Phönixliebe

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12


Thomas wunderte sich nicht schlecht, als Alexandra später am Tag aus Samanthas Zimmer kam und ihn von einem Ohr zum anderen anstrahlte. Es war das erste Mal seit Jahren, dass es ihr wirklich gutzugehen schien.

»Ich glaube, ich weiß es«, zwitscherte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Was weißt du?«

»Samantha! Ich kenne den Grund für meine Visionen bei ihr.« Ein triumphierender Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht und Thomas überlegte, was in diesem Zimmer vor sich gegangen war. Wieso strahlte man, wenn man wusste, woher Todesvisionen kamen? Wurde seine Frau allmählich verrückt?

»Und der ist?«

»Tobias!«

Sie strahlte erneut. Jetzt war Thomas allerdings erst recht irritiert.

»Was ist mit Tobi?«

Alexandra rollte mit den Augen. Für sie war mittlerweile wohl alles so offensichtlich, dass sie nicht verstand, wie man so beschränkt sein konnte. Das war ebenfalls eine Geste, die Thomas schon jahrelang nicht mehr bei seiner Frau gesehen hatte. Sie wirkte, als wäre ihr eine schwere Last von den Schultern gefallen.

»Samantha ist eine Vampirdame. Jede Faser sagt ihr, dass Tobi ihr Auserwählter ist, aber sie hat diese Gefühle die ganze Zeit unterdrückt. Sie liebt ihn immer noch, Thomas, deshalb die ganzen Unfälle. Alles ist außer Kontrolle geraten, als Sam nicht mehr in Tobis Nähe durfte. Ich denke, wir haben einen Fehler gemacht, nachdem mich die Visionen verängstigt haben. Es wirkt so, als würde sie ihr Unterbewusstsein in den Selbstmord treiben. Heute Nacht war Tobi glücklicherweise an ihrer Seite. Samantha meinte, sie habe sich beschützt gefühlt und tief und fest geschlafen. Und weißt du was? Eben gerade habe ich meine Tochter das erste Mal seit Jahren wieder in meinen Armen gehalten und nichts ist passiert. Ich hatte keine Vision!«

Thomas starrte Alexandra an und war sich nicht ganz sicher, wie er auf diese Neuigkeit reagieren sollte. Wenn das wirklich stimmte, war er es gewesen, der den Stein ins Rollen gebracht hatte.

Vor zehn Jahren war er es gewesen, der Tobias zur Seite genommen und mit ihm über die ganze Vampir- und Auserwählten-Sache gesprochen hatte. Er hatte Tobi klar gemacht, wie sehr Samantha trauern würde, sollte Tobias irgendwann sterben und sie allein zurücklassen. Das Beste wäre wohl, es würde gar nicht zu einer Verbindung zwischen ihnen kommen. Sam musste sich damit abfinden. Das hatte nach einem guten Argument geklungen, doch sollte Alexas Behauptung stimmen, war Thomas nur derjenige gewesen, der damit Öl ins Feuer gegossen hatte. Das ganze Leid ... seine Schuld!

»Ich glaube, ich muss mich setzen. Mir geht es nicht sonderlich«, ächzte er nun und ging auf sein Arbeitszimmer zu.

Alexandra half ihm, dort auf dem Sofa Platz zu nehmen, und betrachtete ihren Mann beunruhigt. In seinem Kopf rasten die Gedanken und er fühlte sich schrecklich.

»Oh Gott, Schatz, alles in Ordnung?«

In Alexandras Miene bemerkte er bereits die Sorge, auch wenn ihre Gefühle stets ein offenes Buch für ihn gewesen waren. Was würde sie nur von ihm halten, sollte er ihr davon erzählen, was er getan hatte.

›Rede mit mir. Was ist los? Was bedrückt dich.‹

»Es tut mir leid! Ich fürchte, ich war es, der mit Tobi über Sam gesprochen und dafür gesorgt hat, dass er sich von ihr fernhält. Ich schwöre, ich habe es nur gut gemeint. Ich konnte ja nicht wissen, dass ...«

Eine Welle der Überraschung strömte auf ihn ein und er erwartete Ärger, Schmerz oder Traurigkeit, doch die blieben aus. Es folgte Mitleid. Seine Frau bedauerte Thomas, statt ihn zum Teufel zu jagen. Hatte er sich vielleicht nicht richtig ausgedrückt? Vielleicht verstand sie es nicht.

›Du musst dich nicht selbst zermartern. Es war nicht deine Schuld! Es wäre vermutlich so oder so passiert, denn selbst Tobi fand den Altersunterschied damals bedenklich. Versprich mir nur, dass wir jetzt unser Verhalten ändern. Keine Verbote mehr für die beiden. Samantha war so unglücklich.‹

Er zog Alexandra auf seinen Schoß und schloss sie in die Arme. Diese Frau schaffte es stets, eine Richtung der Gefühle einzuschlagen, die ihn verblüffte. Diese Willensstärke und ihre Güte bewunderte er.

»Ich verspreche es. Aber was sollen wir tun?«, wollte Thomas wissen und ein freches Grinsen erschien erneut in Alexas Gesicht.

»Lass mich nur machen.«

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte und lenkte die Aufmerksamkeit der beiden auf den Störenfried. Alexa eilte mit wenigen Schritten darauf zu und meldete sich. Thomas beobachtete sie, während sie vollkommen entspannt auf der Schreibtischkante Platz nahm, den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr klemmte und mit jemandem redete, den sie gut kennen musste.

»Gut, dann bis später«, sagte sie schlussendlich und legte auf. Sie wandte sich Thomas zu. »Jess und Andy sind wieder im Land. Wir treffen uns später mit ihnen hier zum Essen. Ich muss Magda gleich Bescheid geben. Sie soll etwas besonders Leckeres kochen.«

»Ganz, wie du es möchtest.«

Thomas konnte erneut lächeln. Seine Frau war wirklich wie ausgewechselt und er liebte es. Hoffentlich hielt dieser Zustand so lange wie nur möglich an.

Ein Glitzern erschien in Alexas Augen und sie überlegte kurz. Dann begann sie leise zu kichern.

»Später. Erst muss ich mich um Tobi und Sam kümmern.«

Sie lief an ihm vorbei, gluckste und Thomas spürte ihre Hand an seinem Hintern. Er zuckte erschrocken zusammen.

»Entschuldige. Ein wenig Übermut. Ich hoffe einfach, dass nun das Schlimmste hinter uns liegt«, hauchte sie ihm ins Ohr.

»Übermut ist gut. Schatz, wenn das klappt, darfst du so übermütig mit mir sein, wie du willst. Ich bin dein.«

›Für immer und ewig, mein Herz‹, sandte sie ihm diesen Gedanken und verschwand nach einem verschwörerischen Zwinkern aus dem Raum.

Thomas ließ sich zurück aufs Sofa fallen. Er verzog kurz das Gesicht, als eine der Federn durch das Polster in seinen Rücken stieß. Es wurde wohl auch hier Zeit, etwas zu unternehmen.

Veränderungen.

Etwas, das er die letzten Jahre gefürchtet hatte. Er würde sich wohl wieder daran gewöhnen können.

Hoffentlich ging alles gut!

13


Du willst was? Hast du mit Thomas gesprochen? Das ist doch Wahnsinn!«

Tobias starrte Alexa fassungslos an, nachdem sie von ihren Plänen für die nächste Woche erzählt hatte. Sie hatte sich tatsächlich vorgenommen, zusammen mit Thomas zu verreisen! Paris war sicherlich eine schöne Stadt, doch normalerweise mied die Vampirfrau Menschenmengen und blieb in sicherer Umgebung. Und auf einmal sollte es Paris sein? Dorthin zu fliegen fand Tobias extrem riskant.

»Natürlich habe ich mit Thomas gesprochen. Es wird super! Aber du müsstest uns einen Gefallen tun und dich hier um alles kümmern. Samantha kommt nicht mit und es wäre schön, wenn du sie im Auge behalten könntest. Ihr Schlafwandeln macht mir ziemlich große Sorgen.«

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, da war sich Tobias sicher, doch er hatte nicht die geringste Ahnung, was es war. Alexandra schien neuen Lebensmut gefasst zu haben und Tobi hätte gern gewusst, woher dieser Wandel kam. Ob es mit Thomas´ Rückkehr zu tun hatte? Aber er war in den letzten Jahren oft verreist und zurückgekehrt.

»Geht es dir gut?«, fragte er stattdessen und wunderte sich, als Alexa zaghaft lächelte.

»Ich glaube, es wird besser. Aber es braucht noch Zeit, alles in Ordnung zu bringen. Darf ich dich etwas fragen? Es ist allerdings etwas Persönliches.«

Tobi nickte irritiert und sah, dass Alexandra überlegte. Die Wortwahl schien für sie anscheinend sehr wichtig zu sein.

»Was empfindest du für Samantha?«

Tobias schluckte. Wenn diese Frage nur so einfach zu beantworten wäre! Er wollte wahrheitsgemäß antworten, Alexa sagen, wie sehr er Sam liebte, doch er dachte an Thomas´ Worte. Was, wenn er alles falsch machte? Er war schließlich kein Auserwählter und würde auch nie einer werden.

»Was genau meinst du? Worauf willst du hinaus?«, druckste er herum und blickte Alexandra verunsichert an. Sie grinste auf einmal und klopfte ihm auf die Schulter.

»Ist nicht so wichtig. Ich wünsche euch beiden viel Spaß. Sturmfreie Buden sollen ja Wunder bewirken.«

Die Frau seines Chefs marschierte daraufhin in Richtung Herrenhaus davon und ließ Tobias total verwirrt zurück. Was sollte denn das?

Thomas brachte ihn fast um, weil Sam in seinem Haus geschlafen hatte, währenddessen hörte sich Alexandra so an, als wollte sie ihre Tochter mit ihm verkuppeln. Was hatten die beiden auf einmal? Er kannte sie seit etlichen Jahren, doch so merkwürdig hatten sie sich noch nie verhalten.

Tobias wollte eigentlich nicht allzu viel darüber nachdenken und suchte zur Ablenkung alle Sachen zusammen, um sich dem Teich anzunehmen. Kurz darauf siedelte er bereits die ersten Fische in den Teich am anderen Ende des Grundstücks um. Es würde eine Weile dauern, bis es erledigt wäre, aber auf diese Weise hätte er wenigstens etwas zu tun und würde nicht grübeln.

»Hey, Tobi! Was machst du da?«, hörte er auf einmal jemanden hinter sich und warf einen Blick über die Schulter.

Es bot sich ihm ein Anblick, den er nur mit einem freudigen Lächeln quittieren konnte. Jessica und Andreas Ludwig waren gerade mit dem Mercedes vorgefahren und Jess strahlte ihn von einem Ohr zum anderen an. Das Ehepaar war so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten. Während Andreas Ludwig als stellvertretender Chefermittler immer im Anzug auftauchte und stets tadellos gestylt war, standen Jessicas lange, heute mal schwarzen, Haare ziemlich verwuschelt ab, was zu ihren engen Jeans, dem ärmellosen Top und zu den Massen an Tattoos und Piercings passte, die sie sich mit der Zeit hatte stechen lassen.

 

»Jess! Andy!«, grüßte Tobi und Andreas hob zum Gruß die Hand.

Er ging voraus zum Herrenhaus, hatte sicherlich einiges mit Thomas zu besprechen, während Jess auf ihn zukam. Tobias war die ungezwungene Art seiner Frau eh wesentlich lieber. Sie war so quirlig, wie es früher einmal Alexandra gewesen war.

»Na los, rate was es Neues gibt«, forderte Jessica ihn sogleich auf, nachdem ihr Mann verschwunden war, und Tobi zuckte mit den breiten Schultern.

»Ich bin sehr schlecht im Raten, Jess, das weißt du doch. Erzähl, was ist los?«

»Na gut.« Sie grinste und streckte ihm dann die Zunge heraus.

Tobias musste lachen, als er das Piercing in Jessicas Zunge anguckte. Sie war also noch nicht fertig mit ihrem Körperschmuck und hatte sich eine neue Kleinigkeit zugelegt.

»Demnächst kommt noch eins an der Augenbraue und an der Lippe dazu. Ich glaube, dann bin ich furchteinflößend genug.«

Er mochte Jess wirklich. Sie wäre eigentlich mittlerweile in seinem Alter, obwohl sie weiterhin noch so jung wirkte wie Samantha. Vampirgene leisteten höllisch gute Arbeit, wie er immer mit leichter Eifersucht feststellte.

»Ich verspreche, ich werde mir Mühe geben, es mir niemals mit dir zu verscherzen.«

Als Kommentar darauf erhielt er von Jessica einen freundschaftlichen Fauststoß gegen die Schulter, sodass es nur so krachte. Himmel, was hatte die Frau eine Kraft! Beim nächsten Mal sollte er besser ausweichen, sonst würde sie ihm etwas brechen.

»Tante Jessica!« Samantha kam freudestrahlend auf sie zu gerannt und umarmte die Ermittlerin ungestüm.

»Hi Süße! Lass dich anschauen. Du siehst heute noch hübscher aus, als beim letzten Mal. Dein Vater wird sich demnächst eine Waffe anschaffen müssen, um all die Verehrer abzuwehren.«

Samantha lachte zwar, doch sie warf Tobias auch einen kurzen Blick zu, der ihm die Knie weich werden ließ. Er erinnerte sich sehr genau an die Berührung ihrer Lippen und wie wahnsinnig gut sie sich unter ihm angefühlt hatte. Tobias schluckte.

Er wandte sich ab und kümmerte sich um die übrig gebliebenen Fische. Wenn die beiden Frauen im Haus waren, würde Tobi eine Pause machen und nochmals eiskalt duschen. Nicht auszudenken, sollte jemand sehen, welche Auswirkungen allein ein Augenaufschlag von Sam auf ihn hatte!

›Vergiss es, das klappt eh nicht‹, sagte eine Stimme in ihm und er runzelte die Stirn. ›Wenn die Kleine nur lächelt, bist du schon kurz davor, über sie herzufallen. Du brauchst eine Frau, keine Dusche.‹

Tobias seufzte und verdrängte den Gedanken. Wieso war es nur so schwer, das Richtige zu tun?

14


Was genau läuft da zwischen Tobi und dir?«, kam Jess direkt darauf zu sprechen, nachdem sie mit Samantha allein war.

Sam spürte, wie sie rot anlief.

»Nichts. Naja, zumindest nichts von seiner Seite aus, wie es scheint.«

Jessica begann zu lachen. Auf Samanthas fragenden Blick meinte sie:

»Also, wenn das von seiner Seite aus ein Nichts war, musst du ja förmlich explodieren. Du hast ihn nur kurz angesehen und sein Puls ging schneller, die Pupillen weiteten sich und er hätte sich am liebsten hingesetzt, weil seine Beine zu Pudding geworden sind. Das ist nicht Nichts, Kleines. Und von anderen Körperregionen will ich hier gar nicht erst anfangen, verstanden?«

Sam stutzte. Wieso war ihr diese Reaktion nicht aufgefallen? Zumindest theoretisch hatte sie von diesen Sachen Ahnung, auch wenn es ihr an Praxis gewaltig mangelte. Empfand er tatsächlich was für sie?

»Sam? Beni ist da!«, rief ihr Thomas aus der Eingangshalle entgegen und Benedikta stand fast augenblicklich neben ihnen.

»Na? Wie schaut es?« Sie grinste und sah Samantha erwartungsvoll an. »Hast du es getan?«

Als Sam erneut rot anlief, seufzte Beni und flüsterte an Jess gewandt, dass dies wohl nie was werden würde. Dieser Meinung schien Jessica allerdings nicht zu sein, denn sie schüttelte den Kopf.

»Nur mit der Ruhe. Alles, was ihr beide braucht, ist ein passender Moment. Liebe sucht stets den passenden Weg. So! Und nun gehe ich zu deiner Mutter und helfe ihr bei der Reiseplanung. Das wird spannend genug.«

»Reiseplanung?«

Jessica beäugte Samantha verwirrt, dann schien sie zu verstehen.

»Kommt mit.«

Sie zog Sam in Richtung Wohnzimmer, in dem Thomas, Andreas und Alexandra bereits gemütlich zusammensaßen und einen Plausch hielten. Jess legte den Kopf schief.

»Alexa, hast du nicht vergessen, jemandem von Paris zu erzählen?«

Das Gesicht von Sams Mutter strahlte vor Glück und sie kam auf beide zu und umarmte Samantha. Sie sah so glücklich aus, dass Sam ebenfalls lächeln musste. Was war denn auf einmal mit ihr? Sie erkannte ihre Mutter beinahe nicht wieder.

»Also Paris, was?«, erkundigte sie sich.

Alexandra nickte.

»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass wir die Reise kurzfristig unternehmen. Deine Mutter und ich brauchen anscheinend etwas Romantik.«

Thomas wirkte, als behagte es ihm ganz und gar nicht, doch für seine Frau schien er alles zu tun. Er sah sie mit einem Blick an, den Sam liebte. Einen Solchen wollte sie auch zugeworfen bekommen. Er war voller Liebe und Wohlgefallen.

»Romantik ist immer gut! Leider hat man oft viel zu wenig Zeit dafür«, seufzte nun Andy und Jessica streckte ihm die Zunge heraus.

Das schien eine neue Macke von ihr zu sein, um ihr Piercing zu zeigen, und brachte Beni damit zum Kichern.

»Willst du mir etwas mitteilen? Na los, nur raus mit der Sprache.« Sie knurrte und Andreas Ludwigs Farbe wechselte zu Rot.

Er wirkte verlegen, als er seiner Frau etwas ins Ohr flüsterte. Sie gluckste.

»Benedikta, ich muss dich kurz sprechen. Ich habe leider nicht viel Zeit. Mein Mann braucht Romantik«, wandte sich Jessica dann an Beni, die überrascht zusammenzuckte.

»Klar. Worum geht es?«

Den Ausdruck auf Jessicas Miene zu urteilen hatte sie irgendetwas vor. Nur was?

Samantha sah Andy an, der als Antwort mit den Schultern zuckte. Die meiste Zeit nahm er ohnehin nur hin, dass seine Frau ihren eigenen Kopf hatte und immerzu durchsetzte. Er liebte sie und Jess liebte Andreas, obgleich sie in der Öffentlichkeit gern die starke, unabhängige Frau markierte.

Evelyn, Samanthas Großmutter, hatte Sam von Andreas´ und Jessicas Kennenlernen erzählt. Es war ziemlich leidenschaftlich gewesen und extrem turbulent. Auch die Geschichte von ihren Eltern und der ihrer Tante Melissa und ihres Onkels Mark hatte Sam gut gefallen. Sie hoffte, ebenfalls eine Chance auf deren große Liebe zu bekommen. Es klang manchmal wie ein Märchen, das wahr geworden war.

»Nicht traurig sein. Es wird sicherlich alles gut ausgehen. Obwohl es nicht so aussieht, gehen die meisten Geschichten gut aus.« Andreas legte einen Arm um Samantha und lächelte.

»Meinst du?«

Ihr Pate zwinkerte Sam zu.

»Na, bei mir hat es geklappt. Okay, ich musste mich erst vergiften und danach fast in die Luft sprengen lassen, um es zu erleben, aber das war es wert.« Andy seufzte theatralisch. »Wobei, wenn ich jetzt genau darüber nachdenke. Ein paar Sachen hätte ich mir echt ersparen können.«

Samantha lachte. Obwohl er ständig den ernsten Anzugträger mimte, hatte er ebenso eine andere Seite. Diese schien Jessica gut zu kennen, denn sie schnaubte, als sie in den Raum kam.

»Ich weiß, was du gerade erzählt hast. Aber mich wirst du nicht mehr los, Freundchen. Ich habs angeleckt, jetzt ist es meins. Basta!«

Benedikta, die Sam nun aus dem Wohnzimmer zog, lachte herzhaft. Samantha wollte über dieses ›Ich habs angeleckt‹, lieber nicht allzu genau nachdenken. Diese unerschütterliche Art gefiel ihr jedoch und sie beschloss, sich Jess zum Vorbild zu nehmen.

Ein bisschen Jessica werden, könnte der Schlüssel sein.

15


Tobias stand komplett neben sich. Er hatte den Teich entleert und die Fische umgesiedelt, doch danach war seine Erinnerung lückenhaft.

Am nächsten Morgen hatte Tobi keinen Schimmer, wie er in sein Bett gekommen war. Er stieg heraus und warf einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster. Das Herrenhaus wirkte seltsam verlassen. Waren Alexandra und Thomas etwa bereits abgereist? Hastig zog sich Tobias an und marschierte hinüber. Wieso hatten sie ihm nichts gesagt?

Niemand war da. Selbst von Samantha gab es keine Spur. Verdammt, was war hier los?!

›Vielleicht ist Sam ja bei ihrer besten Freundin‹, überlegte Tobias und runzelte bei dem Gedanken die Stirn.

Es passte ihm nicht. Benedikta Van Rosen war kein passender Umgang für Samantha. Dieses junge Ding war zu wild und hatte viel zu viele Flausen im Kopf, die extrem schiefgehen konnten. Außerdem war Beni mit einigen Jungs bekannt, die allesamt Rowdys waren. Wirklich kein guter Umgang, die Kleine. Leider sahen das Alexandra und Thomas wohl anders.

Das kleine Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte und aus Reflex heraus drückte Tobias den Play-Knopf. Er hörte die Ansage und lauschte danach gespannt.

»Hallo Tobias. Thomas und ich sind gut in Paris angekommen«, erklang Alexas Stimme und sie wirkte ziemlich fröhlich. »Samantha hat die Nacht bei ihrer Freundin verbracht und sollte nach der Uni wieder nachhause kommen. Sie meinte, du sollst dir keine Umstände machen. Sam muss nicht abgeholt werden. Ich wünsche euch beiden viel Spaß!«

Alexandra brachte noch einige Floskeln, doch Tobi nahm nichts mehr davon wahr. Samantha ließ sich normalerweise von ihm von der Universität abholen. Sie schien noch immer sauer auf ihn zu sein.

»Das wollen wir doch mal sehen!«, knurrte er und schnappte sich die Autoschlüssel.

In einer halben Stunde war die Vorlesung seiner Erfahrung nach zu Ende. Während er den Mercedes aus der Garage fuhr, dachte er noch darüber nach, wie schlecht die Idee eigentlich war, beschloss allerdings, es durchzuziehen.

Er musste mit Sam reden, ihr erzählen, was ihn beschäftigte. Auch, wenn er kein Auserwählter war, wollte er zumindest ihre Freundschaft. Tobias wusste, dass es eine harte Nuss werden würde, doch Samantha war es wert.

Auf dem Weg in Richtung Uni dachte er über die fehlende Zeit nach. Er hatte wirklich keinen Schimmer. Wieso hatte er nur diesen Filmriss?

›Vielleicht leidest du ja mittlerweile an Alzheimer‹, ging es ihm durch den Kopf, schüttelte ihn jedoch augenblicklich. Das konnte es auf keinen Fall sein. Er war nicht senil!

Noch nicht zumindest.

Die Straßen waren wie üblich total überfüllt. Er hoffte dennoch, pünktlich anzukommen und Sam nicht zu verpassen.

»Hey! Passen Sie doch auf!«, brüllte auf einmal eine Person neben ihm und Tobias zuckte erschrocken zusammen.

Ein Fahrradfahrer hatte anscheinend vorgehabt, links am Wagen vorbeizubrettern, was Tobi allerdings nicht bemerkt hatte. Er setzte zum Spurwechsel an und dieser Knallkopf von Radler knallte plötzlich die Faust gegen das hintere Wagenfenster. Das Geräusch rührte etwas in Tobis Erinnerung. Eine alte Waffe erschien vor seinem inneren Auge. Ein Schuss löste sich.

»Scheiße!«

Tobias zog am Lenkrad und den Wagen damit zurück auf die andere Spur. Er fuhr an der Ausfahrt vorbei. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

›Naja. Immerhin besser, als einen jungen Mann totzufahren.‹

Sein Puls raste, als er sich zum Wenden einreihte. Was für ein Glück, dass in dieser Stadt einige Wege in Richtung Uni führten. Er musste sich jetzt nur noch darauf konzentrieren, nicht wieder einen solchen Schnitzer zu begehen. Tobi seufzte. Der Gedanke an Samantha machte ihn ganz unruhig. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart teilweise wie ein Jungspund, der keinerlei Erfahrung hatte. Gut, mit seinen zweiundvierzig Lenzen hatte er die natürlich, aber Tobias war mittlerweile seit etwa fünf Jahren nicht mehr mit einer Frau aus gewesen.

 

›In meinen Gedanken habe ich sie immer mit Sam verglichen. Diesen Mist durfte ich mir einfach nicht mehr geben‹, erinnerte er sich und zudem an den Moment, in dem er beschlossen hatte, keine Partnerin haben zu wollen.

»Kommst du noch mit rauf?«, hatte sie ihn gefragt und dabei ziemlich verführerisch gelächelt.

Er war ihr ganz nah gewesen, hatte der Kleinen eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen.

»Bist du dazu denn alt genug?«

Der Scherz war nicht sonderlich gut gewesen, doch sie hatte gelacht, ihn an sich gezogen und ihn leidenschaftlich geküsst. Ihre Lippen waren geradezu verschmolzen, die Zunge des jungen Dings hatte seinen Mund erobert. Nach diesem Liebesgerangel war er mit den Lippen zu ihrem Hals gewandert und hatte es geknurrt.

»Was?« Ihre Stimme klang noch immer in seinem Kopf nach. Sie hatte ihn von sich geschoben und ihn beleidigt angeblickt. »Wer ist Samantha?«

Tobias war es nicht klar gewesen, wieso er ihren Namen ausgesprochen hatte, doch das war das Ende eines vielversprechenden Abends gewesen und im Nachhinein wohl das beste, was hatte passieren können. Er war sich lange wie ein Perversling vorgekommen, weil er auf diese Weise an die Tochter seines Chefs dachte. Damals war sie zarte vierzehn Jahre alt gewesen, gerade in der Pubertät. Diese Zeit hatte sich in Tobis Gedächtnis gebrannt, denn danach waren die Besuche im Herrenhaus und die Zweisamkeiten mit Sam für ihn tabu gewesen. Sein krankes Hirn hatte nicht noch mehr Futter bekommen sollen.

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