Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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Ich verschicke die SMS mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube und bereue es in dem Moment schon, als sie versendet ist. Erik wird ausflippen! Aber er ist weit weg und ich stehe mit meinen Problemen letztendlich immer allein da. Vielleicht ist das ein Weg, sie zu lösen?

Aber im selben Moment weiß ich, dass es hoffnungslos ist. Selbst wenn Tim meine Freundschaft so wichtig wäre, dass er auf alles andere verzichten würde, wäre Erik keine Sekunde damit einverstanden, dass ich noch irgendetwas mit ihm zu tun habe.

Ich lasse die Musik an und lege mich in Eriks Bett zurück. Mit der Musik von meinem Laptop ist die Wohnung nicht so unerträglich still und meine Gedanken nicht so erschreckend laut.

Ich überlege, ob ich das Handy wieder ausmachen soll. Da es mitten in der Nacht ist wird Tim vor morgen nicht reagieren.

Mir fällt ein, dass ich gar nicht weiß, wann er seine SMS geschrieben hatte und ich gehe nochmals hinein und sehe, dass er sie am vergangenen Abend verschickte. Ich lösche sie, damit Erik sie nicht findet. Da ist die neue Nummer von Tim drauf und ich möchte sie nicht in Eriks Hand wissen. So lösche ich auch meine SMS an Tim und das Handy ist gesäubert. In dem Moment vibriert es in meiner Hand und meldet eine ankommende SMS.

Ich lasse das Telefon fallen, als wäre es heiß und starre es an, während der Klingelton erstirbt.

„Poor, bitte nicht“, hauche ich, weil ich mit einer Antwort nicht so schnell gerechnet hatte. Mein Herz schlägt mir bis in den Hals und ich hebe das Handy auf und öffne die SMS mit zittrigen Fingern. Entsetzt lese ich: „ICH AKZEPTIERE! Und rufe dich an.

Im selben Moment hallt das Lied „Three Words“ durch mein Schlafzimmer und ich starre auf das Display.

Tim ruft mich an. Und er will akzeptieren.

Ich muss abnehmen, um meine Aussage nicht hinfällig werden zu lassen.

Ganz tief in meinem Hinterkopf dröhnt die Frage: Wie geht das, dass seine neue Nummer auch unser altes Lied als Klingelton abspielt?

Mein Magen dreht sich und ich weiß nicht mal, ob ich eine Stimme habe, als ich mit zittrigen Fingern den Knopf drücke und ein „Ja!“, hauche.

Mit dem Ersterben des lauten Klingelsounds höre ich nur noch meine leise Musik aus dem Wohnzimmer und sonst nichts. Die andere Seite der Leitung scheint tot zu sein.

Ich überlege schon, ob ich angesichts dessen auflegen darf, als Tim in sein Handy flüstert: „Carolin?“

Ihm scheint seine Stimme auch einen Streich spielen zu wollen und seine Unsicherheit gibt mir ein wenig meiner Sicherheit zurück.

„Tim! Hallo!“, raune ich etwas lauter.

„Hallo!“, kommt nur wie ein Echo.

Ich räuspere mich und überlege angestrengt, was ich sagen soll. Dann murmele ich: „Ich bin ein wenig erstaunt, dass trotz deiner neuen Nummer Three Words als Klingelton auf meinem Handy abgespielt wird.“

Kurz ist es wieder still in der Leitung. Dann höre ich ihn leise antworten: „Weil das unser Lied ist und ich habe meine Mittel.“

Seine Worte verwirren mich und ich denke, das ist kein gutes Thema.

„Aha!“, raune ich nur und schwenke um. „Wie geht es mit deinem Musical voran?“

„Oh Mann, Carolin!“, antwortet Tim aber nur, als hätte ich ihn nichts gefragt. „Dass du wieder mit mir sprichst!“ Er klingt völlig am Ende und ich fühle einen winzigen Hauch von Mitleid mit ihm. Aber das verdränge ich sofort.

„Du hast mir Angst gemacht. Und du hast mir wehgetan!“, zische ich, weil ich ihm das unbedingt vor Augen führen will und er einsehen soll, dass er das nie wieder tun darf.

„Es tut mir leid. So schrecklich leid. Aber du weißt, was ich für dich empfinde und ich konnte nicht ertragen, dass du dich so aus meiner Wohnung und meinem Leben geschlichen hast“, antwortet er niedergeschlagen.

„Ich habe mich nicht aus deiner Wohnung geschlichen. Aber es war so schwierig, immer von Osnabrück nach Alfhausen zu gelangen. Da war es ja sogar einfacher, zu mir nach Hause zu fahren. Und mit meiner neuen Arbeit war das Ganze dann gar nicht mehr zu vereinbaren gewesen“, versuche ich ihm zu erklären, ohne Erik ins Spiel zu bringen.

Die Leitung ist wieder wie tot. Dann trifft eine ungeheuerliche Frage an mein Ohr, gepaart mit einem Fetzen Hoffnung: „Bist du nicht mehr mit Erik zusammen?“

Das muss für Tim der Grund sein, warum ich mitten in der Nacht mit ihm telefonieren kann.

Einen Moment weiß ich nicht, was ich antworten soll. Ich möchte ihn nicht verärgern und ich will versuchen, das Beste aus diesem Gespräch für uns herauszuschlagen. Aber ich kann Erik nicht verleugnen.

„Doch!“, raune ich nur.

Wieder scheint die Leitung gekappt zu sein und ich frage nach einiger Zeit: „Tim?“

„Ja!“, höre ich ihn flüstern, wieder mit seiner Stimme kämpfend.

„Macht ihr noch das Musical?“ Ich will ihn von Erik und mir ablenken.

„Diese Woche sind wir noch in Leipzig. Das ist die letzte Tour. Dann komme ich nach Hause.“

Ich frage mich, was für ihn „nach Hause kommen“ heißt. Hoffentlich meint er Wolfsburg. Aber ich kann ihn nicht danach fragen.

„Weißt du schon, was du dann machen wirst?“ Ich versuche einen Plauderton anzuschlagen und Tim raunt unsicher: „Das hängt davon ab.“

Mein Herz stockt und mir liegt auf der Zunge zu fragen: „Wovon hängt das ab?“ Aber ich traue mich nicht, weil ich Angst vor seiner Antwort habe.

Er sagt, weil ich nichts dazu sage: „Vielleicht studiere ich etwas? Wie Julian. Musikwissenschaft oder so.“

Mir stockt fast der Atem. „Wo kann man so etwas studieren?“

Die Antwort ist kurz und bündig: „Bei dir … in Osnabrück, denke ich.“

Oh Gott! Nicht Tim auch noch!

„Und du meinst, das ist was für dich? Spielst du nicht lieber auf Bühnen und in Orchestern mit?“, versuche ich ihn gleich davon abzubringen.

„Das macht man da auch! Aber ich weiß halt noch nicht. Kommt auch darauf an.“

Wieder liegt mir die Frage auf der Zunge: Worauf kommt es an? Und wieder schweige ich und erneut setzt eine Stille ein, die unangenehm ist.

Tim räuspert sich und seine Stimme klingt unendlich traurig: „Ach Carolin! Könnte ich doch nur bei dir sein. Wärst du noch in meiner Wohnung und würdest auf mich warten, dann müsste ich das alles nicht tun. Dann könnten wir weggehen und woanders neu anfangen. Bei mir wärst du in Sicherheit. Ich würde dafür sorgen, dass dich keiner findet.“

Sein Kauderwelsch verunsichert mich und lässt mich aufhorchen.

„Bin ich denn nicht in Sicherheit?“, frage ich vorsichtig.

„Nein, nicht solange du nicht bei mir bist. Ich war am letzten Wochenende bei dir. Ich musste dich sehen und ich wollte wissen, ob es dir gut geht und sie dir nichts tun. Und du hast dich denen ausgeliefert … für deine dummen Freunde! Ich hätte dich am liebsten da rausgeholt, aber sie ließen mich nur kurz zu dir. Als ich dich da so liegen sah hat es mir fast das Herz gebrochen. Es war fast so schlimm wie da, wo du mir sagtest, dass du mit diesem Erik zusammen bist.“

Da ist es wieder. Wir sind erneut an dem Punkt angelangt.

„Tim, es tut mir so leid, dass alles so gelaufen ist. Aber ich kann für meine Gefühle nichts. Ich liebe Erik und werde mit ihm zusammenbleiben. Er ist alles, was ich will. Und solange er mich will, wird sich daran nichts ändern.“

Ich halte den Atem an und weiß nicht, was nun passieren wird. Aber nachdem er das mit Erik erneut angesprochen hat, musste ich ihm reinen Wein einschenken. Er muss wissen, dass es keine Hoffnung für uns beide gibt. Und ich weiß, dass ich ihn nicht liebe. Was uns verbindet ist höchstens noch ein Fünkchen Vergangenheit und dass er immer da war, wenn ich seine Hilfe brauchte.

„Sag das nicht. Das kann nicht sein! Sie sagten mir, dass du für mich bestimmt bist. Dass wir ein gemeinsames Schicksal haben …“

Ich schlucke. „Ich bin Doppelträgerin, wie Julian, und wie du wahrscheinlich auch. Das hat mir eine Wahrsagerin erklärt. Wir tragen das Schicksal in uns, das uns miteinander verbindet. Mich mit dir, mich mit Julian. Aber wir haben alle noch ein zweites Schicksal. Und das gehört einem anderen Menschen. Julian hat sein zweites Schicksal gefunden … Michaela! Und ich habe meins, das mich klar mit Erik verbindet. Und für dich gibt es auch ein zweites. Du musst es dich nur finden lassen“, versuche ich ihm klarzumachen.

„Nein!“, faucht er aufgebracht. „Das stimmt nicht! Die haben mir nichts davon gesagt!“

„Weil sie dir nur erzählen, wovon sie meinen, dass du das wissen darfst. Sie werden dir nichts anderes sagen als das, was für sie von Nutzen ist. Aber ich war bei dieser Wahrsagerin und das schon, bevor diese Al Kimiys bei mir aufkreuzten“, versuche ich ihm einzubläuen.

Wieder ist es still in der Leitung und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen, das mir doch ans Herz geht. „Du bist mein einziges Schicksal“, schnieft Tim und ich schüttele den Kopf. „Nein, das stimmt nicht. Wir haben alle zwei Schicksale. Ich bin klar mit Erik verbunden. Und du weißt, es ist besser, wenn wir uns alle an unser zweites Schicksal halten.“

Dass ich noch mal so auf diese Schicksalsscheiße von dieser Frau Moinette herumreite hätte ich mir auch nicht träumen lassen.

„Nein, ich will das nicht! Und sie wollen auch nicht, dass du mit dem zusammen bist. Ich brauche bloß warten und sie werden das Regeln, dass du ihn nicht mehr willst. Und dann überlege es dir bitte noch mal. Ich flehe dich an! Wir gehören zusammen und ich will, dass du wieder zu mir zurückkommst. Du bist bisher immer wieder zu mir zurückgekommen.“ Mit jedem Satz wird seine Stimme dumpfer. „Und ich werde dafür kämpfen, dass du wieder bei mir sein wirst. Und wenn du nicht willst, werde ich dich holen“, knurrt er den letzten Satz.

 

„Tim, bitte!“, versuche ich ihn umzustimmen und stelle mit Entsetzen fest, dass mir nur noch ein Besetztzeichen entgegentönt.

Ich starre auf das Handy und frage mich, was passiert ist. Vielleicht wurden wir versehentlich getrennt und er ruft gleich wieder an. Aber nichts passiert und ich lege das Handy auf das Nachtschränkchen. Zehn Minuten will ich ihm geben, dann will ich den Anruf aus der Liste löschen und werde das Handy ausschalten.

Meine Armbanduhr zeigt mir an, dass es fast zwei Uhr ist. Jeden Moment kann Erik wiederkommen.

Ich lege mich in sein Kissen zurück und atme seinen Geruch ein. In mir steigt der Wunsch hoch, mich in seine Arme zu schmiegen und ihn zu spüren. Und die Zeit vergeht und Tim ruft nicht zurück.

So nehme ich das Handy wieder, lösche den Anruf daraus und schalte es aus. Es wieder in meine Schublade verstauend, habe ich nicht das Gefühl, dass mein Telefonat wirklich eine Hilfe für uns war. Ich kann nur hoffen, dass Erik davon nie erfährt.

Tims Worte schleichen sich immer wieder in meinen Kopf und hindern mich am Einschlafen. Sie werden das Regeln, dass ich nicht mehr mit Erik zusammen sein will? Wie? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Aber Tim klang da zuversichtlich.

Ich wälze mich im Bett hin und her und liege wach, bis endlich die Wohnungstür aufgeschlossen wird. Mich tiefer in seine Decke kuschelnd, warte ich, bis Erik ins Schlafzimmer kommt. Aber es dauert. Scheinbar geht er erst ins Badezimmer und dann in die Küche. Erst dann kommt er ins Schlafzimmer und sieht mich verwundert an. „Hallo, Schatz! Du bist ja wach!“, raunt er und ich sehe ihn von oben bis unten an, ob er irgendwelche Verletzungen oder zerrissene Klamotten aufweist. Seit er in Hamburg so zusammengedroschen wurde, habe ich das Gefühl, Erik passiert so etwas immer wieder, wenn ich nicht bei ihm bin.

Mein zweiter Gedanke gilt einem Knutschfleck, den ich aber nirgends ausmachen kann und ich schüttele über mich selbst den Kopf.

„Ich mache die Musik aus“, sagt er und kehrt in das Wohnzimmer zurück.

Dass er nicht zu mir kommt und mir einen Kuss gibt, macht mich stutzig. Und er wirkt nicht betrunken.

Die Musik geht aus, und das Licht im Wohnzimmer. Auch das Licht im Schlafzimmer löscht er, als er wieder zurückkehrt und ich mache die Nachttischlampe an.

Er kommt unsicher auf mich zu und ich werde noch misstrauischer.

„Hey, ich dachte du schläfst schon“, raunt er erneut und beugt sich über mich, mir einen Kuss gebend.

„Ich konnte nicht mehr schlafen, nachdem du mich angerufen hast“, antworte ich und er beginnt sich auszuziehen.

Ich beobachte ihn dabei und sehe ihn mir so genau an, wie das wenige Licht der Nachttischlampe es zulässt.

„Du liegst in meinem Bett“, raunt er und lacht leise und ich sehe seine Augen dunkel funkeln.

„Ja, ich fühlte mich einsam“, antworte ich ihm und er schiebt sich unter die Decke.

„Und, wie war´s?“, frage ich.

„Gut! Rene und David wollten wissen, was damals passiert ist, als ich nicht mehr zur Schule kam, und ich habe ihnen die ganze Story erzählt.“ Erik zieht mich in seinen Arm. „Aber … Schatz! Die beiden waren nicht allein gekommen. Sie hatten einen Bekannten mitgebracht. Der war eigentlich erst ganz lustig und locker drauf …“

Wie er den Typen erwähnt, das macht mich stutzig und ich sehe ihn an. Etwas stimmt nicht an ihm. Und er weicht meinem Blick aus.

„Ja?“, frage ich lauernd, weil ich das Gefühl habe, da kommt noch etwas Unerfreuliches nach.

„Gerrit heißt der. Und Rene kennt ihn erst seit kurzem.“

Erik druckst herum und das kenne ich von ihm nicht. Ich drücke mich aus seinem Arm und setze mich auf, was ihn noch unsicherer werden lässt.

„Erik, sag was los ist“, knurre ich und kann mir auf die Art, wie er von dem Typen spricht, keinen Reim machen. Wenn dieser Gerrit ein Weib wäre, wüsste ich was nun kommt.

„Poor, Schatz. Ich hoffe, du bist mir nicht böse“, sagt Erik und streicht mir mit dem Finger über den Arm.

Ablenkungstaktik.

„Erik!“, knurre ich und spüre den Druck in meinem Magen. „Was ist los?“

Erik antwortet nicht sofort und der Druck wird unerträglich. Dann sagt er: „Dieser Gerrit hatte Speed dabei und die haben mich echt bedrängt. Es war wirklich nur als Spaßmacher gedacht. Nur so just for fun.“

Ich bin sprachlos. Das ist, was in dem diffusen Licht nicht an ihm stimmt. Seine Augen!

Okay. Er hat wieder was genommen. Aber wenn es mehr nicht ist? Ich rechnete mittlerweile mit Schlimmeren.

„Schatz?“, fragt Erik verunsichert und ich raune: „Und das war´s?“

Er scheint irritiert zu sein. „Was heißt, das war´s? Ich dachte, das ist schon schlimm genug?“

„Wenn es nicht wieder mehr wird als mal … so just for fun, wie du sagst“, murre ich.

„Natürlich nicht!“, sagt er und fügt hinzu: „Es war schon komisch. Ich habe mich sonst mit dem Zeug immer unglaublich wohl gefühlt und meinte, ohne nicht stark genug zu sein und unfähig, mein Leben meistern zu können. Aber heute …“ Er sieht mir in die Augen und stützt sich auf den Ellenbogen ab. „Ich bekam echt so was wie eine Panikattacke. Deshalb habe ich dich angerufen. Ich hatte auf einmal das schreckliche Gefühl, nicht genug auf die Reihe zu bekommen, wenn es nötig ist. Und ich musste wissen, ob es dir gut geht. Ich hatte voll die Angst, dass ich nicht mehr fähig bin, klar zu denken und zu handeln. Schon verrückt!“

Erik im Drogenrausch … und gesprächig. Ich schließe kurz die Augen. Fast hatte ich das ein wenig vermisst. Aber nur ein wenig, denn er redet jetzt auch schon ohne Drogen mehr über sich und seine Gefühle.

„Ich sage ja! Bitte mach das nur mal, wenn du losgehst. Alleine losgehst. Dann kann ich damit leben.“

Seine Hand legt sich in meinen Nacken und er zieht mich erleichtert zu sich herunter und küsst mich. Als er mich wieder loslässt, weil er meine Gegenwehr spürt, sieht er mich fragend an. „Aber etwas sauer bist du schon?“, raunt er.

„Nicht wirklich! Ich habe nur ein bisschen Angst, dass du wieder rückfällig wirst.“

„Ach Schatz! Blödsinn!“

Ja, das sagt er jetzt.

Mir kommt ein anderer Gedanke. Etwas, auf das Tim mich gebracht hatte und das in meinem Hinterkopf mittlerweile wohl einige Gedankengänge zusammenfügte, die jetzt plötzlich hochpeitschen.

„Nicht das dir das so ergeht wie Marcel, und dir jemand so einen reinwürgt wie seine Ex das mit ihrer Aktion gemacht hat … und du mit deiner Sabrina.“

Erik sieht mich verständnislos an. „Was? Wie meinst du das?“

Ich formuliere vorsichtig meine Gedanken, die mir selbst neu sind und sich scheinbar erst aus meinen tiefsten Gehirnwindungen emporwühlen müssen. „Naja, sie setzen jemanden auf dich an, der dir Drogen aufdrängt … und was weiß ich noch alles.“

„Wozu soll das gut sein?“, fragt Erik murrend. Sein Kopf erfasst nicht, was ich ihm damit sagen will und was das mit Marcel zu tun haben soll.

„Um uns zu trennen! Ein paar Drogen hier … ein paar Mädels da … vielleicht noch ein paar Bilder dazu … und das war´s.“, sage ich und spüre, dass mich meine eigenen Gedanken überrollen und mein Magen zu schmerzen beginnt und mich Übelkeit beschleicht.

Und in Eriks Gesicht sehe ich, dass er langsam versteht, was ich ihm zu verstehen geben will.

Er setzt sich auf und schüttelt bedächtig den Kopf. „Mädels? Da waren keine!“, brummt er, aber ich höre wie betroffen ihn etwas macht. „Aber …“

Mir stockt der Atem. „Aber?“

„Ich bin nach Hause gegangen. Aber dieser Gerrit und meine Kumpels sind noch weitergezogen. Ich sollte mit! Aber ich hatte keinen Bock auf nackte Ärsche und Titten.“

Ihm muss in dem Moment seine eigene Ausdrucksweise erschrecken. „Sorry! Die wollten in eine Table Dance Bar. Gerrit wollte, dass ich mitgehe …“ Als fiele ihm etwas Schreckliches ein, knurrt er: „Scheiße!“, und sieht mich aufgebracht an.

Ich bin sprachlos. Mein Herz schmerzt bei dem Gedanken, dass er sich doch mit einer anderen eingelassen haben könnte und alles zerstört hat. Mein Magen beginnt zu krampfen und ich lege meine Hand beruhigend darauf, stehe schnell auf und gehe aus dem Schlafzimmer.

Dass es um mich herum duster ist, merke ich gar nicht. Ich muss nur weg. Luft holen! Mich fangen! Sie hatten es also getan. Und Tim hatte es mir gesagt. Und ich habe es nicht gleich geschnallt. Und Erik? Hatte er sich auf irgendwas eingelassen?

In meinem Kopf rotiert, dass er sagte, er wäre nicht mitgegangen.

Noch bevor ich die Badezimmertür erreiche, umfasst seine Hand meinen Arm und er zieht mich zurück.

„Hey, Schatz!“, stammelt er. „Ich schwöre dir, da ist nichts gewesen! Gar nichts! Mich kann kein Mädel locken. Ich bin doch auch nicht mitgegangen. Bitte!“

„Versprichst du mir, dass keine Bilder oder sonst was auftauchen werden?“, frage ich niedergeschlagen, weil mich der Gedanke schon fertigmacht.

Kurz scheint er irritiert. „Sicher! Da war nichts! Bitte glaub mir! Nur die Drogen. Und bitte sei mir deswegen nicht böse. Ich verspreche dir, dass ich nicht rückfällig werde.“

Erik muss plötzlich aufgehen, wie schnell alles zu Ende sein kann.

Ich ziehe meinen Arm aus seiner Umklammerung und nicke. Das ungute Gefühl bleibt und ich gehe ins Badezimmer und schließe die Tür hinter mir zu. Ich brauche eine Minute für mich, weil ich nachdenken muss.

Mich auf die Toilette setzend, streiche ich mir durch das Gesicht.

Verdammt! Das ist es also, was sie tun können. Vielleicht war das heute nur ein Zufall. Aber wenn sie es drauf anlegen, können sie Erik eine ganze Horde gutgebauter, wunderschöner Mädels auf den Hals schicken und sämtliche Drogendealer der Stadt. Ich muss, wenn er wieder klar denken kann, mit ihm nochmals darüber sprechen. Was er jetzt wirklich versteht, kann ich nicht beurteilen und ich weiß, dass mich einfach der Gedanke nicht loslassen will, dass er mir nicht die ganze Wahrheit sagt. Vielleicht war er doch mit in der Bar gewesen und morgen bekomme ich schon die ersten Bilder vor die Tür gelegt. Spät genug ist es dafür geworden.

Während ich spüle und mir die Hände wasche, weiß ich, dass ich stark sein muss. Ich darf dann nicht überreagieren. Aber kann ich das? Wenn ich doch bloß mehr vertrauen in Erik hätte. Und dass ich das nicht habe, entsetzt mich zutiefst. Ich sollte über allem stehen, bis ich eines Besseren belehrt werde.

Als ich aus dem Badezimmer komme, steht Erik nur mit seiner Boxershort bekleidet am Fenster und raucht eine Zigarette. Er dreht sich sofort um und sieht mich an.

Ich schüttele den Kopf. Die scheiß Drogen machen ihn wieder unempfindlich gegen alles.

„Verdammt, Erik! Willst du dir den Tod holen?“, zische ich und ziehe ihn vom Fenster weg. Schnell schließe ich es und sperre die kalte Nachtluft aus. Mich überkommt ein Schauer, der mir eine Gänsehaut über den Rücken treibt.

Er hält seine Zigarette hoch, als würde das doch alles erklären.

Ich nehme sie, gehe in die Küche und lasse Wasser darüber laufen.

Erik steht da, als hätte ich ihn ausgeschaltet. Nur sein Blick verfolgt mich und ich sehe in dem Licht der Wohnzimmerlampe seine Augen, die nur einen winzigen braunen Rand haben.

„Carolin! Ich bin ein Trottel“, raunt er.

Jedes seiner Worte in diese Richtung lässt sofort meinen Magen wieder rebellieren, weil ich mir denke, jetzt kommt seine Beichte, dass da doch ein Bild mit einem Mädel auftauchen kann. Aber ich habe das Gefühl, es nicht zu überstehen, wenn er mir jetzt derartiges beichtet.

„Komm, lass uns schlafen gehen. Morgen sehen wir weiter“, flüstere ich mit den immer wieder hochpeitschenden Gefühlen kämpfend.

Mit mir stimmt heute auch etwas nicht. Wo ist mein Vertrauen in Erik hin? Warum traue ich ihm das Schlimmste zu? Sollte ich nicht fest daran glauben, dass nichts unsere Liebe erschüttern kann!

Ich weiß plötzlich, dass die Al Kimiys schon einen kleinen Sieg davontragen und Tim sich freuen kann.

Im Bett zieht er mich an sich. Doch mehr will ich nicht. Als er mich küsst, beende ich den Kuss schnell und als er mich beginnt zu streicheln, halte ich seine Hand fest.

„Schlafen wir“, raune ich nur und weiß, das muss ihm durch Mag und Bein gehen. Noch nie hatte ich ihn so rüde zurückgewiesen.

„Schatz …!“, knurrt er widerwillig. „Ich liebe dich und habe nichts gemacht. Bitte!“

„Lass uns schlafen und morgen reden wir weiter. Ich bin nur etwas durcheinander und du vollgepumpt mit Drogen. Es bringt jetzt nichts. Also bitte!“, antworte ich ihm niedergeschlagen. Ich kann nicht ertragen, dass er leidet. Aber hier und heute finden wir keinen gemeinsamen Nenner mehr. Morgen will ich ihm in die Augen sehen und ihn noch mal fragen, ob ich mich auf etwas vorbereiten muss, dass sie gegen ihn verwenden können. Und wie er dann reagiert, wird mir hoffentlich die Möglichkeit geben, wieder Vertrauen in unsere Sache zu bekommen.