Auf ihren Spuren

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Aus der Reihe: Cecilia Hyde #1
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Während wir die Straße hinunterlaufen, spüre ich ihren Körper an meinem. Ich versuche das auszublenden. Am liebsten würde ich sie abschütteln oder von mir schieben. Wenn Timo uns sieht … oder Manuel! Oh Mann.

Endlich kann ich mich von ihr befreien, um beim Laden, an dem wir wenig später ankommen, einen Einkaufswagen zu ergattern. Das ist nicht leicht bei den vielen Feierabendeinkäufern.

Als ich den Einkaufswagen durch den automatischen Türöffner fahre, steht Katja schon beim Gemüsestand und schenkt mir ein Lächeln, als wolle sie mich für meinen Erfolg, einen Wagen ergattert zu haben, belohnen.

Ich fahre zu ihr und werfe selbst einen Beutel Äpfel in den Wagen. Weil Katja immer noch die Paprika in der Hand hält, raune ich: „Leg in den Wagen, was du meinst, was wir brauchen.“ Das bringt mir ein erneutes Lächeln ein, dass mich seltsamerweise selbst lächeln lässt.

Ich schiebe den Wagen und Katja beginnt einzupacken. Ich bin froh, dass ich so viel Geld abgehoben habe, sonst hätte ich gleich an der Kasse ein Problem. Außerdem scheint Katja zu vergessen, dass wir das auch noch nach Hause tragen müssen.

Aber sie blüht richtig auf und ich fühle mich damit eigentlich ganz wohl. Und jedes Mal, wenn sie an etwas nicht heranreicht, weil es zu hoch im Regal steht, und sie sich vergeblich danach reckt und ihre schlanke Taille zeigt, bin ich natürlich bereit, ihr zu helfen. Und nicht selten berühren wir uns dabei oder sie schenkt mir ein Lächeln oder einen Blick, der es in meinem Bauch seltsam summen lässt.

Als wir mit schweren Tüten bepackt nach Hause gehen, ist Katja gut gelaunt und ich bin es auch.

„Es macht so Spaß, mit dir einzukaufen“, ruft sie und ich nicke nur, statt ihr das Kompliment zurückzugeben. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich den Mund aufmache, dann kommt irgend so ein säuselnder Unfug heraus. Darum sage ich nichts dazu. Ich hatte die ganze Zeit nicht viel gesagt. Aber das brauchte ich auch nicht, weil Katja viel sagte. Sie erklärte mir, wie froh sie ist, auf uns gestoßen zu sein und dass ihr Leben endlich etwas geordnet ist und sie eigentlich ganz glücklich bei uns ist.

Das „eigentlich“ beziehe ich auf mich. Ich bin wahrscheinlich der Unruhepol in ihrem ansonsten glücklichen WG Dasein, der es ihr immer wieder schwer macht. Ich beschließe, mich etwas mehr zusammenzureißen.

Beim Fahrstuhl sind wir beide froh, die schweren Tüten abstellen zu können. Katja prustet genauso, wie ich, obwohl sie nur leichte Sachen in ihren Tüten hat. Ich schleppe die Getränke, Äpfel, Möhren, Gurken, Dosen mit Ravioli, ein Riesenglas Nutella, Kartoffeln und Zuckertüten. Außerdem habe ich die Seife, Schampon und das Waschmittel, dass unter meinem Arm klemmt.

„Du bist echt stark!“, murmelt Katja mit einem Blick, der mich warm durchflutet, als wir mit dem Fahrstuhl hochfahren, für den wir einen Pin eingeben müssen, um in unser Stockwerk gelangen zu können. „Und du bist unglaublich süß“, lässt sie noch folgen, bevor die Tür aufgeht und Timo uns erblickt. Er sieht, mit was wir gerade kämpfen und nimmt Katja schnell ihre Tüten ab, statt mir das Waschmittel, das unter meinem Arm klemmt und mittlerweile abzustürzen droht. „Hey, ich wollte auch gerade los!“, ruft er dabei.

Wer es glaubt.

Wir bringen alles in die Wohnung und ich bin erst mal abgeschrieben. Katja versorgt die Waren und Timo textet sie zu, was sie damit kochen können. Bei dem Noire Duschgel säuselt er: „Heute Abend? Gemeinsame Dusche?“ und Katja nickt mit leuchtenden Augen.

Ich gehe kopfschüttelnd in mein Zimmer.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, mit Katja zusammen zu duschen. Das übersteigt meinen Horizont und lässt mich auch kaum Luft bekommen.

Aber das Timo so locker bei Katja seine Wünsche anzubringen wagt, haut mich um. Er ist so unglaublich mutig! Ich bin mit meinem gemeinsamen Einkauf mit ihr schon voll zufrieden. Das war ja schon eine Glanzleistung.

Aber dass Timo sie in die Dusche ziehen will und sie mit dem extra von ihr ausgesuchten Duschgel einreiben wird, dass macht mich doch ziemlich fertig und mein Kopf will einfach nicht aufhören, diesen Aspekt immer wieder auszuloten. Und zwar mit mir an Timos Stelle.

Ich werfe mich auf meinen Schreibtischstuhl und stelle schnell und fast schon panisch den PC an. Ich kann es kaum erwarten, dass sich endlich das Spiel hochlädt. Wenn ich spiele, vergesse ich alles. Auch Katja.

Endlich ist wieder Wochenende.

Es ist über eine Woche vergangen und ich habe von diesem Marco nichts gehört, Manuel hat nichts Neues herausgefunden, ich immer noch nicht die Kombination des Tresors geknackt und das Noire Duschgel ist schon wieder leer.

Es duftet wirklich toll. Ich liebe diesen Duft. Aber ich hasse den Gedanken, dass es ziemlich freizügig verwendet wurde.

Manuel mag den Duft auch, hat er gesagt. „Wow, was für ein Zeug!“, hatte er begeistert einmal ausgerufen, obwohl er all die Tage zuvor nichts gesagt hat. Das ließ mich skeptisch von meinem Brot aufsehen, dass ich gerade schmierte und Manuels hingerissenes Grinsen ließ mich schwer schlucken.

Sofort glitt mein Blick zu Katja, die auf dem Sofa lümmelte, die Füße auf dem Tisch und sich irgend so eine Soap ansah. Sie sah nicht zu uns. Aber ich sah ihr Profil und ich sah, dass sie lächelte.

„Willst du auch ein Brot?“, rief ich ihr zu.

Ich bin in letzter Zeit wirklich bemüht, nett zu sein. Aber das fällt mir nicht leicht, wenn alles um mich herum im Duschvergnügen schwelgt. Nicht dass mich stört, dass ich davon verschont bleibe. Gott bewahre! Aber ich hasse es, dass ich behandelt werde, als wäre ich kein vollwertiges Mitglied dieser WG, bloß weil ich noch nicht volljährig bin.

Katja sah mich überrascht an. Dann säuselte sie: „Gerne. Mit Käse bitte … und vielleicht ein paar Gurkenscheiben.“

Ich nahm eine Scheibe Brot, belegte es großzügig mit Käse und holte die Gurke aus dem Kühlschrank, wusch sie ab und schnitt einige Scheiben ab, um sie auf dem Käse zu verteilen. Als ich es auch noch halbierte und viertelte, sah Manuel mich mit gerunzelter Stirn an. Ich weiß, er kennt das nicht, dass ich jemanden bediene. Ich habe da auch eigentlich ein Problem mit.

Ich rief brummig, weil mir Manuels Blick natürlich bewusst war: „Kannst es abholen!“

Katja sah mich an. Sie hatte diesen bittenden Blick drauf, der im nächsten Moment zu Manuel lief, der sofort Anstalt machte, sich vom Stuhl zu schieben. Aber ich war schneller, griff den Teller und brachte ihn zu Katja.

„Danke, Joel. Das ist wirklich süß.“ Sie belohnte mich mit einem Lächeln und ich ging wieder zu meinem Platz und konnte mich nicht verstehen. Ich verstehe in letzter Zeit sowieso nichts mehr.

Ich kann Timo nicht verstehen, der alles Mögliche mit Katja anstellt und doch klar äußert, dass sie nur eine WG Mitbewohnerin ist. Letzte Woche hat er mir von einem Mädel erzählt, dass er total toll findet und hat sie für heute Abend ins Kino eingeladen. Ich weiß nicht, ob Katja das weiß.

Ich kann auch Manuel nicht verstehen, der alles für Katja tut, obwohl sie ihm immer wieder klar zu verstehen gibt, dass er ihr nichts bedeutet.

Ich verstehe mich auch nicht. Ich will nichts von Katja. Ganz bestimmt nicht. Und doch passieren in ihrer Gegenwart seltsame Dinge, wie das mit dem Brot.

Gut, damit kann ich leben. Aber es passieren auch andere, die machen mich fertig.

Ich denke, sie werden davon ausgelöst, dass meine Mitbewohner keine Rücksicht nehmen. Überhaupt keine.

Letzten Samstag musste ich mir nachts die Kopfhörer aufsetzen, um Timo und Katja nicht zu hören. Timo hat sein Zimmer neben meinem und ich bin fast ausgeraste.

Aber ich konnte nichts tun. Die anderen stempeln mich sowieso schon als verklemmtes Kind ab. Dabei habe ich nur darum gebeten, dass unsere Regeln eingehalten werden. Aber an denen liegt wohl nur mir etwas.

Und einmal musste ich spät abends pinkeln. Auf dem Weg zum Badezimmer habe ich Manuel flüstern gehört. Er war in seinem Zimmer und seine Tür war offen, weil wohl die andere Person hinauswollte. Ich gehe davon aus, dass sie hinauswollte, denn Manuel flehte: „Einmal! Komm! Mein Schwanz wirds dir ewig danken.“

Ich war nicht überrascht, als ich Katja leise erwidern hörte: „Heute nicht.“

Ich weiß jetzt, dass Manuel auf Frauen steht und nicht auf Männer, wie ich anfangs dachte. Oder auf beides.

Zumindest rächte sich dieses Erlebnis in der letzten Nacht.

Ich hatte einen Traum, der mich jetzt noch zutiefst erschreckt. Nein, erschrecken ist nicht das richtige Wort. Er entsetzt mich. Und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich nicht doch mehr von Cecilia Hyde in mir habe, als ich bisher ahnte.

Schon der Traum, aus dem ich erwachte, als ich mich auszog, statt Katja zu helfen, die mit Schokolade von Timo und Manuel auf dem Tisch drangsaliert wurde, hatte mich entsetzt. Aber dieser entsetzte mich noch viel mehr.

Ich war darin mitten in der Nacht durstig aufgewacht. Als ich meine Zimmertür öffnete, hörte ich leises Murmeln und Stöhnen aus dem Wohnzimmer. Deshalb blieb ich erschrocken stehen und sah mich um. Es war dunkel um mich herum und nur das wenige Licht der Stadt drang durch die großen Fenster. Und dann sah ich die beiden Silhouetten. Ich erkannte sofort Manuel, der den Kopf in den Nacken warf, als wolle er den Mond anheulen. Und ich sah jemanden vor ihm hocken.

Erst begriff ich nichts und ging auf die beiden zu. Doch dann sah ich, dass Manuels Hose auf seine Füße gefallen war und der blonde Pagenschopf von Katja im Mondlicht leuchtete, und zwar dort, wo sonst eigentlich Manuels Hose sitzt.

Plötzlich sah Manuel mich an und grinste. Er winkte mich heran und statt abzudrehen und ins Zimmer zurückzukehren, näherte ich mich ihnen langsam.

 

Manuel stöhnte und Katja gab seltsam schmatzende Geräusche von sich, und in dem wenigen Licht sah ich Manuels Freund weit ins Zimmer ragen und immer wieder in Katjas Mund tauchen.

Erst war ich entsetzt. Doch es regte sich bei mir auch etwas.

Manuel griff nach meinem Arm und zog mich neben sich.

Ich sah zu Katja hinunter, die von Manuel abließ, mich anlächelte und mir meine Boxershort über meinen Freund zog, der ihr genauso entgegensprang wie Manuels Freund. Und dann kam die erste Berührung. Ich bin fast durchgedreht, als ich eine feuchte Zunge spürte und eine warme Hand, die meinen Freund festhielt. Ihre andere umfasste Manuels Freund, der aussah, als hätte man ihn in Blut getaucht.

Ich konnte nur fassungslos zusehen, was Katja mit ihrer Zunge und ihren Lippen anstellte und mein Freund drängte bald genauso prall und blutrot ihr entgegen.

Manuel legte eine Hand auf ihren Hinterkopf, drehte ihn zu sich und schob sich in ihren Mund.

Aber Katja wollte mich. Sie zog mich an meinem Schwanz näher und ließ ihn an Manuels prallen. Dann leckte sie über beide und rieb sie aneinander. Das hätte mir unendlich peinlich sein sollen und unangenehm. Aber ich verschwendete darauf keinen Gedanken.

Ich hörte Manuel aufstöhnen und konnte nicht verhindern, dass mein Körper vor Erregung zitterte. Und dann schob sie beide in den Mund und ich legte meine Hand über Manuels auf ihren Hinterkopf und wir stießen beide zu. Dabei rieben sich unsere Schwänze aneinander und wurden von Katjas warmem Mund und ihrer Zunge weiter gereizt.

Ich explodierte mit einem Aufschrei, der mich erschrocken wach werden ließ. Mir war sofort klar, ich hatte nicht nur geträumt, sondern auch Mamas Bettbezug zugesaut.

Ich zog ihn am nächsten Morgen ab und wusch ihn zum ersten Mal. Aber ich zog keinen neuen drauf, bis er endlich trocken war und ich erneut in ihm schlafen konnte. Dabei tat es mir unendlich leid, dass mir das in diesem Bett passiert war. Ich kam mir schäbig vor und hatte ein schlechtes Gewissen. Und ich brauchte fast einen ganzen Tag, bis ich Manuel und Katja in die Augen sehen konnte. Ich schämte mich für meinen Traum und ich schämte mich dafür, dass mein Freund sich sofort regt, wenn ich Katja sehe. Einmal erwischte ich mich dabei, wie ich ihr auf den Mund starrte, während sie eine Möhre knabberte.

Manchmal glaube ich, ich bin echt durch. Oder es wird Zeit, selbst mal Sex zu haben, statt immer nur anderen dabei zuzuhören. Aber ich werde bestimmt nicht Katja anbetteln.

Mein Telefon meldet eine Nachricht und ich gehe zu meinem Schreibtisch und schaue, wer mir geschrieben hat. Mein Herz beginnt nervös schneller zu schlagen, als ich sehe, dass sie von diesem Marco ist.

Bin im Maritim Hotel abgestiegen. Zimmer 203. Komm heute um 22 Uhr vorbei. Marco

Ich starre fassungslos auf die Nachricht. Er will sich heute mit mir treffen. Aber so spät?

Ich goggle, wo das Hotel ist. Seltsamerweise ganz in der Nähe. Das macht mich stutzig. Hat Mama deshalb diese Wohnung haben wollen, weil Marco immer in dieses Hotel kam?

Ich kann es kaum erwarten, diesem Typ zu begegnen. Aber nachmittags im Park wäre mir lieber. Aber er will, dass ich abends in sein Hotel komme.

Meine Schultern durchdrückend, um mir etwas mehr Haltung zu geben, schreibe ich zurück: Okay, werde da sein. Joel

Es ist entschieden. Ich werde heute Abend einen Mann treffen, der Mama kannte. Nein stimmt nicht. Er kannte Cecilia Hyde und das macht ihn für mich überhaupt erst interessant.

Es klopft und Manuel sieht ins Zimmer. „Hey, was machen wir heute Abend? Timo hat wohl ein Rendezvous und Katja möchte hier einen Mädelabend veranstalten und fragt, ob wir ihr die Bude bis Mitternacht überlassen können.

Ich starre Manuel perplex an. Soweit sind wir also schon, dass Katja die Wohnung für sich und irgendwelche Leute braucht.

Manuel sieht mir meinen Unmut darüber wohl an und ich gehe davon aus, dass er den Auftrag hat, mich aus der Wohnung zu locken. Nun bereue ich, dass ich Marco zugesagt habe. Aber das kann und will ich nicht rückgängig machen.

„Ich bin verabredet“, murre ich nur und sehe Manuels enttäuschtest Gesicht. Darum füge ich ein: „Leider!“, hinzu. „Und ich wäre froh, wenn du hierbleiben und einen Blick auf alles haben könntest.“

Manuel scheint einen Augenblick verunsichert zu sein. „Aber Katja …“

„Ich kläre das mit ihr. Wenn sie hier Party machen will, dann nur mit dir als Aufpasser. Sonst kann sie das vergessen.“

Bevor Manuel etwas erwidern kann, stürme ich an ihm vorbei. Katja ist nicht im Wohnzimmer. Aber ich finde sie in ihrem Zimmer. Sie zieht sich gerade ein wirklich süßes Kleid an.

„Joel, du kommst passend. Kannst du bitte den Reißverschluss zu machen?“ Sie dreht mir den Rücken zu und sieht mich über die Schulter hinweg bittend an.

Ich atme einmal tief durch und gehe zu ihr, pule den Reisverschlusshaken aus dem Stoff und ziehe ihn hoch. Dabei kann ich nicht umhin zu bemerken, dass Katja keinen BH darunter trägt.

„Wie findest du das?“, fragt sie und dreht sich vor mir kokett hin und her.

„Ist das neu?“, knurre ich und denke mir, dass sie das bestimmt geklaut hat.

„Fast!“, sagt sie lächelnd.

Ich weiß nicht, was das heißen soll. Lag das auch in einem Fahrradkorb?

Ich atme einmal tief ein und brumme: „Du willst heute Freunde hierhin einladen?“

„Ja! Ein paar Mädels aus meiner Berufsschulklasse.“

„Ich bin heute Abend nicht zu Hause. Darum wird Manuel hier ein Auge auf alles halten“, erkläre ich. Mir behagt gar nicht, dass irgendwelche Leute sich in meiner Wohnung breitmachen und mein Zimmer unbeaufsichtigt ist.

„Warum?“ Katja scheint wirklich überrascht zu sein. „Und warum ausgerechnet Manuel?“

Sie scheint gerade ihn nicht hier haben zu wollen. Das wird mir klar. Deshalb hatte sie ihn wohl gebeten, das Feld zu räumen. Und damit er nicht gekränkt ist, hatte sie ihn wahrscheinlich damit geködert, dass sie mich auch nicht hier haben will.

„Weil ich und Timo keine Zeit haben.“

„Warum? Wo bist du denn?“, bestätigt Katja meinen Verdacht, dass sie wohl eher die Wohnung präsentieren will und ein Manuel nicht als Michelangelos David taugt.

„Das ist doch egal. Ich habe halt was vor und möchte nicht, dass die Wohnung unbeaufsichtigt ist.“

„Ich bin doch da!“, faucht Katja, nun langsam wirklich aufgebracht.

„Eben“, zische ich zurück. „Mit irgendwelchen fremden Leuten, die wer weiß was hier veranstalten.“

Katja stemmt ihre Hände in die Hüfte und sieht mich wütend an. „Ich weiß gar nicht, warum du dich hier immer so aufplusterst!“

„Weil ich hier auch wohne!“ Dass sie mich so runtermacht, setzt mir zu und zeigt mir, dass ich vielleicht als präsentierbarer David reiche, aber nicht als vollwertiges Mitglied dieser Gemeinschaft.

Mir ist das alles zu viel. Katja, ihre bevorstehende Party und mein Treffen mit Marco sind wirklich viel an Aufregung für einen einzelnen Samstagabend. Und die ständigen Diskussionen mit Katja auch … und ihre ablehnende Haltung mir gegenüber, weil sie meint, ich bin hier nur der Kurzschwanz der WG.

Ich atme tief durch und spüre die Hitze in meinem Gesicht. „Und du willst wissen, warum ich mich hier so aufplustere?“, zische ich. „Weil das meine Wohnung ist und ihr nur meine Mitbewohner seid.“

Katja sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank und ein herablassendes Lächeln zeigt mir, dass sie mir kein Wort glaubt. Und sie will gerade etwas bestimmt sehr Niederträchtiges antworten, als ich schon aus dem Zimmer stürme und rufe: „Entweder Manuel ist bei deiner Party dabei oder du sitzt ab morgen auf der Straße.“

Ich stürme in mein Zimmer, wo Manuel mir von meinem Lederschreibtischstuhl entgegenstarrt.

„Und du hast die volle Verantwortung für den Haufen. Ist nur irgendetwas kaputt, jemand in mein Zimmer gelaufen oder mir kommen irgendwelche Klagen, dann war das Katjas letzter Tag hier.“ Irgendwie fühle ich mich plötzlich stärker, jetzt wo ich klarstellte, wem die Wohnung wirklich gehört. Ich habe das Gefühl damit meine Schwanzlänge in die richtige Größe gebracht zu haben und das scheint mir längst überfällig.

Manuel sieht mich erschrocken an. Doch ich beachte ihn nicht und greife mir ein paar Klamotten und stürme hinaus und ins Badezimmer, dass auch gerade Katja ansteuern wollte, mich mit einem herablassenden Blick bedenkend, der wohl heißen soll: „Red du nur, Kleiner. Ich habe alle, die etwas zu sagen haben, auf meiner Seite.“ Dass ich an ihr vorbeistürme und hinter mir die Badezimmertür zuschmeiße und abschließe, lässt sie wütend gegen die Tür schlagen. „Joel, mach auf. Ich muss mich fertigmachen!“

„Ich mich auch!“, schreie ich zurück und stelle schon mal das Wasser der Dusche an. Ich habe zwar noch Zeit, werde aber so lange hier verbringen, wie ich kann.

Mit einem seltsamen Gefühl der Überlegenheit stelle ich mich ewig lange unter das heiße Wasser. Das muss Katja wirklich auf die Palme bringen. Sie klopft immer wieder wütend an die Tür. „Mensch, beeil dich mal!“

Ich ignoriere sie und hoffe, sie heult sich bei Manuel aus. Vielleicht fragt sie ihn, wem die Wohnung wirklich gehört. Ich höre ihn schon antworten: „Joel!“

Wie gerne würde ich dann ihr Gesicht sehen. Denn mir glaubt sie das offensichtlich nicht und befürchtet nicht, dass sie einen Rauswurf riskiert.

Natürlich ist mir klar, dass ich sie sowieso nicht vor die Tür setze. Ihre Tränen vom letzten Streit reichen für Wochen. Das will ich nicht noch mal ertragen. Aber es ist gut, dass sie endlich weiß, welche Rolle ich hier spiele.

In meinem Kopf kriecht doch tatsächlich ein Bild hoch. Ich sehe mich in meinem Zimmer und Katja vor mir auf dem Boden knieend …

Okay. Das ist verrückt.

Ich rasiere mich gründlich und trockne mir vorsichtig mit dem Fön die Haare, damit ich nicht gleich aussehe wie ein Löwe. Mein enges schwarzes T-Shirt zeigt, dass ich mich langsam zum Vorteil entwickele und ich frage mich unweigerlich, was Mama wohl dazu sagen würde. Ob sie stolz auf mich und mein Aussehen wäre? Ich bin im letzten halben Jahr bestimmt fünfzehn Zentimeter gewachsen. Wie gerne würde ich sie das wissen lassen. Aber vielleicht sieht sie mich ja auch?

Dieser Gedanke verursacht ein seltsames Gefühl in meinem Bauch. Denn dann würde sie auch alles andere sehen und da ist einiges, dass mir wirklich peinlich wäre.

Als ich die Badezimmertür aufschließe, reißt jemand sie auf und eine aufgebrachte Katja stürmt an mir vorbei. „Scheiße, was stinkt das hier nach Testosteron!“ keift sie.

Ich starre ihr nur verwirrt hinterher. Aber sie knallt die Tür schon zu.

Manuel sitzt im Sofa und schaut Fernsehen. Er grinst mich an, als ich bei ihm ankomme und frage: „Häh? Was meint sie?“

„Männerschweiß“, antwortet er grinsend.

Ich bekomme den Mund kaum zu. Was soll das denn heißen?

„Katja steht eigentlich drauf“, meint Manuel mit einem Augenzwinkern.

Das klang aber anders und ich habe mich extra ausgiebig geduscht, um gut zu riechen. Aber dass ich das vielleicht vorher nicht tat, war mir nicht in den Sinn gekommen. Das ist sowieso ein Aspekt, der mir nie richtig bewusst war. Ich ahnte ja auch nicht, dass andere das so riechen.

„Komm, lass sie labern. Erzähl mir lieber, warum du dich heute so aufbrezelst. Hast du ein Date?“

Ich weiß nicht, was ich Manuel sagen soll. Aber vielleicht ist es besser, einer weiß, wo ich hingehe. Nur für den Fall, dass ich nicht mehr wiederkommen.

Ich lasse mich neben ihn in das Sofa sinken.

Leise erkläre ich ihm: „Ich treffe mich heute mit einem Typ, der Mama kannte.“

Manuel rückt erschrocken von mir ab und zischt: „Einer von den Geschichtenschreibern?“

„Nein, eher ein Freund von ihr. Hoffe ich zumindest. Ich denke, er hat Mama die Sicherungen auf dem Handy und Laptop eingebaut und alles nach ihrem Tod gelöscht.“

Manuel sieht mich mit offenem Mund an. Dann raunt er: „Ey, das ist gefährlich. Weiß er, wer du bist?“

Ich nicke, bin aber über Manuels Bedenken erschrocken. Darum raune ich: „Unter meiner Tastatur liegt die Adresse, wo ich hingehe. Falls ich nicht mehr wiederkomme.“

„Soll ich nicht besser mitgehen?“, bietet er an und klingt wirklich wie ein echter Freund.

Ich kann ihn nur bitten: „Nein, achte du darauf, dass niemand mein Zimmer betritt und Katja keinen Blödsinn macht. Sonst sind unsere Zeiten als WG gezählt.“

 

Manuel weiß das und nickt. Aber ich sehe ihm an, dass er größte Bedenken hat, was mich angeht und auch … wie sein Abend verlaufen wird. Leise raunt er: „Katja wird aber nicht erfreut sein.“

„Das ist egal. Ich habe ihr gesagt, entweder die Party findet mit dir statt oder gar nicht.“

Manuels Augen leuchten auf. „Danke, Alter! Dann kann mein Abend ja nur gut werden.“

Nah, wir werden sehen.

Eine Stunde später trudeln die Mädchen ein. Ich begegne ihnen unten vor der Eingangstür des Einkaufscenters, wo sie aufgeregt wie Hühner den Klingelknopf drücken, der mit einem neuen Aufkleber bestückt ist, wie ich feststelle, als sie kichernd und aufgedreht durch die Tür ins Innere drängen.

Ich schaue genauer hin.

Wir hatten damals unsere drei Nachnamen auf das winzige Zettelchen gequetscht, das in dem Klingelplastik steckt. Nun klebt oben auf nur ein Name … und zwar der von Katja.

Ich habe keine Zeit mich darum zu kümmern. Aber ich bin schon wieder so wütend auf sie, dass ich am liebsten nach oben stürmen möchte und die Party gleich beenden will. Aber es kommen schon wieder zwei weitere Mädchen und schauen sich verunsichert um. Ich kann nicht umhin festzustellen, dass Manuel ein wirklich netter Abend bevorsteht, wenn er all diese Schönheiten heute beaufsichtigen darf. Hoffentlich ist er damit nicht völlig überfordert. Ich wäre es bestimmt.

Ich mache mich auf den Weg zum Hotel, meine schwarze Schultasche unterm Arm, in der Mamas Laptop steckt. Es ist noch etwas zu früh, aber ich will pünktlich sein und muss erst mal die Zimmernummer 203 finden.

Mein Weg führt mich durch den Park, hinter dem das Hotel sich dem Himmel emporreckt. Als ich das opulente Foyer betrete, weiß ich nicht, was ich machen soll. Meldet man sich an oder sucht man sich selbst seinen Weg?

Zumindest falle ich in meinem schwarzen T-Shirt und meiner schwarzen Jeans nicht auf. Es nimmt auch keiner Notiz von mir. Darum gehe ich mit einem Pulk Leuten, die einen der Fahrstühle ansteuern, mit. Aufgeregt redend, beachten sie mich nicht und wir steigen ein. Zu meinem Glück steht bei jedem Stockwerk, welche Zimmernummern dort zu finden sind. Ich muss in den sechsten Stock und denke mir, dass meine Wohnung mit dem Zimmer von diesem Marco auf einer Höhe liegen muss.

Meine Mitfahrer steigen ein Stockwerk unter mir aus und ich fahre allein weiter. Das Hotel hat nur sechs Stockwerke und als die Tür aufgeht, sehe ich verunsichert hinaus. Mein Herz pocht bis in meine Schläfen und mir ist etwas Übel. Aber ich reiße mich zusammen. Ich hatte mich so über Katja geärgert, dass ich vorher gar nicht groß Zeit gehabt hatte, nervös zu werden. Das ändert sich jetzt.

Ich brauche einige Zeit, bis ich die Nummer finde. Sie ist die letzte in einer der hintersten Ecken. Unschlüssig stehe ich davor und frage mich, ob ich einfach klopfen darf. Hätte ich vielleicht doch besser vorher Bescheid sagen sollen oder zumindest anrufen? Kurz frage ich mich, ob ich wieder zum Fahrstuhl gehen soll und diesen Marco anrufe, um ihm zu sagen, dass ich im Hotel bin und gleich vor seiner Tür stehe. Aber dann verwerfe ich den Gedanken und klopfe an die Tür.

Es tut sich nichts und ich klopfe lauter.

In dem Moment wird sie aufgerissen und ich starre in ein dunkelhäutiges Gesicht mit unerwartet grünen Augen, einem dunklen, kurzgehaltenen Bart und schwarzen, schulterlangen Korkenzieherlocken.

Einen Moment bin ich irritiert. Dann wird mir klar, dass natürlich zu der dunklen Michelle auch der passende Mann gehörte.

„Hi Joel. Ich bin Marco.“ Der Typ schenkt mir ein kurzes Lächeln mit unglaublich weißen Zähnen.

„Ja … ähm ja. Ich bin Joel“, stottere ich und schüttele die hingehaltene, kräftige Hand.

Die grünen Augen wandern von meinem Gesicht über meinen Körper und ich höre ein anerkennendes: „Cecilia hat nicht übertrieben. Sie sagte immer, ihr Sohn ist eines der wenigen schönen Geschöpfe auf diesem Planeten.“

Ich werde bestimmt rot und finde, Mama hat maßlos übertrieben. Aber ich weiß ja, dass sie Mutterliebe trieb, die nie unvoreingenommen ist.

„Komm herein.“

Ich werde in eine Suite eingeladen, die wirklich atemberaubend ist. Absolut passend zu dem Mann, der vor mir geht. Er ist groß und unverkennbar gut gebaut. Seine Muskeln spannen sich unter dem weißen Hemd und seine schwarze Anzughose sitzt tadellos. Ich komme mir in meinem T-Shirt und meiner Jeans plötzlich underdressed vor.

Marco dreht sich zu mir um und erneut bekommt sein Blick diesen abschätzenden Ausdruck. „Setz dich“, weist er mich an und zeigt zu einer opulenten weißen Sitzgarnitur. „Magst du ein Bier?“

Ich setze mich auf das Sofa und nicke.

Um nicht völlig fehl am Platz zu wirken, ziehe ich Mamas Laptop aus meiner Schultasche und lege ihn demonstrativ auf den Tisch. Marco soll ja denken, dass ich deswegen da bin.

Er kommt zum Sofa und reicht mir das Bier. Dann setzt er sich auf einen der Sessel und starrt Mamas Laptop an, als erwarte er, dass er explodiert.

Ich besehe mir den Mann genauer. Er sieht wirklich gut aus und ich kann Mama nicht verübeln, dass sie ihn gerne als Freund hatte. Etwas anderes will ich mir zwischen den beiden nicht vorstellen.

„Joel“, sagt Marco und sieht mich an. „Ich weiß, dass du selbst fit am Computer bist und ich glaube, du weißt längst, was noch auf dem Laptop ist und was nicht.“

Nun werde ich auf alle Fälle rot und fühle mich durchschaut.

„Also, warum bist du wirklich hier?“

Was soll ich sagen?

Weil ich gar nichts sage, erklärt Marco leise: „Deine Mutter hat viel von dir erzählt. Immer und ständig. Joel hier, Joel da, Joel ist das Wichtigste. Ich wollte dich aufsuchen, als das mit ihr passierte. Aber ich war selbst zu geschockt.“ Er sieht auf seine Hände.

Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll.

Er sieht auf. „Und nun bist du hier und sitzt auf meinem Sofa.“

Ich trinke einen Schluck Bier, weil ich einfach nicht weiß, was ich dazu sagen kann.

Marco erhebt sich ruckartig und sieht auf mich hinunter. Dann trinkt auch er einen Schluck aus seiner Flasche und raunt leise, als er zum Fenster geht: „Cecilia hat sich immer Sorgen gemacht, was passiert, wenn ihr mal etwas zustößt. Das war eine ihrer Hauptsorgen.“

Er sieht aus dem Fenster und ich starre auf seinen breiten Rücken.

„Sie hat aber nie gesagt, dass ich mich kümmern soll. Niemals.“

Ich bin von seinen Worten überrascht und frage mich, ob er meint, dass ich deshalb hergekommen bin.

Plötzlich dreht er sich um und in seinem Blick liegt etwas, das mich erschreckt. „Wer war für dich da, als das mit deiner Mutter passierte? Wer hat sich um dich gekümmert?“ Er klingt aufgebracht und wütend.

Ich erwidere verunsichert: „Onkel Andreas.“

Seine ganze Gestalt, die wie zum Angriff gespannt war, scheint zusammenzusinken. „Cecilias Bruder“, raunt er nur und klingt seltsam niedergeschlagen.

Ich bin überrascht, dass Marco ihn kennt. Scheinbar weiß er eine Menge über unsere Familie. Ich nicke.

„Sonst niemand? Kam niemand sonst?“, brummt er plötzlich, als glaube er mir nicht.

Ich bin über seine Frage verwirrt und schüttele den Kopf.

Marco geht zu seinem Sessel zurück und lässt sich hineinfallen. Leise und mehr zu sich selbst murmelt er: „Dann gab es wirklich niemand anderen?“

Ich bin verwirrt. Aber ich sage, weil ich denke, es ist wichtig. „Nur Onkel Andreas.“

Marco nickt und seine dunklen Korkenzieherlocken fallen über sein Gesicht, wie ein Vorhang, als er sich vornüberbeugt und die Arme auf seinen Beinen abstützt.

„Verdammt!“ Er klingt wirklich aufgebracht. „Ich hätte mich bei dir melden müssen. Das war ich ihr schuldig!“ Er sieht auf und diese unglaublich grünen Augen treffen meinen Blick. „Ich war mir sicher, es gibt andere, die sie darum gebeten hat, sich um dich zu kümmern, wenn ihr mal etwas passiert.“