Wie ein Regenbogen

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Dank der Beziehung mit Brian (und der Tatsache, dass ihre Anwesenheit bei der Presse bislang größtenteils unbemerkt blieb) fand Anita genügend Freiräume, um eine Party in angesehener Gesellschaft steigen zu lassen. Ready Steady Go!, die heiße TV-Show mit den energiegeladenen Auftritten, gehörte zu einer der Gelegenheiten, bei denen sie mit einem eingeladenen Publikum das Tanzparkett „polierte“. Am 29. Oktober 1965 waren die Stones der Hauptact, doch auch The Animals traten auf, The Searchers und Chris Farlowe. Trotz der erhofften Anonymität war ein Fotograf von der Paris Match bei der Übertragung anwesend, der eine Reihe von Aufnahmen von der ekstatisch tanzenden Anita schoss. Aufgekratzt, grell und unbekümmert dominiert Anita die Menge der Gäste, die eine Party vortäuschen.

Ein weiterer kurzer Augenblick von Anita im Party-Modus in der damaligen Zeit wird in der Rediffusion-Doku Go, Go, Go, Said The Bird festgehalten, einer der scheinbar endlos vielen Filme, die versuchen, das Swinging-London-Phänomen zu erklären. Während des Programms wird Anitas Präsenz in London erstmalig von einer Filmkamera eingefangen.

Einige Personen lernten sie damals näher kennen wie der Musikverleger Tony King, der 2005 dem Autor Andy Neill berichtet: „In konventioneller Hinsicht war Anita nicht schön, doch sie raubte einem den Atem. Ich begegnete ihr zuerst [1965] mit Andrew [Oldham] und [seiner Frau] Sheila im Scotch Of St James. Später traf ich sie im Chez Castel, wo sie zu mir rüberkam und sich vorstellte. Sie erzählte mir, dass sie mit Brian ging. Sie und Brian waren ein fantastisch aussehendes Paar.“

Trotz des vollen Terminplans verbrachten die beiden so viel Zeit wie möglich zusammen. Die räumliche Entfernung stellte niemals ein Hindernis dar, denn ihre Leidenschaft war offenkundig. Bei einem Job in Paris Ende 1965 traf Anita wieder Deborah Dixon und Donald Cammell. Während des Aufenthalts in Montparnasse sah sie Donalds Bruder David (späterer Produzent von Performance). Donald hatte schon überschwänglich über das bevorstehende Treffen gesprochen, und David zeigte sich tief beeindruckt, als er sie das erste Mal sah.

„Ich wohnte bei meinem Bruder und Deborah in ihrem Studio“, erinnert sich David Cammell heute. „Anita hielt sich da auf und wollte nach London reisen. Ich war mit meinem Lotus Elan in Marokko gewesen und sie fragte: ‚Kannst du mich mit nach London nehmen?‘ Ich antwortete: ‚Klar.‘ Ich hatte in Marokko ein wunderschönes Tongefäß erstanden. Da der Lotus ein Zweisitzer war, musste ich nun eine Entscheidung treffen. Ich opferte also das Gefäß und Anita nahm den Platz ein. Sie setzte sich rein und schon ging es los.“

Cammell, der wie ein Wahnsinniger durch die ländlichen Regionen Frankreichs fuhr, um die Fähre rechtzeitig zu erreichen, zeigte sich von Anitas Intellekt und ihrem enzyklopädischen Wissen beeindruckt.

„Das war außergewöhnlich“, berichtet er. „Sie konnte jedes Thema mit einer langen Ausführung beantworten. Als ich sie mit nach London nahm, dachte ich, dass eine gemeinsame Nacht ganz schön sein könne! Dann hielten wir beim Scotch Of St James, und ich erfuhr, dass sie dort mit Brian Jones verabredet war.“

Als die US-Tour 1965 kurz unterbrochen wurde, kam Anita auf die Idee, in die Staaten zu fliegen, um mit Brian einen Kurzurlaub in Miami einzulegen. Doch wenige Tage vor dem Termin musste ihre Arbeitserlaubnis für Großbritannien erneuert werden. Sie brach ihre Arbeit in London ab und flog direkt nach Paris, um möglichen Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Von Frankreich aus telefonierte sie täglich mit Brian, bevor sie endlich einen Flieger nach Florida bestieg.

„Soweit ich mich erinnere“, erzählte Anita, „zahlte ich mein Ticket selbst, holte sie ein, aß mit den Roadies und dann ging’s direkt ins Hotel. Das war damals so – nichts organisiert. Auch die Pässe und dieser ganze Mist. Das waren noch die Zeiten, in denen sie ein Hotelzimmer total verwüsteten – voll auf Adrenalin, das beim Verlassen der Bühne immer noch in ihnen pulsierte.“

Besessene Fans fanden schnell heraus, dass Anita mehr war als nur das obligatorische Groupie. Der daraus entstehende Frust und die Eifersucht richtete sich oft gegen sie. „Das war sehr beängstigend“, erläuterte sie in dem Buch The Early Stones von Michael Cooper und Terry Southern. „Die haben mir die Klamotten zerrissen, mich ständig zu Boden gestoßen – mich getreten, mich hingeworfen, damit ich ihnen nicht im Weg stand. Totaler Neid und Misshandlung, verbal und körperlich.“

Doch Gefahr und Gewalt ging nicht nur von den Fans aus. Es war Anitas erste Fahrt in der Achterbahn des Tourlebens, die gemeinsame Zeit mit Brian wurde oft unterbrochen und gelegentlich gab es aufsehenerregende Vorkommnisse. Ronnie Schneider, der Tourmanager während der Konzertreise, war Zeuge vieler der frühen Zusammenstöße und zeichnet ein lebhaftes Bild von der explosiven Chemie zwischen Jones und Pallenberg.

Schneider erinnert sich heute: „Als ich das erste Mal mit Anita Kontakt hatte, war ich wegen eines Anrufs von der Rezeption zu Brians Zimmer gegangen. Es sollte dort sehr laut geworden sein. Als ich hinkam, erfuhr ich nur, dass sie sich über irgendetwas gestritten hatten. Anita meinte hinterher, sie sei von Brian unfair behandelt worden, aber ich würde mal meinen, dass die beiden sich gegenseitig nichts geschenkt hatten.“

Spannungen gab es nicht nur hinter geschlossenen Türen. Anita zeigte einen damals seltenen Widerwillen gegen das von Musiker-Partnerinnen erwartete Verhalten und hielt während der US-Tour unübersehbar die Fahne des Feminismus hoch.

„Wir verbrachten einen freien Tag in Miami“, berichtet Ronnie Schneider. „Damals wohnten wir im Hotel Fountainebleau. Wir hatten alle diese Speedboote, mit denen wir über das Wasser rasten. Plötzlich sah ich Anita, die direkt auf andere zufuhr, dann auf mein Boot und voll reinknallte.“

Nach der Episode in Miami kehrte sie kurz nach Paris zurück, bevor sie wieder nach Los Angeles flog, um beim Ende der Tour dabeizusein und etwas Zeit mit Brian zu genießen. Der Stones-Tross reiste mit einigen Agenten der mächtigen Agentur GMC, und Anita lernte den für die Band zuständigen Repräsentanten Michael Gruber kennen.

„Sie war ein freigeistiges, wunderbares Mädchen“, berichtet Gruber heute. „Sie zeigte sich an allem interessiert und war eine witzige Person, die man gern um sich hatte. [Anita] sorgte für den zündenden Funken. Manchmal waren Brian oder Keith niedergeschlagen und in sich versunken, und dann ging Anita hin und sagte so was wie: ‚Hört doch mit dem Scheiß auf, kommt aus dem Arsch und lasst uns loslegen.‘“

Da die Band nach dem Ende der Tournee noch einige Aufnahmen machen sollte, wurde Gruber als ihr Agent beauftragt, für die passende Unterbringung zu sorgen.

Gruber: „Ich erinnere mich noch an das Einchecken im Hotel Bel-Air. Ich musste die Buchung unter falschen Namen machen, sonst hätte man uns da nie reingelassen. Normalerweise wohnten wir im Beverly Wilshire, doch Mick wollte unbedingt ins Bel-Air, weil es über große Gärten verfügte und Bungalows für die Unterbringung der Gäste. Ungefähr eine Stunde nach der Ankunft meinte Anita zu mir: ‚Michael, wir wollen die Möbel aus dem Raum haben – wie bleiben ja hier. Die Stones nehmen ihr Album auf und wir haben für Brian schon einen Flügel bestellt.‘ Egal, wenige Stunden darauf wurde der Flügel angeliefert. Während der Nacht hatten die beiden einen unglaublichen Streit. Cary Grant wohnte eine Tür weiter und beschwerte sich über den Krach. Um vier Uhr morgens suchte mich der Manager in meinem Bungalow auf, berichtete von dem ganzen Lärm und dem entstandenen Schaden. Ich ging zu Brians und Anitas Bungalow. Der sah ziemlich verwüstet aus, als sei ein Truck da reingefahren. Anita meine beiläufig: ‚Was soll ich nur mit ihm machen? Er hört einfach nicht zu.‘ Na ja, man warf uns aus dem Bel-Air raus und wir checkten im Beverly Wilshire ein.“

Nach Beendigung der Tour machten die beiden Urlaub auf den Virgin Islands. Anschließend beabsichtigten sie einige Zeit in New York zu verbringen, wo sie die Gelegenheit zu einem Treffen mit Bob Dylan wahrnehmen wollten. Dylan, der eigentlich nicht dafür bekannt war, sich zu Verrückten hingezogen zu fühlen, war fasziniert von den beiden, die sich in ihrem Wesen glichen wie ein Ei dem anderen. Wenn man den Mythen Glauben schenkt, schrieb Dylan „Ballad Of A Thin Man“ 1965 als eine Art von Hymne auf Jonesʼ Komplexität und sein oft abgemagertes Erscheinungsbild. Mögliche Referenzen an Anita finden sich auf dem legendären Album Blonde On Blonde, besonders beim Track „I Want You“. Der Sinn ist natürlich – denkt man an Dylans Hang zur Mehrdeutigkeit – sprachlich chiffriert, doch die Zeile über ein tanzendes Kind, das einen „Chinese suit“ trägt, lässt sich möglicherweise auf Anita zurückführen. Hinzu kommen noch mehrere Andeutungen, wenn der Protagonist sagt, dass die Zeit auf seiner Seite ist (eine eventuelle Anspielung auf den Stones-Track „Time Is On My Side“). Auch der Albumtitel könnte Dylans Interesse an Jones und Pallenbergs bemerkenswerter Uniformität glaubwürdig widerspiegeln.

Während der Audienz beim Barden wurde passenderweise viel in Metaphern gesprochen. „Wir suchten Dylan im Chelsea Hotel auf. Als er Brian das erste Mal sah, fragte er: ‚Na, wie hoch steht dein Paranoia-Zähler, Brian?‘ Dann machte er uns an, denn Brian hatte eine Limousine bestellt, die uns in einen Club bringen sollte. Er meinte: ‚Was soll denn das mit der Limousine? Nur Popstars kutschieren in Limousinen.‘“

Trotz des krachenden Aufpralls auf dem Planeten Rolling Stones führten Anita und Brian ihre Beziehung weiter. Es überraschte niemanden, dass sich schon vor Ende der US-Tour Gerüchte in den Kolumnen der Klatschpresse verbreiteten, die sich um eine mögliche Ehe rankten. Das britische Musikmagazin Disc Weekly war die erste Publikation, die darauf anspielte, dass hinter Anitas Aufenthalt mit Brian in Los Angeles mehr stecken könne, als der Anschein vermuten ließ. Die Schlagzeile auf der Titelseite „Brian Jones Wedding?“ mit einem Foto des Paars wurde von der Presse im großen Stil aufgegriffen und stieß auf eine beträchtliche Resonanz. The New Musical Express folgte schon bald und in der Ausgabe vom 7. Dezember stand, dass in London „in den letzten Tagen Gerüchte die Runde machten, dass Brian Jones von den Rolling Stones kurz vor einer Hochzeit steht. Seine zukünftige Frau ist das 21-jährige deutsche Model Anita Pallenberg. Bei einer Party in Chelsea kommentierte Jones dies kürzlich so: ‚Die Hochzeit ist definitiv geplant, und Bob Dylan wird Trauzeuge sein.‘“

 

Angesichts der unkonventionellen Grundhaltung der Stones sorgte das Thema von Jones’ Heiratsabsichten für reichlich Mutmaßungen in den Klatschspalten. Überall wurde darüber spekuliert, wie diese bemerkenswerte Frau den schwierigen Stone zähmen und in den Hafen der Ehe locken konnte. Um noch Öl ins Feuer zu gießen, wurde berichtet, dass Anita in den USA beim Betreten einer Hochzeitsboutique gesehen wurde.

Während sich der Klatsch und Tratsch über die Regale der Zeitschriftenhändler verbreitete, bedrängten Reporter das Paar bei der Rückkehr am Londoner Flughafen. „Es wird schon sehr bald sein“, bestätigte Anita, wonach sie kryptisch einlenkte: „… oder es wird nie passieren.“

Jones wurde gedrängt, zu Anitas Aussage Stellung zu nehmen. „Ich denke natürlich über eine Heirat nach“, eröffnete er den wartenden Journalisten. „Anita ist das erste Mädchen, bei der ich mir ernsthafte Gedanken mache.“ Konkret auf Anitas Erklärung angesprochen, verhielt er sich eher ausweichend: „Es ist mir ein wenig peinlich, denn das ist alles privat. Wir schätzen uns sehr und es ist ja ganz offensichtlich mehr als eine flüchtige Bekanntschaft.“

Die Neuigkeiten fanden schließlich ihren Niederschlag in den Teenager-Magazinen. In der Ausgabe der deutschen Bravo vom 3. Januar 1966 wurde die Geschichte auf zwei Seiten ausgewalzt. Obwohl Brian betonte, dass „Anita für mich die Einzige ist“, rutschte ihm noch heraus, dass sie „verrückt“ sei.

Rave veröffentlichte im Februar 1966 einen ganzseitigen, etwas seriöseren Artikel über Anitas und Brians Beziehung mit der Schlagzeile: „Die Story eines Stone – eine Love Story“, auch wenn der aus verschiedenen Quellen zusammengemixte Bericht voller Fehler war. Die letzten Worte des Textes, in dem man die gegenseitige Liebe zu romantisieren versuchte, wirkten allerdings geheimnisvoll: „Was wird nun geschehen? Wird Brian seine Anita heiraten? Das vermag niemand mit Sicherheit zu sagen, weder Brian noch Anita. Die Zeit wird es weisen.“

Ungeachtet seiner Beziehung zu Pallenberg lebte Jones seinen Rock’n’Roll-Lifestyle auf Tour weiter, mit all den Drogen und flüchtigen Momenten körperlicher Lust. Wenn die Band nicht unterwegs war, wohnte der launische Brian in verschiedenen Wohnungen, die er jeweils nur sporadisch nutzte, im Großraum Westlondon. Nachdem er aus einem Stadthaus in Belgravia herausgeworfen worden war, das er sich mit einigen Musikern der Pretty Things geteilt hatte, zog er im März 1965 in eine umgebaute und für seine Verhältnisse sehr bescheidene Wohnung in der Elm Park Lane Nummer 7. Zuerst hatte er Pat Andrews mit ihrem gemeinsamen Sohn Mark dort wohnen lassen, doch nachdem sie eine Unterhaltsklage gegen ihn angestrengt hatte, gab er den beiden den „Marschbefehl“. In dem Haus herrschte für weibliche Besucherinnen eine Politik der sich schnell öffnenden und schließenden Tür; nur Linda Lawrence (die Mutter seines Sohnes Julian), das Model Zouzou und die deutsche Schauspielerin und Sängerin Nico gingen dort regelmäßig ein und aus – bis Anita kam.

Obwohl es nur kurz war, stellte sich für Nico das „Arrangement“ mit Brian als glücksbringend heraus, denn er machte sie mit den damals noch in ihrer Anfangszeit stehenden Velvet Underground bekannt. Ihre Freizeit verbrachten Nico und er mit vulgären Sexspielchen. Später erinnerte sie sich an seine beinahe kindliche Art und seine praktisch unstillbare Lust auf neue Erlebnisse.

„Er ähnelte einem kleinen Jungen mit einem Zauberkasten“, charakterisierte Nico das Leben mit Brian. „Es war für ihn wirklich eine Entschuldigung, gemein und zugleich sexy zu sein. Er las Bücher eines alten englischen Mannes [Aleister Crowley], der der Teufel war. Irgendwann sagte ich ihm, dass ich den Teufel kannte und dieser ein Deutscher gewesen sei!“

Zuerst versuchte Brian, Anita im Haus zwischen den anderen weiblichen Gästen „einzuschieben“, doch im Mai 1966 schob er seinen alten emotionalen Ballast beiseite und sie zog offiziell in das Haus an der Elm Park Lane ein.

Anita hatte den Neid der Fans während der US-Tour mit Brian und den Stones in seiner ganzen Brutalität erlebt, doch die glühenden Verehrerinnen, die außerhalb des Hauses kampierten, zeigten sich ihr gegenüber vergleichsweise wohlgesinnt.

„Vor dem Haus hielten sich immer Fans auf“, berichtet Anita in The Early Stones. „Sie fragten: ‚Dürfen wir auf eine Tasse Tee reinkommen?‘ Und ich antwortete meist: ‚Ja, ja – kommt rein.‘ Und dann haben sie den Abwasch gemacht und gefragt: ‚Dürfen wir Brians Bett machen?‘ Und ich antwortete wieder: ‚Ja, okay, macht das ruhig.‘ Sie machten sich recht nützlich … Es waren einfach liebe, unschuldige Mädchen.“

Jones nutzte die Wohnung als Lager für seine umfangreiche Schallplattensammlung, Schnickschnack aus aller Welt und Spielzeug wie Scalextric und Modelleisenbahnen. Die zentrale Lage war ideal für ihn, um seine professionellen und privaten Angelegenheiten schnellstmöglich erledigen zu können. Für Anita war es geradezu ein Segen, denn die King’s Road (das Epizentrum der Mode in den Sechzigern) lag nur vier Minuten Gehzeit entfernt, obwohl das Lebensgefühl der Chelsea-Boheme ihrer grundsätzlichen Einstellung zuerst widerstrebte.

„Ich habe nie verstanden, warum die Leute barfuß durch die King’s Road zogen“, erzählte sie Steven Severin 2002 für einen Artikel im Guardian. „Zuerst mal war es da dreckig. Und warum sollte sich eine Frau das wohl schönste Accessoire ihrer Garderobe vorenthalten?“ Dennoch ließ sie sich auf das „groovige“ Ambiente von Chelsea ein und seinen sozialen Mix aus abtrünnigen Aristokraten, wohlhabenden Beatniks und progressiv ausgerichteten Künstlern. Es war eine Beziehung, die sie den Rest ihres Lebens aufrechterhielt.

Mit Anita unter einem Dach zu leben, schränkte Brians Solo-Ausflüge in die Londoner Clubszene erheblich ein. „Letztes Jahr, als er noch nicht mit ihr zusammen war, kam er fast jeden Abend hierher“, erinnerte sich eine Kellnerin des Scotch Of St James gegenüber dem Magazin Rave. „Jetzt kommt er kaum noch.“

Brian hatte zwar viele Möglichkeiten, sich mit den Bandkollegen im Backstage-Bereich oder in lauten Clubs zu unterhalten, doch Freizeit abseits von Menschenmengen war eher selten. George Harrison und Jones waren musikalische Seelenverwandte, und eines Tages lud der Beatle Anita und Brian in sein Haus in Esher, Surrey, ein. Harrisons Partnerin Pattie Boyd wohnte mit ihm in dem niedrigen Bungalow und erlebte Anita daher aus nächster Nähe.

„Sie war sehr ungewöhnlich“, beurteilte Pattie das Erscheinungsbild ihres Gastes. „Sie hatte so eine tiefe Stimme mit einem sexy Schweizer Akzent. Sie sah cool und selbstsicher aus, war sich ihrer Schönheit aber nicht bewusst. Sie schlenderte durch unser Haus, redete und wirkte durch und durch fantastisch – ich konnte meine Augen kaum von ihr losreißen. Ich fand sie atemberaubend, dieses Charisma, dieses Selbstvertrauen.“

Doch abgesehen von Anitas coolem Äußeren erkannte Boyd auch, was die Dynamik der Jones/Pallenberg-Beziehung ausmachte.

„Sie hatte die Beziehung unter Kontrolle – definitiv. Man merkte, dass sie machen konnte, was sie wollte. Eigentlich war sie auch ein bisschen unheimlich. Auf mich wirkte [Anita], als habe sie Geheimnisse, die sie nicht enthüllen wollte. Ich bin niemals einem jungen Mädchen mit solch einem Selbstvertrauen begegnet.“

1965 wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Samenkörner für kreative Seelen wie Anita ausgesät und im Jahr 1966 begann die Saat aufzugehen. „Swinging London“, wie man es schnell mit einem Schlagwort einfing, wurde die angesagteste Stadt auf dem Planeten, eine Metropole, in der ein ausgewählter, aber ungemein talentierter Kreis von Künstlern und Denkern die Richtung eines neuen Lebensgefühls vorgab.

Die Signale, die über die Antenne des „Swinging London“ gesendet wurden, machten schnell die Runde um den gesamten Globus. Bevor sich San Francisco 1967 den Status als coolste Stadt der Welt unter den Nagel riss, war London in der ersten Hälfte der Jahrs 1966 das kreative Herz der Welt. Die Jugendmode und Mode allgemein stellten den aufstrebendsten Markt der Welt dar, woraufhin die Leute aus allen Ecken der Nation in die Stadt strömten, um bei der Party mitzumachen. Auch fand in London im Sommer die Fußballweltmeisterschaft statt, was zu einem neuen Nationalstolz bei dem größten Teil der Bevölkerung führte. Der Union Jack, zuvor nur als konservatives und nationalistisches Symbol angesehen, entwickelte sich zu einem Modestatement. Viele bereicherten sich jedoch nur an den Rändern des Phänomens, wohingegen ein konzentrierter Kern der „Macher“ existierte.

„Das glich einer Verschwörung von ungefähr tausend Protagonisten, die mitten in London lebten“, analysiert der angesehene Chronist des Stils Peter York heute. „Anita muss all diese Leute gekannt haben, denn in der Szene kannte jeder jeden. Die ganze Swinging-London-Szene beschränkte sich auf eine kleine Anzahl von Orten.“

Eigenartigerweise war es ein amerikanisches Magazin, das sich als Erstes ausführlich mit dem verbreiteten Gefühl von Emanzipation, kultureller Freiheit und kindlichem Erstaunen auseinandersetzte, welches sich 1966 in Englands Hauptstadt ausbreitete.

Die überschwängliche Coverstory im Magazin Time enthüllte der Welt das Phänomen, das für Anita und ihren Kreis schon seit einigen Monaten zur Realität geworden war. Der ausführliche Artikel versuchte eine Momentaufnahme davon zu machen, wie sich aus einem kreativen Abenteuer das nächste ergab – oftmals täglich ein neues. Die Szene hatte sich schon um einige Schritte weiter entwickelt, als das Magazin in den Handel kam, doch war die Story deutlich tiefgreifender, eindringlicher und ergiebiger als andere Berichte in dieser Zeit.

„Tausende Schallplatten drehen sich in einem immer größer werdenden Orbit von Diskotheken“, hieß es in der Reportage. „Aus eleganten Gaststätten sind Spielhallen geworden. In einer einst grauen Welt verblassender Pracht erblüht im Londoner Leben alles Neue, zuvor nie Dagewesene und Ausgefallene … Die Rolling Stones, deren Musik momentan ‚in‘ ist, regieren als Nachkommen des Königshauses.“

In dem leidenschaftlichen, farbig bebilderten Artikel fanden sich auch Fotos von Anitas Freunden, darunter Jane Ormsby-Gore und Michael Rainey, und ein kurzweiliges Interview mit ihrem Freund und Förderer Robert Fraser, der London zu Recht als das Zentrum des kreativen Bewusstseins der Welt bezeichnete.

„London hat etwas, das New York einst hatte“, meinte Fraser gegenüber Time. „Jeder will hier sein. Es existiert kein [vergleichbarer] anderer Ort. Paris ist wie versteinert. Es gibt etwas Undefinierbares in London, das die Menschen dazu bringt, hier sein zu wollen.“

Während Time richtigerweise Fraser als einen Mann im Zentrum des Geschehens identifizierte, unterschlug das Magazin aber Anita als seine enge Freundin und Stein des Anstoßes. „Groovy Bobs“ grandiose Statur und seine Omnipräsenz erhöhten seine Bedeutung, während Anita zweifellos das feminine Herz der Bewegung repräsentierte. Da alles mit einer blitzartigen Geschwindigkeit ablief, dauerte es noch Jahre, bis Anitas Rolle im großen Zusammenhang richtig eingeschätzt wurde. In seiner Biografie Life hob Keith Richards das Paar [Fraser und Pallenberg] als einen wichtigen Teil der Bewegung hervor und beschrieb sie als einen „Baum, aus dem Londons hippe Szene hervorging“. Dennoch war Anita darauf bedacht, Fraser in der Retrospektive als Impulsgeber all dessen darzustellen, was sich entfalten sollte.

„Robert war allem, was da vor sich ging, weit voraus. Ich verbrachte sechs Monate in New York und war bestens über die Kunstszene informiert. Roberts Gesellschaft empfand ich als höchst angenehm. Wir teilten dieselben Interessen in der Kunst, denn ich stand total auf die Pop-Art. Er war unglaublich authentisch – jung, forsch und charmant und besaß eine eigene Galerie. Er hatte alles.“

Fraser und Pallenbergs Leitfiguren-Status überführte den luftigen und verträumten Idealismus der Bewegung in die Realität.

 

„Es war eine Zeit der Träume und Fantasien“, erklärte Anita später. „Einige halfen dabei, sie zu verwirklichen, andere versumpften in der Fantasie. Doch alles lag dir zu Füßen. Ob die Drogen damit etwas zu tun hatten – ich weiß es nicht. Wir waren alle noch so jung.“

„Man muss die Winzigkeit der Welt verstehen, in der sie alle lebten“, erklärt Gered Mankowitz. „Es waren Cliquen, man orientierte sich an der Kunst, es war trendy und es war eine kleine Welt, bei der die Drogen im Zentrum standen. Der experimentelle Lifestyle bedingte die Drogen als Zentrum.“

Obwohl es damals niemand aussprach, waren die psychedelischen Drogen der Sprengsatz, der das Swinging London zur Explosion brachte. Während Marihuana im Laufe der Jahre bei Künstlern zu den „Grundnahrungsmitteln“ gehörte, mussten Halluzinogene erst in die kreative Oberfläche der Stadt eindringen. 1966 induzierte eine Droge, bekannt unter dem chemischen Namen Lysergsäurediethylamid, einen lebensverändernden Effekt bei allen, die sie einnahmen. Die Geschichtsschreibung erklärte das Jahr 1967 zu dem Zeitraum, in dem LSD von größtem Einfluss war, doch hatte das Auftauchen der Droge im Jahr 1966 in London weitaus gravierendere Auswirkungen.

Schnell begannen Freizeitchemiker und Gartenlauben-Pharmazeuten aus dem Trend Kapital zu schlagen, doch LSD konnte vor dem Jahr 1965 nur in Laboratorien oder Kliniken „erfahren“ werden. In Zusammenhang mit der Psychotherapie eingesetzt, war die Droge nur mit besonderer Genehmigung bei einschlägigen Institutionen erhältlich. Doch als Berichte der geradezu „kosmischen“ Effekte aus den Behandlungszimmern sickerten, war die Künstlergemeinschaft schnell an diesem exotischen Reiz interessiert. Schon bald sollte sich eine Hintertür öffnen.

Timothy Leary wurde schnell zum populären Verkünder der transformierenden Möglichkeiten der Droge. Er selbst war durch den in den USA lebenden Briten Michael Hollingshead zuerst auf LSD gebracht worden. Dessen spektakuläre Rückkehr nach London im September 1965 wurde mit einem Sturm der Neugier begrüßt, besonders, da sein hochfliegendes Interesse darin bestand, die Welt „auf die Droge zu bringen“. Zu diesem Zweck betrieb Hollingshead das „World Psychedelic Centre“ von seiner Wohnung in der Pont Street im Stadtteil Belgravia aus. Trotz des verheißungsvollen Namens und der glamourösen Location waren die Räumlichkeiten nicht mehr als eine verkommene Kellerwohnung.

Robert Fraser kannte LSD bereits aufgrund eines Erlebnisses in Rom im selben Jahr. Die Droge ließ ihn „so richtig abschweben“, woraufhin er sich mit einigen frühen Acid-Adepten schleunigst auf den Weg in das Psychedelic Centre in der Pont Street machte. Da Hollingshead sich in der Szene kaum auskannte, wurde Fraser einer der ersten LSD-Botschafter. Man sah ihn oft in der Stadt, einen Botschafterkoffer eng an den weißen Anzug gepresst und eine Sonnenbrille mit bunten Gläsern auf der Nase, wodurch er vielen wie ein psychedelischer Arzt erschien.

Schnell verbreitete sich die Nachricht der psychisch enthüllenden und tief greifenden Möglichkeiten in der Regenbogenpresse, woraufhin LSD als gefährlich eingeschätzt wurde. Die positiven und negativen Aspekte wurden später von Musikern auf dem schrägen deutschen Plattenlabel Die Kosmischen Kuriere (oder auch The Cosmic Couriers) thematisiert. Unbeeindruckt von der Tatsache, dass sie Russisches Roulette mit ihrer psychischen Gesundheit spielten, waren Anita und Brian schnell dabei, einen Schluck aus Frasers Zauberbecher zu nehmen – angeblich in seiner Wohnung in der Mount Street. Im Glauben, LSD sei nur ein etwas stärkeres Marihuana, standen die beiden schnell unter einem Schock.

Anita behauptet, dass Fraser der Erste gewesen sei, der Brian LSD gegeben habe; zuvor gab es allerdings noch zwei weitere mögliche Gelegenheiten – und zwar 1965 bei der US-Tour der Stones. Auf jeden Fall bot der erste gemeinsame Acid-Trip Anita einen Einblick in Jones’ innere Zerrissenheit.

„Robert brachte mich auf Acid“, erzählte Anita 2001. „Er war der erste Bekannte in London, der LSD hatte. Ich war an Haschisch gewöhnt, doch dann warfen Brian und ich an einem Abend einen Trip ein und gingen nach Hause. Dort begannen die Halluzinationen.“

„Das erste Mal, dass er Acid nahm“, erinnerte sich Anita später an Jones’ Trip, „sah er Kreaturen, die aus dem Boden kamen, von irgendwo unter dem Parkett. Er durchsuchte alle Schränke nach irgendwelchen Leuten: ‚Wo sind sie?‘“

Für Menschen, die sich bereits auf der schmalen Grenzlinie zischen Realität und Fantasie bewegten, wirkte LSD als verbindendes Element zwischen beiden Wahrnehmungsebenen. Die Droge bestätigte und förderte Anitas Lebensgefühl und sie warf daraufhin mit Begeisterung LSD ein. Während für sie die bewusstseinerschütternde Erfahrung befreiend und lehrreich wurde, erzeugte sie bei Brians angeschlagenem Selbstvertrauen und fehlendem Selbstwertgefühl quälende Visionen. Die dämonenhaften Stimmen und das ungefilterte Erinnerungsvermögen verstärkten seine bereits vorhandene Paranoia.

Trotz seiner vielschichtigen Reaktionen auf die Droge nahm Jones mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit weiterhin LSD. Anita hingegen entwickelte sich in London zu einem regelrechten Avatar der Droge. Für viele stellte LSD geradezu ein Sakrament dar, und so verbanden sich die gemeinsamen Acid-Trips von Anita und Brian auch mit Keith Richards’ Wunsch nach psychedelischen Erfahrungen. Richards schwamm auf der Acid-Welle mit; bald bildete sich ein Trip-Triumvirat. Eine egovermindernde Droge stieß bei einem Menschen wie Mick Jagger, bei dem Charakterzüge wie eine gewisse Affektiertheit und ein ausgeprägtes Konkurrenzverhalten dominierten, nicht gerade auf Begeisterung. Seine Ablehnung schwächte zeitweilig die eigentlich starke Beziehung zwischen ihm und Richards. Daraufhin entstand eine engere Freundschaft zwischen Keith, Brian und Anita.

LSD polarisierte die Szene mehr als jede andere Droge. Menschen mit einer ausgeglichenen, „stahlharten“ Psyche begaben sich auf die Acid-Achterbahnfahrt und sahen ihre Initiation als eine Art Ritterschlag, während andere sich zutiefst ängstigten. Für längere Zeit war der Zutritt zum „psychedelischen Elfenbeinturm“, den Anita und ihre Freunde bewohnten, nur denen möglich, die jemanden kannten, der bereits entsprechende Erfahrungen gemacht hatte. Zu den zahlreichen Slogans, die 1966 in London die Runde machten, zählte auch „You’re not hip till you trip“. Das spielte auf die psychedelischen Erfahrungen an, die jemand gemacht haben musste, um in den „goldenen Zirkel“ aufgenommen zu werden.

Eine neues königliches Paar – Brian und Anita – zog von nun an durch die Clubs, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Eher seriöse Establishments mit einer gehobeneren Kundschaft, die sich durch Beruf und gesellschaftliche Schichtzugehörigkeit definierte, grenzten sich davon ab, doch exklusive Clubs wie das Ad-Lib, der Scotch Of St James und das Speakeasy wurden ins Leben gerufen, um die Protagonisten aus dem Entertainment zu beherbergen, darunter natürlich auch die Pop-Aristokratie.

„Man sah sie in den verschiedenen Clubs der Stadt“, erinnert sich der ehemalige Beatles-Mitarbeiter Tony Bramwell. „Sie torkelten durch das Speakeasy und wurden beinahe rausgeworfen, weil ihr Verhalten auf Empörung stieß. Doch man konnte keinem Rolling Stone die Tür weisen, und so blieb der Bedienung nichts anderes übrig, als sie freundlich zu bitten, sich etwas ruhiger zu verhalten. Brian war meist völlig neben der Spur, doch Anita stand auf dem Parkett und tanzte wild und ungeniert.“