Mafia Brothers

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Aus der Reihe: Your #4
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Einen Moment sehe ich ihn nachdenklich an, ehe ich nicke und dann sein Auto verlasse. Dabei taste ich in meinem Gesicht nach der Wunde, die ich dort dank meines Sturzes vorhin habe.

Ich spüre ein wenig Blut unter meinen Fingern und seufze, da ich weiß, was das für mich bedeutet. Die nächsten Tage werde ich tatsächlich das Haus nicht verlassen.

5

Cody

„Cody?“, dringt die Stimme von Taylor durch den dichten Nebel, der mich umgibt. Gleichzeitig fuchtelt er mit den Händen vor meinem Gesicht herum, um sicherzugehen, dass ich mich auch wirklich auf ihn konzentriere. „Bist du noch anwesend? Oder sollen wir einfach eine Entscheidung treffen?“

Langsam komme ich wieder in der jetzigen Welt an und kann mich wieder auf die Unterhaltung konzentrieren, die wir führen. Doch das ändert nichts daran, dass mir ihr Anblick nicht mehr aus dem Kopf geht.

Ich habe von Anfang an gespürt, dass etwas passiert ist. Verdammt, ich wusste schon vor Jahren, dass sie etwas beschäftigt, doch sie hat es mir nie gesagt. Und auch jetzt kann ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was es ist. Doch eines weiß ich mit Gewissheit: Es hat etwas mit den zahlreichen Prellungen zu tun hat, die ihren Körper zieren. Ja, müsste ich raten, würde ich sagen, dass auch die Haut unter ihrer Kleidung so aussah, wie ihre Arme.

Und alleine dieser Gedanke sorgt dafür, dass ich wütend werde. Meine Muskeln spannen sich an und ich muss mich zusammen reißen, damit ich nicht auf irgendwen losgehe.

Rachel war damals die einzige Person, die keine Angst vor mir hatte. Es war egal, wie schlechte Laune ich hatte, sie hat noch Scherze gemacht. Sie hat durch die dicke Schale gesehen, die mich umgeben hatte, und mich auch jetzt noch immer existiert. Ich kann nicht genau sagen, was sie dabei gesehen hat. Ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt etwas gesehen hat. Doch ich weiß, dass sie mich wie einen ganz normalen Mann behandelt hat, den sie liebt, und nicht wie das Tier, zu dem ich geworden bin.

Und dafür habe ich sie wiederum geliebt. Leider ist mir das erst bewusst geworden, als ich verhaftet wurde. Daher habe ich meine Brüder auch angewiesen, dass sie ihr nichts sagen sollen, falls sie ihnen über den Weg läuft. Sie weiß bis heute nichts von den Geschäften, die ich führe, und ich will nicht, dass sich das jetzt ändert.

Als ich nun zu meinen Brüdern blicke, erkenne ich, dass sie mich keine Sekunde aus den Augen lassen. Sie kennen mich zu gut, daher entgeht ihnen nichts.

„Sie sah traurig aus.“

Die Feststellung meines Bruders dringt an meine Ohren und sorgt dafür, dass ich aufstehe und ein paar Schritte gehe. Doch auch das sorgt nicht dafür, dass ich mich wieder beruhige. Je mehr Zeit vergeht, umso wütender werde ich.

„Ich will, dass du herausfindest, ob sie noch immer in der gleichen Wohnung lebt. Und wenn nicht, besorge mir ihre Adresse. Du hast zehn Minuten“, knurre ich und verlasse dann das Wohnzimmer.

Mit großen Schritten gehe ich nach draußen und balle meine Hände zu Fäusten. In der nächsten Sekunde lockere ich sie allerdings wieder und atme tief durch. So versuche ich mich wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Doch wenn es um diese Frau geht, habe ich mich nicht mehr im Griff. Das hatte ich noch nie und das habe ich auch jetzt noch nicht. Und der Anblick, der sich mir bot, tut den Rest dazu.

Ich trete nach draußen in die Dunkelheit und atme mehrmals tief durch. Ich hoffe, dass es mir auf diese Weise gelingt, meine aufgebrachten Nerven zu beruhigen. Doch die Wahrheit sieht so aus, dass ich sie sehen will. Ich will ihre warme Haut an meiner spüren und ihren Geruch in meiner Nase haben.

Erst dann kann ich mir sicher sein, dass es ihr wirklich gut geht. Erst dann weiß ich, dass sie in Sicherheit ist.

Die Vorstellung, dass sie in den letzten Jahre Probleme hatte und allein war, gefällt mir überhaupt nicht. Sie sorgt dafür, dass ich rot sehe und mich nicht mehr beherrschen kann.

Ruckartig drehe ich mich herum und gehe wieder ins Haus. Dort kommt mir bereits Taylor entgegen. Er macht auf mich den Eindruck, als würde er irgendetwas zu meinem Gemütszustand von sich geben wollen. Und ich kann mir sehr wohl vorstellen, was das ist.

„Und?“, fahre ich ihn auch, auch wenn ich weiß, dass er nichts dafür kann.

„Sie wohnt noch immer in der gleichen Wohnung. Aber bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“

Taylor wirft mir einen vorsichtigen Blick zu. So zeigt er mir, dass er sich nicht sicher ist, ob es wirklich so schlau ist. Doch ich habe meine Entscheidung bereits gefällt.

Ich will bei Rachel sein, mich mit ihr unterhalten und ihr zeigen, dass sie mir anvertrauen kann, was in ihrem Leben passiert ist. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich funktionieren wird.

„Sie hat mich damals schon gebraucht, doch ich habe sie im Stich gelassen. Dieses Mal werde ich diesen Fehler nicht machen. Dieses Mal werde ich es von Anfang an richtig machen.“

„Es ist eine lange Zeit vergangen“, erinnert mich Brad, auch wenn er das nicht muss.

Einige Sekunden bleibe ich stehen und sehe ihn an. Doch dann ziehe ich meine Autoschlüssel aus der Hosentasche.

„Kümmert euch um diese Angelegenheit. Ich muss zu ihr.“

Mit diesen Worten gehe ich an ihm vorbei. Mir ist bewusst, dass er mir wahrscheinlich noch sagen will, dass ich vorsichtig sein soll, was ich ihr sage. Doch das weiß ich auch so.

Mit viel zu hoher Geschwindigkeit fahre ich durch die Straßen von Los Angeles. Dabei nehme ich mir vor, dass ich erst dann nachgeben werde, wenn ich die Wahrheit erfahren habe.

Ich konnte mich schon immer auf mein Gefühl verlassen. Und gerade sagt es mir, dass diese Geschichte tiefer geht.

Als ich endlich vor ihrem Haus stehen bleibe, muss ich mich beruhigen. Ich will nicht, dass sie sofort merkt, wie aufgebracht ich bin, da ich die Befürchtung habe, dass sie sich dann erst recht verschließt. Doch ich habe auch keine Ahnung, wie ich die Wahrheit in Erfahrung bringen kann.

Seufzend fahre ich mir ein letztes Mal über das Gesicht und sehe zu den beleuchteten Fenstern, bevor ich aussteige und auf die Haustür zugehe. In der Sekunde, in der ich sie erreiche, geht sie auf und ein Mann kommt heraus. Er nickt mir kurz zu und verschwindet dann die Straße runter, ohne mich weiter zu beachten.

Ich hingegen nutze die Gelegenheit, die sich mir bietet, und schlüpfe durch die geöffnete Tür.

Rachel schien heute Nachmittag nicht genau zu wissen, wie sie darauf reagieren sollte, dass ich plötzlich vor ihr stehe und ich gebe zu, dass auch ich überrascht war. Am Tag meiner Entlassung habe ich mir vorgenommen, dass ich sie besuchen und ihr alles erklären werde. Allerdings wollte ich vorher in Erfahrung bringen, wer dieser Wichser ist, der mich in den Knast gebracht hat. Ich will mich nur auf sie konzentrieren und ihr so die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient hat.

Die Aufmerksamkeit, die ich hier damals schon hätte geben sollen!

Nun habe ich aber die Befürchtung, dass sie mir icht die Tür aufmachen wird, wenn ich ihr sage, dass ich hier bin. Daher bin ich froh, dass ich es so ins Haus geschafft habe.

Schnell gehe ich die Treppen nach oben und halte auf ihre Tür zu, nachdem ich die richtige Etage erreicht habe. Davor bleibe ich stehen.

Unweigerlich habe ich die Bilder im Kopf, als ich das letzte Mal hier stand. Ich wollte ihr sagen, dass ich sie liebe. Allerdings habe ich diese Worte nie über meine Lippen bekommen, dabei wollte ich, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben. Und das will ich auch jetzt noch.

Doch wie erzählt man einer Frau, dass die Familie die Unterwelt an der Ostküste der USA führt?

Ich wollte sie nicht verschrecken und auch nicht, dass sie plötzlich Angst vor mir hat. Denn das ist etwas, was sie nie haben muss. Es ist egal, was für ein Tier ich in meinem Job bin, ihr könnte ich niemals etwas antun. Ich wollte sie immer nur beschützen!

Daher habe ich es vorgezogen zu schweigen und gehofft, dass sie es selber merkt. Doch das hat sie nie.

Bevor ich mich noch weiter an diese Unterhaltung erinnern kann, klopfe ich und warte ungeduldig darauf, dass sie endlich die Tür öffnet. Doch genau das macht sie nicht. Stattdessen höre ich nach einigen Sekunden ihre Stimme auf der anderen Seite.

„Was machst du hier?“, ruft sie mir zu.

„Ich muss mit dir sprechen“, erwidere ich nur. Ich brauche sie nicht zu fragen, woher sie weiß, dass ich es bin, da sie sicherlich durch den Türspion geschaut hat.

Ich lasse keinen Zweifel daran, dass es einige Themen gibt, über die wir uns dringend unterhalten müssen. Und das ist die Wahrheit. Unter anderem will ich herausfinden, ob sie noch immer Gefühle für mich hat, auf denen wir aufbauen können. Denn daran, dass ich sie für sie habe, besteht kein Zweifel.

„Ich wüsste nicht worüber.“

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich noch nie eine ruhige Person war. Und auch jetzt spüre ich, wie meine Muskeln sich erneut anspannen und ich kurz davor stehe, die Nerven zu verlieren.

Am liebsten würde ich ihr sagen, dass sie sofort die Tür öffnen soll. Doch ich kenne sie. Rachel hatte schon immer einen starken Willen und dementsprechend hat sie sich auch noch nie etwas sagen lassen. Und das gehört zu den Dingen an ihr, die mich schon immer magisch angezogen haben.

„Bitte“, sage ich nur und hoffe, dass ich es so schaffe, dass sie ihre Bedenken über Bord wirft.

Auch, wenn es nur ein paar Sekunden sind, so kommt es mir vor, als würde es eine Ewigkeit dauern, bis ich höre, wie sie das Schloss entriegelt und schließlich die Tür öffnet. Langsam gehe ich hinein.

 

Dicht vor ihr bleibe ich stehen, sodass sie ihren Kopf heben muss, um mich ansehen zu können. Dabei fällt die Haarsträhne, die ihr gerade noch im Gesicht war, nach hinten und sorgt dafür, dass ich scharf die Luft einziehe.

Ich hebe meine Hand und lege sie an ihr Gesicht, wobei sie zusammenzuckt und den Blick senkt. Ich sehe ihr an, dass sie mir ausweichen will, doch sie macht es nicht. Stattdessen erkenne ich die Tränen in ihren Augen, die dafür sorgen, dass ich noch ein Stück näher daran stehe, die Nerven zu verlieren.

„Wer war das?“, erkundige ich mich mit einfühlsamer Stimme, während ich ihr geschwollenes Auge betrachte, welches bereits in mehreren Farben leuchtet.

6

Rachel

In dem Moment, in dem mir bewusst wird, dass er mein kaputtes Gesicht sieht, wende ich mich von ihm ab. Ich senke meinen Kopf ein Stück, sodass mir wieder die Haare ins Gesicht hängen. Dennoch bin ich mir darüber bewusst, dass er meine Wunden gesehen hat.

Ich habe nicht damit gerechnet, dass er das mitbekommt. Um genau zu sein habe ich überhaupt nicht geplant, dass mich in den nächsten Tagen jemand zu Gesicht bekommt. Weder er, noch sonst irgendwer.

Und dementsprechend habe ich auch keine Ahnung, wie ich mich nun verhalten soll.

Meine erste Reaktion besteht darin, dass ich einen Schritt nach hinten mache und so etwas Abstand zwischen uns bringe. Dann konzentriere ich mich auf etwas anderes.

In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Ich versuche eine Lösung für das Problem zu finden, auf das ich mit großen Schritten zusteuere. Doch es ist egal, wie sehr ich mir darüber den Kopf zerbreche, ich habe keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll.

„Wer war das?“, fragt er noch einmal.

Dieses Mal legt er jedoch eine Stimme an den Tag, die mir klarmacht, dass ich ihm nicht ausweichen kann. Sie ist energisch und fest. Er will eine Antwort auf seine Frage haben und wird erst Ruhe geben, wenn er sie auch hat.

Doch es ändert nichts an der Tatsache, dass ich nicht darüber sprechen werde. Weder jetzt, noch sonst irgendwann. Und dabei ist es mir auch egal, dass Cody vor mir steht.

„Es tut mir leid“, flüstere ich und mache Anstalten, an ihm vorbeizugehen.

Bevor ich das machen kann, greift er jedoch nach meinem Arm und hindert mich so daran. Seine Berührung ist sanft, gibt er mir zu verstehen, dass er mich nicht einfach gehen lassen wird.

„Rachel“, sagt er meinen Namen mit einem strengen Blick. Auf diese Weise unterstreicht er noch einmal meine Vermutung. „Rede mit mir.“

„Ich hatte einen Unfall“, gebe ich nur zurück.

Seine Berührung sorgt dafür, dass sich Wärme und Ruhe in mir ausbreitet. Es sind zwei Gefühle, die ich das letzte Mal vor fünf Jahren gespürt habe. Und vor allem habe ich sie nicht mehr wahrgenommen, seitdem ich keinen Kontakt mehr zu ihm hatte.

Von einem Tag auf den anderen waren diese Empfindungen einfach verschwunden, genauso wie er plötzlich nicht mehr in meinem Leben war.

Doch nun treffen sie mich mit voller Wucht. Es ist genauso, wie damals. Ich weiß nicht, ob es mich beunruhigen soll, oder nicht. Doch ich weiß, dass es sich richtig anfühlt. Und das ist auch der Grund dafür, dass ich mich ihm nicht entziehe.

Langsam hebe ich meinen Blick und sehe in seine Augen. Dies ist der Moment, in dem ich weiß, dass ich in Schwierigkeiten stecke. Es sind nicht die gleichen wie in den letzten Jahren, sie sind ihm dennoch da.

Ich kann ihm nicht entkommen und das Einzige, was mir jetzt noch übrig bleibt, ist die Hoffnung, dass ich wenigstens dieses Mal mein Herz vor ihm schützen kann.

Beim letzten Mal ist es mir nicht gelungen. Als er dann aus meinem Leben verschwunden ist, hat es mir das Herz gebrochen.

„Mir geht es gut“, erkläre ich ihm noch und gehe dann ins Wohnzimmer.

Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich höre, dass er mir folgt. Mir ist bewusst, dass er es nicht einfach so stehen lassen wird. Doch ich habe keine Ahnung, was ich noch dazu sagen soll.

„Rachel, du kannst mit mir reden“, beschwört er mich.

Mein Herz schlägt wie verrückt, während ich darüber nachdenke, was ich am besten sagen soll. Ich will und kann es ihm nicht sagen. Dann würde ich ihn mit in diese Geschichte hineinziehen. Das wollte ich damals schon nicht und auch jetzt will ich es nicht. Ganz davon abgesehen kommt er gerade aus dem Gefängnis, da hat er sicherlich anderes zu tun, als seine Ex-Geliebte zu beschützen.

„Es ist wirklich nichts“, wiegle ich ab.

Ich versuche so genervt wie möglich zu klingen. Allerdings bin ich mir darüber bewusst, dass es mir nicht so gut gelingt, wie ich es gerne hätte. Und das zeigt er mir auch, als ich den skeptischen Blick erkenne, der sich auf seinen Gesichtszügen gebildet hat.

Er kennt mich zu gut.

„Mir ist einer in die Seite gefahren und mein Wagen ist vor einem Baum gelandet“, starte ich einen weiteren Versuch. Allerdings merke sogar ich, dass dieser eher halbherzig ist.

„Entweder liegt es daran, dass du einfach eine schlechte Schauspielerin bist, oder ich kenne dich zu gut“, stellt er nun fest.

Sein durchdringender Blick trifft mich. Beinahe ist es so, als würde er auf diese Weise herausfinden wollen, was ich ihm verheimliche.

„Ich kann es dir nicht sagen“, flüstere ich schließlich, als ich es nicht mehr aushalte.

Einige Sekunden, die mir eindeutig länger vorkommen, ist es ruhig zwischen uns. Nur der Lärm der Straße dringt durch das geöffnete Fenster in meine Wohnung.

Innerlich werde ich immer unruhiger, je länger diese Stille andauert. Ich hasse es, wenn er mich so ansieht.

Schließlich erkenne ich im Augenwinkel, dass er sich mir langsam nähert. Ich mache mich schon auf die nächste Diskussion gefasst, als er vor mir stehen bleibt und mich an sich zieht.

Sofort entspanne ich mich, als ich seine Wärme an meiner Haut spüre. Er schafft es, mir eine große Last von den Schultern zu nehmen und ich weiß nicht, ob ihm das bewusst ist. Doch in diesem Moment ist das egal. Genauso wie es mir egal ist, was gerade in meinem Leben los ist und das es eigentlich falsch ist, dass ich ihn wieder an mich ran lasse.

Gerade zählt nur für mich, dass er da ist und ich mir wenigstens ein einziges Mal keine Sorgen machen muss.

„Ich verspreche dir, dass dir nichts mehr passieren wird“, raunt er mir so leise ins Ohr, dass ich ihn kaum verstehen kann, dennoch bin ich mir sicher, dass ich ihn richtig verstanden habe.

Und für einen winzigen Moment habe ich das erste Mal seit Jahren Hoffnung.

7

Cody

Als ich hergefahren bin, dachte ich, dass es mir besser geht, wenn ich sie gesehen und mit ihr gesprochen habe. Doch genau das ist nicht der Fall. Ich bin noch immer wütend, als ich ihre Wohnung verlasse. Anders kann ich meinen Gemütszustand gerade nicht beschreiben.

Sie so hilflos und verängstigt zu sehen hat etwas in mir ausgelöst. Ich hätte mir selber in den Arsch treten können, weil ich sie nicht beschützt habe, als ich es hätte tun müssen. Damals habe ich mir geschworen, dass ich immer auf sie aufpassen werde, doch in diesem Punkt habe ich eindeutig versagt.

Noch bevor ich das Haus verlassen habe, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und drücke in der Wahlwiederholung auf den Namen von Brad.

Es dauert eindeutig zu lange, bis er endlich das Gespräch entgegennimmt. Aus diesem Grund fällt es mir noch schwerer, mich unter Kontrolle zu halten.

„Was gibt’s?“, meldet er sich schließlich.

„Du musst herausfinden, wo Rachel die letzten Stunden war und mit wem sie zusammen war.“

„Jetzt sag mir nicht, dass du der eifersüchtige Ex-Freund bist“, seufzt er. „Wenn sie nichts mehr mit dir zu tun haben will, solltest du das respektieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut ausgeht.“

Vor meinem inneren Auge kann ich sehen, wie er die Augen verdreht. Doch ich gehe nicht näher darauf ein.

„Erstens, ich bin nicht ihr Ex-Freund.“

„In dem Fall würde mich interessieren, was du bist.“

Einen Moment bleibe ich in der Eingangstür stehen und denke darüber nach, auch wenn ich die Antwort kenne.

„Ich bin ihr Freund“, knurre ich.

Auch wenn ich nicht weiß, ob sie unsere Beziehung wieder aufnehmen und mir noch eine Chance geben will, ist es die Wahrheit. Sie hat nie aufgehört, die Frau an meiner Seite zu sein.

„Und zweitens?“, erkundigt Brad sich.

„Zweitens will ich wissen, mit wem sie unterwegs war.“

In kurzen Sätzen berichte ich ihm davon, wie ich sie vorgefunden habe. Mir ist bewusst, dass sie wahrscheinlich nicht sehr glücklich darüber wäre, wenn sie es wüsste, aber darauf kann ich gerade keine Rücksicht nehmen. Brad muss es schon alleine deswegen wissen, weil ich vielleicht seine und Taylors Hilfe brauchen werde. Außerdem gehört sie zu dieser Familie und schon alleine deswegen habe ich keine Geheimnisse vor meinen Brüdern.

„Verdammt“, flucht er schließlich. „Ich werde mich gleich bei dir melden.“

Mit diesen Worten unterbricht er die Verbindung. Ein letztes Mal sehe ich hoch zu ihrer Wohnung, als ich auf den Bürgersteig trete. In einem der Zimmer brennt Licht. Schon alleine deswegen würde ich am liebsten wieder zu ihr gehen und ihr zeigen, dass sie nicht mehr alleine ist. Nein, dieses Mal werde ich es richtig machen. Ich werde ihr zeigen, dass ich bei ihr bin und auch nicht mehr verschwinden werde.

Mir gefällt es überhaupt nicht, dass ich sie nun alleine lassen muss. Doch ich werde denjenigen dafür zur Rechenschaft ziehen, der ihr das zugefügt hat.

Mit energischen Schritten gehe ich zu meinem Wagen und setze mich hinter das Steuer. Dabei merke ich, wie meine Muskeln sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr anspannen. Ungeduldig warte ich darauf, dass mein Bruder sich endlich bei mir meldet. Ich habe eine Rechnung zu begleichen und je eher ich das kann, umso besser ist es.

Als mein Handy endlich klingelt, drücke ich sofort auf das grüne Symbol und halte es mir ans Ohr.

„Ich habe ihre Handydaten zurückverfolgt. Sie ist von ihrer Wohnung zu einer Straßenecke gefahren und dann nach ungefähr zwanzig Minuten wieder nach Hause.“

„Das ist nichts, weswegen man so aussieht“, stelle ich fest.

„Da gebe ich dir recht. Daher habe ich nachgesehen, ob noch irgendwelche Handys zu dieser Zeit dort oder in der Nähe waren. Was soll ich sagen? Ich bin fündig geworden. Das wird dir aber nicht gefallen.“

Ich höre die Vorsicht, mit der er spricht und werde sofort hellhörig.

„Wessen Telefon war es?“

„Ich weiß nicht, ob er bei ihr war, zumindest war er in ihrer Nähe“, spricht er weiter.

„Wer?“

„Manuel Hall.“

Als ich den Namen höre, kann ich mir gerade noch verkneifen, dass ich auf das Lenkrad einschlage.

Ich kenne Manuel Hall. In der Vergangenheit bin ich ein paar Mal mit ihm aneinander geraten. Er gehört zu den Männern, um die eine Frau am besten einen großen Bogen macht. Und ich bin mir sicher, dass Rachel das auch weiß, schließlich hat sie eine sehr gute Menschenkenntnis. Doch das wiederum sorgt dafür, dass ich mich frage, was sie dort mit ihm gemacht hat.

„Wir treffen uns bei ihm“, knurre ich, unterbreche die Verbindung und gebe Gas.

Ich brauche nicht großartig darüber nachzudenken um zu wissen, dass er Schuld an ihrem körperlichen Zustand ist. Jede Frau, die ihm über den Weg gelaufen ist, sieht früher oder später so aus.

Schon von weitem kann ich sein Auto erkennen. Es steht vor dem Restaurant, welches bereits geschlossen hat und ihm gehört. Allerdings ist es nur nach außen ein Restaurant und soll ihm auf diese Weise die Polizei vom Hals halten.

Mit der Hilfe des Ladens versteckt er unzählige Geschäfte, die sich nicht einmal mehr in der Grauzone befinden. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich nicht von mir und meiner Familie.

Der Unterschied besteht jedoch darin, dass ich Frauen nicht wie den letzten Dreck behandle.

Und schon gar nicht Rachel.

Bei dem Gedanken an sie spanne ich mich erneut an. Ich versuche mich unter Kontrolle zu bringen, während ich meinen Wagen verlasse und in die Richtung blicke, in der ich ein Auto kommen hören kann.

 

Kaum wurde der Wagen angehalten und der Motor ausgeschaltet, steigen meine Brüder aus. Mit großen Schritten kommen sie auf mich zu und entsichern dabei ihre Waffen.

„Wir dachten, dass wir auch alleine mit ihm klarkommen. Auch wenn ich zugeben muss, dass einige unserer Männer sicherlich gerne sehen würden, wie dieser Mann endlich in die Knie geht“, erklärt Taylor und grinst mich frech an.

„Mit dem werden wir alleine fertig. Er hat nur bei Frauen eine große Klappe“, stimme ich ihm zu.

Das, was ich jetzt machen werde, hätte ich schon viel eher tun sollen.

Ohne darauf zu warten, ob sie noch etwas sagen, gehe ich auf die Eingangstür zu und öffne sie. Dunkelheit empfängt uns, nachdem ich den Laden betreten habe. Doch aus dem hinteren Raum kann ich Licht erkennen.

Gezielt gehe ich darauf zu, ohne ein Wort von mir zu geben. Nachdem ich die Tür noch ein Stück geöffnet habe, entdecke ich Manuel. Er sitzt an seinem Schreibtisch und starrt auf den Bildschirm seines Computers. Anscheinend ist er so tief in das vertieft, was er sich da ansieht, dass er nichts mehr von dem mitbekommt, was um ihn herum geschieht.

„Du bist ganz schön unvorsichtig. Dabei solltest du das genaue Gegenteil sein“, erkläre ich. „Oder hast du in all den Jahren wirklich nichts gelernt?“

Kaum habe ich ausgesprochen, hebt er ruckartig seinen Kopf und sieht in meine Richtung. An seinem Blick, der in der nächsten Sekunde zu meinen Brüdern huscht, erkenne ich, dass er keine Ahnung hat, wie er auf meinen Besuch reagieren soll. Doch wundern tut es mich nicht.

Wir sind Kontrahenten. Er hat immer wieder versucht, mich zu Fall zu bringen, allerdings hat er nicht die Eier dafür, um die wirklich harten Geschütze aufzufahren. Daher brauche ich mir erst gar nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob er der Mann ist, der meint, dass er nun an der Spitze steht.

Manuel ist nicht der Schlauste, daher war er immer nur ein Handlanger und wird auch nie etwas anderes sein. Auch wenn er selber oft genug denkt, dass er das ist.

„Hier hat sich nichts verändert.“ Meine Stimme klingt gefährlich und warnt ihn, während ich mich umsehe.

Das Büro ist nicht gerade das, was man als schön bezeichnen kann. Die Möbel sind alt und zum größten Teil kaputt. Bei ihm erwartet man aber auch nichts anderes.

„Was kann ich für euch tun?“, fragt er mich und macht dabei den Anschein, als würde er die Situation nicht richtig einschätzen können.

„Hast du dich heute zufällig mit Rachel getroffen?“, zische ich und komme damit direkt zum Grund unseres Besuchs.

Ich wende mich keine Sekunde von ihm ab. Daher erkenne ich auch, dass er zusammenzuckt, als ich ihren Namen ausspreche.

„Ich gehe mal davon aus, dass du es warst, der ihr diese Verletzungen zugefügt hat“, spreche ich weiter, bevor er geantwortet hat.

„Wenn eine Frau nicht spurt, muss man sich manchmal klarer ausdrücken.“

Er lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Langsam setze ich mich auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch steht und lasse mich nach hinten sinken.

„Dummerweise hast du dir dieses Mal die falsche Frau für deine Prügelattacken ausgesucht. Rachel steht unter meinem Schutz.“

Während ich spreche, ziehe ich meine Waffe aus dem Bund meiner Hose. Manuel bekommt große Augen, als er diese erkennt. Ich kann die Angst förmlich in ihnen erkennen.

„Du kennst sie?“, fragt er schließlich, als er anscheinend seine Sprache wiedergefunden hat.

Unter normalen Umständen würde ich mit ihm spielen. Und vor allem würde ich Spaß daran haben. Doch wenn es um Rachel geht, habe ich keine Lust dazu. Ich will wissen, dass sie wieder in Sicherheit ist. Und das weiß ich erst, wenn er tot ist.

Daher stehe ich langsam wieder auf und stelle mich direkt vor den Schreibtisch.

„Du wirst nie wieder Hand an meine Frau legen“, knurre ich.

„Ich … verspreche es“, stammelt er, als wäre er noch ein kleines Kind. „Ich wusste nicht, dass du und sie …“, beginnt er, bricht jedoch ab, bevor er ausgesprochen hat.

„Dieses Mal hast du dich mit der falschen Frau angelegt.“

Ich richte meine Waffe auf seinen Kopf und drücke ab, ohne mit der Wimper zu zucken. Bereits in der nächsten Sekunde klafft ein Loch in seiner Stirn, aus dem das Blut läuft. Sein Körper liegt leblos im Stuhl und eine Ruhe breitet sich in mir aus, die ich schon lange nicht mehr verspürt habe.

„Das hätte ich schon viel eher machen sollen“, gebe ich von mir, während ich ihn mir ansehe.

„Aber noch nie hattest du so einen guten Grund, genau das zu machen“, erklärt Brad und grinst mich an.

Nein, noch nie hatte ich den. Aber wenn ich das schon vor Jahren getan hätte, wäre Rachel dieser Abend erspart geblieben, denke ich.

Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, verlasse ich das Restaurant und verschwinde von diesem Ort. Am liebsten würde ich sofort wieder zu Rachel fahren. Doch ich habe keine Ahnung, wie ich es ihr erklären soll, dass ich wieder da bin. Und ihr sagen, dass ich diesen Mann umgebracht habe, kann ich auch nicht.

Zumindest jetzt noch nicht.

Daher muss ich mir überlegen, wie mein nächster Schritt ihretwegen aussehen soll.