Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Unser Gespräch erneut aufnehmend, das ich schon fast vergessen habe, sagt sie: „Ich kenne den Bruder von Ellen nicht. Mich interessieren Männer nicht.“

Hatte sie deshalb so seltsam gelacht, als ich sie nach Erik fragte?

Ich sehe sie von der Seite her irritiert an. Mir ist nicht schlüssig, was sie damit meint, Frage aber nicht weiter nach. Mich beschäftigt viel mehr, dass ich bei ihr nicht in Sicherheit bin.

Wir essen und ich lasse den Blick immer wieder zur Tür und der großen Scheibe gleiten. Aber Erik taucht nicht auf und ich bin mir mittlerweile sicher, dass er nicht hinter mir her ist. Außerdem bin ich kaum interessant genug, um ihn mich durch die halbe Stadt verfolgen zu lassen. Er hat bestimmt besseres zu tun und seine Sprüche am Telefon sind nur seine dummen Psychospiele, die er gerne spielt. Und Ellen hatte mir erklärt, dass er ein riesen Problem mit dem weiblichen Geschlecht hat. Eigentlich hasst er Frauen und interessiert sich nur für sie, wenn er sie zum Druckablassen flachlegen kann. So hat sie sich zumindest ausgedrückt … und dass Erik wirklich böse wird, wenn sie hinterher auf mehr aus sind und ihn nicht in Ruhe lassen.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Mensch so sein kann.

Es ist noch nicht spät genug, um direkt zum Bahnhof zu gehen, als wir den Burger King verlassen und ich weiß nicht, was ich mit meiner Zeit noch anfangen soll. Dass Susanne mir das Essen ausgegeben hat, war wirklich nett. Aber sie ist etwas seltsam drauf. Sie hat mir alle möglichen Geschichten erzählt, die mich nicht interessieren, mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mal etwas mit Mädels anzufangen, was ich nur verneinen konnte, da ich schließlich fest vergeben bin und gefragt, ob wir mal zusammen ins Kino gehen wollen. Außerdem hat sie irgendwo in einem Randbereich der Stadt eine Wohnung, die sie mir zeigen will und ich könnte auch jederzeit bei ihr penne, wenn ich mal nicht nach Hause will.

„Was wollen wir jetzt machen?“, fragt sie nun und kommt mir dabei so nahe, dass mein Arm ihre übergroße, ziemlich tiefhängende Oberweite berührt.

Ich weiche etwas vor ihr zurück und raune: „Ich denke, ich gehe schon zum Bahnhof und fahre mit dem nächsten Zug nach Bramsche.“

Es ist vielleicht besser, wenn ich in Bramsche noch ein wenig herumlaufe oder bei Marcel im Garten auf ihn warte. Es ist ein lauer Sommerabend und dort erscheint es mir sicherer, als hier in der Stadt zu bleiben. Dass Erik in der Kneipe aufgetaucht war, hat mich ziemlich erschreckt und ohne Ellen fühle ich mich hier einfach nicht wohl.

„Schade! Ich dachte, wir können noch ein bisschen zu mir fahren“, sagt Susanne und grinst mich an.

„Ach, ich denke, es reicht für heute. Ich kenne mich hier auch nicht so gut aus, um nachher auch pünktlich wieder zurückfinde“, versuche ich ihr zu erklären, ohne ihr irgendwie das Gefühl einer Abfuhr geben zu wollen. Aber sie möchte nicht allein nach Hause gehen, dass sehe ich ihr an ihrem enttäuschten Gesicht an.

„Aber ich dachte, du fährst erst mit dem Zug um zehn? Das sind noch fast anderthalb Stunden. Zu mir fährt alle 10 Minuten ein Bus. Wir sind ganz schnell da. Und die Bushaltestelle ist fast direkt vor meiner Tür“, versucht sie mich zu überreden und ihre blauen Augen mustern mich funkelnd, keine Widerrede duldend.

Susanne hat etwas an sich, das mir nicht nur etwas unsympathisch ist, sondern mich auch verunsichert. Ich will auf gar keinen Fall mit zu ihr fahren.

Wieder tritt sie nah an mich heran und erneut spüre ich ihre Masse an meinem Arm.

„Tut mir leid, aber ich habe wirklich für heute genug. Mir reicht es zum Bahnhof zu gehen und fertig“, brumme ich.

„Okay, dann bringe ich dich da hin“, schwenkt sie plötzlich um und stampft los. Ich folge ihr, etwas irritiert über ihren Sinneswandel und vergesse sogar Ausschau nach Erik zu halten.

Wir gehen durch die Unterführung, die ich schon kenne und durch die ich schon oft ging, wenn ich zum Bahnhof wollte. Somit muss ich auf dem richtigen Weg sein.

Auf der anderen Seite kommen wir wieder beim Busbahnhof am Neumarkt heraus und Susanne nimmt meinen Arm und zieht mich mit. Sie redet und redet, als müsse sie mir noch schnell alles erzählen, was sie als für mich Wissenswert erachtet. Wir gehen durch die Straße, an der die Busse stehen und auf ihre Abfahrt warten.

„Oh, schau! Da ist sogar mein Bus! Komm, den kriegen wir noch“, ruft sie plötzlich und reißt mich mit sich mit.

Vor der Bustür, die geschlossen ist, bleibt sie stehen und drückt einen Knopf, der die Tür öffnet. „Komm, schnell“, sagt sie fröhlich, als hätten wir eben beschlossen, zu ihr zu fahren, greift nach meinem Arm und zieht mich in den Bus hinein.

Ich stolpere die Stufe hoch und versuche mich loszureißen. „Ich will aber zum Bahnhof und nicht noch woanders hin“, rufe ich panisch aus. Die Angst packt mich, dass sich die Tür hinter mir schließt und der Bus mich mitnimmt.

In dem Moment werde ich auch schon aus dem Bus auf den Gehsteig gezogen.

„Du haust mir nicht ab“, höre ich Erik hinter mir wütend zischen.

Die Bustür schließt sich und Susanne sieht mich irritiert an.

Ich bin nicht weniger irritiert als sie und sehe aufgebracht in Eriks braune Augen, die mir unfreundlich entgegenstarren.

„Aua, du tust mir weh!“, fauche ich, weil ich nicht fassen kann, was mir gerade geschieht. Dass Susanne mich in ihren Bus gezogen hatte, macht mich schon wütend. Aber dass Erik plötzlich auftauchte und mich wieder rauszog, weil er glaubt, ich will vor ihm davonlaufen, das nimmt mir fast die Luft vor Wut. Kann hier jeder mit mir machen, was er will? Und wo kam der jetzt so plötzlich überhaupt her?

Der Bus fährt los und Susanne sieht mich mit säuerlicher Miene an, winkt dann aber, sich wohl nicht sicher, wer von den Jungen aus meiner Geschichte mich aus dem Bus zerrte. Marcel hatte sie schließlich schon einmal gesehen. Vielleicht denkt sie, dass ist jetzt Tim?

Ich reiße mich von Eriks festem Griff los und schmeiße ihm meine Tasche vor die Füße, um meine aufsteigende Angst zu kontrollieren. Dabei zische ich aufgebracht: „Sag mal, was soll das?“

Ich versuche nicht in meinen Kopf dringen zu lassen, warum Erik mich abfing. Er will mich bestimmt wegen meiner großen Klappe langmachen und lässt offensichtlich nichts auf sich sitzen. Ellen hatte mich mehr als einmal vor ihm gewarnt.

Aber Eriks eben noch wütender Blick wirkt plötzlich eher verdrossen. „Du wolltest doch nicht mit der mitfahren, oder?“, fragt er.

Ich schüttele den Kopf. Um meine Unsicherheit zu überspielen, starre ich ihn aus zusammengekniffenen Augen an, damit er glaubt, ich bin wirklich wütend. Aber antworten kann ich ihm nicht. Meine Stimme ist bestimmt nicht mehr als ein Piepsen.

„Das denke ich mir. Die ist stocklesbisch! Was meinst du, was die mit dir vorhatte?“, raunt er und lässt seinen Arm sinken, den er immer noch hinter meinem Rücken in Angriffsstellung hielt.

Also, das über einen Jungen zu hören, das ist für mich völlig okay. Aber dass ein weibliches Wesen einem anderen an die Wäsche gehen würde, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Dass ich ihm das nicht glaube, sieht Erik wohl an meinem Blick. Ich sehe ungläubig dem Bus hinterher, als könnte ich von dort die Antwort erhalten.

„Das ist unglaublich! Wie kann man nur so naiv sein?“, brummt er, nun selbst wieder völlig selbstsicher. „Weißt du eigentlich irgendwas?“, schnauzt er.

Nun werde ich wirklich wütend. „Ja, dass ich jetzt zum Bahnhof gehe und nach Hause fahre“, fauche ich und im nächsten Augenblick wird mir klar, wie blöd wir uns hier aufführen. Wir stehen uns wie zwei Kampfhähne gegenüber. Ich, klein und zierlich … er, groß und behäbig. Und doch beide mit funkelnden Augen und zusammengeballten Fäusten, als wollen wir uns einen Kampf liefern.

Plötzlich verliert er seine überhebliche Haltung. „Ich bringe dich da hin. Man kann dich nicht mal hier alleine laufen lassen“, brummt Erik und hebt meine Tasche auf. Er sieht mich seltsam an und schüttelt den Kopf.

Nun bin ich verwirrt. Er will mich zum Bahnhof bringen? Wieso?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm wirklich trauen kann. Mir schwirren die Worte von Ellen im Kopf herum und was sie alles über ihn gesagt hatte. Da war nichts Gutes bei. Aber er hat meine Tasche und sieht mich aus seinen braunen Augen eher resigniert an. Ich kann seinen Blick nicht deuten und mir schon gar nicht vorstellen, was in ihm vorgeht.

Meine Wut verraucht allmählich. Schließlich ist das Ellens Bruder und ich möchte keinen Krieg mit ihm führen. Dafür ist mir Ellens Freundschaft und Wohlergehen zu wichtig.

„Okay“, raune ich. „Wenn du willst!“

„Ich würde das nicht sagen, wenn ich es nicht wollte“, murrt er und mustert mich durchdringend. Dann wirft er einen argwöhnischen Blick auf die Leute um uns herum.

Ich will ihm meine Tasche abnehmen, aber er lässt das nicht zu. Das irritiert mich noch mehr.

„Die ist doch viel zu schwer für so eine halbe Portion“, brummt er als Erklärung und sieht mich nicht an. Dafür geht er langsam an den Haltestellen vorbei den Bürgersteig entlang. Ich muss ihm wohl oder übel folgen.

„Danke!“, raune ich leise und meine Verwirrung nimmt kein Ende. „Eigentlich bringt Ellen mich immer zum Bahnhof“, sage ich, um einfach etwas zu sagen. „Aber die musste weg.“

Wir überqueren die nur für Busse zulässige Straße und biegen bei einer Kirche in einen engen Durchgang ein. Erik sieht mich seltsam an und ich bin mir plötzlich sicher, er weiß das schon. Hatte er das Ganze inszeniert?

„Ich erzähle dir nichts Neues, oder?“, wage ich meinen Unmut über meine neue Erkenntnis ihm an den Kopf zu werfen. Irgendetwas an ihm scheint mich immer zu provozieren. Vielleicht, weil ich ständig das Gefühl habe, er fuscht in meinem Leben herum. „Und komischerweise bist du dann plötzlich aufgekreuzt. Was für ein Zufall.“

 

Es dauert einige Zeit, bis er antwortet. Vielleicht überlegt er, was er sagen soll. Welche Ausrede er benutzen soll.

„Nein, das war ein wohl überlegter Plan. Nicht leicht umzusetzen, wenn man nicht weiß, wo ihr steckt und man den Dickkopf meiner Schwester überlisten muss“, meint er dann aber zu meiner Überraschung völlig ruhig.

Mir fällt die Kinnlade runter. Mit so viel Ehrlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Psychoscheiß?

Ich bin sprachlos und Erik lächelt überheblich. Dabei streicht er schnell eine Locke aus seinem Gesicht.

Wir gehen weiter nebeneinander her. Dabei sehe ich mich schnell um und bin mir sicher, dass er mit mir auch den richtigen Weg nimmt. Ich erkenne die Straße, die zum Bahnhof führt, wieder. Das beruhigt mich ungemein und ich sehe den jungen Mann neben mir mit anderen Augen an. Zumindest ist er nicht nur entwaffnend ehrlich, sondern hält auch sein Versprechen. Alles nichts, was ich erwartet hatte.

Sein Blick trifft meinen. Seine Locken liegen heute ungebändigt um seinen Kopf und eine fällt ihm erneut ins Gesicht. Er sieht gut aus, so braungebrannt und heute mal mit etwas freundlichem Gesichtsausdruck.

Ich sehe schnell vor mir auf den Gehweg.

„Musst du sofort fahren oder kann ich dich noch auf etwas einladen?“, fragt er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme, als wisse er nicht, ob er das wirklich tun will.

Als wir um die nächste Ecke biegen, sehe ich vor mir den Bahnhof an der nächsten Kreuzung auftauchen.

„Ich muss nicht unbedingt den nächsten Zug nehmen. Erst den um zehn“, antworte ich zurückhaltend, weil ich mir auch nicht sicher bin, ob ich das wirklich sagen soll. Ich bin etwas überrascht über uns.

„Gut!“, sagt Erik und wirkt auch überrascht. Mit einem verhaltenen Lächeln in den Mundwinkeln nimmt er meinen Arm und zieht mich auf die andere Straßenseite, ohne auf den Verkehr zu achten. „Ich kenne ein nettes Cafe hier am Bahnhof.“

Tatsächlich gehen wir in ein Cafe, direkt mit Blick auf das große Bahnhofsgebäude, was mich beruhigt. So kann eigentlich nichts passieren. Ich kann mich zumindest nicht verlaufen und den Zug verpassen.

Wir setzen uns an einen kleinen Tisch am Fenster. Zu meiner Überraschung stellt Erik meine Tasche ab und rückt mir den Stuhl zurecht, bevor ich mich setze.

„Danke!“, sage ich etwas verlegen.

„Bitte!“, sagt er und setzt sich mir gegenüber. „Was darf ich dir bestellen? Die bieten hier auch Essen an? Oder was du möchtest“, sagt er und sieht mich mit einem Blick an, der fast schon nett wirkt.

Ich bin wieder etwas verwirrt und schüttele den Kopf. „Bitte nichts zu essen. Ein Cappuccino wäre gut!“

Erik bestellt bei einer superschlanken, dunkelhaarigen Kellnerin zwei Cappuccino und grinst mich plötzlich an. „Wenn Ellen uns sehen würde, dann wäre ich bestimmt ein toter Bruder.“ Er lacht leise und mir wird klar, dass er auch freundlich wirken kann.

„Ach Quatsch! Sie fand es total nett von dir, dass du dich bei ihr entschuldigt hast“, sage ich und sehe an seinem überraschten Blick, dass er sich das nicht denken kann.

„Doch wirklich! Sie fand das echt nett von dir. Aber bitte mach das auch nicht wieder“, bitte ich ihn und schenke ihm ein Lächeln.

Erik sieht mich verwirrt an und sein Blick wird hart. Dieser schnelle Stimmungswechsel verunsichert mich.

„Was soll ich nicht mehr machen?“, braust er auf.

Oh Mann! Warum kann ich meine Klappe eigentlich nicht halten?

Die Kellnerin bringt unsere Cappuccinos und lächelt uns freundlich an.

„Danke!“, sage ich und lächele zurück. Warum bin ich eigentlich immer die, die nett zu Kellnerinnen ist, statt meine Tischgenossen. Ich muss an Marcel denken, der an dem schrecklichen Sonntag auch nicht nett zu der Bedienung in der Eisdiele gewesen war. Was werde ich froh sein, wenn er mich heute Abend in seine Arme schließt und ich all dem hier entkommen bin.

„Ellen verletzen, wenn dir etwas nicht passt. Und schon gar nicht wegen mir“, sage ich leise und sehe Erik nicht an.

Der reißt mit einem mürrischen Gesichtsausdruck seine Zuckertüte auf und der Zucker verteilt sich über den ganzen Tisch.

Ich reiche ihm meine und er sieht mich aufgebracht an.

„Naja! Auf dem Tisch nützt er dir nichts“, erkläre ich leise.

Wird er jetzt richtig wütend? Ich wage kaum, ihm ins Gesicht zu sehen. Als ich es doch mache, bin ich überrascht. Diesmal kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl seine Augen noch ernst bleiben.

„Danke! Du machst mich echt fertig. Noch nie hat jemand so etwas zu mir gesagt. Nicht mal Ellen! Und die traut sich schon viel zu viel.“

Oweh! Also traue ich mich auch zu viel?

Ich versuche von dem Thema abzulenken. Doch ich brauche einige Momente, um ein anderes zu finden.

„Am Samstag … wie hieß das Lied auf deiner Party noch mal?“, versuche ich seine Aufmerksamkeit auf etwas Unverfängliches zu lenken, aus dem Wunsch heraus, den Abend ungeschoren zu überleben.

Er weiß sofort, was ich meine und antwortet: „Blueneck mit Lilitu.“ Sein Blick verliert alle Härte und das Braun seiner Augen verdunkelt sich um eine winzige Nuance. Um seinen Mund tritt ein weicher Zug. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der im Nullkommanix so auf ein Lied und ein Video abfährt. So viele Drogen kann ich gar nicht einwerfen, dass mir das mal passiert“, raunt er, sich bei dem letzten Satz über den Tisch beugend, damit nur ich ihn höre.

„Hm, Blueneck. Okay. Kann ich mir merken. Und wegen der Drogen …, das war echt nicht fair. Du hättest mich wenigstens aufklären können“, flüstere ich, mich auch vorbeugend.

„Aufklären? Über was?“, fragt er süffisant und grinst.

„Das ich da gerade Plätzchen mit Hasch esse“, flüstere ich wieder, mich kurz vergewissernd, dass uns keiner zuhört.

„Konnte ich ahnen, dass du dich da sofort draufstürzt?“, fragt er übertrieben betroffen.

Ich sehe ihn über den Tisch hinweg mit einem besserwisserischen Schmunzeln an, dass ihm klar zeigen soll, dass ich Bescheid über seine angebliche Unwissenheit weiß.

Er grinst. „Okay, ich habe das in Kauf genommen … vielleicht habe ich das auch gehofft … und auch ein wenig herausgefordert.“

Ich sehe ihn groß an. „Also eins muss ich dir ja lassen, du kannst entwaffnend ehrlich sein.“ Ich muss lachen und meine Nervosität ebbt etwas ab.

Er wird sofort ernst. „Eigentlich nicht meine Masche. Schon gar nicht bei Frauen.“

Es wird Zeit, erneut das Thema zu wechseln. Schnell überlege ich, worüber wir sonst sprechen können, was ihn nicht aufbrausen lässt.

„Ich habe gehört, du hast Psychologie studiert? Interessiert dich, wie der Mensch so tickt oder warum?“

„Das und anderes“, sagt er zurückhaltend und versucht das Thema von sich aus nun zu wechseln. Scheinbar möchte er darüber nicht reden. Doch das, was er nun anspricht, macht mich nervös. „Wie läuft es mit deinem Ex und nun nicht mehr Ex? Oder ist er wieder der Ex?“

Das ist eigentlich nichts, worüber ich mit ihm reden will. Aber mir bleibt nichts anderes übrig. „Nicht mehr Ex. Wir sind wieder fest zusammen“, sage ich und beobachte vorsichtig seine Reaktion. Mehr möchte ich ihm nicht erzählen, doch sein Blick sagt mir, dass ihm das nicht reicht.

Ich trinke meinen Cappuccino aus und schaue auf die Uhr. Wann kann ich endlich diesem Verhör entgehen?

Mit dem Gespräch über mein Liebesleben fühle ich mich, so Auge in Auge, überfordert und kann sein Interesse nicht einordnen.

„Was ist an dem besonderes, dass du so auf den abfährst?“, fragt Erik und setzt sich zurück. Er wirkt lauernd wie ein Tiger, der testen will, wie schnell seine Beute ist.

Es entsetzt mich, dass er mich so direkt über meiner Beziehung ausfragt und ich habe das Gefühl, er will Marcel angreifen. „Ich glaube nicht, dass ich über Marcel reden möchte“, raune ich, dass „mit dir“ mir verkneifend und setze mich auch zurück, wieder einen Blick auf meine Uhr werfend. Die Zeit scheint still zu stehen. Ich schüttele kurz das Handgelenk, aber die Zeiger laufen auch nicht schneller weiter.

„Hm, dann kann er dir nicht viel bedeuten, wenn du nicht mal über ihn reden willst.“

Psychoscheiß, den ich auf mir und Marcel nicht sitzenlassen will.

Ich hole tief Atem und raune: „Ich liebe ihn. Er ist liebevoll, ehrlich, gutmütig, beliebt, treu, total hübsch und er hat mir das Leben gerettet. Reicht dir das?“, frage ich schnippisch und hoffe, ihm damit den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Ohne auf meine Antwort großartig einzugehen, sagt er überheblich: „Okay, das ist schon viel. Aber das Wichtigste fehlt!“ Erik setzt sich wieder dicht an den Tisch und sieht mir durchdringend in die Augen. „Wie ist er im Bett?“

Das geht zu weit. Ich ziehe entsetzt die Luft ein. Das geht ihn gar nichts an. Aber an seinem zufriedenen Blick sehe ich, dass er das macht, um mich zu verunsichern. Ich atme erneut tief ein, nehme meinen ganzen Mut zusammen und setze mich auch dicht an den Tisch, um ihm zu antworten. „Absolut liebevoll, zärtlich und der Hammer.“

Meine Worte scheinen Erik zu treffen. Er setzt sich abrupt zurück, als hätte ich ihn geschlagen. Dass ich ihm das so unverblümt reindrücke, damit hatte er wohl nicht gerechnet.

„Fertig mit deinem Verhör?“, frage ich und fühle mich gut. Ihn so sprachlos zu sehen freut mich. Doch sein Gesichtsausdruck wirkt plötzlich verschlossen und resigniert. Irgendwas stimmt mit ihm nicht.

„Magst du noch einen Cappuccino?“, murmelt er.

„Nein Danke! Ich muss zum Zug“, sage ich und greife nach meiner Tasche.

„Ich bringe dich! Warte! Ich zahle nur schnell!“

Ich schenke ihm ein Lächeln. „Das brauchst du nicht. Von hier aus finde ich den Weg auch allein.“ Ich zeige zum Bahnhof, der sich vor uns erhebt und stehe auf. „Danke für den Cappuccino und dass du mir den Weg gezeigt hast.“

Der Blick, der mich trifft, hat alle Härte verloren. Er nickt nur und sieht mich unschlüssig an, während ich an ihm vorbei zum Ausgang gehe. Als ich an seinem Fenster vorbeikomme, winke ich ihm kurz zu, bevor ich zum Bahnhofsgebäude gehe. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken und denke mir, dass das Gespräch doch gar nicht so schlecht gelaufen ist. Und ich dachte, er würde mich vierteilen wollen … zumindest nach den zwei Telefonaten mit ihm. Alles nur reiner Psychoscheiß.

Als ich durch die Tür in den Bahnhof gehe, ist er plötzlich wieder neben mir und zieht mir die Tasche aus dem Arm. „Ich denke, ich bringe dich besser zum Zug, dann quatscht dich keiner an.“ Er wirft einen Killerblick um uns herum und fixiert jeden, der im entferntesten Angreiferpotenzial entwickeln könnte.

Ich erwidere nichts, sondern lächele nur verhalten. Wenn ich das Ellen erzähle, fällt sie um.

Ich steuere direkt auf meinen Bahnsteig zu und er folgt mir. Aber scheinbar hat er meine Gedanken erraten, denn als wir uns am Bahngleis in eine Nische stellen, um dem Wind etwas zu entgehen, sagt er mit einem zurückhaltenden Lächeln: „Sag meiner Schwester bitte nichts von heute. Sonst ist mein schlechter Ruf ruiniert.“

Ich weiß nicht, ob ich ihm diesen Gefallen tun will. Schließlich hat er heute gezeigt, dass er gar nicht so schlimm ist, wie alle glauben.

„Das kann ich dir nicht versprechen. Schließlich hat sie eine verdammt schlechte Meinung von dir und die kann ich eigentlich so nicht stehen lassen“, sage ich deshalb.

Sein Blick wird ernst. Aber er nickt nur und einen Moment blitzt etwas in seinen Augen auf, dass ich nicht ergründen kann.

„Wohin bringt dein Zug dich überhaupt?“, fragt Erik nach einiger Zeit des Schweigens.

„Jetzt? Nach Bramsche.“

„Und sonst?“

„Bersenbrück.“

„Hm, kenne ich nicht. Ist das weit weg?“

„Was ist weit? Keine Ahnung! 40 Kilometer oder so!“

„Und du wohnst in …?“

„Ankum.“

„Und du fährst jetzt nach Bramsche, weil …?“

Ich sehe ihn an und weiß nicht, ob ich ihm das sagen will. Er war bisher nett.

Doch er sieht mich abwartend an und ich muss etwas sagen. „Weil dort mein Freund wohnt.“

Er nickt nur und sieht das Bahngleis entlang, auf dem ein Zug langsam einfährt.

„Ich denke, das ist meiner.“ Ich schaue auf die Uhr. „Joop!“

Der Zug hält neben uns und die Tür geht auf. Ich drehe mich zu Erik um und schenke ihm ein Lächeln, während ich ihm meine Tasche abnehme, die er immer noch festhält. „Danke fürs bringen.“

 

Er nickt nur und lächelt verhalten. „Ist eigentlich nicht meine Art.“

Ich drehe mich um und steige schnell in den Zug ein. Mir einen Platz suchend, sehe ich zum Bahnsteig. Aber Erik ist schon weg.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?