Auf ihren Spuren

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Aus der Reihe: Cecilia Hyde #1
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Ich sehe ihn nur an und verstehe nichts.

Marco setzt sich in dem Sessel zurück und trinkt sein Bier leer. „Du hast keinen Plan, von was ich rede, oder?“, fragt er.

Ich schüttele den Kopf und er nickt verstehend. Dann raunt er: „Egal. Also, was treibt dich wirklich hier her? Hat Cecilia dir gesagt, dass du mich aufsuchen sollst, wenn was ist?“ Es scheint fast, als wäre das eine Hoffnung für ihn.

Ich verstehe immer weniger. Aber ich schüttele den Kopf und erkläre: „Michelle brachte mir ein paar Sachen von Mama und erwähnte dich als irgendwie mitbeteiligt bei dem Internetcafe.“

„Michelle? Das ausgerechnet sie uns beide zusammenbringt!“

Das klingt nun wieder wütend und ich beeile mich zu erklären: „Nein, sie erwähnte, dass du der PC Spezialist bist und ich dachte mir, dass du dann vielleicht auch …“ Mir fällt ein, dass er meine Lüge schon durchschaute und wahrscheinlich beim ersten Blick auf den Laptop herausfinden wird, dass wir ihn schon nach Mamas Tod in der Mangel hatten. Darum schwenke ich um. Das bringt so auch nichts. Entweder Marco hilft mir oder nicht. Ich muss es aber zumindest versuchen. „Naja, ich sagte ihr, dass ich Probleme mit meinem PC habe und deine Nummer haben möchte. Da gab sie sie mir.“

Die grünen Augen mustern mich nur und ich fühle mich genötigt zu erklären: „Ich hoffte, dass du mir etwas über Mama erzählen kannst.“

„Ob ich dir was?“, braust er auf. „Joel, wenn ich eins weiß, dann, dass Cecilia nicht wollte, dass du von mir irgendwelche Belehrungen bekommst, über was auch immer. Oder warum glaubst du, hat sie mich nie gebeten, mich um dich zu kümmern?“

Ich verstehe seine „Kümmer-Geschichte“ nicht. Irgendwie klingt es, als wenn er wütend ist, weil meine Mutter ihn nicht als meinen Babysitter eingespannt hat.

„Sie wusste doch nicht, dass das nötig werden wird. Und ich brauche auch niemanden. Ich will nur mehr über Mama erfahren. Was sie so machte und so …“

Marco starrt mich an. Dann raunt er leise: „Was glaubst du, was sie machte. Sie hatte ihre Anteile im Cafe und arbeitete auch dort.“

Ich schnaube verächtlich, was sich seinen Blick ändern lässt. Er kneift die Augen seltsam zusammen, als wolle er mir eine reinhauen. Doch dann steht er auf und geht zur Zimmerbar und nimmt sich noch ein Bier. Er kappt den Deckel und ich erstarre, weil er ihn wegschnippt und keinen Flaschenöffner in der Hand hat. Mir war vorher nicht aufgefallen, wie er unsere ersten Biere geöffnet hatte. Dann geht er zum Fenster zurück und trinkt fast die halbe Flasche leer. Ich spüre regelrecht die Anspannung zwischen uns.

Plötzlich sagt er und seine Stimme klingt unendlich traurig: „Ich habe sie geliebt. Nur sie. Niemanden sonst auf dieser beschissenen Erde und ausgerechnet sie hat es erwischt. Sie war ein guter Mensch, der das nicht verdient hat. Sie hat so ein Leben nicht verdient und dennoch glaubte sie, dass es für sie so und nicht anders richtig ist. Nur du verschissener kleiner Scheißer warst das einzige, was sie auf Plan halten konnte. Sie war so krank, so durchgeknallt und doch so genial. Und ich wollte ihr alles geben, aber sie wollte von mir nichts, außer ihre Freiheit.“ Er dreht sich zu mir um. „Und was bleibt mir? Der kleine verschissene Scheißer.“

Ich starre den Mann am Fenster an. Meint er mich?

„Ich komme allein klar“, sage ich und klinge selber auch nicht mehr freundlich. Das der Typ mich kleiner, verschissener Scheißer nennt, ärgert mich maßlos. Ich bin kaum einen halben Kopf kleiner als er und kann auch so aussehen, wenn ich unsere Geräte mehr beutele.

„Das weiß ich. Du bist wie Cecilia. Bist ja auch ihr Fleisch und Blut.“ Mit wenigen Schritten ist er bei mir und beugt sich zu mir herunter. Sein Blick scheint mich durchbohren zu wollen. „Aber wie weit reichen ihre Gene? Was schlummert in dir? Was? Sag es mir!“, die letzten Worte brüllt er mir entgegen, dass ich in dem Sofa immer kleiner werde.

„Ni… nichts“, stottere ich erschrocken. „Ich wollte nur herausfinden, ob Mama Jeannie ist und von was sie sich die Wohnung leisten konnte.“

Marco richtet sich auf, als hätte ich ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und seine hellbraune Haut wird aschfahl. „Scheiße Joel!“, stammelt er. „Scheiße, scheiße, scheiße!“ Er geht zum Fenster und trinkt sein Bier leer. Dann knallt er es auf die Fensterbank. „Scheiße, scheiße, scheiße!“

Langsam dreht er sich zu mir um und sieht mich an, als hätte ich ihm eine reingehauen. „Joel, woher weißt du das?“ Er klingt völlig geschockt.

Ich starre ihn nur an und mag gar nichts mehr sagen. Seine Reaktion erschreckt mich zu sehr, als das ich auch nur noch ein Wort sagen will.

Marco sieht mir wohl an, dass ich mich ziemlich unwohl fühle und wirft sich wieder in seinen Sessel. Dann springt er allerdings wieder auf und holt aus der Bar eine Flasche und zwei Gläser. Sich wieder in den Sessel werfend, schüttet er die braune Flüssigkeit in die Gläser und schiebt mir ein Glas hin. Er greift nach seinem und trinkt es in einem Zug leer, verzieht das Gesicht und schüttet sich noch einen ein. Dann nickt er. „Jetzt weiß ich, warum du hier bist. Du willst Antworten!“

Ich nicke und trinke mein Bier aus. Da Marco mir schon wieder etwas Neues hingestellt hat, halte ich das für angebracht. Aber ich rühre das Glas nicht an.

Erneut nickt Marco und sieht mich nur an. Dann murmelt er: „Verdammt Joel. Ist dir klar, dass Cecilia dich genau davor bewahren wollte?“

„Wovor?“, frage ich.

„Vor dem, was sie tat und was sie war.“

Ich schüttele verständnislos den Kopf. „Aber wieso? Was tat sie denn und was war sie?“ Meine Stimme klingt, als hätte man mich gerade kastriert.

Es dauert, bis Marco endlich erklärt: „Sie hatte immer Angst, dich zu versauen. Sie wollte, dass du ein Mädchen triffst, dich verliebst, Sex mit ihr hast, Kinder zeugst und eine Familie gründest, mit ihr alt wirst und stirbst.“

Ich starre den Mann an und weiß, dass er recht hat. Aber ich verstehe nicht, warum meine Mutter das offenbar allen und jedem erzählt hat. Warum war sie so erpicht darauf, dass ich so ende?

„Sie dachte, das ist alles, was glücklich macht. Dabei hat sie selbst nie so leben können. Niemals. Sie hatte dich, ja! Aber alles andere war für sie nicht machbar. Sie brauchte selbst so viel mehr. Und dennoch glaubte sie, dass du nur glücklich wirst, wenn du mit dem großen „Erste Liebe und forever“ Scheiß lebst. Sie glaubte, wenn man auf diese Art sein Leben beginnt, dann bleibt man rein und unversehrt.“

„Aber Mama war doch auch nicht so!“, sage ich entrüstet, weil sie offensichtlich etwas für mich wollte, was sie für sich für inakzeptabel hielt.

Marco schüttelt resigniert den Kopf. „Nein, sie war nicht so. Aber sie haderte deshalb auch ständig mit ihrem Schicksal. Sie meinte, sie hätte so sein müssen. Aber in ihrem Innersten war etwas, dass wollte keinen Sex unter der Decke, im Dunkeln und dreißig Jahre mit dem einen Mann. Vielleicht sehnte sie sich tief in ihrem Inneren nach der einen großen Liebe und war nur traurig, weil sie sie nie fand. Nicht mal bei mir!“ Den letzten Satz spuckte Marco regelrecht in den Raum und mir wird klar, er muss meiner Mutter wirklich gemocht haben.

Er sieht mich wieder an, wohl von seinem Ausbruch selbst erschrocken und stößt grinsend an mein Glas.

Ich nehme es und trinke einen Schluck. Es ist Whiskey pur. Ich trinke den höchstens mit Cola. Nun brennt mir das Zeug unverfälscht durch meine Speiseröhre.

Als ich mich erholt habe, bestätige ich ihm: „Ja, Mama wollte die Liebe für alle und vor allem für mich. Aber sie glaubte, dass es sie für sie nicht gibt. Das Thema hatten wir oft. Sie sagte immer: Joel, verlieb dich in ein ganz tolles Mädchen und habe erst Sex, wenn die Liebe gegenseitig und echt ist.“ Ich schaffe, etwas Spott in meine Ausführung zu legen und Marco lächelt versonnen. „Ja, so war sie. Alle Liebe für Joel. Nur für Joel. Soll der Rest der Welt doch lieblos zugrunde gehen.“

Ich bin etwas irritiert über seine Worte. Irgendwie klingen sie, als würde er mich dafür verurteilen. Doch er nickt versonnen, trinkt einen großen Schluck und fragt: „Und? Hast du das Mädchen gefunden? Hat Cecilia sie noch kennengelernt?“

Ich sehe ihn verunsichert an. Warum fragt er das? Dann schüttele ich den Kopf.

„Nein?“ Ein lautes Lachen setzt ein und erfüllt den Raum. „Du hast selbst auch nicht so begonnen? Was für eine Enttäuschung für Cecilia. Und dennoch scheinst du ganz normal geworden zu sein.“

Ich trinke noch einen großen Schluck und muss mit der brennenden Flüssigkeit in meiner Kehle kämpfen.

Marco schlägt sich auf die Beine und ruft: „Naja. Cecilia konnte viel bestimmen, aber halt nicht alles. Aber jetzt erklär mir, warum du Jeannie kennst. Das ist erschreckend und nicht gut. Wenn sogar du das herausfinden konntest, haben wir ein Problem.“

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Darum sage ich erst noch nichts und trinke lieber mein Glas leer. Mittlerweile brennt das Zeug nicht mehr so und alles in mir fühlt sich angenehm warm an.

„Ist noch etwas auf dem Laptop?“ Marco zeigt auf das Gerät auf dem Tisch.

Ich nicke und er wird ernst. „Was? Das kann nicht sein!“

„Der Tor Browser.“

Marco sieht mich überrascht an. „Nur der Tor Browser? Mehr nicht. Aber damit hast du doch nicht Jeannie gefunden. Das kann nicht!“, murrt er entrüstet.

„Ich habe auch noch Mamas alten Laptop aus dem Cafe. Da habe ich ihren Lycos Account gefunden.“ Ich schlucke schwer, weil ich mir wirklich nicht sicher bin, was passiert, wenn ich Marco sage, wie ich von Jeannie erfuhr. Wird er mich dann an die Wand stellen und lunchen?

„Ja und? Den kenne ich auch. Aber da ist doch nichts drinnen, was Jeannie verrät. Gar nichts.“ Marco scheint wirklich langsam wütend zu werden. „Also sag, wie hast du es herausgefunden? Ich muss das wissen. Unbedingt!“

 

Ich schlucke schwer und spüre, dass das Bier und der Whiskey langsam in meinem Kopf Wellen schlagen. „Mich sprach ein Typ an, der Mama wohl kannte und der hat etwas von dunkler Seite und so geschrieben und dass er seine Antwort auf seine Probleme gefunden hat. Dann gab er mir die Adresse einer Internetseite …“

„Er gab dir die Seite von Jeannie?“

Ich glaube, Marco muss erst überzeugt werden, dass es sich so abgespielt hat. „Ja. Ich schwöre.“

„Das ist alles?“ Er scheint wirklich völlig perplex zu sein. „Manoman. Cecilia muss recht haben. Geister leiten uns.“ Seine Worte klingen aufgebracht und wütend und ich erkläre verdrossen: „Nein, das war zumindest nicht Mamas Geist. Sie wollte auf keinen Fall, dass ich davon erfuhr.“

„Vielleicht doch. Sie war doch der Meinung, dass alles einen Sinn hat und wir von etwas geleitet werden. Hat sie dir je erzählt, dass sie glaubt, wie das mit uns und dem abläuft, was uns in unserem Leben passiert? Sie war da ja ganz speziell. Sie meinte, wir bringen Probleme aus anderen Leben mit in das jetzige und leiden unter ihnen. Sie glaubte deshalb auch, dass es keine Liebe für sie gibt. Sie war davon überzeugt, dass ihr das alles zugemutet wird, weil sie für etwas büßen muss. Ich hoffe, dass sie fertig gebüßt hat.“ Er trinkt sein Glas leer und schüttet sich und mir noch einmal ein. „Und ich glaube jetzt wirklich, sie lenkt uns. Joel, deine Mutter lenkt das alles. Sie war schon immer der Lenker von allem. Und jetzt lenkt sie uns.“ Er lässt sich mit dem Glas in der Hand an die Rückenlehne plumpsen und setzt die Füße über Kreuz auf der Tischplatte ab. „Oh Mann, Cecilia. So warst du und so bist du!“

Ich will ihm gerade wiedersprechen und ihm von Mamas Brief erzählen, als er ruft: „Und dass du hier bist ist auch kein Zufall. Sie wollte, dass wir aufeinandertreffen. Ich weiß nur noch nicht, warum.“ Er hebt sein Glas in die Luft und prostet irgendwem Unsichtbaren zu. „Auf dich, meine Liebe. Und auf das, was du mit uns vorhast.“

Ich starre Marco an, der mich plötzlich angrinst. Aber in seinen grünen Augen liegt Frust und Resignation. „Also, so ein Typ bei Lycos steckte dir ihre Seite, du bist über den Tor Browser ins Darknet und hast sie dort gefunden. Unglaublich. Was bist du für ein schlaues Bürschchen!“

Mir widerstrebt es, die Lorbeeren allein einzuheimsen. Darum raune ich verunsichert, ob ich das sagen soll: „Ich hatte Hilfe. Ein Kumpel von mir …“

„Was?“ Marco reißt die Füße vom Tisch und starrt mich an. „Was weiß er?“

„Nichts. Er hat keine Ahnung, dass das Mamas Seite ist. Ich habe es auch nur daran gesehen, dass Jeannie wie Mama aussieht und ihre Kette trägt.“

„Ihre Kette?“ Marco scheint einen Augenblick zu brauchen, bis er begreift. „Scheiße, die muss weg!“

Ich weiß nicht, was er meint und greife nach dem Anhänger mit den Ringen um meinem Hals. „Auf keinen Fall. Die gebe ich nicht her!“

Marco scheint nicht sofort zu begreifen. Dann sieht er, was ich schnell in meinem T-Shirt versenke und schüttelt den Kopf. „Ich muss das von Jeannie nehmen. Keiner darf sie mit dir oder Cecilia in Verbindung bringen.“

Nun wird mir alles klar. „Du hast die Seite gemacht?“ Ich bin geschockt. Mir wird plötzlich bewusst, Marco weiß alles. Wirklich alles. Er weiß, was meine Mutter mit der Seite bezweckte und was sie damit tat.

„Ja, ich habe Cecilia geholfen, sie zu erstellen.“

Ich trinke einen großen Schluck Whiskey und brumme: „Dann weißt du auch, was diese Jeannie bisher für Wünsche erfüllte?“

Marco scheint zu erstarren. Dann raunt er leise: „Sie hat nicht wahllos alles erfüllt. Das ging auch nicht. Da kam wirklich viel kranker Scheiß rein und nicht für alles waren passende Gegenparts zu finden. Aber es ist schon unglaublich, für was die Leute alles einen Haufen Geld bezahlen. Cecilia erkannte das. Sie war wirklich ein Genie.“

Ich schlucke schwer. „Hat sie selbst Wünsche erfüllt? Ich meine …“ Weiter komme ich nicht, weil mir meine Stimme versagt.

Marco sieht mich einen Moment unschlüssig an, bevor er endlich antwortet: „Ja. Ich sagte doch, sie war ein Genie.“

Ich pfeffere das Glas auf den Tisch, greife Mamas Laptop und meine Tasche und brülle aufgebracht: „Warum hast du das zugelassen?“ Damit laufe ich zur Tür. Ich will weg von diesem Kerl, der meint, meine Mutter geliebt zu haben und doch zuließ, dass sie wer weiß was tat.

„Joel! Warte!“

Als ich die Tür erreiche, reißt er mich herum. „Warte! Ich wollte das nicht. Aber sie brauchte das. Ich sagte doch, für sie klappte das mit Familie und ein Mann fürs Leben bei konventionellem Sex nicht. Sie brauchte diese Freiheit. Ich konnte da tun, was ich wollte.“

Ich starre ihn an.

„Ich habe alles versucht!“ Marco klingt schrecklich resigniert und ich lasse mich von ihm wieder ins Zimmer ziehen, während er mir niedergeschlagen erklärt: „Ich habe mich auf den ersten Blick in sie verliebt. Damals war ich mit Michelle zusammen. Aber nachdem ich Cecilia kennenlernte, ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Und sie war so anders. Immer auf der Suche, immer voller Ideen und hinter einem Leben her, dass alles bot. Ich war nur eine ihrer Stationen. Und glaube mir, als ich erfuhr, dass es dich gibt, war ich wirklich platt, weil ein Kind nicht in dieses Leben passte.“

Ich bin von seiner Erklärung wie erschlagen. Er spricht von Cecilia Hyde, von der ich weiß, dass es sie gibt, aber die einfach in meinem Kopf nicht Fuß fassen will. Und was er über sie und den Umstand sagt, dass es mich gibt, lässt sich meinen Magen zusammenziehen. Es bestätigt, dass sie mich eigentlich als Cecilia Hyde nicht gebrauchen konnte und bestimmt auch nicht wollte. Aber bei mir war sie nicht Cecilia Hyde. Bei mir war sie Cecilia Jekyll. Da war sie die Gute!

„Wie alt war ich, als du und meine Mutter …?“

„Zwölf oder dreizehn. Keine Ahnung. So um den Dreh herum. Und sie sagte immer: Das ist meine einzige Liebe. Sie machte gar keinen Hehl daraus, dass sie mich nicht liebte. Sie versprach mir auch nie etwas. Aber sie gab mir viel. Sehr viel. Und ich musste feststellen, dass sie die Gabe hat, in einem die tiefsten Wünsche frei zu kitzeln und dann zeigt sie dir, wie du sie dir erfüllen kannst. Bloß meinen einen Wunsch erfüllte sie mir nie, weil es einfach nicht ihr Wunsch war. Sie war der Meinung, ein Wunsch darf nur erfüllt werden, wenn er sich mit dem Wunsch des Gegenübers deckt. Und das wurde dann auch ihre Erfolgsmasche. Wo kein Kläger, da kein Richter.“

Ich verstehe nicht, was er meint. Aber ich muss an die Geschichten denken und glaube Zusammenhänge zu erkennen. Wenn jemand jemanden vergewaltigen will, dann suchte meine Mutter jemanden, der vergewaltigt werden wollte.

Ich erschauere. „Ihr seid krank!“

Marco lächelt wehmütig und nickt. „Wahrscheinlich. Aber wer ist das nicht. Hat nicht jeder etwas, dass ihn krank aussehen lässt - außer dir vielleicht? Du bist wahrscheinlich völlig unbescholten.“ Den letzten Satz wirft er mir verächtlich entgegen. Aber er schiebt mich zum Sofa zurück, als wäre ihm wichtig, dass ich ihm nicht abhandenkomme. Er zieht mir die Tasche aus dem Arm. „Oder irre ich mich? Joel, erzähl mir doch mal, wie dein erstes Mal ablief. Wenn es nicht die von deiner Mutter gewünschte große Liebe war, was dann?“ Seine grünen Augen mustern mich interessiert und seine dunklen Korkenzieherlocken fallen ihm ins Gesicht, als er sich von dem gegenüberliegenden Sessel zu mir herüberbeugt.

Ich starre ihn entsetzt an.

„Sag schon. Wie sieht dein Liebesleben aus. Komm, pack aus. Das sagt viel über einen aus und nachdem du unsere geheime Jeannie geknackt hast, bist du mir das schuldig.“

Ich greife nervös nach meinem Glas, das aber leer ist.

Als ich Marco ansehe, sieht er mich verdutzt an. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen und sein ganzer Gesichtsausdruck verhärtet sich zu einer entsetzten Maske. „Sag nicht, es gab bisher noch kein Liebesleben?“ Er klingt völlig fassungslos und als wäre das unerklärlich.

Poor. Was soll ich sagen?

„Du hast noch nie …?“ Er scheint vollkommen perplex zu sein. „Verdammt Joel. Das gibt es doch gar nicht! Du musst ja schon kurz vor dem Durchglühen sein!“

Ich bin von seinen Worten wirklich aufgebracht und spüre die Hitze auf meinen Wangen.

„Du bist doch mittlerweile bestimmt schon siebzehn!“ Marco ist völlig außer sich. „Mein Gott, Jeannie hätte mal die Wünsche ihres Sohnes checken und erfüllen sollen.“ Er greift zur Flasche und schüttet uns noch mal gehörig ein. Ich weiß, wenn ich den auch noch trinke, dann krabbele ich nach Hause.

„Ne, lass mal. Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen“, erkläre ich schnell und will einfach nur noch weg.

Sofort legen sich Marcos großen, dunklen Hände auf die Armlehnen des weißen Sesselbezugs und er scheint zum Sprung bereit zu sein, wenn ich mich erhebe. Dabei raunt er eindringlich: „Nene. Joel. Weißt du eigentlich, dass du den großartigsten Jeannie dein Eigen nennen kannst. Jeannie ist nicht gestorben. Sie lebt. Und sie kommt zu dir und erfüllt dir jeden Wunsch!“

Ich schüttele den Kopf. Meine Mutter ist nicht mehr da und ich kann sie mir so viel wünschen, wie ich will. Sie wird nicht kommen.

Aber Marco scheint etwas anzutreiben. Er trinkt einen Schluck und erklärt: „Gibt es kein einziges Wesen, dass da unten etwas zum Kochen bringt?“ Er zeigt auf meine Hose und ich befürchte, dass nur der Alkohol mich davor rettet, nicht erneut rot anzulaufen.

Ich muss an Katja denken und meinen Traum mit ihr.

Marco springt plötzlich auf, bevor ich etwas sagen kann und murmelt: „Das gibt es doch gar nicht. Cecilia, was hast du dir dabei gedacht?“ Dann geht er zu seinem Handy, wählt und spricht leise mit jemandem. Dabei sieht er mich seltsam an. Er nickt und legt das Handy weg. Dann ruft er mir zu: „Joel. Heute kommt Jeannie zu dir. Du willst wissen, was deine Mutter tat. Ich mache es dir vor und erkläre dir dabei ihre Geschäftsidee. Sie ist ganz simpel und doch unglaublich erfolgreich. Komm, trink dein Glas in Ruhe leer und lehn dich zurück. Dann denk an das Mädchen, dass dich schon mal in deinem Inneren berührte und wünsch sie dir. Und wünsch dir, wie dein Zusammentreffen mit ihr sein soll. Und dann schreibst du deinen Wunschzettel. Es reichen kurze Sätze oder auch nur ein paar Schlagworte. Versuch es.“

Ich starre Marco entsetzt an. Das kann ich unmöglich. Ich kann doch meine geheimsten Geheimnisse nicht offenbaren.

Marco sieht mir an, dass ich zögere und raunt: „Komm Junge, dass ist deine Chance. Ich biete sie dir heute kostenlos. Lass Jeannie für dich deine Wünsche erfüllen und schau, ob es klappt. Komm, versuch es. Es ist ein Test.“ Damit schiebt er mir einen kleinen Zettel und einen Stift hin.

Ein Test? Und Jeannie erfüllt mir meine Wünsche?

Marco glaubt, sie ist da und lenkt uns. Ein schöner Gedanke. Ich wünsche mir, dass sie wirklich da ist. Vielleicht hat Marco ja recht und sie hat mir Michelle geschickt, damit ich von ihm erfahre und dieses Zusammentreffen stattfindet. Vielleicht soll alles so kommen, wie es kommt und vielleicht sollte ich wirklich von ihrer Jeannie-Vergangenheit erfahren.

Ich trinke einen großen Schluck Whiskey, der mir durch die Speiseröhre brennt … und noch einen. Dabei denke ich: Mama! Bestimm mein Leben. Zeig mir meinen Weg.

Als ich nur die Augen schließe und nichts aufschreibe, murrt Marco: „So funktioniert das nicht. Es gibt auch für Jeannie Richtlinien, die sie braucht, um Wünsche erfüllen zu können.“ Er klingt ungeduldig. „Okay. Cecilia hatte sogar für so einen Fall eine Lösung parat. Ich sagte ja, sie war genial. Warte eben. Du hattest noch keinen Sex, aber du kennst ein Mädchen, dass du willst?“

Marco hat seinen herablassenden Ton abgelegt und klingt nun eher wie ein fürsorglicher Vater, der erfragt, ob man schon gefrühstückt hat.

Ich schaffe ein Nicken.

„Okay. Jeannie Part zwei. Ich sagte ja, sie hatte für alle Fälle etwas parat. Ich zeige dir was. Ich brauche nur kurz. Ich bin nicht so gut darin …“

Marco greift sich meinen Kugelschreiber und meinen Zettel und geht an den kleinen Esstisch. Es dauert und ich trinke nervös meinen Whiskey leer, der langsam in meinem Inneren einen Orkan entstehen lässt. Aber ich könnte die ganze Flasche vor Nervosität austrinken. Mir ist klar, Marco hat etwas vor, aber ich kann einfach nicht einschätzen, was es sein soll und ob er wirklich Jeannie damit heraufbeschwören kann. Mein Verstand sagt mir, dass dies unmöglich ist.

 

„Ja! Okay! Versuchen wir es.“ Marco klingt nun auch nicht mehr besonders zuversichtlich. „Das war wirklich schwer. Ich musste mich in dich versetzten … einem Siebzehnjährigen mit keinerlei Erfahrung.“

Ich sehe ihn aufgebracht an. Der tut ja so, als käme ich aus einer Klosterschule und habe von gar nichts eine Ahnung. Er kennt nicht meine WG und Katja!

Er schiebt mir einen Zettel über den Tisch, nachdem er sich in seinen Sessel fallen ließ. Ich sehe drei Kästchen und in jedem Wörter, die mich schwer schlucken lassen. In einem steht: Küsse, streicheln, Ficken. Im Nächsten: Küsse, Schwanz im Mund. Im dritten: Muschi lecken, Schanz im Mund.

Ich starre auf die Kästchen und dann verdattert in Marcos Gesicht, dem das Grinsen vergeht. „Liege ich falsch? Wünschst du dir nichts davon? Ist das nicht, was jeder Siebzehnjährige sich wünscht, der noch keinen Sex hatte?“

Dass er das immer wieder erwähnt, finde ich wirklich unangebracht. Aber ich möchte mir nicht die Blöße geben und vollkommen verklemmt wirken. Daher sage ich und tue genervt: „Doch. Das eine oder andere geht schon.“

„Was? Mach einen Kreis darum. Warte, ich hole dir einen roten Stift.“ Marco springt auf und ich sehe ihn durch den Raum laufen. Er scheint von etwas völlig gefangen zu sein.

Ich greife lieber noch einmal zur Flasche und schütte mir noch etwas Whiskey ein. Der Typ macht mich nervös und was er da tut auch. Er gräbt in meinen tiefsten Vorstellungen und kratzt meine Wünsche auf wie eitrige Pickel.

Marco kommt kurz darauf mit einem neuen Stift und sieht mich herausfordernd an. „Komm, das ist ein Test. Wir arbeiten jetzt zusammen.“ Er scheint wie elektrisiert und seine Worte lassen mich ihn verunsichert ansehen. Dieser Typ hält mich anscheinend für wichtig und will mich als Partner. Aber als Partner für was?

Ich sehe auf den Zettel und weiß eigentlich genau, was ich mir von Katja wünsche. Von der Katja, die alle liebt, nur nicht mich.

Von der Katja, der ich alles bezahle und die mit allen anderen dafür schläft.

Von der Katja, die mich herablassend behandelt und so tut, als wäre meine Wohnung eigentlich ihre.

Von der Katja, die mein gekauftes Duschgel für alle anderen benutzt.

Ich weiß, der Alkohol setzt mir mittlerweile mächtig zu. Aber ich nehme den Stift und kreise mit zittriger Hand ein: Küssen.

Ja, ich möchte sie küssen. Ich habe noch nie ein Mädchen richtig geküsst. So mit Zunge und so.

Ich kreise ein: Schwanz in Mund.

Aber schon der Gedanke, dass ich diesen Wunsch nun preisgebe, lässt wieder die Hitze in meinem Gesicht aufsteigen. Ich sehe schnell auf und Marco an, der mich mit einem Blick mustert, als könne er meine Zurückhaltung und Verlegenheit nicht verstehen.

Verdammt. Mir wird klar, ich benehme mich wie ein kleines Kind.

Ich atme tief ein und umkreise mit dem roten Stift: Ficken.

Oh mein Gott. Mir wird schon bei dem Gedanken angst und bange … aber auch seltsam schwindelig vor Aufregung. Mich einmal wirklich in dem zu versenken, was in den Pornos bis zur Gänze getrieben wird und scheinbar die Welt beherrscht, lässt es in meinem Körper seltsam kribbeln.

Ich lehne mich benommen zurück. Warum mache ich so etwas überhaupt. Das ist doch Schwachsinn und voll peinlich!

„Fertig? Klasse.“ Marco zieht den Zettel weg und besieht ihn sich. „Wow. Gute Wahl für einen Anfänger. Du imponierst mir.“

Ich kann ihn nur ungläubig anstarren.

Er seufzt und schaut auf die Uhr.

Ich sehe auch auf meine Armbanduhr und habe einige Schwierigkeiten, das Zifferblatt deutlich zu sehen. Es ist kurz vor Mitternacht. „Gut. Also. Komm her. Wir machen heute mit dir ein kleines Ritual zur Einführung. Zu deiner und meiner. Schließlich bin ich heute Jeannies Handlanger.“ Marco grinst und er streicht sich über den Bart. „Ich bin sogar etwas aufgeregt.“ Er zwinkert mir zu.

Fast muss ich lachen, bin aber selbst so nervös, dass mir übel ist, weil ich nicht weiß, was Marco vorhat. Jeannie wird nicht kommen und mir einen meiner Wünsche erfüllen, weil Katja sich nicht um mich schert.

„Stell dich hier her. Ich mache schöne Musik.“

Ich lasse mich von ihm mitten in den Raum schieben und höre wenig später Musik.

Dann taucht Marco wieder auf. „Also jetzt gibt es erst Mal das hier!“ Er legt mir eine Schlafbinde um und ich bin einen Moment wegen der Dunkelheit um mich herum beunruhigt.

„So kannst du dich besser auf deinen Wunsch konzentrieren.“

Ich soll was?

„Okay, Joel. Konzentriere dich auf das Mädchen, dass es für dich sein soll und bitte Jeannie, dir deine Wünsche zu erfüllen. Genauso, wie du ihn ihr schriftlich schon mitgeteilt hast. Und das ganz aus tiefem Herzen. Kann es losgehen?“

Das ist zwar völliger Unsinn, aber es fühlt sich aufregend an. Der Alkohol beginnt noch heftigere Wellen in meinem Inneren zu schlagen und ich seufze auf. Mich in meine Wohnung versetzend, stelle ich mir vor, wie ich mitten in der Nacht aus meinem Zimmer trete und durch das Wohnzimmer gehe. Plötzlich kommt Katja aus der Dunkelheit auf mich zu …

Ja, dass ist, was ich mir wünsche. Bitte Jeannie, lass es passieren. Lass Katja mich als Mann sehen und mich wollen. Sie soll zu mir kommen und mich mit diesem Lächeln ansehen, dass mich wohlig erschauern lässt. Ich will sie küssen, sie soll meinen Freund in ihrem Mund versenken und ich möchte richtigen Sex haben. Ich will das alles endlich auch mal erleben!

Ich zucke zusammen, als sich warme Hände in meinen Nacken schieben und kann nicht fassen, dass tatsächlich etwas passiert. Erschrocken will ich meine Hände hochreißen und die Schlafbinde herunterreißen, als sich warme Lippen auf meine legen.

Hände greifen nach meinen und halten sie auf. Ich höre Marco murmeln: „Joel, ein Wunsch, der dir erfüllt wird, sollte einfach nur genossen werden. Vergiss alles andere. Denk nur daran, was du dir gewünscht hast und lass es geschehen.“

Ich lasse meine Hände sinken und spüre die weichen Lippen und eine Zunge, die sich in meinen Mund schiebt und mich elektrisiert, als sie meine Zunge berührt. Die Hände um meinen Hinterkopf halten mich fest und ziehen mich etwas herunter und ich spüre einen Körper an meinem, warm und verstörend. Dabei drängen sich feste Brüste an meine Brust.

Der Kuss macht mich schwindelig und schmeckt verheißungsvoll. Ich will mehr und plötzlich fallen alle meine Bedenken. Ich habe wirklich das Gefühl, Katja küsst mich und ich schlinge meine Arme um ihren Körper und ziehe ihn ganz an mich heran. Ich höre ein leises Stöhnen und eine Stimme leise raunen: „Joel!“

Ich will nichts hören. Ich will sie nur küssen. Das ist überirdisch und verursacht so viel Gefühl, dass es in meiner Hose eng wird. Und der Körper reibt sich an ihm und bringt ihn noch mehr auf Touren. Es ist unglaublich.

Die Hände lassen mich los und schieben sich an meiner Taille unter mein T-Shirt. Der Kuss wird beendet und ich höre: „Komm, mein schöner Joel. Zieh das aus.“

Ich mache einen schnellen Schritt zurück und reiße mir das T-Shirt hektisch aus. Sofort greifen meine Hände wieder nach Katjas Körper und ich ziehe sie zu einem erneuten süßen Kuss in meine Arme. Ich spüre ihre Hände auf meinem Rücken heiße Schneisen ziehen. Dann wandern sie nach unten und schieben sich zu meinem Hosenknopf, der aufgeht und mir etwas Erlösung bringt. Als der Reißverschluss folgt, wird es noch besser. Mein Freund lechzt nach Freiheit.

Meine Hose wird von meiner Hüfte geschoben, ohne das Zungenspiel zu beenden und ich erfasse das verunsichert.

Als ich Marco mir zurufen höre: „Ich gehe eben um die Häuser und hole Zigaretten“, weiß ich, dass es seine Anwesenheit ist, die mich zusätzlich verunsichert. Ich will mit diesem Traum allein sein. Dem Traum, den mir Jeannie auf magische Weise erfüllt.