Kriegerin der gekreuzten Schwerter

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Spuren im Schnee waren immer leicht zu finden, doch der Schnee konnte auch sehr hilfreich zum Verschwinden der Spuren sein. Vor allem für die Kelten, die ja in den verschneiten Bergen wohnten. So war es für die Kataren unmöglich den Dieben zu folgen, nachdem sie am Morgen den Diebstahl bemerkten. Und so war Bulmahart stolzer Besitzer von Arotan, dem schwarzen Hengst aus dem Wüstenreich.

Kapitel 2.9

(Totenspiegel)

Der dritte Monat des Jahres war nur wenige Tage alt und seit einigen Tagen verhielten sich Bulmahart und Balan etwas unruhiger als sonst. Schleichende Schatten tummelten sich in den Wäldern zu beiden Seiten. Seit einigen Tagen folgten die Schatten ihnen, doch waren sie immer im Unterholz versteckt, zumindest glaubten sie es.

Das geänderte Verhalten der Kelten entging auch Kaßandhra nicht. So ritt sie still neben Bulmahart her und fragte ihn vorsichtig: „Ist etwas nicht in Ordnung?“

Wir werden verfolgt!“, sagte er, ohne seinen Kopf zu rühren.

Und Tatsache, sie hatten einige Reiter erspäht, die ihnen in den letzten Tagen unauffällig zu folgen versuchten. Unauffällig? Das war wohl nicht der Fall, denn die beiden Krieger hatten sie schließlich bemerkt und waren gerüstet. Nun mussten Bulmahart und Balan sehr auf der Hut sein. Es waren schwarze Reiter. Offenbar hatten sie Kaßandhra gesehen und sie als neues Opfer auserwählt. Doch der Schutz zweier Kelten dürfte ihnen sicherlich Kopfschmerzen bereiten.

In dieser Nacht wollten Bulmahart und Balan die Sache beenden. Ihre Minen spiegelten gute Laune, doch ihre Worte waren ernst und zum Plan geführt. In den Wäldern sollten ihre gutgelaunten Minen nur eins sagen: Wir haben euch gar nicht bemerkt. Und genau das schien aufzugehen. Die Reiter begaben sich in Position. Sie schlichen sich an und krochen näher. Immer im Auge, das blonde Mädchen! Ihre Hände, sie mussten nur noch von ihren Armen nach vorn greifen und sie hätten Kaßandhra im Griff. Kurz vor ihrem Erfolg ertönte ein Schrei. Es war Bulmahart, er sprang auf. Mit gezogenem Schwert und einer gekonnten Drehung seiner Klinge fiel der erste Reiter. Balan sprang auf und enthauptete den Zweiten. Von der plötzlichen Gegenwehr überrascht, traten die Reiter sofort die Flucht an. Als die Reiter zu fliehen versuchten, sprangen beide Kelten auf ihre Pferde und brausten ihnen nach. „Versteck dich“, schrie Bulmahart Kaßandhra zu und ritt davon. Ihre Pferde brauchten nur wenige ihrer riesigen Schritte und auch die letzten Reiter waren zu Fall gebracht. Dann setzte Bulmahart ein zweites Schwert ein und ging erneut auf die Reiter los. Nur ein Gedanke ging Kaßandhra durch den Kopf: „Sogar mit zwei Schwerter, mit zwei! Zwei!“ Die Bewegungen von den Schwertern Bulmaharts beeindruckten Kaßandhra so sehr, dass sie die Todesschreie der Reiter überhörte. Kaßandhra konnte ihre Augen einfach nicht fernhalten. Sie musste sehen, wie die Reiter niedergemetzelt wurden. Sie wollte es sehen und sie wollte es am liebsten selber vollbringen. Und so in ihrer Beobachtung vertieft, bemerkte sie nicht, dass sie schon wieder im Auge eines Reiters stand. Unauffällig und leise kroch er von hinten auf sie zu …

Die Jagd dauerte noch einige Minuten an, doch es hatte den Anschein, als seien alle Reiter verdientermaßen gefallen. Bulmahart sah sich um. Wo war seine Nichte? Im ersten Moment überkamen ihm Gedanken, dass sie vielleicht, aber nein. Da hinten saß sie. Nur wenige Meter neben dem Lager hockte sie am Boden. Vor ihr lag ein schwarzer Reiter und stand kurz vor dem Tod, denn er rührte sich nur noch wenig.

Sofort eilten die Krieger zu ihr. Bulmahart fragte sie, was denn geschehen sei. Sie saß einfach nur da und sah dem Reiter nur zu, wie er versuchte, die Wunde an seinem Hals mit den Händen zu verschließen. Sie hatte ihn bloß entwaffnet und ihn nicht einmal gefesselt und ihm so erlaubt, sein Leid in die Länge zuziehen. „Er hatte sich angeschlichen, als ich euch beobachtet habe. Dachte wohl, ich merke es nicht. Dieser Versager“, verspottete Kaßandhra den Sterbenden auch noch. „Ich stieß ihm das Messer in den Hals!“ Dann drehte sie sich zu Bulmahart. „Es ging ganz leicht rein!“, als sie das sagte, waren ihre Augen bewegungslos und leer. Kaßandhra saß weiterhin still daneben. Den Kopf nach links geneigt, sah sie dem Reiter wieder beim Sterben zu. Sie beugte sich zu ihm vor und griff mit zwei Fingern an genau die Stelle, wo kurz zuvor ihre Klinge eingestoßen wurde. Sie rieb ihre Fingerspitzen aneinander. „Füllt sich gleich an“, sagte sie zu sich selber, als würde sie gerade einen Vergleich anstellen. Doch welcher Vergleich sollte das sein. „Die ist ja völlig weggetreten“, sagte Balan. Nachdem der Reiter schließlich seiner Verletzung erlag, sah sie Bulmahart an und sagte lächelnd: „Alles gut“, und ging ganz ruhig und besonnen zu ihrem Schlafplatz. Sie mümmelte sich neben dem Lagerfeuer ein und schien direkt eingeschlafen zu sein.

Hast du ihre Augen gesehen?“, fragte Balan.

Ja, das habe ich.“

Für diese beiden Krieger hatte sie nicht die Augen einer fast vierzehnjährigen jungen Frau, sondern entsprachen eher einem Totenspiegel! Genau das war es, was die beiden in jenen Tagen in den Augen spiegeln sahen: Tod und Verderben. „Sie scheint den Ärger magisch anzuziehen“, flüsterte Balan hinterher. Doch Bulmahart widersprach: „Nein, es ist nicht sie, die den Ärger sucht. Es ist ihr Aussehen, was den Ärger anzieht.“ Und Bulmahart sprach weiter. „Das sie gemordet hat, ist nicht weiter schlimm“, sagte er zu Balan, während er weiter zu Kaßandhra sah. „Das es ihr gefallen hat! Das stört mich.“ Er trug nun Sorge in seinem Herzen. Der Geschmack des Tötens! Wie es nur so oft schon der Fall gewesen war: Dem, dem der Geschmack des Tötens gefiel, verfiel diesem auch sehr schnell! So hoffte er, dass es bei ihr nicht eintreffen würde. Ihm traten Erinnerungen in den Kopf. Erinnerungen an den Krieger Nemorax, den Kaßandhra ja so mühelos zu Fall gebracht hatte. Den wollte sie töten. Nun hatte sie eben diesen hier getötet und kam so ihrem Tötungswunsch nach. Sicher: Dieser hier wollte ihr Leid zufügen, doch er war sicher verschnürt und konnte sich kaum bewegen. Und eine andere Frage brannte ihm auf der Seele. Schnell ging er ihr nach und fragte sie: „Was hattest du gemeint: Es füllt sich gleich an!“ Schon fast eingeschlafen erzählte sie von dem Blut des Wildschweins und das sich jenes wie das des schwarzen Reiters anfühlte! Sofort danach war sie schon eingeschlafen. Seelenruhig lag sie da, als wäre nichts geschehen. Ihm überkam das Gefühl, umso älter sie werde, umso gefährlicher könnte sie werden. Doch konnte es schaden, wenn sie sich zu einer guten Kriegerin entwickeln würde? Und das in diesen Tagen? Gewiss nicht? Solange sie ihre Fähigkeiten im Griff hätte und der Geschmack des Tötens nicht die Macht über ihre Seele gewinnen würde, würde alles gut werden. Oh, armer Bulmahart, er sollte sich so irren!

Es war schon recht warm geworden im vierten Monat des Jahres, als sie sich langsam ihrer Heimat näherten. Große Augen machte sie beim Eintreffen: Die Hütte war dieselbe, doch drumherum war alles anders. Ein kleiner Haufen Holz war verbrannt worden. So wie es da lag, glich es einem Feuer, welches zur Verabschiedung eines Stammesmitgliedes diente. Doch für einen ausgewachsenen Menschen war es zu klein. Dieses Bild bedarf keines großen Nachdenkens oder Überlegungen, um zu begreifen, was geschehen war. Es war die gescheiterte Geburt eines Brüderchens. Sofort sprang Bulmahart von Arotan und eilte in die Hütte.

Atur hockte in einer Ecke und war kaum ansprechbar. Er war so stark angetrunken, dass er die Rückkehr seiner Tochter nicht einmal bemerkte. Kaßandhra ging zu ihrem trauernden Vater. Fest schloss sie ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn. Atur umschlang mit seinen Armen die junge Frau und es brach aus ihm heraus, wie ein schlagartig beginnendes Unwetter. Er weinte bitterlich Tränen. Worte schossen aus ihm, Worte wie, sie ist schuld, oder sie könnte es nicht! Er hatte diese Worte sicher nicht so gemeint, doch hatte Kaßandhra sie genauso verstanden und stieß Atur von sich. Ihre Lippen brachten keine Worte heraus, nur ihr Blick, er sprach Bände.

Celia war geschwächt. Sie hatte viel Blut verloren und hatte sich offenbar noch etwas eingefangen. Eine Krankheit kroch durch ihren Körper. Bulmahart nahm ihre Hand. Fest hielt er diese und sah sie an. Ihre rote Stirn verhieß nichts Gutes. Auch Balan trat herein, gefolgt von Kaßandhra, die sich gleich zu ihrer Mutter begab. Leise fragte Bulmahart sie: „Wie geht es deinem Vater?“ Sie schwieg und wieder: Ihre Augen waren ein Totenspiegel und nichts weiter. Ihr Blick sagte mehr als tausend Worte.

Bulmahart war noch etliche Stunden geblieben, doch eine Jagd auf die schwarzen Reiter zwang ihn, den Stamm des Otul aufzusuchen. Celia schickte ihn fort. Er brauche nicht bleiben und sollte lieber den schwarzen Reitern den Gar ausmachen. Schließlich wäre ihre Tochter da. Sie sei stark und fähig für sie zu sorgen. Mit diesen Worten doch überzeugt, brach er noch am selben Abend auf.

Es war Nacht geworden. Die Grillen zirpten glücklich und gaben den Insekten ein ruhiges Konzert und die Sterne schienen klar und funkelnd aufs Land. Kaßandhra lag wach. Sie hörte das wehleidige Stöhnen ihrer Mutter und das genervte Gekeuche ihres Vaters. Entsetzt darüber stand sie auf und verkroch sich zu ihrer Mutter. Atur war eh nicht im Bett, sondern saß am Feuer und leerte einige Weinkrüge. Kaßandhra schwieg. Mit geöffneten Augen und den Blick zu ihrem Vater gerichtet, umschlossen ihre Arme ihre Mutter und schenkten ihr Wärme und Trost. Ihre Augen waren noch nach einer Stunde geöffnet und weiter auf Atur gerichtet, dabei etwas wuchs etwas in ihr. Es war nicht unbedingt Wut, sondern Abscheu und Verachtung! Und auch Enttäuschung gewann in ihrem Kopf die Oberhand. Selbst am nächtens Tag änderte Atur sein Verhalten nicht. Er wankte hin und her. Das Feld war derart verwahrlost, dass es den Anschein machte, es gehörte der Natur und keinem Bauern. Kaßandhra war übermüdet und auch überfordert. Die Zeit, die sie bei ihrer Mutter verbrachte, raubte ihre Kraft, die sie nicht einmal im Schlaf fand, denn den bekam sie auch nicht.

 

Kaßandhra, mittlerweile vierzehn Jahre alt saß am Bett ihrer Mutter und streichelte ihr die Wange. Nun öffnete Celia ihre Augen ein wenig und sprach mit schwachen Worten: „Bleib tapfer mein Kind.“ Diese Worte verdeutlichten Kaßandhra, dass es sehr bald zu Ende gehen werde. Und dann werde auch sie gehen. Bei diesem Mann, der ja eigentlich ihr Vater war, wollte sie auch nicht bleiben. Vielleicht in die Berge zu den Kelten? Oder zu den Kataren mit den wundervollen Pferden. So dachte sie hin und her. Überall hin, nur nicht hier, bei diesem Versager!

Wenige Tage später war Bulmahart beim Otul-Stamm eingetroffen und beriet mit Arasim und Otul die weitere Vorgehensweise. So wie es schien, war der geheime Standort der schwarzen Vereinigung bekannt. Sie hatten sich inmitten des Landes verkrochen. So erreichten sie auch die entlegensten Gegenden des Landes Germanien schnell. Ein Fünftagesritt stand den Kriegern bevor. Nun wollten sie und könnten sie endlich alle Beteiligten bestrafen.

Kapitel 2.10

(Willkür des Schicksals)

Bulmahart war nur wenige Tage nicht mehr da gewesen. Kaßandhra verstand, warum er nicht hier sein konnte, doch sie wünschte, er wäre es. Als sie Wasser für ihre immer noch liegende Mutter holte, sah sie Atur neben der Hütte kauernd am Boden liegen. Ein Weinkrug lag neben ihm. Natürlich leer! In dem Mädchen staute sich enorme Wut und Zorn.

Es war Mittag geworden und die Sonne brannte erbarmungslos vom blauen Himmel. Als sie zurückkam, ging es ihrer Mutter sichtlich schlechter. Ihre Stirn war rot. Mit dieser Situation war sie doch etwas überfordert. So eilte Kaßandhra schnellen Schritts zu ihrem Vater. Als sie ihn endlich hinter einer Eiche hockend fand, war er bereits stark angetrunken.

Vater“, rief sie ihm zu. „Du musst mit rein kommen. Mutter geht es schlechter.“

Hauuuuu-aaaaab!“, sagte er nur lallend und leiernd. Dann griff sie den Arm ihres Vaters und zog an diesem: „Komm mit, Vater!“ Doch er trat zu und stieß seine Tochter weit von sich und so schlug sie mit dem Kopf gegen einen Stein. Sie weinte nicht und sie schrie auch nicht. Zu groß war der Schock über diese doch so fremdartige Reaktion. „Du sollst mich in Ruhe lassen! Hast du gehört? Hau ab!“, schrie er sie an. „Hau endlich ab! Lass mich allein!“ Und so stand Atur auf und wankte in den Wald. Erst jetzt merkte Kaßandhra einen leicht stechenden Schmerz am Hinterkopf und einen Schmerz in den tiefen ihres Herzens. Gekränkt ging sie schnell zurück in die Hütte. Mit dieser Reaktion hatte Atur seine Tochter nun für immer verloren. Sehr behutsam wischte Kaßandhra die Stirn ihrer sterbenskranken Mutter ab und flehte sie an, dass sie sie nicht alleine lassen soll. Zu ihrem Vater war ihr Vertrauen inzwischen gebrochen. Niemals zuvor war er gewalttätig zu ihr gewesen, doch heute? Es war nun die falsche Zeit über ihren Vater nachzudenken. Sie stand auf, um frisches Wasser zu holen. Am Brunnen drehte sich Kaßandhra schnell zu den seltsam wehenden Büschen im Westen. Der Wind kam doch aus der anderen Richtung. Etwas war hier nicht in Ordnung. Sie blieb stehen und hatte wachsame Augen. Verteidigen konnte sie sich. Das hatte sie bewiesen. Doch beim letzten Mal war sie nicht allein und sie war bewaffnet. So wurde sie von Zweifel geplagt. Ganz plötzlich stand Celia im Türrahmen. Sie suchte ihre Tochter. Böse Vorahnungen trieben sie aus der Hütte. Kaßandhra sah sich um und hatte ihre Augen auf die Büsche im Westen fixiert, als …

Atur erwachte nach langer Zeit des Schlafes durch den Wein. Der Tag hatte schon fast den Abend erreicht. Sein Kopf schmerzte und drückte zu gleich. Als er sich erhob sah er in südlicher Richtung eine Rauchsäule empor steigen. Sie kam aus der Richtung, in welcher er doch zu Hause war. So wankte er los. Nicht wirklich glaubend, dass es von seiner Hütte stammen könnte, doch er wurde eines Besseren belehrt. Als er seine Hütte erblickte, oder das, was davon übrig war, glaubte er, dass er in einem Traum stehe. Seine Heimat war verschwunden! Seine Hütte - von Flammen vernichtet und vor der Tür lag seine Frau. Sie lag da und rührte sich nicht. Ein Dolch steckte in ihrem Hals. Atur brach zusammen und schloss seine Frau in seine Arme. Plötzlich stand er auf und rief seine Tochter. Aus Leibes Kräften rief er ihren Namen, doch er blieb ruhig. Keine Antwort. Niemand war da. Atur stand wie angewurzelt. Nun wurde ihm seine ganze Familie genommen. Dann sah er einen Mann in der Nähe der großen Bäume liegen. Ein Schauer überkam ihn, denn es war einer der schwarzen Reiter. Sie hatten seine Tochter geholt. Sie hatten tatsächlich seine Tochter geholt. Was sollte er jetzt tun. Kein Pferd um ihnen zu folgen. Keine Ahnung, wohin sie geritten waren. Er war hilflos und über alle Maße überfordert. Das ganze Geschehen war zuviel für den Bauern. Sein Rind war vom Trubel davongelaufen. Atur stand völlig allein vor den Resten seiner Hütte und seines Lebens. Eigentlich hätte er Celia verbrennen müssen, doch das konnte er nicht über sein Herz bringen und brach die Tradition. So schaufelte er ein Loch. Passend für seine Frau und legte sie behutsam hinein. Wieder zu gegraben und liebevoll verziert, konnte er sie nun jedenfalls besuchen. Erst jetzt, wo es zu spät war hatte er sein missfallendes Verhalten erkannt und bereute dies aus tiefstem Herzen. Noch Stunden später saß Atur am Grab. Es war bereits spät am Abend geworden und sehr still. Nur das Zirpen der Grillen war zu hören. Nicht nur der Verlust von Frau und Kind schmerzte. Selbstvorwürfe, seine Familie im Stich gelassen zu haben, waren fast unerträglich und zogen sein Herz in alle Richtungen. Und das schmerzte zunehmest.

Am nächsten Morgen überzogen große Nebelbänke das Land. Bulmahart kam die Berge heruntergeritten, um sich dem Kriegerverband Arasims anzuschließen. Doch vorher wollte er nach seiner kranken Schwester sehen. Schon von weitem konnte er erkennen, dass etwas nicht stimmte, denn dort, wo eigentlich die Hütte stehen sollte, stieg Rauch empor. Zwar wenig, aber es rauchte. Sofort ritt er besorgt schneller. Als er an der Ruine ankam, sah er Atur auf den Boden hocken. Bulmahart sprang von seinem Pferd und rannte los, vorbei an den schwarzen Reiter, der tot am Boden lag. Als er direkt hinter Atur stand, hatte er einen freien Blick auf das, worauf Atur starrte. Es war ein Grab. Liebevoll hatte er es mit Blumen belegt. „Was ist passiert?”, fragte er Atur vorsichtig.

Wonach sieht es denn aus!“, sagte Atur leise, ohne seinen Blick von dem Grab zu wenden. „Sie haben meine Tochter! Diese schwarzen Reiter haben meine Tochter.“ Er brach in leichten Tränen aus und sprach weiter: „Was werden sie mit ihr machen? Sie quälen? Foltern? Oh mein Kind, wo bist du nur?”

Unter einem Fluss von Tränen wandte sich Atur an Bulmahart. Er griff des Kriegers Hände und flehte und bettelte: „Hilf mir, ich muss mein Kind retten! Du kannst Spuren lesen, bitte hilf mir.” Im ersten Moment packte Bulmahart der Zorn: „Wieso bist du nicht sofort zu mir gekommen?”

Ich weiß es nicht.”

Er wusste es nicht, sagte er zumindest. Vielleicht wollte er es gar nicht wissen, doch Bulmahart hatte den starken Verdacht, dass er in ein Loch aus Selbstvorwürfen und Trauer gefallen war. Seine Schwester ist tot! Der große Keltenhäuptling weinte dennoch nicht. Er musste sich nun beeilen, um seine Nichte zu finden.

Wann ist das passiert?”, fragte er hastig.

Gestern irgendwann.”

Weiter”, brüllte Bulmahart entsetzt. „In welche Richtung?” „Das weiß ich nicht. Ich war doch nicht hier.”

Bulmahart fehlten die Worte. Er hatte doch sicher wieder gesoffen und lag in irgendeiner Ecke, als sie überfallen wurden. Jetzt platzte Bulmahart der Kragen. Mit kräftigem Griff packte er ihn am Hals und presste ihn fest an einem Baum. „Wo warst du?“, schrie er ihn an und setzte nach. „Du hast wieder gesoffen – oder nicht? ODER NICHT?“ Er ließ von ihm ab. Sofort sah er sich um. Wind und Wetter hatten die meisten Spuren bereits verwischt. Er sah weiter und dann … endlich entdeckte er etwas. Knapp neben dem toten Reiter sah er eine Spur: „Hier ist jemand langgelau… nein, gerannt. Die Spuren könnten von …” Bulmahart lag richtig mit seiner Vermutung, dass die Spuren Kaßandhra gehören könnten und so folgte er ihr und rannte der Spur in den Wald nach. Schließlich kam er zu dem Abhang. Er ging hinunter und erkannte die abgebrochenen Zweige und Äste. Auch kleine Rückstände von Blut waren an den Ästen zu finden. Unten angekommen konnte Bulmahart auf dem Moos eine Form ausmachen. Dort hatte jemand gelegen. Schnell rannte er weiter. Auf einer Wiese verlief sich die Spur, denn es waren plötzlich mehr. Bulmahart erkannte die Spuren zwei weiterer Personen. Diese Spuren waren tiefer in den Sand gepresst und auch größer, also waren es Spuren von Männern. Ihm schwante böses. „Hier werden sie sie erwischt haben.”, sagte er dabei zu sich. So kehrte er zurück. Er rannte zurück zu Atur: „Ich habe etwas gefunden. Ich nehme mein Pferd und suche weiter.“ Aber Atur reagierte gar nicht. Sein Blick war auf das Grab festgefroren. So sagte Bulmahart: „Du bist jederzeit bei uns willkommen. Hast du gehört?”

Habe ich, lass mich allein.”

Auf Arotan sitzend warf Bulmahart einem letzten Blick auf Atur. Er war abweisend zu ihn, doch war er sicher erleichtert, dass Bulmahart nach seinem Kind suche, da war sich der Kelte sicher. Widerwillig ritt Bulmahart los. Er hatte noch Hoffnung, dass er Kaßandhra finden können. Seine Hoffnung war zwar klein, aber sie war da. So schoss er los zum Otul-Stamm. Vielleicht waren sie ja noch nicht losgezogen.

Atur blieb regungslos am Grab sitzen. Stunden hockte er am Boden. Erst tief in der Nacht stand er auf und griff eine angekohlte Schaufel. Dann schlenderte er mit einer Fackel zu dem Körper des schwarzen Reiters. Er sah ihn an, einfach nur an. Dann holte er aus und schlug schreiend auf den Leib ein. Wie von Sinnen schlug er etliche Male auf ihn ein, bis er vor Erschöpfung in sich zusammenbrach. Dort blieb er liegen, bis die Fackel erlosch. So umschloss die Dunkelheit der Nacht den Leib des Reiters und auch den am Boden liegenden Atur, der um seine ganze Familie beraubt worden war.

Kapitel 2.11

( Ruf zur Vergeltung. „ Für unsere Töchter!“ )

Die versammelten Krieger um Arasim waren gerade losgezogen. Es ging nach Norden. Plötzlich brüllte ein Krieger aus der Ferne: „Halt!“ Einige der Kriegergemeinschaft riefen: „Stopp!“ In der Ferne war ein Reiter zu erkennen, der schnurgerade auf sie zukam. Er trieb sein Pferd zum Äußersten. Schnell konnte Arasim den Fremden ausmachen und hieß Bulmahart in der Gruppe willkommen. Doch der war völlig aufgedreht und in eile. „Schnell!“, rief er den Kriegern zu. „Sie haben die Tochter meiner Schwester. Vielleicht können wir sie noch retten!“

Die Ankunft des keltischen Kriegers versetzte Ripait nicht gerade in wohlwollen. So gaffte er ihn abwertend an und sagte: „Was ist das denn jetzt? Nehmen wir jetzt schon keltische Esel mit?“

Ein Fausthieb, genau gesetzt katapultierte den großmäuligen Ripait von seinem Pferd. Bulmahart, aufgebracht und mit anderen Sorgen sprang zu ihm runter und hielt ihm ein Messer an den Hals: „Was willst du denn? Du Schweinefresse! Schweine schlachte ich normalerweise. Gib mir keinen Grund!“ Der gekränkte Ripait sprang gleich auf und wollte zum Gegenangriff übergehen, doch er wurde gleich wieder von zwei gekonnten und schnellen Handgriffen zu Boden gebracht. „Wie ein Tonkrug”, verspottete Bulmahart ihn dabei, „genau so leer und genau so unbeweglich.”

Schluss damit!“, rief Arasim dazwischen. „Hebt euch das für diese Reiter auf.“ Arasim sagte nichts weiter. Er wusste: Diese Drohung hatte Ripait wahrlich verdient, denn auch den jungen Vercingetorix hatte er verachtet und beleidigt. Der Kriegertrupp setzte sich in Marsch! Jetzt ging es nur um wenige Stunden unterschied. So mussten sie sich sputen. In weniger als fünf Tagen mussten sie das Versteck erreichen. Die Pferde wurden bei diesem Ritt nicht gerade geschont. Einen kleinen Trost gab es ja: Die schwarzen Reiter bräuchten sicher die gleiche Zeit!

 

In den Nächten saß Bulmahart wach. Sekunde um Sekunde dachte er an seine Nichte und an seine Schwester, für die er nichts mehr tun konnte. Minute um Minute verging und ihm schwirrten die grausamsten Gedanken durch den Kopf. Er konnte nicht schlafen. Er konnte nichts essen. Die Sorge war einfach zu groß.

Das ging jede Nacht so, bis zur Abend des fünften Tages.

Es war schon dunkel geworden, als die Krieger-Gemeinschaft das Versteck erreichte. Die Dunkelheit wollte sich Arasim zu Nutze machen. Eigentlich hatten die Krieger einen Angriff am Tage geplant, doch die Zeit ließ dies nicht zu. Und selbst wenn sie bis zum morgen warten würden, durften sie einen wichtigen Punkt nicht vergessen: Bulmahart! Der Kelte würde gewiss nicht bis zum Morgen warten! Das war klar.

Arasim und seine Krieger mussten nun absolute Ruhe bewahren. Jeder Schritt musste lautlos getan werden. Takurix und Vercingetorix schlichen sich langsam an das alte Gebäude heran. Es war doch größer als gedacht. Gefertigt aus Stein und fauligem löchrigem Holz. Einige schwarze Reiter gingen mit Fackeln um das Gebäude herum. Auch Bulmahart hatte sich herangeschlichen. Nun lagen sie zu dritt nur wenige Meter von den Mauern entfernt. Bulmahart zog sich nun mit sehr viel Bedacht und langsam vor und erreicht unter einem Busch liegend das Tor. Keiner hatte ihn bemerkt. Einige Meter weiter lagen noch Takurix und Vercingetorix. Sie waren beeindruckt. So lautlos wie der Kelte sich bewegen konnte, das war schon eine Kunst für sich. Bulmahart lauschte. Gemurmel drang aus den Mauern. Sofort kroch er zurück und lotste Takurix und Vercingetorix zurück zu Arasim hinter den sicheren Erdhügeln. „Schnell“, befahl Arasim. „Das ganze Haus umste…“ Doch bevor er seinen Befehl bebenden konnte, stürmte Bulmahart schon los. Das Gemurmel, das er hörte sagte ihm: Die Zeit drängt! Mit gezogenen Schwert rannte er auf einige Reiter zu, die an der Vordertür postiert waren. Mit gezogenen Waffen stürmten diese nun auf die Unruhestifter los. „Warum wartet der denn nicht?“, fragte Takurix aufgebracht. „Das ist mal wieder typisch Kelte!“, sagte Ripait. „Was soll denn das schon wieder heißen?“, seufzte der bereits siebzehnjährige Vercingetorix dazu. „Ich bin auch zur Hälfte Kelte.“

Das ist jetzt egal!“, brüllte Arasim. „Angriff!“

Arasim, gemeinsam mit Takurix und seinem Schützling Vercingetorix rannte ebenfalls auf diese Verbrecher zu. Er brüllte, um seinen Kriegern Mut zu spenden. So rief Arasim laut und kräftig, dass es den Kriegern im Herzen brannte: „Für das Blut unsere toten Töchter!” Das Gefecht entbrannte. Lautstark und heftig. Schwerthiebe knallten und ließen Funken umher fliegen. Bögen wurden gespannt und Pfeile unter Mutgeschrei auf die Reiter gefeuert. Bulmahart stürmte in das halb zerfallene alte Gemäuer. Jeder Reiter, der ihm entgegen kam wurde dem Tod übergeben. Tatkräftige Unterstützung folgte den übereifrigen Kelten. Takurix und Vercingetorix waren ihm gefolgt und konnten wieder nur staunen. Einer nach dem anderen fiel durch die mächtige Klinge des Kelten. Die Fähigkeiten der Bergkelten waren ja überall bekannt, doch das, was Bulmahart hier zeigte, ließen alle Geschichten in den Schatten wandern. Getrieben von unsagbarem Hass, mit den unschuldigen spielenden Augen seiner Nichte vor seinen Augen entbrannte in Bulmahart eine enorme Kampfeskraft. So schlug er sich den Weg in die dunkle Halle frei. Erbarmungslos fiel ein Reiter nach dem anderen, bis kein Reiter mehr zu sehen war, oder sich ein Zeichen des Lebens in ihnen rührte. Arme und Beine, Köpfe und gespaltene Körper lagen überall verteilt in der Halle. Nun, als Bulmahart langsam seine Ruhe fand und zu einen steinernem Tisch in der Mitte des Raumes sah, sackte er in sich zusammen und ließ von seinem Schwert ab. Dort lag ein Mädchen, winselte und keuchend, doch es war nicht Kaßandhra. Bulmahart, Takurix, sowie einige Krieger aus dem Westen hatten der Vierzehnjährigen ganz klar das Leben gerettet. Doch es war eine andere Hoffnung, die Bulmahart in seinem Herzen trug. Jetzt war es gebrochen. Und so folgte er Takurix, der das verletzte Mädchen auf seinen Armen tragend nach draußen brachte. Sie klammerte sich an ihm fest und weinte bitterlich. Dabei zitterte sie am ganzen Leib. Ein kleiner Schnitt am Hals, nicht sehr tief und nur leicht blutend, machte den Kriegern eines deutlich. Dies sollte ein Schnitt werden, der sie ausbluten lassen sollte. Nur eine Sekunde später und sie wäre tot. Die Krieger verließen das alte Gebäude und sahen einigen Kriegern nach, die schreiend hinter den zu fliehen versuchenden Reitern hereilten und viele von ihnen auch recht zügig fangen konnten. Doch groß mit ihnen reden oder verhandeln wollte keiner, drum wurde gleich vor Ort beschlossen: Tod! Alle und direkt.

Als Arasim das Mädchen sah und dass sie noch lebte, kam in ihm ein Gefühl auf, das lange auf sich warten ließ und das nun auch dringend gebraucht wurde. Sie hatten Erfolg: das dachte er sich dabei. Aber sie sah schlecht aus und hatte ganz offensichtlich sehr gelitten. Das arme Ding! Dann entdeckte Arasim ebenfalls einen Reiter, der in die entgegengesetzte Richtung davon lief. Sofort setzte er zum Spurt an, um Gerechtigkeit zu tun. Bulmahart rannte ihm nach. Arasims Atmung war schwer. Das Bild des Mädchens! Die Wunde am Hals und ihre Wunden am ganzen Leib. Das Elend, was sie durchlebt haben muss. All das ließ ihn schneller laufen als je zuvor. Schließlich holte er ihn ein und trat ihm die Füße weg. Der Reiter lag am Boden. Er war unbewaffnet und bettelte um sein erbärmliches Leben. Bulmahart hielt Arasim noch gerade zurück und beugte sich zu ihm runter. Er presste ein Messer an seinem Hals und wollte Informationen und zwang den Mann zum Reden. Sofort schrie Bulmahart ihn an, wo seine Nichte sei. In der Hoffnung, sein Leben retten zu können, redete der wie ein eiliger Wasserfall: So berichtete er von einer Jagd. Einer der Reiter fand bei der Jagd nach dem ursprünglich ausgewählten Opfer den Tod. Ein anderer wurde am Bein verletzt. Das ausgewählte Opfer hatte vor geraumer Zeit, gemeinsam mit zwei Kelten einige ihrer Kameraden niedergemacht. Deswegen wurde auch genau sie ausgewählt, doch sie waren bei der Jagd nicht erfolgreich. Sie hatten sie schon, doch sie entkam. Wohin? Das konnte der Reiter nicht sagen. Drum wurde schnell ein Ersatz gesucht und auch gefunden. Das Mädchen auf dem Tisch war also als Ersatz gefasst worden. Den Frust über den Verlust des ausgewählten Opfers ließen sie an ihr aus. Eine vierzehnjährige Bauerntochter, die nur auf dem Weg zum Brunnen war. Unterwegs wurde sie getreten und geschlagen. Ihre Schreie zu hören - für die Reiter war es eine Wohltat. Die Schreie von Schmerzen und verzweifelter Todesangst. Es war nicht der Tod des Kameraden, der sie zu ihrer Folter trieb, sondern einfach nur der Verlust des ausgewählten Opfers und die Bestrafung durch den schwarzen Fürsten Tarax. In einem Waldstück fügten sie ihr Schnittwunden zu - einfach nur so. Schläge an den Kopf und auf die Brust. Doch geschändet? Das hätten sie niemals getan, denn dann wäre ihr Blut unrein gewesen und sie wäre unbrauchbar geworden. Fast bis zur Bewusstlosigkeit hatten sie das Mädchen gequält und gefoltert. Für einige Reiter war der geistige Zustand mittlerweile so weit, dass die schreie eines Mädchen sie zwangen, fester und härter auf sie einzuprügeln. Es war fast wie ein sexueller Akt, ihr Blut zu sehen, wie es aus den frischen Wunden trat. Bulmahart wusste gleich, wer als auserwähltes Opfer gemeint war. Es passte zusammen: Der Überfall der schwarzen Reiter auf den Weg von den Kataren und der Anblick vom zu Hause seiner Schwester. Er hatte genug gehört. Für ihn war klar und es dürfte auch nicht verwundert klingen, dass er diesen Mann, egal wie er bettelte und flehte nicht am Leben lassen konnte. Doch diese Aufgabe wollte ihm Arasim abnehmen. So holte Arasim mit seinem Schwert aus. Er war außer sich vor Wut. Er brüllte: „Wie viele …”, und schlug zu. „Mädchen …”, und noch mal, „fanden durch …”, und ein weiterer heftiger Schlag, „deine Hand …”, und es folgten die letzten gezielten Schläge, „den Tod? Den sinn-lo-sen Tod?!” Der Kopf des Reiters war nun abgetrennt. Die Krieger kamen zusammen. Sie waren aus der Puste und zum Teil auch verletzt, aber sie hatten Erfolg. Die schwarzen Reiter waren besiegt!

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