Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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Aus der Reihe: Die Sucht #4
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„Naja …, sicher!“, sage ich ausweichend.

„Also ist er das immer morgens und nicht Marcel. Ich dachte mir das schon“, knurrt sie verbissen.

„Marcel ruft mich auch schon mal an … oder meine Eltern“, versuche ich mich zu verteidigen.

„Und wann kommt er?“

Stimmt, ich hatte Ellen gesagt, dass Tim diese Woche vorbeikommen wird.

„Mittwoch“, raune ich und weiß nicht, ob es gut ist, dass sie das weiß.

„Und was habt ihr vor?“

„Schauen wir mal. Vielleicht habt ihr Lust, was mit uns zu unternehmen?“, frage ich sie.

„Wen meinst du? Die Mädels? Daniel? Vielleicht Erik?“, brummt sie ungehalten.

Ich schüttele den Kopf. „Wenn du meinst, ich sollte besser nicht mit ihm allein sein, dann lass dir doch was einfallen. Da seid ihr Zeiss-Clarkson doch ganz groß drin“, brumme ich zurück.

Ellen grinst, aber ihre Augen blitzen ernst. „Warte, was passiert, wenn Erik erfährt, dass Tim erneut hier aufläuft.“

„Sag´s ihm einfach nicht“, antworte ich nur mürrisch. Mir ist bei dem Gedanken auch nicht wohl.

Wir sind bei der Schule und die anderen empfangen uns überdreht und erzählen von Samstagabend und ihrer Alandotour.

Ich sehe Ellen überrascht an. Sie hatte mir nicht erzählt, dass sie Samstag auf Tour waren.

„Du wolltest schließlich nicht mit. Die anderen aber schon“, sagt sie nur lachend.

Ich bin etwas traurig, dass sie mir nichts davon gesagt hatte. Fast kommt es mir so vor, als wollten sie mich gar nicht mithaben. Meine alte Angst, den Anschluss an meine Klassenkameraden zu verlieren, kriecht wieder in mir hoch. Das darf auf gar keinen Fall wieder passieren.

Als wir am Nachmittag aus der großen Eingangstür der Schule treten, machen mich Michaelas leuchtenden Augen auf die zwei an der Straße wartenden Autos aufmerksam.

Verdammt!

Ellen lacht. „Hey, was ist das denn heute?“ Sie geht schnurstracks auf den BMW zu und küsst Daniel, der lässig an seinem Auto lehnt und nur Augen für sie hat.

Unsere Mädels sehen sich den anderen Typen an, der mit verschränkten Armen am Mustang lehnt und nur Sabine und Michaela wissen, dass das Ellens Bruder ist.

Mein Herz droht bei Eriks Anblick auszusetzen. Er hat ein schwarzes T-Shirt an, das ungewöhnlich eng für seine Verhältnisse sitzt und seinen unglaublich gutgebauten Oberkörper betont. Seine verwaschene Jeans mit dem Riss auf dem Oberschenkel sieht verboten verwegen aus und ich weiß, was der Inhalt verspricht, hält er auch. Dazu glänzen seine blonden Locken in der Sonne.

Ich drehe mich um und denke mir, es ist besser ich gehe noch mal in die Schule zurück und tue so, als müsse ich noch mal auf Toilette oder etwas holen, das ich vergessen habe. Schon wegen Michaela möchte ich nicht, dass Erik mich anspricht oder sonst irgendetwas macht, das den Anschein erweckt, wir hätten mehr miteinander zu tun. Schließlich war sie auch schon eine von Eriks Betthupfern gewesen und leidet immer noch schwer an seiner anschließenden Abfuhr.

Ich höre Ellen meinen Namen rufen und laufe durch die Tür in den kühlen Flur der Schule zurück. Vielleicht gibt es auch einen Hinterausgang oder ich komme erst raus, wenn alle weg sind. Ich kann unmöglich vor allen in Eriks Auto steigen. Das überlebt die arme Michaela, und wer weiß wer sonst noch alles, nicht. Und ich auch nicht.

„Hey, wartest du wohl?“, höre ich plötzlich Eriks wütende Stimme durch den Flur schallen und laufe an den letzten Nachzüglern vorbei, die aus einem der Klassenzimmer kommen.

Erschrocken und resigniert verdrehe ich die Augen. Das kann doch jetzt nicht wahr sein? Wieso folgt er mir auch noch?

Ich will nicht wegrennen. Also muss ich ein normales Tempo beibehalten, damit es nicht so aussieht, als wäre ich auf der Flucht. Es soll schließlich so aussehen, als hätte ich noch irgendwas vergessen.

„Wartest du wohl?“, brummt es neben mir und ich werde am Arm festgehalten. Erik sieht mich verdrossen an. „Du kannst doch nicht einfach abhauen“, knurrt er aufgebracht.

„Was willst du hier?“, zische ich und gehe weiter.

Erik lacht auf und ich sehe ihn verdutzt an.

„Du bist so leicht zu durchschauen und so berechenbar. Es ist herrlich!“, sagt er belustigt.

Ich bleibe völlig verwirrt stehen.

„Vergessen? Meine kleine Rache. Ich habe lange überlegt, was dich wirklich trifft, ohne dich zu verletzen. Und dann fiel mir ein, was du bei deinem Typen nicht magst und dachte mir, dass kann ich auch.“

„Was?“, brumme ich noch irritierter.

„Und du schenkst mir die ganze Bandbreite mit deinem dummen Fluchtversuch“, raunt er grinsend.

Bevor ich etwas erwidern kann, packt er mich, wirft mich über seine Schulter, als wäre ich nur ein Zementsack, und greift mit der anderen Hand nach meiner Tasche, die ich erschrocken fallen ließ.

Ich versuche mich aus seinem Griff zu winden und er tut so, als wenn er mich hintenüberfallen lässt. „Gibst du jetzt Ruhe?“, brummt er dabei, als ich aufschreie.

Ich wage mich nicht mehr zu rühren und klammere mich kopfüber an seinem Gürtel fest. „Bitte, Erik. Ich gehe auch brav mit. Aber lass mich runter“, flehe ich ihn völlig verzweifelt an.

„Vergiss es. Das wird jetzt richtig peinlich für dich. Das ist meine kleine Rache. Du wirst nicht mehr einfach vor mir abhauen und mir auch nicht wiedersprechen“, meint er zufrieden.

Wir kommen durch die Tür, auf die jeder starrt, der Erik in Windeseile hineinschlüpfen gesehen hatte und sich wunderte, warum. Dass er jetzt wieder rauskommt und mich locker über seiner Schulter zum Auto trägt, verursacht bei vielen der um uns stehenden Gelächter. Ich möchte nicht Michaelas Gesicht sehen, die vielleicht eine Sekunde die Hoffnung hatte, dass er wegen ihr hier ist … oder andere Mädels, die dem gleichen Irrtum erlagen.

„Erik, ich hasse dich!“, fauche ich und er stellt mich bei seinem Auto auf die Füße.

Ellen und Daniel grinsen mich an, als ich aufgebracht meine Haare aus dem Gesicht streiche und ihnen einen wütenden Blick zuwerfe. Dann trifft mein Blick wieder Erik und ich fauche: „Verdammt, warum machst du das? Du bist doch wohl vollkommen übergeschnappt!“

„Steig ein“, raunt Erik nur und ignoriert mein Gezeter.

„Und wenn ich nicht will!“

„Glaub mir, dann wird es noch peinlicher für dich“, brummt er und seine Augen brennen sich in meine. „Aber mach ruhig. Ich freue mich darauf.“

Ich greife nach meiner Tasche, reiße sie ihm aus der Hand und gehe um den Mustang herum, um mich auf den Beifahrersitz zu werfen. „Was muss ich noch alles ertragen?“, murre ich dabei wütend.

Erik winkt Ellen und Daniel zu und steigt auch ein. Er lächelt mich an. „Du kannst auch ganz brav sein, sehe ich.“

Ihn keines Blickes würdigend, sehe ich aus dem Seitenfenster.

Wir fahren mit tief brummenden Motoren los und ich seufze auf. Wie soll ich meine Gefühlswelt in den Griff bekommen, wenn Erik mich jeden Tag auf die eine oder andere Weise belagert? Und dann dieser peinliche Auftritt! Der schafft es noch, dass ich mich nicht mal mehr in der Schule blicken lassen kann.

Wir fahren quer durch die Stadt. Bei den Ampeln kommt Daniels BMW oftmals auf unsere Höhe oder er überholt uns bei einem Kavalierstart und setzt sich vor uns. Es ist ein beständiges Spiel der beiden Autos und ihrer Fahrer. Ich kann mich nicht dagegen wehren, dass meine Laune sich bessert, als mir die ausgelassene Stimmung von Erik immer bewusster wird. Er ist wie ein Kind, das sein Lieblingsspiel spielen darf und wenn ich Daniel und Ellen sehe, die strahlend und verrückte Grimassen schneidend ihren Teil dazu beitragen, sobald wir auf eine Höhe kommen, so kann ich mich dem nicht entziehen.

Erik grinst mich immer wieder an, während gute Musik läuft und um uns herum das Auto bei jedem Anfahren seine unbändige Kraft zeigt.

Als wir auf der anderen Seite der Stadt in den Stadtteil Voxtrup einfahren, sehe ich Erik verständnislos an. „Wo fahren wir hin?“, frage ich ihn, weil mir dieser Teil der Stadt überhaupt nicht geläufig ist.

„Wir? Wir machen eine kleine Spritztour. Mein Racheakt ist noch nicht zu Ende. Lehn dich noch nicht zurück.“ Er grinst mich frech an.

Ich beschwere mich: „Hey, dass an der Schule war schon schlimm genug, dass es für die nächsten Jahre im Voraus reicht.“

Erik lacht auf. „So lange willst du es mit mir aushalten?“

„Will?“, antworte ich ihm aufgebracht: „Als wenn ich bei irgendwas eine Wahl habe.“

„Stimmt, die hast du auch schon verspielt“, sagt er gut gelaunt und zwinkert mir mit funkelnden Augen zu.

Daniel und Ellen ziehen an uns vorbei, als wir Voxtrup verlassen und eine breite Straße hinabfahren. Der BMW setzt sich erneut vor uns.

Ellen winkt und ich winke zurück.

„Was hast du vor?“, frage ich Erik und schaue dem BMW hinterher.

„Ich sagte doch, wir machen eine kleine Spritztour.“

„Und das soll eine Strafe sein?“, frage ich ungläubig.

„Wir sprechen uns in ein paar Minuten noch mal wieder“, raunt Erik und ich überlege angestrengt, was er machen könnte, was mir dann wirklich wie eine Strafe erscheint. Das hier ist einfach nur Spaß pur.

Wir fahren durch einen kleinen Ort, der sich auf seinem Eingangsschild als Bissendorf präsentiert und in dem der Mustang sofort Aufsehen erregt.

Das ist nichts, was ich wirklich mag und ich krame meine Schultasche vom Rücksitz und wühle in einer Seitentasche meine Sonnenbrille hervor, die ich nicht oft aufsetze.

„Versteckst du dich?“ Erik grinst spitzbübisch. „Du magst es überhaupt nicht, wenn du die Aufmerksamkeit auf dich ziehst und doch bist du wie ein Magnet, dass alle Energie an sich zieht.“

 

Ich sehe ihn verständnislos an und er erklärt nach einem Blick aus ernsten Augen: „Ist dir noch nicht aufgefallen, dass du immer die Aufmerksamkeit auf dich ziehst, wenn du irgendwo erscheinst? Wenn du in eine Disco gehst, sind immer welche da, die sich sofort von dir angezogen fühlen und wenn du durch die Stadt gehst, sind immer welche da, die dich ganz unverhohlen anstarren. Ich wette mit dir, es gibt viele Menschen, die gerne mit dir befreundet wären und viele Männer, die gerne mit dir zusammen wären.“

„Quatsch! Ich ziehe nicht mehr Aufmerksamkeit auf mich als alle anderen Menschen. Aber ich mag es wirklich nicht besonders, wenn ich bei irgendwas im Mittelpunkt stehe“, gebe ich zu, von seinen Worten seltsam berührt.

„Das weiß ich seit vorletztem Sonntag“, sagt Erik ernst. „Ich habe es fast körperlich gespürt, wie unangenehm dir das ganze theatralische Gehabe mit dieser Fußballmannschaft war und als dein Typ dich vor allen abschleckte.“

Ich fühle mich gezwungen ihm die Situation zu erklären. „Das war das zweite Spiel, zu dem ich mitgegangen bin und die halten mich für ihren Glücksbringer, weil sie noch nie so gut gespielt haben. Vor allem Marcel war noch nie so gut“, sage ich gerade mal so laut, dass die Musik es nicht ganz verschluckt und Erik dreht sie leiser. Er runzelt die Stirn und zieht in einem Kreisel in die nächste Seitenstraße ein, obwohl ich den BMW weiterfahren sehe. Ich will ihn darauf aufmerksam machen, aber an seinem Blick sehe ich, dass ihm das auch bewusst ist.

„Sein Glücksbringer …“, raunt er mehr zu sich selbst.

Mir wird die erdrückende Stimmung bewusst, die das Gespräch auslöst und ich lege meine Hand in seinen Nacken und schiebe sie in seinen Haaransatz. „Lass uns nicht davon sprechen. Sag mir lieber, warum wir woanders herfahren, als Daniel und Ellen.“

Erik nickt und legt den Kopf etwas schief und drückt seine Wange an meinen Arm. Dabei gibt er Gas, obwohl wir durch ein paar nicht ganz seichte Kurven ziehen.

„Du hast recht. Das ist geplant. Und du solltest besser deine Hand von meinem Körper nehmen, wenn du das, was jetzt kommt, überleben willst“, sagt er und ich ziehe meine Hand erschrocken zurück, auf die nächste Kurve starrend, die sich vor uns auftut.

Erik dreht die Musik lauter, als gerade ein Lied mit deutschem Text beginnt. Ich kenne die Gruppe von der letzten Klassenfahrt, wo dieses Lied mehrmals im Bus lief. SDP ist eine Berliner Duogruppe und der Text nimmt mich vom ersten Wort an gefangen. Von der Art her könnte das Erik sein und der Text könnte nicht besser auf mich und Erik zutreffen, wenn Erik in der Lage wäre, so zu fühlen wie der Sänger. Schon der Anfang irritiert mich. „Reißen wir uns gegenseitig raus oder reiten wir uns rein, hältst du mich lang genug aus oder bin ich bald wieder allein?“

Der Sänger schildert seine Liebe, wie sie von Erik zu mir sein könnte … und wie ich es mir tief in meinem Inneren von ihm wünsche. Das spüre ich in diesem Augenblick erschreckend heftig und bin verwirrt.

Der zweite Sänger singt davon, dass sein Kumpel niemals so ein Liebeslied singen wollte und er den Proleten vermisst, den sein Kumpel sonst verkörperte. Und als der erste Sänger für sein Mädel singt: „Du weißt, dass ich immer da bin, dir gehört mein Gentleman Charme, hängt dich an meinen Oberarm, versteck dich hinter mir, mach dein Herz auf, bevor ich dir etwas tue reiße ich mir meins raus“ …, schlucke ich schwer. Dann folgen weitere Liebeserklärungen in einer Gangstermanier, die mich hier und heute echt umhauen.

Ich werfe Erik einen schnellen Blick zu, der den schweren Wagen durch eine enge Straße mit tiefen Abgründen und Kurven einen Berg hinaufziehen lässt, dass es mir fast einen Herzimpfakt beschert. Aber nur fast, denn das Lied hält mich viel zu sehr in seinem Bann.

Es ist eine traumhaft schöne Landschaft und links von uns erscheint ein kleiner Ort, an dem wir vorbeirauschen, der Hauptstraße immer weiter folgend.

Mir müssten bei der mörderischen Fahrt alle meine Nerven brennen, aber ich lausche nur gebannt auf das Lied und die Gefühle, die es auslöst.

Eriks Laune steigt offensichtlich mit jeder Kurve und dem tiefen Brummen des starken Motors. Er grinst mich an und ich versuche die Coole zu spielen. Das gelingt mir nur, weil das Lied endlich zu Ende ist.

„Keine Angst?“, fragt er.

„Nein, ich vertraue dir vollkommen“, raune ich und spiele die Gelassene, aber mich erfüllt eine seichte Sehnsucht, dass er auch mal für mich so empfinden könnte, wie der Sänger für das Mädchen, für das er das Lied sang.

„Wow, du vertraust mir also auf einmal?“

Wie er das sagt, lässt mich ihn ansehen. Sein Gesicht ist ernst und seine braunen Augen blitzen auf.

„Ja, tue ich“, sage ich ehrlich. In diesem Augenblick tue ich das wirklich.

Wir kommen oben auf dem Berg an, auf dem ein Wendeplatz die verschiedenen Fahrmöglichkeiten freigibt. Erik lässt den Mustang an die Seite gleiten und den Motor ausgehen.

Ich werfe ihm einen beunruhigten Blick zu. Was hat er vor? Hätte ich ihm besser nicht sagen sollen, dass ich ihm vertraue? Geht ihm das zu weit?

Er reißt seine Tür auf und steigt aus.

Ich sehe ihn um das Auto laufen und bei meiner Tür erscheinen. Er reißt auch die auf und hält mir mit durchdringendem Blick seine Hand hin. „Komm, steig aus“, raunt er mit rauer Stimme und zieht mich ungeduldig vom Sitz.

Ich sehe ihn nur irritiert und erschrocken an. Was ist plötzlich los?

Er wirft mit todernstem Blick die Tür zu, was mich zusammenschrecken lässt.

Sofort packt er meine Oberarme und schiebt mich an sein Auto. Er drängt sich an mich und küsst mich.

Ich bin völlig überrascht von seinem unvorhergesehenen Übergriff, sehe mich aber außer Stande, mich auch nur annähernd zu beschweren. Ich lasse meine Hände in seine Haare gleiten und erwidere seinen Kuss erleichtert, weil er mich immer noch will. Das setzt alle meine Gefühle frei, die ich eigentlich tief in mir verschlossen halten müsste. Aber ich bin viel zu glücklich, dass er meine Nähe braucht.

Wir drängen uns aneinander und er hebt mich hoch.

Ich schlinge meine Beine um seine Hüfte und unsere Küsse werden drängender. Wenig später spüre ich die Kühlerhaube unter meinem Rücken und seinen Körper auf meinem, während seine Küsse mir den Atem zu nehmen drohen.

Plötzlich lässt er von mir ab und schiebt meine Bluse hoch. Ich spüre jetzt erst die Hitze, die sich auf meinem Rücken ausbreitet.

„Das ist heiß!“, sage ich, als er meine Bluse aufknöpft und seine Lippen auf meinem Bauch versenkt.

„Ja!“, haucht er seufzend.

„Aua Erik, dein Auto ist heiß!“, rufe ich etwas lauter und er sieht auf.

„Oh!“ Er zieht mich schnell von der Kühlerhaube und lacht. „Sorry! Habe ich nicht bedacht.“

Er dreht mich um, streift mir die Bluse über die Arme und schaut sich meinen Rücken an. „Nichts passiert“, stellt er erleichtert fest und schlingt seine Arme von hinten um mich, um seine Lippen auf meinem Nacken zu versenken.

Mir wird bewusst, dass hier jederzeit ein Auto herfahren kann und ich raune: „Erik bitte, gib mir meine Bluse wieder. Ich kriege sonst noch eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.“

Er lacht erneut auf und lässt mich los.

Ich drehe mich um und halte ihm fordernd meine Hand hin.

Seine Augen wandern über meinen BH und sprühen vor Verlangen. Sein Gesichtsausdruck versetzt mir einen Stich in den Unterleib. Mein Kopf schreit „nein“ und mein Körper seufzt „ja“.

Ich mache einen Schritt auf ihn zu und schiebe meine Hand in seinen Nacken und ziehe ihn zu mir runter, um ihn zu küssen. Ich will ihn hier und jetzt. Ich kann mich dem nicht entziehen.

Erik drängt mich erneut an sein Auto und ich spüre seine Erektion, angefacht von dem Umstand, dass ich es bin, die ihn will.

Tatsächlich zieht ein alter klappriger Mercedes an uns vorbei und wir werden uns der Welt um uns herum wieder bewusst.

„Komm!“, raunt Erik und zieht mich hinter sich her eine Böschung hoch.

Ich folge ihm bereitwillig. Oben angelangt, sieht er sich kurz um und drängt mich auf ein weniger bewuchertes Fleckchen mit einigen Büschen, die die Böschung von dem angrenzenden Feld trennen. Er sieht sich zufrieden um und zieht mich in seine Arme. Seine Lippen treffen wieder meine und seine Zunge erobert mich wie im Fieber.

Ich sehe mich nicht mal um. Ich will ihn nur auf meinem Körper spüren und mir ist egal, wo und wie …

Wir steigen ins Auto ein und Erik raunt: „Gönnst du mir eine Zigarettenpause, bevor es weitergeht?“

„Natürlich!“, antworte ich und sehe ihn verunsichert an. Ich weiß nicht, was los ist und wie er jetzt drauf ist. War es jetzt das eine Mal, nach dem er keine Lust mehr auf mich hat? Vielleicht hatte ich nur einen etwas größeren Aufschub als alle anderen?

Diesmal war alles anders. Erik und ich hatten uns fast die Klamotten von Leib gerissen und er hatte mich zu Boden gezogen, wollte aber, dass ich oben blieb.

Das war mir recht, weil ich ihn so besser sehen kann und ich es liebe, ihn betrachten zu können. Allerdings rechnete ich damit, dass es erneut ein ewig dauerndes Liebesspiel werden würde und ließ mir Zeit, ihn immer wieder küssend und mich langsam auf ihm bewegend. Nur wenige Male setzte ich mich ganz auf und ließ mich heftiger auf ihm nieder, um ihn tief aufzunehmen und spannte die Bauchmuskulatur an. Ich war darin geübt genug und wusste, was mich anmacht und wie ich mich bewegen muss. Aber als ich mich wieder zu ihm hinunterbeugte, um ihm erneut meine Zunge zwischen die Lippen zu schieben, um mich schon mal in den Himmel zu befördern, und mein Unterleib eine Explosion durch meinen Körper schickte, die fast schon schmerzhaft war, bäumte er sich mit einem lauten Aufstöhnen unter mir auf. Er ließ meine Brüste los, um seine Hände um meine Hüfte zu legen und mich festzuhalten. „Verdammt Carolin, was machst du?“, hatte er dabei aufgebracht gezischt.

Was war passiert?

Ich sah ihn nur fragend an, von seinem wütenden Ausspruch erschrocken.

Er zog mich auf sich und schlang seine Arme um mich, um mich auf seiner Brust zu fixieren. Es war, als wolle er mich weder ansehen noch mir die Möglichkeit geben, ihn weiter anfassen zu können. Und er sagte nichts mehr.

Ich hatte ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht. Zumindest ließen seine Worte das vermuten. Aber ich wusste nicht, was es war und hatte eine unbeschreibliche Angst, dass, wenn wir uns voreinander lösen, alles zwischen uns vorbei sein wird.

Als er seinen Griff lockerte, setzte ich mich verunsichert auf. „Alles klar?“, fragte ich ihn und sah in seine braunen Augen, die mich seltsam musterten. Antworten wollte er offensichtlich nicht darauf.

Dann standen wir auf, zogen uns an und kehrten zu seinem Auto zurück, in dem er mich gerade um die Zigarettenpause bat.

Wir zünden uns jeder eine Zigarette an und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ist Erik sauer? War der Sex für ihn scheiße, weil es so schnell ging und er ist bedient? Ich war so auf mich fixiert gewesen, dass ich vielleicht etwas nicht mitbekommen habe, was ihn betraf.

Vielleicht war`s das jetzt wirklich? Vielleicht ist alles vorbei?

Der Gedanke daran versetzt mir einen Stich in die Magengrube. Mit leicht zittrigen Fingern rauche ich meine Zigarette und verfluche mich in Gedanken, weil ich scheinbar wirklich gedacht habe, dass ich für Erik mehr sein könnte.

Wir scheinen beide in unsere Gedanken gefangen zu sein und ich versuche ruhig zu bleiben. Aber mir wird schnell klar, dass mich das Glücksgefühl, Erik zu besitzen, jetzt in einer Talfahrt direkt in die Hölle schickt. Er hatte mich so böse zusammengestaucht und ich weiß einfach nicht warum.

Als er seine Zigarette aufgeraucht hat und sie in seinem Aschenbecher ausdrückt fragt er, mir einen ernsten Blick zuwerfend: „Bist du jetzt wieder wütend auf mich?“

Ich sehe ihn verdutzt an. „Nein, warum sollte ich? Ich dachte eher, du bist sauer auf mich.“

Erik schüttelt verwirrt den Kopf. „Warum meinst du das?“, fragt er mürrisch.

„Weil du mich so angefahren hast. Du hast wirklich böse geklungen“, murmele ich leise und kämpfe mit einer aufsteigenden Traurigkeit, die mich zu übermannen droht.

Erik schüttelt den Kopf und scheint mich nicht zu verstehen.

Ich erkläre unsicher: „Du hast geflucht … verdammt, was machst du? … oder so. Und es klang wirklich wütend.“

Ich spüre immer noch die Angst, die seine Worte in mir ausgelöst hatten und in mir das Gefühl aufkommen ließen, dass nun alles vorbei ist. Ich hoffe auf eine Erklärung, die mich beruhigt.

 

Erik lässt kopfschüttelnd den Motor des Mustangs aufheulen, als würde das eine Antwort unnötig machen.

Ich sehe ihn nur verwirrt an und mein Magen zieht sich weiter zusammen.

Er zieht den schweren Wagen auf eine Straße, die den Berg hinabführt und ich sehe die vor uns liegende Serpentine. Mir stockt der Atem.

„Ich war nicht wütend auf dich, sondern auf mich“, raunt er, dreht die Musik auf, die New Years Day von U2 anlaufen lässt und lenkt den schweren Wagen mit schwindelerregender Geschwindigkeit durch die Kurven, dass ich blass werde.

Ich frage nicht weiter nach, um ihn nicht abzulenken. Die Strecke ist mörderisch.

Geschmeidig zieht der Mustang die Straße hinunter und Erik grinst zufrieden. „Angst?“, ruft er mir durch die laute Musik zu und ich antworte ihm mit ernstem Blick, aber nicht laut genug, dass er es verstehen kann: „Nur, dass nun alles vorbei ist.“ Um meinen Magen lässt die Hand, die ihn zusammendrückt, etwas locker, jetzt wo ich meine Gedanken ausgesprochen habe.

Erik konnte mich nicht verstehen und grinst immer noch wie ein Kind bei seinem Lieblingsspiel.

Ich sehe aus dem Seitenfenster und mir ist zum Heulen.

Als der Berg überstanden ist, werden wir von einem langsam fahrenden Fiat ausgebremst. Erik macht ein verdrossenes Gesicht und schimpft.

Ich sehe weiter aus dem Seitenfenster und kämpfe immer noch mit der Niedergeschlagenheit, weil mir klar wird, dass ich es kaum ertrage, wenn Erik mich nicht mehr will.

„Carolin? Alles in Ordnung?“, fragt der plötzlich und macht die Musik leiser. „Ist dir nicht gut?“

Ich nicke nur und schlucke. Wie kann mich etwas so treffen, dass sowieso nicht sein soll und darf?

Erik fährt an den Straßenrand und umfasst mein Kinn, sich in seinem Sitz zu mir herüberbeugend. „Hey, ist dir schlecht?“, fragt er mit so sanfter Stimme, dass ich schlucken muss, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich schüttele den Kopf.

„Was ist es dann?“, fragt Erik und sieht mich verunsichert an. „Ist es, weil wir wieder miteinander geschlafen haben?“

Ich nicke und er macht ein betroffenes Gesicht. Aber mir ist klar, dass ich etwas anderes meine als er. „Warum hast du mich beschimpft?“, frage ich leise. Ich habe Angst vor seiner Antwort.

Er lässt mein Kinn los und setzt sich zurück, mich ungläubig anstarrend. „Ich sagte doch, ich habe dich nicht beschimpft“, raunt er. Scheinbar sagt ihm mein Blick, dass ich das anders sehe und er sieht auf seine verletzte Hand, die er auf das Lenkrad des Mustangs legt.

„Tut mir leid. Ich meinte das nicht so“, murmelt er verlegen. „Ich war nur so irritiert …“

Da ich wohl immer noch so aussehe, als würde ich gleich aussteigen, setzt er nach, so leise, dass ich ihn nur schwer verstehen kann: „Das ist so anders!“ Er sieht aus dem Frontfenster und das Brummen des Motors überspielt fast die Musik. „Es ist immer so ein Kampf, wenn ich einen dieser One-Night-Stands eingehe. Bei dir ist alles so leicht. Du bringst mich sofort hoch und ich brauche nichts zu tun … es überkommt mich einfach. Das ist echt verwirrend.“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was er da sagt. Aber es muss damit zu tun haben, dass es diesmal keinen langen Stand-by-Modus gab. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. So aufgebracht wie er war, wohl eher schlecht. Seine Worte jetzt lassen mich aber diesbezüglich unsicher werden.

Da ich nichts sage und ihn immer noch verunsichert ansehe, murmelt er: „Vielleicht, wenn ich das alles etwas analysiert habe, kann ich dir sagen, was los ist.“

Analysiert? Oh Mann. Sein Psychodenken. Dann soll er das mal analysieren.

Er zieht den Wagen erneut auf die Straße und dreht die Musik etwas lauter. Aber ich komme nicht aus dem Loch heraus, in das mich sein Wutanfall auf dem Berg geworfen hat. Und dass es mich so trifft, dass ich Erik nicht wirklich haben kann, das erschreckt mich zutiefst. Was ist mit mir und Marcel? Was mit meiner Liebe zu ihm?

Erik merkt das und strengt sich an, die lockere Stimmung wieder heraufzubeschwören. Er macht Witze und wirkt gar nicht so, als würde ihn etwas bedrücken. Aber warum soll ihn auch etwas bekümmern, was nicht viel Bedeutung für ihn hat?

Mich quält das Ganze aber, und noch mehr der Gedanke, dass ich nicht weiß, was nun wirklich los ist … mit mir … mit ihm … mit diesem seltsamen, unwirklichen, unerträglichen Arrangement.

Zu meiner Überraschung kommen wir an einem Gasthaus an, vor dem Daniels BMW steht.

Ich sehe Erik fragend an und er lächelt wissend. „Die sind schon da! Hoppla! Unser Abstecher ins Grüne hat mich meinen Sieg gekostet.“ Er lacht leise und steigt aus.

Ich steige auch aus. Ich bin froh, gleich Ellen zu sehen. Sie muss mich auf andere Gedanken bringen, sonst drehe ich noch durch.

Erik kommt zu mir und nimmt meine Hand. Mit einem seltsamen Blick zieht er mich hinter sich her. Ich kann den nicht deuten. Aber er lässt meine Hand nicht los, als wir durch den Gang in den Gastraum gehen und auf die Theke zusteuern, an der Daniel und Ellen uns grinsend entgegensehen.

Aus einer Gewohnheit heraus will ich meine Hand zurückziehen, aber Erik hält sie eisern fest. Ich sehe ihn verwirrt an.

Daniel und Ellen entgeht diese Geste der Zusammengehörigkeit nicht und Ellen zwinkert Daniel zu. Ich bin froh, dass sie keine anzügliche Bemerkung macht.

„Hey Alter, was war los? Ist dir dein Mustang unterwegs verreckt?“, fragt Daniel und lacht.

Erik lächelt zurückhaltend und schiebt mich auf einen Hocker neben Ellen. Er bestellt für uns beide einen Cappuccino. Daniel und Ellen haben ihre schon vor sich stehe.

Statt sich selbst auf einen Hocker zu setzen, bleibt er hinter mir stehen und lässt einen Arm um meine Hüfte gleiten. Wieder eine Geste, die mich verunsichert und Ellen und Daniel bestimmt nicht entgeht.

Ich bin einen Augenblick versucht, seinen Arm wegzuschieben, nur um den Anschein zu wahren, dass da nichts zwischen uns ist. Aber ich kann es nicht. Diese kleinen Gesten rühren mein Herz und beruhigen es. Es hat die letzten Minuten so gelitten, dass Eriks zur Schau gestellte Zuneigung es aus der Untiefe, in die es versunken war, langsam wieder ans Licht befördert.

Ich trinke meinen Cappuccino und versuche Ellen zuzuhören, die mir von der tollen Gegend erzählt, die sie gerade durchfahren haben und die nun vor uns liegt, wie ich erfahre. Scheinbar fahren Ellen und Daniel jetzt unsere Strecke zurück und wir ihre. Aber Eriks Arm um meinen Bauch zieht meine ganze Aufmerksamkeit auf sich und brennt an den Berührungspunkten wie heißes Eisen.

„Nah, viel Spaß“, raune ich nur, um etwas den Anschein zu geben, etwas von dem mitzubekommen, was geredet wird.

Erik verstärkt den Druck auf meine Hüfte und schiebt seine Hand auf meinen Oberschenkel, um sie dort liegen zu lassen. Dabei sagt er: „Oben auf dem Berg ist ein schönes Plätzchen. Lohnt sich anzuhalten.“ Er legt seine Hand erneut auf meinen Bauch und drückt mich kurz an sich und dabei schenkt er mir ein schelmisches Lächeln.

Ich kann nur hoffen, dass ich nicht rot werde.

„Du willst nur, dass du diesmal gewinnst“, antwortet Daniel und ich denke mir: „Hast du eine Ahnung.“

Mir wird klar, wie leichtfertig Erik seinen Sieg verschenkte und er scheint es nicht eine Sekunde zu bereuen.

Ich werde ruhiger und in mir steigt das Gefühl der Sicherheit hoch, dass alles zwischen uns doch noch in Ordnung ist.

Zwischen uns … aber nicht in meinem Leben. Was mache ich hier überhaupt?

Mir wird plötzlich klar, dass ich mich wirklich auf Erik mit all seinen Verrücktheiten, seiner durchgeknallten Art, seinem Kampf mit seiner Vergangenheit, seinen Drogengeschäften, seinem Drogenkonsum und seiner seltsamen Art der Zuneigung einlasse. Was ist mit Marcel? Was mit Tim? Was mit dem Fluch des Alchemisten? Erik passt noch weniger ins Bild als Marcel.