Pralinen unter Palmen

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Die Sonne und ich strahlten um die Wette.

Erst als ich den Blick der Rezeptionistin auf mir spürte, wurde mir bewusst, dass ich seit einer kleinen Ewigkeit mit offenem Mund meine Umgebung angestarrt hatte. Die junge Frau hinter dem hohen Tresen hatte sehr dunkle Haut, ihre Haare trug sie zu einem stylischen, hell gefärbten Bob geschnitten und unter ihrer Uniform blitzten unzählige Tattoos hervor. Mit ihren langen, rot lackierten Acrylnägeln nahm sie meine Unterlagen entgegen und checkte mich ein.

„Sind Sie allein“, prüfte sie die Buchung mit irritiertem Blick. „Ich sehe, dass zwei Personen angemeldet sind.“

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Meine Begleitung konnte die Reise nicht antreten“, erklärte ich ihr. Die Umstände hatten sie nicht zu interessieren.

„Gut, dann vermerke ich das so.“ Sie tippte mit den langen Nägeln auf der Tastatur herum. „Bitte folgen Sie mir“, sprach sie, als sie hinter dem Tresen hervorkam und mir meinen Koffer abnahm. „Wir haben um diese Jahreszeit wenig Gäste, deshalb kann ich Ihnen ein besseres Zimmer anbieten, als Sie eigentlich gebucht haben“, erklärte mir die junge Frau auf dem Weg zu meinem Bungalow.

Wenn das mal keine guten Nachrichten waren. So konnte mein neues Leben beginnen.

Auf der Terrasse des weißen Bungalows verabschiedete sie sich von mir. „Genießen Sie den Aufenthalt und zögern Sie nicht, mich oder meine Kollegen anzusprechen. Wir helfen gern“.

Wenn sie lächelte, bestand ihr freundliches Gesicht zu einem großen Teil aus zwei Reihen makelloser, weißer Zähne.

Auf der gefliesten Terrasse standen zwei gemütliche Holzstühle. Hier konnte man die Abende gut ausklingen lassen, ging mir durch den Kopf, als ich die Tür aufschloss.

Der Raum war überraschend groß. Rechts von mir entdeckte ich einen Schrank und eine Kommode. Links von mir stand das Bett und davor ein großer Flachbildfernseher. Es roch frisch und auf dem Bett lagen verstreute Hibiskusblüten. Auch das geräumige Bad war sehr sauber. Alles war geschmackvoll in Beige gefliest und die Dusche durch eine Wand vom Raum abgetrennt.

Es sah ziemlich edel aus, deswegen erschrak ich umso mehr, als ich mein Gesicht in dem prunkvollen Spiegel erhaschte. Meine Augen waren rot unterlaufen und dick angeschwollen, die Wimperntusche klebte überall, nur nicht da, wo sie sein sollte. Zudem war bin noch blasser als sonst.

Was soll’s.

Ohne meinen Koffer zu geöffnet zu haben, riss ich mir die verschwitzten Klamotten vom Leib und legte mich nackt in die angenehm kühlen Laken.

Ich fiel augenblicklich in einem tiefen und traumlosen Schlaf.

3. März

Ich erwachte ruckartig in einem mir unbekannten Raum und benötigte ein oder zwei Sekunden, um mich zu orientieren. Natürlich – ich war in meinem Hotelzimmer am anderen Ende der Welt.

Den Grund für mein plötzliches Erwachen konnte ich jetzt auch sofort ausmachen. Eine laute, eigenartige Stimme drang zu mir durch. Ich sah mich um, aber glücklicherweise saß niemand auf meiner Bettkante in dem kleinen Bungalow.

Ich saß eingewickelt in die weißen Laken auf dem Bett und lauschte angestrengt mit geschlossenen Augen. Nach einiger Rätselei erkannte ich, dass es sich um eine Frauenstimme handeln musste, die in wildem Englisch mit breitem französischem Akzent aufgeregt und laut diskutierte.

Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber ein Blick zum Fenster verriet mir, dass die Sonne schien, denn sie blinzelte zwischen den nachlässig geschlossenen Vorhängen hindurch.

Ich wickelte mich aus dem Laken, rutschte von der hohen Bettkante und trippelte barfuß ins Badezimmer. Es war so warm im Zimmer, dass sich nicht einmal die Fliesen des Fußbodens kalt anfühlten unter meinen bloßen Fußsohlen.

Mein Äußeres hatte sich im Vergleich zu gestern noch verschlechtert, sodass ich meinem Spiegelbild die Zunge herausstreckte. Meine Haare waren ein verfilztes rotes Vogelnest und die verschmierten Reste an Schminke unter meinen Augen konnten mit einem Panda konkurrieren. Ich benötigte einige Zeit, um mich von dem rothaarigen Bambusbären wieder in einen halbwegs ausgehtauglichen Menschen zu verwandeln.

Hoch lebe die Feuchtigkeitscreme!

Die Mütze voll Schlaf hatte mir jedenfalls gutgetan. So konnte ich ausgeruht und entspannt in den Tag starten und, man, war ich gespannt.

Als ich aus dem Badezimmer kam, war da immer noch die laute Stimme, die munter plapperte.

Ich warf mich in ein gelbes Strandkleid mit tiefem Rückenausschnitt und war bereit, der Verursacherin des Lärms gegenüberzutreten. Ich öffnete leise meine Zimmertür und trat hinaus auf die Terrasse. Gleißendes Sonnenlicht ließ mich sofort erblinden.

Draußen war es noch zehn Mal heißer als im Zimmer, aber immerhin wehte ein lauer Wind und spielte mit meinen Haaren. Als meine Augen sich wieder gefangen und an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah ich endlich den Ursprung des Lärms, der mich geweckt hatte. Auf einem der beiden Stühle saß eine junge Frau, gehüllt in eine beigefarbene Uniform, und telefonierte.

Sie untermalte ihre Worte durch große Gesten mit den Händen, sodass ihr das Handy, das sie sich zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte, immer wieder wegrutschte. Sie hatte lange schwarze Rastazöpfe, die durch weiße eingeflochtene Strähnen zu einem echten Hingucker wurden. Ihre Haut war ebenmäßig und ihre Figur traumhaft, mit Beinen, die bis zum Himmel reichen mussten, wenn sie stand. Ich ordnete sie als eines der Zimmermädchen ein, denn angelehnt an das Geländer der Veranda stand ein Wischmopp und daneben ein Wagen mit strahlend weißen Handtüchern und diversen Putzutensilien.

Ich beobachtete meine Besucherin eine Weile amüsiert und fragte mich, wie sie es schaffen wollte, die Zimmer noch fertig herzurichten. Hatten hier alle solch eine Arbeitsmoral? Hatte sie für die paar Bungalows womöglich den ganzen Tag Zeit? Das wäre bei uns zuhause undenkbar.

Als hätte die hübsche Frau meinen Gedankengang gehört, drehte sie sich zu mir um. Hatte sie etwa bemerkt, dass ich hier schon eine Weile stand und lauschte? Ups.

Schüchtern winkte ich ihr zu.

Sie lächelte breit und ihre weißen Zähne leuchteten in dem dunklen Gesicht. Auch sie wäre eine perfekte Besetzung für eine Zahnpastawerbung. Frau Ich-telefoniere-so-laut-dass-ich-alle-Gäste-wecke beendete abrupt das Telefonat. Ihre Augen waren richtig hellgrün, was mir bei ihrem dunklen Hautton sehr außergewöhnlich erschien. Waren alle Menschen von dieser Insel so unglaublich schön? Heidi Klum sollte fortan hier casten.

Mit einer eleganten Handbewegung forderte mich die Frau auf, mich zu ihr zu setzen. War sie der Feriengast und nicht das Zimmermädchen, oder was? Die hatte vielleicht Nerven.

Völlig perplex folgte ich ihrer Einladung.

„Salut, je suis Elodie“, sagte sie freundlich. Leider verstand ich kein Wort und blickte sie fragend an. „Deutsch besser“, erkundigte sie sich mit breitem Akzent. „Mein Name sein Elodie.“

Dabei tippte sie sich an die Brust, damit es auch der letzte Esel checkte. Sie musste wirklich sehr groß sein, denn selbst im Sitzen überragte sie mich um mindestens fünfzehn Zentimeter.

„Selber hallo“, erwiderte ich und hob die Hand zum Gruß. „Was für ein schöner Name.“

Ich meinte das vollkommen ernst. Der Name klang wie Melodie und passte perfekt zu dieser wundervollen Frau, die ein enormes Selbstbewusstsein ausstrahlte. Selbst ich als heterosexuelle Frau würde sie nicht von der Bettkante stoßen. Das sollte was heißen.

„Ich heiße Kati. Also eigentlich Katharina, aber alle nennen mich Kati. Das darfst du natürlich auch.“

Elodie wiederholte flüsternd meinen Namen und ihre Augen strahlten mich an. „Willkommen in Seychelles. Ich hoffen, ich dich nicht geweckt. Ich reden gern.“ Sie hielt demonstrativ ihr Telefon in die Höhe. „Und laut.“

„Iwo“, winkte ich ab, obwohl genau das der Fall gewesen war. Die Frau war trotzdem sympathisch.

„Du neu hier?“ Sie steckte das Handy in die Tasche ihrer Uniform. Sah ziemlich kompliziert aus im Sitzen.

„Ja genau, ich bin heute Vormittag erst angekommen.“ Ich ließ den Blick über die Hotelanlage schweifen. Außer Elodie arbeitete in der brütenden Hitze nur noch ein älterer Mann und bewässerte den Rasen.

„Dann du schon den halben Tag geschlafen. Du musst gehen und sehen Strand. Nicht, wenn schon dunkel“, klärte sie mich dann auf. „Hopp.“

Sie scheuchte mich vom Stuhl hoch.

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen.

„Ich noch putzen.“ Damit ich sie verstand, zog sie ein Staubtuch aus ihrer Tasche und wedelte damit vor meinem Gesicht herum. Gestik und Mimik wurden hier auf der Insel wohl sehr großgeschrieben. Aber jetzt, wo sie das Wort Strand erwähnt hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als das Meer zu sehen.

„Du losgehen jetzt. Strand ganz leer“, freute sich Elodie und steckte mich sogleich mit ihrer Euphorie an. „Keine Zeit verlieren. Wir uns sehen später und reden“, trieb sie mich an.

„Du hast vollkommen recht“, stimmte ich ihr zu, verschwand kurz im Zimmer, um meine Strandtasche zu holen und winkte Elodie zum Abschied zu. „Ich bin schon weg.“

Sofort begann das hübscheste Zimmermädchen der Welt, die Terrasse zu fegen und dabei in ihrer Muttersprache zu singen.

Ihre gute Laune war eindeutig ansteckend.

Meine bunten Flipflops erzeugten klatschende Geräusche, als ich dem terracottafarbenen Weg um den Pool herum folgte. Mein Schritt war beschwingt und mein Kleid wehte bei jeder Bewegung im Wind.

Der Wendekreis vor dem Hotel, an dem mich der Bus abgesetzt hatte, war umgeben von pink- und lachsfarbenen Bougainvillea-Büschen. Ich brach einen kleinen Zweig ab und zwirbelte ihn zwischen meinen Fingern, als ich auf der anderen Straßenseite einen kleinen Laden entdeckte. Im Schaufenster lagen große Muscheln und bunte Haarspangen in Blütenform – eben typisches Zeug für die Touristen.

 

Ich setzte meinen Weg fort und erblickte endlich am Horizont den weiten Ozean. Links von mir befanden sich hinter einer großen Rasenfläche weitere Bungalows und weiß angepinselte Gebäude der Hotelanlage. Der Rasen wirkte traurig und war durchzogen von vielen verbrannten Stellen. Die Sonne strahlte einfach zu heiß, sodass der arme Mann von eben die Fläche nicht allein bewässern konnte. Rechts von mir lag die schmale Straße, auf der wir hergekommen waren. An der Ecke war ein minimalistischer Supermarkt und dahinter reihten sich viele kleine Läden ein.

Ich nahm mir vor, eines Abends dort bummeln zu gehen, bog nun aber schräg auf den Rasen ab. Das war der schnellste Weg zum Meer, denn plötzlich hatte ich es eilig. Ich knickte ein paar Mal um und schimpfte, als ich feststellte, dass der Boden mit kleinen Löchern durchsetzt war. Wo kamen die denn her? Das war ja gefährlich!

An der Pizzeria am Strand lungerten junge, halbnackte Männer herum und pfiffen, als ich vorbeikam. Das war auch gefährlich – tat aber meinem angeknacksten Ego gut.

Zwar war es erst später Nachmittag, aber die Sonne stand schon tief hinter den Bergen am Horizont. Ein streunender Hund klapperte auf der Suche nach Leckerbissen die vereinzelten anwesenden Personen ab. Auch auf mich kam er schwanzwedelnd zu und ließ sich ausgiebig knuddeln. Ein Leckerchen konnte ich ihm leider nicht anbieten. Trotzdem blieb er mir danach auf den Fersen, auch noch, als ich durch eine Lücke in der Palmenreihe den Strand betrat.

Es war einfach magisch.

Im Licht der untergehenden Sonne leuchtete alles in einem warmen Orangeton. Die Wasseroberfläche glitzerte verführerisch und war scheinbar endlos. Ein Stückchen weiter draußen schaukelte sachte eine Kokosnuss auf der Wasseroberfläche hin und her.

Ich ließ meinen Blick schweifen und mir stockte der Atem. Ich konnte nicht genug bekommen und wollte alles aufsaugen wie ein Schwamm. In diesem Augenblick strömte das Glück aus all meinen Poren. Der Sand zwischen meinen Füßen war reinweiß, ultrafein und ein bisschen feucht. Die weichen Körner klebten an meinen Füßen fest und ich malte eierförmige Kreise mit meinem Zeh in den Sand.

Das Wasser hatte im Abendlicht die Farbe von dunklem Türkis und direkt vor mir, am Horizont, sank der pinkfarbene Sonnenball tiefer. Eine kleine Insel und zwei weiße Boote waren noch einige Minuten zu sehen, bevor sie im Dämmerlicht für meine Augen unsichtbar wurden.

„Hey, ist das dein Freund?“ Zu meinem vierbeinigen Begleiter und mir gesellte sich ein zweiter Hund. „Ich habe leider weder Wasser noch ein Leckerchen für euch“, informierte ich sie.

Die beiden Tiere begannen, wie wild am Ufer herumzutollen. Der Strand war mittlerweile fast menschenleer, ich konnte die noch anwesenden Personen an einer Hand abzählen. Es war vollkommen ruhig, nur das Rauschen des Ozeans war zu hören sowie das vereinzelte Bellen der Hunde, die tobend in großen Sprüngen von dannen zogen.

Ich stapfte barfuß ins Meer. Das Wasser war so warm wie meine Badewanne zuhause. Ich konnte weit in Richtung des Horizonts laufen, ohne dass mein Kleid nass wurde, denn es gab kaum Wellengang und der Grund blieb für viele Meter flach. Während ich am Strand entlangwanderte und mich wie Robinson Crusoe fühlte, fiel mir ein, dass ich eigentlich auch mit meinem persönlichen Freitag hätte hier sein sollen. Nun aber hatte ich die Insel Praslin für mich allein. Es hätte der Traumurlaub zur Besiegelung unseres gemeinsamen Lebens werden sollen.

So gedankenversunken trottete ich immer tiefer ins Wasser, bis der untere Rand meines Kleides schließlich doch nass wurde und sich dunkel verfärbte. In dem schwummrigen Licht konnte ich jedoch nicht mehr erkennen, was sich unter mir im seichten Wasser befand, also machte ich lieber kehrt.

Das sanfte Abendlicht wich schnell absoluter Dunkelheit.

Ich zog meine Schuhe wieder an, um nicht in irgendetwas Gefährliches zu treten. Dass es hier bergig war, hatte ich mir, ehrlich gesagt, gar nicht so vorgestellt. Aber ich musste zugeben, dass ich es Mike überlassen hatte, sich über unser ausgesuchtes Urlaubsland zu belesen. Ich hatte auch wirklich genug damit zu tun gehabt, unsere Hochzeit zu planen. Dieses, wie ich glaubte, einmalige Erlebnis im Leben sollte etwas Besonderes werden, das man nie vergaß und ewig im Herzen trug.

Nun würde ich den Tag nie mehr vergessen, an dem ich meine beste Freundin und meinen Verlobten beim Vögeln erwischt hatte. So kann’s laufen.

Dieser Tag hatte mein Dasein in ein Davor und Danach geteilt. Das Davor war geprägt von Gewissheit. Gewissheit, dass alles gut werden würde. Gewissheit, dass ich den Mann heiraten würde, den ich wie bekloppt über alles liebte. Gewissheit, dass wir noch ein ganzes langes Leben vor uns hatten. Gewissheit, dass in unserem Reihenhäuschen in den nächsten Jahren Kinderlachen zu hören sein würde.

Im krassen Kontrast dazu stand nun die fiese Ungewissheit. Ungewissheit, ob ich jemals wieder glücklich sein konnte. Ungewissheit, ob ich jemals wieder imstande sein konnte, jemanden bedingungslos zu lieben… mit Haut und Haar. Ungewissheit, ob ich irgendwann verzeihen konnte. Und vor allem Ungewissheit, was aus unserem Häuschen werden sollte.

Das Gedankenkarrussell nahm nun wieder volle Fahrt auf und traf mich mit voller Wucht. Ich wurde melancholisch, obwohl ich mich im Paradies befand. Das gehörte eigentlich verboten.

Auf dem Rückweg zum Hotel kam ich wieder an dem kleinen Supermarkt vorbei. Dieses Mal ging ich entschlossen hinein und deckte mich mit jeder Menge Schokolade und Keksen ein.

Und wurde beobachtet.

„Hi na, du magst wohl Schokolade“, bemerkte sogleich der nette Typ hinter der Kasse. Er sagte es als neutrale Feststellung, nicht als Frage oder Wertung und damit hatte er vollkommen Recht. Ich fühlte mich durch ihn nicht angegriffen, wie es sonst der Fall war, wenn Leute mich auf meine Essgewohnheiten ansprachen.

„Oder hast du fünf Kinder im Hotel gelassen?“ Er lachte laut über seinen eigenen Witz.

„Ja, ich bin süchtig nach Süßkram“, erwiderte ich ertappt und fragte mich, ob ich die sechs Tafeln des Teufelszeugs wirklich brauchte, bevor ich innerlich bejahte. Es war eben doch wie eine Droge. „Keine Kinder.“ Ich zuckte die Schultern.

„Das freut mich, dann brummt der Laden.“ Er tippte die von Hand notierten Preise in einen Taschenrechner. „Bist du lange hier?“

„Zwei Wochen“, antwortete ich, als er kurz von seiner Arbeit aufsah. „Ich werde also noch ein paar Mal reinschauen.“ Ich griff nach der Plastiktüte, die er mir reichte und bezahlte.

„Dann bis bald“, wurde ich sehr freundlich verabschiedet.

Vollbepackt mit Süßigkeiten mit einem mindestens 10.000er Gesamtkaloriengehalt kam ich an meinem kleinen Bungalow an.

Elodie musste schon seit geraumer Zeit weg sein. Jedenfalls war es ganz still, niemand saß draußen. Wahrscheinlich waren wirklich wenig Gäste hier oder sie waren alle ausgegangen, um irgendwo gemütlich zu Abend zu essen.

Das war meine Chance!

Kurz rein in die gute Stube und dann wieder raus an die frische, warme Abendluft.

Der Pool war herrlich beleuchtet, als ich es mir auf einer Liege mit einem großen Handtuch und meinem Feel-Good-Food bequem machte. Die Luft hatte noch immer eine angenehme Temperatur, sodass selbst ich nicht fror.

Ich biss in den ersten Keks und sofort meldete sich mein Gewissen. Wenn du das jetzt alles in dich hineinschaufelst, musst du stundenlang Sport machen. Andererseits war ich im Urlaub, da konnte man sich auch mal etwas gönnen. Und außerdem war Anna dick und ausgerechnet mit ihr bin ich von Mike betrogen worden.

So wanderte flink der zweite Keks in meinen Mund. Während ich mir immer weiter den Kopf darüber zerbrach, war die erste Kekspackung auch schon leer. Ich würde höllische Bauchschmerzen bekommen, aber das war mir im Augenblick ziemlich egal; es schmeckte einfach himmlisch. Also immer her mit dem Süßkram, das Leben war zu kurz, um zu verzichten.

Nach einer weiteren vernichteten Schokoladentafel bemerkte ich, dass sich am mittlerweile pechschwarzen Nachthimmel etwas tat. Da flog doch was?

Ich strengte meine Augen an, so gut ich konnte, aber in der Dunkelheit konnte ich auf diese weite Entfernung nur Umrisse und Schatten erkennen. Es sah so aus, als ob sich hunderte Tiere um einen großen Baum scharten. Auch das eigenartige Geräusch, das zu mir herüberdrang, konnte ich nicht einordnen. So etwas hatte ich noch nie gehört. Ob das Vögel waren? Aber die würde ich ja zumindest am Zwitschern erkennen müssen, wenn schon nicht mit den bloßen Augen.

So angestrengt ich auch lauschte, ich hörte nur Lärm bestehend aus Fiepsen, Piepsen und so etwas wie Flügelschlagen.

Dann erinnerte ich mich vage. Was hatte denn der alte Herr während der Zugfahrt zu mir gesagt? Ich kramte in meinem Kopf nach seinen Worten. Hatte er von Fledermäusen gesprochen? Nein, dann wäre mir Batman in den Sinn gekommen. Daran hätte ich mich sofort erinnert.

Plötzlich flog eines dieser unbekannten Flugobjekte tief über die Hotelanlage. Für eine Fledermaus war es eindeutig zu groß, aber es kam dieser schon sehr nahe. Zumindest, was ich davon erahnen konnte.

Nach weiteren Minuten des Grübelns fiel es mir endlich wieder ein. Der Herr hatte gesagt „Grüßen Sie die Flughunde von mir“. Das war es also. Das ergab Sinn. Flughunde, die waren größer als Fledermäuse. Ich beobachtete das rege Treiben am Himmel noch eine ganze Weile, so gut ich es in der Dunkelheit verfolgen konnte.

Als ich meine Süßigkeitenvorräte bis auf den letzten Krümel vernichtet hatte (wo war nur all das Zeug geblieben?), packte ich meine Habseligkeiten und den Müll zusammen. Ich nahm mir fest vor, den Flughunde-Baum bei der nächstbesten Gelegenheit im Tageslicht zu inspizieren.

Jetzt allerdings war ich hundemüde und reif für das große Bett, in dem ich diagonal oder quer schlafen konnte, wie es mir beliebte.

Als ich die Tür aufgeschlossen und geöffnet hatte, kam mir ein Hauch kühler Luft entgegen. Elodie hatte mitgedacht und die Klimaanlage angeschaltet. Außerdem hatte sie mir frische Blüten auf das Bett gelegt und das Putzen offensichtlich noch geschafft.

Ich nahm mir ganz viel Zeit im Bad, duschte kalt und ausgiebig und trug danach allerlei Pflegeprodukte auf. Meine von den vergangenen Stunden sonnenbrandgefärbten Schultern freuten sich über die Erfrischung. Wahnsinn, wie schnell ich mich hier verbrannte! Ich war ja fast nur im Finstern draußen gewesen. Morgen musste ich unbedingt an die Extraportion Sonnenschutz denken.

Nachdem ich im Bad alles erledigt hatte und am ganzen Körper glänzte wie Speckschwarte, nahm ich das Zimmer genauer unter die Lupe. Es war sogar mit einem kleinen Wasserkocher, Mini-Kühlschrank und zwei Teesorten ausgestattet. Danach räumte ich meine Kleider fein säuberlich in den Schrank, damit sie nicht noch mehr zerknitterten, als sie es schon waren.

Das TV-Programm war umfänglich und nur auf Englisch verfügbar. Aber das hier war mein neues Ich. Ich würde nicht meckern, sondern es als Chance nutzen, meine vergessenen Sprachkenntnisse wieder etwas aufzufrischen. Bevor ich Mike kennen gelernt hatte, hatte ich einen Sprachkurs absolviert.

Mike, wer war eigentlich Mike?

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