Die Hormonkur

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Überfordert? Das könnten die Gene sein

Mehrere Gene sind in der Perimenopause, besonders während des letzten Jahres, wenn der Östrogenspiegel sinkt, möglicherweise „konspirativ“ gegen Sie tätig. Ein niedriger Östrogenspiegel beeinflusst vielleicht die Gene, deren Aufgabe die Steuerung von Serotonin, Dopamin und Neurotropin (BDNF, Brain-Derived Neurotrophic Factor) ist. Gegen Ihr Gene sind Sie zwar relativ machtlos, doch wenn Sie wissen, dass ein solches Risiko besteht, sind Sie vielleicht eher bereit, auf sich zu achten, die Regulierung Ihres Hormonspiegels in Betracht zu ziehen und Supplemente einzunehmen, die Ihnen nachweislich helfen.

Serotonin-Transporter-Gen (SLC6A4): Bis zu 40 Prozent der weißen Bevölkerung weisen bezüglich der Art und Weise, wie Serotonin im Gehirn von einer Zelle zur anderen transportiert wird, eine genetische Variante auf, die insbesondere nach Stress zu einer erhöhten Anfälligkeit für Depressionen führt. Normalerweise verfügen Sie über zwei Kopien des langen Serotonin-Transporter-Gens. Frauen, die eine oder zwei Kopien des kurzen Serotonin-Transporter-Gens haben, sind weniger stresstolerant, zeigen eine Cortisolresistenz (das Gehirn reagiert nicht auf Cortisol, das wichtigste Stresshormon), und sprechen auf Antidepressiva aus der Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) schlechter an als Frauen, die über das lange Gen verfügen. Mit anderen Worten, Frauen mit den kurzen Serotonin-Transporter-Genen zeigen eine verstärkte Hypervigilanz (erhöhte Wachheit oder Wachsamkeit) der Amygdala, die sich weiter verstärken kann, wenn der Östrogenspiegel sinkt. Ein normaler Östrogenspiegel kann zwar die Wirkung des Gens außer Kraft setzen, aber in der Perimenopause führt ein niedriger Östrogenspiegel möglicherweise dazu, dass eine Frau mit diesen kurzen Serotonin-Transporter-Genen plötzlich, scheinbar über Nacht, völlig in Stress gerät und depressiv wird.

Catechol-O-Methyltransferase (COMT): COMT ist eines der Enzyme, die Ihr Gehirn bei der Verarbeitung der Catecholamine, d.h. von Neurotransmittern im Gehirn, unterstützt; zu ihnen gehören Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. Das normale COMT-Gen gibt es in der Variante „COMT-Met“ und COMT-Val“; das bezieht sich auf die Aminosäuren in der DNA. Frauen mit der „Met“-Variante haben Schwierigkeiten mit der Verstoffwechselung von Östrogen.

Neurotropin (BDNF): BDNF ist eine chemische Substanz im Gehirn, die das Wachstum von Nervenzellen und die neuronale Plastizität insbesondere in den Teilen des Gehirns fördert, die mit dem Lernen, dem Langzeitgedächtnis und der Fähigkeit zu komplexem Denken in Zusammenhang stehen. (Bei der neuronalen Plastizität handelt es sich um die Eigenschaft von Synapsen, Nervenzellen oder auch von ganzen Hirnarealen, sich je nachdem, wie sie verwendet werden, in ihren Eigenschaften zu ändern; Anm. d. Übers.) Der BDNF-Spiegel wird vom BDNF-Gen gesteuert. Östrogen erhöht BDNF, Sport auch. Es überrascht also nicht, dass Cortisol die Bildung von BDNF reduziert. Ein weiteres Beispiel für die Kommunikation zwischen Hormonen, Neurotransmittern und Ihren Genen: Wenn in der Perimenopause der Cortisolspiegel steigt und der Östrogenspiegel sinkt, kann BDNF abnehmen.

Liegt das Problem in der Mutterschaft begründet?

Ich musste mich fragen, ob meine nachlassende Energie mit Ende Dreißig damit zu tun hatte, dass ich zwei Kinder habe. Seinerzeit kämpfte ich mich durch 120-Stunden-Wochen an der Universität und die Facharztausbildung, doch die Jahre nach der Geburt meiner Kinder fand ich viel strapaziöser. Es schien wie ein Nullsummenspiel, in dem ich ständig einen mir lieb gewordenen Aspekt meines Lebens einem anderen opferte. Es schien, als sei ich nie in der Lage gewesen, meine Batterien wieder ganz aufzuladen und in der Folge litten meine Leistungsfähigkeit und meine Geduld. Das ist nicht nur meine Erfahrung; die Amerikanerinnen insgesamt berichten, dass ihr psychisches Wohlbefinden zwischen 35 und 50 am schlechtesten ist und meist mit vermehrten Sorgen und Traurigkeit einhergeht.

Bestand das Problem darin, Mutter zu sein? Nein, es lag an den Hormonen. Woher ich das weiß? Weil 20 Prozent meiner Patientinnen in den Vierzigern keine Kinder haben und sich mit denselben Problemen herumschlagen. Sie schlafen regelmäßig schlecht, klagen über zusätzliche Pfunde auf den Rippen, und sie fragen sich, warum sie sich nicht mehr so lebendig fühlen und nicht mehr so aussehen wie früher.

Auf der Suche mit 40 plus

In seinem Buch The Tree of Yoga (zu Deutsch etwa: „Der Baum des Yoga“) beschreibt K. S. Iyengar die vier Entwicklungsstadien im indischen System der Ashrams: Schüler, Haushaltungsvorstand, Waldbewohner, Entsagender. (Sie sind den von C. G. Jung und Erik H. Erikson beschriebenen nicht unähnlich.) Iyengar sagt, dass dieses System es dem Menschen im mittleren Lebensalter (dem Waldbewohner) ermöglicht, frei von familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen zu sein, um nach der Versenkung des Yogi zu streben. Mit anderen Worten, es wird Ihnen am besten ergehen, wenn Sie sich mit etwa 42 Jahren der äußeren Welt und ihren Zwängen allmählich zu entziehen beginnen und sich nach innen wenden.

Das klingt gut, aber ich war durch die Schwangerschaften beansprucht. Nun bin ich Mitte Vierzig und wäre sehr gerne eine Waldbewohnerin, doch jetzt sind da diese zwei aufgeweckten Kinder (zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches 8 und 13 Jahre alt), die mich brauchen. Ich würde gerne hundertprozentig zur Verantwortung für meine Familie stehen, aber ich fühle mich oft, als würden mein Gehirn und mein Körper mich lieber als Suchende sehen, die sich ganz legal aus den dem unmittelbaren Tagesgeschäft ausblenden darf.

Mit diesem Gefühl stehe ich nicht alleine da. Frauen in den Vierzigern sind hormonell darauf ausgerichtet, Sucherinnen zu sein, frei von häuslicher Verantwortung, aber viele von uns wurden erst später Mutter. In der Zeit, die unser Körper eigentlich dafür vorgesehen hat, Waldbewohnerinnen zu sein, stecken wir frustriert und belastet durch die Pflichten des Haushalts fest.

Dr. Louann Brizendine ist Psychiaterin an der Universität von Kalifornien in San Francisco und betreibt Forschung zu den Themen Hormone sowie Frauen und ihre Gemütslage. Ihre Schlussfolgerung: Durch die Haushaltspflichten – abgesichert durch einen Partner und mit Kindern – führen die vorhersehbaren hormonellen Veränderungen zwangsläufig dazu, dass sich Frauen in der familiären Erziehung und Pflege einrichten. Manche bezeichnen diese Haltung als hormonelle Wolke oder hormonellen Vorhang. Und dann, in den Vierzigern, wachen wir auf (wahrscheinlich so gegen zwei Uhr nachts) und sind überzeugt davon, dass wir die Scheidung wollen. Wir haben die Nase von all den hilfsbedürftigen, egozentrischen Narzisten in unserem Leben, wir sind zu Tode erschöpft und wir brauchen eine Auszeit. Wir sind gerüstet und bereit und instinktiv darauf gepolt, Waldbewohnerinnen zu sein.

Das ist nicht alles schlecht. Sie erinnern sich, die Perimenopause ist eine natürliche Lebensphase, keine Krankheit. Das Tolle daran ist, wenn Sie erst einmal die Jahre als Haushaltungsvorstand hinter sich haben, interessiert es Sie weniger, was andere Leute denken. Sie kümmern sich weniger um Klamotten und Make-up, um die Meinung Ihrer Mutter über Ihre Frisur, oder darum, ob Sie mit Ihrer Meinung anderen auf den Schlips treten. Warum ist das so? Ihre Eierstöcke bilden weniger Östrogen – und am Östrogen liegt es, dass Sie Kinder haben, hübsch aussehen und den Menschen gefallen wollen. Weniger Östrogen bedeutet, dass Sie aufhören, es Menschen kritiklos recht zu machen und schließlich sogar damit herausplatzen, was Sie, seit Sie 25 Jahre alt waren, schon immer einmal loswerden wollten.

Das chinesische Schriftzeichen für Krise hat zwei Bedeutungen: Gefahr und Chance. Frauen in der Perimenopause sind gefährlich, denn wir machen uns eben nicht mehr länger Liebkind bei allen oder, wie wir es aus dem Englischen übernommen haben, wir sind nicht mehr „Everybody‘s Darling“. Wir sagen jetzt: „Das ist schön, aber, bei allem Respekt, es interessiert mich nicht.“ Wir stehen nicht mehr länger unter dem hormonellen Druck des „Lass mich dir zu Gefallen sein“, wie es in den Zwanzigern und Dreißigern war, sondern wir beginnen uns zu begeistern, wir werden weiser, kreativer. Wir kommen ganz in die eigene Kraft.

Und die Verrücktheit hört wirklich auf, glauben Sie mir. In Ihrem Buch „Weisheit der Wechseljahre“ erinnert uns Dr. Christiane Northrup daran, dass wir in der Perimenopause aus den Jahren der hormonellen Schwankungen in eine Zeit des Lebens überwechseln, die sich in gleichmäßigeren Gewässern abspielt, in der wir (wie vor der Pubertät) jeden Tag denselben Hormonspiegel haben. Und das bedeutet schließlich mehr Stabilität im Leben nach der Menopause. Das verspreche ich Ihnen.

Die goldene Mitte

Ich habe festgestellt, dass es zwei Möglichkeit gibt, mit der Menopause umzugehen: Auf der einen Seite steht die Schulmedizin; hier bieten Ärzte allen Frauen, ohne Rücksicht auf ihre individuellen Symptome, die gleiche Behandlung an. Im Allgemeinen heißt das, die „Pille“ für jüngere Patientinnen und eine Hormonersatztherapie für Frauen ab Mitte Vierzig. Alternativ verschreiben immer mehr Schulmediziner seit 2002, als viele verängstigte Frauen keine Hormone mehr einnehmen wollten (hier bezieht sie sich auf die WHI-Studie, die vorzeitig abgebrochen werden musste, weil sie statt zu den gewünschten Erfolgen zu einem erhöhten Krebsrisiko führte; Anm. d. Übers.), für alles, worunter Patientinnen im mittleren Alter leiden – von Angstzuständen über Zwangsstörungen bis hin zum einfachen Gefühl der Überforderung – Antidepressiva.

 

Aber die Sache hat einen Haken: Kennen Sie den Warnhinweis auf den Beipackzetteln all dieser Medikamente? Antidepressiva haben durchschnittlich 70 mögliche Nebenwirkungen und manche sage und schreibe 500. Gelegentlich widersprechen sie sich auch: Ein Medikament soll müde machen, doch wenn Sie ein bisschen weiter lesen, verursacht es auch Schlaflosigkeit.

Auf der andere Seite stehen all diejenigen, die mit Medikamenten nichts zu tun haben wollen und von dem Gedanken fasziniert sind, eine Frau könne die Perimenopause bewältigen, wenn sie extrem auf ihren Lebensstil achtet. Und das sieht dann in etwa so aus: Kein Alkohol! Nur gefiltertes Wasser, mindestens zwei Liter täglich! Kalorien einschränken! Mehr Sport treiben! Nie wieder Koffeinhaltiges oder Diätlimonade! Mehr Ballaststoffe! Keinen Zucker mehr! Ein einziges Stückchen Schokolade, aber nur nach dem Frühstück! Leinsamen! Viele kleine Mahlzeiten! Und damit das klar ist: nur drei Mahlzeiten täglich, keine Zwischenmahlzeiten und nach 19 Uhr nichts mehr! Jede Nacht acht Stunden Schlaf! So viel Zeit wie möglich mit Freundinnen verbringen, aber den eigenen Mann nicht vernachlässigen! Mindestens dreimal pro Woche Sex, am besten noch öfter, denn in 30 Minuten werden 200 Kalorien verbrannt! Mehr solcher „Ratschläge“ für das Liebesleben bei mangelnder Libido habe ich auch bei den meisten der renommierten (im Übrigen männlichen) Ärzten oder Autoren gelesen. All das ist ausgemachter Unsinn, es ist bevormundend und geht auch noch völlig am Problem vorbei. Man kann einer Frau mit mangelnder Libido doch nicht vorschreiben, sie solle sich einfach zusammenreißen und mehr Sex haben. Die geringe Lust auf Sex ist doch genau das, woran es bei einem solchen Paar hakt. Wer der Frau die Schuld anlastet, die zugrunde liegenden Ursachen ausklammert und die Beziehungsprobleme außer Acht lässt, lässt die Frauen im Regen stehen und hat überhaupt nicht verstanden, worum es geht.

Liebe Leserinnen, all das aufzuschreiben, macht mich schon völlig fertig – alle diese Vorschriften und Verbote wohlmeinender Menschen sind nicht auf die Ursache des Problems gerichtet, die in einer Hormonstörung liegt. Mit mehr Willenskraft erreicht man gar nichts; die Lösung besteht vielmehr darin, dass hormonelle Geschehen zu verstehen und die Hormone dann aufeinander abzustimmen.

Meine Aufgabe ist es, Ihnen die wichtigen Veränderungen in Ihrem Lebensstil – wie Sport, Nahrungsmittel mit hoher Nährstoffdichte, bewährte kontemplative Praktiken und sogenannte Nutrazeutika, also medizinisch wirksame Lebensmittel – als Teil einer Lebensart zu empfehlen, die entspannt sein kann, ohne Stress auskommt und speziell auf Ihre hormonellen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Keine der erwähnten Optionen – weder die Medikamente noch die täglichen Entbehrungen – gefallen mir, und ich habe auch noch nicht gesehen, dass sie Frauen langfristig helfen.

Lassen Sie uns konkretisieren, was hormonelles Gleichgewicht für Sie bedeutet (vorzugsweise, bevor Sie die Perimenopause erreichen, aber ich kann Ihnen auch helfen, wieder in die Balance zu kommen, wenn Sie schon mittendrin sind). Dieser Prozess beginnt mit dem Verständnis für die physiologischen Abläufe. Wir suchen nach den zugrunde liegenden Ursachen und vollziehen wirkliche Veränderungen, anstatt uns mit den Medikamenten zufriedenzugeben, die nur oberflächlich an den Symptomen kratzen und zu deren Einnahme Ihr Arzt Sie vielleicht überreden möchte. Wir begeben uns auf eine Reise, dorthin, wo Sie sich am besten, am authentischsten fühlen. Kommen Sie mit?

Teil 2

KAPITEL 4
Cortisolüberschuss und/oder Cortisolmangel: Sind Sie gestresst? Ist ein Leben ohne Koffein sinnlos?

Stress kann positiv und negativ sein. Manche Leute laufen unter moderatem Stress zur Hochform auf, andere sacken in sich zusammen. Ihre Reaktion auf Stress wird in erster Linie durch Glucocorticoide (einschließlich Cortisol) bestimmt und hängt gleichzeitig davon ab, wie Sie genetisch ausgestattet sind, in welchem Zustand sich Eierstöcke und Schilddrüse befinden und wie geschickt Sie mit Belastungen umgehen können. Cortisol, das „Stresshormon“, ist das komplexeste und am meisten verkannte Hormon, mit dem ich in meiner Praxis zu tun habe. Stress treibt den Cortisolspiegel in die Höhe. Besteht jedoch schon ein jahrelanger Dauerstress, kann der Cortisolspiegel innerhalb kürzester Zeit von zu hohen auf zu niedrige Werte umschlagen oder auch die ganze Zeit schwanken, manchmal innerhalb von Stunden. Daher spreche ich in diesem Kapitel beide Extreme sowie eine bewährte Lebensführung an, die unabhängig vom Cortisolspiegel hilfreich ist. Unternimmt man nichts gegen den Stress und hält er weiter an, können die Nebennieren, die Cortisol und die Stress-Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin bilden, schließlich nicht mehr Schritt halten und der Cortisolspiegel fällt auf ein Dauertief. Auch wenn ich diese komplexen Informationen zwangsläufig vereinfache, die Kernaussage ist die Folgende: Sie können unter mehreren Symptomen eines zu hohen und eines zu niedrigen Cortisolspiegels leiden. Wenn Sie Ihre Symptome in den Fragebögen von Teil A und/oder Teil B aus dem ersten Kapitel wiedererkennen, bitte ich Sie eindringlich: Kümmern Sie sich darum – als würde Ihr Leben davon abhängen (und es hängt auch davon ab), denn die meisten Schulmediziner suchen bei Nebennierenproblemen nicht nach graduellen Hinweisen, doch genau diese Abstufungen sind ein Merkmal eines hohen wie auch eines niedrigen Cortisolspiegels. Selbst wenn Sie weniger als fünf Übereinstimmungen in Teil A oder Teil B haben, aber fünf oder mehr in beiden Teilen zusammen, sollten Sie Ihren Cortisolspiegel untersuchen lassen (siehe Anhang). Dieses Kapitel gliedert sich in Teil A, dort wird der übermäßig hohe Cortisolspiegel besprochen, und in Teil B, der sich auf den erniedrigten Cortisolspiegel konzentriert.

Cortisol

Cortisol ist das Hormon, welches das Hungergefühl, die Verdauung, den Blutdruck, das Schlaf-Wach-Muster, die körperliche Aktivität und die Fähigkeit zur Stresstoleranz steuert. Es gehört zur Familie der Glucocorticoide – ein Fantasiename für Substanzen, die den Blutzuckerspiegel anheben können. Und das ist auch die Hauptaufgabe des Cortisols: Den Blutzuckerspiegel zu erhöhen und den Überschuss über einen als Glycogenspeicherung bezeichneten Prozess in der Leber einzulagern. Glucose ist ein Energielieferant. Bekommen Ihre Zellen nicht genug davon, machen Sie schlapp. Vielleicht haben Sie bei anstrengender sportlicher Betätigung schon mal das Gefühl gehabt „überzuschnappen“. Sie fühlen sich plötzlich schwindelig, reizbar und ausgesprochen unterzuckert; das sind Hinweise darauf, dass Sie Ihren größten Energievorrat aufgebraucht haben.

Cortisol ist das leistungsstärkste Glucocorticoid und hat drei wichtige Eigenschaften, die uns am Leben erhalten. Es

– lässt den Blutzuckerspiegel steigen,

– erhöht den Blutdruck,

– reguliert Entzündungen.

Das Stress-Cortisol-Pendel: Kurzfassung

Stress ist unvermeidbar, er greift um sich und nimmt ständig zu. Er gehört zum Leben, und wenn jemand weiß, wie man es schafft, stressfrei zu leben, dann geben Sie mir bitte sofort Bescheid. Stress ist aber nicht per se negativ: Unter normalen Umständen kommt es zu einer vorübergehenden Anflutung von Cortisol – dem Hormon, das freigesetzt wird, wenn Sie unter Stress sind –, und das ist eine nützliche, schützende und idealerweise nur gelegentlich notwendige Maßnahme des Körpers. Die Stressreaktion ist ein geeignetes Alarmsystem; vielleicht muss ein Freund medizinisch notfallversorgt werden oder Ihr Haus wurde ausgeraubt. Sobald Sie reagieren und die Situation im Griff haben, sollte Ihr Cortisolspiegel wieder auf den Normalwert absinken. Funktioniert Ihr Cortisolmechanismus in angemessener Weise, können Sie das auch von Ihrem Alarmsystem erwarten und umgekehrt.

Bei vielen Frauen kommt es jedoch zum „Daueralarm“ – die Cortisolanflutung hört nicht mehr auf. Das Pendel, das eigentlich gemächlich schwingen sollte, bleibt auf der „Alarm“-Seite hängen. Viel zu viele von uns quälen sich mit nicht enden wollenden Stresssymptomen und Überspanntheit, wie sie in Teil A des Fragebogens aus dem ersten Kapitel beschrieben sind (zum Beispiel Heißhunger auf Schokolade, Schlafstörungen, Bauchfett, Angstzustände). Wenn Sie gerade dieses Kapitel lesen, ist es also gut möglich, dass Sie auch zu den Betroffenen gehören. Aber ich habe gute Nachrichten für Sie. Ich kenne das Problem selbst und weiß, was zu tun ist. Ich habe die Nachweise der Methoden durchgearbeitet, die funktionieren, und ich gebe sie an Sie weiter. Sie glauben vielleicht, dass es Ihnen nicht möglich ist, Ihren Lebensstil zugunsten einer guten Gesundheit radikal zu verändern, aber ich kann Sie beruhigen. Schon kleine Veränderungen in der Art und Weise, wie Sie Ihren vielen verschiedenen Rollen gerecht werden, können der Anfang eines Weges sein, auf dem Sie sich schließlich wie neugeboren fühlen.

Mein „ausschlagendes“ Stress-Pendel

Mit über Dreißig war ich das Musterbeispiel der gestressten Frau – und ich musste in der Folge erfahren, welchen zusätzlichen Schaden ein hoher Cortisolspiegel anrichtet. Schon Kleinigkeiten wurden zum Problem, zum Beispiel der Straßenverkehr und die Wäsche, sogar das Mittagessen für meine Kinder. Ich habe vergessen, sie von der Schule abzuholen. Und wenn ich daran gedacht habe, war ich unpünktlich, weil ich meine Schlüssel nicht finden konnte. Eine Tasse Kaffee – und mein Herz schlug wie eine Buschtrommel. Ich freute mich auf ein Glas Wein zum Tagesausklang, aber aus einem wurden zwei, und dann konnte ich doch nicht schlafen.

Trotz Sport und gesunder Ernährung war mein Blutzuckerspiegel hoch, und ich war so süchtig nach Süßigkeiten, dass ich mich nicht beherrschen konnte. Mein Taillenumfang wuchs, und als mich eine Mitarbeiterin im Biomarkt fragte, ob ich schwanger sei (und nein, ich war es nicht!), rastete ich fast aus. Alle meine Stressbewältigungsmechanismen gerieten ins Wanken. Ich entdeckte, dass das eigentliche Problem darin bestand, wie ich Stress wahrnahm – mit anderen Worten, mein Stressempfinden war in hohem Maße hausgemacht und dafür war ich selbst verantwortlich. Jeder Mensch hat Ansprüche und Probleme; als ich das endlich begriffen hatte und aufhörte, den äußeren Umständen die Schuld für mein Befinden zu geben, und mental flexibler wurde, eröffnete sich mir ein ganz neuer Raum, der in hormoneller Hinsicht unterstützend wirkte.