Kostenlos

Für Jetzt und Für Immer

Text
Als gelesen kennzeichnen
Für Jetzt und Für Immer
Für Jetzt und Für Immer
Kostenloses Hörbuch
Wird gelesen Birgit Arnold
Mehr erfahren
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Doch Emily würde sich nicht mehr abspeisen. „Bitte“, flehte sie ihre Mutter an. „Ich will nicht, dass nie wieder von ihr gesprochen wird. Ich will nicht vergessen. Es ist ja nicht so, als ob wir sonst jemanden hätten.“

Bei ihren Worten schien ihre Mutter weich zu werden. Doch sie war so unverblümt wie immer. „Warum willst du plötzlich über sie reden?“

Emily kaute auf ihrer Lippe, denn sie wusste, dass die Antwort ihrer Mutter nicht gefallen würde. „Durch Dad. Er hat mir einen Brief geschrieben.“

„Oh, hat er das?“, entgegnete ihre Mutter bitter. „Wie nett von ihm.“ Emily versucht, die Wut ihrer Mutter nicht noch weiter anzuschüren. Sie wollte sich nicht schon wieder über ihn streiten. „Und steht denn nun in dem Brief über Charlotte?“

Emily trat von einem Fuß auf den anderen. Sogar nach Monaten, in denen sie ihre verblüffte Mutter nicht gesehen hatte, kam in ihr das Bedürfnis auf, ihr zu gefallen, was Emily nervös machte. Sie brauchte eine Weile, bevor sie schließlich die Worte rausbrachte.

„Nun ja, in ihm steht, dass er mir nicht die Schuld an ihrem Tod gibt.“

Wieder entstand eine lange Pause. „Ich wusste nicht, dass du dachtest, dass es deine Schuld wäre.“

„Warum denn auch?“, konterte Emily. „Wir haben ja nie darüber gesprochen.“

„Weil ich der Meinung war, dass es nichts zum Bereden gab“, antwortete ihre Mutter abwehrend. „Es war ein Unfall, starb, Ende der Geschichte. Warum um alles in der Welt hattest du den Eindruck, dass du daran schuld wärst?“

Emilys Kopf begann, sich wieder zu drehen. Es fühlte sich so seltsam an, nach so vielen Jahren des Schweigens und so vielen Monaten der Entfremdung, diese Unterhaltung mit ihrer Mutter zu führen. Sie spürte einen scharfen Schmerz in der Brust und Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Weil ich ihre Hand in dem Sturm losgelassen habe“, stammelte sie zwischen ihren Schluchzern. „Ich habe sie verloren und dann ist sie im Meer ertrunken.“

Ihre Mutter stieß laut die Luft aus. „Es war nicht das Meer, Emily. So ist sie nicht gestorben.“

Emily hatte das Gefühl, als würde ihre Welt um sie herum einstürzen. Alles, was sie die ganzen Jahre lang als wahr empfunden hatte, zerfiel. Nicht nur die Tatsache, dass Daniel ihr Vertrauen missbraucht hatte, sondern auch die Erkenntnis, dass sie nicht einmal ihren eigenen Erinnerungen vertrauen konnte?

„Wie ist sie denn dann gestorben?“, wiederholte Emily benommen.

Doch sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, wurde Emily von einem Strom an Erinnerungen überschwemmt. Sie ließ das Telefon fallen und rannte in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Dort schnappte sie sich den Schlüsselbund, den sie mit seinen vielen Schlüsseln im Tresor gefunden hatte. Sie rannte durch das Haus, das Trampeln ihrer schweren Schritte erschreckten die Welpen, die wütend bellten.

Sie rannte direkt zur Haustür hinaus, ohne anzuhalten, um ihre Schuhe anzuziehen, bis sie bei der Scheune ankam. Raj hatte den Baum, der auf das Dach gefallen war, weggeschafft, weshalb sie nur über die zerbrochenen Bretter steigen musste, um hinein zu gelangen. Sie ging an der zerstörten Dunkelkammer und den Schachteln mit den, von Regen zerstörten, Überresten von Daniel Fotografien vorbei und zu der Tür, die ihr bei ihrem ersten Aufenthalt in der Scheune aufgefallen war, die Tür ins nichts. Sie versuchte mit jedem Schlüssel, die Kette zu lösen, bis sie den einen fand, der in das Schloss passte. Sie drehte den Knauf und schob die Tür auf.

Sie schwang auf und schlug an der Seite auf, wodurch ein lautes Echo erhallte. Emily betrachtete den neuen, gerade erst entdeckten Raum. Hier war es. Das große, leere Schwimmbad, in dem Charlotte ertrunken war und somit Emily Leben für immer verändert hatte.

Jetzt konnte sie es vor sich sehen, ihre kleine Schwester in ihrem Care Bear Schlafanzug, die mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb. Die Erinnerungen kamen mit der Wucht eines Tsunami zu ihr zurück.

Ihre Eltern hatten ihnen gesagt, dass sie im Sommerhaus einen Pool bauen würden. Sie und Charlotte versuchten zu erraten, wo der Pool stehen würde, weshalb sie sich auf der Suche danach in verschiedene Räume geschlichen hatten, bis sie ihn schließlich in dem Nebengebäude fanden. Charlotte hatte sofort schwimmen wollen, doch Emily wusste, dass sie nicht ohne Aufsicht ins Wasser durften und erinnerte ihre Schwester noch einmal daran, niemandem von ihrem Fund zu erzählen. An diesem Abend war ihre Mutter ausgegangen und ihr Vater auf dem Sofa eingeschlafen. Charlotte musste aus dem Bett geklettert sein, um heimlich schwimmen zu gehen. Emily war durch irgendetwas aufgewacht, vermutlich durch die ungewöhnliche Stille durch das fehlende Schnarchen ihrer Schwester in dem Nachbarbett. Sie war sie suchen gegangen und hatte sie in dem Pool gefunden. Emily war diejenige gewesen, die ihren Vater aus seinem Rausch aufgeweckt hatte.

Emily schüttelte den Kopf, denn ihr war plötzlich schlecht. Sie wollte es nicht glauben. Hatte sie deswegen keine Erinnerung daran? Weil der Anblick ihrer toten Schwester sie so traumatisiert hatte, dass sie ihn komplett blockiert hatte? Und ihr Gehirn, dass die Lücken füllen wollte, hatte die Schuld, die sie empfunden hatte, weil sie ihren Vater wecken musste, in eine ganz andere Art von Schuld umgewandelt?

Es war nicht in dem Sturm geschehen und es war auch nicht ihre Schuld gewesen. Sie hatte all die Jahre lang grundlos unter dieser Schuldwolke gelebt – und das nur, weil sie es von ihren Eltern gelernt hatte, ihre Probleme zu ignorieren und Dinge aus der Vergangenheit zu vergessen, die sie nicht mochte. Wegen ihnen hatte sie das Trauma, Charlottes leblosen Körper mit dem Gesicht nach unten vor achtundzwanzig Jahren leblos im Pool gefunden zu haben unterdrückt, und ihr Gehirn hatte versucht, die Lücken zu füllen, Charlottes Abwesenheit zu erklären, indem es eine Erinnerung erschuf, die am meisten Sinn ergab.

Es war nicht ihre Schuld.

Emily fiel am Rand des Pools auf ihre Knie und weinte.

*

Erst Mogsys verzweifeltes Bellen brachte Emily in die Wirklichkeit zurück. Sie sah auf, nicht sicher, wie lange sie neben dem Pool auf dem Boden gesessen und in die Leere gestarrt hatte, doch als sie aufstand und zurück in die Scheune ging, konnte sie durch das Loch im Dach erkennen, dass der Himmel schon schwarz war. Sterne blinkte hinab und der Mond schien unscharf. In dem Moment fiel Emily auf, dass er von Rauch so verdeckt wurde. Sie konnte das Haus vor sich sehen und bemerkte, dass der Rauch aus dem Küchenfenster nach draußen quoll. Mogsy und die Welpen bellten drinnen.

„Oh Gott, nein“, schrie sie laut auf, als sie über den Rasen rannte.

Als sie zur Küchentür kam und nach dem Knauf griff, wurde sie plötzlich beiseitegeschoben. Sie stolperte und schaute auf. Es war Daniel, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war.

„Warst du das?“, schrie sie, denn sie hatte Angst, dass er aus Rache den Brand gelegt haben könnte.

Daniel starrte sie schockiert von ihrer Beschuldigung an. „Wenn du die Tür öffnest, entsteht ein Zug. Die Flammen werden zum Sauerstoff schießen. Zu dir. Ich habe dein Leben gerettet!“

Emily hatte noch zu große Angst, um sich schuldig zu fühlen. Sie konnte nur daran denken, dass das Haus brannte und dass die Welpen darin gefangen waren, ihre schrillen Kläffer hallten in ihren Ohren wider. Durch das Küchenfenster konnte sie sehen, dass die orangen Flammen nach oben zügelten.

„Was tun wir jetzt?“, schrie sie. Dabei krallte sie ihre Hände vor lauter Panik in ihr Haar und ihr Gehirn setzte aus.

Daniel rannte zu dem Schlauch, der an der Seite des Hauses zur Bewässerung des Rasens befestigt war. Er drehte den Hahn auf und sofort spritzte Wasser heraus. Dann zerbrach er mit seinem Ellbogen das Fenster der Küchentür und duckte sich, als die Flammen zur Sauerstoffquelle schossen und über ihm herauskamen. Er steckte den Schlauch durch das Fenster und versuchte, die Flammen zu löschen.

„Geh zum Kutschenhaus“, rief er Emily zu. „Ruf die Feuerwehr.“

Emily konnte nicht glauben, was gerade geschah. Ihr Kopf drehte sich vor Verwirrung und Panik. Ihr Haus brannte. Nach all der Arbeit, die sie reingesteckt hatte, ging es wortwörtlich in Flammen auf.

Sie schaffte es zum Kutschenhaus und zog die Tür auf. Dann schnappte sie sich das Telefon, auf dem sie die Nummern 9-1-1 wählte.

„Feuer!“, schrie sie, als sie mit der Notfallzentrale verbunden wurde. „West Street!“

Sobald sie diese Informationen mitgeteilt hatte, eilte sie zurück zum Haus. Daniel war nirgendwo zu sehen, doch die Tür stand offen. Emily erkannte, dass er reingegangen sein musste.

„Daniel!“, schrie sie, mittlerweile überwiegte die Angst. „Wo bist du?“

In dem Moment kam Daniel durch den Rauch heraus. Er trug einen Korb voller kläffender Welpen, Mogsy war ihm dicht auf den Fersen.

Emily fiel auf ihre Knie und hob die Welpen in ihre Arme, so erleichtert, dass es ihnen gut ging. Sie waren lediglich mit Ruß bedeckt. Sie nahm Rain hoch und wischte die Asche aus seinen Augen, was sie mit den anderen Welpen wiederholte. Mogsy leckte ihr Gesicht sauber und wedelte mit dem Schwanz, als ob sie die ernste Lage verstehen würde.

Dann sah Emily blinkende Lichter, die sich in dem Glas spiegelten. Als sie sich umdrehte, konnte sie das näherkommende Feuerwehrauto erkennen, das laut heulend durch die normalerweise ruhige Straße raste. Es hielt direkt vor dem Haus, dann sprangen Feuerwehrmänner heraus und machten sich an die Arbeit.

 

„Ist jemand in dem Gebäude?“, fragte einer von ihnen.

Sie schüttelte den Kopf und beobachtete stumm, wie sie durch die aufgetretene Tür rannten.

Daniel stellte sich zögerlich neben sie. Sie musterte ihn, sein rußiges Haar und seine aschebedeckten Kleider.

„Ich hatte diese verdammte Tür gerade erst repariert“, sagte er.

Emily stieß einen Laut aus, der eine Mischung aus einem Schluchzen und einem halben Lachen war. „Danke, dass du zurückgekommen bist“, sagte sie leise.

Daniel nickte nur. Sie wandten sich wieder dem Haus zu und beobachteten stumm, wie sich die Rauchwolke in eine dünne Fahne verwandelte.

Ein paar Minuten später kamen die Feuerwehrmänner wieder aus dem Haus. Der Anführer unter ihnen kam auf Emily zu.

„Was ist passiert?“, wollte sie wissen.

„Anscheinend hattest du einen kaputten Toaster“, sagte er und hielt das beschädigte Gerät hoch.

„Wie groß ist der Schaden?“ Sie bereitete sich innerlich auf seine Antwort vor.

„Nur Schaden verursacht durch Rauch, weil das Plastik geschmolzen ist. Du solltest den Raum eine Zeit lang auslüften lassen. Der Rauch ist giftig.“

Emily war so erleichtert zu hören, dass das Haus nur minimalen Schaden davongetragen hatte, dass sie sich dem Feuerwehrmann um den Hals warf. „Danke“, sagte sie. „Vielen, vielen Dank!“

„Ich tue nur meine Arbeit, Emily“, erwiderte er.

„Warte, woher kennst du meinen Namen?“, fragte Emily verwirrt.

„Von meinem Vater“, erklärte der Feuerwehrmann. „Du bedeutest ihm viel.“

„Wer ist dein Vater?“

„Birk aus der Tankstelle. Ich bin Jason, der älteste. Lad mich auch ein, wenn du wieder einmal eine Party veranstaltest, okay? Ich glaube, mein Vater hatte sich noch nie so gut amüsiert wie an diesem Abend. Wenn du so eine gute Gastgeberin bist, dann will ich auch dabei sein.“

„Das werde ich“, erwiderte Emily, die von den Ereignissen des Abends und der Tatsache, dass in der Kleinstadt jeder jeden kannte, etwas überrascht.

Emily und Daniel standen nebeneinander und beobachteten, wie das Feuerwehrauto davonfuhr, dann gingen sie hinein, um den Schaden zu begutachten. Außer den Verfärbungen, einem schwarzen Streifen, der die Wand hinauflief, und einem geschmolzenen Viereck auf der Arbeitsfläche war die Küche in Ordnung.

„Ich kann für das Fenster bezahlen“, sagte Daniel.

„Sei nicht albern“, erwiderte Emily. „Du hast doch nur geholfen.“

„Es war nicht einmal ein richtiges Feuer. Ich habe überreagiert. Ich wollte nur nicht, dass Mogsy und die Welpen an dem Rauch ersticken.“ Er hob Mogsy hoch und kraulte sie hinter den Ohren. Sie belohnte ihn, indem sie seine Nase ableckte.

„Du hast das richtige getan“, fügte sie hinzu. „Feuer kann sich schnell ausbreiten. Dank des Schlauches konntest du das gerade noch so verhindern.“ Sie schaute Daniel an, der mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern dastand. „Warum bist du zurückgekommen?“, fragte sie.

Daniel kaute auf seiner Lippe. „Du hast mir keine Chance gegeben, mich zu erklären. Ich wollte das richtigstellen.“

Nach alldem, was er für sie getan hatte, schuldete Emily ihm das. „Okay. Dann leg los, stell das richtig.“

Daniel zog einen Stuhl heraus und setzte sich an den Küchentisch. „Dashiel ist der Name, mit dem ich geboren wurde“, begann er. „Aber es war auch der Name meines Vaters. Ich wurde nach ihm benannt. Deshalb ließ ich ihn rechtlich ändern, als ich sein Haus verließ, denn ich wollte nicht so ein heruntergekommener Alkoholiker werden wie er.“

Emily rutsche ungemütlich hin und her. Ihr eigener Vater hatte auch viel getrunken. War das eine weitere Sache, die sie und Daniel gemein hatten?

„Diese Menschen in der Stadt“, fuhr Daniel fort. „Sie erinnern sich an mich als Dashiel, weil sie mich als den bösen Jungen sehen wollen. Sie wollen mich in ihn verwandeln. Sie wollen, dass ich böse werde.“ Er schüttelte den Kopf.

Emily fühlte, wie sie vor Verlegenheit in ihrem Stuhl zusammensank. „Und was ist mit den Frauen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wir alle haben vergangene Beziehungen, nicht wahr? Ich glaube nicht, dass ich mehr gehabt habe als es heute für einen jungen Mann meines Alters als normal empfunden wird. Diese Frauen sind wahrscheinlich misstrauisch, weil ich nie geheiratet habe, weißt du? Sie denken, dass ich ein Frauenheld bin, weil ich mir Frauen ausgegangen bin und ein paar lange Beziehungen, jedoch nie geheiratet habe. Ich bin kein Mönch, Emily. Ich hatte Geliebte. Aber ich denke, du wärest verwirrter, wenn ich keine gehabt hätte!“

„Das stimmt“, sagte sie und fühlte sogar noch mehr Reue. „Es tut mir leid, dass ich die Worte der Frauen so an mich herangelassen habe. Dass ich mich überzeugen ließ, dass du ein schlechter Mann bist.“

„Siehst du jetzt, dass ich das nicht bin? Dass ich nicht der Kerl bin, der Leute ins Krankenhaus prügelt? Der keine Verantwortung übernehmen kann und lieber abhaut? Der dich mit einer romantischen Beziehung nur hinhält und dein Haus anzündet?“

Als er das alles laut aussprach, hörte es sich ziemlich lächerlich an. „Das sehe ich jetzt“, erwiderte sie mit verlegener Stimme.

„Und du weißt, wer ich bin. Ich bin der Kerl, der mit dir in einer stürmischen Nacht einen Welpen pflegte. Der dich an einem warmen Frühlingstag in einen geheimen Rosengarten mitnahm. Der dir Zuckerwatte kaufte. Der dich küsste und mit dir Liebe machte.“

Er streckte seine Hand nach ihr aus. Emily schaute sie an, die Handfläche offen und einladend, dann legte sie ihre Hand in seine und verschränkte ihre Finger mit seinen.

„Vergiss nicht, dass du auch der Kerl bist, der mich aus einem Flammeninferno gerettet hat“, erinnerte sie ihn.

Daniel lächelte und nickte. „Ja. Der Kerl bin ich auch. Ein Kerl, der dich niemals verletzen will.“

„Gut“, sagte Emily. Sie beugte sich vor und gab ihm einen zarten Kuss. „Denn ich mag diesen Kerl sehr.“

KAPITEL SIEBZEHN

In dieser Nacht erneuerten Emily und Daniel ihre Beziehung, das Drama des Tages war unter der Bettdecke vergessen, Vergebung kam in Form von zärtlichen Berührungen und Streitigkeiten wurden weggeküsst.

Als der Morgen kam und helles Sommerlicht durch die Vorhänge fiel, wachten sie beide auf.

„Ich schätze, ich werde dir heute kein Frühstück kochen“, sagte Daniel, „jetzt, da der Toaster explodiert ist.“

Emily stöhnte und ließ ihren Kopf zurück gegen das Kissen fallen. „Erinnere mich nicht daran.“

„Komm schon“, meinte Daniel. „Lass uns zu Joe’s zum Frühstücken gehen.“ Er sprang aus dem Bett und stieg in seine Jeans, dann streckte er Emily die Hand entgegen.

„Können wir nicht noch ein bisschen länger schlafen?“, entgegnete Emily. „Gestern Abend war ziemlich anstrengend, wie du sicher weißt.“

Daniel schüttelte den Kopf. Er schien ihr so früh am Morgen viel zu energiegeladen zu sein. „Ich dachte, du willst ein Bed & Breakfast führen“, rief er aus. „Wenn du Gastgeberin bist, kannst du nicht oft ausschlafen.“

„Weshalb ich jetzt meinen Schlaf brauche“, sagte Emily.

Daniel hob sie aus dem Bett und setzte die lachende und kreischende Frau auf dem Stuhl bei der Kommode ab.

„Oh, du bist ja schon aufgestanden“, meinte Daniel mit einem verschmitzten Grinsen. „Dann kannst du dich ja auch gleich anziehen.“

Sobald Emily angezogen war, fuhr Daniel mit ihr zu Joe’s. Die beiden bestellten Kaffee und Waffeln, dann arbeiteten sie Emilys Hochrechnungen durch. Sie hatte schon immer Angst davor gehabt, pleite zu gehen, und wenn sie sich wirklich dazu entschließen sollte, das Bed & Breakfast zu eröffnen, dann würde sie ihre gesamten Ersparnisse dafür aufbringen müssen. Ihr dreimonatiger Puffer wäre dann komplett verschwunden. Wenn es schieflief, dann hätte sie gar nichts mehr. Ein Blick auf die Liste der Dinge, die sie noch kaufen musste, war beängstigend. Angefangen bei lächerlich teuren Sachen, wie die Reparatur des Tiffany-Fensters im Ballsaal, bis zu billigen Dingen, wie der Ersatz des Toasters, war sich Emily nicht sicher, ob sie das alles bewältigen konnte.

Sie warf ihren Stift auf den Tisch. „Es ist zu viel“, sagte sie. „Es ist zu teuer.“

Daniel hob den Stift auf und strich den billigsten Gegenstand auf der Liste, den Toaster, durch.

„Warum hast du das gemacht?“, fragte Emily mit einem Stirnrunzeln.

„Weil ich dir nach dem Frühstück einen neuen Toaster kaufen werde“, antwortete er.

„Das musst du nicht tun.“

„Du hast Recht, aber ich will.“

„Daniel –“, sagte sie warnend.

„Ich habe Ersparnisse“, unterbrach er sie „Und ich will dir helfen.“

„Aber ich sollte zuerst die Antiquitäten verkaufen, bevor du Opfer für mich erbringst.“

„Willst du das denn wirklich?“, fragte Daniel. „Die Schätze deines Vaters verkaufen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Der sentimentale Wert ist zu groß.“

„Dann lass mich dir helfen.“ Er drückte ihre Hand. „Es ist nur ein Toaster.“

Sie wusste, dass Daniel nicht sonderlich viel Geld haben konnte. Auch wenn das Kutschenhaus stilvoll eingerichtet war, so hatte er zwanzig Jahre lang keine Miete gezahlt. Er hatte allerdings auch kein Geld für seine Arbeiten auf dem Grundstück bekommen und erledigte wahrscheinlich nur hin und wieder ein paar Reparaturarbeiten, um genug Geld für das Benzin und das Holz für den Ofen zu verdienen. Obwohl es ihr nicht Recht war, dass Daniel seine Ersparnisse anzapfte, nickte sie.

„Außerdem weiß man nie“, fuhr Daniel fort. „Vielleicht helfen dir ja die Bewohner der Stadt. Mein Freund George meinte, dass er vorbeikommen und sich das Tiffany-Fenster anschauen würde, um zu entscheiden, ob er es reparieren kann.“

„Hat er das wirklich gesagt?“

„Natürlich. Die Menschen helfen sich gegenseitig. Und sie mögen Geld. Vielleicht investieren einige der reichen Stadtbewohner in dein Unternehmen.“

„Vielleicht“, entgegnete Emily. „Auch, wenn sie eigentlich gar keinen Grund dafür haben.“

Daniel zuckte mit den Schultern. „Raj hatte auch keinen Grund, den umgefallen Baum für dich wegzuschaffen, aber er hat es trotzdem getan. Die Menschen helfen sich einfach gegenseitig.“

„Aber wer in der Gegend hätte den überhaupt so viel Geld?“

„Wie wäre es mit Rico?“, schlug Daniel vor, als er an seinem Kaffee nippte. „Ich wette, dass er ein hübsches Sümmchen auf seinem Bankkonto sitzen hat.“

„Rico?“, rief Emily aus. „Er kann sich doch kaum daran erinnern, wie ich heiße.“ Sie seufzte, denn sie fühlte sich niedergeschlagen und nervös. „Wirklich, der einzige Mensch, der etwas Geld besitzt, ist Trevor Mann. Und wir wissen alle, was er von mir hält.“

„Seit dem Feuerwehreinsatz mitten in der Nacht wahrscheinlich noch weniger als zuvor.“

Emily stöhnte, weshalb Daniel ihr aufmunternd den Arm drückte.

„Ich werde dir nichts vormachen, Emily“, sagte er. „Das Bed & Breakfast zu eröffnen ist ein großes Risiko. Aber ich bin hier, um dir zu helfen, und ich wette, dass auch der Rest der Stadt hinter dir steht. Tu, was du für richtig hältst, aber wie auch immer du dich entscheidest, du bist nicht alleine.“

Emily lächelte. Sie strich mit ihren Fingern sanft über seinen Arm, denn seine Worte hatten sie beruhigt.

„Wenn du einen Investor findest“, sagte er, „was würdest zuerst verändern?“

Emily dachte lange und intensiv nach. „Ich würde einen anderen Empfangstisch haben wollen. Der Eingangsbereich schaut im Moment viel zu leer aus.“

„Oh wirklich?“, meinte Daniel. „Was würdest du am liebsten hineinstellen, wenn Geld keine Rolle spielte?“

 

„Nun ja, es müsste natürlich ein maßgefertigtes Stück sein“, antwortete Emily, während sie ihr Handy hervorkramte, um eine Suche auf Google und eBay zu starten. „So etwas!“, rief sie aus und zeigte ihm ein Foto auf dem Bildschirm.

Daniel stieß ein Pfeifen aus. „Das ist echt schön.“

„Finde ich auch“, erwiderte Emily. „Und schau dir einmal den Preis an. Er liegt mehrere tausend Dollar außerhalb meines Budgets.“ Dann schaute sie wieder auf und grinste Daniel an. „Aber wenn du einmal nicht weißt, was du mir zum Geburtstag schenken sollst…“ Sie steckte ihr Handy wieder weg und seufzte. „Ist ja auch egal, ich bin schon wieder zu voreilig. Ich habe ja noch nicht einmal die Genehmigung.“

„Ich bin davon überzeugt, dass du sie bald haben wirst“, sagte Daniel. Dann stand er plötzlich auf und schob seinen Teller weg. „Komm schon“, forderte er sie auf.

„Wo gehen wir hin?“, fragte Emily.

„Zu Ricos Laden. Lass uns nachschauen, ob es etwas gibt, dass du vielleicht kaufen möchtest.“

Emily widerstrebte es ein wenig, zurück zu Ricos Laden zu gehen, teilweise, weil das Haus mehr oder weniger fertig war, aber auch wegen der unschönen Erfahrung am vorherigen Tag. Der Gedanke, wieder hineinzugehen, irritierte sie und sie hatte keine Lust, das Gleiche noch einmal zu durchleben. Doch wenn Daniel ihre Hand in seiner hielt, dann wäre es vielleicht nicht so schlimm.

„Wir haben doch gerade erst mein Budget durchgesprochen! Ich habe kein Geld, mir etwas Tolles zu kaufen!“, widersprach sie.

„Du weißt doch, wie es bei Rico ist. Vielleicht hat er bei sich ein echtes Prachtstück versteckt.“

„Das bezweifle ich“, erwiderte Emily. Sie hatte praktisch jeden Winkel des Ladens abgesucht. Doch die Vorstellung, mit Daniel einkaufen zu gehen, ihrem Traum einen Schritt näher zu kommen, war zu gut, um sie zu verpassen. Emily beschloss, dass sie mit dem Getratsche der Leute über sie umgehen konnte. Sie warf einen Blick auf ihren Block, auf dem Zahlen und Fakten aufgelistet waren, bevor sie ihn zuschlug.

„Lass uns gehen“, sagte sie.

*

„Wenn das mal nicht mein Lieblingspaar ist“, sagte Serena, als sie sah, wie Emily und Daniel das Geschäft betraten. Sie schaute heute in ihrem sommerlichen und bunten Blumenkleid besonders hinreißend aus. Sie küsste zur Begrüßung die beiden auf ihre Wangen. „Wie schaut das Bed & Breakfast?“

„Absolut fantastisch“, antwortete Daniel, als er einen Arm um Emily legte. „Emily hat wirklich gute Arbeit geleistet.“

Emily lächelte und Serena zwinkerte ihr zu.

„Dann ist es also sicher?“, fragte sie. „Wann wirst du es verkünden? Wirst du eine weitere deiner Partys abhalten? Dieser Eintopf war ja so köstlich. Oh, das erinnert mich daran, kannst du mir bitte das Rezept aufschreiben, ich muss es unbedingt meiner Mutter schicken.“

„Du hast deiner Mutter von meinem Eintopf erzählt?“

„Ich erzähle meiner Mutter alles“, gab Serena mit hochgezogener Augenbraue zurück.

In dem Moment kam Rico aus einem der Hinterzimmer. Er schaute sogar noch schwächer aus als sonst, die Linien auf seinem Gesicht traten stärker hervor.

„Hi Rico“, sagte Emily.

„Hallo“, erwiderte er, wobei er Emilys Hand nahm und sie schüttelte. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Das ist Emily“, erinnerte ihn Serena. „Weißt du noch? Wir waren auf der Dinnerparty in ihrem Haus.“

„Ah“, sagte Rico. „Du bist die junge Dame mit dem Bed & Breakfast, nicht wahr?“

„Noch nicht ganz“, erwiderte Emily mit einem Lächeln. „Aber ich hoffe, bald eines eröffnen zu können, ja.“

„Ich habe etwas für dich“, meinte Rico.

„Wirklich?“, fragte Emily verblüfft nach.

„Ja, ja, ich habe es extra zurückgelegt. Hier entlang.“ Rico humpelte den Flur hinunter. „Komm mit.“

Mit einem Schulterzucken folgten Serena, Daniel und Emily dem älteren Mann, auf all ihren Gesichtern lag ein verwirrter Ausdruck. Rico führte sie durch eine Tür in ein großes Hinterzimmer. Dort standen viele Möbel, die alle mit weißen Betttüchern abgedeckt waren.

„Was ist hier los?“, flüsterte Emily in Serenas Ohr, denn ihr erster Gedanke war, dass Rico nun endlich senil geworden war.

„Keine Ahnung“, erwiderte Serena. „Ich war noch nie hier drin.“ Sie schaute sich mit weiten und neugierigen Augen um. „Was ist all das Zeug, Rico?“

„Hm?“, fragte der alte Mann. „Oh, nur Sachen, die zu groß für die Ladenfläche und zu besonders sind, um sie an jeden beliebigen Kunden zu verkaufen.“ Er ging zu einem großen, rechteckigen Gegenstand, der von einem Tuch bedeckt wurde, unter das er einen Blick warf. „Ja, hier ist es“, sagte Rico zu sich selbst. Er begann, das schwere Laken herunterzuziehen. Emily, Daniel und Serena kamen ihm schnell zur Hilfe, indem sie die Ecken des Tuches ergriffen.

Als sie es herunterzogen, kam eine Marmoroberfläche zum Vorschein. Dann rutschte das Tuch vollständig herunter und enthüllte einen aus dunklen Holz gefertigten Empfangstisch mit einer Marmorplatte. Er schaute stabil und robust aus und war genau das, wonach Emily gesucht hatte.

Emily schnappte nach Luft und sah ihn sich genau an. Dabei entdeckte sie, dass die andere Seite eine in rotem Samt verkleidete Bank, daran befestigt war. Somit entstand eine einzigartige Einheit aus Empfangstresen und Sitzbank.

„Es ist perfekt“, sagte sie.

„Es stand einmal in einem großen Empfangsbereich“, erklärte Rico.

„In welchem großen Empfangsbereich?“, fragte Emily nach.

„Des Bed & Breakfast.“

Emilys Mund klappte auf. „In meinem Bed & Breakfast? Das ist das Originalstück?“

„Oh ja“, erwiderte Rico. „Dein Vater vergötterte es. Es schmerzte ihn sehr, sich davon zu trennen, weil es in dem Haus einfach nicht genug Platz gab. Außerdem wollte er ihm gerecht werden. Er wollte, dass jemand es für die Aufgabe verwendete, für die es geschaffen war. Als er das Haus kaufte, überließ er es mir deshalb in der Hoffnung, dass ich einen Käufer finden könnte.“ Er klopfte auf den Marmor. „Doch niemand interessierte sich dafür.“

Emily war immer überrascht, wenn Rico von der Vergangenheit sprach. Er schien sich an bestimmte Dinge so deutlich erinnern zu können, während er an andere keinerlei Erinnerung hatte. Es war ein glücklicher Zufall, dass er sich hieran erinnerte, und dass der originale Empfangstresen genau Emilys Geschmack entsprach.

Doch ihre Begeisterung ebbte schnell ab und ihre Laune sank. So ein Stück würde mehr kosten, als sie hatte.

„Wie viel soll es denn kosten?“ Sie bereitete sich schon auf eine Enttäuschung vor.

Rico schüttelte den Kopf. „Gar nichts. Ich will, dass du ihn bekommst.“

Emily schnappte nach Luft. „Ich soll ihn bekommen? Das kann ich unmöglich annehmen. Es muss so viel wert sein!“ Sie war fassungslos.

„Bitte“, beharrte Rico. „Ich habe es in fünfunddreißig Jahren nicht geschafft, ihn zu verkaufen. Und die Art, wie sich dein Gesicht aufhellte, als du ihn gesehen hast, ist Bezahlung genug. Ich will, dass du ihn mitnimmst.“

Von ihren Gefühlen überwältigt, warf Emily ihre Arme um Ricos Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke, danke, danke. Du weißt ja gar nicht, wie viel mir das bedeutet. Ich nehme es mit, aber nur als Leihgabe, bis ich genug Geld habe, um ihn dir abzukaufen, okay?“

Er tätschelte ihre Hand. „Wie du willst. Ich bin nur froh, dass er endlich ein liebendes Zuhause gefunden hat.“