich dahinter. Sie weiss es nicht, dass ich sie betrachte, sie empfindet es, empfindet es im ganzen Körper. Man schliesst das Auge und es ist Nacht, aber es ist heller Tag drinnen.

Eduard muss jetzt fort. Er versucht es bis zum Äussersten zu bringen. Ich kann stündlich erwarten, er macht ihr eine Liebeserklärung. Niemand weiss das besser als ich, sein Eingeweihter, der ihn absichtlich in dieser Exaltation hält, um besser auf Cordelia zu wirken. Aber erlauben, ihr seine Liebe zu gestehen, das wäre zu weit gewagt. Ich weiss wohl, ihre Antwort würde ein »Nein« sein, doch damit wäre die Sache nicht abgemacht. Das würde ihm zu weh thun, und sein Leid könnte Cordelia bewegen und nachgiebig machen. Dadurch würde aber der Stolz Cordelia wahrscheinlich leiden, so viel reines Mitleid ist ungesund, und geschähe es, so wäre meine ganze Absicht mit Eduard verpfuscht. Zu Cordelia fängt meine Beziehung an dramatisch zu werden. Ich kann mich nicht länger nur beobachtend benehmen, sonst ginge der rechte Augenblick vorbei. Überrascht muss sie werden, das muss sein, dadurch komme ich auf den Platz, der mir gebührt. Will man überraschen, muss man auf der Hut sein, das, was in einem gewöhnlichen Fall überraschend wirkt, würde hier vielleicht nicht so auf sie wirken. So muss sie überrascht werden, dass das, was im ersten Augenblick als Grund zur Überraschung erscheint, etwas ganz Gewöhnliches ist. Es muss erst nach und nach sich zeigen, dass doch implicite etwas Überraschendes darin lag. Dies ist das Gesetz auch für alles Interessante, und dies wieder das Gesetz für all mein Thun und Lassen gegenüber Cordelia.

Suspendiert man einen Augenblick die Energie der betreffenden Donna, so macht man ihr es unmöglich zu handeln, abhängig ist dies davon, ob man gewöhnliche oder ungewöhnliche Mittel benützt. In der Erinnerung lebt mir noch ein dummdreister Versuch auf eine Dame aus vornehmer Familie. Vergebens war ich ihr längere Zeit im Geheimen gefolgt, um mit ihr auf interessante Art anzuknüpfen, da eines Mittags treffe ich sie auf der Strasse. Überzeugt war ich, sie kannte mich nicht, und sie wusste auch nicht, ob ich aus derselben Stadt war. Sie war allein, ich ging an ihr vorbei, und sah sie wehmütig an, fast glaube ich, ich hatte Thränen in den Augen. Ich zog meinen Hut vor ihr. Sie blieb stehen. Und ich sagte mit bewegter Stimme und schwermütigem Blick: Sie dürfen mir nicht zürnen, mein gnädigstes Fräulein, aber es ist eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Ihnen und einem Wesen, das ich mit ganzer Seele liebe, das aber weit von mir ist, und Sie müssen deshalb mein befremdendes Benehmen gütigst entschuldigen. – Natürlich glaubte sie, dass ich ein Schwärmer sei, etwas Schwärmerei hat ein junges Mädchen immer gern, besonders wenn sie zugleich fühlt, dass sie überlegen ist, und über einen lächeln darf. Wirklich, sie lächelte auch, es machte sie unbeschreiblich schön. Sie grüsste mich mit einer vornehmen Haltung und lächelte. Dann ging sie weiter und ich blieb ihr zwei Schritte nach. Nach einigen Tagen begegnete ich ihr wieder und erlaubte mir, sie zu grüssen. Sie sah mich freundlich lächelnd an. . . . Geduld ist eine kostbare Tugend, und wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Aber wie soll ich Cordelia überraschen? Soll ich einen erotischen Sturm erregen, und Bäume mit den Wurzeln ausreissen? Ich könnte versuchen, sie dadurch vom festen Grund und Boden zu stossen, und dabei ihre Leidenschaft durch heimliche Mittel an den Tag bringen. Unmöglich wäre das nicht. Es liesse sich machen. Man kann ein junges Mädchen durch ihre Leidenschaft zu allem bewegen. Aber es wäre ästhetisch unrichtig, und würde bei ihr die Richtung verfehlen, die ich bezwecke. Ich bin kein Freund von Schwindel und dieser Zustand ist nur zu empfehlen, wenn man es mit solchen jungen Mädchen zu thun hat, die nur dadurch poetischen Abglanz bekommen können. In diesem Fall geht einem leicht der eigentliche Genuss verloren, denn zu viel Verwirrung ist auch schädlich. In ein paar Zügen würde ich das einsaugen können, was mir jahrelang zu gut kommen könnte. Ja, was noch schlimmer ist, ich müsste bereuen, denn hätte ich die Besinnung nicht verloren, hätte ich reicher und voller gemessen können. In Exaltation darf ich Cordelia nicht geniessen.

Das Zweckmässigste wäre eine richtige Verlobung. Vielleicht wirkt es noch überraschender, wenn sie eine nüchterne Liebeserklärung zu hören bekommt und ich um ihre Hand anhalte, überraschender, als wenn sie einer glühenden Erklärung zuhört und den Dampf des von mir gereichten Trankes einsaugt, sich klopfenden Herzens eine Entführung vorstellt. Das Verdammte bei einer Verlobung ist aber das Ethische dabei. In Wissenschaft und Leben ist das Ethische immer das Langweilige. Welcher Gegensatz: Unter dem ästhetischen Himmel ist alles graziös, schön, flüchtig, aber kommt die Ethik angeschritten, so wird die Welt kahl, hässlich und unsagbar langweilig. Bei einer Verlobung ist im strengsten Sinne nur die Ehe die ethische Realität. Ihr bindendes Gesetz ist ex consensu gentium. Dies ist mir von äusserster Wichtigkeit. Das Ethische dabei würde gerade genug sein, um auf Cordelia den Eindruck zu hinterlassen, dass sie die Grenze des Gewöhnlichen überschritten hat, und doch wäre es wieder nicht zu ernst, um bedenkliche Erschütterungen zu befürchten. Vor dem Ethischen habe ich immer einen gewissen Respekt gehabt. Selbst nicht im Scherz, nie habe ich jungen Mädchen das Heiraten versprochen. Scheint es, ich thue es hier, so ist das nur eine scheinbare That, ich werde es so zu machen wissen, dass sie mich aller Verpflichtung wieder enthebt. Ein Versprechen zu geben, findet mein Ritterstolz verächtlich.

 

Es ist verächtlich, wenn ein Richter durch das Versprechen der Freiheit einen Verbrecher zum Bekenntnis bringen will. Ein Richter der Art giebt seine eigene Kraft und sein Talent auf. Es kommt noch der Umstand in meiner Praxis dazu, dass ich nur den Wunsch nach einem freien Geschenk im strengsten Sinn habe. Schlechte Verführer mögen solche Mittel anwenden, aber was erreichen sie denn? Wer nicht versteht, ein junges Mädchen in dem Grad unter seinen Zauber zu bringen, dass sie alles aus dem Gesicht verliert, nur nicht das, was man selbst will, dass sie sehen soll, wer nicht versteht, sich in dem Grad in ein junges Mädchen einzudichten, dass von ihm alles ausgeht, was erwünscht, der ist ein Stümper. Ich beneide ihn nicht um seinen Genuss. Ein solcher Mensch bleibt ein Stümper, mich kann man so nicht nennen. Ich bin ein Ästhetiker, ein Erotiker, der das Wesen, die Pointe der Liebe, erfasst hat, der an die Liebe glaubt, sie von Grund aus kennt und erlaube mir, die private Ansicht zu äussern, jede Liebesgeschichte darf höchstens ein halbes Jahr dauern, und dass eo ipso jedes Verhältnis aufhört, sobald man vom letzten genossen hat. Ich weiss das alles, und zugleich weiss ich, der höchste Liebesgenuss, der sich vorstellen lässt, ist: geliebt zu werden, über alles in der Welt geliebt zu werden. In ein Mädchen sich hineinzudichten, ist eine Kunst aber ein Meisterstück ist es, sich aus demselben wieder herauszudichten, letzteres aber hängt immer von dem ersteren ab.

Eins wäre ausserdem noch möglich. Wenn sich Eduard mit ihr verlobte, und ich der Freund des Hauses würde. Unbedingt würde Eduard mir vertrauen, da ja sein Glück mein Werk ist. Ich würde auf die Art versteckter sein. Doch es geht nicht. Aber ohne von ihrer Höhe herabzusinken, kann sie sich nicht mit Eduard verloben. Und meine Beziehung zu ihr würde dadurch mehr pikant als interessant werden. Bei einer Verlobung ist besonders die unendliche Prosa der Resonanzboden des Interesses. Im Wahlschen Haus fängt alles an, bedeutungsvoller zu scheinen. Man merkt deutlich, hinter den alltäglichen Formen bewegt sich ein heimliches Leben, und das muss bald in der passenden Form zum Ausdruck kommen. Das Wahlsche Haus bereitet sich auf eine Verlobung vor. Ein ganz oberflächlicher Beobachter ratet vielleicht, es wird aus mir und aus der Tante etwas. Bei einer solchen Ehe wäre am meisten einem kommenden Geschlecht durch die Verbreitung landwirtschaftlicher Wissenschaft genützt. Ich würde Cordelias Onkel werden. Ein Freund von Gedankenfreiheit bin ich wohl, aber dieser Gedanke wäre so absurd, ich habe nicht den Mut, ihn festzuhalten. Cordelia fürchtet von Eduard eine Liebeserklärung, und er hofft, eine solche entscheidet alles. Das wäre übrigens auch sicher. Ich erspare ihm aber lieber die unangenehmen Folgen eines solchen Schrittes und komme ihm zuvor. Ich hoffe, ich kann ihn jetzt bald fortschicken, er fängt wirklich an, mir im Weg zu sein. So träumend und liebestrunken kommt er mir vor, dass man beinahe fürchtet, er erhebt sich plötzlich wie ein Somnambule und gesteht der ganzen Gemeinde seine Liebe ein, und das mit einem so objektiven Gesicht, dass er sich nicht mal Cordelia zu nähern wagt. Ich warf ihm heute einen Blick zu. Wie ein Elefant jemand auf seinen Rüssel nimmt, so nahm ich ihn auf meine Augen, gross wie er war, und warf ihn hinter mich. Trotzdem er sitzen blieb, glaube ich doch, er hat es im ganzen Körper gespürt.

Cordelia ist nicht mehr so sicher zu mir, wie sie früher war. Früher näherte sie sich mir immer weiblich sicher, jetzt schwankt sie etwas. Dies hat aber nichts zu bedeuten, und schwer wäre es mir nicht, alles wieder ins alte Geleise zu bringen. Doch ich will das nicht. Eine Exploration noch und dann die Verlobung. Diese kann nicht viel Schwierigkeiten machen, Cordelia sagt aus lauter Überzeugung ja und die Tante fügt ein herzliches Amen bei. Sie wird ausser sich vor Freude über solch einen landwirtschaftlichen Schwiegersohn. Schwiegersohn! Alles hängt doch wie an einer Erbsenranke aneinander, wenn man sich auf dieses Gebiet wagt! Eigentlich werde ich dann nicht ihr Schwiegersohn, sondern ihr Neffe, oder richtiger, wenn Gott will, keines von beiden.

23. Juli. Heute erntete ich die Frucht eines Gerüchtes, das ich habe verbreiten lassen, nämlich, dass ich in ein junges Mädchen verliebt sei. Mit Eduards Hilfe ist es auch zu Cordelias Ohren gekommen. Sie ist neugierig, sie beobachtet mich, wagt aber nicht zu fragen. Und doch ist es ihr nicht unwichtig, Gewissheit zu bekommen, teils weil es ihr unwahrscheinlich, teils weil sie darin beinahe einen Vorboten für sich sehen würde. Denn könnte ein so kalter Spötter, wie ich, sich verlieben, würde sie es auch können, ohne sich schämen zu müssen. Heute leitete ich das Gespräch auf dies Thema. Ich traue es mir zu, eine Geschichte so zu erzählen, dass die Pointe nicht verloren geht, auch dass sie nicht zu früh kommt. Die Zuhörer in Spannung zu halten, durch Abweichungen episodischer Natur mich darüber zu vergewissern, welchen Ausgang sie wünschen, dass die Geschichte bekommen soll, über den Fortgang derselben irre zu führen, das ist meine Lust. Zweideutigkeiten zu gebrauchen, dass die Zuhörer nur in einer Weise das Erzählte auffassen, um dann plötzlich einzusehen, die Worte können auch anders verstanden werden, das ist meine Kunst. Wenn man Gelegenheit haben will, Beobachtungen nach einer gewissen Richtung hin anzustellen dann muss man eine Rede halten. Während eines Gespräches kann der, dem die Rede gilt, einem leichter ausweichen, er kann durch Fragen und Antworten leichter den Eindruck, den sie macht, verstecken. Mit feierlichem Ernst fing ich meine Rede an die Tante an: »Soll ich es dem Wohlwollen meiner Freunde oder der Bosheit meiner Feinde zuschreiben, wer hat nicht von dem einen oder dem andern zu viel?« Hier machte die Tante eine Bemerkung, die ich mit aller Macht zu verwischen suchte, um Cordelia, die horchte, in Spannung zu halten. Eine Spannung, die sie nicht auflösen konnte, da ich zu der Tante sprach, und meine Stimmung feierlich war. Ich fuhr fort: »Oder soll ich es einem Zufall zuschreiben, einem generatio aequivoca eines Gerüchtes (dieses Wort verstand Cordelia offenbar nicht, es verwirrte sie nur, besonders da ich eine falsche Betonung darauf legte, und zugleich eine listige Miene machte, als ob hier die Pointe läge), dass ich, der gewöhnt bin, versteckt vor der Welt zu leben, zu einem Gesprächstoff geworden bin, indem man behauptet, ich sei verlobt.« Cordelia erwartete scheinbar meine Erklärung über das Gesagte, und ich setzte fort: »Meine Freunde behaupten so, weil man es doch für ein grosses Glück halten muss, verliebt zu sein, (sie stutzte) meine Feinde, weil man es doch lächerlich finden muss, dass dieses Glück mir zu teil geworden ist (umgekehrte Wirkung), deswegen, weil nicht der geringste Grund dazu vorhanden ist, oder soll ich es dem generatio aequivoca des Gerüchtes zuschreiben, da das Ganze durch eines leeren Hirns gedankenlosen Umgang mit sich selbst entstand?« Die Tante beeilte sich mit weiblicher Neugier zu fragen, mit wem man es für gut befunden hätte, mich gerüchtweise zu verloben? Aber ich wies jede Frage dieser Art ab. Ich glaube, bei Cordelia hat diese ganze Geschichte nur beigetragen, Eduards Aktien um ein Paar Points steigen zu lassen. Der Augenblick der Entscheidung nähert sich. Ich könnte bei der Tante schriftlich um Cordelias Hand anhalten. Gewöhnlich macht man es so, als ob für das Herz das Schreiben natürlicher wäre als das Sprechen. Das Philisterhafte dabei würde mich beinahe zu dieser Art bestimmen, wenn dies überhaupt meine Handlungsweise wäre. Doch würde ich es wählen, entginge mir die eigentliche Überraschung und von der kann ich nicht gutwillig abstehen. – Ein Freund würde mir wahrscheinlich sagen: Überlege ihn Dir recht, den ernsten Schritt, den Du thun willst, der für Dein ganzes Leben und für das Glück eines anderen Wesens bestimmend ist. Ja, den Vorteil hätte man, wenn man einen Freund hätte. Einen Freund habe ich nicht. Ob es ein Vorteil ist, will ich nicht entscheiden; dass ich aber nicht von solchen Ratschlägen gepeinigt werde, das ist ein absoluter Vorteil. Übrigens, im strengsten Sinne des Wortes, ich habe die ganze Angelegenheit sehr überlegt.

An einer Verlobung hindert mich also nichts. Dass ich auf Freiersfüssen gehe, wer sieht mir das an; meine unbedeutende Person wird bald aufhören, eine Prosa zu sein und eine Partie werden, ja eine gute Partie, wird die Tante meinen. Am meisten bedauere ich bei der ganzen Geschichte die Tante, denn ihre Liebe zu mir ist eine reine, aufrichtige, ökonomische Liebe, und sie betet mich als ihr Ideal beinah an.

Wohl habe ich in meinem Leben viele Liebeserklärungen gemacht und doch hilft mir hier meine ganze Erfahrung nicht. Denn diese Erklärung muss ganz eigener Art sein. Vor allem muss ich mir klar machen, dass es eine fingierte Bewegung ist. Ich habe mehrere Versuche gemacht, um zu untersuchen, nach welcher Richtung hin ich am besten auftrete. Den Augenblick erotisch zu machen, wäre bedenklich, da dieses leicht die Erwartung von dem, was sich später entwickeln könnte, in sich schliessen könnte. Im Ernst es zu machen, wäre gefährlich – solcher Augenblick wäre für ein junges Mädchen von zu grosser Bedeutung, dass ihre ganze Seele sich darin fixieren kann, wie ein Sterbender in seinem letzten Willen. Es freundlich, halb komisch anzufangen, würde mit der Maske, die ich bis jetzt gebraucht habe, nicht harmonieren und auch nicht mit der neuen Maske, die ich jetzt zu tragen beabsichtige. Rasch und ironisch es thun, wäre zu viel gewagt. Wäre es mit mir wie mit allen anderen Menschen bei solcher Gelegenheit, wäre mir die Hauptsache, das eigene kleine Ich herauszulocken, das wäre die leichteste Sache der Welt. Freilich ist es wichtig für mich, aber nicht absolut wichtig. Denn trotzdem ich mir dies junge Mädchen ausgesucht habe, und trotzdem ich mein ganzes Interesse auf sie verwendet habe, giebt es doch Bedingungen, unter welchen ich ihr »Ja« nicht annehmen würde. Mir liegt absolut nichts daran, das junge Mädchen äusserlich zu besitzen, sondern sie künstlerisch zu gemessen. Der Anfang muss deshalb so künstlerisch als möglich sein. Der Anfang muss so vague als möglich sein, er muss alle Möglichkeiten in sich tragen. Wenn sie in mir gleich einen Betrüger sieht, dann fasst sie mich falsch auf, denn ich bin kein Betrüger in gewöhnlichem Sinn. Wenn sie in mir einen getreuen Liebhaber sieht, so fasst sie mich auch falsch auf. Es heisst, sich so halten, dass ihre Seele durch dieses Auftreten so wenig als möglich festgestellt wird. In einem Augenblick ist die Seele des jungen Mädchens prophetisch wie die eines Sterbenden. Dies muss verhindert werden. Meine liebenswürdige Cordelia! Ich betrüge Dich wegen etwas Schönem, aber ich kann nicht anders sein, ich will Dir dafür allen Ersatz geben. Der ganze Auftritt muss so unbedeutend als möglich gemacht werden, dass sie, wenn er gewesen ist, sie sich gar nicht klar zu machen vermag, was in diesem Verhältnis verborgen liegt. Die Unbegrenztheit von Möglichkeiten ist eben das Interessante. Ist sie im stande, etwas vorauszusehen, dann habe ich einen Fehler in meinem Auftreten begangen und das ganze Verhältnis verliert seine Bedeutung. Dass sie Ja sagen sollte, weil sie mich liebt, ist undenkbar, denn sie liebt mich ja gar nicht. Am besten wäre es, wenn ich aus der Verlobung statt eine Handlung ein Ereignis machen könnte, aus etwas was sie thut, etwas was ihr passiert, und wovon sie sagen muss: Gott weiss, wie es eigentlich zuging. –

31. Juli. Ich habe heute einen Liebesbrief für einen andern geschrieben. Erstens ist es recht interessant, sich so ganz in die Situation hineinzuversetzen, ohne dabei seine Gemütlichkeit preisgeben zu müssen. Ich zünde meine Pfeife an, höre dem Bericht zu und erhalte die Briefe, die sie schon geschrieben hat. Ich habe immer mit Sorgfalt studiert, wie ein junges Mädchen schreibt. Er sitzt wie eine verliebte Ratte dabei, liest mir ihre Briefe vor, während ich ihn mit lakonischen Zwischenreden unterbreche, und sage: sie versteht für sich zu reden, sie hat Empfindung, Geschmack, sie ist vorsichtig, gewiss hat sie schon früher geliebt u. s. w. Und ausserdem thue ich ein gutes Werk. Ich vereinige zwei junge Menschen, dann quittiere ich. Wenn ich ein Paar glücklich gemacht habe, suche ich mir ein Opfer dabei aus; ich mache zwei glücklich und höchstens eine unglücklich. Ehrlich bin ich und zuverlässig, nie habe ich die betrogen, die sich mir anvertrauten. Natürlich gewinne ich immer etwas dabei, aber das sind gesetzliche Sporteln. Und warum eigentlich giebt man mir so viel Vertrauen? Weil ich Lateinisch gelernt habe, fleissig studiere, und meine eigenen Angelegenheiten für mich behalte. Und weshalb sollte ich kein Vertrauen verdienen, ich missbrauche es nie.

2. August. Mein Augenblick war gekommen. Ich sah die Tante von weitem auf der Strasse und wusste, dass das Haus frei war. Eduard war auf dem Zollamt, ich konnte also ruhig annehmen, dass Cordelia allein zu Hause war. Und so war es. Cordelia war allein zu Hause und sass an ihrem Nähtisch. Ich habe die Familie nur selten vormittags besucht, deshalb wurde sie etwas affiziert, als sie mich sah. Beinahe wäre die Situation zu aufgeregt geworden. Sie hätte in dem Fall nicht Schuld gehabt, denn sie war rasch gefasst, nur mir machte sie trotz meines Panzers, den ich um mich gelegt hatte, einen unbeschreiblichen Eindruck. Sie war reizend in dem einfachen blaugestreiften Shirtingkleid, auf der Brust eine frischgepflückte Rose. Sie selber war eine frischgepflückte Blume, so frisch, als wäre sie eben erst erschienen. Und weiss jemand überhaupt, wo junge Mädchen die Nacht verbringen; im Land der Illusionen, denke ich, aber jeden Morgen kehren sie heim, und deshalb die jungfräuliche Frische. So jugendlich und doch gereift sah sie aus. Als wenn die Natur, die zärtliche reiche Mutter, sie eben aus ihrer Hand hingestellt hätte. Es war mir, als hätte ich diesem Abschied zugeschaut, und sah, wie jene liebevolle Mutter sie noch einmal in den Arm nahm, und ich hörte, sie sagt zu ihr: »Geh in die Welt, mein Kind, für Dich habe ich mein bestes gethan, nimm diesen Kuss als ein Siegel auf Deinen Mund, ein Siegel, welches Dich heilig hält, niemand kann es brechen, es sei, dass Du es selbst willst; aber wenn der einzige kommt, dann wirst Du durch dieses Siegel Dein Heiligtum verstehen.« Und sie drückte auf ihre Lappen einen Kuss, der kein menschlicher Kuss war, der endlich ist, sondern ein göttlicher Kuss, der Unendliches giebt, der dem Mädchen die Macht des Kusses giebt. Tiefe Natur, wie feinsinnig und geheimnisvoll du bist, du giebst dem Mann das Wort und dem Mädchen die Beredsamkeit im Kuss! Sie hatte diesen Kuss auf den Lippen, und den Abschied auf der Stirn, und den fröhlichen Gruss in ihrem Auge, darum sah sie so häuslich aus, denn von der Welt kannte sie nichts, sondern nur die Weltmutter kannte sie, die Treue, Gute, die ungesehen über ihr wachte. Bald war ich wieder Herr meiner Leidenschaft, und trat feierlich blöde auf, wie es der gute Ton vorschreibt, wenn man will, dass etwas in geheimnisvoller Weise geschehen soll, dem man keine grosse Bedeutung geben will.

 

Nach einigen einleitenden Äusserungen rückte ich näher zu ihr, und kam mit meinem Antrag hervor. Spricht ein Mensch wie ein Buch, so ist es unendlich langweilig, ihm zuzuhören, doch zuweilen ist es sehr angebracht, so zu sprechen. Ein Buch hat von allen Eigenschaften das seltsame, man kann es auslegen wie man mag. Ebenso ist es, wenn jemand wie ein Buch redet. Ich blieb ganz nüchtern bei den gewöhnlichen Formeln. Es war nicht zu leugnen, sie schien, ganz wie ich es erwartete, überrascht. Wirklich, ich weiss es nicht zu erklären, wie sie dabei aussah. Sie sah ungefähr aus wie der noch ungeschriebene, aber verheissene Kommentar meines Buches, ein Kommentar, der die Möglichkeit jeder Interpretation giebt. Es fehlte nur ein Wort und sie hätte mich verlacht, ein Wort nur, sie wäre bewegt gewesen, ein Wort, und sie hätte mich geflohen; aber kein Wort kam mehr über meine Lippen, feierlich blieb ich und hielt mich genau an das Ritual. – »Da Sie mich erst so kurze Zeit kennen« – O mein Gott, auf solche Schwierigkeit stösst man nur, wenn man sich verloben will, nie denkt man daran, von kurzem Kennen zu sprechen, wenn man den gedankenlosen edlen Rosenpfad der Liebe geht.

Sonderbar! In den letzten Tagen, da ich meine Angelegenheit überdachte, da zweifelte ich nie, dass sie »ja« sagen würde, wenn ich sie überraschte. Man sieht, wie wenig alle Vorbereitungen nützen. Nichts geschah, wie ich es erwartet hatte. Weder »ja« noch »nein« sagte sie. Ich hätte es vorherwissen müssen. Das Glück verfolgt mich wirklich, denn das Resultat war besser als ich erwartet hatte. Denn sie wies mich an die Tante.

Die Tante gab ihre Einwilligung, – daran hatte ich nie gezweifelt – und Cordelia folgte dem Rat der Tante.

Sehr poetisch war meine Verlobung durchaus nicht – dessen kann ich mich thatsächlich nicht rühmen, sie war masslos philisterhaft, und gemein bürgerlich. Das junge Mädchen kann sich nicht entscheiden, »ja« oder »nein« zu sagen; die Tante sagt »ja«, das junge Mädchen sagt auch »ja«, ich nehme das junge Mädchen, das Mädchen nimmt mich – und nun erst soll die Geschichte anfangen.

3. August. Also bin ich verlobt. Und Cordelia auch. Das ist ungefähr alles, was sie von der Sache weiss: Hätte sie eine Freundin, mit der sie offen reden könnte, sie würde sagen: »Was bedeutet das alles, ich verstehe es wirklich nicht. Etwas zieht mich zu ihm hin, was es ist, das bin ich mir nicht klar, er übt eine wunderbare Anziehung auf mich aus. Fragst Du mich aber, ob ich ihn gern habe, liebe? Nein, das thue ich nicht, und nie werde ich es können. Dagegen recht gut kann ich mit ihm zusammenleben, und deshalb auch mit ihm glücklich werden; er fordert gewiss nicht so viel, er will nur, dass man bei ihm aushält.« Meine liebe Cordelia, er fordert vielleicht mehr, mehr als Du Dir denken kannst, mehr als bei ihm auszuhalten! – – Vom Lächerlichen ist das Allerlächerlichste thatsächlich eine Verlobung. Es ist doch noch Sinn bei der Ehe, wenn dieselbe auch viel Unbequemes hat. Aber sich zu verloben, ist eine menschliche Erfindung, ihrem Erfinder macht sie keine Ehre. Eduard ist rasend, voll Erbitterung. Der Bart wächst ihm willkürlich, und was viel bedeutet, er hat seinen schwarzen Anzug fortgelegt. Mit Cordelia will er sprechen und ihr meinen entsetzlichen Betrug darstellen. Wird das eine aufregende Scene werden: Eduard unrasiert, verwahrlost gekleidet, mit Cordelia laut sprechend! Wenn er nur nicht durch seinen langen Bart triumphiert. Ich suche ihm vergebens Verstand beizubringen, ich sage ihm, die Tante hat die Verlobung gewollt, vielleicht hege Cordelia noch Gefühle für ihn, und könne er sie gewinnen, ich wolle dann gern zurücktreten u. s. w. Er bedenkt sich einen Augenblick, ob er nicht seinen Bart stutzen lassen soll und sich einen neuen schwarzen Anzug anziehen soll, aber dann im nächsten Augenblick fängt er wieder wütend zu schimpfen an. Ich versuche alles, um ihn zum Frieden zu bringen. Und so sehr er auf mich wütend ist, keinen Schritt thut er, den er nicht erst mit mir überlegt; er vergisst es nicht, dass ich sein treuer Mentor gewesen bin. Weshalb soll ich ihm die letzte Hoffnung nehmen, weshalb mit ihm brechen? Er ist ein lieber Mensch, und wer weiss, zu was er mir noch gute Dienste leisten kann.

Ich habe nun eine doppelte Aufgabe, erstens muss ich alles vorbereiten, um die Verlobung wieder rückgängig zu machen, und mir dafür ein schöneres Verhältnis von tieferer Bedeutung zu Cordelia sichern. Zweitens muss ich meine Zeit auf das beste ausbeuten, indem ich mich all der entzückenden Liebenswürdigkeit erfreue, mit der die Natur sie so freigebig geschmückt hat, aber alles das muss ich mit der Zurückhaltung und Begrenzung thun, die mir verbietet, etwas vorwegzunehmen. Hat sie dann in meiner Schule »lieben«, »mich lieben« gelernt, dann wird die Verlobung als eine ungenügende Form der Liebe aufgelöst, und sie ist mein. Andere rennen sich fest, wenn sie auf diesem Punkt angekommen sind, und haben dann gute Aussicht auf eine langweilige Ehe in alle Ewigkeit Jeder nach seinem Geschmack.