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Traum und Telepathie: Vortrag in der Wiener psychoanalytischen Vereinigung

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Und nun bin ich bei dem, was ich Ihnen zeigen wollte. Wir haben uns der strengsten Unparteilichkeit bemüht und zwei Auffassungen des Traumes als gleich möglich und gleich unbewiesen gelten gelassen. Nach der ersten ist der Traum die Reaktion auf eine telepathische Botschaft: Deine Tochter bringt eben jetzt Zwillinge zur Welt. Nach der zweiten liegt ihm eine unbewußte Gedankenarbeit zugrunde, die sich etwa derart übersetzen ließe: Heute ist ja der Tag, an dem die Entbindung eintreten müßte, wenn sich die jungen Leute in Berlin wirklich um einen Monat verrechnet haben, wie ich eigentlich glaube. Und wenn meine (erste) Frau noch leben würde, die wäre doch mit einem Enkelkind nicht zufrieden! Für sie müßten es mindestens Zwillinge sein. Hat diese zweite Auffassung Recht, so entstehen keine neuen Probleme für uns. Es ist eben ein Traum wie ein anderer. Zu den erwähnten (vorbewußten) Traumgedanken ist der (unbewußte) Wunsch hinzugetreten, daß keine andere als die Tochter die zweite Frau des Träumers hätte werden sollen, und so ist der uns mitgeteilte manifeste Traum entstanden.

Wollen Sie aber lieber annehmen, daß die telepathische Botschaft von der Entbindung der Tochter an den Schlafenden herangetreten ist, so erheben sich neue Fragen nach der Beziehung einer solchen Botschaft zum Traum und nach ihrem Einfluß auf die Traumbildung. Die Antwort liegt dann sehr nahe und ist ganz eindeutig zu geben. Die telepathische Botschaft wird behandelt wie ein Stück des Materials zur Traumbildung, wie ein anderer Reiz von außen oder innen, wie ein störendes Geräusch von der Straße, wie eine aufdringliche Sensation von einem Organ des Schlafenden. In unserem Beispiel ist es ersichtlich, wie sie mit Hilfe eines lauernden, verdrängten Wunsches zur Wunscherfüllung umgearbeitet wird, und leider weniger deutlich zu zeigen, daß sie mit anderem gleichzeitig rege gewordenem Material zu einem Traum verschmilzt. Die telepathische Botschaft – wenn eine solche wirklich anzuerkennen ist – kann also an der Traumbildung nichts ändern, die Telepathie hat mit dem Wesen des Traumes nichts zu tun. Und um den Eindruck zu vermeiden, daß ich hinter einem abstrakten und vornehm klingenden Wort eine Unklarheit verbergen möchte, bin ich bereit zu wiederholen: Das Wesen des Traumes besteht in dem eigentümlichen Prozeß der Traumarbeit, welcher vorbewußte Gedanken (Tagesreste) mit Hilfe einer unbewußten Wunschregung in den manifesten Trauminhalt überführt. Das Problem der Telepathie geht aber den Traum so wenig an wie das Problem der Angst.

Ich hoffe, Sie werden das zugeben, mir aber bald einwenden, es gibt doch auch andere telepathische Träume, in denen kein Unterschied zwischen Ereignis und Traum besteht, und in denen nichts anders zu finden ist als die unentstellte Wiedergabe des Ereignisses. Ich kenne solche telepathische Träume wieder nicht aus eigener Erfahrung, weiß aber, daß sie häufig berichtet worden sind. Nehmen wir an, wir hätten es mit einem solchen unentstellten und unvermischten telepathischen Traum zu tun, dann erhebt sich eine andere Frage: Soll man ein derartiges, telepathisches Erlebnis überhaupt einen »Traum« nennen? Sie werden es ja gewiß tun, solange Sie mit dem populären Sprachgebrauch gehen, für den alles Träumen heißt, was sich während der Schlafzeit in Ihrem Seelenleben ereignet. Sie sagen vielleicht auch: Ich habe mich im Traum herumgewälzt und finden erst recht keine Inkorrektheit darin zu sagen: Ich habe im Traum geweint oder mich im Traum geängstigt. Aber Sie merken doch wohl, daß Sie in all diesen Fällen »Traum« und »Schlaf« oder »Schlafzustand« unterscheidungslos miteinander vertauschen. Ich meine, es wäre im Interesse wissenschaftlicher Genauigkeit, wenn wir »Traum« und »Schlafzustand« besser auseinanderhielten. Warum sollten wir ein Seitenstück zu der von Maeder heraufbeschworenen Konfusion schaffen, der für den Traum eine neue Funktion entdeckte, indem er die Traumarbeit durchaus nicht von den latenten Traumgedanken sondern wollte? Wenn wir also einen solchen reinen telepathischen »Traum« antreffen sollten, so wollen wir ihn doch lieber ein telepathisches Erlebnis im Schlafzustand heißen. Ein Traum ohne Verdichtung, Entstellung, Dramatisierung, vor allem ohne Wunscherfüllung, verdient ja doch nicht diesen Namen. Sie werden mich daran mahnen, daß es noch andere seelische Produktionen im Schlaf gibt, denen man dann das Recht auf den Namen »Traum« absprechen müßte. Es kommt vor, daß reale Erlebnisse des Tages im Schlaf einfach wiederholt werden, die Reproduktionen traumatischer Szenen im »Traume« haben uns erst kürzlich zu einer Revision der Traumtheorie herausgefordert; es gibt Träume, die sich durch ganz besondere Eigenschaften von der gewohnten Art unterscheiden, die eigentlich nichts anders sind als unversehrte und unvermengte nächtliche Phantasien, den bekannten Tagesphantasien sonst durchaus ähnlich. Es wäre gewiß mißlich, diese Bildungen von der Bezeichnung »Träume« auszuschließen. Aber sie alle kommen doch von innen, sind Produkte unseres Seelenlebens, während der reine »telepathische Traum« seinem Begriff nach eine Wahrnehmung von außen wäre, gegen welche sich das Seelenleben rezeptiv und passiv verhielte.

II. Der zweite Fall, von dem ich Ihnen berichten will, liegt eigentlich auf einer anderen Linie. Er bringt uns keinen telepathischen Traum, sondern einen seit Kindheitsjahren rekurrierenden Traum bei einer Person, die viel telepathische Erlebnisse gehabt hat. Ihr Brief, den ich nachstehend wiedergebe, enthält manches Merkwürdige, worüber uns zu urteilen versagt ist. Einiges davon kann für das Verhältnis der Telepathie zum Traum verwertet werden.

1

»… Mein Arzt, Herr Doktor N., riet mir, Ihnen einen Traum zu erzählen, der mich seit ungefähr dreißig bis zweiunddreißig Jahren verfolgt. Ich folge seinem Rate, vielleicht hat der Traum in wissenschaftlicher Beziehung für Sie Interesse. Da nach Ihrer Meinung solche Träume auf ein Erlebnis in sexueller Beziehung während der ersten Kinderjahre zurückzuführen sind, gebe ich Kindheitserinnerungen wieder, es sind Erlebnisse, die heute noch ihren Eindruck auf mich machen und so nachdrücklich gewesen sind, daß sie mir meine Religion bestimmt haben.

Darf ich Sie bitten, mir nach Kenntnisnahme vielleicht mitzuteilen, in welcher Weise Sie sich diesen Traum erklären und ob es nicht möglich ist, ihn aus meinem Leben verschwinden zu lassen, da er mich wie ein Gespenst verfolgt und durch die Umstände, von denen er begleitet ist – ich falle stets aus dem Bette und habe mir schon nicht unerhebliche Verletzungen zugezogen – sehr unangenehm und peinlich für mich ist.

2

Ich bin siebenunddreißig Jahre alt, sehr kräftig und körperlich gesund, habe außer Masern und Scharlach in der Kindheit eine Nierenentzündung durchgemacht. Im fünften Jahre hatte ich eine sehr schwere Augenentzündung, nach der ein Doppeltsehen zurückblieb. Die Bilder stehen schräg zueinander, die Umrisse des Bildes sind verwischt, weil Narben von Geschwüren die Klarheit beeinträchtigen. Nach fachärztlichem Urteil ist am Auge aber nichts mehr zu ändern oder zu bessern. Durch das Zukneifen des linken Auges, um klarer zu sehen, hat sich die linke Gesichtshälfte nach oben verzerrt. Ich vermag, durch Übung und Wille, die feinsten Handarbeiten zu machen; ebenso habe ich mir als sechsjähriges Kind das schiefe Sehen vor dem Spiegel weggelernt, so daß heute von dem Augenfehler äußerlich nichts zu sehen ist.

In den frühesten Kinderjahren schon bin ich immer einsam gewesen, habe mich von allen Kindern zurückgezogen und habe schon Gesichte gehabt (hellhören und hellsehen), habe das aber von der Wirklichkeit nicht unterscheiden können und bin deshalb oft in Konflikte geraten, die aus mir einen sehr zurückhaltenden, scheuen Menschen gemacht haben. Da ich schon als kleinstes Kind viel mehr gewußt habe, als ich hatte lernen können, verstand ich einfach die Kinder meines Alters nicht mehr. Ich selbst bin die älteste von zwölf Geschwistern.

Von sechs bis zehn Jahren besuchte ich die Gemeindeschule und dann bis sechzehn Jahre die höhere Schule der Ursulinerinnen in B. Mit zehn Jahren habe ich innerhalb vier Wochen, es waren acht Nachhilfestunden, soviel Französisch nachgeholt, als andere Kinder in zwei Jahren lernen. Ich hatte nur zu repetieren, es war, als ob ich es schon gelernt und nur vergessen hätte. Überhaupt habe ich auch später Französisch nie zu lernen brauchen, im Gegensatz zu Englisch, das mir zwar keine Mühe machte, das mir aber unbekannt war. Ähnlich wie mit Französisch ging es mir mit Latein, das ich eigentlich nie richtig gelernt habe, sondern nur vom Kirchenlatein her kenne, das mir aber vollkommen vertraut ist. Lese ich heute ein französisches Werk, dann denke ich auch sofort in Französisch, während mir das bei Englisch nie passiert, trotzdem ich englisch besser beherrsche. – Meine Eltern sind Bauersleute, die durch Generationen nie andere Sprachen als deutsch und polnisch gesprochen haben.

Gesichte: Zuweilen verschwindet für Augenblicke die Wirklichkeit und ich sehe etwas ganz anderes. In meiner Wohnung sehe ich z. B. sehr oft ein altes Ehepaar und ein Kind, die Wohnung hat dann andere Einrichtung. – Noch in der Heilanstalt kam früh gegen vier Uhr meine Freundin in mein Zimmer, ich war wach, hatte die Lampe brennen und saß am Tische lesend, da ich sehr viel an Schlaflosigkeit leide. Stets bedeutet diese Erscheinung für mich Ärger, auch dieses Mal.

Im Jahre 1914 war mein Bruder im Felde, ich nicht bei den Eltern in B., sondern in Ch. Es war vormittags 10 Uhr, 22. August, da hörte ich »Mutter, Mutter« von der Stimme meines Bruders rufen. Nach zehn Minuten nochmals, habe aber nichts gesehen. Am 24. August kam ich heim, fand Mutter bedrückt und auf Befragen erklärte sie, der Junge hätte sich am 22. August angemeldet. Sie sei vormittags im Garten gewesen, da hätte sie den Jungen »Mutter, Mutter« rufen hören. Ich tröstete sie und sagte ihr nichts von mir. Drei Wochen darauf kam eine Karte meines Bruders an, die er am 22. August zwischen neun und zehn Uhr vormittags geschrieben hatte, kurz darauf starb er.

 

Am 27. September 1921 meldete sich mir etwas in der Heilanstalt an. Es wurde zwei- bis dreimal an das Bett meiner Zimmerkollegin heftig geklopft. Wir waren beide wach, ich fragte, ob sie geklopft hätte, sie hatte nicht einmal etwas gehört. Nach acht Wochen hörte ich, daß eine meiner Freundinnen in der Nacht vom 26. auf 27. gestorben wäre.

Nun etwas, was Sinnestäuschung sein soll, Ansichtssache! Ich habe eine Freundin, die sich einen Witwer mit fünf Kindern geheiratet hat, den Mann lernte ich erst durch meine Freundin kennen. In deren Wohnung sehe ich fast jedes Mal, wenn ich bei ihr bin, eine Dame aus- und eingehen. Die Annahme lag nahe, daß das die erste Frau des Mannes sei. Ich fragte gelegentlich nach einem Bilde, konnte aber nach der Photographie die Erscheinung nicht identifizieren. Nach sieben Jahren sehe ich bei einem der Kinder ein Bild mit den Zügen der Dame. Es war doch die erste Frau. Auf dem ersten Bilde sah sie bedeutend besser aus, sie hatte gerade eine Mastkur durchgemacht und daher das für eine Lungenkranke veränderte Aussehen. – Das sind nur Beispiele von vielen.

Der Traum: Ich sehe eine Landzunge, von Wasser umgeben. Die Wellen werden von der Brandung herangetrieben und wieder zurückgerissen. Auf der Landzunge steht eine Palme, die etwas zum Wasser gebogen ist. Um den Stamm der Palme schlingt eine Frau ihren Arm und beugt sich ganz tief ins Wasser, wo ein Mann versucht, an Land zu kommen. Zuletzt legt sie sich auf die Erde, hält sich mit der Linken an der Palme fest und reicht, so weit wie möglich, ihre Rechte dem Manne ins Wasser, ohne ihn zu erreichen. Dabei falle ich aus dem Bette und wache auf. – Ich war ungefähr fünfzehn bis sechzehn Jahre, als ich wahrnahm, daß ich ja selbst diese Frau sei und nun erlebte ich nicht nur die Angst der Frau um den Mann, sondern stand manchmal auch als unbeteiligte Dritte dabei und sah zu. Auch in Etappen träumte ich dieses Erlebnis. Wie das Interesse am Manne wach wurde (achtzehn bis zwanzig Jahre), versuchte ich das Gesicht des Mannes zu erkennen, es war mir nie möglich. Die Gischt ließ nur Nacken und Hinterkopf frei. Ich bin zweimal verlobt gewesen, aber dem Kopf und Körperbau nach war es keiner dieser beiden Männer. – Als ich in der Heilanstalt einmal im Paraldehydrausche lag, sah ich das Gesicht des Mannes, das ich nunmehr in jedem Traume sehe. Es ist das des mich in der Anstalt behandelnden Arztes, der mir wohl als Arzt sympathisch ist, mit dem mich aber nichts verbindet.