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Tagebuch des Verführers

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Siehe, da zeigt sie sich wieder ganz nahe. Sie war an dem Haus vorbeigegangen und ich greife rasch nach Hut und Stock, um ihr zu folgen, zu erfahren, wo sie wohne – als ich in meiner Hast gegen die Dame, die den Thee reicht, anrenne. Ich höre einen fürchterlichen Schrei, habe aber nur den einen Gedanken, wie ich glücklich hinauskomme; um einen Rückzug zu entschuldigen, sage ich pathetisch: »wie Kain will ich den Ort fliehen, an welchem dieses Theewasser verschüttet wurde.« Aber wie wenn alles gegen mich sich verschworen hätte, kommt der Wirt auf die verzweifelte Idee, sich an meine Bemerkung zu hängen und erklärt feierlich, er würde mir das Haus zu verlassen nicht eher erlauben, als bis ich eine Tasse Thee getrunken und den Damen selber den Thee gereicht habe, nur dadurch könne ich alles gut machen. Ich war davon überzeugt, man werde es als Pflicht der Höflichkeit betrachten, Gewalt anzuwenden, wenn ich nicht willig folgte, und so musste ich bleiben. – Sie war verschwunden.

16. Mai. Wie schön ist es, verliebt zu sein, wie sonderbar, zu wissen, dass man es ist! Das ist der Unterschied. Mich kann der Gedanke verrückt machen, dass sie mir zum zweitenmal verloren gegangen und doch machte es mir auch wieder Freude. Ihr Bild schwebt unbestimmt vor meiner Seele; und dass dieses traumhaft vage Bild doch in Wirklichkeiten ruht, dies gerade hat etwas Zauberhaftes. Ich bin nicht ungeduldig, denn sie muss ja in der Stadt wohnen, und das ist mir für den Augenblick genug. Ihr wirkliches Bild muss sich ja zeigen. Alles will in langsamen Zügen genossen sein. Und sollte ich anders als ruhig sein? Sicher, die Götter müssen mich lieben. Denn mir ist das seltene Glück geschenkt, dass ich noch einmal verliebt bin. Nicht Kunst, nicht Lernen kann das hervorbringen, es ist ein seliges Geschenk. Nun will ich sehen, wie lange die Liebe sich erhalten lässt. Ich liebkose diese Liebe, wie ich es nicht bei der ersten gethan habe. Die Gelegenheit zeigt sich so selten, dann aber muss man sie auch festhalten; denn dieses ist das Verzweifelte: es ist keine Kunst, ein Mädchen zu verführen, wohl aber eine zu finden, die es wert wäre, dass man sie verführe.

Die Liebe hat viele Mysterien und auch dieses erste Verliebtsein ist ein Mysterium, wenn auch nicht das grösste. Die meisten Menschen rasen den Liebesweg, sie verloben sich oder machen andere Dummheiten, und im Handwenden ist alles zu Ende; sie wissen weder, was sie erbeutet, noch was sie verloren haben. Zweimal hat sie sich mir nun gezeigt und ist wieder verschwunden: sie wird sich bald öfter zeigen. Als Joseph Pharaos Traum deutete, fügte er hinzu: »da aber dem Pharao zum andern Mal geträumt hat, bedeutet, dass solches Gott gewisslich und eilend erfüllen wird.«

Es müsste interessant sein, die Kräfte, die das Menschenleben bewegen, etwas vorauszuerkennen. Sie lebt nun in stillem Frieden hin, ahnt nichts von meinem Dasein, nichts von dem, was in mir vorgeht und nichts von der Sicherheit, mit der ich in ihre Zukunft hineinblicke; denn meine Seele verlangt mehr und mehr Wirklichkeiten; dieser Wunsch wird immer stärker. Wenn ein Mädchen nicht gleich das erste Mal so tiefen Eindruck auf einen macht, dass sie das Traumbild weckt, so ist die Wirklichkeit im allgemeinen nicht sonderlich wünschenswert; thut sie es aber, dann ist man bei aller Erfahrung doch etwas überwältigt. Wer nun seiner Hand, seines Auges und seines Sieges nicht ganz sicher ist, dem rate ich, seinen Angriff in dem ersten Zustand zu wagen, indem er, weil er überwältigt ist, auch übernatürliche Kräfte besitzt; denn dieses Überwältigtsein ist eine sonderbare Mischung von Mitgefühl und Eigenliebe. Ein Genuss aber wird ihm entgehen: er geniesst die Situation nicht, da er selber von ihr ergriffen, in ihr verborgen ist. Das Schönste ist immer schwierig, das Interessanteste leicht abzumachen. Aber es ist immer gut, der Sache so nahe wie möglich zu kommen. Das ist der wahre Genuss, und was andere gemessen, verstehe ich nicht. Der Besitz allein ist etwas geringes, und auch die Mittel, welche solche Verliebte gebrauchen, sind meist erbärmlich genug; sie verschmähen nicht einmal Geld, Macht, Fremdeneinfluss, selbst nicht ein Obiat. Aber welchen Genuss gewährt eine Liebe, wenn sie nicht die absolute Hingebung in sich schliesst, ich meine von der einen Seite! Aber dazu gehört in der Regel Geist und der fehlt jenen Liebhabern gewöhnlich.

19. Mai. Cordelia heisst sie also, Cordelia! Das ist ein schöner Name und auch dies ist wichtig, denn es kann oft sehr störend sein, wenn man bei den zärtlichsten Prädikaten einen hässlichen Namen nennen muss. Ich erkannte sie schon von weitem. Sie ging mit zwei anderen Mädchen auf dem linken Trottoir. Man sah es ihnen an, dass sie bald stehen bleiben würden. Ich stand an der Strassenecke und studierte ein Plakat, während ich unausgesetzt meine schöne Unbekannte im Auge behielt. Sie nahmen voneinander Abschied. Die beiden schlugen den entgegengesetzten Weg ein. Nachdem sie einige Schritte weit gegangen waren, lief die eine von ihnen noch einmal zurück, hinter ihr her und rief so laut, dass ich es hören konnte: Cordelia, Cordelia! Dann kam auch noch die dritte wieder, und sie flüsterten leise miteinander, als wären sie zu einem geheimen Rat versammelt. Ich spitzte vergebens die Ohren, um etwas zu hören. Nun lachten alle drei und eilten in etwas rascherem Tempo den Weg, den die beiden schon vorher eingeschlagen hatten. Ich folgte. Sie gingen in ein Haus am Strande. Ich wartete eine Weile, da ja aller Wahrscheinlichkeit nach Cordelia allein bald zurückkehren musste. Das geschah jedoch nicht.

Cordelia! Wirklich ein vortrefflicher Name! So hiess ja auch König Lears dritte Tochter, jene ausgezeichnete Jungfrau, deren Herz nicht auf ihren Lippen wohnte, deren Lippen stumm waren, obgleich ihr Herz so warm schlug. So auch mit meiner Cordelia. Sie gleicht ihr, davon bin ich fest überzeugt; dagegen wohnt ihr Herz doch auf ihren Lippen, im Worte nicht, aber im Kuss. Wie schwellte Gesundheit nicht ihre Lippen! Nie sah ich schönere. Dass ich wirklich verliebt bin, sehe ich unter anderem auch daran, dass ich diese Sache vor mir selber so geheimnisvoll behandle. Alle Liebe, selbst die treulose, ist geheimnisvoll, wenn sie nur das erforderliche ästhetische Moment in sich hat. Nie fiel es mir ein, Vertrauten meine. Abenteuer portionsweise auszuteilen. So war es mir fast eine Freude, dass ich nicht erfuhr, wo sie wohnte, aber einen kannte, wo sie öfters aus und ein gehen konnte. Vielleicht bin ich auch dadurch meinem Ziel etwas näher gekommen. Ich kann, ohne dass sie es merkt, meine Beobachtungen machen und von diesem sicheren Punkt aus wird es nicht schwer werden, bei ihrer Familie Eingang zu finden. Sollte aber auch dies seine Schwierigkeiten haben – eh bien! ich nehme auch die Schwierigkeiten auf mich. Alles, was ich thue, thue ich con amore; und so liebe ich auch con amore.

20. Mai. Heute habe ich das Haus, in dem sie verschwand, kennen gelernt. Eine Witwe mit drei vortrefflichen Töchtern. Hier kann man alles erfahren, alles, wenigstens was sie selber wissen. Schwierig nur, den Bescheid zu verstehen, denn sie sprechen alle drei auf einmal. Sie heisst Cordelia Wahl und ist die Tochter eines Kapitäns der Marine. Er ist vor einigen Jahren gestorben, die Mutter auch. Er war ein sehr harter und strenger Mann. Sie lebt nun bei ihrer Tante, der Schwester ihres verstorbenen Vaters; sie soll ihrem Bruder sehr ähnlich, sonst aber eine ausgezeichnete Frau sein. Dies ist alles gut und schön, aber mehr wissen sie nicht, denn sie kommen nie in das Haus; nur Cordelia kommt öfters zu ihnen. Sie und die beiden Mädchen lernen miteinander das Kochen in der königlichen Küche. Sie kommt daher meistens früh am Nachmittag, zuweilen auch vormittags, aber niemals abends. Sie leben sehr zurückgezogen. Hier hat also die Geschichte ein Ende und es zeigt sich keine Brücke, die mich in Cordelias Haus führen könnte.

Sie weiss etwas von den Schmerzen des Lebens, sie kennt seine Schattenseiten. Wer hätte das von ihr geglaubt. Doch gehören diese Erinnerungen wohl einem früheren Alter an, es ist ein Himmel, unter dem sie selbst gelebt hat, ohne ihn zu bemerken. Sehr gut, es hat ihr Weibtum bewahrt, sie ist nicht verdorben. Anderseits wird es auch für ihre weitere Erziehung von Bedeutung sein, wenn man recht versteht, es hervorzurufen. Alles das macht stolz, wenn es Einen nicht bricht und sie ist nicht im mindesten gebrochen.

21. Mai. Sie wohnt am Wall. Die Verhältnisse sind nicht günstig; sie hat kein vis-à-vis, dessen Bekanntschaft man machen könnte, auch kann man hier nicht gut unbemerkt seine Beobachtungen machen. Der Wall selbst ist kein geeigneter Platz, man wird zu leicht selbst gesehen. Geht man unten auf der Strasse, kann man nicht ganz nahe am Wall gehen, da dort niemand geht und man zu sehr auffallen würde, und geht man wie gewöhnlich direkt an den Häusern, sieht man selbst nichts. Die Fenster zum Hof kann man von der Strasse sehen, weil das Haus kein vis-à-vis hat. Wahrscheinlich ist ihr Schlafzimmer dort.

22. Mai. Heute sah ich sie zum erstenmal bei Frau Jansen. Ich wurde ihr vorgestellt. Es schien mir, sie achtete nicht viel auf mich. Um recht aufmerksam sein zu können, verhielt ich mich ganz ruhig. Nur einen Augenblick blieb sie, denn sie holte die Töchter ab, um zur königlichen Küche mit ihnen zu gehen. Während die Damen Jansen sich anzogen, blieben wir allein im Zimmer, und ich richtete mit einer kalten fast beleidigenden Gemütsruhe einige Worte an sie, die sie mit einer Höflichkeit beantwortete, die mir unverdient schien. Dann gingen sie. Ich hätte mich ihnen zur Begleitung anbieten können, aber ich mochte nicht in ihren Augen nur als Kavalier auftreten, denn dadurch, das war mir klar, gewinne ich nie etwas. Ich zog vor, im Augenblick, wo sie gegangen war, auch zu gehen, ich ging viel schneller als die Damen und einen andern Weg, aber auch nach der Küche des Königs. So dass eben, wie sie um die Ecke der Königstrasse bog, ich in grösster Eile an ihr vorbeischoss, zu ihrem höchsten Erstaunen, ohne zu grüssen.

 

23. Mai. Ich muss mir in dem Hause Zugang verschaffen. Es geht nicht anders. Weitläufig und schwierig wird es werden. Keine Familie kenne ich, die so zurückgezogen lebt. Nur sie und die Tante sind da. Sie hat keine Brüder, keine Vettern, keine entfernten Verwandten, mit denen man anbinden könnte. Es ist thöricht, dass sie so abgeschieden leben. Man nimmt der Ärmsten jede Gelegenheit, die Welt kennen zu lernen. Das muss sich einmal rächen. Durch solche Abgeschiedenheit sichert man sich wohl gegen kleine Diebe. Denn in dem Hause, wo viel Leute aus und ein gehen, macht die Gelegenheit Diebe. Indessen was hat das zu sagen, bei solchem Mädchen ist nicht viel zu holen. Im sechzehnten Lebensjahre stehen in solchen Herzen schon so viel Herzen eingeschrieben, das ist mir gleich, ob ich da dabei bin. Ich kratze nie meinen Namen in eine Fensterscheibe oder in einen Baum oder in eine Bank in Friedrichsberg.

27. Mai. Ich bin mehr und mehr überzeugt, sie ist eine ganz alleinstehende Figur. Ein Mann darf nicht so sein, ein Jüngling auch nicht. Seine Entwicklung beruht meistens auf dem Nachdenken, deshalb muss er mit andern Leuten in Verkehr stehen. Interessante Mädchen mag ich nicht. Denn das Interessante entsteht aus dem Nachdenken über sich selbst, ebenso wie das Interessante in der Kunst immer den Künstler zeigt. Eine junge Dame, die durch Interessantsein gefallen möchte, gefällt zuerst nur sich selbst. Dieses missfällt und das hat die Ästhetik gegen alles Kokettieren einzuwenden. Mit dem uneigentlichen Kokettieren, da ist es etwas anderes, wenn es aus der Natürlichkeit hervorgeht, wie bei der jungfräulichen Schüchternheit; sie ist die schönste Koketterie. Wohl gefällt manchmal ein interessantes junges Mädchen, aber ebenso wie sie ohne Weiblichkeit ist, sind die Männer, denen solches Mädchen gefällt, unmännlich. Für das Weib ist es viel wesentlicher, in seiner Jugend allein zu stehen, als für den Mann; es muss sich selbst genug sein können, wenn das auch nur eine Illusion ist. Die Natur hat durch diese Kraft die Frau wie eine Königstochter ausgestattet. Diese Ruhe der Illusion macht die Frau abgesondert. Oft habe ich darüber nachgedacht, für ein junges Mädchen giebt es nichts Verderblicheres, als den Umgang mit anderen jungen Mädchen. Der Grund ist wohl der, dass dieser Umgang nichts Ganzes ist. Die tiefste Bestimmung des Weibes ist, Gesellschafterin des Mannes zu sein; aber durch zu viel Verkehr mit dem eigenen Geschlecht kommt sie zu Gedanken, die sie statt zur Gesellschafterin zur Gesellschaftsdame machen. In dieser Beziehung ist der Ausdruck, den die Sprache anwendet, sehr bezeichnend. Der Mann heisst »Herr«, aber das Weib wird nicht Dienerin oder etwas ähnliches genannt. Sie ist Gesellschaft und sonst nichts anderes. Nicht einmal Gesellschafterin. Sollte ich mir das Ideal einer Jungfrau vorstellen, so müsste sie immer in der Welt allein stehen, und so nur auf sich angewiesen sein, vor allem dürfte sie keine Freundinnen haben. Es gab zwar drei Grazien, aber man stellt sich doch nie vor, dass sie miteinander sprachen. Sie bilden in schweigender Dreiheit eine schöne weibliche Einheit. Man möchte fast Käfige für Jungfrauen bauen wollen, wenn solcher Zwang nicht ebenso schädlich wäre. Ein junges Mädchen muss Freiheit, aber keine Gelegenheit zur Benutzung derselben bekommen. Dadurch wird sie schön und hütet sich, interessant zu werden. Jungen Mädchen, die viel mit anderen jungen Mädchen verkehren, giebt man vergeblich einen Braut- oder Jungfrauenschleier. Aber ein unschuldiges Mädchen scheint einem ohne Schleier in tiefster Bedeutung des Wortes immer verschleiert.

Streng erzogen ist sie, daher achte ich sehr ihre Eltern, wenn sie auch schon im Grab sind. Ich möchte ihre Tante dafür umarmen und ihr danken. Sie hat nicht die Freuden der Welt kennen gelernt und ist deshalb nicht blasiert. Stolz ist sie und fragt nicht darnach, was andere junge Mädchen neugierig macht, es muss so sein. Aus Schmuck und Toilette macht sie sich nichts, wie die anderen Mädchen. Sie ist etwas polemisch, das ist aber für eine junge Dame ein notwendiges Palliativ. Ihre Welt ist die Phantasie. In verkehrten Händen würde sie ganz unweiblich, gerade weil sie so echt weiblich ist.

30. Mai. Unsere Wege kreuzen sich überall. Dreimal bin ich ihr heute begegnet. Ihre kleinsten Ausflüge bleiben mir nicht verborgen. Aber ich ziehe keinen Nutzen daraus, um mit ihr zusammenzukommen. Ich gehe sehr verschwenderisch mit der Zeit um. Mehrere Stunden habe ich oft gewartet, um ihre peripherische Existenz zu tangieren. Weiss ich, dass sie zu Frau Jansen geht, so mag ich sie nicht gern treffen, wenn ich nicht gerade eine besonders wichtige Beobachtung zu machen habe. Ich gehe lieber etwas früher zu Frau Jansen, und begegne ihr in der Thür, oder an der Treppe, so dass sie ankommt und ich fortgehe und dann gleichgültig an ihr vorübergehe. Damit muss sie gefangen werden, das ist das erste Netz. Ich rede sie auch nicht auf der Strasse an, wechsele nur einen Gruss mit ihr, nähere mich aber niemals. Wahrscheinlich sind ihr unsere häufigen Begegnungen auffallend. Sie fängt an, den neuen Stern zu bemerken, der sich am Horizont gezeigt hat und in die Bahn ihres Lebenslaufes störend eingreift, aber keine Ahnung hat sie vom Gesetz seiner Bewegung. Oft ist sie jetzt versucht, sich nach der Seite umzusehen, um den Punkt zu suchen, auf den der neue Stern hinzielt, denn dass sie selbst das Ziel ist, weiss sie am wenigsten. Es geht ihr, wie es gewöhnlich meiner Umgebung geht, sie glauben, ich habe eine Menge Geschäfte, ich bin immer in Bewegung und ich sage wie Figaro, eins, zwei, drei, vier Intriguen auf einmal, das sei mein Geschmack. Ehe ich meinen Angriff beginne, muss ich ihren Charakter ganz kennen lernen. Meistens geniesst man junge Mädchen wie ein Glas Champagner in dem Augenblick, wo er schäumt. Das ist wohl ganz annehmlich und bei vielen jungen Mädchen ist das das Höchste, was man dabei erhält, aber in meinem Fall giebt es mehr zu holen. Nein, erst muss man ein Mädchen dazu bringen, dass sie nur eine Aufgabe kennt, sich dem Geliebten voll hingeben zu wollen, dass sie in höchster Seligkeit darum betteln möchte, dann erst bietet sie den echten Genuss; dies erreicht man nur durch den seelischen Eindruck.

Cordelia! Welch ein herrlicher Name. Zu Hause sitze ich und übe den Namen wie ein Papagei, ich sage: Cordelia, o Cordelia, meine Cordelia, Du meine Cordelia. Wirklich, ich kann mir nicht helfen, ich lächle schon im voraus bei dem Gedanken, mit welcher Routine ich den Namen im entscheidenden Augenblick aussprechen werde. Vorstudien muss man immer machen, alles muss geordnet sein. Kein Wunder, die Dichter schildern immer den Augenblick, in welchem die Liebenden durch das Hinuntertauchen in das Meer der Liebe den alten Menschen ablegen, und nach dieser Taufe emporsteigen und sich erst wirklich ganz und stark als alte Bekannte ansehen, trotzdem sie doch erst einen Augenblick alt sind. Dies ist der schönste Lebensaugenblick für ein junges Mädchen. Und um diesen Augenblick recht gemessen zu können, muss man immer möglichst darüber stehen, so dass man nicht nur Täufling, sondern auch Priester ist. Ein bischen Ironie macht den zweiten dieser Augenblicke zu einem der interessantesten, das ist eine geistige Entblössung. Man muss poetisch genug sein, um den Akt nicht zu stören und doch muss der Schelm immer auf der Lauer sein.

2. Juni. Stolz ist sie, ich habe es lange bemerkt. Ist sie mit den drei Jansen zusammen, so spricht sie sehr wenig, offenbar ist ihr das Geplauder derselben langweilig, sie deutet das mit einem gewissen Lächeln um den Mund an. Und ich baue auf dieses Lächeln. Sie kann manchmal – zum Erstaunen der Jansen – knabenhaft wild sein. Mir ist das, wenn ich dabei an ihr Kindheitsleben denke, nicht unbegreiflich. Ihr einziger Bruder war nur ein Jahr älter. Sie ist bei Vater und Bruder nur Zeuge ernster Begebenheiten gewesen, das Gänsegeschnatter gefällt ihr deshalb nicht. Ihr Vater und ihre Mutter lebten nicht glücklich, was sonst einem jungen Mädchen gelächelt, lächelte ihr nicht. Vielleicht weiss sie gar nicht, was ein junges Mädchen ist. Es kann sein, sie wünscht manchmal sogar, ein Mann zu sein.

Phantasie hat sie, Seele und Leidenschaft, kurz alle Substantialitäten, aber nicht subjektiv reflektierte. Ein Zufall überzeugte mich heute davon. Sie spielt kein Instrument, sagte mir die Firma Jansen, das ginge gegen die Grundsätze der Tante. Ich habe das immer beklagt, denn Musik ist ein so gutes Mittel, um mit einem jungen Mädchen in Verkehr zu kommen. Heute ging ich hinauf zur Frau Jansen, hatte die Thür, ohne anzuklopfen, halb geöffnet, das ist nämlich eine Unverschämtheit von mir, die mir schon manchen guten Dienst geleistet hat, und die ich, wenn es notwendig ist, durch eine Absurdität zu verbergen suche. Sie sass am Klavier allein und spielte eine schwedische Melodie mit einem Gesicht, als ob sie stehle. Sie spielte nicht zu Ende und wurde ungeduldig, dann aber kamen wieder weichere Töne. Es war ab und zu eine Leidenschaft in ihrem Spiel, die an Jungfrau Mittelil erinnerte, der, wenn sie die goldene Harfe spielte, die Milch aus den Brüsten sprang. Ich schloss die Thür und horchte draussen.

Ich hätte hineinstürzen und diesen Augenblick ergreifen können, doch es wäre thöricht gewesen. Erinnerung giebt ein gutes Konversationsmittel, und auch was von ihr durchdrungen wird, wirkt doppelt. – Oft findet man in Büchern eine kleine Blume. Es war ein schöner Augenblick, der die kleine Blume in das Buch legte, aber die Erinnerung ist noch schöner. Sie will wahrscheinlich nicht, dass man weiss, dass sie spielen kann, oder sie spielt vielleicht nur diese kleine schwedische Melodie, – die ein besonderes Interesse für sie hat. Ich weiss das alles nicht. Gerade deshalb ist diese Begebenheit besonders wichtig, spreche ich einmal vertraulicher mit ihr, dann wird das Gift schon sein Werk thun.

3. Juni. Sie ist mir noch ein Rätsel, darum verhalte ich mich so ruhig, – wie im Feld ein Soldat, der sich auf die Erde wirft und auf das fernste Geräusch des anrückenden Feindes lauscht. Eigentlich existiere ich gar nicht für sie, nicht weil ein negatives Verhältnis zwischen uns besteht, sondern weil wir in gar keinem Verhältnis zu einander stehen. Ich habe noch kein Experiment gewagt. – Wie es im Roman heisst – sie sehen und lieben, war eins. Das wäre dann wahr, wenn die Liebe keine Dialektik hätte. In den Romanen erfährt man von wirklicher Liebesglut nur Lügen und Lügen, die nur unterhalten wollen.

Wenn ich an den Eindruck zurückdenke von dem, was ich bis jetzt gesehen und gehört habe, an den Eindruck, den ihr erstes Begegnen auf mich machte, so ist meine Vorstellung von ihr wohl modificiert, sowohl zu ihrem wie zu meinem Vorteil. Es ist nichts alltägliches, dass ein junges Mädchen so ganz allein geht, oder dass ein junges Mädchen so in sich selbst versunken ist. Geprüft von meiner strengsten Kritik, fand ich sie: reizend. Doch das war ein sehr flüchtiger Augenblick, wie der Tag, der vergangen ist, verschwindet er. In den Umgebungen, in denen sie lebte, hatte ich sie mir noch nicht vorgestellt und auch nie gedacht, dass sie mit den Lebensstürmen so unreflektiert vertraut war.

Wissen möchte ich doch, wie es mit ihren Gefühlen steht. Sie ist gewiss noch niemals verliebt gewesen, dazu ist ihr Geist zu hochfahrend, sie gehört am allerwenigsten zu jenen theoretisch hochfahrenden Jungfrauen, die sich schon lange vor der Zeit an den Gedanken gewöhnt haben, in den Armen eines geliebten Mannes zu ruhen. Die Menschen, die sie getroffen hat, konnten sie bis jetzt noch nicht in Unklarheit über Traum und Wirklichkeit bringen. Ihre Seele wird noch von dem göttlichen Ambrosia der Ideale genährt. Das Ideal aber, das ihr vorschwebt, ist nicht gerade eine Schäferin oder eine Romanheldin, sondern eine Jungfrau von Orleans oder etwas ähnliches.

Immer bleibt mir die Frage, ist ihre Weiblichkeit schon so stark, dass sie sich reflektieren lässt, oder will sie nur als Schönheit und Anmut genossen werden? Mit anderen Worten, darf man den Bogen straffer spannen? Ein Grosses ist es schon allein, wenn man eine reine unmittelbare Weiblichkeit findet, aber darf man Abänderungen riskieren, so hat man das Interessante. Man schafft ihr in solchem Fall am besten einen guten Freier in das Haus. Es ist ein Aberglaube, wenn man meint, so etwas schade einem jungen Mädchen. Sie ist eine sehr feine und zarte Pflanze, deren Leben nur den Reiz als Glanzpunkt hat, es ist das beste, sie hört nie etwas von der Liebe, ich würde mich keinen Augenblick bedenken, ihr einen Freier zu verschaffen, wenn sie noch keinen hat. Es wäre aber nichts erreicht, wenn der Freier eine Karrikatur wäre. Ein junger, respektabler Mann muss er sein, wenn möglich liebenswürdiger Natur, aber weniger muss er sein, als ihre Leidenschaft fordert. Dann behält sie Überblick über ihn, beginnt die Liebe zu verachten, ja zweifelt gar am Dasein der Liebe, da ihr ein Ideal vor Augen schwebt und das wirkliche Leben das nicht bietet »Heisst das lieben,« – sagt sie – »dann ist nichts Grosses an der Liebe.« Dann wird sie stolz in ihrer Liebe und der Stolz macht sie interessant; zugleich aber ist sie ihrem Sturz näher als jemals, und das macht sie auch interessanter, es durchstrahlt ihr Wesen mit einem höheren Inkarnat. Es ist das Richtigste, ich verschaffe mir erst Zugang zu ihrem Bekanntenkreis. Vielleicht giebt es darunter einen ähnlichen Liebhaber. Zu Hause hat sie keine Gelegenheit, denn es kommt fast niemand, aber da sie doch auch ausgeht, lässt sich vielleicht eine Gelegenheit schaffen. Ich will ihn jetzt suchen, den Liebhaber. . . Ein feuriger Held darf er nicht sein. Er darf nicht das Haus stürmen wollen. Er muss wie ein Dieb sich in das klösterliche Haus einzuschleichen verstehen.

 

Daher ist das strategische Prinzip, das Gesetz aller Bewegung in diesem Feldzug, sie immer in einer interessanten Situation zu berühren. Das Interessante ist das Gebiet, auf welchem Krieg geführt werden soll, die Potenz des Interessanten muss erschöpft werden. Irre ich nicht, so ist auch ihre ganze Konstitution darauf berechnet, so dass, was ich verlange, gerade dasjenige ist, was sie giebt, und was sie verlangt. Erlauschen muss man, was der Einzelne geben kann, und was er aus demselben Grunde verlangt. Meine Liebesgeschichten haben darum immer eine Realität für mich selbst, sie machen einen Lebensmoment aus, eine Bildungsperiode, die ich genau festgestellt habe, und diese oder jene Fertigkeit, die ich dabei gelernt habe, knüpft sich daran. Um meiner ersten Liebe willen lernte ich tanzen. Die Veranlassung, dass ich französisch lernte, war eine kleine Tänzerin. Wie alle Thoren trug ich mich damals zu Markt und wurde dafür oft angeführt. Jetzt verlange ich und mache meine Ansprüche.

Vielleicht hat sie jetzt genug von der einen interessanten Seite ihres Lebens, mir scheint, ihr zurückgezogenes Leben deutet darauf hin.

Also müssen wir eine andere aufsuchen, etwas, das beim ersten Anschauen gar nicht interessant auszusehen braucht, aber gerade daher es werden kann. Ich wähle dazu nichts Poetisches, sondern etwas Prosaisches. Damit fangen wir an. Ihre Weiblichkeit wird zuerst durch prosaische Verständlichkeit und Spott neutralisiert, aber nicht direkt, sondern indirekt, besonders durch das absolut Neutrale durch den Geist. So verliert sie fast ihre Weiblichkeit vor sich selber; dieser Zustand ist aber unhaltbar für sie, sie wirft sich mir in die Arme, nicht mir als Geliebter, nein, noch ganz neutral. Die Weiblichkeit erwacht wieder, wird bis zur höchsten Elastizität gesteigert, man macht, dass sie gegen diese oder jene Autorität einen Verstoss begeht, dadurch erreicht ihre Weiblichkeit eine fast übernatürliche Höhe, und mir gehört sie, mir mit glühender Leidenschaft.

5. Juni. In der That, ich brauchte nicht weit zu gehen. Sie hat Verkehr mit dem Haus des Grossisten Baseter. Nicht nur sie fand ich hier, sondern auch einen anderen Menschen, wie gerufen kam der mir. Eduard, der Sohn des Hauses, ist sterblich in sie verliebt, man braucht nur ein halbes Auge zu haben, um es zu sehen. Er ist im Kontor seines Vaters, ein hübscher, angenehmer Mensch, etwas schüchtern, doch schadet ihm letzteres in ihren Augen offenbar nicht.

Armer Eduard, wie er es mit seiner Liebe anfangen soll, weiss er gar nicht. Ist sie einmal abends da, macht er allein nur wegen ihr Toilette, hat seinen neuen schwarzen Anzug an, nur wegen ihr, blendende Manschetten, alles wegen ihr, das macht in der übrigen alltäglichen Gesellschaft, die nur im Wohnzimmer zusammenkommt, einen fast lächerlichen Aufzug. Unglaublich verlegen ist er dabei. Wenn das eine Marke wäre, könnte Eduard mir ein gefährlicher Nebenbuhler werden. Denn man muss ein Künstler darin sein, die Verlegenheit sich dienstbar zu machen, man erreicht durch Verlegenheit sehr viel. Ich habe oft dadurch kleine Damen genarrt. Im grossen und ganzen reden junge Mädchen immer sehr abfällig von verlegenen Männern, aber im geheimen lieben sie dieselben. Etwas Verlegenheit schmeichelt dem Selbstgefühl junger Damen, es giebt ihr Überlegenheit, – und das ist eine Art Anzahlung. Hat man sie so in den Schlaf gewiegt, so zeigt man bei einer Gelegenheit gerade, wo sie meint, man stürbe vor Verlegenheit, dass man gar nicht daran denkt, sondern sehr wohl seinen Weg findet. Man verliert durch Verlegenheit seine männliche Bedeutung, dieselbe ist ein ausgezeichnetes Mittel, das Unterschiedsverhältnis der Geschlechter zu neutralisieren. Aber merken sie, dass es bloss Maske war, dann erröten sie vor sich selber, sie fühlen gut, sie haben ihre Grenze überschritten. Dann ist es ihnen ungefähr, als wenn man einen Knaben zu lang als Kind behandelt hat.

7. Juni. Sind Eduard und ich Freunde? Ja, es ist eine wahre Freundschaft zwischen uns, ein schönes Verhältnis, seit den besten Tagen Griechenlands hat es nicht so bestanden. Vertraut wurden wir, und es bedurfte nicht vieler Umstände, er gestand mir sein Geheimnis. Es ist so selbstverständlich, dass einem im Augenblick des Vertrautwerdens die grössten Geheimnisse entschlüpfen. Armer Kerl, er hatte schon so lang geschmachtet. Immer wenn sie kommt, macht er Toilette, begleitet sie abends nach Hause, sein Herz klopft beim Gedanken, dass ihr Arm auf seinem liegen wird. Sie gehen zusammen, sehen zu den Sternen hinauf, er klingelt an ihrer Hausthüre, sie verschwindet, er verzweifelt, – aber hofft auf bessere Zeiten. Niemals noch hat er den Mut gefunden, sie in ihrem Haus zu besuchen, und die Gelegenheit ist doch so günstig als möglich. Zwar lache ich bei mir über Eduard, aber in seiner kindlichen Art ist etwas Schönes. Die erotischen Stadien kenne ich alle ziemlich genau, aber ich habe noch nie an mir selbst solch zitternde Angst eines liebenden Herzens beobachtet, ich meine so, dass sie mir alle Fassung raubt, sie ist mir sonst nicht unbekannt, mich macht die Angst stark. Vielleicht bin ich noch nie recht verliebt gewesen? Das wird es sein. Ich habe Eduard gescholten, sagte ihm, verlasse Dich auf meine Freundschaft. Er soll morgen einen entscheidenden Schritt zu ihr thun, zu ihr persönlich gehen und sie einladen. Ich soll ihn begleiten, bat er mich; ich selbst habe ihn auf diese verzweifelte Idee gebracht und bin bereit, seinen Wunsch zu erfüllen. Darin sieht er einen ausserordentlichen Freundschaftsbeweis. Wie ich sie wünschte, so ist jetzt die Gelegenheit, nämlich mit der Thür ins Haus zu fallen. Sollte sie den geringsten Zweifel über die Bedeutung meines Auftretens haben, so will ich sie mit meinem Benehmen wieder ganz verwirren.

Auf eine Konversation brauchte ich mich früher nie vorzubereiten, jetzt ist es meine Schuldigkeit, die Tante zu unterhalten. Ich versprach es Eduard, um dadurch seine verliebten Gesten gegen Cordelia zu decken. Die Tante hielt sich früher auf dem Lande auf.

Ich mache bedeutende Fortschritte in der Ökonomie dadurch, dass ich ein sorgfältiges Studium landwirtschaftlicher Schriften vornehme und durch die Mitteilungen der Tante.