Violet - Die 7. Prophezeiung - Buch 1-7

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Kapitel 3

Noch etwas schwach auf den Beinen wackle ich in den Meetingraum, wo wir auch gemeinsam essen. Ich werde herzlich empfangen. Alle sind da und scheinen sich wirklich zu freuen, dass ich wieder fit bin. Na ja, dass ich wieder laufen kann, trifft es wohl eher.

»Dieses Mal hat es dich ganz schön böse erwischt«, sagt Gouch, der sich mir gegenüber hinsetzt und sich ohne zu zögern eine Ladung Kartoffelbrei in den Mund stopft.

»Ach, halb so wild«, schwindle ich und bemerke sofort Jesses besorgten Gesichtsausdruck.

»Ich frage mich, wie es die Bestie so weit in die Stadt geschafft hat«, sagt Flavius. Das habe ich mich auch schon gefragt. Der Finanzdistrikt, Zone zwei, wie wir auch sagen, ist normalerweise sicher. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten vier Jahren zu so einem Zwischenfall gekommen war. Ich stecke mir ein saftiges Stück Schmorbraten in den Mund.

Zufall?

Ein Einzelfall?

Eine Ausnahme, sonst nichts! Kein Grund, sich über die Sicherheit unseres Verstecks Sorgen zu machen. Ich hake das Thema gedanklich ab.

»Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mit Asha tauschen«, meint Flavius. Ich schaue ihn an, während ich mir ein zweites, viel zu großes Stück Braten in den Mund schiebe.

»Wieso das denn?«, fragt Asha auf ihre naive, unschuldige Art.

»Na, weil ich dann mehr Zeit mit Freija verbringen könnte.« Idiot, denke ich, fühle mich von Flavius aber auch geschmeichelt. Er sticht unter uns Normalos mit seiner Attraktivität heraus, wie ein Schwan unter Enten. Selbst jetzt beim Essen sieht er mit seinen pechschwarzen Haaren, der schmalen Nase, auf der die klobige Hornbrille sitzt, die ihn noch interessanter macht und seinen schmalen Lippen richtig gut aus. Aber er ist ein unverbesserlicher Charmeur und, schon seit ich mich erinnern kann, ist er mit Trishtana zusammen.

Ich blicke zu ihr hinüber. Sie isst unbeeindruckt weiter. Hat sich an seine Sprüche schon seit Ewigkeiten gewöhnt. Flavius ist unser Technikexperte und vermutlich der hellste Kopf in unserer kleinen Truppe. Er war schon vor mir hier, genauso wie Trishtana und Jesse. Nur Gouch, Asha und Shaco sind noch später als ich zu unserem Team dazu gestoßen. Ich bin nicht besonders schlagfertig, zumindest nicht mit meinem Mund, deshalb reagiere ich nicht auf Flavius‘ Bemerkung und esse einfach weiter.

»Du kannst dich ja das nächste Mal, wenn die Gesandten kommen, um Ashas Job bewerben«, sagt Shaco und spricht damit ein Thema an, das alle augenblicklich zum Schweigen veranlasst. Ich denke nicht, dass es Shacos Absicht war. Er sagt einfach immer, was er denkt und macht sich nicht viel Gedanken darüber, was er damit anrichten könnte.

Die Gesandten?

Wenn sie kommen, geht es für jeden von uns ums nackte Überleben. Es läuft mir kalt über den Rücken bei dem Gedanken, Asha könnte durch die Prüfungen fallen.

Sie prüfen, ob unsere Fähigkeiten gut genug sind, um dazuzugehören. Ist man zu gut, verlässt man das Team und wird in eine gefährlichere Sektion versetzt. Keiner von uns weiß, wie viele dieser Sektionen es tatsächlich gibt. Das ist streng geheim. Das wissen nur die Gesandten.

Es ist furchtbar, wenn einer das Team verlassen muss, weil er zu gut ist für unsere Sektion. Aber wovor jeder Angst hat, ist nicht gut, genug zu sein. In einer der Prüfungen zu versagen. Dann wird man nicht in eine weniger gefährliche Sektion versetzt, sondern man wird exsektioniert. Aussortiert. Verbannt, entlassen in die Welt da draußen, was gleichbedeutend ist mit einem Todesurteil.

Ohne das Team hat keiner von uns eine realistische Überlebenschance. Die Bestien finden dich, töten dich, so einfach ist das.

Das, was Shaco gesagt hat, geht natürlich nicht. Oder besser gesagt, das hat es noch nie gegeben. Jeder Job in unserem Team ist mit dem Besten besetzt. Jedes Team, egal in welcher Sektion, so viel haben sie uns verraten, hat genau die gleichen Jobs. Einen Softwarespezialisten, das ist Gouch. Einen Doc, Asha. Einen, der auf Nahkampf, und einen, der auf Fernkampf spezialisiert ist, Jesse und ich. Einen Technikexperten, Flavius. Einen Sprengstoffexperten, Shaco. Und einen Kommunikator, der in Verbindung mit den Gesandten steht und als Erster weiß, wann sie wieder kommen, um uns auf die Probe zu stellen. Das ist Trishtana, aber alle nennen sie nur Trish.

Würde Flavius Ashas Job bekommen, dann wäre sie zu schlecht und somit zum Tode verurteilt. Das ist es, was jeder von uns weiß und warum jetzt alle schweigen. Natürlich hat es das noch nie gegeben. Niemand hat je unser Team verlassen müssen, weil er zu schlecht war. Na ja, zumindest nicht, seitdem ich dabei bin. Flavius und Jesse haben das schon mitgemacht, aber sie sprechen nie darüber.

Asha, Gouch und Shaco sind zu uns gekommen, weil, ich schlucke schwer bei diesem Gedanken: ihre Vorgänger von den Bestien getötet wurden.

»Ich habe noch keine Information, wann die Gesandten genau wieder kommen. Aber wenn es sich so verhält wie jedes Jahr, dann werden sie sich nächsten Monat ankündigen. Aber selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, tut es jedem von uns gut, sich frühzeitig auf die Prüfungen vorzubereiten. Nicht wahr, Freija?«

Ich weiß, was Trish damit sagen will. Ich bin, was das Lernen angeht, mit Abstand die Faulste. Der Stoff will einfach nicht in meinem Kopf bleiben. Ich denke, ich reiße das Ruder jedes Jahr mit dem praktischen Prüfungsteil zu meinen Gunsten herum. Aber Trish hat schon recht, wenn es die Gesandten darauf anlegen würden, dann könnten sie mich durchfallen lassen, denn die Prüfungen bestehen immer aus drei Teilen. Einem schriftlichen, praktischen und einem mündlichen Teil. Schriftlich bin ich echt eine Null, leider. Praktisch ein Ass, und mündlich? Ich denke an das, was Asha auf der Krankenstation gesagt hat. Vielleicht hilft mir mein Aussehen etwas beim mündlichen Teil. Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass die Gesandten, also, dass sie mich mögen.

»Mach dir keine Sorgen, ich lerne mit dir«, sagt Asha, die auch weiß, worauf Trish anspielt. Während die junge Asha mir gut zuredet, legt sie ihre Hand auf meine. Auf die, mit der ich verkrampft mein Messer festhalte.

Kapitel 4

Am darauffolgenden Tag beginne ich wieder zu trainieren. Asha hat für mich ein wirklich tolles Programm zusammengestellt. Ich meine das ironisch, denn ich darf dabei so gut wie alles machen, wenn ich mich nur nicht anstrenge.

Ich stehe neben ihr in unserer kleinen Trainingshalle und blicke sehnsüchtig auf die verschiedenen Handwaffen, die in Reihen an der Wand hängen. Mit ihnen habe ich schon unzählige Male gegen die Dummys gekämpft.

Gummimonster, die die Bestien darstellen sollen. Ich schaue sehnsüchtig hinüber zu dem Hindernisparcours, bei welchem ich drei Meter hohe Wände, Rampen, Seile und andere Hindernisse, die sich Gouch ausgedacht hat, überwinden könnte und ich blicke auf den Kraftraum, in welchem ich mich nicht sehr oft aufhalte, aber den ich jetzt liebend gerne Ashas Programm vorziehen würde.

Stattdessen laufen wir an all den Stationen vorbei und betreten den Raum der Stille. Ich würde ja gerne lachen, aber auch das darf ich noch nicht. Wir sind ja jetzt im Raum der Stille und Asha meint, Lachen strenge meine Bauchmuskeln noch zu sehr an. Also sitzen wir uns gegenüber auf dem Boden und dehnen und strecken unsere Beine, Arme und Hüften. Ich merke, wie meine Verletzung ganz schön meckert, aber ich komme gut mit und mit der Zeit macht es mir sogar etwas Spaß, mich zu verbiegen.

»Ist eigentlich schon einmal jemand auf den Gedanken gekommen, dich mit einem Kaugummi zu verwechseln«, frage ich Asha, als sie gerade in die Brücke geht, also Hände und Füße in den Boden drückt, ihren zierlichen Körper nach oben biegt und so ihren Bauch Richtung Decke streckt.

»Nee«, kichert sie leise, angemessen für den Raum der Stille und schwingt sich hoch in den Handstand. Nicht schlecht, denke ich. Das werde ich auch mal versuchen, wenn ich wieder fit bin. Ich begnüge mich damit, im Sitzen und mit ausgestreckten Beinen meine Stirn auf den Knien abzulegen. Das fällt mir leicht.

Für Jesse, der nicht einmal im Stehen mit seinen Fingerspitzen den Boden berühren kann, wäre diese Dehnübung eine Lebensaufgabe. Jesse?

Er ist jetzt gerade auf Patrouille in Zone drei, gemeinsam mit Flavius und Shaco, der solange meinen Platz einnimmt, bis ich wieder mit darf, wieder fit bin. Wie gerne wäre ich jetzt auch dabei, wenn sie durch die Häuserschluchten streifen, die neuen Sensoren checken, welche die Bestien aufspüren und wenn sie Glück haben, dann begegnen sie sogar einem der Viecher und vertreiben es aus unserer Sektion. Ich komme mir gerade so nutzlos vor.

»Hast du was?«, fragt Asha, die meine Gedanken erraten hat.

»Ich wäre jetzt gern draußen, patrouillieren, jagen«, gestehe ich ihr.

»Ich würde es dir ja erlauben mitzugehen, wenn ich mir sicher sein könnte, dass du nichts machst.«

»Kann ich aber nicht. Nichts machen? Das geht doch überhaupt nicht.«

»Deshalb habe ich ja auch das Verbot ausgesprochen.«

»Du hast ganz schön viel Macht über mich, du kleine Göre«, scherze ich. »Kannst einfach so verbieten, dass ich meinem Job mache.«

»Nur wenn du krank oder verletzt bist. Aber mal ehrlich. Du würdest nicht auf mich hören, wenn ich dich darum bitten würde. Oder?« Ich schweige, aber das genügt als Antwort.

»Siehst du. Ich will nur, dass du wieder schnell gesund wirst, bevor du dich wieder mit den Bestien anlegst.« Asha hüpft aus ihrem Handstand und kommt meinem Gesicht ganz nah. »Ich habe jedes Mal Angst, wenn du fort bist.« So wie sie das jetzt sagt, so besorgt, so ernst, ich schlucke schwer. »Ich will nicht allein sein, Freija. Gouch, Jesse und alle anderen sind okay, aber ich brauche dich.«

 

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber das ist vermutlich auch gerade nicht nötig. Ich nehme sie in meine Arme und als hätte sie seit langem auf diese Zuneigung gewartet, drückt sie mich ganz fest und beginnt leise zu weinen. Eigentlich darf sie das nicht. Das 7. Gebot besagt, du darfst keine Schwäche zeigen. Würden die Gesandten herausfinden, wie Asha auf meinem Schoß sitzt und schluchzt, dann wäre sie sofort exsektioniert. Aber ich bin unfähig, sie davon abzuhalten. Wie lange müssen sich ihre Ängste, ihre Gefühle aufgestaut haben? Wie lange sehnt sich dieses junge Mädchen schon nach Zuneigung? Ich bin nur ein Ersatz, das ist mir bewusst. Ich kann nicht mehr tun, als ihre große Schwester zu spielen. Auch wenn wir nicht verwandt sind, werde ich versuchen, genau das für sie zu sein. Für sie da zu sein.

Ich streiche goldene Strähnen aus ihrer Stirn und lasse sie schluchzen, während sie sich in mich hinein verkrümelt, wie eine Eidechse nach Wärme suchend.

»Ich werde nicht weggehen. Ich bin für dich da. Keine Sorge, Kleine! Keins dieser Biester wird mich erledigen.«

»Versprochen?«

»Versprochen«, schwöre ich.

Plötzlich sehe ich einen schemenhaften Schatten. Jemand ist hier, beobachtet uns. Sofort mache ich Asha darauf aufmerksam und sie wischt sich gleich die Tränen aus den Augen. Angst kann ich jetzt in ihrem Gesicht lesen. Ich schüttle fast unmerklich den Kopf und Asha versteht mich.

»Du musst dich noch mehr in die Übung hineinversetzen und die Dehnung richtig mit der Atmung spüren«, sagt sie tapfer und die Traurigkeit ist ihr kaum noch anzuhören, als sie mir die Atemübung vorführt, die sich jetzt absichtlich anhört, als würde sie dabei schluchzen. Gut Asha, denke ich und werfe einen Blick über meine Schulter, in Richtung des Schattens. Trish steht am Eingang und schaut uns zu. Wie lange ist sie schon hier? Hat sie etwas mitbekommen?

Sie ist nicht dumm, natürlich lässt sie sich nicht von Ashas Täuschungsmanöver in die Irre führen. Deshalb ist die einzig entscheidende Frage, wie sie auf Ashas Verstoß gegen das 7. Gebot reagieren wird.

»Die Gesandten haben sich angekündigt«, sagt sie, als sich unsere Blicke treffen. »Sie kommen viel früher als erwartet.« Ich brauche einen Moment, bis Trishs Worte bis in mein Gehirn vorgedrungen sind.

Die Gesandten? Sie kommen, um uns zu prüfen. Ich werde heute noch anfangen müssen zu lernen. Den Geschichtsstoff über die Gesandten, die Sieben Gebote und ihre Bedeutungen und die Themen, die ich als Nahkämpfer wissen muss und sich von denen aller anderen Teammitglieder unterscheiden. Ich stelle mich schon gedanklich auf meine Prüfungsvorbereitung ein und gehe die nächsten drei bis vier Wochen bereits in meinem Kopf durch.

Ich werde viele Stunden in der Bibliothek zubringen und auch mal eine Nachtschicht einlegen müssen, damit ich das aufholen kann, was ich im letzten halben Jahr an Lernen vernachlässigt habe. Dann kommt mir ein weiterer Gedanke. Ich habe die Zusammenstellung über die neuen Bestienarten, die wir vor zwei Monaten erhalten haben, noch nicht einmal angeschaut. Okay, dafür muss ich dann noch einmal mindestens eine halbe Woche dranhängen.

Gut, dass ich gerade von Asha krankgeschrieben wurde und nicht auf Patrouille gehen muss. Glück im Unglück, so habe ich mehr Zeit zum Lernen, überlege ich weiter. Dann höre ich Ashas Worte: »Wann treffen sie ein?«

»Morgen!«, antwortet Trish ohne die geringste Gefühlsregung.

Kapitel 5

Könnte mich mal bitte jemand daran erinnern, wie man atmet.

Ich werde sterben. Das ist mein erster Gedanke.

Ich bin verletzt, mein zweiter. Denn mir wird schrecklich bewusst, dass ich nicht einmal meine Stärke, meine praktische Prüfung, die mich sonst immer gerettet hat, mit der ich die schlechten Ergebnisse aus der Theorie ausgleichen konnte…, dass sie mir dieses Mal nicht helfen wird. Ich darf nicht einmal über diese Erkenntnis lachen, denn das beansprucht zu sehr meine verletzten Bauchmuskeln.

Trish steht immer noch da. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte man meinen, dass sie diesen Moment genießt und ihn deshalb so lange wie möglich auskostet. Asha ist sprachlos, sie schaut mich nur mit ihren blauen, runden Augen an, die jetzt mindestens um das doppelte angewachsen sind.

Angst kann ich aus ihnen lesen. Es ist nicht die Furcht davor, selbst zu versagen. Sie ist immer diejenige von uns, die mit den besten Ergebnissen abschneidet, eine kleine Streberin. Nein, es ist die Angst, mich zu verlieren. Und das Traurige ist, dass ich nichts dagegen tun kann. Habe ich nicht eben noch versprochen, dass ich für sie da bin. Tolles Versprechen, hat genau mal eine Minute gehalten. Tolle große Ersatzschwester. Ich bin so naiv, wie konnte ich nur daran glauben, dass ich für Asha da sein kann.

»Du musst mich gesund spritzen!«, sage ich zu Asha. »Ich werde bei der praktischen Prüfung so gut abschneiden, dass sie mich behalten müssen«, sage ich und weiß, dass es diese Spritze nicht gibt. Dennoch stehe ich entschlossen auf. Zu schnell, der Schmerz in meinem Bauch zwingt mich wieder in die Knie und die Tränen steigen mir in die Augen. 7. Gebot, keine Schwäche zeigen, denke ich. Verdammt. Ich weine nicht vor Schmerz, sondern wegen Asha, weil es aussichtslos ist.

»Die Gesandten haben mich beauftragt, dieses Jahr den Zeitplan für die Prüfungen aufzustellen.« Trish macht eine Pause. Ich spüre, wie schwer es ihr fällt, das jetzt auszusprechen. »Ich setze dich ans Ende der Liste. Mehr kann ich nicht für dich tun«, sagt sie und geht. Das Ende der Liste? Ich werde die Letzte sein, die zur Prüfung muss. Da die Prüfung für jedes Teammitglied einen ganzen Tag dauert, habe ich sechs Tage Zeit. Nicht mehr, nicht weniger.

Sechs Tage?

Nicht annähernd die Zeit, die ich brauche, um völlig gesund und dann auch wieder fit zu werden. Nicht ausreichend Zeit, um alles das zu lernen, was ich bei den Prüfungen wissen muss.

Kapitel 6

Wir sitzen alle um den runden Glastisch in unserem Kommunikationsraum, als Trish allen die Neuigkeiten mitteilt. Sie hat nach Jesses, Flavius‘ und Shacos Rückkehr keine Zeit verloren alle zusammenzurufen.

Die Gesandten vertrauen ihr, hallt es in meinen Ohren wieder. Nicht ohne Grund. Trish ist absolut zuverlässig und funktioniert bei allen organisatorischen Aufgaben, die in unserem Team zu bewältigen sind, wie ein Uhrwerk. Vermutlich können wir uns deshalb nicht so gut leiden, denn wenn ich eins nicht bin, dann ist es, organisiert zu sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass mir ihr Freund Flavius bei sich jeder bietenden Gelegenheit schöne Augen macht. Wäre Trish nicht seine Freundin, vielleicht wären wir dann ein Paar. Aber nur wenn es nach Flavius geht. Er sieht gut aus, das ist unübersehbar. Ist intelligent, gerade hat er einen Scanner entwickelt, mit dem wir die Bestien aufspüren können. Heute auf der Patrouille wollten sie ihn das erste Mal testen. Leider war keine Bestie in der Nähe, also wissen wir noch nicht, ob er funktioniert.

Aber Flavius ist nicht mein Typ! Jesse vielleicht, wenn wir uns unter anderen Umständen kennen gelernt hätten. Ich verstehe nicht, wie Flavius und Trish zusammen sein können und mit der Gefahr und Angst umgehen, die jeden Tag über der Beziehung schwebt, wie ein Schwert am seidenen Faden.

Vielleicht sieht sie in mir eine Rivalin, eine Mitstreiterin um die Gunst von Flavius. Vielleicht will sie auch nur die ganze Aufmerksamkeit für sich allein haben? Ich muss zugeben, ich weiß nicht, warum wir uns aus dem Weg gehen. Aber ich weiß, dass ich ihr etwas schulde, dafür, dass sie mich ans Ende der Liste gesetzt hat und ich dadurch zumindest eine minimale Chance habe, mich auf die Prüfungen vorzubereiten. Es ist ein Zeichen, dass ich ihr nicht egal bin.

»Wenn ich die Prüfung nicht bestehe, dann jage ich mich in die Luft. Besser als von den Viechern da draußen abgeschlachtet zu werden.« So reagiert Shaco auf die Neuigkeit. Das nimmt ihm natürlich keiner ab. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob er es nicht doch ernst meint. Shaco hat manchmal schon den Hang zum Wahnsinn. Ich erinnere mich an unsere erste gemeinsame Jagd. Er hatte einen der Sprengsätze, die wir von den Gesandten erhalten hatten, modifiziert.

»Ein bisschen Show für die Bestien!«, hatte er gesagt. Aber als das Ding hochging, wurden nicht nur die Bestien in tausend Stücke gerissen, sondern es flogen auch gleich zwei Gebäude mit in die Luft. Die Splitter flogen uns um die Ohren, es brannte überall und während wir am Boden lagen und um unser Leben bangten, stand Shaco in der Mitte des Feuerwerks, das er angerichtet hatte und lachte: »Was für eine Explosion! Da schaut ihr, was! Ihr Mistviecher!« Es ist mir heute noch ein Rätsel, dass keine Nunbones verletzt wurden. Asha brauchte einen ganzen Tag, um uns alle Splitter aus dem Körper zu entfernen. Drei meiner Tattoos stammen von dieser unvergesslichen Nacht. Drei Tattoos. Für jede Bestie eins.

Shaco ist bei den Prüfungen als Dritter an der Reihe und ich beschließe, wenn er nicht bestehen sollte, dann halten ich und Asha einen ordentlichen Sicherheitsabstand zu ihm und seinen Sprengsätzen. Flavius ist dagegen ganz cool geblieben. Er ist der älteste von uns und hat mehr Prüfungen bestanden als jeder andere. Er hat sich sogar freiwillig gemeldet, gleich morgen, wenn die Gesandten erscheinen, direkt als Erster zur Prüfung zu schreiten.

Trish hatte Gouch kurz nach mir und Asha informiert. Er nimmt es mit Humor und fragt in die Runde, was wir an unserem speziellen Tag am liebsten Essen wollen. Könnte ja die letzte gescheite Mahlzeit unseres Lebens sein. Er ist als zweiter dran. Trish ist die vierte und Jesse fünfter. Jesse sagt gar nichts, schaut besorgt zu mir und als sich unsere Blicke treffen, schaue ich zur Seite.

Trish geht zum Ablauf der Prüfungen über, den zwar jeder schon kennt, aber das Protokoll schreibt es so vor und Trish liebt Protokolle, genaue Regeln und Anweisungen. Also hören wir alle geduldig zu, denn das hier ist ihr Job und den macht sie perfekt.

»An jedem Tag wird einer von uns von den Gesandten zur Prüfung eingeladen. Wer nicht erscheint, wird exsektioniert. Die Prüfungen bestehen aus einer Frage, die schriftlich zu beantworten ist, einer Frage, die mündlich zu beantworten ist und einer Aufgabe, die praktisch gelöst werden muss. Am Ende des Tages wird darüber entschieden, ob der Prüfling bestanden hat. Wenn er nicht besteht, dann wird er exsektioniert.« An dieser Stelle will ich aufstehen, aber Trish ist noch nicht fertig.

»Die Bewertung setzt sich folgendermaßen zusammen«, fährt sie fort.

»Das ist neu, seit wann dürfen wir wissen, wie die Gesandten bewerten?«, fragt Gouch neben mir. Ich halte meinen Finger vor den Mund und gebe ihm so zu verstehen, ruhig zu sein.

»In Summe können dreimal sieben, das ergibt 21 Punkte, erreicht werden. Zum Bestehen genügen 15 Punkte. Jeder Prüfungsteil wird mit einer Punktzahl zwischen 0 Punkten, das heißt versagt, und 7 Punkten, das heißt glänzend, bewertet.« Alle schweigen. Das ist neu und das sind verschärfte Bedingungen, für jeden von uns. Wenn man keine Antwort auf nur eine der Frage hat, dann hat man 0 Punkte und somit versagt.

»Des Weiteren sind ab diesem Jahr bei den praktischen Prüfungen Zuschauer zugelassen. Jedem Prüfling ist es frei gestellt, ob er bei der Prüfung eines Teammitglieds beiwohnen möchte, um ihn zum Beispiel anzufeuern«, liest Trish aus dem Protokoll vor. Sie war am Ende.

»Seit wann weißt du davon, Trish?«, platzt es aus Flavius heraus.

»Seit gerade eben, ich lese das Protokoll zum ersten Mal. Sie haben es eben gesendet«, sagt Trish und ich glaube ihr. Ihr verwirrter Blick, wie sie auf den Flexscreen vor sich schaut, ist nicht gespielt. Sie ist keine gute Schauspielerin. Das ist echt und sie ist genauso davon betroffen wie wir alle. Was hätte sie davon, uns etwas vorzuenthalten. Die bittere Wahrheit, die sie nun verkündet hat, ist, dass meine Chancen, die Prüfungen zu bestehen, gegen Null gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Frage beantworten kann, ist schon gering, aber dann gleich zwei. Keine Chance! Trish hat eben mein Todesurteil ausgesprochen. Ich werde garantiert exsektioniert. Alle Waffen, die mir die Gesandten für den Kampf gegen die Bestien zur Verfügung gestellt haben, muss ich abgeben und dann muss ich raus in die Zone 5. Niemand von uns war bisher in Zone 5.

 

Wir kontrollieren Zone 1 bis 4. In Zone eins befindet sich unser Skygate. In Zone 2 treffen wir vielleicht einmal alle paar Jahre auf eine Bestie. So geschehen vor ein paar Tagen. Zone 3 ist gefährlich, dort spüren wir sie auf und gehen auf die Jagd. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, Zone 3 zu sichern, die Nunbones dort vor den Bestien zu beschützen und Sehende zu finden und den Gesandten zu übergeben.

In Zone 4 herrscht Krieg. Niemals gehen wir dort alleine hin. Die Gesandten übermitteln uns die Koordinaten, wir gehen rein, erledigen ein paar der Biester und dann hauen wir wieder ab, bevor sie uns zur Strecke bringen.

Zone 5 gehört den Bestien. Das ist ihre Welt und dort muss ich hin, wenn ich versage.